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LICHTBLICK/238: Buchvorstellung - Knastfrauen


der lichtblick - Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Heft Nr. 377 - 4/2018

Knastfrauen

- der Tatsachenbericht eines Insiders - ein Arbeitstherapeut erzählt, wie es im Frauengefängnis wirklich ist.


Der Untertitel von Tilmann Schäfer erscheint sehr vollmundig, weil der staatlich anerkannte Arbeitserzieher sich nach über zwei Jahren Arbeit in einer Haftanstalt als Insider bezeichnet. Das mutet ziemlich ambitioniert an. Nach unseren Erfahrungen hat man zu diesem Zeitpunkt leicht in den Haftalltag hineingeschnuppert. Zum anderen gefällt das Wort "wirklich" nicht, denn es impliziert, dass es nur eine Wahrheit gibt. Es ist seine Wahrnehmung, wie er "seine Anstalt" erlebt hat.

Aus der Rückseite des Buches titelt der Autor "Waren Sie schon mal im Gefängnis? Nein? Dann müssen Sie dieses Buch lesen. Leisten Sie sich den Luxus, in Freiheit zu erfahren, was es heißt hinter Gittern, zu sein." Das sollte natürlich ein reißerischer Aufmacher sein, der anspricht. Aber mal ganz ehrlich, die meisten Menschen waren noch nicht im Knast. Wir schon und deshalb erlauben wir uns ganz frech die Dinge, zu benennen. Wir wissen, wovon wir sprechen und schreiben, weil wir es tagtäglich vor der Tür erleben. Das ist natürlich ein unschätzbarer Vorteil, der nicht zu toppen ist.

Der Autor berichtet von der Arbeitstherapie, von Malkursen, von Borderline-Verhalten, von Sommerfesten in der Anstalt, von Prüfungsängsten, von Verzweiflung, von Druck und Panik. Es geht auch um den Teufelskreis Straftat, Droge, Straftat mit allen damit verbundenen Risiken und um Menschen, denen es im Gefängnis besser geht als draußen, weil es für sie klare Strukturen bietet. Er erzählt von Frauen, die plötzlich aus ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen wurden oder von Mutter/Kind Abteilungen hinter Gittern. Er versucht einen Blick hinter verschlossenen Welten zu vermitteln.

Sein Tatsachenbericht beschreibt Menschen, die ihren sozialen Rückhalt verloren haben und keinen Kontakt nach draußen mehr haben. Mit den Jahren ist alles fremd geworden und die Inhaftierte ist allein unter vielen der Verlassenen. Das Kapitel "kalte Zahlen" beschäftigt sich mit Statistiken und Rückfallquoten und er kommt zu interessanten Fragen, die sich daraus ergeben: Ist der Vollzug erfolgreich oder kann man Erfolge im Vollzug messen? Aus seiner Sicht meint er, dass mit den Zahlen nur ganz trocken die Fakten umrissen werden. Nicht nur die direkten Opfer leiden, sondern auch die Familienmitglieder und die Freunde. Die Auswirkungen sind sehr viel größer und schwer in Zahlen zu messen.

Seine Geschichten sind in 33 Kapiteln verständlich zusammengefasst. Er versucht die Knastwelt den Menschen ein Stück näher zu bringen und verzichtet dabei auf großen Pathos. Ein Buch, welches besonders für Leute geeignet ist, die noch nie mit der Institution Gefängnis in Berührung gekommen sind. (N.K.)

Tilmann Schäfer - Knastfrauen
ISBN 978-3-86265-702-5
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag GmbH
Preis: 9,99 Euro

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Quelle:
der lichtblick, 50. Jahrgang, Heft Nr. 377 - 4/2018, Seite 28
Unzensierte Gefangenenzeitung der JVA Berlin-Tegel
Herausgeber: Redaktionsgemeinschaft der lichtblick
(Insassen der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel)
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E-Mail: gefangenenzeitung-lichtblick@jva-tegel.de
Internet: www.lichtblick-zeitung.com
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2019

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