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GRASWURZELREVOLUTION/1498: Utopietheorie - im Gespräch mit Alexander Neuper-Doppler


graswurzelrevolution 401, September 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Utopietheorie

Peter Schadt im Gespräch mit "Utopie"-Autor Alexander Neuper-Doppler


In der theorie.org-Reihe des Stuttgarter Schmetterling Verlags ist soeben ein ein neues Werk erschienen: "Utopie. Vom Roman zur Denkfigur" (1). Für Peter Schadt Grund genug den Autor Alexander Neupert-Doppler für die Graswurzelrevolution zu interviewen (GWR-Red.).


PETER SCHADT: Dein Buch "Utopie" ist das jüngste der Theorie.org Reihe des Schmetterling Verlags, welche den Anspruch hat linke Debatten kritisch aufzuarbeiten, ihre Resultate zusammen zu "fassen sowie "zentrale Gedanken für die Zukunft festzuhalten" (Einband). Welchen zentralen Gedanken der Utopie willst du mit deinem Buch für die Zukunft festhalten?

ALEXANDER NEUPERT-DOPPLER: Ich würde sagen, dass es mir eher um Gedanken zu Utopien als um Gedanken der Utopie geht. Zunächst einmal ist es mir wichtig, Diskussionen darüber möglich zu machen, was unter dem Begriff Utopie verstanden werden kann. Irgendwie scheint der in letzter Zeit vielen Menschen wichtig zu sein, vielleicht liegt der Grund dafür aber gerade in der Beliebigkeit seiner Verwendung. Um dem einen Riegel vorzuschieben, schlage ich die Unterscheidung zwischen literarischen, früh-sozialistischen und politischen Utopien vor. Es ist - auch und gerade aus ideologiekritischer Perspektive - nicht dasselbe, ob Literaten des 16. und 17. Jahrhunderts Romane schreiben oder im 19. Jahrhundert SozialistInnen Siedlungen gründen. Nun stehen aber beide Formen, Buch-Utopien und Siedlungs-Utopien, nicht im Mittelpunkt des Buches. Sie verfallen vielmehr der historisch-materialistischen Kritik. Für die frühneuzeitlichen Literaten ist offenbar, dass ihre utopischen Ordnungsentwürfe auf Entstehungskrisen des Kapitalismus reagieren. Eine treffende Kritik an den Siedlungsplänen des Frühsozialismus haben Marx und Engels geübt, die mit ihrer Bezeichnung 'utopistischer Sozialismus' die Utopie als Kampfbegriff benutzten.

In deinem Buch zeigst du allerdings, dass es im Marxismus' nicht nur diese ablehnende Haltung gegen Utopien gab und gibt.

Innerhalb des Marxismus passiert etwas, dass mich vor allem interessiert hat. So schreibt 1888 Karl Kautsky, einer der führenden Theoretiker der Sozialdemokratie, anknüpfend an Engels, über den utopischen Sozialismus, unter dem er sowohl Roman- als auch die Siedlungsutopien fasst: "Dieser ist utopistisch weniger wegen der Unerreichbarkeit der Ziele, als wegen der Unzulänglichkeit der Mittel, die ihm zu deren Erreichung zu Gebote stehen" (Kautsky 1888). Verschiedene Utopien werden hier in den Zusammenhang ihrer Herkunftsgesellschaften gestellt. "More mußte Utopist sein, wir wissen das. Noch trat keine Partei, keine Klasse für den Sozialismus ein" (Kautsky 1888). Auch zu den Siedlungsplänen von Charles Fourier, Robert Owen u.a. bemerkt Kautsky, es müsse der Sozialismus inzwischen "anderen Umfang haben als die Phalanstères und sozialistischen Kolonien aus dem Anfang unseres Jahrhunderts" (Kautsky 1892). Das Ausspinnen von literarischen Gesellschaftsentwürfen und sozialistischen Siedlungsplänen, dies hat Kautsky von Marx und Engels gelernt, ist aus ihren Zeiten erklärbar und damit heute überholt. Befreiungs-Utopien sind es nicht.

