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OSSIETZKY/620: Der Krieg geht weiter


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 18 vom 4. September 2010

Der Krieg geht weiter

Von Wolfgang Effenberger


"USA beenden Kriegseinsatz im Irak," verkündete die Süddeutsche Zeitung am 20. August 2010. In einem Bildtext fand die frohe Botschaft ihre Ergänzung: "Im Irak verbleiben nun noch etwa 50.000 US-Soldaten, die jedoch vor allem die irakische Armee ausbilden und beraten, nicht mehr selbst kämpfen sollen."

Im Wahlkampf hatte Barack Obama versprochen, jeden Monat eine Brigade abzuziehen und somit den unpopulären Krieg im Irak binnen 16 Monaten zu beenden. Ende Februar 2010 verhieß er als US-Präsident auf dem Militärstützpunkt Camp Lejeune vor Soldaten und Offizieren: "Laßt es mich so klar sagen, wie ich kann: Mit dem 31. August 2010 wird unser Kampfauftrag im Irak enden." Das verbleibende Kontingent solle sich auf drei Aufgaben konzentrieren: den Aufbau der irakischen Streitkräfte unterstützen, die zivilen und militärischen Anstrengungen der USA im Irak schützen und "gezielte Anti-Terror-Missionen" ausführen.

Wie aber können militärische Operationen zwischen Kampfauftrag und gezielten "Spezialeinsätzen gegen Terroristen" unterschieden werden? In beiden Fällen sind Soldaten an den Operationen beteiligt, in beiden Fällen wird militärisches Gerät eingesetzt, und in beiden Fällen werden Menschen getötet. Und in jedem Fall wurde und wird das humanitäre Völkerrecht ausgehebelt.

Die Pläne Obamas stießen von Vorherein auf scharfe Kritik in den eigenen Reihen. Nancy Pelosi, die Präsidentin des Repräsentantenhauses, kritisierte die hohe Zahl der nach August 2010 im Irak verbleibenden US-Soldaten. "Ich weiß nicht, was die Rechtfertigung für 50.000 Soldaten im Irak ist. Ich denke, ein Drittel davon würde reichen."

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Philip Crowley, bezeichnete den Abzug als "historischen Moment". Das langfristige US-Engagement im Irak ende damit jedoch nicht. "Wir beenden den Krieg (...), aber wir beenden nicht unsere Arbeit im Irak", betonte Crowley. Dafür wird wohl die Anzahl der Söldner verdoppelt werden müssen. Sicherheitsleute sollen die Lücken füllen, die durch den stufenweisen Abzug der US-Truppen aus dem Irak entstehen. Darüber ließ sich Crowley jedoch nicht aus.

Für den Kongreßabgeordneten Dennis Kucinich (D-OH) würde nur der Gesamtabzug der US-Truppen ein Ende der Kampfhandlungen bedeuten, und er fragt: "Wer ist für unsere Operationen im Irak verantwortlich? George Orwell?" Dieser Krieg basiert auf Lügen - von Anfang an und bis heute."

An dieser Stelle muß an ein Wortlaut-Interview der Süddeutschen Zeitung vom 12. August 2006 mit dem inzwischen pensionierten langjährigen deutschen UN-Botschafter Gunter Pleuger erinnert werden. Auf die Frage "Gab es während der Irak-Krise einen Moment im Sicherheitsrat, den Sie nie vergessen werden?" antwortete Pleuger: "Ja, der 5. Februar 2003, als US-Außenminister Colin Powell mit einer Diashow belegen wollte, daß der Irak Massenvernichtungswaffen besaß. Es war gespenstisch. Jeder im Saal wußte, daß seine Tatsachenbehauptungen falsch waren." Zwei Jahre später warf Pleuger den USA ein beispielloses Falschspiel bei der Vorbereitung des Krieges gegen den Irak vor. Die USA hätten den Angriff auf den Irak lange vor den entscheidenden UNO-Sitzungen im Februar und März 2003 beschlossen, "wahrscheinlich schon im Sommer 2001".

Auf der Grundlage dieses "Beweises" für die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen in Powerpoint-/Diashow-Format wurde der Irak-Krieg gestartet. Bis heute kostete er Hunderttausenden Menschen das Leben und machte Millionen zu Flüchtlingen.

Wenn "jeder im Saal wußte", daß Powell log, wußten es Hunderte von Diplomaten und Politikern und sehr schnell auch alle Nachrichtenagenturen. Dennoch drangen erst viel später erste Zweifel an Powells Darstellung in die Weltpresse, als der Irak-Krieg längst geführt und der Regimewechsel vollzogen war. Und trotz dieser Erkenntnisse meldete die SZ am 20. August 2010 auf der Titelseite: "Die von Anfang an umstrittene Begründung des Krieges durch die Bush-Regierung, der einstige Diktator Saddam Hussein bedrohe die Welt mit Massenvernichtungswaffen, erwies sich als falsch." Soll hier noch im Nachhinein dieses menschenverachtende Falschspiel als Irrtum dargestellt werden? Hatte sich hier nicht eher das Weiße Haus gegen den Weltfrieden verschworen? Heute haben wir einen Krieg, der nicht Krieg genannt wird, mit Kampftruppen, die nicht als Kampftruppen bezeichnet werden. Die USA halten an ihren globalen militärischen Plänen und der per Gesetz verankerten Seidenstraßenstrategie fest. Die Stützpunkte im zentralen US-Militärkommando CENTCOM - vom kaspischen Raum bis zum Horn von Afrika - werden weiter ausgebaut. Dazu entstehen im Westen und Osten Eurasiens die modernsten Einsatz- und Kampfführungszentren.

