Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GRASWURZELREVOLUTION/1003: Der Superheld als Anarchist


graswurzelrevolution 338, April 2009
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Der Superheld als Anarchist
Lars Banhold legt seine "Konstruktion eines Helden" vor - aber ist sie auch allgemeingültig?

Von Torsten Bewernitz


Buchbesprechung

Banhold, Lars:
Batman. Konstruktion eines Helden
Ch. A. Bachmann-Verlag, Bochum 2008
100 Seiten, 10,90 Euro
ISBN 918-3-941030-02-2

Der Comic wurde als Medium lange als trivial missachtet. Selbst als humoristische Strips und Comichefte wie Asterix und Lucky Luke in einem intellektuellen Milieu vermehrt wahr genommen wurden, galt dies noch lange nicht für das Genre der Superhelden-Comics.

Dass die Helden der Verlage DC und Marvel wieder massenweise in Buchhandlungen zu finden sind, ist eine Entwicklung, die, maßgeblich angeschoben durch eine Reihe von Verfilmungen, erst Ende der 1990er Jahre einsetzte. Vorher musste man Comic-Klassiker aus dem Metier teilweise lange suchen. Graphic Novels wie Alan Moores gerade verfilmtes "The Watchmen" [1] schaffen es (zu Recht) in Kanons der Weltliteratur. Der Comic ist erwachsen geworden und erhebt oftmals seine Stimme gegen soziale Ungerechtigkeiten und mischt sich ein in politische Debatten.

Spiderman z.B. hilft beim Aufräumen nach den Anschlägen auf die New Yorker Twin Towers. Autoren und Zeichner verwendeten diese Situation, um auch vor übertriebenen Gegenaktionen zu warnen wie vor einem christlichen Fundamentalismus in den USA. [2]


Idontifikationsfigur Superheld?

Längst hat sich in den Kultur- und Literaturwissenschaften die Erkenntnis breit gemacht, dass das Triviale einen näheren Blick wert ist.

So konnte Lars Banhold seine Bachelor-Arbeit über einen der ältesten Superhelden schreiben: Batman.

Banholds Buch macht vor allem zu einem Lust: mehr Batman zu lesen. So war denn diese Rezension auch ein willkommener Anlass, mir einige Klassiker und Raritäten zuzulegen, um die Thesen zu überprüfen.

Banhold beschreibt Batman als Identifikationsfigur. Ein reicher Mann mit zahlreichen Fähigkeiten, technischen Spielereien und Gerechtigkeitssinn - wer wolle nicht so sein, so eine seiner zentralen Aussagen. Die Identifikationsmöglichkeit, gerade im Vergleich zu den üblichen Superhelden, liegt noch in einem anderen Aspekt: Batman ist einer der wenigen 'Superhelden', der keine übersinnlichen Fähigkeiten besitzt. Er ist - abgesehen von seinem Reichtum - ein ganz normaler Mensch, der mit äußerster Konsequenz zu Werke geht, trainiert ist und Technik einsetzt. Das ist ein wesentlicher Aspekt des Erfolgs der Batman-Comics: Ein Superman, der fliegen kann, kann man sicherlich nie werden, aber die Kräfte, die man hat, kann man entsprechend einsetzen. Dieser vergleichsweise 'realistische' Ansatz macht die Comics attraktiv.

Trotzdem: Es ist nicht die Figur Batman, die zur Identifikation reizt - zumindest jemanden, der einigermaßen links denkt, kann sie nicht dazu reizen. Batman ist, wie Moores Watchmen, ein Protofaschist, gerade in individual-liberaler US-amerikanischer Tradition: Als Ein-Mann-Bürgerwehr beerbt er die Vigilanten, die im Wilden Westen für Recht und Ordnung gesorgt haben, d.h., die ein sauberes, weißes Amerika vor IndianerInnen, MigrantInnen - und das heißt auch vor RevolutionärInnen aus Europa, Lateinamerika und China - geschützt haben.


Der Superheld als politischer Terrorist

In "The Watchmen" ist vom Äußeren her der (Anti-)Held "NightOwl" nach dem Muster Batmans gestrickt: ein wohlhabender Mann, der sich als Eule verkleidet und jede Menge technischer Spielereien mit einem Eulen-Logo in einer Eulenhöhle versteckt, aber, im Gegensatz zu Batman, ein verschüchterter Allerweltsmann ist. Den Charakter Batmans präsentiert vielmehr der Watchman Rorschach, der aus einem Entführungsfall die Konsequenz zieht, brutal und unerbittlich gegen Verbrechen vorzugehen.

