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KAZ/164: Der Niedergang der SPD hat Name, Anschrift und Gesicht - Walter Riester


KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 334, April 2011
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!

Der Niedergang der SPD hat Name, Anschrift und Gesicht

Walter Riester


In dieser Reihe hatten wir kurz nach der verheerenden Niederlage der SPD bei den Bundestagswahlen 2009 u.a. Schröder, Scharping und Clement vorgestellt. Nicht aus Häme, sondern um den grundlegenden Widerspruch der SPD-Führung deutlich zu machen: "Einerseits darf sie, um die Politik der Bourgeoisie zu unterstützen, ihren Einfluss auf die Massen nicht verlieren, und andererseits, um den Einfluss auf die Massen nicht zu verlieren, darf sie nicht offen unter der Flagge der Bourgeoisie auftreten." (Ernst Thälmann, auf dem XI. Parteitag der KPD 1927). Seitdem in der Opposition versucht sie einige Hartz-Spuren zu verwischen und hat damit solche Erfolge zu verzeichnen wie den Wahlsieg in Hamburg. Doch die SPD-Führung soll die Schatten ihrer Vergangenheit nicht verlieren. In diesem Sinne: Vorwärts - und nichts vergessen!


Einerseits hatte sich die Lage der Rentenversicherung und der Bundesanstalt für Arbeit zwischen 1991 und 1995 dramatisch verschlechtert, wie auch von bürgerlicher Seite festgestellt wird: "Weil der Solidargemeinschaft der Versicherten - also Arbeitnehmern und Unternehmen - ein Viertel der gesamten Transferkosten für die Abwicklung der Deutschen Einheit (rund 140 Milliarden DM) aufgebürdet wurden." (vgl. Gerhard A. Ritter: Der Preis der deutschen Einheit, Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaates, München 2006)

Etwas deutlicher ausgedrückt: Die Rentenversicherung in Westdeutschland übernahm bei der Einverleibung der DDR Zahlungen an die Kollegen aus der DDR, die zwar in ihre DDR-Rentenkasse eingezahlt hatten (die von der Allianz übernommen und geplündert wurde), aber eben nicht in die der BRD. Lieber ruinierten die Monopolherrn und ihre politischen Vertreter die Rentenkasse als die fälligen Rentenzahlungen durch Steuern bzw. Verschuldung über den Staatshaushalt zu finanzieren und damit faktisch ihre Bankrotteurspolitik offenbar zu machen. Oskar Lafontaine hatte darauf bereits im Bundestagswahlkampf 1990 hingewiesen.

Andererseits schuf gerade der drohende Kollaps der Rentenversicherung die Basis für ein "Geschäftsmodell", das zusätzliche Riesenprofite für Banken und Versicherungen versprach. "Private Alterssicherung" hieß das Zauberwort!

"Nach der Verlagerung von der staatlichen zur privaten Altersvorsorge stehe die Finanzdienstleistungsbranche 'vor dem größten Boom, den sie je erlebt hat', sagte Maschmeyer. 'Sie ist ein Wachstumsmarkt über Jahrzehnte.' Noch sei nicht überblickbar, wie sich der Anstieg der privaten Altersvorsorge im Detail ausgestalte. 'Es ist jedoch so, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen', sagte Maschmeyer. 'Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß und sie wird sprudeln.'" (nach Albrecht Müller: www.nachdenkseiten.de, 15.12.2009)

Die Stichworte für diese Chance lieferten die Schwarz-Gelben: "mehr Selbstverantwortung und weniger Staat" war ja die Aussage in der Diskussion um die Zukunft der Renten. Und nachplappernd Riester: "Die Rente der DRV kann nicht mehr eine ausreichende Rente gewähren - private Vorsorge ist unumgänglich".

