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GLEICHHEIT/6889: Ehemaliger ägyptischer Präsident Mohamed Mursi stirbt bei Schauprozess


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ehemaliger ägyptischer Präsident Mohamed Mursi stirbt bei Schauprozess

Von Alex Lantier
19. Juni 2019


Am Montag starb der ehemalige ägyptische Präsident Mohamed Mursi, ein Mitglied der verbotenen islamistischen Muslimbruderschaft (MB), im Alter von 67 Jahren. Während einer Gerichtsverhandlung wegen Spionage, bei der er in einem Glaskäfig saß, erlitt er einen Zusammenbruch und verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus.

Der ägyptische Generalstaatsanwalt Nabil Sadiq erklärte: "Der Angeklagte, Mohamed Mursi, brach im Käfig in Anwesenheit weiterer Angeklagter bewusstlos zusammen und wurde sofort ins Krankenhaus verlegt. Laut vorläufigem medizinischen Bericht wurden bei einer äußeren Untersuchung weder Puls noch Atmung festgestellt, seine Augen reagierten nicht auf Lichteinwirkung. Er starb um 16:50, ohne dass sichtbare Verletzungen festgestellt wurden."

Berichten zufolge haben die ägyptische Armee und das Innenministerium ihre Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft versetzt, da sie Proteste oder Unruhen von Anhängern und Unterstützern der Muslimbruderschaft fürchten.

Mursis Tod war ein kaltblütiger staatlicher Mord. Die politische Verantwortung dafür tragen die ägyptische Militärdiktatur von General Abdel Fattah el-Sisi, Washington und die europäischen imperialistischen Verbündeten. Seit Mursi vor sechs Jahren in einem blutigen Putsch gestürzt wurde, hat die Sisi-Junta ihn unablässig wegen mehrerer fingierter Anklagen vor Gericht gestellt und ihn zum Tode und mehrfach zu hohen Haftstrafen verurteilt. Dabei genießt Sisi die ganze Zeit über enge Beziehungen zu amerikanischen und europäischen Regierungschefs, die sein Regime als unverzichtbares Instrument zur Unterdrückung der revolutionären Kämpfe der ägyptischen Arbeiterklasse betrachten.

Während seiner Haft wurden Mursi von der Sisi-Junta wichtige Medikamente vorenthalten, obwohl er an Diabetes, Bluthochdruck und einer Lebererkrankung litt. Er wurde 23 Stunden am Tag in Einzelhaft gehalten, durfte nur selten Besuch von seiner Familie erhalten und musste verdorbene Nahrungsmittel essen.

Mursis Familie und Menschenrechtsorganisationen haben mehrfach gewarnt, dass die Bedingungen seiner Haft sein Leben gefährden. Seine Familie äußerte 2016 gegenüber der New York Times die Befürchtung, Mursi könnte in ein diabetisches Koma fallen. Human Rights Watch warnte im Jahr 2017, das ägyptische Regime verweigere Mursi lebenswichtige medizinische Versorgung.

Im Jahr 2018 untersuchte die britische Menschenrechtsorganisation Detention Review Panel im Auftrag von Mursis Familie seine Haftbedingungen. Sie kam zu dem Schluss, dass Mursis Behandlung "grausam, unmenschlich und entwürdigend" sei und "nach ägyptischem und internationalem Recht die Grenze zur Folter überschreiten" könnte. Zu diesem Zeitpunkt fiel Mursi immer wieder in ein diabetisches Koma, litt unter unbehandelten Abszessen am Kiefer, an Halsverletzungen durch das Schlafen auf Steinboden und an beginnendem Nieren- und Leberversagen aufgrund von Mangelernährung .

Der britische Tory-Abgeordnete Crispin Blunt, Mitglied im Detention Review Panel, erklärte am Montag zu Mursis Tod: "Wir haben befürchtet, dass der Schaden an Dr. Mursis Gesundheit dauerhaft und möglicherweise tödlich sein wird, wenn er nicht die dringend benötigte medizinische Versorgung erhält. Leider hat sich unsere Befürchtung als richtig erwiesen."

Der islamistische türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, die palästinensische Islamistengruppe Hamas und der katarische Emir Scheich Tamim bin Hamad Al Thani äußerten allesamt ihr Beileid. Die islamistische Muslimbruderschaft, der Mursi angehörte, erklärte auf ihrer Website: "Weder der Schock über die Nachricht, noch die Eile, mit der die detaillierten Informationen über seinen Tod verbreitet wurden, wird etwas daran ändern, dass er ermordet wurde." Sie rief die Bevölkerung auf, massenhaft an Mursis Beerdigung teilzunehmen.

Mursis Sohn Abdullah Mohamed Mursi erklärte am Montag gegenüber Reuters, die ägyptischen Behörden hätten ihnen das Recht verweigert, Mursi auf dem Familienfriedhof zu begraben. Die Leiche wurde nicht an der Familie übergeben.