Den politischen Aspekt des dunklen Ritters klammert Banhold leider nahezu vollkommen aus. Und da, wo er ihn benennt, verzettelt er sich: "[...] Batman ist ein Anarchist, der den Konventionen und Gesetzen der Welt abgeschworen hat, um sie zu bezwingen. Sein Motiv ist nicht mehr die Bestrafung von Verbrechern oder gar die Durchsetzung des rechtsstaatlichen Gesetzes, sondern der bloße Wille zur Macht." (S. 53)

Ein Anarchist mit "Wille[n] zur Macht"? Dieser Fauxpas kann Banhold wohl nur passieren, weil er nicht weiß, was Anarchismus ist. Banhold bezieht sich hier auf Frank Millers "Die Rückkehr des dunklen Ritters" [3], und in kaum einem mir bekannten Comic wird der Charakter des dunklen Ritters als Protofaschist, der, wie Rorschach im Watchmen-Comic, auch zum Vorbild Ihr Neonazi-Gruppen wird, deutlicher.

Wobei Banhold hier einen zweiten Aspekt vergisst: er schließt aus den verschiedenen Comics, dass die Figur Batman mittlerweile mit allen möglichen, beliebigen Inhalten zu füllen ist. Dafür beruft er sich auf die, gerade in den 1990ern beliebten, 'Elseworld'-Comics, die alternative Storylines präsentieren.

Ich behaupte das Gegenteil: Batman muss immer der Bruce Wayne aus Gotham bleiben, wie er es in der 'Continuity' ist, die LeserInnen akzeptieren diese anderen Batmen nur, weil sie in 'Elseworlds' spielen, die eigentlich fortlaufende Geschichte also nicht gestört wird. [4]

Auch Millers "Dark Knight" und "DK2" [5], die in einer fiktiven Zukunft spielen, wurden vom DC-Verlag nachträglich als 'Elseworld'-Comics klassifiziert.

Banhold wiederholt sein Urteil in Bezug auf Millers "DK2": "Sein [Millers] Batman [...] ist mehr denn je ein Anarchist, der sich, vor Lebensfreude sprühend, völlig von den gesellschaftlichen Normen befreit hat um nun jede Form der Herrschaft endgültig zu liquidieren" (S. 66)

Der Batman aus "DK2" ist zwar nicht mehr der Protofaschist aus "Der Dunkle Ritter kehrt zurück", aber auch alles andere als ein Anarchist. Banhold geht überhaupt nicht auf die Story ein: Millers Batman bekämpft die Diktatur der Erzschurken Lex Luthor und Brainiac, die gewissenlos Völkermorde begehen, um ihre Macht aufrechtzuerhalten. Batmans Methoden sind dabei durchaus terroristisch oder auch jene eines Guerilla-Kriegers, aber das macht bekannter weise noch keinen Anarchisten aus.


Der konservative Knochen im libertären Umfeld: Sidekicks und Schurken

Dabei gibt es - nicht nur bei Miller - zahlreiche Figuren, die eine linke Lesart recht einfach machen: In "DK2" ist es vor allem Green Arrow, der Superheld mit dem wohl lächerlichsten Kostüm (einem Verschnitt von Robin Hood) im ganzen DC-Universum, der sich als lupenreiner Kommunist präsentiert und sich Rededuelle mit dem Extremneoliberalisten (vulgo: "Anarchokapitalist") Question [6] liefert, dem Ayn Rand noch nicht weit genug geht. Es gibt nicht wenige Batman-Comics, in denen deutlich wird, dass sein Sidekick Robin derjenige ist, der wenigstens etwas linker denkt.

So haben die beiden in einem Comic einen Disput, weil Robin Rockmusik hört. [7] Selina Kyle, Catwoman, wird (nach langer Entwicklung) in Millers "Batman: Das erste Jahr" [8], der Vorlage für den Film "Batman begins", die Geschichte einer Prostituierten gegeben, deren 'Kriminalität' ausdrücklich gegen ein patriarchalisches System gerichtet ist.

