Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

MARXISTISCHE BLÄTTER/564: Grund zur Resignation? - Ein kurzer Blick auf die Friedensbewegung


Marxistische Blätter Heft 1-14

Grund zur Resignation?
Ein kurzer Blick auf die Friedensbewegung

von Peter Strutynski



Die Debatten linker Bewegungen werden seit geraumer Zeit von einem resignativen Grundton geprägt, demzufolge nicht nur die ökonomischen und sozialen Zustände in den entwickelten Industriestaaten, sondern auch der Bewusstseinsstand ihrer Bevölkerungen - insbesondere der lohnabhängigen Klassen - ein bemitleidenswert niedriges Niveau erreicht hätten. Es werden Klagen geführt über die Entpolitisierung der Gewerkschaften, die Schwäche einer hoffnungslos überalterten Umwelt- und Friedensbewegung, sowie über den Mangel an theoretischer Klarheit in den Reihen der am Marxismus immerhin noch orientierten Arbeiterklasse und Intelligenz. Diese Diagnose scheint auf alle Phasen der Nachkriegsentwicklung zuzutreffen mit Ausnahme der kurzen Periode von Ende der 60er bis Mitte der 70er Jahre - die Zeit also des Aufbegehrens der arbeitenden und studierenden Jugend, des kulturellen Aufbruchs und des Höhepunkts gewerkschaftlicher Machtentfaltung in der alten Bundesrepublik.

Zu Recht hat Robert Steigerwald auf das ideologische Erbe der Nazizeit in der wieder gegründeten BRD hingewiesen. Gewiss: Die 12 Millionen Mitglieder der NSDAP, die das Dritte Reich hinterlassen hat, werden sich nicht über Nacht zu kritischen Staatsbürgern geläutert haben. Was aber vielfach vergessen wird, ist die Tatsache, dass die Erfahrung des "totalen Kriegs", der seit Stalingrad zunehmend auf die Aggressoren zurückschlug, ebenfalls nicht ohne Wirkung blieb. Genau darauf zielten schließlich auch die alliierten Luftangriffe auf deutsche Großstädte ab: Neben der Ausschaltung zentraler politischer, militärischer und rüstungsindustrieller Einrichtungen sollte die Moral der deutschen Bevölkerung zermürbt werden. Die Weltkriegskatastrophe - immerhin eine potenzierte Wiederholung der Niederlage von 1918 - grub sich in das kollektive Bewusstsein der Kriegs- und Nachkriegsgeneration dergestalt ein, dass an eine Neuauflage des deutschen Militarismus auf längere Sicht nicht zu denken war. Die Ohne-Mich-Bewegung der frühen 1950er Jahre hatte trotz massiver Repression durch die (west-)deutsche Staatsmacht eine breite Basis und Unterstützung in der Bevölkerung. Der Kampf gegen die Remilitarisierung konnte erst mit Hilfe des KPD-Verbots und zahlloser polizeilicher Verfolgungsmaßnahmen niedergerungen werden. Die Antikriegsstimmung war in dieser Zeit größer als der staatlich verordnete Antikommunismus.

Ein zweites kommt hinzu: Die Nachkriegsgesellschaft wuchs in eine Periode stetigen, zuweilen sogar stürmischen wirtschaftlichen Wachstums und sozialen Wohlstands hinein. Der westdeutsche Teilstaat BRD erlebte eine Entwicklung, die als "immerwährende Prosperität" empfunden wurde und die trotz - oder vielleicht wegen - der außenpolitischen Beschränkung (in den Anfangsjahren besaß die BRD nicht einmal einen Außenminister) und des militär- und rüstungspolitischen Kleinformats erzielt wurde. Noch in den 70er Jahren - obwohl da die Aufrüstung schon ganz andere Dimensionen angenommen hatte - ging die Kunde, dass das deutsche und japanische Wirtschaftswunder gerade wegen des geringen Anteils der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt so erfolgreich sein konnte.

