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GLEICHHEIT/6119: Europa - Schock über Trumps Wahlsieg


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Europa: Schock über Trumps Wahlsieg

Von Peter Schwarz
10. November 2016


Die herrschenden Eliten Europas haben schockiert und entsetzt auf die Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten reagiert. Kaum eine Regierung oder Zeitung hatte mit einem solchen Ergebnis gerechnet. Nun fürchten sie, dass Trumps Präsidentschaft nicht nur die USA, sondern auch den Rest der Welt politisch und wirtschaftlich destabilisieren wird.

"Die globalen Finanzmärkte geraten ins Trudeln, die politische Welt hält den Atem an", kommentiert das deutsche Handelsblatt den Wahlausgang. "Sollte Trump auch nur einen Teil seiner Ankündigungen umsetzen, wird auf diesem Planeten nichts mehr so sein, wie es einmal war - nicht geopolitisch, nicht ökonomisch und auch nicht kulturell."

Die britische Financial Times sieht in Trumps Sieg "einen Moment großer Gefahr". Nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien sehe es so aus, als habe "die internationale liberale Ordnung einen weiteren schweren Schlag erhalten", schreibt das Blatt. "Herr Trump muss sich in Wort und Tat entscheiden, ob er sich an dieser großen Zerstörungsaktion beteiligen will, zu unberechenbaren Kosten für den Westen."

Der Guardian-Kolumnist Richard Wolffe nennt Trumps Sieg "nichts geringeres als eine Revolution... Amerika und seine Beziehung zur Welt haben sich über Nacht grundlegend verändert... Zusammengenommen leitet Trumps Sieg die turbulenteste Periode der amerikanischen Geschichte seit der Großen Depression und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs ein. Er stellt die Kernelemente der amerikanischen Identität und der globalen Sicherheit in Frage, wie wir sie seit Generationen kennen."

Selbst der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, per Amt zu diplomatischer Zurückhaltung verpflichtet, warnte in seiner Stellungnahme zum Wahlausgang vor heftigen Konflikten. "Ich glaube, wir müssen uns darauf einstellen, dass amerikanische Außenpolitik für uns weniger vorhersehbar sein wird, und wir müssen uns darauf einstellen, dass Amerika geneigt sein wird, häufiger allein zu entscheiden", sagte Steinmeier. "Mit anderen Worten: Ich will nichts schönreden. Nichts wird einfacher, vieles wird schwieriger werden."

Viele Kommentare in den europäischen Medien weisen darauf hin, dass das Wahlergebnis kein Vertrauensbeweis für Trump, sondern ein Votum gegen das herrschende Establishment sei, und ziehen Parallelen zu Europa.

"Nach dem Brexit-Votum in Großbritannien ist dies das zweite Mal in diesem Jahr, dass eine vernachlässigte und fast vergessene Bevölkerungsschicht sich Gehör und Macht verschafft hat", kommentiert Stefan Kornelius in der Süddeutschen Zeitung. "Hier sind also Kräfte am Werk, die selbst ein Donald Trump nicht alleine entfesseln kann. Er hat sie sich nur zunutze gemacht." Die Gründe für die Umsturz-Stimmung reichten alle weit vor Trump zurück. Die Mehrheit in den USA wolle "eine Revolution. Und die hat sie nun bekommen."

Auch das Handelsblatt macht als Grund für Trumps Wahlerfolg die soziale Spaltung der amerikanischen Gesellschaft aus. Trump sei es "gelungen Kräfte zu entfesseln, die schon lange unter der Oberfläche schlummerten". Sein Aufstieg sei "Symptom tiefer Probleme in der amerikanischen Gesellschaft als Ganzes".

Die Verantwortung dafür tragen laut Handelsblatt beide Parteien. Die Republikaner hätten "das Land mit ihrer Steuerpolitik tief gespalten" und mit ihrer "ideologischen und neoimperialistischen Außenpolitik ... die Glaubwürdigkeit der USA samt ihrer Werte" zerstört. Die Demokraten hätten die Finanzmärkte dereguliert; die "Banken begannen zu zocken", lösten "die Weltfinanzkrise aus" und wurden "dank üppiger Staatshilfen" gerettet.

Ähnlich sieht es die französische Zeitung Le Monde: "Die Demokratin Hillary Clinton ist nicht die einzige Verliererin dieser Abstimmung. Eine Protestwelle erschüttert die traditionellen Eliten auf beiden Seiten des Atlantiks. Die Wahl von Donald Trump ist eine grundlegende Umwälzung, ein historisches Datum für die westlichen Demokratien. Wie der Fall der Berliner Mauer, wie der 11. September 2001 kennzeichnet dieses Ereignis den Beginn einer neuen Welt, deren Umrisse man noch kaum erkennen kann, von der aber ein Merkmal bereits klar sichtbar ist: in dieser Welt ist alles denkbar, was bisher als unmöglich oder unrealistisch galt." "Europa", so Le Monde, "wird durch nichts von dem Erdbeben geschützt, das Washington erschüttert hat."

