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GLEICHHEIT/5949: Wirtschaftliche Konflikte erhöhen die Gefahr eines globalen Handelskriegs


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Wirtschaftliche Konflikte erhöhen die Gefahr eines globalen Handelskriegs

Von Nick Beams
4. Juni 2016


Die andauernde Stagnation der globalen Wirtschaft, die von sinkenden Investitionen und einer Überproduktion in wichtigen Schlüsselindustrien gekennzeichnet ist, beschleunigt die Einführung von protektionistischen Handelskriegsmaßnahmen der Großmächte, allen voran den Vereinigten Staaten.

In der letzten Woche hat die Internationale Handelskommission (ITC) der Vereinigten Staaten eine Untersuchung gegen chinesische Stahlwerke eingeleitet. Der Stahlproduzent United States Steel Corp wirft ihnen vor, Betriebsgeheimnisse zu stehlen und Preisabsprachen zu treffen.

Die Frage der industriellen Überkapazitäten Chinas steht auf der Tagesordnung der "strategischen und wirtschaftlichen" Gespräche, die in der nächsten Woche zwischen den USA und China in Peking stattfinden werden. Der Staatssekretär für internationale Angelegenheiten im Finanzministerium, Nathan Sheets, forderte China kürzlich auf, seine Industrie solle "die Kapazitäten und die globalen Nachfragebedingungen besser einbeziehen". Mit anderen Worten, China solle seine Produktion zurückfahren.

Die Überproduktion in der chinesischen Stahlindustrie wurde für die Zunahme von billigen Exporten und für den Verlust von Arbeitsplätzen sowie die Schließung von Fabriken in Europa und den USA verantwortlich gemacht.

Die jüngsten Zölle auf Stahlimporte haben die amerikanischen Preise in die Höhe getrieben, die staatlichen Stellen suchen jedoch nach weiteren Maßnahmen. Sheets erklärte bei einem Treffen der Brookings Institution in Washington, industrielle Überkapazitäten seien "für die globale Wirtschaft" ein wichtiges Thema und "wir hoffen, wir werden in Peking diesbezüglich Fortschritte erzielen".

Die Vorgehensweise ist allerdings sehr widersprüchlich, weil viele Industrieunternehmen in den USA von billigen Stahlimporten abhängig sind. Stuart Barnett, der Vorsitzende der Barsteel Corp in Chicago, der die verschiedensten Produzenten beliefert, erklärte, die Regierung habe "ziemlich gute Arbeit" geleistet, um die billigsten Stahlimporte fernzuhalten. "Aber jetzt ist unsere größte Sorge, dass China den billigen Stahl selbst behält und Produkte damit fertigt, die andere Industriezweige untergraben."

Mit anderen Worten, die Unterdrückung des immer brutaleren Kampfs um Märkte und Profite auf einem Gebiet der Industriewirtschaft sorgt dafür, dass er an anderer Stelle wieder auftaucht.

Der Druck der USA auf China, die Produktion und den Export zurückzuschrauben, löste eine scharfe Reaktion der chinesischen Regierung aus.

In einer Rede während einer Besprechung in Peking am Donnerstag erklärte der chinesische Stellvertretende Finanzminister Zhu Guangyao: "Handelsstreitigkeiten zwischen China und den USA sollten in Übereinstimmung mit den Prinzipien der Welthandelsorganisation (WTO) geregelt werden. Wir sind gegen missbräuchliche Handelsmaßnahmen."

Die Reaktion von Chinas größten Stahlproduzenten des Landes, Hebei Iron and Steel Group, fiel noch schärfer aus. In einer Erklärung, die er am Donnerstag auf seiner Website veröffentlichte, verurteilte er die Untersuchung der amerikanischen ITC.

Er erklärte: "Das protektionistische Verhalten der USA, das sich auf haltlose Beschuldigungen von US Steel stützt, hat die Regeln der WTO gravierend verletzt, den normalen Welt-Stahlhandel verfälscht und die grundlegenden Interessen der chinesischen Stahlwerke und der amerikanischen Stahlverbraucher geschädigt."

US Steel hat die Beschwerde vor einem Monat eingereicht und behauptet, es sei Opfer eines chinesischen Hackerangriffs im Jahr 2011 geworden. Das ITC hat sich jetzt dieses Falls angenommen und Untersuchungen gegen 40 chinesische Stahlproduzenten und Händler eingeleitet.

Baosteel, Chinas zweitgrößter Stahlproduzent, der viertgrößte der Welt und von der ITC-Untersuchung betroffen, erklärte, die USA würden die WTO-Regeln verletzen. Er drängte die chinesische Regierung, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Stahlindustrie des Landes fair behandelt werde.

Laut Simon Evenett, Professor für Internationalen Handel an der Universität von St. Gallen in der Schweiz und mit der Beobachtung von protektionistischen Maßnahmen beschäftigt, hat die Untersuchung des ITC Befürchtungen ausgelöst, dies könne der Beginn von noch viel umfassenderen Maßnahmen sein. Möglicherweise könnte sogar ein vollständiges Einfuhrverbot für chinesische Stahlimporte die Folge sein.

Er erklärte gegenüber der Financial Times: "Das Außergewöhnliche daran ist wirklich die potentielle Größenordnung dieses Falls im Unterschied zu den Nadelstichen, die wir in den letzten neun Monaten beobachtet haben. Da sollten die Alarmglocken läuten. Das ist ein Fall mit großer Sprengkraft."