Es ist also wichtig diese Geschichte, die ich als Evolution des Utopiebegriffs bezeichne, zu kennen. Die Frage ist: Warum endet die Debatte über Utopie nicht mit dem wissenschaftlichen Sozialismus?

Wieso beginnt im 20. Jahrhundert eine neue theoretische Auseinandersetzung um Utopien, die vor allem von an Marx orientierten Theoretikern wie Ernst Bloch und Herbert Marcuse befeuert wird? Dies ist der zweite und wichtigere Ansatzpunkt meines Buches: Welche Funktionen, die der traditionelle Marxismus leugnete, können Utopien für eine emanzipatorische Linke heute haben?

Zu Beginn deines Buches verweist du auf die Vorstellung der frühen Marxisten, die Geschichte sei auf ihrer Seite. Diese "fortschrittsgläubige[n] Sozialdemokratie ohne Utopie" (50) kritisierst du als zu passiv, durch ihre Hoffnung, das Ziel der Geschichte sei klar und würde ohne Frage erreicht werden: Der Kommunismus. Zustimmend zitierst du dazu später Rudi Dutschke: "Es hängt heute mehr denn je von der subjektiven Tätigkeit der Menschen, vom revolutionären Willen der Menschen ab" (95). Hat es den frühen Marxisten also an Utopie und Willen gefehlt oder brauchte es nicht mehr "revolutionären Willen", sondern das Wissen darum, was Kapitalismus ist und wie er abzuschaffen ist, damit man nicht mit viel guten Willen auf das Geistersubjekt "Geschichte" vertraut?

Mit Deiner Frage sind wir beim Hauptgegenstand des Buches. Der Einfachheit halber bleibe. ich mal beim alten Kautsky. Ihm zu Folge haben "Marx und Engels uns gezeigt", dass die Entwicklung vom Kapitalismus zum Kommunismus "unwiderstehlich fortschreitet, nach bestimmten Gesetzen, nicht nach den Wünschen und Launen der Menschen" (Kautsky 1892) - daher sei Utopie unnötig. Es wäre interessant zu diskutieren, ob es sich hierbei nur um einen. Lesefehler handelt oder die Sozialdemokratie aus der Marxschen Kritik an der scheinbaren Naturwüchsigkeit des Kapitalismus eine Naturwissenschaft der Gesellschaftsentwicklung ableiten will. Es ist wohl auch der Zeit der Sozialistenverfolgung, in der die deutsche Sozialdemokratie ihren Marxismus entwickelte, geschuldet, dass hier die behauptete Unvermeidlichkeit des Sozialismus als Trostpflaster diente. Die von Dir angesprochene Alternative wäre aber wohl mit folgender Frage zu fassen: Hätte eine richtige Lesart der Kritik der politischen Ökonomie solche linken Fortschrittsideologien verhindert?

Ich hoffe es und darin liegt für mich auch die Aufgabe von Kritik, vor allem von Ideologiekritik.

Eine andere Frage, die 1907 als erster der Anarchist Gustav Landauer an die Sozialdemokratie stellte, ist: Ersetzt das richtige Wissen um den Kapitalismus den Willen zum Kommunismus? Worauf wir uns sicher einigen können ist die Tatsache, dass Menschen im Kapitalismus unnötig leiden. Kritik, die den Grund dieses Leidens enthüllt, ist eine notwendige Bedingung linker Politik. Ernst Bloch, auf den ich mich in meinem Buch stütze, nennt dies den Kältestrom des Marxismus. Wenn Dutschke auf den revolutionären Willen als subjektiven Faktor hinweist, so antwortet er damit nicht nur auf den Determinismus des klassischen Marxismus, sondern fasst auch die Thesen der Utopietheorien des 20. Jahrhunderts zusammen: Das Verhalten von Menschen ist nicht nur Von dem bestimmt, was sie umgibt und wogegen sie sich ggf. wenden, sondern auch von Hoffnungen, was Bloch den Wärmestrom des Marxismus nennt: Die Orientierung an utopischen Möglichkeiten.

Was könnten solche utopischen Möglichkeiten sein? Welchen Beitrag leistet Utopietheorie?