Nachdem das Elend der Rentenkassen klar war, die "Altersarmut" die einzige Perspektive für große Teile der Arbeiterklasse war, kam das Zeitalter der Zusatzrente und ihrer Protagonisten: Riester und Rürup hatten ein neues Betätigungsfeld:


Korruption, Bestechung - oder doch nur "Männerfreundschaft"

Sie "stürzen sich ins Abenteuer" meldet das Handelsblatt (15.12. 2009). Und weiter: "Der AWD-Gründer Carsten Maschmeyer (Freund und Unterstützer für Gerhard Schröder) und der Ex-Wirtschaftsweise Bert Rürup (ebenfalls SPD-Mitglied wie Riester) wollen es noch einmal wissen: Sie gründen eine Beratung für Alters- und Gesundheitsvorsorge. Beide wollen sich damit einen Traum erfüllen und haben einen prominenten Politiker als weiteren Partner im Visier: Walter Riester!"

Warum Riester und Rürup?

Walter Riester und Bert Rürup wollen jetzt die Provisionen dafür kassieren, wofür sie vorher in ihrer Politik für das Finanzkapital die Grundlagen gelegt haben (in der so genannten Rürup-Kommission zum Beispiel wurden die Gesetze vorbereitet, die dem Finanzkapital jetzt die Euros in die Kassen schwemmen).

Lenin hat 1916 die Anfänge der Korrumpierung beschrieben: "Ist das Monopol einmal zustande gekommen, und schaltet und waltet es mit Milliarden, so durchdringt es mit absoluter Unvermeidlichkeit alle Gebiete des öffentlichen Lebens, ganz unabhängig von der politischen Struktur und anderen beliebigen 'Details'. In der deutschen ökonomischen Literatur ist es üblich, die Unbestechlichkeit des preußischen Beamten über den grünen Klee zu loben, mit deutlichen Seitenhieben auf den französischen Panamaskandal und die amerikanische politische Korruption. Aber es ist eine Tatsache, dass sogar die bürgerliche Literatur über das deutsche Bankwesen fortwährend gezwungen ist, weit über die Behandlung reiner Bankoperationen hinauszugehen und beispielsweise aus Anlass der sich häufenden Fälle des Übertritts von Regierungsbeamten in den Bankdienst von einem 'Zug zur Bank' zu schreiben: 'Wie steht es aber um die Unbefangenheit eines Staatsbeamten, dessen stilles Sehnen ein warmes Plätzchen in der Behrensstraße ist?' - die Straße in Berlin, wo die Deutsche Bank ihren Hauptsitz hat." (Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, S. 241)

Dass es die Vögel gleich welcher Couleur inzwischen nicht nur zur Bank treibt, zeigen die Kohl und Schwarz-Schilling (Kommerzfernsehen), Clement (Leiharbeit), Wiesheu (Deutsche Bahn), die nach Ausscheiden aus ihren Ämtern das Zubrot ihrer Herren genießen dürfen.


Wie er wurde, was er ist

Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte Riester von 1957 bis 1960 eine Ausbildung zum Fliesenleger. In diesem Beruf war er bis 1969 tätig und legte 1969 die Meisterprüfung ab. Er besuchte danach bis 1970 die Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main und war anschließend bis 1977 als Jugendsekretär beim DGB-Landesbezirk Baden-Württemberg tätig. 1977 wechselte er zur IG Metall-Verwaltungsstelle Geislingen an der Steige, wo er bis 1978 Sekretär und bis 1979 als 2. Bevollmächtigter tätig war. Danach war Riester von 1980 bis 1988 Bezirkssekretär beim IG Metall Bezirk Baden-Württemberg, bis er 1988 die Nachfolge von Ernst Eisenmann als Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg antrat. Von 1993 bis 1998 war er Zweiter Vorsitzender der IG Metall. Zwischen 1993 und 1998 war er zudem Aufsichtsratmitglied verschiedener deutscher Unternehmen (Bosch, Daimler-Chrysler, Thyssen, Audi, Rheinmetall, Heidelberger Druckmaschinen, WMF).

