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POLITISCHE BERICHTE/131: Zeitschrift für linke Politik 12/09


Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik

Nr. 12 am 3. Dezember 2009


INHALT

Aktuelle Meldungen
Rot-roter Konsens: Innovation statt Billiglohn
Residenzpflicht mit Fantasie aushöhlen
Weiter Streit um Jobcenter
"Der Sozialstaat gehört allen!"
EU zwingt Staaten zum Bau von Atomendlagern

Der Dollar, der Yuan und die Weltfinanzmärkte
- Auch die EU macht Druck

Afghanistan

Auslandsnachrichten
Frankreich: Umfassende Legalisierung der Illegalisierten!
"Weihnacht nach Rassisten-Art" ...
Italien: Haftstrafe für Menschenretter
Kosovo: Soziale Lage eine "tickende Bombe" ...

Aktionen ... Initiativen
Bundesweiter Bildungsstreik: 85.000 starten in den heißen Herbst
10.000 Stimmen demonstrierten gegen die Hochschulrektorenkonferenz
Frauenhauskoordinierung fordert bessere Unterstützung
Europäische Kampagne: Stopp für Flughafenausbau und Luftverkehr
Demonstration für eine humanitäre Bleiberechtsregelung
Thüringen: Proteste gegen NPD-Landesparteitag
NRW-Anti-Atom-Bewegung macht Druck

Eine Stadt für alle - linke Stadtpolitik in Tel Aviv und Hamburg

Essen: Rot-Grün scheitert - Sozialere Stadtpolitik trotzdem möglich

Wir sind das Rathaus! Warum Freiburg einen neuen Oberbürgermeister braucht 11

Kommunale Politik
Kurzrasenmäher Haushaltssicherungskonzept: Bochum
Der Schwarz Grüne Senat will weiter Sparen - ohne uns! Hamburg
Gegen Verkauf der IGS Mühlenberg: Hannover
Protest gegen Polizeikessel: Freiburg
Nutzung des Instruments städtebaulicher Vertrag: Oldenburg
CDU-FDP gegen Tempo 30: Braunschweig
Hütchenspiel bzw. wechselnde Hüte des OB: Stuttgart
Verstoß gegen Ratsbeschluss und Schwächung der Bezirke: Köln
Crashkurs Kommune 1: Literaturempfehlung.

Cadbury: Gewerkschaft fordert Aufklärung über die Beschäftigungskonsequenzen
- Tagung des UN-Weltgipfels über Ernährungssicherheit (IUL): Und was ist mit den Arbeitnehmern?

IUL und Danone starten internationale Tagungen von Gewerkschaften und Unternehmensleitung

Wirtschaftspresse

Die falsche und die richtige Gedenktafel

Vertriebenenverbände "stets Botschafter der Verständigung"

"Jenseits von Gut und Böse" - Handlungsfreiheit statt Moralismuswahn

NRW: Landtagswahlprogramm nach kurzer, aber heftiger Diskussion beschlossen

Die Linke NRW: Landtagskandidaten gewählt

Bericht vom bundesweiten Treffen der Zusammenschlüsse in der Linken

Raute

AKTUELL AUS POLITIK UND WIRTSCHAFT

Berichte im Internet: www.gnn-verlage.com


Rot-roter Konsens: Innovation statt Billiglohn

Berliner Zeitung, 21./22.11. rül. Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) und sein Parteifreund und Amtskollege Ralf Christoffers, Wirtschaftsminister von Brandenburg, haben auf ihrem ersten gemeinsamen Treffen ein wichtiges Signal gesetzt. Die Wirtschaftsregion Berlin-Brandenburg soll kein Dorado für Dumpinglöhne sein. "Die Zukunft unseres Standortes liegt nicht im Billiglohnbereich", erklärte Wolf, sein Kollege Christoffers ergänzte: "Eine weitere Ausdehnung des Niedriglohnsektors wäre kontraproduktiv". Ohnehin wanderten viele junge Fachkräfte aus der Region wegen der niedrigen Löhne ab. Beide Landesregierungen vereinbarten, dass sie künftig keine Aufträge mehr an Firmen vergeben werden, die weniger als 7,50 Euro Lohn an ihre Beschäftigten zahlen. Das trifft zum Beispiel Kurierdienste, Postunternehmen, Gebäudereinigungsdienste, Sicherheitsdienste, private Landschaftspflegebetriebe usw. Bei Projekten mit öffentlicher Förderung soll die Lohnschranke noch höher liegen. Förderleistungen des Landes Berlin und Brandenburg - zum Beispiel bei der Ansiedlung, Investitionszuschüsse und ähnliches - werden künftig nur noch an Unternehmen gezahlt, die ihren Beschäftigten mindestens 10 Euro pro Stunde zahlen. Der DGB Berlin Brandenburg hat die Erklärung der beiden Regierungen als wichtiges Signal gelobt und betont, damit werde der gewerkschaftliche Grundsatz "Innovation statt Billiglohn" gestärkt. Der Beschluss ist auch ein Signal für die polnischen Grenzgebiete und für neue Industrien wie die Solarbranche, die vielen Beschäftigten Niedrigstlöhne zahlt. Ansiedlungen wie das Quelle-Call-Center, dass vor wenigen Jahren mit Fördermitteln des Landes eröffnet worden war und seinen 620 Beschäftigten in Berlin-Kreuzberg lediglich 6,05 Euro pro Stunde zahlt, würden künftig keine Landesmittel erhalten, erläuterte Wolf. Das Quelle Call-Center schließt Anfang 2010 übrigens - eine Folge der Quelle-Insolvenz.


Residenzpflicht mit Fantasie aushöhlen

Neues Deutschland, 13.11. Marina Mai.Der Berliner Senat und die Brandenburger Landesregierung können die Residenzpflicht nur für Asylbewerber abschaffen. Für geduldete Flüchtlinge ist dies juristisch nicht möglich. Das ist das Resümee eines Fachgespräches der Flüchtlingsräte Berlin und Brandenburg sowie des gemeinsamen Landesmigrationsrates am Mittwochabend.

"Geduldete sind aber der Großteil der gegenwärtig von der Residenzpflicht Betroffenen", führt die Sozialwissenschaftlerin Beate Selders aus, die eine Studie zur Residenzpflicht erstellt hatte. Demnach leben in Brandenburg 900 Asylbewerber und 2600 geduldete Flüchtlinge. Bundesweit befinden sich 33.000 Menschen im Asylverfahren und 105.000 sind geduldete Flüchtlinge. Die Landesregierung könne aber allen geduldeten Flüchtlingen gestatten, sich im gesamten Bundesland aufzuhalten, erzählt Rechtsanwalt Rolf Stahmann.

Einige Landkreise tun das bereits heute, andere nicht. So erlaubt Frankfurt (Oder) den Flüchtlingen nicht, die Stadt zu verlassen. "Hier könnte die Landesregierung durch ein Rundschreiben an die Ausländerbehörden Einheitlichkeit zugunsten der Flüchtlinge herstellen", findet Stahmann. Will ein geduldeter Flüchtling nach Berlin fahren, so muss er nach Auffassung der Experten auch weiterhin einen Antrag an die Ausländerbehörde richten. Für Asylbewerber wollen Senat und Landesregierung dieses Antragsverfahren bald abschaffen und den Asylbewerbern damit den Aufenthalt im jeweils anderen Land ohne bürokratische Genehmigungen gestatten. Das wäre eine bundesweit einmalige Aushöhlung der fragwürdigen Residenzpflicht durch die beiden rot-roten Koalitionen in Deutschland. Für geduldete Flüchtlinge hingegen lässt das Bundesrecht dies nicht zu. "Die Landesregierung kann aber anweisen, dass ein Antrag genehmigt werden muss, sofern nicht im Einzelfall etwas dagegen spricht", sagt Stahmann. Ähnlich wird derzeit schon in Berlin verfahren. Auch eine Vereinfachung des Verfahrens sei möglich. So verlangen einzelne Ausländerbehörden wie etwa Oberhavel dem Juristen zufolge, dass der Antragsteller persönlich bei der Ausländerbehörde in Oranienburg erscheint. In anderen Fällen reiche ein Fax vom Anwalt. "Hier kann die Landesregierung mit gutem Willen viel vereinfachen", meint Stahmann. Genau das fordert Antje Simnack vom Brandenburger Flüchtlingsrat. Ein besonderes Problem sei die Fahrt durch Berlin. Zugfahrten von Frankfurt (Oder) nach Potsdam oder von Cottbus nach Oranienburg führen in der Regel durch die Hauptstadt. Und dort werden, so die Erfahrungen von Betroffenen, Menschen mit anderer Hautfarbe auf den Bahnhöfen kontrolliert. Selders wünscht sich hier "fantasievolle Lösungen" der rot-roten Koalitionen.

Im Jahr 2007 mussten bundesweit rund 100 Asylbewerber eine Haftstrafe absitzen, weil sie mehrfach ohne behördliche Erlaubnis ihren Landkreis verlassen hatten. Etwa jeder zweite Brandenburger Asylbewerber habe bereits nach drei Monaten in der Erstaufnahmestelle Eisenhüttenstadt einen Strafbefehl wegen Verletzung der Residenzpflicht, berichtet Selders. "Das sind Straftaten, die niemandem schaden", betont sie.


Weiter Streit um Jobcenter

FAZ, Rheinische Post, 27.11. rül. Die Zukunft der Jobcenter ist weiter umstritten. Der inzwischen zurück getretene Arbeitsminister Jung hatte, wie von der Unionsfraktion im Bundestag schon zu Zeiten der großen Koalition verlangt und jetzt auch im Koalitionsvertrag zwischen FDP und Union vereinbart, eine Auflösung der Arbeitsgemeinschaften verlangt und ein entsprechendes Eckpunktepapier angekündigt. Eine Entscheidung über die künftige Gestaltung der Jobcenter war nötig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht noch zu Zeiten der großen Koalition die derzeitige Konstruktion der Jobcenter als verfassungswidrig abgelehnt hatte. Die gemeinsame Auszahlung von Geldern des Bundes (die sog. Hartz IV-Sätze) und der Kommunen (diese zahlen die Unterkunftskosten der ALG-II-Bezieher/innen) sei mit der geltenden Verfassung nicht vereinbar. CDU-Ministerpräsident Rüttgers aus NRW und der damalige Bundesarbeitsminister Scholz (SPD) hatten deshalb noch im Auftrag der alten Bundesregierung und der Länder eine Verfassungsänderung vorgeschlagen, da sich die einheitliche Betreuung von Langzeitarbeitslosen im Rahmen der Jobcenter bewährt habe. Diese Vereinbarung hatte die Unionsfraktion im Bundestag noch zu Zeiten der alten, großen Koalition torpediert. Die Zukunft der Jobcenter ist seitdem offen. Arbeitsverträge der Beschäftigten, Mietverträge und andere wichtige Grundlagen ihrer Arbeit hängen seitdem in der Schwebe, da laut Entscheidung des Verfassungsgerichts bis Ende 2010 eine Lösung gefunden sein muss. Die Konferenz der Sozialminister der Länder hat nun am 26. November erneut mit 15 Ja-Stimmen und einer Enthaltung (Baden-Württemberg) die Pläne der Regierung zur Auflösung der Arbeitsgemeinschaften zurück gewiesen und den Vorschlag von Rüttgers und Scholz, mit einer Verfassungsänderung die Fortführung der Argen zu ermöglichen, bekräftigt. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband forderte die Bundesregierung auf, die Argen beizubehalten. "Die im Koalitionsvertrag vorgeschlagene Lösung ist ein fauler Kompromiss auf dem Rücken Millionen Betroffener. Wenn sich dieser Vorschlag durchsetzt, geht der alte Ämterlauf wieder los und die Betroffenen stehen mit zwei oder mehr Bescheiden von verschiedenen Behörden da." Rechtsunsicherheit, zusätzlicher Bürokratieaufwand und damit verbundene Mehrkosten seien die Folge. "Die doppelte Datenerfassung, Leistungsprüfung und -bewilligung sind nicht umsonst zu haben. Es ist zu befürchten, dass der finanzielle Mehraufwand einmal mehr auf Kosten der Langzeitarbeitslosen geht", so der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Werner Hesse. Es wird spannend, wie sich die neue Arbeitsministerin dazu verhält.


"Der Sozialstaat gehört allen!" - Wohnungslosenhilfe beschließt Kampagne

www.bag-wohnungslosenhilfe.de. Existenzbedrohende Problemlagen wie Wohnungsnot, Armut und soziale Ausgrenzung tauchen im Vokabular der neuen Bundesregierung nicht auf. Damit sich dies ändert, hat die BAG Wohnungslosenhilfe, der bundesweite Dachverband der Wohnungslosenhilfe in Deutschland, auf seinem Bundeskongress in München für das Jahr 2010 eine öffentliche Kampagne beschlossen. "Der Sozialstaat gehört allen!" so lautet das Motto der geplanten Aktionen. "Wir erwarten von der Bundesregierung konkrete Maßnahmen bei der Verhinderung von Wohnungsverlusten, der Beteiligung von Menschen in Wohnungsnot am Arbeitsleben und der medizinischen Versorgung Wohnungsloser", so Winfried Uhrig, Vorsitzender der BAG Wohnungslosenhilfe in München.

Die BAGW lehnt die Überlegungen der Bundesregierung zur Pauschalierung der Energie- und Nebenkosten sowie der Kosten der Unterkunft ab. Schon jetzt seien die nicht an den örtlichen Mietspiegeln angepassten Mietobergrenzen und pauschale Begrenzungen der Betriebs- und Heizkosten für viele arme Haushalte ein weiterer Einstieg in die Verschuldungsspirale, die letztlich zu Mietrückständen und damit zu Wohnungsverlusten führen könnte.

"Ebenso erwarten wir ein Ende des staatlich festgelegten Auszugsverbots für junge Frauen und Männer, die weder über gut situierte Eltern noch über einen Arbeitsplatz verfügen!" so Uhrig. Unter-25-Jährige erhalten Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II nur, wenn der kommunale Träger diese vor Abschluss des Mietvertrages zugesichert hat. Viele dieser jungen Leute in prekären Lebenssituationen, ohne Job und ohne Ausbildung, fliehen aber vor unhaltbaren häuslichen Verhältnissen oder werden von den Eltern vor die Tür gesetzt und landen dann in prekären und nicht selten von Gewalt und Missbrauch geprägten Lebenssituationen. Maßnahmen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten, die besonderen Notlagen der Unter-25-Jährigen sowie das Recht auf Gesundheit für Wohnungslose und Arme werden Schwerpunkte der geplanten Kampagne sein.


EU zwingt Staaten zum Bau von Atomendlagern

Die Welt. 29.11. hav. Die Europäische Union plant, im ersten Halbjahr 2010 eine Verordnung für die Entsorgung von Atommüll vorzulegen. Brüssel will damit den Druck auf die Mitgliedstaaten erhöhen, endlich mit dem Bau von Endlagern für Nuklear-Abfälle voran zu kommen. Bislang fielen die Atomkraft und die nationale Ausgestaltung des Energiemixes generell nicht in die Zuständigkeit der EU-Kommission. Allem Anschein nach rechnet die EU-Kommission damit, die Pläne unter dem designierten Energiekommissar Günther Oettinger umsetzen zu können. Der baden-württembergische Ministerpräsident hatte sich wiederholt zur Atomkraft bekannt. Im Bundestagswahlkampf hatte der Unionspolitiker unter anderem eine unbegrenzte Laufzeitverlängerung für deutsche Reaktoren befürwortet. Die Energieversorgung von Baden-Württemberg hängt in besonderem Maße von Atomkraftwerken ab. Brüssel kritisiert schon seit langem die schleppende Entwicklung von Atomendlagern in den Mitgliedstaaten. Die frühere EU-Kommissarin Loyola de Palacio hatte bereits 2002 verlangt, die Regierungen sollten bis zum Jahr 2008 ein Endlagerkonzept für radioaktive Abfälle vorlegen. Damit wollte de Palacio das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Atomenergie stärken. Sie drang mit ihrem Anliegen jedoch nicht durch.

Die europäischen Atomkraftwerke decken derzeit rund ein Drittel des Strombedarfs. Vor allem in Frankreich und Großbritannien sind Pläne zum Neubau von Atomkraftwerken bereits weit fortgeschritten oder bereits in der Realisierung, obwohl dort noch immer kein Endlager existiert. Lediglich in Finnland ist die Einrichtung eines Endlagers für hochradioaktive Abfälle bereits weit fortgeschritten.

Raute

USA - China

Der Dollar, der Yuan und die Weltfinanzmärkte

Der erste Staatsbesuch von US-Präsident Obama in China Mitte November war wie üblich im Vorfeld von zahlreichen Spekulationen begleitet. Obamas Reise signalisiere eine neue pazifische Politik der USA. Asien als neues Schwergewicht der Weltwirtschaft interessiere die USA mehr als Europa, hieß es. Die alte und die neue Supermacht träfen aufeinander, war zu lesen. Von Konflikten im Handels- und Währungsbereich war die Rede, die Thema der Begegnung zwischen Obama und Chinas Staats- und Regierungschef Hu Jintao sein würden.


China bald zweitstärkste Wirtschaftsmacht

Tatsächlich meldet die Volksrepublik China auch in diesem Jahr ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum. Hier die sechs führenden Wirtschaftsmächte im vergangenen Jahr, nach Daten des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden:

Die letzten Konjunkturprognosen erwarten für die USA in 2009 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um ca. 2,7 Prozent. In Japan dürfte das Bruttoinlandprodukt um 5,7% fallen, in der EU um durchschnittlich 4%, in Deutschland vermutlich ähnlich wie in Japan um ca. 5,5 Prozent. Die chinesische Wirtschaft dagegen wächst 2009 trotz rückläufiger Exporte erneut um mehr als 8 Prozent. 2010 dürfte die Volksrepublik bei gleichbleibendem Wachstumstempo Japan überholen. China steigt damit zur zweitstärksten globalen Wirtschaftsmacht hinter den USA auf.


Land

Bruttoinlandprodukt
­2008
Bevölkerung

BIP pro Kopf

USA
Japan
China
BRD
Frankreich
Großbritannien
14.441 Mrd. US-$
4.911 Mrd. US-$
4.327 Mrd. US-$
3.673 Mrd. US-$
2.867 Mrd. US-$
2.680 Mrd. US-$
304 Mio.
128 Mio.
1.325 Mio.
82 Mio.
62 Mio.
61 Mio.
47.503 US-$
38.367 US-$
3.266 US-$
44.793 US-$
46.242 US-$
43.934 US-$

Unterschiedliche Entwicklungen

Das enorme Wachstum der chinesischen Wirtschaft ist in diesem Jahr vollständig eine Folge des schnell wachsenden Binnenmarktes, der durch massive Konjunkturprogramme der Regierung zusätzlich angefeuert wird. Im Oktober lag der Einzelhandelsumsatz in China um 16,2% höher als im Vorjahr. Die Industrieproduktion lag um 16,1% höher. Der Absatz von Fahrzeugen übertraf die Vorjahreszahl sogar um über 70%. Für VW beispielsweise ist China bereits der weltgrößte Absatzmarkt. Die chinesischen Exporte in andere Länder dagegen, Anfang 2009 unter dem Eindruck der internationalen Finanzkrise zeitweise um mehr als 25% eingebrochen, lagen im Oktober immer noch fast 14% niedriger als ein Jahr davor. Obwohl die chinesische Regierung die wirtschaftliche Situation weiter als sehr labil einstuft, scheint die Umstellung von einer extrem exportgetriebenen Konjunktur zu einem schnell wachsenden Binnenmarkt zur Zeit zu funktionieren.

In den USA dagegen hat die Regierung Obama für Anfang Dezember Gewerkschaften, Unternehmen und Sachverständige zu einem Job-Gipfel eingeladen. Die amtliche Arbeitslosenzahl liegt bei über 10 Prozent. Das ist der höchste amtliche Wert in den USA seit 1983. Die tatsächliche Arbeitslosenzahl, so kürzlich das "Wall Street Journal", soll sogar bei fast 18% liegen und damit auf dem höchsten Stand seit der Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts. Allein das verdeutlicht die gravierende Krise, mit der die US-Regierung weiter zu kämpfen hat.

Gleichzeitig meldet das US-Schatzamt für das gerade abgelaufene Haushaltsjahr ein Defizit des Bundes von 1420 Milliarden US-Dollar. Das sind eine Neuverschuldung von fast 10% des Bruttoinlandprodukts der USA. Für das kommende Jahr erwarten alle Prognosen einen weiteren Anstieg der staatlichen Neuverschuldung in den USA, verbunden mit einem geringen wirtschaftlichen Wachstum von 2 bis 2,5 Prozent. Gegenüber dem US-Sender Fox News warnte Obama bei seinem Besuch in Peking, der weitere Anstieg der US-Schulden könne eine neue Vertrauenskrise bei den Verbrauchern auslösen und damit eine "Rückkehr der Rezession". Hinzu kommt das weiterhin ungelöste Thema Außenhandelsdefizit der USA. Im Oktober ist das enorme US-Außenhandelsdefizit, in den vergangenen Monaten wegen des niedrigen Dollarkurses zeitweilig etwas gesunken, wieder gestiegen. Das dürfte sich fortsetzen. Denn die steigenden Ölpreise drücken die USImportwerte wieder nach oben.


