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ROTFUCHS/116: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 162 - Juli 2011


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

14. Jahrgang, Nr. 162, Juli 2011



Inhalt
- Holters nördliche Flurbereinigung
- Die zwei Gesichter des Willy Brandt
- Zur Kommunismus-Debatte: Geschichte im Zeugenstand
- Nach dem japanischen Super-Gau: Grüne Verwirrspiele
- Die "toxischen Papiere" der Hypo Real Estate
- Merkels "Migrationspolitik": Viel Geschwätz und wenig Wolle
- Bahnbrecher der DDR-Hüttenindustrie
- Neid auf die Akteure vom April 1946
- Wer die braunen Banditen erfand
- Was ist Faschismus?
- Hitlers Euthanasie-Programm - Formel für Massenmord
- Marxismus für Einsteiger: Partei
- Der Mann, der McCarthy entwischte
- Zu Stéphane Hessels "Empört Euch!": Nicht im Giftschrank, sondern bei ALDI
- Die große Reise des kleinen Pierre Alain
- "Im August, im August blüh'n die Rosen ..."
- Bevölkerungsexplosion in Armutshochburgen
- NATO erledigt Libyens "Aero-Panzer"
- RF-Extra - Keine Sternstunde für Kapitalisten
- RF-Extra - Gisela Elsner und die Kommunisten
- Vor 90 Jahren wurde die KP Chinas gegründet
- Wo sich selbst Putin bekreuzigt ...
- No pasaran! 75 Jahre nach Francos Meuterei
- Pariser Putsch an der Côte d'Ivoire
- Das erdumspannende Stützpunktnetz des Pentagons: Die Welt im Visier
- Kolumbiens "Voz" verschafft sich Gehör
- Freiheit für Serbiens General Radko Mladic!
- Vergewaltigte DSK "nur" eine Zimmerfrau?
- Zur 1500. Ausgabe des australischen "Guardian"
- Spanien: Von Brüssel ferngelenkter Rechts-Sieg
- Autor mit Diplomatenpaß: Eduard Claudius
- Lorenz Knorr brandmarkte Adenauers Nazi-Generäle
- DDR war Philatelie-Dorado: "Amsel, Drossel, Fink und Spatz ..."
- Mit einem Revierförster auf der Pirsch
- Als Glückspilz Archie Schwein hatte
- Leserbriefe
- Grafik des Monats

Raute

Ist Merkel an der Macht?

Angela Merkel, die Pfarrerstochter aus dem beschaulichen Templin, hat einen schweren Weg hinter sich. In der atheistischen DDR wurde sie nach dem ihr aufgenötigten Abitur und erzwungener Promotion - ihre Marxismus-Belegarbeit kam leider abhanden - auch noch zu einem nur politisch äußerst Unzuverlässigen angebotenen Zusatzstudium in der Sowjetunion gedrängt. Erst nach der Befreiung vom roten Joch konnte sie aufatmen. Wenn man der Kanzlerin heute "über die Schulter schaut", glaubt man, sie sei tatsächlich an der Macht. Als Regierungschefin des stärksten europäischen Staates gilt sie - wie einst Großbritanniens Margaret Thatcher - manchen als "Eiserne Lady". Andere halten sie sogar für die "mächtigste Frau der EU".

Zugegeben: In der BRD gibt es derzeit wohl niemanden auf der politischen Bühne, der es mit der Kanzlerin in puncto Machtinstinkt aufnehmen könnte. Merkels Machthunger ist durch nichts zu stillen. Ihr Machtgehabe wirkt durchaus glaubwürdig. Es beeindruckt selbst ähnlich Gepolte im In- und Ausland. Nehmen wir nur den französischen Präsidenten Sarkozy. Er geizt nicht mit Sympathiebekundungen, wenn er der Kanzlerin begegnet. Und die Buntbejackte gilt, obwohl beliebig austauschbar, da ohne eigenständiges ideologisches Profil, nicht grundlos als mächtige Person. Immerhin steht sie am Ruder eines einflußreichen Machtgefüges. Aber ist sie deshalb auch an der Macht? Sind Ambition und Wirklichkeit hier deckungsgleich?