Nicht gering schätzen sollte man drittens auch das Wirken der Friedensbewegung. Vor kurzem erschien in der New York Times ein Artikel unter dem Titel "Rethinking German Pacifism". Dessen Autor, der ZEIT-Redakteur Jochen Bittner, wirft darin der deutschen Bevölkerung und der deutschen Außenpolitik "Feigheit" und "Verantwortungslosigkeit" vor. Die vom scheidenden Außenminister Westerwelle verwendete Floskel von der "Kultur der militärischen Zurückhaltung" drücke ein deutsches "Mainstream-Gefühl" aus, das vom Krieg nichts mehr wissen wolle und zum militärischen Engagement nicht bereit wäre. Deutschland habe die NATO und die UNO im Libyen-Konflikt im Stich gelassen und leiste den Franzosen in Mali lediglich symbolische Unterstützung. Nun muss man nicht so weit gehen wie Bittner, welcher der deutschen Bevölkerung eine pazifistische Grundhaltung attestiert. Festzuhalten ist aber die auch empirisch nachweisbare Kriegsabstinenz und rüstungskritische Einstellung der Mehrheit der deutschen Gesellschaft (im Osten Deutschlands übrigens noch stärker ausgeprägt als im Westen). Seit Jahren gibt es eindeutige Mehrheitsvoten gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr (wie etwa in Afghanistan), gegen deutsche Waffenexporte und neuerdings gegen die Beschaffung von Kampfdrohnen.

Die Aktivitäten der Friedensbewegung hinterlassen offenbar ihre Spuren - jedenfalls über einen größeren Zeitraum. Bei den Demonstranten, die sich Anfang der 80er Jahre gegen die Stationierung neuer Atomraketen in Europa zur Wehr setzten, bei den überwiegend jungen Leuten, die 1991 gegen den Golfkrieg massenhaft auf die Straße gingen, bei den Massen, die am 15. Februar 2003 gegen den drohenden Irakkrieg Berlin "besetzten", bei den Studierenden und Schüler/innen, die sich in den letzten zwei bis drei Jahren gegen die Bundeswehroffensive an den Bildungseinrichtungen zur Wehr zu setzen begannen - bei all diesen Menschen entwickelten sich Einsichten und Einstellungen, die sich mit dem jeweiligen Ende der Massenproteste ja nicht einfach wieder verflüchtigen. Diese Protestereignisse sind für die Teilnehmer zu wichtigen, in manchen Fällen vielleicht sogar zu entscheidenden politischen Sozialisationserfahrungen geworden. Hier lagern sich über die Jahre und Jahrzehnte Schichten von spezifischen Einstellungen und Haltungen ab, akkumulieren sich friedenspolitische Orientierungen. Solche Lernprozesse haben zwar noch nicht die Republik insgesamt verändert, wohl aber die Mentalität großer Teile der Bevölkerung.

Natürlich ist das keine Garantie für alle Zeiten. Und es gibt auch keinen Automatismus, dass sich diese Haltung immer auch in massenhaften Demonstrationen oder großen Kampagnen niederschlägt. Die Herrschenden suchen immer nach Mitteln und Wegen, Zustimmung zu ihrem militärisch gestützten Kurs herbei zu manipulieren. Der Menschenrechtsdiskurs, das Konzept der "Schutzverantwortung" oder die Mobilisierung von Ängsten (Flüchtlingsströme, Terrorismus) und rassistischen Vorurteilen gegenüber Minderheiten sollen dazu beitragen, Gewalt in den internationalen Beziehungen wieder zu legitimieren. Der Krieg und das Kriegerische sollen nicht länger als "No Go" gelten, sondern als "normales" Mittel der Politik salonfähig gemacht werden. Sich diesem Zeitgeist zu widersetzen, bleibt eine ständige Aufgabe der Friedensbewegung und der traditionellen Organisationen der Arbeiterklasse. Auch für diesen Kampf werden die Marxistischen Blätter weiterhin gebraucht.


Peter Strutynski, Kassel, Sprecher Bundesausschuss Friedensratschlag, Mitherausgeber der Marxistischen Blätter

*

Quelle:
Marxistische Blätter, Heft 1-14, 52. Jahrgang, S. 57-59
Redaktion: Marxistische Blätter
Hoffnungstraße 18, 45127 Essen
Telefon: 0201/23 67 57, Fax: 0201/24 86 484
E-Mail: redaktion@marxistische-blaetter.de
Internet: www.marxistische-blaetter.de
 
Marxistische Blätter erscheinen 6mal jährlich.
Einzelheft 9,50 Euro, Jahresabonnement 45,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2014