Spekulationen um Dollar und Yuan

Diese unterschiedlichen Entwicklungen in beiden Staaten heizen die Spekulationen um das künftige Verhältnis der Währungen beider Länder und damit auch über die künftige Rolle des Dollar weiter an.

Im Springer-Blatt "Die Welt" beispielsweise fabulierte am 18. November, einen Tag nach dem Peking-Besuch Obamas, ein Autor über einen heraufziehenden "Weltkrieg der Währungen". Seit Mitte 2008 halte Peking den Kurs des Yuan "stur bei 6,83 Yuan pro Dollar, obwohl die Kaufkraft des chinesischen Geldes nach Kalkulationen von Ökonomen um 20 bis 30 Prozent höher liegt. Da sich der Wert des Greenback in dieser Zeit gegenüber anderen Valuten deutlich abgeschwächt hat, bedeutet das auch eine Verbilligung des Yuan zum Nachteil anderer Exportnationen" - sprich: dem Euro.

Dass die innere Kaufkraft der Währung gegenüber dem Dollar höher liegt als der amtliche Wechselkurs, ist bei Schwellenländern wie China normal. Denn zur inneren Kaufkraft gehören beispielsweise die Kosten für Wohnraum und Nahrungsmittel. Dass diese Preise bei einem Land wie China niedriger liegen als in den USA, ist nun wirklich nicht verwunderlich. Die Absicht des "Welt"-Autors ist durchsichtig. Er macht Stimmung für eine Aufwertung der chinesischen Währung Yuan gegenüber dem Dollar und dem Euro, um so deutschen Konzernen zu erleichtern, ihre Stellung als "Exportweltmeister aller Klassen" zu verteidigen bzw. wiederherzustellen.

Ähnliche Absichten zur Schürung der Spannungen gibt es auch in den USA. Zwei US-Senatoren forderten nach Obamas Rückkehr aus Peking, das US-Handelsministerium solle angebliche chinesische Manipulationen des Yuan-Kurses überprüfen. Die chinesische Währung sei künstlich unterbewertet. Das koste in den USA Arbeitsplätze. Das US-Handelsministerium wies die Anfrage ab.

Auf der anderen Seite nehmen die Spannungen zwischen den USA und China in Währungsfragen tatsächlich zu. Die chinesische Zentralbank besitzt fast 800 Milliarden Dollar US-Staatsschuldpapiere. Noch vor Saudi-Arabien und Japan ist sie größter ausländischer Gläubiger der USA. Jede Abwertung des Dollars gegenüber anderen Währungen verringert für die chinesische Zentralbank den Wert ihrer US-Schatzpapiere. Kein Wunder, dass die chinesische Zentralbank irritiert ist über die US-Politik eines billigen Dollars. In die gleiche Richtung gehen Warnungen chinesischer Investoren, die USA könnten sich ihrer Auslandsschulden durch eine Inflation entledigen wollen. Auch das würde den Wert der US-Schulden für ausländische Gläubiger senken.

Die chinesische Regierung scheint bereit, den Yuan in nächster Zeit - in den Medien ist die Rede von 2010 - geringfügig gegenüber dem Dollar aufzuwerten. In der Hongkonger Presse ist von 2 bis 3 Prozent Aufwertung pro Jahr die Rede. Gleichzeitig verschärft aber die chinesische Regierung ihren Druck auf die USA, damit diese ihre Zinsen anzieht und so den Kurs des Dollars stabilisiert.

Einen Tag vor der Pressekonferenz von Obama mit Chinas Staatschef Hu in Peking berichtete das "Handelsblatt" unter der Überschrift "China wirft USA riskante Geldpolitik vor": Ein hochrangiger Mitarbeiter des Finanzministerium in Peking werfe den USA vor, durch die Politik des billigen Geldes die globale Erholung zu gefährden. Die billige Kreditvergabe der US-Zentralbank sowie der schwache Dollar seien "systemische Risiken", so Chinas oberster Bankenaufseher Liu Mingkang. "Die Kombination aus schwachem Dollar und niedrigen Leitzinsen habe den Handel mit 'riesigen Carry Trades' befördert, so Liu in der 'Financial Times'. Bei Carry Trades verschulden sich Investoren in der Niedrigzinswährung Dollar und legen dieses Geld in höher verzinsten anderen Währungen oder Anlageklassen wie Aktien und Rohstoffen an", erläutert das Handelsblatt seinen Lesern.

Der globale Anstieg des Goldpreises beispielsweise wird unter anderem auf solche "Carry Traders" zurück geführt. Bei der US-Notenbank Kredite aufnehmen zu einem Zinssatz von 1% und mit dem so geliehenen Geld den Goldpreis um 20 oder mehr Prozent in die Höhe treiben, ist jedenfalls ein lohnendes Geschäft - solange es funktioniert.


Lösung Korbwährung?

Um die Abhängigkeit vom Dollar und US-Staatsschuldpapieren schrittweise abzubauen, verfolgt die chinesische Regierung seit einiger Zeit eine Politik der schrittweisen Zurückdrängung des Dollar als Weltleitwährung, beispielsweise im IWF. Ein Korb aus wichtigen Währungen - darunter der Dollar, der Euro, der Schweizer Franken, das britische Pfund, der japanische Yen und der Yuan - soll für mehr Sicherheit auf den Weltwährungs- und Finanzmärkten sorgen. Das scheint der Plan zu sein.

Auf dem Weg dahin gibt es aber jede Menge Probleme. Der Nachrichtensender n-tv zitierte in seiner "Telebörse" kürzlich einen Fondsmanager, der dazu ausführte: "Die Strategie der Chinesen ist sicherlich richtig ... Sie sollten diese Vorgehensweise aber nicht direkt in die ganze Welt hinaus rufen", sonst könne es zum Beispiel sein, dass chinesische Anleger weniger in Yuan und mehr in andere Fremdwährungen investierten. Das Ergebnis könne "die Verringerung der eigenen Reserven in heimischer Währung sein."

Wie auch immer: Ob es überhaupt zu einer solchen "Korbwährung" kommt oder zu einem Verbund mehrerer wichtiger Währungen, ist bislang extrem unsicher. Selbst wenn, dürfte bis dahin noch ein weiter Weg sein.   rül


Auch die EU macht Druck

Auch die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank drängen die chinesische Regierung zu einer Aufwertung des Yuan. Am 29.11. meldete die "Deutsche Welle": "Die Europäische Union drängt China zu einer Aufwertung seiner Währung, um das europäische Handelsdefizit mit der Volksrepublik abzubauen. Der Chef der europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, der Vorsitzende der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, und Wirtschafts- und Währungskommissar Joaquín Almunia waren in der ostchinesischen Stadt Nanjing zu Beratungen mit chinesischen Wirtschaftsvertretern zusammengekommen. Aus europäischer Sicht ist die chinesische Währung Yuan unterbewertet. Dies verteuert EU-Exporte nach China und verbilligt künstlich chinesische Ausfuhren. Die Wirtschaftsberatungen erfolgten nur einen Tag vor dem EU-China-Gipfel am Montag in Nanjing, an dem auch Chinas Regierungschef Wen Jiabao teilnimmt."

Hintergrund sind pessimistische Konjunkturerwartungen für den EU-Raum. IWF und EU-Kommission erwarten 2010 ein weltweites Wirtschaftswachstum von 3 Prozent, in der Euro-Zone aber nur von 0,7 Prozent. Eine Aufwertung des Yuan würde Exporte aus China in den EU-Raum verteuern und damit begrenzen. Waren aus der EU würden dagegen in China billiger, ihr Export in das Land erleichtert.


Quellen: Handelsblatt, 16.11.; FAZ-Net, Wirtschaftswoche, Zeit-Online, China Observer, 17.11.09; Die Welt, Reuters, 18.11.09; German. China.org.cn, 24.11.09

Raute

Afghanistaneinsatz der Bundeswehr

Merkel im Zwielicht

Über den ungefähren Sachverhalt des von der Bundeswehr ausgelösten Kundus-Massakers war die Weltöffentlichkeit eigentlich schon tags darauf durch die Stellungnahme des Oberkommandierenden der McCrystal gut unterrichtet. Auch in der öffentlichen Meinung der BRD gab es unmissverständliche Hinweise, dass ein Bombardement der festgefahrenen Tanklastzüge militärisch nicht zu begründen war, davon zeugen z.B. die Leserbriefspalten der großen Zeitungen. Die Vorgesetzten des Täters, in letzter Instanz die Bundesregierung, unternahmen und unterließen jedoch allerhand, um ein Ermittlungsverfahren gegen den verantwortlichen Offizier der Bundeswehr nicht in Gang kommen zu lassen oder zumindest zu verzögern.

Die Gründe für dieses Verhalten sind schnell aufgelistet. Eine sofortige Untersuchung und Ahndung der Tat hätte die Skepsis, die wegen dieses Einsatzes in der Bevölkerung besteht, verstärkt. Sie hätte die Einsatzbereitschaft der belasteten Truppe gemindert. Der Spielraum der Bundesregierung wäre auf doppelte Weise verengt worden: Die öffentliche Meinung beeinflusst, was Parlament und Regierung beschließen können, die Moral der kämpfenden Truppe ist ausschlaggebend für den Erfolg. Die große Koalition hat ihren Kurs aus Gründen der Staatsraison eingeschlagen. Man wollte die Autorität der Staatsmacht groß und die Handlungsspielräume weit halten.


Die Logik der Tat

Inzwischen sind die Materialien, die dem befehlsgebenden Offizier zur Lagebeurteilung vorlagen, ziemlich detailliert bekannt. Diese Unterlagen - Mitschnitt von Gesprächen mit der Bomberstaffel, Video-Aufnahme des Schauplatzes u.v.a.m. - zeigen, dass mit diesen im Sand festgefahrenen Tanklastzügen niemand in der Lage gewesen wäre, irgendwen anzugreifen. Der Vorschlag der Bomberpiloten, durch einen oder mehrere Scheinangriffe Schaulustige vor dem bevorstehenden Bombardement zu warnen, wurde zurückgewiesen. Es bleibt die Frage, was den Oberst K. bewog, einen Befehl zu erteilen, der eine große Zahl von Menschenleben ausradierte. Dafür mögen Traditionen ausschlaggebend sein, die von der Wehrmacht auf die Bundeswehr gekommen sind.

Bei der Verarbeitung der Kriegserlebnisse in der westdeutschen Bevölkerung war der Hass gegen irreguläre Kämpfer, gegen Partisanen eine Einstellung, die das Naziregime überdauerte und bis in die sechziger Jahre herrschende Meinung blieb. Im moralischen Empfinden der ehemaligen Wehrmachtssoldaten war die Repressalie gegen Partisanen und gegen Kräfte, die sie unterstützen, gerechtfertigt. Truppen wie die Gebirgsjäger führen den Vollzug solcher Repressalien in ihrer Tradition bis heute zustimmend mit sich. Und wenn es auch im Lauf der Jahrzehnte klares Recht wurde, dass dergleichen als Verbrechen zu werten ist, zog sich die gerichtliche Verfolgung hin, bis die große Zahl der Verantwortlichen verstorben waren.

Das Kundus-Massaker trägt die Züge einer Repressalie. Der Oberst K. konnte nach dem vorliegenden Material davon ausgehen, dass die versammelte Menschenmenge sich jedenfalls nicht aktiv gegen die ebenfalls anwesenden Taliban wandte. Das war ihm ausreichend, um sie töten zu lassen. "Sinn" gibt ein solches Vorgehen nur im Geist der Tradition der Partisanenbekämpfung, die zivile Menschen nur schont, wenn sie am Kampf gegen die Partisanen teilnehmen, wenigstens durch Verrat und Spitzeldienste.


Staatsmacht am Scheideweg

Es wäre falsch, das Kundus-Massaker als einen traurigen Zwischenfall im Krieg abzuhaken, und es reicht auch nicht, das Ereignis als Fehlentscheidungen oder vielleicht sogar Verbrechen eines Einzelnen abzuurteilen. Hier geht es um Staatshandeln. Oberst K. hat einen durchaus komplizierten Verwaltungsakt vollzogen. Sein Handeln ist so gut wie lückenlos dokumentiert und nachvollziehbar. Es geht hier nicht um Täterwissen, das ein Beschuldigter verschweigen darf, sondern um aktenkundige Vorgänge, die den Vorgesetzten jederzeit zur Verfügung stehen.

Die Verzögerung der Ahndung verstrickt nicht nur die Vorgesetzten in die Tat, sie hat Einfluss auf die Rechtstreue der Apparate und damit auf den Charakter des Staates. Die "besonderen Formationen bewaffneter Menschen" funktionieren nicht nur im willenlosen Vollzug von Befehlen. Den einzelnen Menschen bleiben Ermessensspielräume, in denen sie ihre Praxis gestalten. Jeder Tag, der ins Land geht, ohne dass wegen des Verhaltens des Oberst K. auch nur ermittelt wird, verändert das Rechtsbewusstsein der Truppe, der Regierung, der ganzen Öffentlichkeit.

Die Tat des Oberst K. ergab sich im Dienst. Wie es einstweilen aussieht, hat er die unmittelbare Verantwortung persönlich zu tragen. Dies wäre erst anders, wenn z.B. dienstliche Dokumente auftauchten, die Repressalien gegen eventuelle Sympathisanten von Talibanakteuren empfehlen. Fragt man sich aber, ob die Bundeskanzlerin Frau Merkel von Amts wegen die Möglichkeit hatte, eine Untersuchung des Falls schleunigst in die Wege zu leiten und z.B. durch Dienstenthebung unmittelbar Verantwortlicher Zeichen zu setzen, so ist die Antwort eindeutig: Ja. Ebenso bedeutsam ist, dass die Sache nicht durch politische Selbstkontrolle der Institutionen in Gang gebracht wurde, sondern durch die Veröffentlichung von geheimen Material durch die Presse.

Sollte Frau Merkel, die dies alles hätte anders machen können, diese Sache überstehen, wird sie gleichwohl nicht mehr dieselbe sein. Ihre Integrität ist fraglich.


Die Opfer

Der Oberst K. hat als Glied einer Armee im Einsatz gehandelt. Was er tat kann den Bürgern, von denen die politische Macht ausgeht, angelastet werden. Die BRD bedarf der Verzeihung der Opfer, der Überlebenden, ihrer Nachkommen und der im weiten Sinne Betroffenen. Sie muss dazu einen ersten Schritt tun und dieser erste Schritt muss in der Bereitschaft bestehen, Entschädigung zu leisten.

Ein solch sichtbares Zeichen und in der jedem Bürger verständlichen Sprache des Geldes geleistete Eingeständnis würde auch das politische Nachdenken begünstigen. Sollte ein Staat wie die BRD, dessen Organe und personalen Träger die Wertvorstellungen und Traditionen der bekannten Geschichte mit sich schleppen, an Militäreinsätzen teilnehmen? Die politischen Parteien der BRD haben diese Frage, ausgenommen lediglich Die Linke, mit Ja beantwortet. Die Öffentlichkeit der BRD hat die politisch-historische Dimension des Kundus-Massakers ebenfalls noch nicht erfasst. Die Tat kann nicht gerechtfertigt werden, sie erklärt sich aus dem Fortleben von Traditionen in Staat und Gesellschaft der BRD, die eine Selbstbeschränkung gerade dieses Staatswesens gebieten.

Martin Fochler


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Generalinspekteur Schneiderhan und Minister Jung sind nicht mehr im Amt. Kanzlerin Merkel hat reagiert, nicht agiert.

Raute

AUSLANDSNACHRICHTEN

Frankreich: Umfassende Legalisierung der Illegalisierten!

Seit dem 12. Oktober kämpfen in Frankreich die "Sans Papiers", die Einwanderer ohne rechtlichen Aufenthaltstitel, für die Legalisierung ihres Aufenthaltes. Tausende waren Ende Oktober und in den ersten Novemberwochen im Streik, Dutzende Betriebe wurden besetzt. Am 14. November demonstrierten trotz strömenden Regens rund 5000 Menschen, unter ihnen zahlreiche Illegalisierte, durch Paris unter Transparenten wie: "Wir arbeiten hier, wir leben hier und wir bleiben hier", "Abschaffung der rassistischen Gesetze", "Wir alle unterstützen die Regularisierung der illegalen Einwanderer". Ein großes Polizeiaufgebot hinderte sie daran, zum Ministerium für "Migration und nationale Identität" zu gelangen. Auf der Abschlusskundgebung bekräftigte der Sprecher der Coordination des Sans Papiers 75, Anzoumane Sissoko, die Forderung nach umfassender Regularisierung für die Illegalisierten. Die illegalisierten Arbeitskräfte, sagte er, zahlten "Steuern in Höhe von annähernd zwei Millionen Euro" in den Haushalt. Erstmals finden die Illegalisierten Unterstützung durch die Gewerkschaften. Eine weitere Großdemonstration fand am 26. November statt. Im letzten Jahr waren dank eines Streiks der Sans Papiers 2.800 legalisiert worden.


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"Weihnacht nach Rassisten-Art" ...

­... überschreibt das Schweizer "Tagblatt" einen Artikel über die neueste rassistische Kampagne der italienischen Lega Nord, die in dem 7000-Einwohner-Ort Coccaglio nahe Brescia ihren Ausgangspunkt nahm und inzwischen von etlichen anderen Orten aufgenommen wurde. Seit dem 25. Oktober schickt der Lega-Nord-Bürgermeister die Polizei mit der Weisung aus, bis Weihnachten per Hausbesuch sämtliche in der Kommune lebende Migranten zu kontrollieren, deren Aufenthaltserlaubnis in den letzten Wochen ausgelaufen war bzw. deren Auslaufen bevorstand. Infolge der Verschärfung der Ausländergesetzgebung werden Aufenthaltsgenehmigungen inzwischen nur noch für ein Jahr erteilt und sind an einen Arbeitsplatz gebunden. Nach einer weiteren Verschärfung der Gesetzgebung wurde "Illegalität" zum schweren Straftatbestand und der Migrant, dessen Genehmigung auslief, von einem Tag auf den anderen zum "Kriminellen". Auf diese "Kriminellen" machte also die Kommunalverwaltung Jagd unter dem Motto: "Weiße Weihnacht". Betroffen sind in dem kleinen Ort Coccaglio viele. Die Zahl der Migranten ist seit 1998 von 180 auf heute rund 1.600 gestiegen. Hauptgrund sind die vielen kleinen Betriebe im Umland von Brescia mit ihrer regen Nachfrage nach Niedrigstlohnarbeitern. Jetzt in der Krise wurden viele Migranten entlassen - und prompt "illegal". Rund 400 der 1.600 Migranten sollen in zwei Monaten ausgewiesen werden. Die Gewerkschaften kritisieren das zu Recht als faschistische Maßnahme. Auch der Präsident der Bischofskonferenz Bagnasco mahnt, Aufnahmebereitschaft sei Teil der Weihnachtsbotschaft und gehöre für die Kirche zu "ihrer tiefsten DNA".

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Diskriminierender Alltag: Eine Tafel verbietet die Verschleierung


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Italien: Haftstrafe für Menschenretter

Das Gericht im sizilianischen Agrigento hat am 17. November zwar sieben tunesische Fischer vom Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einreise freigesprochen, aber die beiden Kapitäne der "Morthada" und der "Mohamed El Hedi" zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt, weil sie angeblich Widerstand gegen die Staatsgewalt und gegen ein Kriegsschiff leisteten. Am 8.8.07 hatten sie 44 Flüchtlinge aus Seenot gerettet, zwei Jahre Prozess wegen Beihilfe zur illegalen Einreise folgten. Bei aufgewühlter See versuchten Küstenwache und Zoll damals gefährliche Manöver, um die Fischer aufzuhalten, die die Flüchtlinge nach Lampedusa bringen wollten. Nun wurden ihnen die nötigen Ausweichmanöver als Widerstand gegen die Staatsgewalt und ein Kriegsschiff ausgelegt. Die Verurteilten gehen in Berufung.


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Kosovo: Soziale Lage eine "tickende Bombe" ...

­... aber die Bundesregierung will abschieben Aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass die Bundesregierung rund 14.000 Menschen in den Kosovo abzuschieben droht, darunter ca. 10.000 Roma. Flüchtlings- und andere Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Absicht, Amnesty international weist darauf hin, dass gerade den Roma schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen wie Übergriffe auf Leib und Leben und schwerwiegende Diskriminierung drohen.

Eine jüngst veröffentlichte Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung bezeichnet die wirtschaftliche und soziale Situation im Kosovo als "tickende Bombe". Die "EU-Rechtsstaatsmission EULEX" habe praktisch keine Erfolge aufzuweisen. Fast 40% der Menschen im Kosovo leben in Armut, davon rund 15% in extremer Armut, d.h. sie müssen mit weniger als umgerechnet 90 Cent pro Tag auskommen. Die Arbeitslosenquote beträgt etwa 45%, bei den Jugendlichen sogar fast 70%, unter den Roma 100%. Insgesamt ist die Situation der Minderheiten, vor allem der Bosniaken, Türken, Roma, Goraner/Goranci, Ashkalli und Ägypter, katastrophal und habe sich seit der "Unabhängigkeit" 2008 noch weiter verschlechtert. Zum Beispiel müssen 670 Roma in einem eigentlich als Zwischenlösung gedachten Lager unmittelbar neben den bleiverseuchten Abraumhalten der stillgelegten Trepca-Minen leben mit allen Folgen für ihre Gesundheit und vor allem für die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder.