Nach dem Tod von Jason Todd, dem zweiten Robin, hat der britische Comic-Autor Alan Grant die Figur Lonnie Machin entwickelt, dem einzigen expliziten Anarchisten in den Batman-Comics. Grant ist selber bekennender Anarchist, und Machin, der als 'Schurke' unter dem Namen Anarky arbeitet, sollte der neue Robin werden. Aber auch wenn es mittlerweile eine feministische Catwoman und eine lesbische Batwoman (S. 39) geben darf, ein anarchistischer Sidekick ging dem DC-Verlag wohl doch zu weit.

Anarky blieb Batmans Gegenspieler, immerhin aber so erfolgreich, dass er es in den USA zu einer eigenen Serie brachte. Die Figur verkleidet sich nicht zufällig sehr ähnlich wie Alan Moores V. [9] Und bezeichnend ist: Batman besiegt Anarky nicht, auch nicht argumentativ.

Es bleibt ein ewiges Unentschieden und die beiden Idealisten wollen sich stets gegenseitig von ihrer jeweiligen Moral überzeugen - wobei Batmans Moral die des aktiven Staatsbürgers ist. Die Figur Anarky ist zwar von Grant eindeutig positiv besetzt in einem Vorwort betont er: "One day soon, everyone will think like Anarky... because if we don't, Mankind will perish like dinosaurs" [10] - aber letzten Endes ist er ebenso ein Vigilant wie Batman. So wie Anarky über Batman denkt, dass dieser sich selber für einen Verbrecher halten müsse, so müsste Anarky sich auch Batmans Kritik zu Herzen nehmen, dass er Polizist, Richter und Henker zugleich sei. In der Tat zeigt sich in dieser Interpretation Batmans ein Bürgerlichkeit, die ihn von Anarky abgenzen soll: Batman liefert die 'Bösen' an das Gesetz aus, Anarky erkennt das Gesetz nicht an, urteilt und richtet entsprechend selber.


Clowns & Helden

Diese Fragwürdigkeit der "Superhelden" leitet Frank Miller in "The Dark Knight" wie auch Alan Moore in "The Watchmen": "Who watches the Watchmen?" - Wer kontrolliert die Wächter? ist die Frage, die Moore aufwirft.

Die Superhelden-Comics haben mittlerweile ihren Eingang in das reale Leben gefunden. Batmans Erzfeind Joker, der ihm stets den Spiegel hält, ist eine extreme Version der Clowns Army, die z.B. einem Militär oder der Polizei vorhalten, wie unsinnig ihr Verhalten ist. Der Joker geht extremer vor, wie auch Batman extremer agiert.

Und es waren die 'Superhelden' Santa Guevara, Spider Mum, Operaistorix und Multiflex, die 2006 einen Hamburger Gourmet-Markt überfielen und die Speisen umverteilten. Vielleicht ist Alan Moores negative Version 'realistischerer' Superhelden in Watchmen, die Batmans Protofaschismus weiterentwickeln, doch zu pessimistisch.

Denn auch, wenn diese politischen Aktionen eher an die knallbunte Batman-Serie mit Adam West aus den 1960er Jahren (S. 73-75) erinnern als an die düsteren Comics: Machen die Clowns und Superhelden letzten Endes was anderes als die gezeichneten Helden?

Und: So, wie sich diese Superhelden Masken aufsetzen, um ihr alltägliches Leben und ihre Angehörigen zu schützen, so nutzen viele AutorInnen der Graswurzelrevolution Pseudonyme. Die Welt der Superhelden-Comics ist manchmal nicht so irreal, wie sie erscheint.

Während Linke in aberwitzigen Kostümen und Clownsmasken dabei die Comics parodieren, sind die Watchmen nicht parodierbar, denn sie stellen einen realen, auch in der Linken oftmals bemerkbaren Trend zu überbewerteter individueller Moral und einem daraus folgenden amoralischen Verhalten dar; eben die Tendenz, sich zum Kläger, Richter und Vollstrecker des Urteils berufen zu fühlen.

"Watch the Watchmen!" soll daher nicht nur die Aufforderung sein, sich den Kinofilm anzuschauen, sondern auch im Alltag die Augen offen zu halten vor selbst ernannten Hütern einer Gerechtigkeit - oder oftmals auch nur Rache.

