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GLEICHHEIT/6098: Ukraine- und Syrien-Gipfel in Berlin


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ukraine- und Syrien-Gipfel in Berlin

Von Peter Schwarz
21. Oktober 2016


Ein Treffen der deutschen Bundeskanzlerin mit dem französischen, russischen und ukrainischen Präsidenten am Mittwochabend in Berlin blieb ohne praktische Ergebnisse.

Angela Merkel und François Hollande sprachen mit Wladimir Putin und Petro Poroschenko im Berliner Kanzleramt vier Stunden lang über die Lage in der Ukraine und danach zwei weitere Stunden mit Putin über den Syrienkrieg. Es war das erste Treffen im sogenannten Normandie-Format seit einem Jahr, als die vier Staats- und Regierungschefs in Paris zusammenkamen, und der erste Besuch Putins in Berlin seit vier Jahren.

Vertreter der deutschen Regierung werteten allein die Tatsache, dass das Gespräch zustande kam, als Erfolg. Es unterstreiche, schreibt SpiegelOnline, "die Bedeutung, die Putin der deutschen Kanzlerin im Konzert der Mächtigen zubilligt". Die Gespräche zwischen Russland und den USA sind weitgehend zum Erliegen gekommen, nachdem der russische Außenminister Sergei Lawrow weitere Treffen mit seinem amerikanischen Amtskollegen John Kerry abgesagt hat.

Das Treffen in Berlin war von heftigen Spannungen geprägt. Merkel sprach auf der nächtlichen Pressekonferenz nach dem Treffen von einer "sehr harten Aussprache". Präsident Hollande wiederholte seinen Vorwurf, Russland begehe im syrischen Aleppo Kriegsverbrechen. Merkel schloss sich diesem provokativen Vorwurf an. Sie sprach von "unmenschlichen Bombardierungen", die nach allen Regeln des Völkerrechts als Verbrechen gewertet werden müssten.

Merkel ließ die Möglichkeit verschärfter Sanktionen gegen Russland offen. Sie sollen ein Thema des EU-Gipfels sein, der am Donnerstagabend in Brüssel begonnen hat. Dort gibt es dafür allerdings keine Mehrheit. Während einige Länder - wie Polen, Großbritannien und Estland - auf einen schärferen Kurs gegen Russland drängen, wollen andere - darunter Italien, Ungarn, die Slowakei und Griechenland - die schon bestehenden Sanktionen aus ökonomischen und politischen Gründen lockern.

Berlin steht hier in einem Dilemma. Es unterhält enge Beziehungen zu den osteuropäischen Staaten, die den Konflikt mit Russland vorantreiben, spielt selbst eine führende Rolle beim Aufmarsch der Nato an der russischen Grenze und will sich in dieser Frage nicht offen gegen Washington stellen. Gleichzeitig möchte es den Konflikt mit Moskau nicht bis zum völligen Bruch treiben, weil Deutschland enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland unterhält und von russischen Gas- und Öllieferungen abhängig ist.

Die deutsche Regierung selbst ist in der Frage gespalten. Während sich Bundeskanzlerin Merkel und die CDU wiederholt für eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ausgesprochen haben, lehnen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und die SPD dies ab.

Ein großer Teil der deutschen Medien hat in den vergangenen Wochen eine regelrechte Kriegskampagne [1] gegen Russland entfesselt und Putin die alleinige Schuld für die Eskalation des Krieges in Syrien zugeschoben, obwohl die USA und ihre europäischen Verbündeten dafür die Hauptverantwortung tragen.

Anlässlich des Berlin-Besuchs von Putin setzte die Bild-Zeitung noch einen drauf. An den russischen Präsidenten gewandt hetzte das Boulevard-Blatt aus dem Hause Springer: "In einer gerechten Welt würde man Sie ins nächste Flugzeug nach Den Haag setzen, wo sie sich vor dem Internationalen Gerichtshof dem Vorwurf von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellen müssten."

