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GLEICHHEIT/7038: Corona-Krise - Nationale Interessen stehen Entwicklung von Impfstoff im Wege


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Corona-Krise: Nationale Interessen stehen Entwicklung von Impfstoff im Wege

Von Peter Schwarz
19. März 2020


Die globale Corona-Pandemie zeigt die Unfähigkeit des Kapitalismus, die komplexen Probleme einer Massengesellschaft zu lösen. Das gilt nicht nur für die Eindämmung des Virus und den Schutz der Bevölkerung, sondern auch für die Entwicklung eines Impfstoffs, der für die langfristige Überwindung der Pandemie von entscheidender Bedeutung ist.

Die internationale Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und die Technologien zur Entwicklung von Impfstoffen haben in den vergangenen Jahrzenten gigantische Fortschritte gemacht. Das Genom eines Virus kann in kürzester Zeit entschlüsselt werden, und anstatt Menschen durch eine abgeschwächte Form des Virus zu immunisieren, ist es heute möglich, Impfstoffe gentechnisch zu konstruieren.

Doch die Kontrolle der Arzneimittelproduktion durch eine Handvoll Pharmakonzerne, die damit gewaltigen Profit erzielen und bahnbrechende Entdeckungen durch Patente schützen, steht diesen Errungenschaften im Wege. Sie führt dazu, dass lebenswichtige Medikamente verspätet oder gar nicht entwickelt werden und für große Teile der Menschheit unerschwinglich sind. Hinzu kommt die Tendenz, den medizinischen Fortschritt als Waffe im globalen Konkurrenzkampf zu nutzen und ihn wirtschaftlichen Rivalen vorzuenthalten.

Mit welch rücksichtslosen Methoden dabei gekämpft wird, hat in den vergangenen Tagen die Auseinandersetzung um die deutsche Biotechnologiefirma CureVac gezeigt, die an einem Impfstoff gegen das Corona-Virus arbeitet.

Am Sonntag meldete die Welt am Sonntag, US-Präsident Donald Trump habe CureVac riesige Summen angeboten, damit sie ihre Forschung nach Amerika verlagere und den USA das exklusive Recht auf den Corona-Impfstoff sichere, den sie entwickelt.

Was an der Geschichte stimmt, ist nicht klar. Dietmar Hopp, dem CureVac zu 80 Prozent gehört, schien die Meldung erst zu bestätigen. Er sagte, ein Verkauf der Firma in die USA sei für ihn "keine Option". Es könne nicht sein, dass eine deutsche Firma den Impfstoff entwickle und dieser in den USA exklusiv genutzt würde. Hopp, der 1972 die Software-Firma SAP mitgegründet hatte, zählt mit einem Vermögen von 10 Milliarden Euro zu den reichsten Männern Deutschlands. Er betätigt sich heute als Investor in Medizin-Start-ups und als Mäzen.

Mitglieder der Bundesregierung griffen die USA nach dem Erscheinen des Welt-Berichts heftig an und gebärdeten sich dabei nicht weniger nationalistisch als Trump.

"Deutschland steht nicht zum Verkauf", schäumte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Die Bundesregierung habe "ein hohes Interesse, Wirkstoffe und Impfstoffe in Deutschland und Europa zu produzieren". Altmaier drohte, die Bundesregierung könne die Übernahme deutscher Unternehmen aus Drittstaaten unterbinden, "insbesondere, wenn es um nationale oder europäische Sicherheitsinteressen geht".

Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte, deutsche Forscher seien "führend an der Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen beteiligt, in weltweiten Kooperationen. Wir können nicht zulassen, dass sich andere ihre Forschungsergebnisse exklusiv aneignen wollen."

Hohe Vertreter der US-Regierung bezeichneten den Bericht gegenüber der New York Times dagegen als "übertrieben".

