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GRASWURZELREVOLUTION/1214: Street Art zwischen Revolte, Repression und Kommerz


graswurzelrevolution 363, November 2011
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Street Art zwischen Revolte, Repression und Kommerz


"Was Street Art ausmacht, ist die politische Dimension in Form von Illegalität und der Aneignung von Stadt - viel mehr noch als ihr künstlerisches Erscheinungsbild. Dass diese Tatsache die Kunst vor der Kommerzialisierung nicht bewahrt, kann man in den letzten Jahren besonders gut an den Arbeiten von Banksy sehen", sagt Rudolf D. Klöckner.


Klöckner setzt sich seit fünf Jahren mit der Entwicklung der Street-Art-Szene auf seinem Blog www.urbanshit.de auseinander.

"Die Mauern und Hauswände auf denen der Künstler in der Stadt arbeitet, werden rausgeflext und finden sich zwei Tage später auf Ebay wieder, um danach in irgendwelchen Wohnzimmern zu verschwinden. Das ist schade, entspricht aber auch irgendwie dem Zeitgeist und der Logik unserer kapitalistischen Gesellschaft. Im Wesen bleibt die Kunst vom Kommerz aber unberührt. Das macht mir Hoffnung."

Damit scheint die Entwicklung der Street Art treffend charakterisiert. Gerade in der Linken wird Street Art hauptsächlich mit einem rebellierenden Aufbegehren gegen die Verwertungsinteressen der Kulturindustrie in Verbindung gesetzt.

Wenn sie aber in Galerien und Museen ausgestellt wird, steht der Vorwurf des kommerziellen Ausverkaufs und des politischen Verrats schnell im Raum. Schablonenbilder, Tags und Graffitis werden meistens illegal auf Wände gebracht - meistens ohne explizit politische Aufstandsparolen. Dabei wird phantasievoll mit tradierten Sehgewohnheiten gespielt.

So malt der englische Street-Art-Künstler und Anarchist Banksy einem Streetfighter statt Steine einen Blumenstrauß in die Hand. In Hamburg sprüht Walter F. alias OZ immer gleiche Smiley-Zeichen auf Rückseiten von Verkehrsschildern oder auf hässlich-graue Bunkerwände. Dafür saß er seit 1982 insgesamt über 8 Jahre im Gefängnis wegen fortgesetzter Sachbeschädigung.

In Paris verziert Miss.Tic mit poetischen Pochoirs Häuserwände ganz in der situationistischen Tradition des Pariser Mai. Auch sie wurde dafür angeklagt.


Es ist diese Leere, die ihre Kraft ausmacht

Auf den Aufstand der Zeichen, wie Jean Baudrillard in seinem Buch "Kool Killer" [1] geschrieben hat, reagieren die für Ordnung und Sauberkeit zuständigen staatlichen Organe meistens mit Verfolgung. Aber warum?

Der französische Strukturalist liefert dafür gleich einen möglichen Grund:

"Mit den Graffiti von New York wurden zum ersten Mal in großem Ausmaß und in höchst intensiver Freiheit die urbanen Bahnen und beweglichen Träger benutzt. Aber vor allem wurden zum ersten Mal die Medien selbst attackiert, also in ihrer Produktions- und Verteilungsweise. Und zwar eben deshalb, weil die Graffiti keinen Inhalt, keine Botschaft haben. Es ist diese Leere, die ihre Kraft ausmacht [S. 29 f]."

Gerade am Beispiel von OZ lässt sich exemplarisch die Frage stellen, warum sich der repressive Verfolgungswahn auf ihn konzentriert. Andreas Blechschmidt von der OZ verteidigenden Anwaltskanzlei Beuth:

"Er ist Erster unter Gleichen, weil er so beharrlich seinem Anspruch treu bleibt, dass der öffentliche Raum allen gehört und nicht der Werbeindustrie. Andererseits scheint OZ inzwischen im Kunstbetrieb angekommen zu sein, auch wenn er persönlich den medialen Auftritt meidet. Vielleicht ist das aber auch nur eine Frage der Zeit?"

Denn die Anwaltskanzlei muss bezahlt werden. Nicht zuletzt deshalb haben die OZM-Galerie und die Vicious Gallery Werke von OZ ausgestellt bzw. sich an der Herausgabe des Buches "Es lebe der Sprühling" [2] beteiligt.


"So ein Adrenalinkick ist nur von kurzer Dauer"

Nachdem Miss.Tic [3] zu einer Strafe von damals 22.000 Francs verurteilt wurde, sagte sie sich, dass sie aufhören müsse ohne Genehmigungen zu arbeiten, da sie sonst beim nächsten Mal bereits als rückfällig gelten und ins Gefängnis kommen würde. "Ich bin ja nicht maso und so ein Adrenalinkick ist nur von kurzer Dauer." Da sie in der Zeit ihres Prozesses auch Politiker kennenlernte, die sich mit ihr solidarisierten, bekam sie bald darauf öffentliche Aufträge.

"Ich bin sozusagen vom Status einer Straffälligen zum Status einer Künstlerin gelangt, deren Genehmigungsgesuche akzeptiert werden."

Christoph Tornow von der sich auf Urban Art spezialisierten Vicious Gallery begründet die zunehmende Akzeptanz von Street Art mit dem sich verändernden Zeitgeist.

"Mittlerweile sind junge Leute, die mit Graffitis aufgewachsen sind, nicht negativ und gegen Graffitis eingestellt, wie das noch vor 20 Jahren der Fall war. Graffitis sind ein Teil der Popkultur geworden. Selbst die Industrie möchte sich damit schmücken."

Im Fall von OZ wäre zunächst einmal wichtig, dass er nicht länger kriminalisiert wird, um eines fernen Tages in den Museen und Kunsthallen der Stadt zur allgemeinen öffentlichen Bewunderung eingesperrt zu werden.

Um das zu verhindern, bedarf es allerdings eines noch entschiedeneren Engagements auch derjenigen, die mit seiner Kunst bisher nichts anzufangen wissen.


KP Flügel


Anmerkungen:
[1] Jean Baudrillard, Kool Killer, Berlin 1978
[2] Es lebe der Sprühling, Hamburg 2009
[3] Bomb it, Miss.Tic, Hamburg 2011


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Quelle:
graswurzelrevolution, 40. Jahrgang, Nr. 363, November 2011, S. 15
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2011