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OSSIETZKY/784: WHO hilft beim Verschleiern von Kriegsfolgen


Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Nr. 25 vom 7. Dezember 2013

WHO hilft beim Verschleiern von Kriegsfolgen

Von Joachim Guilliard



Mitte September veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das langerwartete Ergebnis einer Studie über die Häufigkeit von Geburtsfehlern bei Kindern im Irak. Die in einem als "vorläufig" bezeichneten Kurzbericht des irakischen Gesundheitsministeriums präsentierten Ergebnisse sorgen nun jedoch unter unabhängigen Experten wie auch früheren Mitarbeitern der UNO und der WHO für Empörung. Sie stehen nicht nur in starkem Gegensatz zu bisherigen, in sich konsistenten Untersuchungen irakischer und internationaler Wissenschaftler, sondern auch zu früheren Äußerungen von Forschern des Ministeriums, die die Studie durchführten, und der WHO.

Seit Mitte der 1990er Jahre beobachten Ärzte im Süden Iraks eine erhebliche Zunahme von Leukämie und anderen Krebsarten, Fehlgeburten und schweren Mißbildungen bei Neugeborenen. Die Fälle häuften sich besonders dort, wo 1991 US-amerikanische Truppen während des ersten Irakkrieges in großen Mengen Geschosse aus abgereichertem Uran (engl. Depleted Uranium, DU) abgefeuert hatten. Da die Häufung bestimmter Krebsarten und Geburtsfehler starke Ähnlichkeiten mit der in Gebieten hat, die radioaktiv verseucht wurden, lag die Vermutung nahe, daß sie zum großen Teil auf die Kontamination mit dem giftigen, radioaktiven Schwermetall zurückzuführen sind. Das Uran entzündet sich beim Durchschlagen von Panzerungen oder Mauern. Das dabei entstehende Oxid verbreitet sich als feiner Staub und kann über die Atmung, die Haut oder die Nahrung in den menschlichen Körper gelangen. Studien von Wissenschaftlern (die ersten bereits veröffentlicht in einem im Mai 1997 erschienenen Sammelband des International Action Centers in New York) erhärteten bald den Verdacht. Die US-Regierung schloß offiziell jegliche Gesundheitsgefährdung durch das Schwermetall aus, die US- Armee erließ aber Schutzvorschriften für ihre Soldaten beim Umgang mit kontaminierten Stellen.

Obwohl sie offenbar selbst Gesundheitsrisiken fürchteten und die Forderung nach internationaler Ächtung dieser Waffen immer lauter wurde, setzten britische und US-amerikanische Streitkräfte ihre Uranmunition ab 2003 in noch größerem Maße ein. Seither steigt auch in Bagdad, Mosul, Ramadi, Nadschaf und anderen Städten im Zentrum und im Norden des Landes die Zahl der Geburtsfehler und Krebserkrankungen zum Teil drastisch an. Besonders betroffen ist die 2004 von US-Truppen im Laufe zweier Offensiven weitgehend zerstörte Großstadt Falludscha. Einer wissenschaftlichen Studie an 4.800 Einwohnern zufolge, hat sich die Zahl der Krebserkrankungen bis 2010 insgesamt vervierfacht, die bei Kindern sogar verzwölffacht. Die Rate der Leukämieerkrankungen ist in der Stadt nun 38mal so hoch wie in Ägypten oder Jordanien, die von Brustkrebs zehnmal. Das Spektrum der Krebsarten gleicht dem der Überlebenden in Hiroshima. Das Verhältnis von Jungen zu Mädchen sank bei den nach 2005 geborenen Kindern auf 860 zu 1000, ein weiterer starker Indikator für genetische Defekte.

Laut dem Geburtenregister des Zentralkrankenhauses von Falludscha hatte im Frühjahr 2010 fast jedes sechste Neugeborene eine Form von Geburtsfehler. In Haarproben von Eltern der Kinder wurden signifikant höhere Mengen von Uran und anderen Schadstoffen gefunden als bei Eltern gesunder Kinder.

In ihrem erschütternden Dokumentarfilm "Born under a bad sign" (Geboren unter überzeugenden Ergebnisse verschiedener Untersuchungen zusammen. Darin versicherten Wissenschaftler des irakischen Gesundheitsministeriums, ihre umfassende Studie würde "eindeutige Beweise" dafür liefern, daß die Zahl von Geburtsfehlern in Gebieten, die unter schweren Kämpfen zu leiden gehabt hatten, deutlich höher sei als in anderen Gegenden. Auch WHO-Mitarbeiter berichteten, daß die Statistiken höhere Prozentzahlen von Fehlbildungen in "Hochrisikogebieten" belegen würden.

Der erst ein Jahr nach Durchführung der Studie vorgelegte, "vorläufige zusammenfassende Bericht", kommt jedoch zum Schluß, daß der Prozentsatz von Geburtsfehlern, Fehl- und Totgeburten gleich oder gar niedriger als der internationale Durchschnitt sei und die Studie "keinen klaren Hinweis auf eine ungewöhnliche Rate angeborener Mißbildungen" ergeben hätte. Die WHO stellt sich zwar einerseits formell hinter den Bericht, distanziert sich jedoch andererseits von ihm, indem sie ausdrücklich darauf hinweist, daß für seinen Inhalt - wie für die Studie generell - allein das irakische Gesundheitsministerium verantwortlich sei.

