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OSSIETZKY/724: Wenn Satire alles dürfen will


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 21 vom 13. Oktober 2012

Wenn Satire alles dürfen will

Von Hans Krieger



Satire darf alles, befand Tucholsky. Der Satz klingt suggestiv, ist logisch aber unsinnig, denn die Begriffe "dürfen" und "alles" schließen einander aus. Das Dürfen setzt seinen Gegenpol voraus und ist darum notwendig begrenzt; nur wo es auch Unerlaubtes gibt, kann von "dürfen" sinnvoll die Rede sein. Dies ist mehr als nur eine Paradoxie der Sprache. Freiheit ist erfahrbar nur in der Bezogenheit auf Möglichkeiten der Wahl, in der Konfliktsituation der Entscheidung. Wo nicht mehr entschieden werden muß zwischen dem Besseren und dem Schlechteren, dem ethisch Wünschbaren und dem ethisch Verwerflichen, beginnt nicht der paradiesische Zustand schrankenloser Freiheit, sondern das graue Einerlei der Gleichgültigkeit.

Schon um sich nicht selbst zu verraten, kann Satire sich nicht alles gestatten. Ihre Wirkungskraft liegt in der Geistesschärfe des erhellenden Witzes; biedert sie sich gedankenlos plump dem dumpfen Vorurteil an, hört sie auf, Satire zu sein, und wird zur banalen Pöbelei.

In der Einsamkeit am Schreibtisch oder Zeichenbrett ist der schöpferische Geist jeder Rücksichtnahme entbunden und darf so hemmungslos sein, wie er will. Sobald er aber an die Öffentlichkeit tritt, wird er zum sozial Handelnden, und soziales Handeln muß, weil es Folgen hat, verantwortet werden, unterliegt also unausweichlich einer ethischen Bewertung, im Extremfall auch strafrechtlicher Würdigung. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist eine große, unaufgebbare Errungenschaft der Kulturentwicklung. Den klugen und mutigen Menschen, die es mühsam und ausdauernd erkämpft haben, ging es nicht darum, daß jeder Esel seine wüsten Sottisen hinausposaunen darf. Ihnen ging es um die Befreiung der geistigen Auseinandersetzung von religiöser wie staatlicher Unterdrückung. Daß mit der Freiheit. des Geistes unausweichlich auch die Freiheit des Ungeistes geschützt wird, weil niemand befugt ist, zwischen freiem Denken und vorurteilsplumpem Daherplappern die scharfe Trennlinie verbindlich zu ziehen, muß in Kauf genommen werden.

Und es kann in Kauf genommen werden, solange wir den eigentlichen Wert, die Freiheit des Geistes, nicht mit seiner formalen Absicherung verwechseln und nicht reflexhaft die Grundwerte der Demokratie bedroht wähnen, wenn die islamische Welt sich über entwürdigende Häme gegen ihren Glauben empört. Sondern in der Empörung, mag sie auch exzessiv und teilweise politisch gesteuert sein, den berechtigten Kern erkennen und zum Anlaß kritischer Selbstbefragung nehmen: Auch das Segensreiche und für uns Unverzichtbare kann häßliche Nebenwirkungen haben, die uns beschämen.

Hier ist Bewußtseinsarbeit gefordert. Dem Problem strafrechtlich beikommen zu wollen ist äußerst heikel. Der soziale Frieden allerdings, innerstaatlich wie auch grenzüberschreitend, muß geschützt werden. Der Paragraph 169 Strafgesetzbuch (Schutz des religiösen Friedens) und der Volksverhetzungsparagraph sollten eine Handhabe bieten, sowohl eine öffentliche Vorführung des antiislamischen Haß-Videos als auch das Aufmarschieren von Rechtsradikalen mit Mohammed-Karikaturen vor Moscheen zu verbieten. Das Schüren von Haß gegen Bevölkerungsgruppen ist durch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht gedeckt.

Allen Grundrechten vorgelagert als ihre Fundierung ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Sie allein ist jeder Abwägung gegen andere Rechtsgüter, auch gegen Grundrechte entzogen (obwohl es inzwischen Grundgesetz-Kommentare gibt, die auch die Menschenwürde relativieren). Wer die Menschenwürde anderer verletzt, beschädigt auch die eigene. Die Menschenwürde anderer in den Schmutz ziehen zu dürfen, kann kaum zu den schützenswerten Rechtsgütern einer humanen Demokratie gehören.

Wenn ich einem anderen Autofahrer im Affekt den Vogel zeige, habe ich ein Strafverfahren am Hals. Mit planvoll kalkulierter menschenverachtender Häme die Mitglieder einer großen Glaubensgemeinschaft öffentlich zu entwürdigen, soll hingegen grenzenlos erlaubt sein? Das ist schon einigermaßen grotesk.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Fünfzehnter Jahrgang, Nr. 21 vom 13. Oktober 2012, Seite 813-814
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Katrin Kusche (verantw.), Eckart Spoo
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2012