Wer in der BRD tatsächlich zu den Machthabern gehört, wurde am 60. Geburtstag Josef Ackermanns transparent. Eine Party im Bundeskanzleramt verdeutlichte schlaglichtartig, an wessen Leine Angela Merkel marschiert. Nach Ackermanns Deutsche-Bank-Motto "Leistung aus Leidenschaft" lud sie die Gäste des Magnaten in das Allerheiligste ihrer schwarz-gelben Koalition ein.

Übrigens zählt auch BDI-Boß Dieter Hundt zu jenen, die dem Merkel-Kabinett Ton und Takt vorgeben. Zumindest mittelbar. Direkt hat er das seinem früheren Geschäftsführer Norbert Röttgen übertragen. Der in die Regierungsmannschaft vorgeschobene Hundt-Vertraute läßt dort die Katze aus dem Sack. Nach dem Ausfall von Friedrich Merz, der früher in der CDU-Fraktionsspitze die Konzerninteressen koordinierte, ist mit Röttgen ein Mann der Stromlobby als Minister für Umweltschutz installiert worden. Er schirmt die Atomkraftgiganten gegen Zudringlichkeiten echter Umweltschützer ab. Daß zu diesem Spiel mit gezinkten Karten nach Fukushima die Maskerade eines "Atomausstiegs mit Augenmaß" gehört, versteht sich von selbst. Röttgen wird's schon richten.

An den Schalthebeln steht auch ein Mann, der jetzt für die "Landesverteidigung am Hindukusch" zuständig ist. Thomas de Maizière, Sohn des einstmals ranghöchsten Generals der Bundeswehr, bedient die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie, die sich inzwischen auf den dritten Platz unter den Waffenexporteuren der Welt vorgeschoben hat.

Seit dem Wegfall des Warschauer Vertrages - der Verteidigungskoalition sozialistischer Staaten - jagt ein imperialistischer Krieg den anderen. Ohne Unterlaß bauen die Medien des Kapitals, die selbst zum Klub gehören, neue lohnende Aggressionsziele auf - erst Serbien, dann Irak, danach Afghanistan, schließlich Libyen. Auch Syrien paßt in das Raster zu attackierender "Diktaturen".

Kapitalismus und Krieg sind zwei Seiten einer Medaille. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Aber auch der Zusammenhang zwischen Frieden und Sozialismus steht außer Frage. Diese Lektion haben inzwischen selbst etliche von jenen gelernt, welche einst gierig nach den Bananen des Westens griffen und ihren Sozialismus im Osten leichtfertig über Bord warfen.

Ist Merkel an der Macht?, haben wir eingangs gefragt. Bedeutet die ambitiöse Machtbesessenheit dieser "Christin", die auf das 5. Gebot pfeift, oder ihre herausgehobene Position an der Regierungsspitze, daß sie tatsächlich mehr ist als ein gut funktionierendes Instrument der eigentlichen Machthaber?

Doch auch das sei gesagt: Uns, die wir in der DDR zwischen 1949 und 1989 dem Kapital erfolgreich die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum entzogen, hat die Konterrevolution mit dem sozialen Gestern konfrontiert. Nun ohne die Macht, sind wir indes nicht ohnmächtig. Auch unsere Zeit wird wieder kommen. Der Geschichtsverlauf ist oft irregulär. Jähe Wendungen gehören dazu. Nehmen wir nur ein Beispiel: Mitte der 20er Jahre war die KPD - nach der verlorenen Novemberrevolution und den niedergeschlagenen Arbeiteraufständen in Mitteldeutschland und Hamburg - keine sehr einflußreiche Kraft. Aber nur kurze Zeit später - zu Beginn des dritten Jahrzehnts - galt sie unter Thälmann als die weltweit stärkste kommunistische Partei neben der KPdSU.