Zusammestellung: scc

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REGIONALES UND GEWERKSCHAFTLICHES

AKTIONEN ... INITIATIVEN


Bundesweiter Bildungsstreik: 85.000 starten in den heißen Herbst

BERLIN. Am 17. November 2009 protestierten im Rahmen des Bundesweiten Bildungsstreiks erneut über 85.000 SchülerInnen, Studierende und Auszubildende in Deutschland dezentral in über 60 Städten für ein besseres Bildungssystem. Gemeinsam streben die DemonstrantInnen die sofortige Umsetzung folgender Verbesserungen an: Die Abschaffung von Kopfnoten und des sozial selektiven mehrgliedrigen Schulsystems, kleinere Klassen und Seminare sowie mehr Lehrpersonal an Schulen und Hochschulen. Sie halten sowohl an der Forderung nach einem Ausbau von Studienplätzen als auch ihrer Ablehnung des Turbo-Abiturs (Abitur nach 12 Jahren) fest. Großkonzerne bzw. das Militär sollen auf Schulen und Hochschulen keinen Einfluss mehr haben. Bildung muss selbstbestimmt, demokratisch, kostenlos und für jede/n verfügbar werden. Die bisherigen Reaktionen der Politiker/innen bezeichnen aktive Schüler/innen und Studierende in den Bildungsstreikbündnissen als vollkommen unzureichend.

Auch auf europäischer - und vereinzelt auch auf globaler Ebene - markierte der 17. November 2009 einen wichtigen Tag. Als Teil der "Global Week of Action" fanden u.a. in Italien (150.000 Menschen über 50 Städten), in Österreich, in Frankreich (in über 20 Städte), in der Schweiz und in Polen Kundgebungen, Demonstrationen und Schulblockaden statt. Außerdem gab es Proteste in Städten in Ungarn, den USA und einigen asiatischen Ländern. Unter dem internationalen Motto "Education is NOT for $A£€!" wurde zudem weltweit vielfältig und entschlossen gegen die Kommerzialisierung und Privatisierung von öffentlicher Bildung protestiert. In Österreich und Deutschland besetzen seit Wochen Studierende Hörsäle in ihren Hochschulen, um auf die miserablen Bildungsbedingungen und einen fehlenden freien Zugang zu Bildung aufmerksam zu machen. Trotz erster Erfolge des Protestes, wie beispielsweise die Abschaffung der Studiengebühren in Hessen, - laut Koalitionsvertrag - im Saarland und der Einsicht der Kultusminister/innen, dass die Studiengänge des Bachelor/Master-System in der bisherigen Form nicht aufrecht erhalten werden können, gibt es gute Gründe den Streik fortzusetzen. Anfang Dezember wird eine weitere bundesweite Bildungsstreikwoche stattfinden. Verschiedene Aktionen sind bereits geplant und gründen sich auf die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Missständen des Bildungssystems. Am 10. Dezember 2009 findet im Wissenschaftszentrum in Bonn die Kultusminister/innenkonferenz statt, bei der alle 16 Minister/innen zusammenkommen. Es ist nicht absehbar, dass diese sich dabei wirklich ernsthaft auf die Forderungen der Schüler/innen und Studierenden zu bewegen werden. Dies nimmt die Bundesweite Projektgruppe Bildungsstreik zum Anlass, um erneut zu einer Demonstration und friedlichen Blockade der KMK aufzurufen. Das Motto lautet: "Kultusminister/innen nachsitzen!".   www.bildungsstreik.net


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10.000 Stimmen demonstrierten gegen die Hochschulrektorenkonferenz

LEIPZIG. Am 24. November 2009 demonstrierten in Leipzig über 10.000 Menschen gegen die Versammlung der Hochschulrektorenkonferenz (Hrk). Der Presseerklärung der Hrk zufolge haben die Hochschulen alles richtig gemacht und die Schuld liege allein bei den Ländern. Das sehen die demonstrierenden StudentInnen definitiv anders. "Die Hochschulrektorenkonferenz treibt das Spiel der gegenseitigen Schuldzuweisung zwischen Bund, Ländern und Hochschulen weiter voran. Diese Schuldzuweisungen wurden schon in den letzten Wochen fälschlicherweise als Verständnis für die Probleme der StudentInnen gedeutet", erklärt Thomas Warnau, Mitglied im Vorstand des freien Zusammenschlusses von StudentInnenschaften (fzs) "Die enorme Prüfungslast, Anwesenheitspflicht in fast allen Veranstaltungen, sowie falsche Workload-Angaben sind nicht durch Regelungen der Landesregierungen entstanden. Dies sind Punkte, die die Hochschulen umgehend ändern müssen, wenn Sie ernsthaft Verständnis für die Forderungen der StudentInnen haben", erläutert Anja Gadow, ebenfalls Mitglied im Vorstand des studentischen Dachverbands.
www.fzs.de


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Frauenhauskoordinierung fordert bessere Unterstützung

FRANKFURT a.M. Zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2009 hat die Frauenhauskoordinierung (ein Zusammenschluss von 260 Frauenhäusern) Bund und Länder aufgefordert, endlich für eine zuverlässige finanzielle Absicherung der rund 360 Frauenhäuser in Deutschland zu sorgen. Die derzeitigen Finanzierungsregelungen erschwerten von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und deren Kindern die Zuflucht in einem Frauenhaus. Besonders hart betroffen seien Auszubildende, Studentinnen und Frauen aus anderen EU-Ländern sowie Frauen mit geringem Einkommen.

Etwa 40.000 Frauen und Kinder suchen jährlich Schutz im Frauenhaus. Mehr als 90 Prozent von ihnen sind im "erwerbsfähigen" Alter und fallen damit meist in den Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches II, das die Grundsicherung für Arbeitsuchende regelt und als Finanzierungsgrundlage für den Frauenhausaufenthalt dient. Folge seien aufwendige Überprüfungen von Erwerbsfähigkeit und Hilfsbedürftigkeit der betroffenen Frauen sowie eine mögliche Anrechnung von Erspartem, kritisiert Gabriele Glorius, Vorstandsvorsitzende der Frauenhauskoordinierung. Frauen mit geringem Verdienst drohe häufig sogar die Verschuldung, wenn sie selbst zur Finanzierung ihres Aufenthalts im Frauenhaus herangezogen würden.

Der Verein Frauenhauskoordinierung fordert: Die Finanzierung der Unterkunft und die Unterstützung im Frauenhaus über einzelfallbezogene Tagessätze muss abgeschafft werden. Stattdessen müsse es eine Planungssicherheit für Frauenhäuser und Frauenunterstützungseinrichtungen geben. Glorius: "Wir brauchen dringend einen Rechtsanspruch auf Schutz und Zuflucht sowie Beratung und Unterstützung für Opfer häuslicher Gewalt." Zu diesen Opfern zählten auch viele Kinder, die entweder durch das Miterleben der Gewalthandlungen gegen ihre Mutter traumatisiert würden oder selbst direkter Gewalt ausgesetzt seien. "Häusliche Gewalt bedeutet auch eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls. Um so unbegreiflicher ist die Zurückhaltung der politisch Verantwortlichen, für eine zuverlässige Finanzierung dieser Schutz- und Hilfeeinrichtungen zu sorgen."   www.frauenhauskoordinierung.de


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Europäische Kampagne: Stopp für Flughafenausbau und Luftverkehr

FRANKFURT a.M. Auf einer großen Konferenz in Brüssel (31.10.-1.11.2009) haben Umweltaktivisten und Flughafenausbaugegner beraten, wie das ständige Wachstum des Flugverkehrs zu stoppen ist. Aktivisten aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Luxemburg, Belgien, der Schweiz, Spanien und Norwegen haben sich am vergangen Wochenende getroffen, um Aktionen zu koordinieren, die den weiteren Ausbau von Flughäfen wenden. Die Europäische Vereinigung gegen die schädlichen Auswirkungen des Luftverkehrs (UECNA) hatte zahlreiche Mitglieder von Flughafenausbaugegner aus London, Paris, Nantes, Brüssel, Luxemburg, Basel, Zürich, Rom, Siena u. a., sowie die Umweltorganisation Robin Wood, Green Peace, Transport&Enviroment und BiofuelWatch als auch Mitglieder von Gruppen, die direkte Aktionen machen, wie zum Beispiel Plane Stupid von London Heathrow eingeladen.

Aus Deutschland haben an der Konferenz Vertreters des Bündnisses der Bürgerinitiativen: "Kein Flughafenausbau - für ein Nachtflugverbot" (BBI) aus Frankfurt, die Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms (IGF) e. V., ein Vertreter der Mahnwache im Kelsterbacher Wald, die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) e. V. und der Deutsche Fluglärmdienst (DFLD) teilgenommen. John Stewart, von Heathrow Association for the Control of Aircraft Noise (HACAN) die sich gegen den Ausbau von London-Heathrow wendet und einer der Organisatoren der Konferenz sagte: "Wir alle gehen davon aus, dass die Ausweitung des Flugverkehrs in Europa weder notwendig noch nachhaltig ist. Viele europäische Flugstrecken können mit der Bahn zurückgelegt werden. Der ständig wachsende Flugverkehr ist die Hauptursache für den weiter fortschreiten Klimawandel. Millionen von Menschen werden durch Fluglärm belästigt. Neu- und Ausbau von Flughäfen versiegeln in ganz Europa wertvolle Naturflächen. In den kommenden Jahren werden die Flughafenausbaugegner und Umweltorganisationen ihre Zusammenarbeit auf europäischer Ebene weiter verstärken. Ein gegenseitiger Informationsaustauch ist vereinbart, es wird gemeinsame Manifestationen, Demonstrationen und zahlreiche weitere Aktivitäten geben.  www.flughafen-bi.de


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Demonstration für eine humanitäre Bleiberechtsregelung

BREMEN. Im Vorfeld der Innenministerkonferenz am 3./4.12. in Bremen rufen der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein und Pro Asyl zu einer Demonstration am 2. Dezember in Bremen auf. Das politische Versprechen, Kettenduldungen abzuschaffen, wurde bis heute nicht eingelöst. Die Altfallregelung vom Sommer 2007, die Ende des Jahres ausläuft, hat nur einen kleinen Teil der Betroffenen begünstigt. Restriktiv gefasste Ausschlussgründe und die Festlegung auf einen Einreisestichtag ließen viele Geduldete von vorneherein ohne Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht. "Wenn die Politik jetzt nicht handelt, stehen am Neujahrstag Tausende vor der Abschiebung", so Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Die Initiatoren der Demonstration fordern deswegen eine großzügige Bleiberechtsregelung: "Sie soll statt eines Einreisestichtags eine Mindestaufenthaltszeit vorsehen und ist von dem Erfordernis der eigenständigen überwiegenden Lebensunterhaltssicherung zu befreien. Auf restriktive Ausschlussgründe ist zu verzichten. Nur auf diesem Wege - und nicht mittels der Verlängerung eines untauglichen Gesetzes - ist mittelfristig die Abschaffung der Kettenduldungen möglich."   www.frsh.de


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Thüringen: Proteste gegen NPD-Landesparteitag

KIRCHHEIM/THÜRINGEN. In Kirchheim fand am 21. November 2009 der größte Protest seit Bestehen des dortigen Nazizentrums statt. Mehr als 100 Menschen demonstrierten in dem Dorf zwischen Arnstadt und Erfurt gegen den Landesparteitag der NPD, der wie bereits im Februar diesen Jahres im Fachwerkhof Kutz gastierte. Angesichts der Häufung solcher Treffen in Kirchheim hatten kurz zuvor die Bündnisse gegen Rechtsextremismus aus Kirchheim und Arnstadt, das Bündnis gegen Rechts Gera, das Aktionsnetzwerk Jena und das Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus Weimar eine "Kirchheimer Erklärung" verabschiedet, mit der sie sich dagegen wehren wollen, dass sich "ein neues Schulungs- und Veranstaltungszentrum der rechten Szene in Kirchheim" etablieren könnte. "Dagegen müssen alle demokratischen Kräfte zusammen stehen - von der Landesregierung und der Landeshauptstadt Erfurt bis zu den örtlichen Entscheidungsträgern, von den Unternehmen des Gewerbegebietes Erfurter Kreuz bis zu den Kleinbetrieben des Ortes, von den Kulturschaffenden bis zu den Vertretern der Kirchen, von den Vereinen bis zu den Bürgerinnen und Bürgern der Region selbst", heißt es in der Erklärung. Die Kundgebung, die von 10 bis 12 Uhr dauerte und die anreisenden 50 bis 60 NPD-Delegierten gebührend begrüßte, wurde nach einer kleinen und spontanen Demonstration durch den Ort beendet.   http://agst.antifa.net/archiv/text319.htm


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NRW-Anti-Atom-Bewegung macht Druck

KÖLN. Am 23. November 2009 trafen sich in Köln rund 50 Leute aus diversen Anti-Atomkraft-Initiativen in NRW. Fast drei Monate nach der Großdemo in Berlin, zwei Monate nach der Bundestagswahl und zehn Tage nach der Ankündigung, noch in 2009 neuen Atommüll nach Ahaus zu schicken, ging es darum, den Kurs für die nächsten Monate abzustecken.

Konkret wurde folgendes beschlossen:

1. Am 20. Dezember, findet um 14 Uhr am Zwischenlager Ahaus eine große Demo statt, zu der überregional aufgerufen wird. Es geht darum, neuen Atommüll in Ahaus zu verhindern und ein klares Signal für den sofortigen Atomausstieg zu setzen!

2. Am Tag X werden viele Menschen in und um Ahaus auf die Straße gehen, damit Ahaus nicht zum oberirdischen Vorflutbecken für das geplante - aber völlig ungeeignete - Endlager Schacht Konrad wird.

3. Für den 23. Januar ist ein 170 km langer Autokorso vom Zwischenlager Ahaus über die GNS-Konditionierungsanlage Duisburg-Wanheim und den Castor-Hersteller Siempelkamp in Krefeld zum Kernforschungszentrum Jülich geplant, wo 152 Castoren auf den Abtransport nach Ahaus warten. In Duisburg wird der schwach- und mittelaktive Atommüll für Ahaus verpresst und verpackt

4. Mitte März soll in Ahaus die Frühjahrskonferenz der bundesweiten Anti-Atom-Bewegung stattfinden.

5. Am 24. April 2010 findet in Ahaus eine der bundesweit drei zentralen Anti-Atom-Demos zum 24. Tschernobyl-Jahrestag statt. Die Demo in Ahaus ist deshalb besonders brisant, weil Ahaus aktuell mit Atommüll jeder Art zugemüllt werden soll und weil zwei Wochen später in NRW Landtagswahlen stattfinden.
www.sofa-ms.de

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Eine Stadt für alle - linke Stadtpolitik in Tel Aviv und Hamburg

Am 16./17. November führten die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Bürgerschaftsfraktion Die Linke einen gemeinsamen Workshop durch mit einer Delegation von Ir Lekulanu ("Eine Stadt für alle"), einer Bündnisorganisation von sozialen und Umweltbewegungen aus Tel Aviv-Jaffa. Mit der Veranstaltung wurde der Workshop fortgesetzt, den das örtliche Büro der Stiftung im Mai diesen Jahres in Tel Aviv-Jaffa unter Beteiligung von Ir Lekulanu und einer Delegation aus Berlin, Frankfurt und Hamburg durchgeführt hatte. (1) Thema war damals und jetzt linke Stadtpolitik in der Metropole.

Natürlich sind die Bedingungen linker Stadtpolitik in Tel Aviv-Jaffa sehr verschieden von denen in Hamburg. Die Doppelstadt Tel Aviv-Jaffa ist mit ihren ca. 400.000 Einwohnern deutlich kleiner als Hamburg, doch die Agglomeration - im Raum um Tel Aviv-Jaffa lebt ungefähr ein Drittel der 7-Millionen-Bevölkerung Israels - ist das unangefochtene wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des Landes, Standort zahlreicher Bank- und Versicherungszentralen und der wichtigsten Industrien Israels. Die Stadt gilt als weltweit drittwichtigster Technologiestandort. Ähnlich wie Hamburg ist Tel Aviv-Jaffa keine überragende Metropole, keine der ganz großen "Global Cities". Doch beide sind offene Weltstädte und Orte der globalisierten Wirtschaft, zugleich Brennpunkte der gewaltigen Herausforderungen moderner Großstädte und Abbild der Entwicklungsmöglichkeiten der Weltgesellschaft.

Im Zentrum des Workshops stand neben den Feldern Umwelt/Energie (mit Betonung des Gesichtspunkts der sozialen Gerechtigkeit) und Migration/Flucht die Stadtentwicklung.

Eine der Ir-Lekulanu-Teilnehmerinnen berichtete, dass Tel Aviv-Jaffa zu den ganz wenigen Großstädten zählt, in denen die Mieten in der Finanzkrise nach oben kletterten - Ähnliches trifft für Hamburg zu. Der Bau neuer gewaltiger Bürotürme und von Wolkenkratzern mit Luxuswohnungen ist einer der Schwerpunkte der Standortstrategie der Verwaltung der israelischen Metropole. Damit soll die Ansiedlung weiterer ausländischer Unternehmen vor allem aus dem Dienstleistungsbereich samt dem benötigten hochqualifizierten Personal erleichtert werden. Schon jetzt finden die überwiegend jungen Leute, die nach Tel Aviv ziehen, um in der High-Tech-Industrie und den Dienstleistungsunternehmen zu arbeiten, kaum noch eine Wohnung. Die Grundstückspreise schießen in die Höhe und führen zu einem gewaltigen Verdrängungsprozess in der Innenstadt, vor allem aber in den bisherigen benachteiligten, teilweise noch ländlich geprägten Stadtteilen im Süden der Stadt sowie in überwiegend von Arabern bewohnten, am Meer gelegenen Bezirken von Jaffa.

Auch Hamburg erfährt durch die globalisierungsbedingten Veränderungsprozesse eine geradezu dramatische Aufwertung innenstadtnaher Bereiche. Hinzu kommen große Infrastrukturmaßnahmen wie Verlegung und Ausbau der Wilhelmsburger Reichsstraße und die Planung einer Hafenquerspange auf der Elbinsel oder andere Großprojekte wie die Errichtung eines Ikea-Möbelhauses mitten in Altona, die ohnehin sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen weitere große Belastungen aufbürden. Dies in einer Situation, in der die Stadt sozial auseinanderdriftet, d.h. die soziale Spaltung sich erheblich vertieft mit all ihren Auswirkungen auf die Stadtstruktur.

Der Zeitpunkt des Workshops war insofern glücklich, als sich in Hamburg gerade in der letzten Zeit zahlreiche Initiativen gegen Gentrifizierung oder die genannten Großprojekte gebildet haben und sich unter dem Motto "Recht auf Stadt" vernetzen. So ist, ähnlich wie in Tel Aviv-Jaffa durch den Erfolg der sozial-ökologischen Bewegung Ir Lekulanu, die Frage der Entwicklung der Stadt und ihres Selbstverständnisses, die Frage des Zusammenlebens der verschiedenen sozialen Gruppen der Stadtbevölkerung zum Thema der öffentlichen Debatte und der öffentlichen Meinungsbildung geworden.

Man würde diese Kämpfe und Bewegungen falsch verstehen, würde man sie als Verteidigung des alten Zustands der Stadt interpretieren. Sie sind, oft in zwiespältiger Weise, Motor von Veränderung. Auf der einen Seite beschleunigen die alternativen Milieus, die sich gegen Gentrifizierung engagieren, Aufwertungsprozesse, weil sie es sind, die bestimmte Stadtteile zum Anziehungspunkt für die großstädtischen Lebensstile von Besserverdienenden machen. Auf der anderen Seite widersetzen sie sich der sozialräumlichen Verfestigung der sozialen Zerklüftung und damit dem drohenden Zerfall, der drohenden Desintegration der Stadtgesellschaft. In den globalisierungsbedingten Veränderungsprozessen sind es nicht zuletzt diese Bewegungen und Kämpfe, die die wichtige zivilisatorische Aufgabe von Städten, die Integration verschiedener sozialer Gruppierungen zu leisten, neu formulieren und voranbringen.

So war, trotz der unterschiedlichen Bedingungen, der Erfahrungsaustausch sehr fruchtbar. Die Delegation von Ir Lekulanu formulierte das im Anschluss an den Workshop so: "Obwohl die Probleme sich in Hamburg und Tel Aviv-Jaffa in dramatisch unterschiedlicher Weise darstellen, erlaubte uns die Diskussion, einen Blick auf unsere eigene Situation zu werfen, wie wir ihn sonst nicht haben würden."