Auch während dieser Zeit wusste er schon, was seine Herren von ihm erwarten - hierzu zwei Beispiele:

Aus: das Parlament Nr. 22 / 30.05.2005
Von Dagmar Beckstein (Redakteurin der SZ)   

Skatrunde statt Tarifpoker
Beobachtungen am Rande der Tarifkämpfe

... Je besser aber "die Chemie" zwischen den beiden Verhandlungsführern von Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite stimmt, desto geschmeidiger gestaltet sich dieser Prozess.
Das haben das Traum-Duo Walter Riester und Dieter Hundt, der heutige Arbeitgeber-Präsident, oft genug bewiesen. Und von solchen chemischen Verhältnissen spricht auch der letzten Metallerstreik anno 1995 eine beredte Sprache: Der Tarifstreit eskalierte, weil Gewerkschafter Werner Neugebauer und Arbeitgebervertreter Rainer Hildmann einfach nicht miteinander konnten. Das kommt davon, wenn man es in Bayern den Baden-Württembergern, den ewig Erfolgreichen, mal zeigen will. Am Ende mussten wieder Riester und Hundt ran, um die bayerischen Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Skat spielen sie also nicht, die Tarifrecken der langen Nächte. Aber manchmal trinken sie Champagner. 1992, erinnert sich Riester, ließ er die Metallrunde am späteren Abend für eine Weile unterbrechen. Aber nicht, weil die Fronten festgefahren gewesen wären, sondern weil des Schwabens Dieter Hundt Leib- und Magenverein, der VfB Stuttgart, vor wenigen Minuten Deutscher Fußballmeister geworden war. "Da habe ich Herrn Hundt herzlich gratuliert, und wir leerten zusammen eine Flasche Champagner auf den Sieg." Unbemerkt von ihren draußen harrenden Entouragen, versteht sich.

Des weiteren:

Als 1996 der damalige DGB-Vorsitzende Dieter Schulte die Kohl-Regierung warnte:

"Sie können Dinge herausfordern, gegen die 'französische Verhältnisse' ein Kinderspiel sind, bezeichnete der damalige IGM-Vorsitzende Zwickel im Beirat der IGM 'das Gerede über Generalstreik als politischen Hirnschiss' und auch sein damaliger Stellvertreter, Walter Riester, stellte sich vor die Bourgeoisie und ihren geschäftsführenden Ausschuss, die Kohl-Regierung, mit seiner Aussage, dass die IGM nicht "gegen eine demokratisch vom Volk gewählte Regierung streikt". (vgl. KAZ 333, S. 33)    


1998 wird er Mitglied des Bundestags und Minister für Arbeit und Sozialordnung (1998 - 2002).

Dass die gesetzliche Rente nicht sicher ist wegen der Umverteilungspolitik zugunsten der Monopole, dies durfte nicht bekannt werden. Erfunden wurde die "demografische Entwicklung", die es nun ganz plötzlich erfordere, Elemente privater Vorsorge zu verstärken. Wer konnte diese Botschaft glaubwürdiger "verkaufen" als ein führender Sozialdemokrat aus der damals mitgliederstärksten Gewerkschaft der Welt.

Riester-Rente. Das ist die direkte und offene Aufforderung, sein Leben im Alter den Versicherungen anzuvertrauen und sein Lebensniveau damit an die Börse zu tragen.

Als die sozial-grüne Schröder/Fischer Regierung fällt, bleibt Riester MdB. Neben seiner Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter tritt er als Referent bei verschiedensten Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche in Erscheinung, pflegt seine Kontakte und ist zudem Aufsichtsratsmitglied von ArcelorMittal Bremen. Zum 1. Oktober 2009 wird Walter Riester Aufsichtsrat des Finanzdienstleisters Union Asset Management Holding.

Der Wechsel von Walter Riester aus dem Bundestag in die Wirtschaft (Aufsichtsrat der Union Asset Management) ist der Welt (online 22.9.2009) einen Bericht wert.