Die Konflikte gehen über die Stahlbranche hinaus und betreffen die gesamte Funktionsweise der WTO, des internationalen Gremiums für die Regulierung des Welthandelssystems. Sie werden durch die aggressive Vorgehensweise der USA an zwei Fronten verschärft.

Letzte Woche erklärten die USA gegenüber anderen WTO-Mitgliedern, dass sie gegen eine zweite Amtszeit von Seung Wha Chang ein Veto einlegen würden. Seung Wha Chang ist ein anerkannter südkoreanischer Experte in internationalem Handelsrecht und Mitglied im Berufungsgremium der Organisation, das über internationale Handelsstreitigkeiten entscheidet. Die Wiederernennung für eine zweite Amtszeit war in der Vergangenheit das übliche Verfahren.

Washington führte mehrere Entscheidungen an, die zu Ungunsten der USA ausgegangen sind, und die angeblich nach demselben Muster von "Übervorteilung" und schließlich "abstrakter" Entscheidungen getroffen wurden.

Die USA erklärten: "Das Berufungsgremium ist kein akademisches Organ, das einer Frage nachgeht, weil das Gremium oder gewisse Mitglieder ganz abstrakt daran interessiert sind. Es ist nicht die Aufgabe des Berufungsgremiums abstrakte Diskussionen zu führen."

Andere Mitglieder der WTO, darunter Brasilien, Japan und Europa erklärten, das Veto der USA drohe, die Unabhängigkeit des Berufungsgremiums und des gesamten Systems zu untergraben. Die EU erklärte, das Vorgehen der USA sei beispiellos und stelle "ein sehr ernstes Risiko für die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der derzeitigen und zukünftigen Mitglieder des Berufungsgremiums dar".

Auf das Vorgehen der USA reagierte die Financial Times mit einem äußerst kritischen Leitartikel in der Mittwochausgabe. Die Zeitung bemerkte, dass das Letzte, was die WTO nach dem Zusammenbruch der Doha-Runde multilateraler Handelsgespräche im letzten Jahr brauche, sei ein weiterer Schlag gegen ihre Autorität. Die Doha-Runde war vor allem deshalb geplatzt, weil die USA entschieden hatten, sich aus den Diskussionen zurückzuziehen. Da die WTO keine Rolle mehr beim Aushandeln globaler Handelsverträge spielt, bleibt ihr nur noch die Funktion, bestehende Handelsregeln gegenüber Regierungen anzuwenden und bei "Rechtsverstößen" diese aufzufordern, "ihre Politik entsprechend zu verändern".

Die Zeitung erklärt: "Dass die USA jetzt versuchen, die WTO zu untergraben, indem sie einen Richter absetzen, der nicht mit der Meinung der Amerikaner übereinstimmt, ist sehr beunruhigend."

Dieser Vorfall, fährt sie fort, bestätigt zumindest in diesem Fall "die Kritiker der USA, die behaupten, Washington befürworte globale Kooperation nur dann, wenn es die internationalen Institutionen beherrscht, die dafür zuständig sind. Dies ist ein ernster Vorwurf, der auch weiterhin gegen die USA besteht."

Das Problem des Berufungsgremiums steht im Zusammenhang mit einem weiteren in der WTO gärenden Konflikt. Nachdem China im Jahr 2001 WTO-Mitglied wurde, versucht es dieses Jahr die Bezeichnung als "Marktwirtschaft" zu erhalten. Das würde es schwieriger machen, chinesische Firmen wegen angeblichem Dumping zu belangen, das heißt, Waren zu künstlich niedrig gehaltenen Preisen zu verkaufen.

Berichten zufolge sollen die USA massive Lobbyarbeit gegen den Widerstand zumindest einiger europäischer Mächte, darunter auch Großbritanniens, geleistet haben, damit China diesen höheren Status nicht erhält. Die britische Regierung stellt sich selbst als "bester Freund" Chinas im Westen dar, weil Finanzkreise in der City of London versuchen, von den wachsenden chinesischen Investitionen und Finanzaktivitäten zu profitieren. Großbritannien erklärt, dass wenn China den Status einer "Marktwirtschaft" zuerkannt bekäme, die Vorwürfe des Preisdumpings noch immer anhand der WTO-Regeln verfolgt werden könnten. Das hatte aber offensichtlich keine Auswirkungen auf das Bestreben der USA, zu verhindern, dass der Status Chinas angehoben wird.

Angesichts der globalen Überkapazitäten, anhaltend niedriger Nachfrage und den Warnungen vor einem Produktivitätsrückgang in den großen entwickelten Volkswirtschaften, vertiefen sich die Handelskonflikte und zusammen mit der ständigen Verbreitung von wirtschaftlichem Nationalismus drohen sie einen globalen Handelskrieg auszulösen, ähnlich dem, der sich in den 1930er-Jahren entwickelt hat. In der damaligen Zeit bedeutete der zunehmende Protektionismus die Vorbereitung auf den Weltkrieg.

Genauso führt heute der zunehmende Wirtschaftsnationalismus angesichts einer anhaltenden Wirtschaftskrise zu Konflikten, die sich erneut zu einem globalen Flächenbrand entwickeln können.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 04.06.2016
Wirtschaftliche Konflikte erhöhen die Gefahr eines globalen Handelskriegs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2016

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