Batman ist nicht Identifikationsfigur, sondern ein Modell, von dem man sich exzellent abgrenzen kann und dies auch tun sollte. Die Sidekicks, Schurken und Nebenfiguren eignen sich dafür als Reflexionsebene. Es geht in den Batman-Comics nicht mehr darum, sich entweder mit einem ewig gleich bleibenden stereotypen Helden identifizieren zu können, oder aber mit einem beliebig-postmodernem Helden, der jedem ein Identifikationsangebot macht, sondern um eine sich entwickelnde, kantige Figur in einem sich wandelnden Milieu mit charakterstarken Nebenfiguren. "Batman" ist eben deshalb auch in linken Kreisen beliebt, weil Autoren wie Frank Miller, Alan Moore oder Alan Grant wissen, dass die Hauptfigur eine miese Type ist.

Das lädt zur kritischen Reflexion ein. Der Comic ist nicht mehr banal. Und Batman ist, denn das wäre auch langweilig, kein Held mehr. Und ein Anarchist ist er nie gewesen.

Letztendlich können AnarchistInnen keine HeldInnen sein, dies widerspricht dem anarchistischen Weltbild fundamental.

Grants Anarky ist in seiner eigenen Ideologie inkonsequent, wenn er sich als Vox populi erhebt, ohne seine Handlungen demokratisch rückzubinden. Wie Moores "V" ist er eine bakunistische, zerstörende Kraft. In "V wie Vendetta" beendet V seine Zerstörungsorgie mit seinem Tod und übergibt die Zukunft der schaffenden Kraft, seiner Umkehrung Eve. An diesem Punkt ist die oft als "zu unanarchistisch" kritisierte Verfilmung der Wachowski-Bruder (Matrix) konsequenter, denn hier ist es die einfache Bevölkerung, die sich kollektiv wie "V" maskiert und das postfaschistische Regime stürzt. Das harmoniert nicht von ungefähr mit den Skimützen der EZLN, die von allen Beteiligten getragen werden. Ein fliegender Außerirdischer oder ein reicher Magnat in Kostüm, die sich die Gerechtigkeit auf die Fahnen schreiben, sind weder subversiv noch revolutionär.

Die Kostüme der Superprecaria, die Schminke der Clowns Army oder die Pasamontañas der Zapatistas erreichen dies nur, weil alle die Maskierung tragen können.


Anmerkungen:

[1] Gibbons, Dave und Alan Moore: The Watchmen. Nettetal-Kaltenkirchen 2005.

[2] Straczynski, Michael J. und John Romita jr.: [Ohne Titel]. Hier zit. nach: FAZ: Klassiker der Comic-Literatur Bd. 15: Spiderman. Frankfurt a.M. 2005. S. 209-232.

[3] Miller, Frank, Klaus Janson und Lyne Varley: Die Rückkehr des Dunklen Ritters. 3. Aufl., Hamburg 1989.

[4] Das Comic-Projekt "Batman of the Future", das Banhold übrigens nicht erwähnt, in dem ein alternder Bruce Wayne einen jungen Nachfolger als Batman ausbildet und betreut, ist gnadenlos gescheitert.

[5] Miller, Frank und Lynn Varley: Der dunkle Ritter schlägt zurück. Nettetal-Kaltenkirchen 2002.

[6] Der sozialdarwinistische "Question" war ebenfalls Vorbild für die Figur Rorschach in "The Watchmen".

[7] Jones, Gerard und Gene Ha: Fortunate Son. Nettetal-Kaltenkirchen 1999.

[8] Miller, Frank David Mazzucchelli und Richmond Lewis [1986]: Batman: Das erste Jahr. Hier zit. nach: FAZ: Klassiker der Comic-Literatur Bd. 7: Batman. Frankfurt a.M. 2005. 5. 157-246.

[9] Moore, Alan und David Lloyd: V wie Vendetta. Nettetal-Kaltenkirchen 2006. Es ließe sich zwar argumentieren, dass "V", ähnlich wie Batman in DK2, auch nur ein autoritäres Regime bekämpft, im Gegensatz zu Millers Batman äußern sich Moores "V" aber explizit anarchistisch, zitiert Bakunin und Emma Goldman.

[10] Grace, Alan und Norm Breyfogle: Batman: Anarky. New York 1999. S. 4.


*


Quelle:
graswurzelrevolution, 38. Jahrgang, GWR 338, April 2009, S. 19
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint 10 Mal im Jahr.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2009