"Vom Fliesenleger zum Minister, Abgeordneten oder Staatsoberhaupt - das ist die Welt der alten sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Arbeiteraristokratie. August Bebel, Friedrich Ebert, Otto Braun gingen diesen Weg. Jeder für sich verkörperte triumphal die Idee der Emanzipation des Proletariats. Sie bewiesen die Umkehrbarkeit der angeblich gottgegebenen gesellschaftlichen Ordnung von oben und unten."

Diese von der "Welt" gepriesene Durchlässigkeit gibt es allerdings lediglich für einzelne Klassenverräter (unter denen natürlich August Bebel nichts verloren hat), die für die Interessen der Unterdrücker kämpfen und die Arbeiterklasse davon abhalten, ihre Ausbeuter zu verjagen.

Und davon, was das Kapital dem Riester zu verdanken hat, verplappert sich die "Welt" aus dem Springers Verlag: "Die Riester-Rente, anfangs misstrauisch beäugt und als Subventionsprogramm für die Versicherungswirtschaft diffamiert, ist dagegen zum Erfolg geworden, nicht nur, was die Zahl der abgeschlossenen Verträge angeht, sondern auch im volkspädagogischen Sinne. Mit ihr hat die Selbstvorsorge für das Alter erst allgemeine Akzeptanz gefunden, und sie hat geholfen, illusionäre Erwartungen an die Rentenversicherung abzubauen."

Unser mittlerweile in die globale Anlageberatung bei Maschmeyer eingestiegener Arbeiteraristokrat ist dabei nicht nur in der Gesellschaft von Rürup. Auch Gerhard Schröder war ein "Maschmeyer", So kündigte Maschmeyer am 1. Dezember 2004 beim Treffen seiner besten "Strukis" (Vertriebsmitarbeiter) Gerhard Schröder als Ehrengast an. Seine Botschaft: "'Sie als AWD-Mitarbeiter und Mitarbeiterin erfüllen eine staatsersetzende Funktion. Sichern Sie die Rente Ihrer Mandanten, denn der Staat kann es nicht!' Private Vorsorge lautet das Gebot der Stunde. Die überwältigende Mehrheit dankte es ihm mit Standing Ovations." (SPIEGEL 10/2011 vom 05.03.2011)

1998 spendierte Maschmeyer 650.000 Mark für die Landtagswahl von Schröder in Niedersachsen, Schröder gewann die Wahl, war damit Kanzlerkandidat - statt Lafontaine. Und Schröder und mit ihm Riester machten sich in Berlin breit.

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass Maschmeyer, zigtausende von Kleinanlegern über den Tisch gezogen hat mit riskanten Anlagen. Und vergessen wir nicht: Hinter dem schillernden Maschmeyer standen die großen angeblich "seriösen" Banken und Versicherungen nicht nur aus der BRD. Deren "Produkte" durften die "Strukis" den Leuten andrehen.

Dem Kapital helfen, nicht nur die Ausbeutung zu beschönigen, die Arbeiter davon abzuhalten, sich gegen die Kapitalisten zu wehren und dann noch vom verbliebenen Lohn oder Gehalt den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen - Geschäftsgebaren von Sozialdemokraten, das August Bebel erblassen ließe. Das Mindeste, was jetzt geschehen muss, ist der Ausschluss von Riester aus der IG Metall!

67 anzeigepflichtige Nebentätigkeiten bei 61 Vertragspartnern/Organisationen. Nebeneinkünfte im Jahr 2009: mindestens 144.500 Euro (Stand: 23. Juni 2009)


Flo/Raupe/Corell


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Seite 30:
Walter Riester, Jahrgang 1943, war von 1998 bis 2002 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Bis 2009 war er Mitglied des Bundestages.

Seite 31:
Die Ikonen der privaten Altersvorsorge: Rürup (SPD), Maschmeyer (AWD), Riester (SPD). Und vergessen wir nicht: Hinter dem schillernden Maschmeyer standen die großen angeblich "seriösen" Banken und Versicherungen nicht nur aus der BRD.


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Quelle:
KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung, Nr. 334, April 2011, S. 30-32
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juni 2011