Selbstreflexion durch den Austausch mit anderen - diese Erfahrung dürfte auch der Grund dafür sein, dass die öffentliche Veranstaltung zum Abschluss des Workshops, auf der die Stadtratsmitglieder von Ir Lekulanu über ihre Bewegung berichteten, bei den ca. 40 Teilnehmer/innen eine Motivation zum gegenseitigen Kennenlernen und Verstehen weckte, wie ich es selten auf einer Veranstaltung erlebt habe. Aus dem Teilnehmerkreis wurde zum Schluss die Frage aufgeworfen, ob nicht der israelisch-palästinensische Konflikt alles andere überlagere und die Bedeutung der sozialen Kämpfe in Tel Aviv-Jaffa sowie die linken kommunalpolitischen Anstrengungen relativiere. Aus der Antwort konnte man viel lernen. Obwohl viele sich gegen die Besetzung engagieren, gibt es bei den Mitgliedern von Ir Lekulanu eine große Bandbreite von Auffassungen zu diesem Konflikt. Über die damit zusammenhängenden Fragen werde auch viel und kontrovers diskutiert. Aber man will nicht mehr, wie bisher in Israel üblich, links und rechts über die Haltung zur Besetzung, zur Zwei-Staaten-Lösung usw. definieren. Das hat die Linke isoliert und die sozialen Auseinandersetzungen in Israel gelähmt. Die Grundlage von Ir Lekulanu sind die sozialen Interessen der von Ausgrenzung Bedrohten - eine Stadt für alle. Durch die gegenseitige Wahrnehmung dieser sozialen Interessen und der daraus entstehenden Bewegungen entsteht eine Kooperation der Akteure: der von Vertreibung bedrohte Likud-Anhänger aus dem Süden Tel Avivs versteht, was den von Vertreibung bedrohten Palästinenser aus Jaffa bewegt - und umgekehrt. So wächst langsam eine neue Basis des Zusammenlebens.

Christiane Schneider

(1) "Eine andere Stadt braucht andere Politik - Israelische und deutsche Erfahrungen" - Ein Bericht. In: Politische Berichte 6/2009.

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Wir sind das Rathaus! Warum Freiburg einen neuen Oberbürgermeister braucht

In Freiburg finden im nächsten Jahr Oberbürgermeisterwahlen statt. Der amtierende OB, Dieter Salomon von den Grünen, will erneut kandidieren und wird auch von der CDU unterstützt. Aus der SPD will der Sozial- und Kulturbürgermeister Ulrich von Kirchbach kandidieren. Bei den linksalternativen Kommunalpolitikern um die Unabhängigen Listen wird noch diskutiert. Michael Moos, Stadtrat der Linken Liste - solidarische Stadt, der bei der bei der OB-Wahl 2002 14,3 Prozent erhielt, befürwortet eine linksalternative Kandidatur.

Freiburg hat große Potentiale in allen kommunalen Bereichen. Das größte Potential ist seine aktive Bürgerschaft. Die Menschen sind in großer Zahl bereit, sich einzubringen, wenn man sie lässt und wenn sie nicht zur Dekoration der Stadtpolitik missbraucht werden. In den letzten acht Jahren haben sich zahlreiche Initiativen aus der Bürgerschaft gebildet, aber nicht mit, sondern gegen den amtierenden OB. Beispielhaft seien erwähnt der Runde Tisch Hartz IV, die Bürgerinitiativen Wohnen ist Menschenrecht, Kultur macht reich oder gegen die Bebauung des Fauler-Parks im Grün.

Salomon, ins Amt gekommen mit den Stimmen der grünen, SPD und links-alternativen WählerInnen, hat sehr schnell gezeigt, dass ihm der alte grüne Grundsatz der Basisdemokratie vollständig fremd ist. Er hat Politik mit den Mächtigen gemacht und mehr als einmal demonstriert, dass ihm Demokratie von unten suspekt und unangenehm ist. Folge dieser Politik ist, dass die kreativen Potentiale, die in Freiburg vorhanden sind, nicht genutzt werden und die Stadt auf vielen Feldern in ihrer Entwicklung stagniert.

- "Green City" wird zwar weltweit erfolgreich vermarktet, zehrt aber weitgehend von den Entwicklungen der 70er, 80er und 90er Jahre.

- Der groß angekündigte Bürgerhaushalt wurde von Salomon zur erweiterten demoskopischen Umfrage degradiert. Die vielen Menschen, die sich aktiv eingebracht haben in der Stadtkonferenz, wurden links liegen gelassen, ein Ausbau der Bürgerbeteiligung in kleinteiligen Bezirksstadtkonferenzen rundweg abgelehnt.

- Soziale Fragen sind dieser Politik fremd. Salomon war bereit, 8500 Wohnungen an Privatinvestoren zu verkaufen, weil ihm die Situation der in diesen Wohnungen lebenden Menschen völlig gleichgültig war.

- Dieselbe Ignoranz legte er gegenüber den Kultureinrichtungen der Stadt an den Tag. Er war jederzeit bereit, das Stadttheater finanziell zu erdrosseln. Das Kulturkonzept Freiburgs, erarbeitet von vielen Menschen, ist ihm egal.

- Die groß von ihm angekündigte Verwaltungsreform blieb Stückwerk. Gespart hat er, indem wichtige Stellen einfach nicht mehr besetzt und Ämter zusammengelegt wurden.

In welcher Stadt wollen wir leben?

Die nächsten sechs Monate bieten eine hervorragende Zeit, um diese Frage aufzuwerfen und mit vielen Menschen zu diskutieren. Schon deshalb ist es notwendig, dass sich die links-alternativen Kräfte in Freiburg in diese Wahlen einmischen und dies ist nach unseren Erfahrungen im Wahlkampf 2002 am Besten mit einem eigenen Kandidaten oder Kandidatin möglich. Die Kandidatur des Sozial- und Kulturbürgermeisters gegen Salomon ist begrüßenswert. Auch wenn v. Kirchbach die Politik Salomons mitgetragen hat und mittragen musste, gibt es deutlich Unterschiede zwischen OB und Sozialund Kulturdezernent. Dies aber kann einen Verzicht auf einen Kandidaten/in aus dem links-alternativen Spektrum nicht rechtfertigen. Dies wäre vielmehr ein schwerer Fehler, der durch ein wie immer gestaltetes sonstiges Eingreifen in den Wahlkampf nicht ausgeglichen werden könnte.

Michael Moos
www.linke-liste-freiburg.de

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Rot-Grün scheitert: Sozialere Stadtpolitik trotzdem möglich

ESSEN. Für den Kreisverband und die Ratsfraktion Die Linke bedeutet das Scheitern der rot-grünen "Ehe" eine Stärkung des bürgerlichen Lagers. Die Wählerinnen und Wähler haben aber dagegen die ehemalige Hauptmehrheitspartei CDU deutlich abgestraft und die Parteien von der Mitte bis links gestärkt. Sie verfügen über eine Mehrheit von 47 gegenüber 83 Ratsmitgliedern. Die linke Fraktion tritt dafür ein, dass gerade deshalb bestimmte Punkte schnell umgesetzt werden, über die sich Grüne und SPD bereits geeinigt haben. "Wir wollen aus Gründen der sozialen Integration die Einführung einer Antidiskriminierungsstelle und eine kommunale Beratungskomission für abgelehnte Asylbewerber", so der Fraktionsvorsitzende Hans Peter Leymann-Kurtz. "Desweiteren treten wir für eine Ombudsstelle für Hartz-IV-Berechtigte ein, als ersten Schritt zu einer umfassenden Organisationsverbesserung der JobCenter. Außerdem stehen angesichts der neuen Untersuchungen über die extreme Zunahme der sozialen Spaltung in Essen dringend weitere Maßnahmen zur Armutsbekämpfung an, wie z.B. der Ausbau der Ganztagsschulen." Kreisverbandssprecherin Cornelia Swillus-Knöchel: "Es war von Anfang ein Konstruktionsfehler, dass Rot-Grün aus einer Minderheitenposition heraus eine Koalition bilden wollte. Trotzdem ist es nicht nachvollziehbar, dass die Verhandlungen ausgerechnet an der Forderung der Grünen nach einem zweiten Dezernat gescheitert sind, obwohl sich angeblich beide in wichtigen inhaltlichen Fragen geeinigt haben sollen. CDU, EBB und FDP werden sich ins Fäustchen lachen." Denn die Grünen sind jetzt nicht mehr verläßlich an die SPD gebunden, so dass sie zusammen mit den Fraktionen von CDU, EBB und FDP im Rat eine mögliche Mehrheit haben. Trotzdem hat Mitte/Links nach wie vor die rechnerisch größere Mehrheit im Rat der Stadt. "Diesen Wählerwillen sollten die Grünen respektieren und beachten", so Hans Peter Leymann-Kurtz abschließend. "Wir befürchten, dass der Trennungsschmerz der Grünen gegenüber der CDU größer ist als zunächst angenommen."

www.dielinke-essen.de

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KOMMUNALE POLITIK

Kurzrasenmäher Haushaltssicherungskonzept: BOCHUM. Zu den Beratungen des Haushaltssicherungskonzepts in den Fachausschüssen will Die Linke im Rat zahlreiche Änderungsanträge stellen. "Wir kritisieren insbesondere, dass die drastischen Haushaltskürzungen entgegen anderer Beschlüsse vielfach nach der Rasenmähermethode vorgenommen werden sollen", so der Fraktionsvorsitzende Uwe Vorberg. "Dabei wird zum Teil so kurz geschoren, dass wir befürchten, dass einzelne Einrichtungen und vor allem kleinere Initiativen ganz unters Messer geraten werden." Die Linke hatte die Unausgewogenheit des Konzepts immer wieder kritisiert. Beim Studium der 600 Seiten fiel ihr auf, dass die Einschnitte wie die Erhöhung der Kita-Gebühren, Kürzungen bei Sozialen Einrichtungen, Aufweichung der Baumschutzsatzung, die Schließung von Sportplätzen und vieles, vieles mehr durchaus vermeiden ließen, wenn allein auf den Konzerthausbau verzichtet und das Schauspielhaus in die Sparmaßnahmen im gleichen Maße wie andere Kultureinrichtungen einbezogen würden. Die Linke wird zur Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmesituation der Stadt vorschlagen. "Insgesamt glauben wir allerdings, dass unsere Vorschläge vor allem einkommensschwachen BürgerInnen und dem gemeinnützigen Engagement in Bochum sehr zu Gute kommen würden", erklärt Vorberg. "Wer jetzt noch am Konzerthaus festhält, hat die Zeichen der Zeit wirklich nicht erkannt. Ich hoffe, dass sich diese Einsicht endlich auch bei der SPD durchsetzt."
http://www.dielinke-ratsfraktion-bochum.de


Der Schwarz Grüne Senat will weiter Sparen - ohne uns! HAMBURG. Die Wirtschaftskrise reißt im Hamburger Haushalt große Löcher. Nach der Mai-Steuerschätzung hat Hamburg bis 2013 Steuermindereinnahmen von ca. 6 Mrd. Euro zu verkraften. Der schwarz-grüne Senat will diese Mindereinnahmen nicht durch eine rigorose Sparpolitik ausgleichen. Man könne sich aus der Krise nicht heraussparen, so das Argument. Zum Ausgleich der Mindereinnahmen sollen bis 2012 Kredite in Höhe von 5,2 Mrd. Euro aufgenommen werden. Dennoch soll gespart werden, da die aus den neuen Krediten resultierenden Zinsen durch Einsparungen im Haushalt aufgebracht werden sollen. Für 2010 geht der Senat von 80 Mio. Euro Sparvolumen aus, das bis 2013 auf 260 Mio. Euro anwachsen soll. Die Linke fordert, dass insbesondere in den Bereichen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, nicht gespart werden darf. Im Gegenteil durch eine andere Steuerpolitik (z. B. Wiedereinsetzung der Vermögenssteuer), den Verzicht auf Leuchtturmprojekte und die Verbesserung des Steuervollzuges in Hamburg könnten zusätzliche Steuereinnahmen erwirtschaftet werden. Aus Krisen kann man sich in der Tat nicht raussparen, aber man muss es richtig machen: Die beste Politik gegen die Rezession ist, die der Armutsbekämpfung und eine aktive Arbeitsmarktpolitik sowie öffentliche Investitionen in den Bereichen Bildung, Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Kultur und Infrastruktur.
http://www.die-linke-hh.de


Gegen Verkauf der IGS Mühlenberg: HANNOVER. Die Linksfraktion hat heute in der Ratsversammlung gegen den Verkauf der IGS Mühlenberg an die städtische "Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover" (GBH) gestimmt. "Unsere Partei steht allen Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP) äußerst kritisch gegenüber", sagte der linke Ratsherr Oliver Förste zur Begründung, "auch wenn in diesem Fall ein städtisches Unternehmen als Partner auftritt." Die GBH soll ein neues Schulgebäude errichten und anschließend an die Stadt vermieten. "Niemand kann wirklich ausschließen, dass die GBH das Gebäude nicht irgendwann an einen Dritten weiterverkauft", betont Oliver Förste. "Dann hätten wir im Endergebnis ein richtiges ÖPP-Projekt stehen." Bei ÖPP-Maßnahmen geht es hauptsächlich um den Trick, notwendige Investitionen für Baumaßnahmen im Vermögenshaushalt zu unterlassen und stattdessen als Mietzahlungen in den Verwaltungshaushalt zu verschieben. Davon profitieren vorwiegend die beauftragten Unternehmen und die Banken. Die Stadt hat dann bei Schäden oder Mängeln kaum noch Einfluss auf die Gebäudesituation, außerdem sind die Mietzahlungen, deren Höhe bisher immer noch unklar ist, ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. "Wenn die Stadt nur einen Teil der Messemillionen für den Neubau der IGS Mühlenberg verwendet hätte, so hätte sie in Form des neuen Schulgebäudes wenigstens einen Gegenwert dafür bekommen. Die 125 Millionen für die Deutsche Messe AG sind dagegen im Schwarzen Loch verschwunden, ohne einen Gegenwert dafür zu erhalten", kritisiert Oliver Förste.
http://www.linksfraktion-hannover.de


Protest gegen Polizeikessel: FREIBURG. Die Fraktion der Unabhängigen Listen protestiert entschieden gegen den Polizeieinsatz am Samstag, 14.11.09, in der Freiburger Innenstadt. Die rechtlichen Voraussetzungen fehlten, um einen Polizeikessel um die Demonstranten zu bilden, diese stundenlang im Kessel einzukreisen, rund 300 Personalienkontrollen und rund 250 Platzverweise durchzuführen sowie alle mehrfach abzufilmen. Eine solche Maßnahme ist ersichtlich nicht mit dem angeblichen Verstoß gegen das Vermummungsverbot einzelner zu rechtfertigen. Überdies verstößt ein solcher Einsatz gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Die Freiburger Polizeiführung nimmt einen Rechtsverstoß einzelner zum Anlass, um das Grundrecht von Hunderten auf Demonstrationsrecht auszuhebeln. Der politische Skandal liegt darin, dass die Verantwortlichen dieses Einsatzes die grundlegende Bedeutung dieses Grundrechts für ein demokratisches Gemeinwesen zum wiederholten Male missachten können, ohne dass daraus Konsequenzen gezogen werden.
http://www.linke-liste-freiburg.de


Nutzung des Instruments städtebaulicher Vertrag: OLDENBURG. Im Ausschuss für Stadtplanung und Bauen am 3.12.2009 beantragte die Fraktion Die Linke: "Die Fraktion Die Linke Oldenburg bittet die Verwaltung den Punkt: Optimierung städtischer Einnahmen durch Nutzung des Instruments städtebaulicher Vertrag auf die Tagesordnung der o.g. Ausschuss-Sitzung zu setzen. Die Fraktion beantragt einen Bericht der Verwaltung zu folgenden Fragen: 1. Anzahl und Art der Baumaßnahmen, die in den letzten drei Jahren mit städtebaulichen Verträgen geregelt wurden? 2. Gab es dabei Ausgleichzahlungen, bedingt durch städtische Infrastrukturleistungen und wenn ja, in welcher Höhe? 3. Bei welchen künftigen Baumaßnahmen/-gebieten bestehen Möglichkeiten, städtebauliche Verträge abschließen zu können, um die darin liegenden finanziellen Möglichkeiten für den städtischen Haushalt ausschöpfen zu können? Begründung: Nach § 11 BauGB können die Kommunen, bevor sie Privatgrundstücke durch einen B-Plan mit besonderen Baurechten aufwerten, mit dem jeweiligen Eigentümer einen städtebaulichen Vertrag schließen. In einem solchen Vertrag können die Kommunen alle im Zusammenhang mit einem Baugebiet für städtische Infrastrukturmaßnahmen entstandenen Kosten berechnen und als Gegenleistung für die verschaffte Aufwertung des Grundstückes Ausgleichzahlungen mit dem Eigentümer vereinbaren. Ganz allgemein können die Kommunen über §11 keine Wertschöpfungsabgabe vereinbaren. Diese Leistungen des Eigentümers können jedoch vereinbart werden, wenn ein Sachzusammenhang zu den Aufwendungen der Stadt hergestellt werden kann.

Die finanzielle Situation der Stadt sollte alle Bereiche der Stadt motivieren, nach geeigneten Einnahmenmöglichkeiten zu schauen, vor allem nach solchen, die möglicherweise noch nicht ausreichend ausgeschöpft wurden.
http://fraktion-dielinke.kdo.de


CDU-FDP gegen Tempo 30: BRAUNSCHWEIG. Laut Bericht der "Braunschweiger Zeitung" vom 27.11.2009 wird der Plan der Verwaltung, in der Innenstadt großflächig Tempo-30-Zonen auszuweisen, an der Ratsmehrheit von CDU und FDP scheitern. Dazu erklärt die Ratsfrau der Linken Gisela Ohnesorge: "CDU und FDP agieren ein weiteres Mal im Sinne der Autolobby. Schon die Einführung von Fahrradstraßen in bestimmten Abschnitten der Stadt stieß auf ihren Widerstand. Nun wollen sie auch kein Tempolimit, weil ihnen laut eigener Aussage die Überzeugung vom Nutzen solcher Zonen fehle. Vor allem aber fehlt ihnen das ökologische Bewusstsein. Klimaschutz und Luftreinhaltung sind lediglich Lippenbekenntnisse. Im Bereich des Individualverkehrs soll alles getan werden, damit das Autofahren schneller wird. Damit steuern wir sehenden Auges immer schneller in die Klimakatastrophe."
www.linksfraktion-braunschweig.de


Hütchenspiel bzw. wechselnde Hüte des OB: STUTTGART. Auf die Forderung, der Oberbürgermeister solle sich für sein Stimmverhalten in den Verbandsversammlungen der Wasserzweckverbände vorher den Auftrag des Gemeinderats einholen, gibt die Stadtverwaltung die unglaubliche Antwort: "Der OB sitze, wie auch alle anderen städtischen Repräsentanten, seit dem Verkauf der Neckarwerke an die EnBW nicht als Vertreter der Stadt in der Verbandsversammlung, sondern übe sein Stimmrecht für die EnBW aus. Dies werde er auch am Dienstag so handhaben." Jahrelang hat der OB auf die Kritik am Verkauf der Stuttgarter Anteile an der Energie- und Wasserversorgung geantwortet: Die Stadt - nicht die EnBW - habe durch den Vertrag mit der EnBW über die Ausübung des Stimmrechts nach wie vor den entscheidenden Einfluss in der Verbandsversammlung und er könne das Stimmrecht frei von Weisungen der EnBW für die Stadt ausüben. Ausgeübt wird in der Tat das Stimmrecht durch den OB und den anderen gewählten Vertreter/-innen als Beauftragte der Stadt. Nun wird klar, dass die rechtliche Konstruktion, welche der OB und die Gemeinderatsmehrheit beim Verkauf unterschrieben haben, offensichtlich auch an diesem Punkt die Interessen der Stadt verletzt. Wir fragen: - Hat der OB bewusst versucht, gegenüber dem Gemeinderat und der Öffentlichkeit die realen Folgen des Verkauf an die EnBW zu vertuschen? - Wem gehört die Loyalität der vom Gemeinderat gewählten Vertreter/-innen (OB und andere) - der Stadt Stuttgart oder der EnBW? - Welchen Hut will OB Schuster denn nun aufsetzen am 3. November in der Verbandsversammlung? Welchen Hut setzen die anderen städtischen Vertreter/-innen auf? Wir meinen: Dieser Schlamassel muss schnellstens beendet werden durch den Rückkauf des Wassers und die Einrichtung von Stuttgarter Stadtwerken. Ulrike Küstler, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
www.domino1.stuttgart.de/grat/soesundlinke.nsf


Verstoß gegen Ratsbeschluss und Schwächung der Bezirke: KÖLN. Zur Haushaltsratssitzung am 16.11. schlägt die Verwaltung eine Kürzung von 10 Prozent bei den bezirksbezogenen Mitteln vor. Damit würde der Rat seinen eigenen Beschluss von 2004 ignorieren und die Mittel für die Stadtbezirke kürzen. Am 20. Juli 2004 hatte der Rat der Stadt Köln beschlossen, bei der Aufstellung der Haushaltspläne - beginnend mit dem Haushaltsjahr 2005 - schrittweise die Ansätze des Verwaltungs- und Vermögenshaushalts, über die die Bezirksvertretungen gemäß § 37 (3) Satz 1 2. Halbsatz GO NW entscheidungsbefugt sind, zu erhöhen. Jörg Detjen, Fraktionssprecher der Linken im Rat der Stadt Köln dazu: "Wer eine lebenswerte Stadt will, der muss die Bezirke und die Stadtteile stärken. Es kann doch nicht sein, dass in der letzten Ratssitzung der völlig überteuerte Rheinboulevard beschlossen wird und man jetzt versucht auf dem Rücken der sowieso schon unterfinanzierten Bezirke zu sparen. Da macht Die Linke. nicht mit." Noch 2003 hatte der Rat 730.400 Euro bezirksbezogene Haushaltsmittel bereit gestellt. Diese Summe wurde 2004 auf 560.00 Euro und in 2005 und 2006 auf 474.900 EUR abgesenkt. Seit 2007 erreichen die bezirksbezogenen Mittel wenigstens wieder das Niveau von 2004. Einen inflationsbezogenen Ausgleich hat es nicht gegeben, was einer faktischen Kürzung gleich kommt. Während in der Kämmerei noch immer das alte Ideal vom Zentralismus zu herrschen scheint, setzt sich Die Linke. konsequent für eine Stärkung der Veedel ein und wird die Vorlage ablehnen.
www.linksfraktion-koeln.de


Crashkurs Kommune 1: Literaturempfehlung. Felicitas Weck: Linke Kommunalpolitik. Eine Einführung, 104 Seiten; € 7.50 ISBN 978-3-89965-340-3. Grundlegende Fragen des Kommunalrechts sowie Handlungsmöglichkeiten linker Kommunalpolitik werden dargestellt. Behandelt werden Fragen aus der praktischen Arbeit sowie Erfahrungen linker KommunalpolitikerInnen. Thema ist auch das Verhältnis linker KommunalpolitikerInnen zu den außerparlamentarischen Initiativen, den BürgerInnen und zur Verwaltung und ihren Strukturen. Mit konkreten Hinweisen zum praktischen Handeln im Alltag, mit Antragsbeispielen, Hinweisen zu möglichen linken, kommunalen Projekten und vielen weiterführenden Verweisen soll der erste Einstieg in die Kommunalpolitik erleichtert, die eigene Arbeit im Kommunalparlament bereichert werden und soll nicht zuletzt auch Mut zu linker Kommunalpolitik machen. Felicitas Weck ist seit 2007 Referentin für kommunale Koordination der Bundestagsfraktion Die Linke. Der erste Kontakt zur Kommunalpolitik entstand im Rat des Sollingstädtchen Hardegsen, wo sie in den 80er Jahren als Einzelkämpferin die Grünen vertrat. Von 1991 bis 2000 war sie Geschäftsführerin des Vereins für Grüne und alternative Kommunalpolitik in Niedersachsen in Hannover, ihr Arbeitschwerpunkt lag bei der Beratung grün-alternativer MandatsträgerInnen. Im Anschluss daran übernahm sie die Geschäftsführung der neugewählten links-alternativen Kommunalfraktion in Hannover. Bestellung über die Rosa Luxemburg Stiftung.


