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IZ3W/199: Rezension - Emanzipation durch Bildung


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe Nr. 316 - Januar/Februar 2010

Emanzipation durch Bildung

Von Christoph H. Schwarz


Ein zentrales Problem politischer Bildungsansätze ist die Verbindung von Theorie und Praxis. Auseinandersetzungen über den Begriff der Emanzipation drohen hier oftmals in entweder rein theoretischen Erörterungen oder eher unvermittelten didaktisch-methodischen Konzepten zu enden. Der Vorteil des Sammelbandes Emanzipation in der politischen Bildung besteht darin, dass theoretische Betrachtungen ebenso wie Praxisbeispiele Beachtung finden, was in dieser Zusammenstellung einmalig sein dürfte.

Die theoretischen Aufsätze bieten einen fundierten Überblick über das Bildungskonzept bei Humboldt, Horkheimer, Adorno und in der Kritischen Psychologie. Abgerundet werden sie durch aktuelle Kritiken an der empirischen Bildungsforschung und an Diversity-Ansätzen. Der Überblick über die Entwicklung der politischen Bildung in Deutschland liefert den historischen Hintergrund von Bildungsarbeit hierzulande. Reflexionen über Praxis und verwendete Methoden erlauben die umfassenden Darstellungen von Gedenkstättenpädagogik, Kritische Weißseinsforschung, Gendertraining, Selbstbehauptungsseminaren, sexualpädagogischer Aufklärung, gewerkschaftlicher Bildungsarbeit und vom Umgang mit Antisemitismus.

Für interessierte NeueinsteigerInnen liefert der Sammelband somit einen umfassenden Überblick. Für erfahrene politische BildnerInnen werden die Probleme einer emanzipatorischen Bildungsarbeit diskutiert: was ist überhaupt Emanzipation, wie können Emanzipationsprozesse angeregt werden, wie kann die Interdependenz gesellschaftlicher Ungleichheit gedacht werden? Dabei werden teilweise unterschiedliche Herangehensweisen gegeneinander diskutiert: Janne Mende setzt sich mit der Frage auseinander, auf welche Minimalbedingungen eine politische Bildung reflektieren muss, wenn sie ihrem emanzipatorischen Anspruch gerecht werden will. Christina Kaindl zeigt, dass Emanzipation nie gesetzt werden kann, eine genuin emanzipatorische politische Bildung demnach nicht von außen, von den politischen BildnerInnen vorgegeben werden kann - stets finden sich nur Annäherungen an diese. In beiden Beiträgen erweist sich, dass das Theorie-Praxis-Verhältnis in seiner ganzen Produktivität aufgenommen und entfaltet wird, weil beide (gegensätzlichen) Positionen nachvollziehbar dargestellt werden. Mitja Sabine Lück und Kevin Stützel diskutieren das Potenzial von Seminaren, die auf dem Ansatz der Kritischen Weißseinsforschung beruhen und nicht selten auch die Trennung in weiße und nicht-weiße SeminarteilnehmerInnen erforderlich machen. Katrin Reimer führt dagegen aus, welche Gefahren in der ethnifizierenden Festschreibung von Identitäten liegen und wie auf diese Weise die Ethnisierung von sozialen Fragen ungewollt fortgesetzt werden kann. Diese soziale Frage steht im Mittelpunkt der Betrachtungen von Sebastian Bischoff, der gewerkschaftliche Seminare gegen Rassismus als strukturelles Phänomen analysiert. Thomas Viola Rieske diskutiert, dass LSBT-Aufklärungskonzepte (lesbisch-schwul-bi-trans) selbst ins Repressive umschlagen können, wenn von festen identitären Zuschreibungen ausgegangen wird. Emanzipatorische sexualpädagogische Aufklärung hätte von anderen Prämissen auszugehen, in denen bestehende Repressivitäten - vor und nach dem Outing - im Mittelpunkt der Kritik stehen.

Insgesamt liegt ein informativer Sammelband vor, der ausführlich Einzelbeispiele diskutiert, aber nie den Blick auf das Ganze vermissen lässt. Das Ganze wird von der Frage gerahmt, wie und unter welchen Bedingungen eine emanzipative politische Bildung möglich ist und wann sie an ihre Grenzen stößt.