Die "Protestwelle", die die traditionellen Eliten erschüttert, die weitverbreitete soziale Opposition, die in Trumps Wahlsieg einen äußerst reaktionären, verzerrten Ausdruck fand, fürchten die europäischen Eliten weit mehr als den neuen Präsidenten selbst. Sie machen sich Sorgen, dass er die Kontrolle über die Geister verliert, die er gerufen hat.

Gleichzeitig verlieren sie kein Wort darüber, weshalb ein halbfaschistischer Immobilienmilliardär wie Trump die weitverbreitete soziale Empörung in rechte Kanäle lenken konnte. Sie machen dafür die angebliche Rückständigkeit der "weißen" amerikanischen Arbeiter verantwortlich.

Der wirkliche Grund dafür ist aber die rechte Politik der Demokratischen Partei und Präsident Obamas im Interesse der Wall Street und wohlhabender Mittelschichten, sowie die Rolle von Bernie Sanders und seinen pseudolinken Unterstützern. Der Senator aus Vermont hatte im Vorwahlkampf 13 Millionen Stimmen gewonnen, weil er sich als Sozialist ausgab und gegen die "Klasse der Milliardäre" wetterte - nur um hinterher Hillary Clinton zu unterstützen. So überließen er Trump das Feld als einziger "Anti-Establishment"-Kandidat.

In Europa stützt sich die herrschende Klasse auf ähnliche politische Mechanismen, um die soziale Opposition zu unterdrücken. Die griechische Syriza, die deutsche Linkspartei und viele ähnliche Organisationen geben sich als Gegner des Kapitalismus aus, um jeden wirklichen Kampf gegen den Kapitalismus zu sabotieren und - wenn sie an der Regierung sind - die schärfsten Angriffe gegen die Arbeiterklasse zu führen.

Ein typischer Vertreter dieser Politik ist der Vorsitzende der britischen Labour Party, Jeremy Corbyn. Er schreibt: "Trumps Wahl ist eine unmissverständliche Zurückweisung des politischen Establishments und eines Wirtschaftssystems, das für die meisten Leute schlicht nicht funktioniert, das in den USA und in Großbritannien der Mehrheit nur wachsende Ungleichheit und einen stagnierenden oder fallenden Lebensstandard gebracht hat. Sie ist eine Zurückweisung eines ökonomischen Konsenses, der gescheitert ist, und einer regierenden Elite, die nicht zugehört hat. Die öffentliche Wut, die Donald Trump ins Amt befördert hat, äußert sich in politischem Aufruhr auf der ganzen Welt."

Doch nach dieser korrekten Aussage tritt er für die denkbar selbstzufriedenste Reaktion ein.

Er sagt, "einige von Trumps Antworten auf die großen Fragen, vor denen Amerika steht, und seine spalterische Rhetorik" seien "eindeutig falsch", um dann zu erklären: "Ich zweifele jedoch nicht daran, dass sich der Anstand und der gesunde Menschenverstand des amerikanischen Volkes durchsetzen wird. Wir erklären der Nation von Immigranten, Erneuerern und Demokraten unsere Solidarität... Die Amerikaner haben ihre Wahl getroffen. Die dringende Aufgabe für uns alle besteht nun darin, kontinentübergreifend die gemeinsamen globalen Herausforderungen anzupacken: Sicherung des Friedens, Maßnahmen gegen den Klimawandel sowie wirtschaftlicher Wohlstand und Gerechtigkeit."

Insgesamt reagiert die herrschende Klasse Europas auf den Wahlsieg Trumps mit einem deutlichen Rechtsruck. Innenpolitisch argumentieren ihre politischen Vertreter, man könne den Aufstieg rechtsextremer Parteien in Europa, die Trumps Erfolg enthusiastisch begrüßt haben, nur stoppen, indem man ihre Politik übernehme - insbesondere bei der Abwehr von Flüchtlingen und der inneren Sicherheit.

Außenpolitisch reagieren sie auf die erwarteten Spannungen mit den USA, indem sie die eigene militärische Aufrüstung beschleunigen. So kommentierte die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen den Wahlausgang mit den Worten: "Europa muss sich darauf einstellen, dass es besser selber vorsorgt." Dazu gehöre auch ein höheres Verteidigungsbudget. Spiegel Online forderte sogar deutsche Atomwaffen.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 10.11.2016
Europa: Schock über Trumps Wahlsieg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2016

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