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GRASWURZELREVOLUTION/1201: Was ist eigentlich gefährlich an facebook?


graswurzelrevolution 361, September 2011
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

INTERNET
Was ist eigentlich gefährlich an facebook?

von Frank Schweizer


Viele betrachten facebook mit einem kritischen Blick, doch der Widerstand der Bevölkerung gegen das "social network" wird geringer. Noch vor gar nicht allzu langer Zeit munkelte man allerhand Negatives über die neue Vernetzungsform. Zwar hallen die skeptischen Äußerungen noch nach, aber eher wie das dröhnende Horn eines am Horizont verschwindenden Dampfers.


Die Kritik an facebook lässt sich in zwei Vorwürfen bündeln.

Der eine lautet: facebook sei nichts anderes als ein Spionageinstrument. Der Geheimdienst habe sich dank facebook immense jährliche Kosten gespart, da die Bürgerinnen und Bürger nicht nur freiwillig angeben, mit wem sie soziale Kontakte pflegen, sondern auch, was sie gerade tun oder zu tun im Begriff sind. Was früher die Arbeit mehrerer AgentInnen verlangte, kann jetzt ein einziger Ermittler durch einen bloßen Knopfdruck erledigen.

MitarbeiterInnen der CIA und führende facebook-Köpfe sollen angeblich bei vielen Gelegenheiten zusammen gesehen worden sein.

Dieser Vorwurf gegen facebook mag stichhaltig sein oder auch nicht. Es bleibt doch zu fragen, ob beispielsweise TerroristInnen wirklich das Online-Portal benutzen, um sich mit Waffenhändlern auf ihrer Freundschaftsliste zu vernetzen oder gar um auf ihrem schwarzen Brett mit ihren neuesten Attentaten zu prahlen. Ein "normaler" Bürger ohne Verwurzelung in der Terrorszene wird sich da recht schnell sagen, dass er unter den Millionen BenutzerInnen - ohne kriminelle Absichten - der CIA nicht mit Äußerungen darüber ins Auge fällt, dass er morgen grillen geht, und einer Freundschaftsliste, welche aus Leuten besteht, die er aus der Kantine flüchtig kennt. Der zweite Vorwurf gegenüber facebook lautet, dass es die Privatsphäre zugunsten der eigenen Interessen (Gewinn neuer NutzerInnen) und für so genanntes "data mining" (Verkauf von Daten an Firmen zu Werbezwecken) verletze.

Das ist sicherlich eine ernst zu nehmende Anschuldigung, aber im Grunde ist facebook nur ein Beispiel für das übliche Internetgeschehen: BenutzerInnen geben an vielen Stellen Daten preis, die von den Onlinefirmen genutzt oder verkauft werden. Verletzung von Privatsphäre und "data mining" an facebook festzumachen, bedeutet nur, allgemeine Tendenzen an diesem "Sündenbock" zu bestrafen: maschinenlesbare Ausweise, Online-Banking, profitorientierte Suchmaschinen, die Unbedarftheit, mit der Kreditkartendaten weitergegeben werden, zahlreiche datenintensive Anmeldeformulare, Vorratsdatenspeicherung usw. Vor diesem Hintergrund setzt vermutlich bei vielen irgendwann die resignierende Haltung ein, dass das soziale Netzwerk nicht schlimmer oder besser als andere handelt.

Selbst facebook scheint es wichtig zu sein, zu betonen, dass sie nicht die einzigen sind, die es mit dem Datenschutz nicht so genau nehmen.

facebook engagierte die PR-Agentur Burson-Marsteller, über seinen Konkurrenten Google gezielt Falschmeldungen in renommierten Zeitungen wie z.B. der Washington Pest zu lancieren. Diese bestanden ausgerechnet in der Behauptung, Google werde die Privatsphäre verletzen, indem die Suchmaschine Daten für Dritte sammele. Die Ethik, die dahinter steckt, ist verblüffend.

Genauso gut hätte facebook die PR-Firma damit beauftragen können, zu verbreiten, dass der Datenschutz ihrer KundInnen facebook am Herzen liege. Stattdessen aber zog man es vor, einen "Mitschuldigen" zu schaffen. Es geht nicht darum, etwas nicht zu tun, sondern jemand zu finden, der es auch tut. So scheint definiert zu werden, dass sozial vertretbares Handeln 'mit der Masse zu schwimmen' bedeutet.