In der Utopiedebatte des 20. Jahrhunderts finden sich viele Denkfiguren, die geeignet sind, um den abstrakten Gegensatz von Determinismus (die Verhältnisse treiben zur Revolution) und Voluntarismus (die Menschen machen die Revolution aus freien Stücken) aufzuheben. Funktion von Kritik ist die Erklärung der objektiven Verhältnisse, Antizipation ihrer Abschaffung. Funktion von Utopie kann die Aufklärung subjektiver Wünsche sein, Artikulation von Absichten. Die Annahme, wir könnten auf den Willen zum Besseren verzichten, weil wir das Wissen vom Schlechten haben, ist eine theoretische Vorstellung, die mit praktischen Kämpfen wenig zu tun hat. Sicher ist es eine Aufgabe von linker Theorie, Ideologien in stattfindender Praxis zu kritisieren, sie muss aber auch die Utopien ernst nehmen, die eine emanzipatorische Praxis motivieren können. Es geht mir nicht darum, dass wir uns Utopien ausdenken müssten. Vielmehr müssen wir unterscheiden, was an den Vorstellungen, die in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen entstehen, stabilisierende Ideologien sind und wo sich destabilisierende utopische Momente zeigen.

Für dich ist die Utopie auch etwas gemeinsames der zersplitterten. Linksradikalen: "Die Utopie einer anderen, gerechten, solidarischen und vielfältigen Welt funktioniert dabei als ein Bindeglied, als eine geteilte Hoffnung, die von MarxistInnen und AnarchistInnen geteilt wird, von radikalen ChristInnen und linken UmweltschützerInnen; wie auch von einem bedeutenden Anteil der ArbeiterInnen-, BäuerInnen-, feministischen und Indigena-Bewegungen" (175). Wie kann es sein, dass diese verschiedenen Bewegungen die gleiche Utopie haben, wo sie doch so verschiedene Kritik an den Verhältnissen haben? Viele Feministinnen kritisieren, die ungenügende Gleichheit zwischen Mann und Frau, die Marxisten erklären sich die schlechte Lage der Frau gerade aus ihrer rechtlichen Gleichstellung - Anarchisten wollen die Freiheit verwirklichen, Marx, sah in der "doppelten Freiheit" des Arbeiters gerade das Übel: Wird die Utopie so nicht zum Fluchtpunkt einer Linksradikalen, die nicht mehr über die richtige Kritik streiten will?

Es tut mir leid, aber das Zitat, das Du anführst, ist nicht von mir, sondern von Michael Löwy. Er bezieht sich damit auf globalisierungskritische Bewegungen. Ob die Ziele dieser Bewegungen eine gemeinsame Utopie ergeben, weiß ich nicht. Tatsächlich empfehle ich an dieser Stelle: "Es wäre zu prüfen, ob hier antiautoritäre Beratung oder postmoderne Beliebigkeit dominieren". Im Buch zitiere ich Löwy im letzten Teil zu Perspektiven der Utopieforschung, weil ich darauf hinweisen will, dass wir Utopien empirisch begreifen sollten. Es geht darum, welche Utopien Bewegungen tragen, welche sie antreiben. Ich entwerfe Kategorien empirischer Utopieforschung. Dabei geht es nicht um ausgefeilte Entwürfe, sondern um Momente - auch Ideologie zeigt sich ja selten als Gesamtpaket. "No Border - No Nation" wäre als Parole z.B. ein Utopie-Moment in heutigen Refugee-Protesten. Hier ist der Zusammenhang zur Kritik offenbar. Utopien, die sozial relevant sind, entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern als kritische Negation. Dies stellt schon Max Horkheimer Roman 'Utopia' von Thomas Mann fest: "Durch das glückliche, Utopien des Morus scheint der Zustand der Massen in England, deren Sehnsucht der humane Kanzler gestaltet hat". Schon vor Horkheimer erkannte Engels z.B. Fourier als herausragenden Kritiker an, dem lediglich der Übergang zur Praxis misslingen musste. Utopien sind also untrennbar mit dem Moment der kritischen Negation verbunden. Theodor W. Adorno sah darin sogar den wesentlichen Grund für utopisches Denken schlechthin: "Utopie steckt jedenfalls wesentlich in der bestimmten Negation dessen, was bloß ist".