Janne Mende/Stefan Müller (Hg.):
Emanzipation in der politischen Bildung. Theorien - Konzepte - Möglichkeiten
Wochenschau-Verlag, Schwalbach/Taunus 2009. 384 Seiten, 39,80 Euro


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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 316 - Januar / Februar 2010


Dossier:
Zwischenstopp am Kap - Südafrika abseits der Fußball-WM

Der Countdown läuft: im kommenden Jahr rückt Südafrika in den Fokus des medialen Interesses. Vorab wirft die iz3w mit dem Themenschwerpunkt Südafrika Schlaglichter auf diejenigen Lebensrealitäten in dem afrikanischen Musterland, die sich im Schatten oder ganz unabhängig von der Fußballweltmeisterschaft täglich abspielen.

Die Fußball-WM wird in Europa Anlass dafür sein, über Südafrika 15 Jahre nach der Apartheid erneut nachzudenken. Die Zeit zwischen damals und heute ist für die vielen SüdafrikanerInnen, die seither ununterbrochen und mitten in den täglichen Kämpfen für den Abbau der Ungleichheit leben, von unerfreulichen Kontinuitäten gezeichnet. Der Themenschwerpunkt geht folgenden zentralen Fragen nach: Wie haben sich die Dominanzverhältnisse seit dem Ende der Apartheid verändert? Welche Formen und AkteurInnen politischer und sozialer Auseinandersetzung haben sich herausgebildet? Welche Parallelwelten gibt es innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft?


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INHALTSÜBERSICHT

Hefteditorial: Ende einer Dienststelle


Politik und Ökonomie

Brasilien: Lula rettet den Regenwald
Die brasilianische Regierung möchte Zuckerrohranbau und Klimaschutz ein bisschen versöhnen
von Kirsten Bredenbeck

Ernährungskrise: Einer hilft dem anderen
Mit Ernährungssouveränität gegen die Agrarkrise in Lateinamerika
von Peter Rosset

Ruanda: Doing Business
Im neuen Ruanda hat sich ein autoritäres Regime konsolidiert
von Johannes Melzer

Schweiz: Topographie der Abwehr
Schweizer Asylpolitik im europäischen Kontext
von Simon Wenger


Kultur und Debatte

Ausstellungen: Neu Erzählen
Kunst in Ausstellungen zu Migration
von Sebastian Stein

Debatte: Mitten im Schulatlas
Eine Kritik der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«
von Lotte Arndt und Chandra-Milena Danielzik

Vergangenheitspolitik: Musterung einer Kollaboration
Muslimische Kriegsgefangene aus der Sowjetunion und die Dresdner SS-Mullah-Schule
von Heike Ehrlich und Kathrin Krahl

Rezensionen, Tagungen & Kurz belichtet


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Dossier: Südafrika abseits der Fußball-WM

Editorial

Im Anflug auf Südafrika
Was das Ende der Apartheid und die Fußball-WM miteinander zu tun haben
von Reinhart Kößler

Balintulo gegen Daimler
Die Opferorganisation Khulumani fordert eine umfassende Aufarbeitung der Apartheid
von Rita Kesselring

Spätfolgen mit Langzeitwirkung
Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf Südafrika
von Simone Claar und Franziska Müller

Abseits oder mittendrin?
Die südafrikanischen Gewerkschaften suchen nach neuen Positionen
von Ercüment Celik

»I prefer LoversPlus«
Südafrikas Gesundheitspolitik und AIDS
von Verena Porsch

Triple Seven
Politischer Aktivismus für die Rechte von Schwulen und Lesben
von Eva Range

Erlernt, verübt, verschwiegen
Gewalt als Erbe von Apartheid
von Rita Schäfer

»Nothing but the Truth«
Das kulturelle Leben Südafrikas ist Spiegel des raschen Wandels
von Manfred Loimeier

»Make it Happen«
Projekttag über Lebensrealitäten in Südafrika
AG Bildung im iz3w


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Quelle:
iz3w Nr. 316 - Januar / Februar 2010
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
Herausgeberin: Aktion Dritte Welt e.V. - informationszentrum 3. welt
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E-Mail: info@iz3w.org
Internet: www.iz3w.org

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Das Jahresabonnement kostet im Inland 31,80 Euro,
für SchülerInnen, StudentInnen, Wehr- und
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2010