Mursi war ein rechter Politiker, der in seiner Amtszeit zu Recht erbitterten Widerstand in der Arbeiterklasse hervorrief. Er gewann die Wahl 2012 nur, weil kleinbürgerliche Parteien wie die Revolutionären Sozialisten (RS) während der anfänglichen revolutionären Erhebungen 2011, als sich Millionen von Demonstranten Straßenschlachten mit der Bereitschaftspolizei lieferten und ein Generalstreik der ägyptischen Arbeiterklasse den Militärdiktator Hosni Mubarak zu Fall brachte, die Machtergreifung der Arbeiterklasse verhindert hatten. Mursi setzte als Präsident Mubaraks Austeritätskurs, seine Polizeistaatspolitik und sein Bündnis mit dem amerikanischen und dem europäischen Imperialismus fort.

Doch auch wenn Mursi im Juli 2013 vor dem Hintergrund von Protesten gegen die MB mit zig Millionen Teilnehmern gestürzt wurde, war das Militär die treibende Kraft hinter dem Sturz. Es agierte unter der politischen Deckung der Tamarod ("Rebellen"), einem Bündnis aus pro-militärischen Parteien, das von den Revolutionären Sozialisten unterstützt wurde. Es übergab die Macht an Sisi, der daraufhin blutig durchgriff und Tausende von Demonstranten erschießen ließ. Diese Unterdrückung sollte die brutale Militärdiktatur wiederherstellen und wurde mit der propagandistischen Behauptung gerechtfertigt, das Militär unterdrücke den islamistischen Terrorismus.

Somit wurde der Prozess gegen Mursi zum Mittel des ägyptischen Generalstabs, jede Opposition gegen das ägyptische Militärregime zu kriminalisieren und ein Regime des Polizeistaatsterrors zu errichten, das sich primär gegen die Arbeiterklasse richtet. Unterstützt wurde Sisi dabei von Washington und den europäischen imperialistischen Mächten.

Mursi wurde im Jahr 2015 wegen fingierter Vorwürfe angeklagt, er habe kurz vor Mubaraks Sturz Anschläge auf die Polizei geplant, um MB-Mitglieder aus dem Gefängnis zu befreien. Für diesen Vorwurf wurde er später zum Tode verurteilt. Diese Vorwürfe kriminalisierten Millionen von Ägyptern, die sich in diesen Wochen Kämpfe mit der Bereitschaftspolizei geliefert hatten, und überbrachten eine unmissverständliche Botschaft: revolutionärer Kampf wird mit dem Tode bestraft. Gleichzeitig verhängte das Militär in Schauprozessen Todesurteile gegen Hunderte von Menschen, die keine Möglichkeit hatten, sich zu verteidigen. Bis zu 60.000 Menschen wurden verhaftet, viele von ihnen gefoltert.

Die imperialistischen Politiker in Washington und den europäischen Hauptstädten hatten Mursi als ersten "demokratisch gewählten" Präsidenten gelobt, als sie hofften, sein Wahlsieg würde die revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse verhindern. Doch sie ließen ihn nahezu über Nacht fallen und im Gefängnis verrotten.

Die wohl übelsten und groteskesten Äußerungen kamen von der EU-Außenpolitikbeauftragten Lady Catherine Ashton, die Mursi kurz nach dem Putsch Ende Juli 2013 im Gefängnis besuchte. Sie gab Sisis Putsch den Segen der europäischen Bourgeoisie und erklärte, sie und Mursi hätten "über die Lage und über die Notwendigkeit, Fortschritte zu machen, reden können. Die Leute um ihn herum kümmern sich um ihn. Ich habe mir die Einrichtung angesehen."

Seither haben die US-Regierungen des Demokraten Barack Obama und des Republikaners Donald Trump der ägyptischen Armee Milliarden von Dollar an Unterstützung gezahlt. Trump, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, der damalige britische Premierminister David Cameron und der französische Präsident Emmanuel Macron rollten Sisi den roten Teppich zu Staatsbesuchen in ihren Hauptstädten aus. Macrons Vorgänger François Hollande, der genau wie Sisi mit einem Ausnahmezustand regierte, um der arbeitenden Bevölkerung massive Sozialkürzungen aufzuzwingen, hat sich Berichten zufolge als Sisis Freund betrachtet.

Angesichts der Massenproteste von Arbeitern und Jugendlichen gegen die Militärregimes in Algerien und dem benachbarten Sudan sowie der zunehmenden Streiks und Proteste in den Vereinigten Staaten und Europa verlassen sich die imperialistischen Staaten immer mehr auf den Henker von Kairo. Dieses Jahr ist US-Außenminister Mike Pompeo nach Kairo gefahren, um Kriegsdrohungen gegen den Iran auszustoßen. Macron besuchte Sisi, um ihm mitten in den "Gelbwesten"-Protesten Waffen zu verkaufen. Im März, kurz nach Macrons Rückkehr aus Kairo, als Sisi den Verkauf von gelben Warnwesten verboten hat, kündigte der französische Generalstab an, er habe die Erlaubnis zum Schusswaffeneinsatz gegen "Gelbwesten".

Diese Regierungen sind allesamt politisch mitschuldig an der schrecklichen Misshandlung Mursis während der Haft, die zu seinem Tod geführt hat.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.06.2019
Ehemaliger ägyptischer Präsident Mohamed Mursi stirbt bei Schauprozess
https://www.wsws.org/de/articles/2019/06/19/murs-j19.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2019

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