Zusammenstellung: ulj

Raute

Feindlichen Übernahme des britischen Unternehmens Cadbury durch Kraft Foods

Gewerkschaft fordert Aufklärung über die Beschäftigungskonsequenzen

Während die Schlacht um die finanziellen Profite aus einer möglichen feindlichen Übernahme des britischen Unternehmens Cadbury durch Kraft Foods immer heftiger tobt, hat der britische IUL-Mitgliedsverband Unite Kraft aufgefordert, seine Pläne auf den Tisch zu legen und eindeutige Garantien für die Arbeitsplätze und die Pensionen zu bieten.

In einem offenen Brief an die Kraft-Konzernchefin Irene Rosenfeld vom 16. November hat Jennie Formby, die Unite-Beauftragte für den Bereich Lebensmittel und Getränke, ihre tiefe Enttäuschung zum Ausdruck gebracht, weil "die wiederholte Weigerung von Kraft, mit uns in sinnvoller Weise über die Probleme zu sprechen, die für unsere Mitglieder und die britische Öffentlichkeit am wichtigsten sind, unsere Besorgnisse über die Absichten des Unternehmens immer mehr verstärken". Die Gewerkschaft fordert ausdrückliche Garantien dafür, dass die Arbeitsplätze und Beschäftigungsbedingungen infolge einer Übernahme nicht beeinträchtigt werden, dass es also keine Betriebsschließungen und keine erzwungenen Freisetzungen in Großbritannien und Irland in den nächsten fünf Jahren gibt, dass sich die Beschäftigungsbedingungen fünf Jahre lang nicht verschlechtern, die Pensionsbeiträge fünf Jahre lang nicht steigen und dass ein etwaiges Defizit der Pensionskasse vom Unternehmen ausgeglichen wird.

Am 9. November entsprach Kraft der britischen Forderung, die Karten auf den Tisch zu legen, und wiederholte offiziell sein früheres Angebot, Cadbury zu übernehmen und dafür Bargeld und eigene Aktien zu bieten. Tatsächlich ist dieses neue Angebot noch niedriger als das alte, da sich der Wert der Kraft-Aktien seit September verringert hat. Die Unternehmensleitung von Cadbury hat das Angebot zurückgewiesen, weshalb Kraft nun drei Wochen bleiben, um sein Angebot den Cadbury-Aktionären zu unterbreiten, womit das britische 60-Tage-Verfahren in Gang gesetzt wird, in dessen Verlauf Kraft ein besseres Angebot unterbreiten dürfte.

Formell hat sich das Verfahren nunmehr zu einer "feindlichen" Übernahme entwickelt. In der Praxis jedoch war die Übernahme von Cadbury durch Kraft für die Arbeitnehmer beider Unternehmen von Anfang an ein feindlicher Vorgang.

Übernahmen haben stets eine Gruppe von Nutznießern - die Aktionäre und das Spitzenmanagement des übernommenen Unternehmens (letzteres aufgrund seiner Aktienoptionen). Die Arbeitnehmer bei Kraft und einem vom Kraft übernommenen Unternehmen Cadbury wären die Verlierer, auch wenn die sprunghafte Steigerung des Marktanteils die Finanzanalysten jubeln lässt. Die Gewinne von Kraft gehen zurück, und das Unternehmen ächzt unter einer Schuldenlast, die fast halb so hoch ist wie sein Marktwert, weil es versucht hat, Dividenden und Aktienrückkäufe allein durch Kostensenkungsmaßnahmen (d.h. Arbeitsplatzbeseitigungen) zu finanzieren, statt das Unternehmen durch produktive Investitionen zu stärken. Die Übernahme der Biskuitsparte von Danone im Jahr 2007 bedeutete noch mehr Schulden, was Kraft aber nicht davon abhielt, auch weiterhin Geld an die Aktionäre auszuschütten.

Kraft müsste nun noch mehr Schulden machen, um den Preis für Cadbury zu zahlen, doch die Investmentbanken, die an dem Geschäft am meisten verdienen würden, warten nur darauf, die Übernahme vermitteln zu können und neue Kredite zur Finanzierung der erhöhten Schuldenlast bereitzustellen. In der Finanzpresse sind nicht weniger als 18 Großbanken genannt worden, die Kraft Überbrückungsdarlehen und revolvierende Kredite offerieren, darunter die Royal Bank of Scotland (RBS), an der die britische Regierung maßgebend beteiligt ist, nachdem sie zur Rettung der Bank massive Finanzmittel eingebracht hat. "Es ist uns nicht entgangen", stellte Jennie Formby fest, "dass hier eine Bank zur Finanzierung dieser Transaktion beiträgt, die dem Steuerzahler gehört". Die RBS plant in der Tat den Einsatz öffentlicher Gelder, um Honorare und die Gewinne aus Anleiheverkäufen einzustreichen, indem sie von der Vernichtung von Arbeitsplätzen in Großbritannien profitiert.

Während also die Banken sehnsüchtig auf Honorare und neue Anleiheemissionen warten, bringen sich Investoren wie Warren Buffet, die hohe Beteiligungen an Kraft und Cadbury halten, in Stellung, um auf beiden Seiten zu profitieren, unabhängig davon, was wirklich geschieht und welcher Preis gezahlt wird. Umfangreiche Käufe von Cadbury-Aktien durch Hedgefonds - die typischen kurzfristigen Investoren - wie Paulson & Co (die vor kurzem den Erwerb eines Cadbury-Anteils von 2,08% bekanntgaben) und Eton Park (2,4%) haben den Preis gezahlt wird. Umfangreiche Käufe von Cadbury-Aktien durch Hedgefonds - die typischen kurzfristigen Investoren - wie Paulson & Co (die vor kurzem den Erwerb eines Cadbury-Anteils von 2,08% bekanntgaben) und Eton Park (2,4%) haben den Preis der Cadbury-Aktien und damit auch die potenziellen Kosten einer Übernahme für die Arbeitnehmer von Kraft in aller Welt in die Höhe getrieben. Und der ganze Prozess bringt das Cadbury-Management zum Schwitzen; denn es muss beweisen, dass es dem Druck widerstehen kann, indem es den Wert für die Aktionäre noch stärker erhöht, als es mit Kraft möglich wäre. Die Finanzwelt, nicht aber der Lebensmittelmarkt, ist die treibende Kraft eines Prozesses, bei dem die Arbeitnehmer überall nur verlieren können.

Quelle: iuf.org

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Tagung des UN-Weltgipfels über Ernährungssicherheit (IUL): Und was ist mit den Arbeitnehmern?

Die Zahl der Hungernden auf diesem Planeten wird jetzt offiziell auf mehr als eine Milliarde geschätzt, und die Preise der Grundnahrungsmittel werden den Vorhersagen nach hoch bleiben, weiterhin stark schwanken und von Erschütterungen der Märkte beeinflusst werden. Dies ist der Hintergrund, vor dem der Weltgipfel der Vereinten Nationen für Ernährungssicherheit vom 16.-18. November in Rom stattfindet. Im Vorfeld des Gipfels hat die IUL in einem Schreiben an Jacques Diouf, den Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO), darauf hingewiesen, dass im Entwurf der Erklärung, den dieser Gipfel verabschieden soll, jeder Hinweis auf die entscheidende Rolle der rund 500 Millionen unselbständigen Landarbeiter der Welt, die zur Ernährung der Welt beitragen, aber häufig selbst hungern, fehlt.

Im Schreiben der IUL an Diouf wird erläutert, dass die chronische Ernährungsunsicherheit bei den Landarbeitern und ihren Gemeinschaften untrennbar mit der chronischen Verletzung ihrer kollektiven Rechte verbunden ist, und die FAO deshalb aufgefordert, "den Mitgliedsregierungen zu empfehlen, eine feste Verpflichtung zur Schaffung menschenwürdiger Arbeits- und Lebensbedingungen in der Landwirtschaft in die vom Gipfel zu beschließenden Verpflichtungen und Aktionen aufzunehmen". Die IUL betont ferner, dass ein weiteres wesentliches Ergebnis des Gipfels darin bestehen müsse, dass die IAO, als einzige für die Welt der Arbeit zuständige UN-Organisation, in die Gruppe der UN-Organisationen aufgenommen wird, denen ein konkreter Auftrag erteilt wird, auf die Beseitigung des Hungers in der Welt hinzuarbeiten.

Die IUL, die der Beratungsgruppe der zivilgesellschaftlichen Organisationen für die Hochrangige Arbeitsgruppe der UN über die globale Ernährungskrise angehört, wird das Ergebnis des Gipfels von Rom und seine möglichen Folgen für die Politik und die Aktionen der IUL eingehend prüfen.

Quelle:iuf.org

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IUL und Danone starten internationale Tagungen von Gewerkschaften und Unternehmensleitung

Erstmals in der mehr als 20-jährigen Geschichte internationaler Arbeitsbeziehungen bei Danone nahmen Gewerkschafter, die Danone-Arbeitnehmer aus allen Teilen der Welt vertreten, an der diesjährigen Tagung des Danone-Rates zur Unterrichtung und Anhörung (CIC) teil, wodurch dieser zu einem wirklich internationalen Organ wurde.

Der Danone CIC wurde 1996 gegründet und fungiert als Europäischer Betriebsrat. Er entwickelte sich aus den jährlichen Tagungen zwischen der IUL, ihren Mitgliedsverbänden und der Danone-Unternehmensleitung, die seit 1987 stattgefunden hatten. Bisher waren in dem Rat überwiegend europäische Länder vertreten, allerdings auch Länder außerhalb der Europäischen Union. Der CIC war eines der ersten europäischen Organe zur Unterrichtung und Anhörung, dem auch Gewerkschaftsvertreter aus mittel- und osteuropäischen Ländern als Vollmitglieder angehörten. Ein weiteres wesentliches Merkmal des CIC war die Beteiligung nationaler Gewerkschaftsvertreter sowie von Vertretern aus Regionalbüros der IUL (Europa, Lateinamerika, Asien).

Die Tagung, die vom 12.-14. Oktober 2009 in Genf stattfand, war jedoch die erste wirklich globale Begegnung zwischen Gewerkschaften und Unternehmensleitung und damit ein Durchbruch bei den internationalen Arbeitsbeziehungen und die Erfüllung seit langem erhobener Forderungen der IUL und unserer Mitgliedsverbände.

Ron Oswald, Generalsekretär der IUL kommentierte dieses Ereignis wie folgt: "Als Ergebnis dieses Erfolges können alle unsere Mitgliedsorganisationen, die Danone-Arbeitnehmer vertreten, sei es in Afrika, Asien, Lateinamerika oder Nordamerika, jetzt gemeinsam mit ihren Kollegen in Europa ein Podium für die Diskussion mit diesem Unternehmen auf globaler Ebene errichten. Es überrascht nicht, dass das erste Unternehmen, das ein solches Organ der Arbeitsbeziehungen schafft, Danone ist, um damit das duale Wirtschafts- und Sozialprojekt zu fördern, das es für seinen nachhaltigen Erfolg als unerlässlich ansieht. Wir hoffen, dass damit ein Modell für andere transnationale Unternehmen in unseren Sektoren geschaffen wurde, die eine immer wichtigere Rolle spielen, mehr Macht als je zuvor ausüben und einen immer stärkeren Einfluss auf die Lebensgrundlagen und das Wohl unserer Mitglieder, ihrer Familien und der Gemeinschaften, in denen sie leben, haben".

Die 60 Teilnehmer aus 20 Ländern, die in 28 Gewerkschaften organisierte Danone-Arbeitnehmer vertraten, waren äußerst zufrieden mit der Tagung und begeistert über das Niveau der ihnen gelieferten Informationen und den lebhaften Gedankenaustausch mit der Unternehmensleitung. Als konkretes Ergebnis der Tagung willigte die Danone-Unternehmensleitung ein, die unterbreiteten Vorschläge zur Beteiligung der Gewerkschaften an den Arbeitsschutzprogrammen von Danone auf Landes- und Betriebsebene zu übernehmen und Gespräche mit der IUL über eine internationale Rahmenvereinbarung über Stress am Arbeitsplatz zu beginnen.

Quelle: iuf.org


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Bruno Vannoni, der Vorsitzende des Danone-CIC, und Franck Riboud, Danone-Konzernchef, gemeinsam auf dem Podium

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WIRTSCHAFTSPRESSE

Autobranche fühlt sich durch EU-Politik vernachlässigt. FAZ, Mi. 18.11.09. Die deutsche Autoindustrie sieht ihre Interessen durch die EU-Kommission immer weniger vertreten. Es werde in Brüssel viel für die Dienstleistungsbranchen getan, aber wenig für die Industrie, so M. Wissmann, VDA-Präsident. "Die Entwicklung der Dienstleistungs- und Finanzmärkte ist wichtig, aber wir brauchen jetzt die Rückbesinnung darauf, dass ohne Industrie allem die Basis fehlt." "Die Kommission ist an maßgeblicher Stelle besetzt mit einem Portugiesen, einem Griechen und einer Britin, für manche in diesen Staaten ist 'Industriestandort Europa' eher ein Fremdwort", sagte Wissmann. Die EU-Kommission versuche umweltpolitische Schönheitspreise zu gewinnen, allerdings ohne sorgfältige Folgenabschätzung für die Industrie. Das habe man z.B. mit der ersten Fassung der Abgasgrenzwerte in Europa erlebt, durch die "BMW und Mercedes-Benz vom Jahr 2012 an in riesige Strafzahlungen gelaufen" wären. Die neue Bundesregierung sollte sich dringend intensiver um die Handelspolitik kümmern und die Interessen in Brüssel deutlich stärker vertreten, so Wissmann.


Industrie kritisiert Amerikas Klimapolitik. BDI-Präsident H.-P. Keitel lehnt eine europäische Vorreiterrolle im Klimaschutz ab, wenn Amerika nicht im gleichen Maß mitzieht. Die USA haben bisher eine Reduktion der Treibhausgase gegenüber 1990 von 4 % angeboten, während die EU eine Minderung von 30 % anbietet, sofern dies zu einem globalen Vertrag kommt. Nach Ansicht Keitels sollte die EU diese 30 % nur anbieten, wenn ein globaler Klimavertrag Wettbewerbsnachteile für die Industrie verhindert. Siemens-Chef P. Löscher sieht für die deutsche Industrie große Marktchancen in einem ehrgeizigen globalen Klimaschutz. Schon jetzt gebe es in Deutschland eine Million "grüne Jobs", bis 2020 könne sich diese Zahl mehr als verdoppeln.


Wirtschaftsverbände gegen Steuervergünstigungen fürs Hotelgewerbe. FAZ, Sa. 28.11.09. Acht Spitzenverbände der Wirtschaft sprachen sich in ihrer Stellungnahme für die Anhörung durch den Finanzausschuss verklausuliert gegen die in der Wirtschaft umstrittene Subvention für Hotels - verankert im Wachstumsbeschleunigungsgesetz - aus. Sie forderten, alle umsatzsteuerlichen Maßnahmen im Rahmen einer notwendigen Systemreform zu beraten. Sie begrüßen dagegen den politischen Willen, die krisenverschärfenden Vorschriften im Steuerrecht abzumildern, das erleichtere vielen Unternehmen, die Krise zu bewältigen.

Zusammenstellung: rst

Raute

DISKUSSION UND DOKUMENTATION


Deutsch-tschechische Nachrichten (DTN): Die Beiträge auf diesen Seiten sind ein Vorabdruck aus DTN-Dossier Nr. 11, Dez. 2009.

Inhalt dieser Ausgabe: Lissabon, Prag und das Protokoll Nr. 30 / Dokumentiert: Der EU-Beschluss zu Tschechien im Wortlaut / Dokumentiert: Protokoll Nr. 30 • Zum Staatsgründungstag: Nationale Gedenkstätte auf dem Vitkov wiedereröffnet • Crux mit dem Selbstbestimmungsrecht • Leseempfehlung: Werner Röhr, September 1938 • Was steht eigentlich so in der Sudetendeutschen Zeitung? • Nicht in der SdZ: Hartmut Koschyk schreibt Geschichte (um) • Merkel beim Tag der Heimat 2009: Vertriebenenverbände "stets Botschafter der Verständigung" • Hartmut Koschyk - Staatssekretär im Finanzministerium in Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland • München: Die falsche und die richtige Gedenktafel • Dokumentiert: Erklärung von Erika Steinbach und 22 weiteren CDU-CSU-Abgeordneten, warum sie am 17. Oktober 1991 nicht für den deutsch-polnischen Grenzvertrag stimmten • Buchbesprechung: Geschichtsschreibung zu den böhmischen Ländern im 20. Jahrhundert

Redaktionsadresse: DTN-Redaktion, c/o Renate Hennecke, Postfach 201026, 80010 München, Tel. 089-507925, E-mail: dtn-redaktion@alice-dsl.net. Verlag: GNN Verlag Süd GmbH, E-mail: stuttgart@gnn-verlage.com. Einzelpreis: 4 Euro.


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Eine Geschichte aus München

Die falsche und die richtige Gedenktafel

Im Durchgang vom Marienplatz zum Prunkhof des Münchner Rathauses finden Einheimische und Gäste eine neue Gedenktafel, die der Oberbürgermeister der Stadt am 30. Juni 2009 gegen 11 Uhr enthüllte, also zu einem Zeitpunkt, an dem der Marienplatz bereits von Polizei und Bundeswehr für die Durchführung des feierlichen Gelöbnisses / Soldateneides vereinnahmt worden war.

Der Wortlaut des feierlichen Gelöbnisses bzw. des Eids der Längerdienenden lautet: "Ich gelobe (schwöre), der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volks tapfer zu verteidigen".

Der Text auf der Tafel laut Pressemitteilung:

"Der nationalsozialistische Eroberungs- und Vernichtungskrieg führte die Welt in eine Katastrophe. Durch das Unrecht der Vertreibung und durch Flucht verloren in Europa Millionen von Menschen ihre Heimat.

Nach 1945 wurde München für mehr als 143.000 Heimatvertriebene zum neuen Lebensmittelpunkt. Sie haben maßgeblich zum Wiederaufbau und zum Leben unserer Stadt beigetragen."

Den vorab fraktionsübergreifend ausdiskutierten Text, in dem der nationalsozialistische Eroberungs- und Vernichtungskrieg richtig charakterisiert wird, hatte die CSU bei der Verabschiedung 2007 in letzter Minute verfälscht, indem sie das Stereotyp vom "Unrecht der Vertreibung" hineindrückte. Daraufhin stimmte Brigitte Wolf, damals noch die einzige Mandatsträgerin der Linken im Stadtrat, dagegen.