Natürlich wiederholt sich die Geschichte niemals in derselben Form. Aber man sollte aus ihr Lehren ziehen und Kraft schöpfen. Kraft und Mut für kommende Kämpfe.

Klaus Steiniger

Raute

Wie der Holter-Clan die Linkspartei SPD-kompatibel machen will

Nördliche Flurbereinigung

"Opposition ist Mist", sagte einst der seinerzeitige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering. Diese Auffassung hängt mit dem Anspruch seiner Partei zusammen. Seit August Bebels Tod im Jahre 1913 ist die SPD nämlich nicht mehr veränderungswillige politische und soziale Opposition, sondern ein entscheidender Faktor bei der Stabilisierung des kapitalistischen Systems. Die Folgen sind bekannt.

Münteferings Gedanken sind unterdessen auch längst bei der Linkspartei in Mode gekommen. Mecklenburg-Vorpommerns PDL wurde bekanntlich zweimal in die SPD-Regierung aufgenommen. Ihre Beteiligung brachte bescheidene Ergebnisse, offen-barte aber einen beeindruckenden Mangel an Konsequenz. In Kabinettsverantwortung akzeptierte sie sogar den Bruch des Koalitionsvertrages durch den SPD-Ministerpräsidenten Harald Ringstorf, der sich im Bundesrat ohne Skrupel über sie hinwegsetzte. Ein Anlaß, den Verbleib in der Koalition auch nur zu prüfen, war das nicht. Zur Beruhigung der aufgebrachten Parteibasis hieß es lediglich, der SPD-Regierungschef habe es ja zugegeben und gelobt, es nicht wieder zu tun.

Ein weiteres trauriges Resultat jenes Zusammengehens - es blieb weitgehend unbemerkt - war das wohl schärfste Polizeigesetz der BRD. Die eindeutige Marschrichtung wurde schon damals durch die Devise bestimmt: Mitregieren um jeden Preis. Eine Auswertung dieser Koalitionsbeteiligung mit der Basis der eigenen Genossen fand nicht statt, obwohl hierzu durch das Buch "Warum? Für wen? Wohin? 7 Jahre PDS Mecklenburg-Vorpommern in der Regierung" eine kritische und ehrliche Analyse als Diskussionsgrundlage gegeben war.

Vor fünf Jahren wurde die PDS dann in die Opposition geschickt, weil es die SPD vorzog, fortan mit der CDU zu regieren, obwohl auch die andere Variante möglich gewesen wäre. Angeblich seien die inhaltlichen "Schnittmengen" zwischen SPD und CDU größer, hieß es. Und ausgerechnet diese CDU will "Die Linke" künftig beim Mitregieren ersetzen. Dazu muß natürlich ein noch höheres Maß an Übereinstimmung mit der SPD bestehen. Das bedeutet nach den Vorstellungen einiger tonangebender PDL-Politiker in M-V, die eigene Partei bis zum Wahltag SPD-kompatibel zu machen. Dabei geht es um das Ausräumen denkbarer Hinderungsgründe für eine Koalition mit den Sozialdemokraten.

Ein Weg dorthin ist die radikale Säuberung der Partei von all jenen, welche der SPD einen Vorwand zur Fortsetzung ihrer Koalition mit der CDU liefern könnten. Diese Operation hat bereits im Herbst vergangenen Jahres begonnen. Da wurde plötzlich eine Medienkampagne über "neue Stasi-Verstrickungen" von Politikern der "Linken" in Szene gesetzt. Zusätzliche Erkenntnisse lagen dabei über die angeschwärzten Genossinnen und Genossen, die sich schon früher erklärt hatten, nicht vor. Dennoch wurden einige von ihnen vorbeugend kaltgestellt. Damit war der erste Stolperstein aus dem Weg geräumt, der beim beabsichtigten Herauskommen aus der "Mist"-Opposition hinderlich gewesen wäre.