Am Dienstag dementierte CureVac den Bericht der Welt am Sonntag. "Um es noch einmal klar zu stellen: Curevac hat vor, während und seit dem Treffen der Task Force im Weißen Haus am 2. März kein Angebot von der US-Regierung oder verwandten Stellen erhalten", erklärte die Firma auf Twitter. Und in einer Telefonkonferenz mit internationalen Journalisten dementierte das Topmanagement ausdrücklich, von Trump oder dem Umfeld des Weißen Hauses ein Übernahmeangebot oder ein Angebot für exklusive Produktionskapazitäten erhalten zu haben.

Fest steht, dass sich der damalige Chef von CureVac, der amerikanische Staatsbürger Dan Menichella, am 2. März im Weißen Haus mit der Corona-Taskforce getroffen hatte, die von Vizepräsident Mike Pence geleitet wird. An dem Treffen nahmen auch die Chefs mehrerer anderer Biotechfirmen sowie Präsident Trump persönlich teil. Menichella kündigte dort an, seine Firma werde bald einen Impfstoff in die Testphase bringen.

Acht Tage später musste Menichella den Chefposten der Firma räumen, die er seit zwei Jahren geleitet hatte. An seine Stelle trat Ingmar Hoerr, der CureVac ursprünglich gegründet hatte. Eine weitere Woche später trat auch Hoerr zurück - "aus gesundheitlichen Gründen", wie es hieß. Er wurde von seinem Stellvertreter Franz-Werner Haas abgelöst.

Das Tauziehen um CureVac unter Beteiligung höchster Regierungskreise zeigt, mit welch harten Bandagen die Pharmabranche um Profite und Marktanteile kämpft. Keine Krise ist zu schwer, um damit kein Geld zu verdienen.

Mit einem Impfstoff gegen Covid-19 lassen sich enorme Gewinne machen. Doch seine Entwicklung ist teuer und langwierig. Die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) schätzt, dass für die schnelle Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen in den nächsten zwölf bis achtzehn Monaten rund zwei Milliarden Dollar erforderlich sind.

Derzeit liefern sich einem Bericht des britischen Observer zufolge weltweit rund 35 Firmen und akademische Institutionen einen Wettlauf um die Entwicklung eines solchen Impfstoffs. Da chinesische Wissenschaftler die Gensequenz des Coronavirus Sars-CoV-2 bereits Anfang Januar kostenlos zur Verfügung gestellt hatten, konnten die Forschungsarbeiten zu einem sehr frühen Zeitpunkt beginnen.

Um die enormen Kosten für Forschung, Testreihen, Zulassung und Produktion zu schultern, sind die Firmen auf öffentliche Fördergelder und reiche Geldgeber angewiesen, die es sich - wie Hopp und die Bill & Melinda Gates Foundation, die ebenfalls einen Anteil an CureVac hält - leisten können, große Summen in riskante Projekte zu investieren. Da es nur wenige Konkurrenten bis zur klinischen Zulassung schaffen, sind die hohen Investitionen für die meisten ein Totalverlust. Wer es dagegen über die Ziellinie schafft, kann mit hohen Profiten rechnen.

Die kapitalistischen Regierungen haben ein großes Interesse daran, solche Firmen im eigenen Land zu halten. Sie stärken ihre Stellung auf dem globalen Pharmamarkt, dessen Volumen sich im Jahr 2018 auf 1,2 Billionen US-Dollar belief. Weit mehr als die Hälfte davon entfiel auf fünf Länder: Die USA (485), China (134), Japan (85), Deutschland (52) und Frankreich (36 Milliarden Dollar).

Dietmar Hopp wurde von den deutschen Medien wie ein Held gefeiert, nachdem er versichert hatte, er werde CureVac nicht in die USA verkaufen. Die Welt jubelte unter der Überschrift "Der unverschämte Angriff auf CureVac ist ein Weckruf für Deutschland": "Der allzu plumpe Versuch, wertvolle Technologie und kluge Wissenschaftler aus Tübingen mit viel Geld nach Amerika zu locken, hat Deutschland aufgerüttelt."

Inzwischen ist bekannt geworden, dass CureVac nach dem angeblichen Angebot aus den USA von der EU-Kommission eine Zusage für Fördermittel im Umfang von 80 Millionen Euro erhalten hat. Auch die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI), die von der Bundesregierung mitfinanziert wird, unterstützt das Impfstoffprojekt von CureVac mit 8,3 Millionen US-Dollar.