Doch die Hetze der Medien trägt nicht sehr weit. Die von den Westmächten unterstützte Offensive gegen die irakische Großstadt Mossul, wo der Zivilbevölkerung eine größere Katastrophe droht als im syrischen Aleppo, entlarvt die Propaganda gegen Putin als Heuchelei. Auch in der Ukraine lässt sich immer weniger verheimlichen, dass sich vor allem das vom Westen gestützte Poroschenko-Regime und die mit ihm verbündeten faschistischen Milizen einer Beilegung des Krieges im Osten des Landes widersetzen.

Selbst die stramm antirussische Frankfurter Allgemeinen Zeitung gelangt zum Schluss, dass die ukrainische Seite ein Entflechtungsabkommen zur Erneuerung des Waffenstillstands, das die Ukraine-Kontaktgruppe am 21. September beschlossen hat, systematisch sabotiert. Das durch Korruptionsskandale und wachsende soziale Spannungen erschütterte Poroschenko-Regime kann sich offenbar nur noch an der Macht halten, indem es fanatischen Nationalismus schürt und den Krieg um die Ostukraine weiter anheizt.

Die F.A.Z. hat die Tagesberichte der OSZE-Beobachtermission im ostukrainischen Kriegsgebiet ausgewertet und zieht daraus den Schluss, "dass die ukrainischen Streitkräfte in den letzten Wochen in die Offensive übergegangen sind". Trotz dem Entflechtungsabkommen vom 21. September habe die ukrainische Seite "vor allem am strategisch entscheidenden Frontabschnitt östlich der Hafenstadt Mariupol sowie nordwestlich der Rebellenhochburg Donezk in seit langem nicht mehr gesehenem Maße schwere Waffen eingesetzt".

Hätten prorussische Kämpfer noch im Sommer den Waffenstillstand öfter gebrochen als die Ukrainer, sei dies seit dem Beginn der "Entflechtung" umgekehrt gewesen, heißt es in der F.A.Z.. In den letzten drei Wochen sei die ukrainische Seite 1030 Mal eindeutig beim Feuern beobachtet worden. "Bei den von Russland unterstützten Kämpfern lag die Zahl der eindeutigen Verstöße dagegen nur bei 79."

Ähnlich verhält es sich bei den schweren Waffen und Militärfahrzeugen, die die in Minsk festgelegten Rückzugslinien missachten. Hier stellte die OSZE auf ukrainischer Seite 260 Verstöße fest, auf prorussischer Seite dagegen nur 82.

Auch die im Minsker Friedensabkommen von 2015 vereinbarten Gesetze über den Status der Ostukraine und die dortigen Wahlen, die als Voraussetzung für eine Beilegung des bewaffneten Konflikts gelten, hat das Parlament in Kiew bisher nicht verabschiedet. Laut F.A.Z. besteht die "Vermutung, die ukrainische Seite wolle keinen Frieden eintreten lassen, weil der andauernde Krieg für sie eine Rechtfertigung dafür sei, den 'politischen Prozess' im Donbass zu verzögern".

In Berlin einigten sich Poroschenko, Putin, Merkel und Hollande schließlich auf eine "Roadmap", mit der die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen wieder aufgenommen werden soll. Einen entsprechenden Fahrplan sollen die Außenminister der vier Länder bis Ende November ausarbeiten. Das ist nicht mehr als eine unverbindliche Absichtserklärung.

In der Syrienfrage gab es überhaupt keine Vereinbarung. Präsident Putin teilte lediglich mit, Russland und die syrische Regierung seien unter bestimmten Umständen bereit, einen für Donnerstag angekündigten elfstündigen Waffenstillstand in Aleppo zu verlängern.


Anmerkungen:
[1] http://www.wsws.org/de/articles/2016/10/18/krie-o18.html

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Quelle:
World Socialist Web Site, 21.10.2016
Ukraine- und Syrien-Gipfel in Berlin
http://www.wsws.org/de/articles/2016/10/21/treff-o21.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2016

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