Beide Kritikpunkte werden nach und nach in den Augen der Menschen an Gewicht verlieren. Gegenüber Computern, Handys und dem Internet (dessen Benutzer zuerst als Pornosucher bezeichnet wurden) war man zu Anfang aufgrund von ähnlich Bedenken genauso kritisch. Zeit und persönlicher Nutzen erledigten die Einwände schließlich. 23% der Bevölkerung sind bereits in facebook eingetragen (Stand 2011).


Die Frage, die neu gestellt werden muss, lautet Was ist eigentlich gefährlich an facebook?

Die Antwort darauf ist vielfältig. Auf der technischen Seite macht facebook die privaten Homepages überflüssig. Es ist ein Schritt weg von Seiten, die vom Benutzer kontrolliert werden, hin zu einem von einer Firma kontrollierten Angebot. Der User gibt ein Stück Freiheit auf und erhält dafür ein Stück Bequemlichkeit.

Das ist Teil der allgemeinen Entwicklung des Internets, das zuerst auf die Initiative von Privatpersonen setzte, mit all den Freiheiten und Ungeregeltheiten, die damit verbunden waren, und durch die die Menschen ins Netz gelockt wurden. Immer mehr wird die Kontrolle des Internets den Firmen überlassen. Im Grunde liegt sie jetzt schon wieder in den Händen kommerzieller Anbieter, und ihnen wird erlaubt, unsere Welt durch Informationskontrolle zu formen. Bei facebook geht es nicht um Information, sondern um unsere Person.

Der User speichert einen Teil seines Ichs online. Durch diesen Upload unserer Persönlichkeit müssen wir sie den Bedingungen der digitalen Welt unterwerfen. Sich dem Cyberkosmos zu überlassen bedeutet, Subjektivität zu deformieren, genauer gesagt, die schützenden Grenzen des Ichs zu öffnen und damit ein digitales Konstrukt zu schaffen.


Wie geschieht das?

Der facebook-User erfindet zunächst von sich einen Online-Klon. Die Daten - Bilder, Hobbys, Interessen, Einträge am schwarzen Brett - entwerfen ein digitales Anderes, eine Art elektrifiziertes Abbild des eigenen Selbst. Dass es sich dabei um eine Idealisierung der eigenen Person handelt, trifft die Sache nur in seltenen Fällen. Das Gegenteil ist eher richtig: Man findet meist eine Reduzierung des Ichs, eine ins richtige Licht geschrumpfte Daseinsform, geradezu dröge und farblos.

Der Online-Klon ist grundsätzlich gut gelaunt. An manchen Tagen ist er allerdings ihr eine kurze Zeit traurig, weil irgendein Missgeschick passierte.

Dann erhält er Trost von anderen Online-Klons. Der Online-Klon - obwohl er kein Denkertyp ist - hat immer etwas (versteckten) Tiefgang, was man an der Auflistung der Lieblingsmusik (eine schwermütige Gothic-Band oder ein gealterter Liedermacher) oder an seiner Buchauswahl sieht, die ein oder zwei Bestseller-Bücher enthält, die ein namenloser Verlagsmogul als geistreich in den Handel gegeben hat.

Der Online-Klon hat ganz viele Freunde. Denn er ist im Grund ein feiner Kerl, was an seiner Fotogalerie zu bemerken ist, wo er offenherzig an ausländischen Brunnen, mit einem Bierglas im Festzelt oder im hiesigen Vorgarten in einem Abendkleid posiert. Der Online-Klon und vier Online-Clown verschmelzen gern.

Die Freudschen Kategorien von Über-Ich, Ich und Es müssten noch durch das digitale Ich (alias den Online-Klon) erweitern werden. Entdeckte die Psychoanalyse des 20. Jahrhunderts eine Idee, die schon mit den Romanfiguren Dr. Jekyll und Mr. Hyde vorgebildet war - nämlich dass die Menschen ein düsteres, verborgenes Selbst besitzen -, entdecken die Menschen im 21. Jahrhundert ihr digitales Anderes.

Das reale Ich und das digitale Ich treten auseinander. Wenn jenes zweite erst entworfen wurde, spiegelt es zurück auf den Erfinder. Das Ich-Bewusstsein ändert sich. Zudem ist das digitale Ich ermächtigt, im Namen des realen Ichs zu handeln (zumindest im Cyberkosmos). Das reale Ich dagegen muss die Vorgaben des digital. Ichs in der Realität erfüllen.