In diesem Zusammenhang gewinnt Deine Frage an Sprengkraft: Können verschiedene Kritiken zu gemeinsamen Utopien führen? Mir scheint es zu mechanisch gedacht, dass Utopien als logische Ableitungen aus Kritiken entstehen. Kritik ihrerseits beginnt selten als interesseloses Analysieren. Schon für Marx ist es ja die Enttäuschung über Hegels Idealismus, die zum Materialismus führt. Weder Empörungen noch Bestrebungen entstehen erst nach einer gründlich geleisteten Kritik. Bewusstsein ist mehr als die verkehrte Widerspiegelung des Falschen oder kritische Aufarbeitung. Erfahrungen werden sehr unterschiedlich verarbeitet, Ideologie wie Utopie sind Spielarten davon. Ideologiekritik und Utopietheorie sollen daher im Nachhinein darüber aufklären, aus welchen Zusammenhängen heraus die Verarbeitung des sozialen Seins im jeweiligen Bewusstsein zu verstehen ist. Oder wie Horkheimer sagt: "Ideologie und Utopie wollen als Haltungen gesellschaftlicher Gruppen aus der gesamtgesellschaftlichen Wirklichkeit begriffen sein".

Tatsächlich ist Empörung zu Beginn nie das Ergebnis 'gründlich geleisteter Kritik', sondern deren Ausgangspunkt: Weil uns etwas stört, beginnen wir überhaupt erst mit der Auseinandersetzung. Dann allerdings muss man die Sache, die Ausgangspunkt der Empörung war, begreifen wollen, will man sich im Engagement nicht gründlich vertun.

Empörung so zu begreifen, bedeutet indes, sie ernst zu nehmen: Streben Feministinnen nach Gleichheit oder AnarchistInnen nach Freiheit, so hat Ideologiekritik nachzuweisen, dass die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter nur eine formale ist und freie Vereinbarungen nicht per se herrschaftsfrei. Aber auch wo MarxistInnen solche Kritik üben, erkennen sie Aspekte der gemeinsamen Utopie an. Es ist die Erfahrung mit patriarchalen Verhältnissen, welche deren utopische Negation, die Vorstellung dass es anders sein könnte, befördert. Freiheit von Staatsgewalt ist Motivation der AnarchistInnen. Die kapitalistische Globalisierung selbst begründet die Konkretion einer anderen Globalität. Nicht nur Kritik müht sich am Bestehenden ab, auch Utopien finden hier Stoff. Nur aufgrund dieser Gemeinsamkeit kann Kritik zwischen Ideologien und Utopien unterscheiden. Kritik geht, als Praxis der Theorie, den Utopien nicht voraus, sondern in sie ein bzw. ihnen nach. Utopien sind auch daran zu messen, ob ihre Funktionen - als Bestrebung und Intention, als Konkretion von Möglichkeiten, als Artikulation von Bedürfnissen und als Motivation von Bewegungen - auch dem Anspruch bestimmter Negation des Bestehenden gerecht werden.

Es wären also nicht Verschiedene Kritiken, die zu verschiedenen Utopien führen, sondern es sind verschiedene Utopien, die einer genauen historisch-materialistischen Kritik. zu unterziehen sind. Dabei ist davon auszugehen, dass auch der Marxismus nicht an diesen Utopien vorbeikommt. Wünsche, Hoffnungen, Begehren und Absichten werden ihren Ausdruck finden - ob als Utopien oder als Ideologien. Zu zeitweiligen Leitbildern von Emanzipation taugen freilich nur die Utopien.

Du schreibst zum Ende deines Buches, dass die Utopie einer mit Hilfe von moderner Technik geplanten Wirtschaft auch nahe an der Dystopie ist: "Sicher können Computer die globale Kommunikation und Koordination erleichtern, soweit die soziale Utopie. Aber ihnen die Organisation zu übertragen, tötet die politische Utopie. Glück ohne Gestaltungsfreiheit wäre keines, sondern bloß effektivere Bedarfsdeckung des Konsums." (179). Immerhin aber heißt "bloß effektivere Bedarfsdeckung des Konsums" nichts anderes als das, was Adorno sich überhaupt über die befreite Gesellschaft zu sagen traute: "dass niemand mehr hungert". Warum ist die rationelle Einteilung der Arbeit bei dir mit einem "bloß" versehen und welche "Gestaltungsfreiheit" siehst du durch sie "bedroht?