Das "Unrecht der Vertreibung" ist mehr als eine Duftmarke, die Rechtsradikale zum Kontakt einlädt. Im Hintergrund steht dabei die Frage, ob die deutsche Außenpolitik sich mit den Verträgen abfindet, mit denen sich die Welt nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Zweiten Weltkrieg vor deutschen Großmachtplänen sichern wollte. Wie aktuell solche Fragen sein können, zeigt der Konflikt, der derzeit zwischen Außenminister Westerwelle (FDP) und der CSU um die Frage entbrannt ist, ob die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen in eine Stiftung berufen werden kann, die angeblich der deutsch-polnischen Versöhnung gewidmet sein soll. Frau Steinbach hatte als Bundestagsabgeordnete gegen die Anerkennung der deutschen Ostgrenzen gestimmt und gegen die Aufnahme Polens wie auch der Tschechischen Republik in die EU opponiert. Die von ihr vertretene Richtung deutscher Außenpolitik wird in den Nachbarstaaten mindestens als unfriedliche Belästigung und tendenziell sogar als Bedrohung wahrgenommen.

Der Stadtrat, der die Rede vom "Unrecht der Vertreibung" aufgegriffen hat, kann sich auf die Gefühle von Menschen beziehen, die ihre Heimat verloren haben und den Hintergrund achselzuckend übersehen. Man weiß es nicht und will's auch gar nicht wissen.

Der fordernde Gehalt der Parole kann aber auch ohne Geschichtskenntnisse verstanden werden. Wer auf Deutsch über "Unrecht" klagt, bringt nicht eine Meinung zum Ausdruck, so jemand will: "sein Recht".

Die Enthüllung einer solchen Tafel zum Gedenken an "das Unrecht der Vertreibung" gerade an dem Tag, an dem auf dem Marienplatz Truppen darauf eingeschworen werden, "das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen" war makaber, die näheren Umstände aber auch skurril: Es wurde bei dieser Gelegenheit nämlich eine falsche Tafel in die Rathausmauer eingelassen, die einen richtigen Text enthielt, in dem das "Unrecht der Vertreibung" nicht vorkam (siehe Bild).

Wir von der Linken haben uns schon über einen Fall von List der Geschichte gefreut, es war dem Bauamt aber nicht vergönnt, als Werkzeug höherer Sittlichkeit einen Fehler des Stadtrats unbewusst zu korrigieren. Die Sache wurde bemerkt, eine neue Tafel geschaffen und einzementiert, auf der nun ganz richtig das Falsche steht. Wir haben uns bemüht, die falsche Tafel, auf der das Richtige stand, zu retten, etwa um sie vorrätig zu haben, falls eine bessere Einsicht kommt. Das war jedoch nicht möglich, da die Tafel, auf der das Richtige stand, zu Bruch ging, als Platz für das Falsche geschaffen wurde.


Einstweilen steht im Internet in der Textmeldung die richtige aber falsche Formulierung, während das Bild die falsche Tafel mit dem richtigen Text zeigt, sowie unseren Oberbürgermeister, der den richtigen Text auf der falschen Tafel enthüllt und dabei, freilich etwas falsch, lächelt.

Martin Fochler

* Die Unterlagen zu dieser Geschichte:
http://www.muenchen.de/Rathaus/dir/presseservice/2009/pressemitteilungen/335083/ Gedenktafel_Heimatvertriebene.html
http://www.muenchen.info/pia/img/Gedenktafel_Heimatvertriebene/ gedenktafel-gross-web2.jpg
http://www.muenchen.info/pia/img/Gedenktafel_Heimatvertriebene/ gedenktafel-grossweb3.jpg


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1991: 23 Abgeordnete verweigerten die Anerkennung der polnischen Grenze

Der Streit um Erika Steinbachs Nominierung als Vertreterin des Bundes der Vertriebenen hat weithin in Erinnerung gerufen, dass sie am 17. Oktober 1991 im Bundestag gegen die Ratifizierung des Vertrages stimmte, mit dem die Bundesrepublik Deutschland die bestehende deutsch-polnische Grenze als "unverletzlich" anerkannte (was nicht verwechselt werden sollte mit einer Anerkennung als "unantastbar" = nicht mehr veränderbar; "unverletzlich" beinhaltet nur den Verzicht auf eine gewaltsame Grenzänderung). Zusammen mit der heutigen BdV-Präsidentin stimmten damals zwölf weitere Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU gegen die Ratifizierung des Vertrages, zehn weitere enthielten sich der Stimme. In einer Erklärung begründeten sie ihre Verweigerung. Darin lässt sich unschwer die Hoffnung erkennen, dass es doch noch wenigstens zu einer "Europäisierung" der ehemals deutschen Gebiete kommen könne: Wenn sie schon nicht zum deutschen Staatsgebiet gehören können, sollen sie auch nicht polnisch sein.

Wir dokumentieren die Erklärung der 23 Abgeordneten nach dem Bundestagsprotokoll vom 17. Oktober 1991:

Erklärung nach § 31 GO

der Abgeordneten Hartmut Koschyk, Frau Erika Steinbach-Hermann, Erwin Marschewski, Dr. Gerhard Päselt, Georg Janovski, Kurt J. Rossmanith, Frau Susanne Jaffke, Dietrich Austermann, Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese), Michael Stübgen, Horst Gibtner, Dr. Egon Jüttner, Dr. Klaus Rose, Ulrich Adam, Arnulf Kriedner, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Michael von Schmude, Dieter Pützhofen, Dr. Peter Ramsauer, Benno Zierer, Heinrich Lummer, Heinz Schemken, Josef Hollerith (alle CDU/CSU) zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 17. Juni 1991 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit und den Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. November 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze.

Dem Vertrag über die Bestätigung der bestehenden Grenze können wir nicht zustimmen, da wir uns, ausgehend von der Geschichte, der Rechtslage und im Hinblick auf den Grenzen überwindenden europäischen Einigungsprozeß, im Vorfeld des Vertrages gegen eine isolierte deutsch-polnische Grenzregelung gewandt und für eine in die Zukunft gerichtete Lösung aller offenen deutsch-polnischen Fragen eingesetzt haben.

Dem Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit stimmen wir in der Hoffnung zu, daß durch ihn eine umfassende Zusammenarbeit und zukunftsgewandte Nachbarschaft beider Länder und Völker in einem zusammenwachsenden Europa eröffnet wird.

Wir unterstützen die Politik von Bundeskanzler Helmut Kohl, "in den Gebieten jenseits von Oder und Neiße ein Modell friedlichen Zusammenlebens in Europa zu gestalten", und wollen wie er dort "gemeinsam Zeichen setzen, wie in einem Europa der Vielfalt die verschiedenen Völker und Kulturen einträchtig zusammenleben". Wie der Bundeskanzler "setzen wir auf eine dynamische Vorwärtsbewegung zwischen unseren Völkern", die "vor allem den Menschen in unseren Ländern zugute kommen" soll.

Dabei werden wir entschieden darauf hinwirken, in einem Geist der Verständigung, der vertrauensvollen Zusammenarbeit und in zukunftsgewandten Formen berechtigte Anliegen der deutschen Heimatvertriebenen und der jenseits von Oder und Neiße lebenden Deutschen schrittweise zu verwirklichen, für die in dem Vertrag noch keine befriedigenden Lösungen gefunden werden konnten.

Dies gilt insbesondere für die Verwirklichung des Rechtes auf die Heimat sowie für eine einvernehmliche und dem ökonomischen und ökologischen Wiederaufbau dienende Regelung der durch den Vertrag offen gebliebenen Eigentums- und Vermögensfragen.

Wir bleiben den Idealen der Charta der deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 verpflichtet:

- Schaffung eines geeinten Europas, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können,
- Anerkennung und Verwirklichung des Rechtes auf die Heimat als eines der von Gott geschenkten Grundrechte der Menschheit,
- Hand anzulegen ans Werk, damit aus Schuld, Unglück, Leid, Armut und Elend für uns alle der Weg in eine bessere Zukunft gefunden wird.

Nein zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze:

Erika Steinbach-Hermann, Dr. Rudolf Karl Krause (Bonese), Erwin Marschewski, Dr. Gerhard Päselt, Josef Hollerith, Georg Janovski, Dr. Peter Ramsauer, Arnulf Kriedner, Kurt J. Rossmanith, Susanne Jaffke, Dietrich Austermann, Hartmut Koschyk, Benno Zierer

Enthaltung zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Bestätigung der zwischen ihnen bestehenden Grenze:

Michael Stübgen, Horst Gibtner, Heinz Schemken, Heinrich Lummer, Dr. Egon Jüttner, Dr. Klaus Rose, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff, Ulrich Adam, Michael von Schmude, Dieter Pützhofen


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Merkel beim Tag der Heimat 2009:

Vertriebenenverbände "stets Botschafter der Verständigung"

Am 22. August 2009 beging der Bund der Vertriebenen in Berlin zum 60. Mal seinen "Tag der Heimat". Festrednerin war Bundeskanzlerin Angela Merkel. In ihrer Rede erging sie sich in den üblichen Komplimenten und Anerkennungsfloskeln, lobte die Vertriebenenverbände einmal mehr für ihren großzügigen Verzicht auf Rache und Vergeltung und dafür, dass sie "stets" (seit der Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950!) "den Dialog gesucht" und dadurch zu "Botschaftern der Verständigung in Europa" geworden seien. Dass diese "Botschafter" noch bis in die 1990er Jahre die polnische Westgrenze nicht anerkennen wollten (zum Teil sich noch heute dagegen sträuben), erwähnte sie dabei nicht. Seitenhiebe teilte sie dagegen gegen die DDR aus, die die Oder-Neiße-Linie schon 1950 als endgültige polnische Grenze anerkannt hat. Dort hätten die als Umsiedler bezeichneten Menschen angeblich nicht über ihre Herkunft und ihre Lebensgeschichte sprechen dürfen. "Absurd" nannte sie die Bezeichnung der Umsiedelung als "Friedensmaßnahme" durch den "SED-Staat" und wich damit der Frage nach den rationalen Gründen aus, die die Alliierten zur Umsiedelung von Millionen Deutschen am Ende des 2. Weltkrieges bewogen. Es wäre allerdings ein sehr neuer Ton gewesen, wenn sie sich kritisch mit der alten außenpolitischen Tradition des Deutschen Reiches, die deutschen Minderheiten in anderen Ländern für hegemoniale Ziele zu missbrauchen, auseinandergesetzt hätte. Merkel blieb lieber beim Althergebrachten: Entgegen besserem Wissen (oder sollte sie die Ergebnisse neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen wirklich nicht kennen?) wiederholte sie die seit der unmittelbaren Nachkriegszeit tradierten, weit überhöhten Opferzahlen und sprach davon, "bis zu 2 Millionen Menschen" seien "im Zusammenhang mit Flucht und Vertreibung ums Leben gekommen". Natürlich sind auch Zahlen von 500.000 bis 600.000 Toten schrecklich, aber waren es "unsere Nachbarvölker", die die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus Ostpreußen und Schlesien im Januar 1945 befahlen? Waren es nicht die Nazis, die Frauen, Kinder und Alte bei klirrendem Frost auf die Straßen und über brechendes Eis jagten? Warum dann zitiert die Kanzlerin eine Erklärung des BdV zur EU-Osterweiterung (2004), in der es heißt: "Unsere Nachbarvölker sind uns willkommen" und kommentiert dies mit dem Satz: "Angesichts des Leids der Vertriebenen während und nach dem Krieg ist eine solche Haltung gar nicht hoch genug zu schätzen."

Ja, Angela Merkel sagt auch: "Wir werden nie vergessen: Vertreibung und Flucht der Deutschen waren unmittelbare Folge des von Deutschland begonnenen Krieges und der Verbrechen des Nationalsozialismus." Und sie sagt: "Es gibt keine Umdeutung der Geschichte mit uns." Aber dann spricht sie vom "Unrecht der Vertreibung" und macht die damaligen konkreten Ereignisse zum gleichartigen Teil eines allgemeineren Unrechts, nämlich der "Ereignisse von Flucht und Vertreibung des 20. Jahrhunderts". Später wird von einer "europäischen Dimension von Flucht und Vertreibung" die Rede sein.

"Wahrhaftighe Erinnerung, um daraus zu lernen und Gegenwart und Zukunft in Versöhnung zu gestalten" - das sei die Aufgabe heute, sagt Merkel und begründet damit den Plan eines Vertreibungszentrums in Berlin.

Gleichzeitig macht sie deutlich, was es mit dem viel strapazierten Argument auf sich hat, ein solches Zentrum sei nötig, weil die Betroffenen sonst keinen Platz der Erinnerung hätten: "In sieben Landes- und Spezialmuseen werden große Regionen und Siedlungsgebiete dargestellt - von Ostpreußen bis Siebenbürgen." Auch die wissenschaftliche Funktion, die das Zentrum angeblich haben soll, ist bereits anderweitig abgedeckt: "Wir fördern wissenschaftliche Institute, die sich der Erforschung von Geschichte und Kultur der Deutschen im östlichen Europa widmen." Seit Beginn von Merkels Kanzlerschaft 2005 habe ihr Kulturstaatsminister Bernd Neumann das Fördervolumen für alle diese Einrichtungen deutlich erhöht: "Allein 2009 beträgt die Bundesförderung hierfür fast 18 Millionen Euro."

Bernd Neumann ist auch in Merkels neuem Kabinett für die Kultur (inkl. Vertreibungszentrum) zuständig. Die Vertriebenenverbände können sich aber darüber hinaus freuen, dass einer der Ihren neuerdings unmittelbar über den Geldfluss wacht: Merkel ernannte den Vertriebenenfunktionär und bisherigen Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Hartmut Koschyk, zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium.

Renate Hennecke

Raute

Buchbesprechung

"Jenseits von Gut und Böse" - Handlungsfreiheit statt Moralismuswahn

"Jenseits von Gut und Böse", so hatte der Philosoph Friedrich Nietzsche 1886 sein Werk genannt und untertitelt: "Vorspiel einer Philosophie der Zukunft". Der Verfasser des neuen gleichnamigen Buches, Michael Schmidt-Salomon, im Humanistischen Pressedienst vom 5. August 2009 darauf angesprochen, sagt: "... das hat nun wirklich seinen Reiz ... Ich halte mich ganz gewiss nicht für einen bedeutenderen Philosophen als Nietzsche. Der Punkt ist vielmehr, dass wir heute aufgrund des gestiegenen Wissenstandes viel leichter die Anforderungen einlösen können, die Nietzsche an eine "Philosophie der Zukunft" stellte. Der "Umwerter aller Werte" wusste noch nichts von den Erkenntnissen der Hirnforschung, Genetik, Evolutionsbiologie, Psychologie und Soziologie ..." Schmidt-Salomon: "Nietzsche war ein hervorragender Stilist und in vielerlei Hinsicht auch ein großartiger Psychologe, aber ein Humanist war er ganz sicher nicht! Die humanistische Grundausrichtung meines Buchs, die Betonung von sozialer Gerechtigkeit, von Mitleid und Mitfreude als Basis einer menschenfreundlichen Ethik, hätte ihn sicher abgestoßen. Auf der anderen Seite hätte er den konsequenten Abschied von Gut und Böse bzw. vom "Folterinstrument der Willensfreiheit" jedoch zweifellos begrüßt. Was die Absage an den "Moralismus-Wahn" betrifft, liegen wir auf einer Linie ..."

Damit ist bereits kurz umrissen, worum es in diesem neuen Buch geht. Es will das traditionelle, im Religiösen verhaftete Weltbild in Frage stellen. Er plädiert stattdessen auf Basis einer konsequenten naturalistisch-humanistischen Position für die Handlungsfreiheit des Menschen.


Der Mensch hat keinen freien Willen.

Es gibt wohl keinen Philosophen und Kirchenvater von Aristoteles, Epikur über Luther und Spinoza bis heute, der sich nicht mir diesem Thema auseinandergesetzt hätte. Und dennoch, Schmidt-Salomon beobachtet richtig, wie schockiert die Öffentlichkeit ist, wenn sie mit Stellungnahmen von Hirnforschern konfrontiert wird, die ohne Umschweife die Vorstellung des freien Willens als Fiktion entlarven. Die moderne Hirnforschung zeichnet ein Bild vom Menschen, das unserer Intuition zuwiderläuft (S. 110). So stellt Schmidt-Salomon fest: "Die Belege sprechen eindeutig dafür, dass es keinen über den körperlichen Prozessen schwebenden Geist gibt. Wir müssen uns wohl oder übel damit abfinden, dass Gedanken, für die es keine Hirnschaltmuster gibt, nicht gedacht und Emotionen, die neuronal nicht abgedeckt sind, nicht empfunden werden können." (S. 111) Wie andere Lebewesen auch, sind Menschen nicht in der Lage, Naturgesetze zu überschreiten. So täuschen wir uns bereits, wenn wir meinen, dass unser Wollen unserem Tun vorausgeht. In Wirklichkeit wollen wir nur dann etwas bewusst, wenn wir es auf der Basis unbewusster Prozesse ohnehin schon zu tun im Begriff sind.

Natürlich entsteht aus solch einer Sichtweise ein neuer Blick, menschliche Verhaltensweisen zu beurteilen. "Insbesondere scheint der üblichen Differenzierung zwischen willensfreien und dadurch schuldfähigen und nicht willensfreien, also schuldunfähigen Personen, wie sie etwa vor Gericht vorgenommen wird, die Grundlage entzogen zu sein. "Denn auch geistig gesunde Personen können, so die empirisch belegte Sicht der Hirnforscher, schlichtweg nicht anders handeln, als sie es de facto tun." (S. 114) Schmidt-Salomon beruft sich dabei besonders auf den Philosophen Arthur Schopenhauer, der 1839 in seiner "Preisschrift über die Freiheit des Willens" schreibt: "Du kannst tun, was Du willst: Aber du kannst, in jedem gegebenen Augenblick deines Lebens, nur ein bestimmtes wollen und schlechterdings nichts Anderes, als dieses Eine."

Ohne Wollen also kein Sollen? Ohne Urteilen und Handeln nach Gründen also kein Richtig und Falsch, sondern nur noch nach bedingenden Ursachen? Alles also Schicksal oder Beliebigkeit?

Schmidt-Salomon will uns eine Lösung anbieten, die "einerseits berücksichtigt, dass selbstverständlich auch menschliches Denken, Empfinden, Verhalten naturgesetzlich bestimmt (determiniert) ist, die durch diese Feststellung jedoch andererseits die Möglichkeit einer vernunftgeleiteten Unterscheidung von wahr und falsch beziehungsweise ethisch angemessen und illegitim nicht untergräbt." (S. 116)


Der Mensch ist keine Maschine sondern ein Lebewesen

In der Tat ist "alles mit allem verbunden". Aber auch nach der "Aufhebung" der menschlichen Willensfreiheit ist für Schmidt-Salomon der Mensch keine Maschine, "sondern ein Lebewesen". Der Unterschied zwischen einem Menschen und einer Maschine besteht für ihn nicht darin, dass der Mensch im Gegensatz zur Maschine über einen freien Willen verfügt, sondern darin, dass der Mensch überhaupt über einen Willen verfügt. Denn Leben folgt anderen Gesetzmäßigkeiten als Nichtleben. Es sei ein Fehler, Lebewesen als bloß mechanische Black-Box-Systeme zu betrachten, die von außen vollständig determiniert werden könnten. Der Mensch verfügt zweifellos über die größten Potentiale der Selbststeuerung: Diese Selbststeuerung ist aber nicht "frei" im Sinne von beliebig und unbegründet. Vielmehr ist "das Selbst, das sich hier steuert, ein Produkt milliardenfacher Ursachenfaktoren - und nur der Tatsache, dass zu diesem Netzwerk von Ursachenfaktoren das Prinzip der eigennützigen Selbststeuerung hinzugezählt werden muss, ist es zu verdanken, dass das individuelle Selbst mehr ist als die bloße Summe dieser Wirkfaktoren." (S. 177)

Wir müssen also nach Schmidt-Salomon nicht befürchten, dass die Absage an die Willenfreiheit jene realen Freiheiten gefährdet, die uns so wertvoll sind. "Denn die Freiheit, die wir meinen, wenn wir diesen Begriff in sinnvoller Weise gebrauchen, ist stets eine Handlungsfreiheit: Wir fühlen uns frei, wenn wir weder durch innere noch durch äußere Zwänge daran gehindert werden, das zu tun, was wir wollen." (S. 202)


Die Konstruktion von Gut und Böse

Der Vorstellung der unbedingten Willensfreiheit des Menschen entspricht die vom "Guten" und vom "Bösen" als jeweils absolute moralische Kategorie. Von: Die "ganze Welt steht unter der Macht des Bösen" (Bibel, 1. Johannesbrief 5,19) bis "Wir befinden uns in eine Konflikt zwischen Gut und Böse, und die Vereinigten Staaten werden das Böse beim Namen nennen" (George W. Bush 2002) reichen die Belege von Schmidt-Salomon, wie diese moralische Fiktion, für die es in der Realität keine Entsprechung gibt, auch in säkularem Denken präsent ist. In langen Passagen seines Buches zeigt Schmidt-Salomon, wie diese Fiktionen hervorragend zur Stabilisierung von Gruppen, zu ihrer Abgrenzung vom "Fremden" eignen. In Filmen wie "Star Wars", "Harry Potter" oder "Herr der Ringe" wird das abgrundtiefe, metaphysische Böse in die Köpfe transportiert. Die Fiktion "des Bösen" reduziert die komplexen Zusammenhänge der Entstehung von Übeln auf die Wirkmacht einer einzigen diabolischen Kraft. Der imaginäre Kampf zwischen Gut und Böse muss mit seiner kulturellen Prägekraft dafür herhalten, die Welt zu erklären. Auch die bürgerliche Presse bedient sich ungebrochen dieser Terminologie. Unter der Überschrift: "Das Böse nebenan" berichtet der "Spiegel" (19/2008) über den Österreicher, der 24 Jahre lange seine Tochter im Keller eingesperrt und gequält hatte.