Das digitale Ich ist Subjektivität, in eine bestimmte Gussform gebracht. Angepasst, mit scharfkantigen Konturen. Während Mr. Hyde gerade der unangepasste Teil des Selbst war, ist das Cyber-Ich ein Mitläufer. Es ist die Summe seiner seichten Leidenschaften (Musik, Hobbys), fremdes kurzer Sentenzen (Mottos, Zitate): die aus dem Netz gezupft wurden, und spontanen Augenblicke, Befindlichkeiten, die am schwarzen Brett erscheinen.

Bedenklich sind die Selbstauskünfte, die der Nutzer in der Kategorie "Info" über sich selbst gibt. Beruf, Schule, Arbeit, Bücher, Filme, Fernsehsendungen, Spiele, Aktivitäten, Interessen etc. Der Nutzer entwirft eine Art Produktbeschreibung seines Ichs.

Statt PS, Höchstgeschwindigkeit, Hubraum oder Bremsweg wird die Subjektivität in andere Kaufentscheidungskategorien übersetzt. Kaum jemand scheint sich daran zu stören, dass sich Personen zu Artikeln in einem Supermarktregal stilisieren.

Subjektivität wird zu "Meine Interessen", der Mensch zum Humanangebot und das digitale Ich zur Unterform der Ware. Die Freundesliste - möglichst lang - ist eine Anhäufung und Zurschaustellung von sozialem Kapital. facebook ist eine Firma mit wirtschaftlichen Zielen, vor deren Karren sich das Ich spannen lässt. Subjektivität dient zuerst als Rohstoff und dann als Produkt. Flapsig formuliere Du benutzt nicht das Internet, das Internet benutzt dich. Aber nicht nur die Warenwirtschaft wird in der Menschengalerie abgebildet. Die User üben die eigene Verwaltbarkeit ein.

In George Orwells Roman "1984" (verfasst 1948) entwarf der Autor die Vision eines Staates, in dem jeder gleich sein muss: gleiche Kleidung, gleiches Aussehen, gleiches Denken. Damals dachte man, dass das sichere Erkennungsmerkmal eines üblen Staatsapparats sei, dass er jegliche Individualität unterdrücke, um kritikfrei Macht ausüben zu können. Es war der Philosoph Foucault, der in seinen Hauptwerken wie die "Geschichte der Sexualität" darauf hinwies, dass Macht darauf drängt, den Einzelnen sein Innerstes zu entlocken. Wirkliche Kontrolle ist erst möglich, wenn der Bürger seine Eigenheiten offenlege denn dann kann deren Regelung beginnen (durch Gesetze, Vorschriften oder durch Schaffung so genannter Rahmenbedingungen). Die Online-Welt, in der politische, aber mehr noch marktwirtschaftliche Interessen enthalten sind, hat Foucault Recht gegeben. Das digitale Ich ist das Ich in zerlegten Stücken. Der sich selbst kategorisierende Mensch ist der kontrollierbare Mensch.

Daran hängt die Durchführbarkeit von Wirklichkeit. Wenn es zu viele kreative, anders denkende Menschen gäbe, die Dinge wollen, die nicht angeboten werden, und Wirklichkeiten wünschten, die nicht sind, würde die Unzufriedenheit wachsen. Menschen aber, die gelernt haben, sich selbst zu identifizieren und sich freiwillig in eine angebotene Schublade einzuordnen, werden stets die Angepassten sein.

Vielleicht würde ein neuer, heute geschriebener Orwellscher Science-Fiction-Roman eine Gesellschaft zeigen, deren reales Ich ins digitale Ich upgeloadet wurde, und eine Welt, in der der Staat den nicht digitalisierbaren Rest nach erfolgtem Upload löscht: eine superkontrollierbare Welt aus BürgerInnen mit wohlgesichteter Individualität.

So weit sind wir noch nicht. Heutzutage übt sich bei facebook der Bürger erst einmal ein, seine Subjektivität in beherrschbare Teile zu zerlegen. Nicht um sich von einem bösen Häuflein Diktatoren befehlen zu lassen, sondern um seine Verwaltbarkeit vorzubereiten.


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Quelle:
graswurzelrevolution, 40. Jahrgang, Nr. 361, September 2011, S. 17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2011