Der Kontext dieses Satzes ist, dass er einen Kommentar darstellt. Zuvor zitiere ich Arno Peters aus seinem Buch "Computer-Sozialismus" aus dem Jahr 2000. Dort heißt es bei ihm, Computer könnten "schon heute die Bedürfnisse der Menschen erfassen und ordnen sowie ihre Befriedigung durch die Planung und Organisation von Produktion, Dienstleistung und Verteilung ins Werk setzen". Auf diesen Satz bezieht sich meine Kritik. Es ist eine alte utopische Vorstellung, die sich bei Morus ebenso findet wie bei Fourier, Engels und Bebel: Politik durch Verwaltung von Sachen zu ersetzen.

Auch Adorno sprach schließlich davon, es wäre "eine der theoretischen Gestalten von Utopie", für die er sich nicht zuständig erklärt, "daß man konkret sagen würde, was bei dem gegenwärtigen Gegenstand der Produktivkräfte der Menschheit möglich wäre - das läßt sich konkret [...] sagen". Dabei wäre sicher mehr möglich als nur die Abschaffung des Hungers. Letztlich ist dies einerseits eine Frage der theoretischen Kritik, andererseits eine Frage der praktischen Politik. Adorno hat Recht damit, dass wir mit Aussagen über die Utopie als Ziel vorsichtig sein sollten.

Andererseits hat auch er kein Problem mit den Gestalten von Utopie, die Möglichkeiten aufzeigen. Peters geht nun mit seinem; Computer-Sozialismus über Möglichkeiten hinaus, er malt das Bild aus, statt Grundrisse zu geben. Dabei begeht er eine technizistische Verkürzung utopischen Denkens. Sicher gehören Computer heute zu den Verwirklichungsbedingungen, zur Möglichkeit der Utopie. Die Gefahr besteht darin, Politik durch Technik ersetzen zu wollen. Wenn bei Peters Computer menschliche Bedürfnisse erfassen und ordnen, die Befriedigung planen, organisieren und umsetzen, so spiegeln sich in dieser ideologischen Hypostasierung der Technik Automatisierungstendenzen. Diese bieten sowohl Stoff für technokratische Ideologie als auch für Befreiungs-Utopien, aber der letzteren werden solche Verweise auf Technik nur gerecht, wenn sie Politik nicht völlig ausblenden. Auch bei dem gegenwärtigen Stand der Produktivkräfte und Ressourcen ist unser Reichtum, selbst wenn aus der Warenform befreit, schon ökologisch betrachtet, wohl leider nicht unerschöpflich.

Auch im Sozialismus wären es Menschen, die politische (hier: öffentliche) Beratungen über Produktion und Konsumtion zu führen hätten. Computer können effizient sein, aber keine Entscheidungen über menschliche Bedürfnisse treffen, Oskar Negt sagte einmal, "wenn es im 20. Jahrhundert so etwas wie eine konkrete Utopie gibt, dann ist es die der Räte", also der Utopie vernünftiger Beratung, dies meine ich mit Gestaltungsfreiheit. Ebenso wie Utopien auf ihre Prüfung durch. Kritik angewiesen sind, entscheidet erst eine so verstandene Politik als revolutionäre Beratung, was abgeschafft und was verwirklicht werden soll. Kritisches Wissen um objektive Bedingungen und utopisches Wollen als subjektiver Faktor sind Bedingungen von Emanzipation.

Vielen Dank für das Gespräch


Anmerkung:
1) Alexander Neupart-Doppler: "Utopie. Vom Roman zur Denkfigur". Aus der Reihe Theorie.org, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2015, ISBN: 3-89657-683-6, 10 Euro

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Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 401, September 2015, S. 20-21
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2015

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