Auch Immanuel Kant ist in seinem Staatsverständnis dem Gedanken verhaftet, dass das Böse erkennbar existiert und abgestraft werden muss. So schreibt er 1797: "Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft ... auflöste ... müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte ..."

Demgegenüber analysiert Schmidt-Salomon ausgiebig neu veröffentlichte von Eichmann im israelischen Gefängnis verfasste Texte, die ihn als völlig verinnerlichten Nazi zeigen. Dabei dokumentiert er die "Posener Geheimrede" Heinrich Himmlers vom 4. Oktober 1943. Sie macht deutlich, wie notwendig die Ideologie des im "Juden" verkörperten "Bösen" war, um die zur biologischen Grundausstattung des Menschen gehörige Mitleidsreaktion zu unterdrücken. Solche Reden schufen die Bedingung in den Köpfen, dass der Völkermord der Nazis von den vielen "Helfern" umgesetzt werden konnte. Wir zitieren aus der Rede Himmlers: "Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht 'das jüdische Volk wird ausgerottet', sagt ein jeder Parteigenosse, 'ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.' Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von Euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei - abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen - anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte ... Wir hatten das moralische Recht, wir hatten die Pflicht gegenüber unserem Volk, dieses Volk, das uns umbringen wollte, umzubringen. Wir haben aber nicht das Recht, uns auch nur mit einem Pelz, mit einer Uhr, mit einer Mark oder mit einer Zigarette oder mit sonst etwas zu bereichern. Wir wollen nicht am Schluss, weil wir einen Bazillus ausrotteten, an dem Bazillus krank werden und sterben ... Insgesamt aber können wir sagen, dass wir die schwerste Aufgabe in Liebe zu unserem Volk erfüllt haben. Und wir haben keinen Schaden in unserem Inneren, in unserer Seele, in unserem Charakter genommen."

Schmid-Salomons erkennt, dass Eichmann es nur schafft, die Liquidierung von Menschen zu organisieren, indem er "den Anderen" als depersonalisierte Marionette darstellt und seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur moralischen Pflicht erklärt (S. 99). Nur so konnte und musste sich Eichmann vor dem Hintergrund der von ihm verinnerlichten Traditionen, wie sie in der Himmler-Rede zum Ausdruck kommt, für eine Beteiligung am Massenmord entscheiden (S. 200).


Im konkreten Lebensvollzug setzen die Menschen ihre Normen

Schmidt-Salomon lehnt konsequent jeden Fatalismus und jeden Relativismus ab, den man voreilig aus der "Abschaffung" der Willensfreiheit folgern könnte. "Wenn wir anerkennen, dass selbst die übelsten Verbrecher in dem Sinne unschuldig waren, dass sie unter Voraussetzung der Gültigkeit der Naturgesetze schlichtweg nicht anders handeln konnten, als sie gehandelt haben, so heißt das nicht, dass wir ihre Taten in irgend einer Weise tolerieren oder gar gutheißen müssten." (S. 200) Der Abschied von der Vorstellung, der Mensch wisse genau, was "Gut" und "Böse" ist, bedeutet eine Stärkung des ethischen Prinzips. Selbst der Satz "Alles ist relativ" ist eben auch nur eine These, die Allgemeingültigkeit beansprucht. Ethisch handeln bedeutet aber nicht, allgemeinen und ewig gültigen moralischen Regeln zu folgen. Hingegen ist angebracht, immer wieder neu zu prüfen, mit welchen positiven und negativen Folgen unsere Entscheidungen verbunden sind.

Dies sei, so der Verfasser des Buches, eben das hervorstechendste Merkmal der humanistischen Tradition der Menschenrechte, dass sie den Individuen völlig unabhängig von ihrer jeweiligen Traditionszugehörigkeit Rechte und Entscheidungsfreiheit einräumt. So sehr uns Traditionen und Denkweisen voneinander trennen, "es ist die menschliche Natur, die uns miteinander verbindet." (S. 191) "Wir alle empfinden Schmerz, wenn man uns verletzt, und Freude ... Wir alle kennen Wohl und Wehe ... Und genau dies ist der Grund, warum der Relativismus im konkreten Lebensvollzug scheitert: Es ist eben nicht beliebig, welche Werte und Normen das Zusammenleben der Menschen bestimmen!" "Denn nur Individuen sind in der Lage, Wohl und Wehe zu empfinden. Traditionen, Staaten, Institutionen haben ebenso wenig 'Interessen' wie DNA-Abschnitte oder Opernarien. Deshalb lassen sich Werte wie Freiheit oder Gerechtigkeit vernünftigerweise auch nur vom Individuum aus begründen - nicht von überindividuellen Zusammenhängen wie religiösen oder staatlichen Gemeinschaften." (S. 192)


Die entspannte Gesellschaft

Nach diesem gewaltigen, zum Teil in angenehm aufmüpfigen Ton geschrieben Ritt durch Naturwissenschaft und Philosophie werden die Folgerungen für die politisch engagierte Leserin eher blass. Worin soll denn das neue Strafsystem bestehen, fragt sich der geneigte Leser, das sich - nach dem Abschied von der Willensfreiheit - von dem alten "herkömmlichen" unterscheidet? Schmidt-Salomon nennt die Themen: Die Funktion der Strafe muss bedacht werden, der Umgang mit dem Täter und die Bedeutung der Verbrechensprävention (S. 281). "Denn im Grunde ist nicht der Täter das Problem, sondern die Bedingungen sind es, die ihn zum Täter werden ließen. Zugegeben: Es ist in der Praxis nur sehr schwer, dieser Bedingungen nachhaltig zu verändern. Doch sollte man dies nicht als Legitimation begreifen, voreilig zu resignieren." (S. 289)


Ein Buch gut zu lesen

Viele seiner Gedanken sind nicht neu, und jedem, der sich mit diesem Thema intensiver befasst hat durchaus einleuchtend. Schmidt-Salomon hat das Problem von "Gut und Böse" und dem "(un)freien Willen" gekonnt dargestellt. Sein Buch ist anders als das von mir kürzlich besprochene Buch "Der Gotteswahn" von Richard Dawkins nicht im arroganten Ton des aufgeklärten Besserwissers geschrieben. Für Dawkins sind religiöse Menschen ja nur dumm, während er selbst in seinem Labor die Mikrobe der menschlichen Dummheit entdeckt hat. Schmidt-Salomon vermag durch seine Darstellung immer wieder zum Nachdenken zu bringen und man wundert sich, wie tief absolute und religiöse Muster sich in das eigene Denken eingenistet haben.

Karl-Helmut Lechner


Das Buch "Jenseits von Gut und Böse" ist 2009 im Pendo Verlag München erschienen und kostet 19.95 Euro


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Dr. phil. Michael Schmidt-Salomon, geboren 1967, freischaffender Philosoph und Schriftsteller, ist Vorstandssprecher der Giordano Bruno Stiftung

- Zur Zeit ist die Frage nach dem Ursprung des Menschen, der Entstehung von Gewalt und der Entwicklung von Gut und Böse aktuelles Thema in vielen renommierten Zeitungen. Obiges Bild und Titel erschienen in "Die ZEIT" am 22. Oktober 2009

Raute

IN & BEI DER LINKEN

Aus der Präambel des Landtagswahlprogramms:

Original sozial - konsequent solidarisch - Kurswechsel

Die Linke.NRW setzt sich für einen radikalen Kurswechsel ein: Für eine Politik, in der nicht die Profite der Konzerne, sondern die Menschen an erster Stelle stehen. Das "Casino" der Finanzmärkte muss endlich geschlossen und die Wirtschaft demokratisiert werden. Die Kosten der Krise dürfen nicht auf die Beschäftigten, die Erwerbslosen und die Rentnerinnen und Rentner abgewälzt werden. Es darf keine Sozialkürzungen und Massenentlassungen geben. Armut und Ausgrenzung müssen bekämpft werden. Statt milliardenschwerer Rettungspakete für die Banken fordern wir einen Schutzschirm für die Menschen in Nordrhein-Westfalen.

Nordrhein-Westfalen ist mit 18 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern das bevölkerungsreichste und am dichtesten besiedelte Flächen-Bundesland. Davon hat fast jeder Vierte einen Migrationshintergrund, jeder Elfte ist ohne deutsche Staatsangehörigkeit. NRW ist wie kaum ein anderes Bundesland von Industrie und Arbeit geprägt und daher von der Wirtschaftskrise besonders betroffen. In Betrieben wie Opel geht es um tausende Beschäftigte und ihre Familien ...

Dabei liegen die Ursachen der Krise nicht in irgendwelchen Exzessen gieriger Manager, sondern im System selbst ... Wie die Geschichte zeigt, bringt der Kapitalismus immer wieder Krisen hervor, die durch Vernichtung von überakkumuliertem Kapital sowie durch verschärfte Ausbeutung von Arbeitskräften und natürlichen Ressourcen scheinbar "überwunden" werden - bis sich die Widersprüche zur nächsten Krise zuspitzen. Die Folgen dieses kapitalistischen Raubbaus sind katastrophal. Sie rufen nicht nur zunehmende Armut und Missstände hervor, sondern gefährden das Überleben der Menschen und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.

Das neoliberale Wirtschaftsmodell der Regierungen auf Bundes- und Landesebene ist auf den Export ausgerichtet, während die Binnenwirtschaft vernachlässigt wird. Um die Exportproduktion wettbewerbsfähiger zu machen, wurde und wird Lohndumping betrieben. Mit Hartz IV, Leiharbeit und befristeten Jobs wurde der Niedriglohnsektor geschaffen und die Umverteilung von unten nach oben weiter befördert. Gleichzeitig weigern sich Bundes- und Landesregierung hartnäckig, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen und die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung sozialer und tariflicher Standards zu knüpfen.

Das Resultat zeigt der Armutsbericht der Landesregierung (2007): die Armen wurden immer ärmer, die Reichen noch reicher ...

Gleichzeitig betrieb die schwarzgelbe Landesregierung eine Bildungspolitik, die Kinder aus einkommensschwachen Familien benachteiligt. Ihre Migrations- und Abschiebepolitik tritt die Menschenwürde mit Füßen. Die schwarz-gelbe Energiepolitik ist durch die Lobbyarbeit von RWE und E.ON beeinflusst, und öffentliches Eigentum aus dem Bereich der Daseinsvorsorge wird an den Meistbietenden verscherbelt. Diesem neoliberalen Mainstream haben sich auch SPD und Grüne angeschlossen und sind deswegen keine Alternative.

NRW braucht einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel: Im Vordergrund stehen dabei die Stärkung des öffentlichen und privaten Binnenmarktes, Wirtschaftsdemokratisierung und sozialökologische Erneuerung statt Massenentlassungen, Lohnverzicht und Marktbereinigung auf Kosten der Beschäftigten und der Umwelt. Wirtschaft muss wieder für die Menschen da sein statt für die Profite einiger weniger Aktionäre. Die Sozialbindung des Eigentums muss wieder hergestellt werden. Mit einem Konjunkturprogramm und einem demokratisch kontrollierten Zukunftsfonds für den industriellen Umbau können Hunderttausende von Arbeitsplätzen in NRW mit guter statt prekärer Arbeit gesichert oder neu geschaffen werden. Öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und erneuerbare Energien müssen ausgeweitet, mehr öffentliches Personal muss eingestellt werden.

Die Linke. NRW fordert als einzige Partei in NRW einen radikalen Politikwechsel ... Unsere linke Alternative ist der demokratische Sozialismus. Wir verstehen darunter eine Gesellschaft, welche die Ausbeutung von Mensch und Natur überwindet ...

Wir fordern einen sofortigen Politikwechsel, der eine völlig neue Richtung bei der Vermögensverteilung, dem Demokratieausbau, bei der Herstellung gleicher Chancen und Rechte für alle und beim sozialen und ökologischen Umbau zum Schutz der Umwelt und des Klimas einschlägt.

Raute

NRW: Landtagswahlprogramm(*) nach kurzer, aber heftiger Diskussion beschlossen

"Die NRW-Linke will RWE und EON verstaatlichen", "NRW-Linke stellt im Wahlprogramm die Systemfrage" - so und ähnlich lauteten die Schlagzeilen der nordrhein-westfälischen Presse zum Wahlprogrammentwurf der Partei Die Linke.NRW für die Landtagswahl 2010. Allen voran der mächtigen WAZ-Konzern in Essen beschränkte die Berichterstattung und Kommentare immer wieder auf die Aussage: Die Linke ist zumindest in NRW nicht regierungsfähig, sie ist ein "Hort des Wahnsinns". Dabei geht es zunächst um den Einzug der Partei in den Landtag des größten Flächenlandes. Und den will ein Teil der Medien gerne verhindern.

Nach dem Ergebnis der Bundestagswahl von landesweit 8,4 % und den aktuellen Umfragen, die Die Linke in NRW ebenfalls bei 8 % taxieren, ist der Einzug in den Landtag zwar relativ sicher. Es bleibt aber die Frage, für welche Inhalte Die Linke steht. Diese Frage ist auch in der Opposition entscheidend und wird durch das beschlossene Wahlprogramm recht schillernd beantwortet.

In NRW merkt man immer wieder, dass die Partei Die Linke eine neue Partei ist. Linkspartei.PDS und WASG hatten bei Gründung der Partei vor zweieinhalb Jahren rund 4.800 Mitglieder, inzwischen sind es trotz einiger Karteibereinigungen wegen Nichtzahlung von Beiträgen mit knapp 9.000 fast doppelt so viele. Dazu passt es, dass die Diskussion des Wahlprogramms kaum an den bei Gründung des Landesverbandes beschlossenen "Landespolitischen Positionen" anknüpfte, obwohl das sicherlich besser gewesen wäre. Im Sommer legte der Landesvorstand einen ersten Entwurf vor, Anfang Oktober einen zweiten, völlig überarbeiteten, der Diskussionsgrundlage für die Entscheidungen wurde. Durch die Einbindung in den Europa-, Kommunal- und Bundestagswahlkampf befassten sich viele Kreisverbände erst im Oktober mit der Diskussion. Anfang November sollte schon die Beschlussfassung sein.

Wegen der Kürze der Zeit hatten mehrere große Kreisverbände beantragt, im November nur die Präambel zu verabschieden und die insgesamt 95 Seiten starke Gesamtfassung erst Anfang nächsten Jahres. Diese Anträge wurden auf dem Landesparteitag am 7./8.11.2009 bei knapp 40 % Gegenstimmen jedoch abgelehnt. Hintergrund war auch die Tatsache, dass der Landesvorstand relativ viele Anträge übernommen hatte. In der Folge behandelte der Landesparteitag in wenigen Stunden annähernd 1.000 Änderungsanträge. Der Überblick, was überhaupt verabschiedet wurde, war für die meisten Delegierten erst im Nachhinein möglich.

Öffentlich und innerparteilich umstritten waren vor allem folgende Punkte:

Die Forderung nach Verstaatlichung der Energiewirtschaft und der Schlüsselindustrien - was immer da auch zugehört. Die "Frankfurter Allgemeine" frotzelte zu Recht, dass eine Politik der Verstaatlichung - wenn schon - mit dem Grund und Boden anfangen müsste. Immerhin "setzt" Die Linke. NRW im beschlossenen Programmentwurf "... auf Wirtschaftsdemokratisierung und die Pluralität gesellschaftlichen Eigentums". Was die Energienetze angeht, steht die Forderung nach Rekommunalisierung im Vordergrund, in Bezug auf die Konzerne wird die "Vergesellschaftung" gefordert. Aufgenommen wurde die Forderung nach "Förderung von Genossenschaften, Belegschaftseigentum oder öffentliche Beteiligung an privaten Unternehmen".

Konterkariert wurden diese Änderungen durch einen Antrag, durch den die Übernahme von Opel durch das Land gefordert wird - viele Delegierte waren der Auffassung, dass bei der Abstimmung nicht klar war, über was abgestimmt wurde und fühlten sich überrumpelt.

Die Diskussion um die Rolle der Justiz, eine landespolitisch wichtige Frage. Im ersten Entwurf war davon die Rede, dass man eine Gesellschaft wolle, in der "Gerichte und Staatsanwaltschaften entbehrlich" sein sollten. Die Gewaltenteilung als historische Errungenschaft spielte keine Rolle. Die entsprechenden Abschnitte sind komplett aus dem Programmentwurf heraus, stattdessen wurden unter Mitwirkung mehrerer Juristen konkrete Forderungen an die Justizpolitik des Landes entwickelt.

Die Forderung nach einem "Recht auf Rausch". Sie stand von Anfang an im Widerspruch zu relativ konkreten Forderungen nach einer Entkriminalisierung der Drogenpolitik des Landes und wurde in einer knappen Kampfabstimmung aus dem Programm gestrichen. Drogenpolitik ist Gesundheitspolitik, das wird nun im Programm sehr deutlich.

Die Abschaffung des Religionsunterricht und sein Ersatz durch Ethikunterricht. Diese Forderung, die - ohne dass es erwähnt wurde - Änderungen sowohl der Landesverfassung als auch des Grundgesetzes voraussetzen würden, ist durch die Forderung nach einem Ethik-Unterricht als Pflichtfach und Religion als freiwilliges Zusatzangebot ersetzt worden. In einer Kampfabstimmung beschlossen wurde allerdings, sich für Verfassungsänderungen stark machen zu wollen, die eine Abschaffung von Religion als Unterrichtsfach ermöglichen.

Die Positionen zu antifaschistischer Politik. Sie standen im ersten Entwurf unter der Aussage "Keinen Fußbreit den Faschisten" und man musste den Eindruck haben, die NRW-Wirtschaft fördere Faschismus. Die vielen Anträge führten schließlich zu einer breit getragenen Ersetzung des entsprechenden Abschnittes durch eine Positionierung unter Überschrift "NRW stellt sich quer: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen".

Im wesentlichen unumstritten waren die Aussagen zu so wichtigen landespolitischen Fragen wie der Bildungspolitik, bei der die Forderung nach "Einer Schule für alle" im Vordergrund steht. Doch auch wenn einige Aussagen zur Struktur- und Regionalpolitik sowie die Forderung nach einer finanziellen und rechtlichen Stärkung der Kommunen in die Präambel und die ausführlichen Fachteile des Programms aufgenommen wurden, enthält das Landtagswahlprogramm auf vielen Feldern der Landespolitik wenig konkrete Aussagen. Die Polizei fehlt fast ganz, Ansätze zu der in NRW heftig umstrittenen Industriepolitik beschränken sich weitgehend auf ökofundamentalistische Aussagen.

Beschlossen wurde, Anfang 2010 einen Sonderparteitag zur Forderung nach einem Zukunftsinvestitionsprogramm durchzuführen. Es wäre wichtig, hier einige Lücken zu schließen und es nicht bei weiteren Bekenntnissen zu Verstaatlichung und dem Primat der Politik bewenden zu lassen.

Wolfgang Freye

(*) Das Wahlprogramm in voller Länge:
http://www.dielinke-nrw.de/fileadmin/kundendaten/www.dielinke-nrw.de/ LTW/Die_LinkenRW_Langwahl_Endfassung_red.pdf

Raute

Die Linke NRW: Landtagskandidaten gewählt

Am 21. und 22. November hat die Partei Die Linke NRW ihre Kandidatinnen und Kandidaten für die Landtagswahl im Mai nächsten Jahres gewählt. Sollte Die Linke die 5-Prozent-Hürde schaffen, ziehen mindestens zehn Abgeordnete in den Landtag, mit Überhangmandaten könnten es auch zwölf oder dreizehn Abgeordnete werden. Erreicht Die Linke NRW sieben oder acht Prozent wären es sechzehn und mehr Sitze. Dementsprechend umkämpft waren diese Listenplätze.