Wie selbstverständlich war in der US-Armeezeitung Stars & Stripes am 20. Oktober 2009 vom Umzug des Hauptquartiers der US Army/Europa (USAREUR) von Heidelberg nach Wiesbaden zu lesen. Auf dem dortigen US-Airfield Erbenheim soll bis 2013 das neue Europa-Hauptquartier der US Army entstehen. 68 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und nach elf US-Präsidenten seit Harry Truman sollen in einem amphitheaterähnlichen Einsatz- und Kampfführungszentrum die militärischen Geschicke Europas gesteuert werden. Das 84 Millionen teure dreistöckige Zentrum wird auf 26.500 Quadratmetern mit den neusten Kommunikations- und Planungsgeräten ausgestattet und zur modernsten US-Militäreinrichtung in Europa ausgebaut.

Den Grund für den Neubau erläuterte der Operationschef der USAREUR, Brigadegeneral David G. Perkins: "Bisher ist das Hauptquartier der USAREUR weder dazu ausgelegt, noch technisch oder personell so ausgestattet, daß es als Kriegsführungs-Hauptquartier dienen könnte."

Welche neuen Kriege sollen von hier aus ab 2013 geführt werden? Das östliche Pendant dazu entsteht in Ginowan auf der Insel Okinawa und soll ebenfalls 2013 fertiggestellt sein. Anders als die Bundesbürger haben Japaner anläßlich des Obama-Besuches öffentlichkeitswirksam gegen den weiteren Ausbau protestiert und die Schließung der amerikanischen Marine-Corps-Air-Base Futenma verlangt.


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"Morgenröte" im Irak

Der Kampfauftrag US-amerikanischer Truppen im Irak sei jetzt in den letzten Augusttagen abgeschlossen, meldeten unsere Medien und übernahmen damit die regierungsamtliche Version aus den USA, wo dieser "Kreuzzug" längst äußerst unbeliebt ist. Mindestens eine Billion Dollar hat er die Steuerzahler in den Vereinigten Staaten bisher gekostet, an die 5000 US-Soldaten haben dort ihr Leben gelassen. Zeit für einen Schlußstrich? "Die Amerikaner verlassen das Land" war selbst im Freitag zu lesen; es habe sich gezeigt, "wie machtlos die übermächtige Weltmacht" sei.

Beides trifft nicht zu. Ungefähr 50.000 US-Soldaten bleiben im Irak stationiert, und neue Söldner werden ins Land geschickt, das heeresstarke paramilitärische Personal US-amerikanischer "Sicherheitsdienste" im Irak wird verstärkt. Die US-Militärbasen werden nicht geräumt. Außenstellen der US-Botschaft werden festungsartig bestückt, was mit Diplomatie nichts zu tun hat.

Die USA - ohnmächtig? Die Macht hat hingereicht, um den Irak zu verwüsten, ihn als selbständige politische Kraft im Nahen Osten zu zerschlagen. Weiterhin halten die USA ihre gepanzerte Faust in den Wirren eines durch den Krieg verheerten und zerrissenen Landes. Geopolitische Interessenwahrnehmung, ohne Rücksicht auf Verluste. Und die US-Militärbranche zieht auch in Zukunft ihren Gewinn aus dem Engagement im Irak, ebenso das hochentwickelte private "Security"-Geschäft.

Die offizielle Lüge, die am Beginn der "Operation Irakische Freiheit" stand, die Lüge von den "Massenvernichtungswaffen" in Händen des Saddam Hussein, hat sich rentiert; wie Hohn klingt der Name für die nun beginnende nächste Phase des machtpolitischen Zugriffs: "Operation Neue Morgenröte".

Arno Klönne


Die Seidenstraßen-Strategie

Am 19. März 1999, fünf Tage vor Beginn der Bombardierung Jugoslawiens, verabschiedete der US-Kongreß das sogenannte Seidenstraßen-Strategie-Gesetz. Damit definierten die USA ihre umfassenden wirtschaftlichen und politischen Interessen in einem früher sowjetischen Einflußgebiet, das sich vom Mittelmeer bis nach Zentralasien erstreckt. Seit dem 11. September 2001 führen die USA den "Krieg gegen den Terrorismus" mit dem Ziel der strategischen Vorherrschaft in diesem "Korridor entlang der Seidenstraße".

Die Seidenstraßen-Strategie hat unter anderem zum Ziel, die Wettbewerber der USA im Ölgeschäft, darunter Rußland, Iran und China, zu schwächen. Das unter Bill Clinton erlassene Gesetz wurde im Mai 2006 unter George W. Bush modifiziert: "to update the Silk Road Strategy Act of 1999 to modify targeting of assistence in order to support the economic and political independence of the countries of Central Asia and the South Caucasus in recognition of the political and economic changes in these regions since enactment of the original legislation".

W. E.


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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Dreizehnter Jahrgang, Nr. 18 vom 4. September 2010, Seite 653-655
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Eckart Spoo (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2010