Die Autoren werden entgegen den bei solchen Studien üblichen Gepflogenheiten nicht genannt. Auch der Inhalt "entspricht nicht wissenschaftlicher Qualität", so das Urteil von Keith Bavistock, der 13 Jahre lang für die WHO als Umweltexperte arbeitete. Zu den schwersten methodischen Mängeln der Studie zählt Bavistock, daß nur eine Haushaltsbefragung durchgeführt und nicht einmal die Krankenakten der irakischen Krankenhäuser herangezogen wurden, die das genaueste Bild liefern würden.

Das Gesundheitsministerium hatte in 10.800 Haushalten die Mütter nach Vorkommnissen der letzten 30 Jahre befragt. Angesichts fehlender Fachkenntnis und des langen Zeitraums nach Ansicht von Experten ein sehr zweifelhaftes Unterfangen. Nach welchem Verfahren die Teilnehmerinnen ausgewählt wurden, wird im Bericht nicht erwähnt. Die Auswahlkriterien seien vom Ministerium festgelegt worden, heißt es nur lapidar. Kritiker argwöhnen, daß bekannte, stark belastete Gebiete dabei gezielt ausgespart wurden. Außerdem stellt sich die Frage, so die Umwelttoxikologin Mozhgan Savabieasfahani, was in dem langen Jahr bis zur Veröffentlichung mit den Daten geschehen sein könnte, so daß aus "eindeutigen Beweisen" am Ende "keinerlei Hinweise" wurden.

Da die Weltgesundheitsorganisation in den vergangenen zehn Jahren Veröffentlichungen zum Thema zensiert hat, ist auch das Mißtrauen gegenüber der WHO groß. Neel Mani, ehemaliger Direktor des Irak-Programms der WHO, der die Seriosität der irakischen Studie ebenfalls anzweifelt, schildert in einem Kommentar für die Huffington Post, wie die Gesundheitsorganisation in seiner Amtszeit von 2001 bis 2003 systematisch daran gehindert wurde, aussagefähige Untersuchungen zu etwaigen Gesundheitsfolgen des ersten Krieges durchzuführen. Der WHO seien die Berichte über die ungewöhnlich hohen Raten von Gesundheitsproblemen sehr gut bekannt gewesen. Sie habe daher eine eigene Studie vorbereitet. Deren Durchführung sei jedoch vom US-dominierten UNO-Sicherheitsrat gestoppt worden. Auch in den Jahren zuvor hatte Washington, wie Hans von Sponeck, von 1998 bis 2000 Humanitärer Koordinator der UNO im Irak, berichtete, die WHO daran gehindert, Gebiete zu untersuchen, in denen abgereichertes Uran eingesetzt worden war.

Die "äußerst politische Natur der Studie" lasse daher auch befürchten, daß die Untersuchung politisch beeinflußt worden sei, so Mani. Die damalige "Politisierung der irakischen Gesundheitsforschung... sollte uns daran erinnern, daß die WHO nicht mehr ist als eine Widerspiegelung des kollektiven Willens ihrer Mitgliedstaaten. Dieses Kollektiv ist häufig stark beeinflußt von den Staaten, die weltweite Macht ausüben. Während die Struktur der WHO diesen Einfluß nicht zwangsläufig widerspiegelt, tun dies aber sicherlich die von ihr gefällten Entscheidungen."

Das Versagen der zentralen internationalen Gesundheitsorganisation hat schwere Folgen für die Gesundheit der Menschen im Irak und in anderen Ländern, die Angriffen von NATO-Staaten ausgesetzt waren oder in Zukunft sein werden. Der Einsatz von Waffen, die die Bevölkerung auf erhebliche Weise langfristig schädigen können, ist ein Kriegsverbrechen. Hätte die WHO schon in den 1990er Jahren durch eigene Untersuchungen die langfristigen schädlichen Folgen der Uranmunition belegt und über entsprechende Aufklärung eine breitere Öffentlichkeit dafür sensibilisiert, so hätte dies zur zunehmenden internationalen Ächtung der Waffen führen können. Das hätte möglicherweise die USA und Großbritannien genötigt, ihren Einsatz wenigstens deutlich einzuschränken und vielen Städten im Irak das Schicksal Basras erspart.

Noch heute liegen zahlreiche von Uranmunition getroffene Panzerwracks, Fahrzeuge und Gebäudeteile in den Städten. Und noch immer weigern sich die USA die genauen Einsatzorte und die abgefeuerten Mengen von Uranmunition und anderer potentiell giftiger Waffen anzugeben, geschweige diese zu dekontaminieren.

Der Nachweis, daß der Einsatz von Urangeschossen und anderen Waffen, die toxische Stoffe enthalten, eine wesentliche Ursache für die Zunahme von Geburtsfehlern und Krebserkrankungen ist, könnte maßgeblich dazu beitragen, die Regierung der USA und Großbritanniens dazu zu bringen, endlich ihrer Verantwortung gerecht zu werden, die strahlenden Reste ihrer Angriffe zu beseitigen, die bestmögliche Behandlung der Betroffenen sicherzustellen und die Opfer zu entschädigen.

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Quelle:
Ossietzky - Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft
Sechzehnter Jahrgang, Nr. 25 vom 7. Dezember 2013, Seite 908-911
Herausgeber: Dr. Rolf Gössner, Ulla Jelpke, Prof. Arno Klönne,
Otto Köhler, Eckart Spoo
Redaktion: Katrin Kusche (verantw.), Eckart Spoo
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2013