Rund 80 Mitglieder des derzeit viertgrößten Landesverbandes fühlten sich berufen auf den ersten zwanzig Listenplätzen zu kandidieren. Die große Mehrheit wusste dabei nicht darzustellen, was sie im Landtag tun sollen und manche wirkten sogar, als würden sie es auch gar nicht wissen wollen. Einige davon wurden trotzdem gewählt. Dementsprechend gingen die meisten Reden, ähnlich wie das zwei Wochen vorher verabschiedete Wahlprogramm, am Thema vorbei. Es kam zu einem Überbietungswettbewerb, wer am meisten "dagegen" ist. Kandidatinnen und Kandidaten mit konstruktiven und konkreten Vorstellungen waren die Ausnahmen, und wurden zum Teil sogar gewählt. So konnte sich auf Platz 5 die strömungsunabhängige Bildungspolitikerin und Ratsfrau Gunhild Böth mit einer überzeugenden Rede gegen Irina Neszeri, Angestellte in der Landesgeschäftstelle durchsetzen. Auch das Landesvorstandsmitglied Edith Fröse konnte sich nicht durchsetzen. Beide scheiterten, obwohl sie Mitglieder der Antikapitalistischen Linke (AKL) sind, an ihrem Image im Landesverband.

Auf Platz eins wurde mit der Lehrerin Bärbel Beuermann eine Kommunalpolitikerin gewählt, die bereits seit PDS-Zeiten ein Mandat im Herner Stadtrat wahrnimmt. Sie ist stellvertretende Landesvorsitzende und setzte sich gegen eine andere Kandidatin mit 84 Prozent deutlich durch. Der Landesvorsitzende Wolfgang Zimmermann erhielt bei einem Gegenkandidaten nur knapp 65 Prozent der Stimmen. Er führt sein schlechtes Abschneiden darauf zurück, dass er sich in seiner Rede für eine Regierungsbeteiligung ausgesprochen hat. Hinzu kamen aber auch Delegierte, die andere Gründe hatten.

Opel-Betriebsrat Michael Müller, der erst kürzlich in die Linkspartei eingetreten ist, konnte nicht überzeugen. Obwohl seine Aufstellung ein wichtiges Signal gewesen wäre, scheiterte er an Ali Atalan, der im Landesverband gut vernetzt ist und die Unterstützung von fünf Kreisverbänden und einer Vielzahl von Migrantenorganisationen hatte. Die Plätze 9 und 11 gingen mit Özlem Demirel und Hamide Akbayir ebenfalls an Kandidatinnen mit Migrationshintergrund.

Die Linke hat somit ausgerechnet im Industrieland NRW keine/n profilierte/n Kandidatin/en von der IG Metall aufgestellt, ebenso wenig wie jemanden mit dem ausdrücklichen Politikfeld Komunalpolitik. Auch Wolfgang Freye aus Essen scheiterte auf Platz 10 gegen Michael Aggelidis und dem Landesgeschäftsführer Günter Blocks.

Wenigstens befinden sich mit dem IG-BAU-Sekretär Holger Vermeer aus Essen auf Platz 14 nicht nur Mitglieder/Funktionäre der GEW und Verdi auf der Liste. Trotzdem bleiben wichtige politische Felder nicht ausreichend besetzt, wie die Strukturpolitik, die Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik. Michael Aggelidis, der als möglicher wirtschaftspolitischer Sprecher gilt, vertritt ökofundamentalitische Positionen und hat sich für eine Fusion von Eon und RWE zu einem Staatskonzern ausgesprochen um den Haushalt zu sanieren und sich damit gegen die im Programm beschlossene Forderung nach Rekommunalisierung gestellt. Der Landesvorstand hat sich entgegen Forderungen aus Kreisverbänden ausdrücklich geweigert, einen Listenvorschlag zu machen. Das Ergebnis ist eine unausgewogene Liste.

Auch wenn mit dem Scheitern von Edith Fröse und Irina Neszeri deutlich wurde, dass die Zugehörigkeit zu und Unterstützung von einer der beiden Strömungen nicht mehr automatisch für einen Listenplatz reichte: Ohne diese Unterstützung ging es aber auch nicht. Fehlten diese Stimmen als "Grundkapital" reichten in der Regel die Stimmen der strömungsunabhängigen Delegierten nicht aus. So bleibt der innerparteiliche Pluralismus schwer beschädigt, wenn von den ersten 16 Listenplätzen acht der AKL, zwei weitere ihrem Umfeld und vier Plätze der SL zugeordnet werden können. Zudem finden sich für einen Landesverband, der in der Statutendebatte bei der Frage der Trennung von Amt und Mandat eine eher starre Haltung eingenommen hat, erstaunlich viele Funktionsträger auf der Liste wieder. Neun Mitglieder des Landesvorstandes befinden sich alleine unter den ersten 16 Plätzen, ein Platz ging an den bisher einzigen Landtagsabgeordneten der Partei, ein weiterer an eine Beschäftigte der Partei. Sollte die Linkspartei in den Landtag einziehen, müsste wegen der Trennung von Amt und Mandat der größte Teil des Landesvorstandes neu gewählt werden. Da die AKL weiterhin den Landesverband dominiert, ist zu befürchten, dass Mitglieder mit einem ähnlichen Politikstil wie jetzt dort einziehen.

Der jetzt in den Landtag drängenden AKL ist es in zwei Jahren Dominanz des Landesvorstandes nicht gelungen, tragfähige politische Konzepte zu entwickeln, auf deren Grundlage vernünftige Vorschläge und Angebote an die Gesellschaft gemacht worden wären. Dazu kommt eine Doppelmoral, die die eigene Position mit einem rigiden "Wahrheits"anspruch moralisch überhöht und andere Politikstile denunziert. Andererseits beweist die AKL ein Gespür für knallharte Realpolitik, wenn es darum geht ihre Machtposition in der Linkspartei weiter auszubauen. Von einer Selbstbeschränkung zur Förderung des Pluralismus im Landesverband kann keine Rede sein, dementsprechend auch nicht von einer parteiinternen Öffnung oder von einer Öffnung zur Gesellschaft. So scheint trotz der aktuellen Umfragewerte, die eine rot-rot-grüne Mehrheit in NRW prognostizieren, dieses kein Garant zu werden um Schwarz/Gelb zu verhindern.

Thorsten Jannoff


Kandidatinnen und Kandidaten für die ersten sechzehn* Listenplätze

(1) Bärbel Beuermann, Ratsfrau aus Herne, GEW, Landesvorstand Die Linke, ehemals PDS, SL**. 2 Wolfgang Zimmermann, Personalratsvorsitzender, Verdi-Landesbezirksvorstand, Landesvorsitzender Die Linke, ehemals WASG, AKL***. (3) Carolin Butterwege, Sozialwissenschaftlerin, Mitarbeiterin MdL Rüdiger Sagel, Landesvorstand Die Linke, ehemals WASG, SL. (4) Rüdiger Sagel, MdL Die Linke, Verdi, vormals Bündnis 90 Die Grünen. (5) Gunhild Böth, Ratsfrau aus Wuppertal, Landesvorstand GEW, ehemals PDS. (6) Ralf Michalowsky, Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand, ehemals SPD, Grüne und WASG, Verdi, SL. (7) Anna Conrads, Politikwissenschaftlerin, Mitarbeiterin der Landesgruppe NRW der Bundestagsabgeordneten Die Linke, JungdemokratInnen/Junge Linke, Rote Hilfe, ehemals WASG. (8) Ali Atalan, Landesvorstand Die Linke, Mitarbeiter MdL Sagel, ehemals PDS, AKL. (9) Özlem Demirel, Ratsfrau aus Köln, ehemals PDS, DIDF, Verdi, AKL. (10) Michael Aggelidis, Landesvorstand Die Linke, ehemals SPD, PDS und WASG, AKL. (11) Hamide Akbyir, Landesvorstand Die Linke, Sprecherin AG Umweltpolitik, ehemals Grüne und PDS, AKL. (12) Helmut Eigen, stellvertretender Landesvorsitzender, ehemals WASG, Verdi, AKL. (13) Steffi Karger, Personalrätin, Verdi-Bezirksvorsitzende, ehemals PDS. (14) Holger Vermeer, IG-Bau-Sekretär, Landessprecher AG Betrieb und Gewerkschaft, ehemals SPD und WASG. (15) Karina Ossendorf, Sprecherin AG Bedingungsloses Grundeinkommen, ehemals SPD und WASG, AKL. (16) Wolfgang Dressen, Landesvorstand Die Linke, ehemals PDS, AKL

(*) Die gesetzliche Mindestanzahl der Landtagsmandate beträgt 181. Die Umfragewerte für NRW-Linke stehen zur Zeit zwischen 6% und 8%, siehe www.wahlrecht.de.
(**) SL, Sozialistische Linke NRW, siehe http://www.realistisch-und-radikal.de.
(***) AKL, Antikapitalistische Linke, siehe http://www.antikapitalistische-linke.de.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

O-Ton: www.dielinke-nrw.de/ "Selbstbewusst und kämpferisch zeigte sich Die Linke. NRW Sonntagabend am Ende ihrer LandesvertreterInnenversammlung (LVV) in Mülheim an der Ruhr. Ermüdet aber zufrieden waren die über 200 Delegierten zum Schluss der Veranstaltung: Die Landesliste zu den Landtagswahlen im Mai 2010 - konsequent quotiert - wurde einstimmig verabschiedet. Die Konferenz endete mit dem gemeinsamen Singen der Internationalen."

Raute

Bericht vom bundesweiten Treffen der Zusammenschlüsse in der Linken

Am vergangenen Samstag trafen sich in Berlin knapp 40 Vertreterinnen und Vertreter der bundesweiten Zusammenschlüsse der Partei Die Linke. Zu Beginn berichtete Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch über die aktuelle politische Lage und der Arbeit des Parteivorstandes. Er bestritt, dass es im Parteivorstand eine Nachfolgedebatte zu Lafontaine geben würde. Wo sie dann stattfindet, sagte er nicht. Die in diesem Jahr erzielten Wahlergebnisse seien äußerst erfolgreich gewesen und unterstrichen die Glaubwürdigkeit der Partei. Die Bundestagsfraktion habe sich zügig konstituiert. Die Wahl Petra Paus zur Vizevorsitzenden des Bundestags sei völlig problemlos erfolgt, im Gegensatz zur gescheiterten Kandidatur von Lothar Byski vor vier Jahren. Das Klima habe sich im Bundestag deutlich verbessert.

Die Mitgliederentwicklung ist weiterhin positiv, zum 30.9 gab es ein Plus von 1.700 Mitgliedern im Vergleich zum Vorjahr. 6.500 Mitglieder sind neu hinzugekommen, 4.800 haben die Partei aus verschiedensten Gründen verlassen. Das sei aber kein Trend und erkläre sich vor allem aus Karteibereinigungen und Sterbefällen. Der Landesverband NRW wächst am zügigsten, mittlerweile ist er der viertgrößte. Bartsch drohte damit, dass er bald der größte Landesverband sein könnte.

Die Regierungsbeteiligung in Brandenburg ist bei den Ostverbänden mehrheitlich als Erfolg wahrgenommen worden, in den Westverbänden wird sie kritisch gesehen. Das Problem sei, dass in der Energiepolitik die programmatischen Grundlagen der Partei nicht eingehalten würden, sowie die Streichung der Stellen im öffentlichen Dienst. Trotzdem würden die Erfolge überwiegen, so z.B. bei der Einführung eines Mindestlohns und dem neuen Vergabegesetz, zudem sei eine Anpassung der Infrastruktur an die schrumpfende Bevölkerung notwendig. Bartsch forderte eine kritische und vor allem solidarische Begleitung.

Der zweite Parteitag wird vorbereitet und findet am 15. und 16. Juni in Rostock statt.

Der Bereich Politische Bildung soll innerhalb der Linkspartei intensiviert werden. Spätestens Ende 2011 soll das neue Programm verabschiedet werden.

Karen Ley, Mitglied der Programmkommission berichtete, dass dort zwei Herangehensweisen diskutiert werden. Die Mehrheit möchte nach entsprechenden Vorfelddiskussionen einen Gesamtentwurf vorlegen. Die Minderheit, zu der sie gehöre, möchte zuerst strittige und offene Fragen anhand von Thesen diskutieren und klären, bevor es zur Programmerstellung kommt.

Der Bundesschatzmeister Karl Holluba nahm Stellung zur Finanzplanung für die Zusammenschlüsse. Deren Budget kann wegen steigender Beitragseinnahmen von insgesamt 120.000 Euro auf 150.000 Euro erhöht werden. Das Gesamtbudget der Linkspartei liegt bei ca. 10 Mio. Euro.

Zur Frage, ob die Zusammenschlüsse weiterhin stimmberechtigte Mandate für Parteitage erhalten sollen, gab es Pro- und Contrameinungen. Der Wunsch dieses zu diskutieren, wurde auf der letzten Sitzung geäußert und kam nicht vom Parteivorstand. Einig waren sich alle darin, mindestens die beratende Teilnahme an Parteitagen zu erhalten. Zudem sollte der Parteivorstand mehr die inhaltliche Zusammenarbeit mit den Zusammenschlüssen suchen und auch Anforderungen stellen. Schließlich sei eine Parteistruktur mit pluralistischen Zusammenschlüssen auch eine wichtige Konsequenz aus der DDR-Geschichte.

Im Januar findet eine weitere Sitzung statt, auf der jeweils zwei Sprecher/innen der jeweiligen Zusammenschlüsse aus ihren Reihen insgesamt sechs Mitglieder für den Bundesausschuss wählen werden.

Thorsten Jannoff

Raute

Winterschule der ArGe Konkrete Demokratie - soziale Befreiung vom 2. bis 5. Januar 2010

Kurs Philosophie/Kulturwissenschaft: Schulden und Recht

Die Finanzkrise war besonders bei ihrem Beginn eine akute Bedrohung des kapitalistischen Systems. Trotzdem hat es auf Seiten der Linken kaum Stimmen gegeben, die dies begrüßt hätten. Ein Zusammenbruch des Kapitalismus auf diese Weise war nicht gewünscht wegen der schrecklichen Folgen, die dies für alle hätte. Auch das ist ein bemerkenswertes Ergebnis der Finanzkrise.

Dies hat Konsequenzen für den Versuch, den Kapitalismus als herrschende Produktionsweise zu überwinden. Linke Strategien, die eine neue Produktionsweise anstreben, indem einfach die alte zertrümmert wird, können getrost beerdigt werden. Ein Zusammenbruch des Kapitalismus durch eine revolutionäre Erhebung hätte ähnliche Auswirkungen wie ein Zusammenbruch aufgrund einer Finanzkrise.

Eine neue Ökonomie ist nur möglich durch Transformation der alten. Damit die Linke hier steuernd eingreifen kann, ist eine Bestandsaufnahme des Bestehenden erforderlich. Wie funktioniert es? Wie verändert es sich bereit jetzt? Was sollte warum beibehalten werden? Wo ist dringend Neues erforderlich?

Zur Beurteilung der Finanzkrise muss zum einen das Finanz-System auf diese Weise überprüft werden, zum anderen aber auch alle Einrichtungen, die es ermöglichen. Dazu gehört ganz wesentlich ein funktionierendes Rechts-System. Denn Kredit erfordert beim Kreditgeber das Vertrauen, das verliehene Geld überhaupt zurück zu bekommen. Dies wiederum ist nur möglich, wenn es eine Instanz gibt, die im Problemfall Hilfe bietet.

Der Kurs Philosophie / Kulturwissenschaft wird sich deshalb mit dem Thema Recht befassen.


Kurs Wirtschaft: Kredit und Spekulation in der arbeitsteiligen Wirtschaft

Seit der jüngsten Weltwirtschaftskrise liegt die Bedeutung des Kreditwesens für die soziale Situation auf der Hand. Wir wollen uns in der nächsten Arbeitsgruppe Wirtschaft deshalb zunächst mit der geschichtlichen Entwicklung (Marx/Sombart/Weber/Schumpeter) des modernen Kreditwesens auseinandersetzen. Im modernen Kapitalismus erweitert sich die Problematik. Kredit auf der Basis der Geldschöpfung durch das Banksystem wird zu einem entscheidenden Steuerungsmittel der wirtschaftlichen Entwicklung. Geldmengenpolitik und Zentralbankpolitik rücken in den Vordergrund der geld- und kreditpolitischen Diskussion. Das wollen wir anhand von aktuellem Datenmaterial (im wesentlichen der Bundesbank) und anhand von Auszügen aus Lehrbüchern (u.a. H.-J. Jarchow, Theorie und Politik des Geldes, Band II: Geldmarkt und geldpolitische Instrumente) diskutieren. Welche Risiken und Mechanismen das moderne Bankensystem entwickelt hat, wollen wir abschließend mit Auszügen aus dem systemtheoretischen Buch von Prof. Dirk Baecker, "Womit handeln Banken? Eine Untersuchung zur Risikoverarbeitung in der Wirtschaft" auseinandersetzen und diskutieren.


Kurs Internationale Politik: Die EU: staatlich/zwischenstaatliche Organisationsform "eigener Art" (Bundesverfassungsgericht) - Theoreme für die weitere Entwicklung - auf der Rechten und in der Linken

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Lissabon-Vertrag und mit der abschließenden Unterzeichnung des Vertrages sind Fakten für die weitere Entwicklung geschaffen. Die Auseinandersetzung um Zielvorstellungen und aktuelle Politik in und zur EU greift zwangsläufig auf bestehende, historisch bedingte und geprägte Theoreme innerstaatlicher und zwischenstaatlicher Entwicklung zurück. Der Kurs internationale Politik wird sich im kommenden Winterkurs mit einer kritischen Sichtung solcher Theoreme auf der Rechten und in der Linken befassen.


Allgemeine Informationen:
Die Winterschule findet von Samstag, 2. Januar, bis Dienstag, 5. Januar 2010, in Erfurt statt. Beginn ist am Samstag um 14 Uhr, Ende am Dienstag ca. 12 Uhr. Näheres siehe auch Politische Berichte 11/2009.

Raute

Die nächste Ausgabe der Politischen Berichte erscheint am 14. Januar 2010. Redaktionsschluss: Freitag, 8. Januar.
Artikelvorschläge und Absprachen über pb@gnn-verlage.de. Tel: 0711/3040595, freitags von 7-12 h.

Die nächsten Erscheinungstermine, jeweils donnerstags: 11. Februar, 11. März, 8. April

Raute

IMPRESSUM

Politische Berichte

ZEITUNG FÜR LINKE POLITIK - ERSCHEINT ZWÖLFMAL IM JAHR

Herausgegeben vom: Verein politische
Bildung, linke Kritik und Kommunikation,
Venloer Str. 440, 50825 Köln
Herausgeber: Barbara Burkhardt, Christoph Cornides,
Ulrike Detjen, Emil Hruska, Claus-Udo Monica,
Brigitte Wolf.

Verantwortliche Redakteure und Redaktionsanschriften:

Aktuelles aus Politik und Wirtschaft;
Auslandsberichterstattung:
Christiane Schneider, (verantwortlich),
GNN-Verlag, Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg,
Tel. 040/43 18 88 20, Fax: 040/43 18 88 21.
E-mail: gnn-hamburg@freenet.de - Alfred Küstler,
GNN-Verlag, Postfach 60 02 30, 70302 Stuttgart,
Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32.
E-mail: stuttgart@gnn-verlage.com

Regionales / Gewerkschaftliches: Martin Fochler,
GNN Verlag, Stubaier Straße 2, 70327 Stuttgart,
Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32,
E-mail: pb@gnn-verlage.de

Diskussion / Dokumentation: Rüdiger Lötzer,
Postfach 210 112, 10501 Berlin,
E-mail: gnn-berlin@onlinehome.de

In & bei der Linken: Jörg Detjen,
GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH,
50825 Köln, Venloer Str. 440, Tel. 0221/21 16 58,
Fax: 0221/21 53 73. E-mail: gnn-koeln@netcologne.de

Termine: Alfred Küstler, Anschrift s. Aktuelles.

Die Mitteilungen der "Bundesarbeitsgemeinschaft
der Partei die Linke Konkrete Demokratie - Soziale
Befreiung" werden in den Politischen Berichten
veröffentlicht. Adresse GNN Hamburg

Verlag: GNN-Verlagsgesellschaft Politische
Berichte mbH, 50825 Köln, Venloer Str. 440
und GNN Verlag Süd GmbH, Stubaier Str. 2,
70327 Stuttgart, Tel. 0711/62 47 01, Fax: 0711/62 15 32
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Bezugsbedingungen: Einzelpreis 4,00 Euro. Ein
Halbjahresabonnement kostet 29,90 Euro (Förderabo
42,90 Euro), ein Jahresabonnement kostet 59,80 Euro
(Förderabo 85,80 Euro). Ein Jahresabo für Bezieher
aus den neuen Bundesländern: 54,60 Euro,
Sozialabo: 46,80 Euro. Ausland: + 6,50 Euro
Porto. Buchläden und andere Weiterverkäufer erhalten
30 % Rabatt.

Druck: GNN Verlag Süd GmbH Stuttgart

Gegründet 1980 als Zeitschrift des Bundes Westdeutscher Kommunisten unter der Widmung
"Proletarier aller Länder vereinigt Euch!
Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch".
Fortgeführt vom Verein für politische Bildung, linke Kritik und Kommunikation.


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Quelle:
Politische Berichte - Zeitschrift für linke Politik
Ausgabe Nr. 12, 3. Dezember 2009
Herausgegeben vom: Verein politische Bildung, linke Kritik und
Kommunikation
Venloer Str. 440, 50825 Köln
E-Mail: gnn-koeln@netcologne.de
Internet: www.gnn-verlage.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2010