CureVac entwickelt den Impfstoff auf Basis des Botenmoleküls Messenger-RNA (mRNA). Diese Technologie ermöglicht es laut CEPI-Chef Richard Hatchett, "mithilfe der bekannten Gensequenz des Erregers innerhalb von wenigen Monaten - also wesentlich schneller bisher möglich - einen Impfstoffkandidaten für die klinische Erprobung zu entwickeln". Neben CureVac benutzt auch das amerikanische Unternehmen Moderna diese Technologie. Sie - und das deutsche Unternehmen BioNTech - liegen derzeit im Rennen um einen Corona-Impfstoff vorne.

CureVac-Eigner Dietmar Hopp hat kürzlich erklärt, er hoffe, dass ein Impfstoff bereits im Herbst zur Verfügung stehe. Experten halten dies aufgrund der nötigen klinischen Tests allerdings für unrealistisch und rechnen mit einer Dauer von 12 bis 18 Monaten.

Tatsächlich könnte die Entwicklung eines Impfstoffs viel weiter fortgeschritten sein, wenn die Forschungen über die SARS- und die MERS-Epidemie, die 2002 in China und 2012 in Saudi-Arabien ausbrachen, fortgesetzt worden wären. Die damaligen Erreger sind eng mit dem jetzigen Corona-Virus verwandt. Doch die Arbeiten an einem Impfstoff wurden eingestellt, als die Epidemien abklangen, obwohl Experten weitere vergleichbare Epidemien voraussagten.

Dr. Peter Hotez, der in Texas an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das SARS-Virus gearbeitet hatte, berichtete dem Houston Chronicle, sein Team habe nach einem Investor oder nach Zuschüssen für klinische Tests gesucht: "Wir fanden kein Interesse." Stattdessen sei der Impfstoff im Kühlschrank gelandet. "Es wäre möglich gewesen, ihn zu Beginn des neuen Ausbruchs in China bereit zu haben und seine Wirksamkeit zu testen", folgerte Hortez.

Für die großen Pharmakonzerne, die Milliardengewinne scheffeln, ist die Entwicklung solcher Impfstoffe, die möglicherweise nie zum Einsatz kommen, wirtschaftlich uninteressant. Unter der Überschrift "Wie der Profit den Kampf für einen Coronavirus-Impfstoff erschwert", schreibt der britische Guardian: "Für Impfstoffe gegen Epidemien ... gibt es auf den Märkten der Pharmaindustrie so gut wie kein Interesse."

"Erfolgversprechend für diese Firmen ist ein Mittel gegen eine weitverbreitete, anhaltende Krankheit, das jahrelang immer wieder verkauft werden kann," fährt der Guardian fort. Der letzte Blockbuster sei der HPV-Impfstoff Gardasil von Merck gewesen. Nach fast zwanzigjähriger Entwicklung 2006 auf den Markt gebracht, bringe er immer noch über eine Millarde Pfund jährlich ein. "Es gibt keine Möglichkeit, dieses nachhaltige Forschungs- und Profitmodell auf eine Epidemie zu übertragen."

Die Zeitung gelangt zum Schluss: "Der gegenwärtige Zustand bringt alle Nachteile zusammen - er ist zu träge, um zu neuen Bedrohungen zu forschen, weil kein Geld da ist, und er gibt zu schnell Projekte auf, weil nicht sicher ist, ob das Geld in Zukunft da ist. Das System ist hochgradig vom Markt abhängig, und der Markt versagt in der Regel."

Die globale Covid-19-Pandemie erfordert eine sozialistische Antwort - die globale Bündelung aller Ressourcen und wissenschaftlichen Erkenntnisse, frei von nationalen und Profit-Interessen, um in kürzester Zeit einen Impfstoff zur Verfügung zu stellen, der allen Menschen der Welt zur Verfügung steht.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 19.03.2020
Corona-Krise: Nationale Interessen stehen Entwicklung von Impfstoff im Wege
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2020

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