Der zweite Akt dieser Flurbereinigung wurde im April auf der Konferenz der Landesvertreter gespielt. Hier stellte man die Liste für die Landtagswahlen im September auf. Nach der Satzung des Landesverbandes war der Vorschlag durch den Landesausschuß zu erarbeiten. Dafür gab es klare Richtlinien, nach denen neben der Fachkompetenz der Bewerber auch deren feste Verankerung in der Partei, Ausstrahlung nach außen und territoriale Herkunft zu berücksichtigen waren. Die Kreisverbände stellten ihre Kandidaten auf und gaben deren Reihenfolge auf der Gesamtliste vor. So konnte der Landesausschuß nach eineinhalb Jahren intensiver Arbeit einen ausgewogenen Vorschlag unterbreiten. Diese Liste war einen Monat zuvor bekannt geworden und wurde von der Basis akzeptiert.

Auf der Konferenz der Landesvertreter verkündete der M-V-Vorsitzende Bockhahn überraschenderweise, der Landesvorstand habe am Vorabend "Änderungen" beschlossen und neue Kandidaten vorgegeben. Im Ergebnis dieses Coups wurde die Genossin Birgit Schwebs, die der Landesausschuß in seinem Vorschlag auf Listenplatz 2 gesetzt hatte, "nach hinten durchgereicht". Bei ihr handelt es sich um eine weit über Parteigrenzen hinaus anerkannte Fachpolitikerin mit besonderer Kompetenz in Sachen Landwirtschaft und Umwelt, die überdies Vorsitzende des Finanzausschusses im Landtag ist. Seit etlichen Jahren ist sie auch Kreisvorsitzende im heimatlichen Bad Doberan. In gleicher Weise verfuhr man mit Gerd Walther aus Vorpommern, der nach dem Listenvorschlag des Landesausschusses Platz 8 einnahm. Er ist besonders als Aktivist im Kampf gegen Neonazis anerkannt. An seine Stelle wurde André Brie lanciert. Auf einmal galt das Argument einer dringend notwendigen Verjüngung des Kandidatenfeldes nicht mehr.

Natürlich ist es möglich, von der Landesliste abweichende Vorschläge zu unterbreiten. Doch dabei muß es redlich zugehen. Hier aber wurden Überraschungskandidaturen präsentiert. Zugleich wurde jede sachliche Diskussion über sie abgewürgt. So waren die Saalmikrofone stets blockiert, bevor der betreffende Kandidat auftauchte. Stellungnahmen oder kritische Nachfragen wurden auf diese Weise unmöglich gemacht. An den Mikrofonen wechselten sich vor allem Fraktionsvorsitzender Holter, Landesvorsitzender Bockhahn, Ex-Bundesgeschäftsführer Bartsch, die Schweriner Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow und André Brie ab. Die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises garantierte das gewünschte Ergebnis. Überwiegend waren die Delegierten Amts- und Funktionsträger oder abhängig Beschäftigte der Partei, also materiell Interessierte. Mit anderen Worten: Personen, die nicht für die, sondern von der Partei leben.

Wir kritisieren vor allem die Art und Weise, wie das Zustandekommen der Liste für die Landtagswahl organisiert wurde. Das Votum der als Basis zu betrachtenden Kreise und das Prinzip der territorialen Ausgeglichenheit wurden glatt übergangen.

Die ganze Inszenierung erwies sich als Erfolg, was der gewünschte Partner auch unverzüglich zu würdigen verstand. Der Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion geizte nicht mit Lob für die geschilderte Regie. Schon am nächsten Tag erklärte er: "Ich habe mit Freude festgestellt, daß die Unterstützer der Antikapitalistischen Linken keine Rolle mehr spielen."

Doch das Spiel geht weiter. Schließlich will "Die Linke" stärkste Partei werden, zumal Holter für sich persönlich das Amt des Ministerpräsidenten anstrebt. Da aber die SPD Umfragen zufolge derzeit bei 34 % liegt, bedeutet das nichts anderes, als daß "Die Linke" die Zahl ihrer Stimmen gegenüber den letzten Landtagswahlen mehr als verdoppeln müßte. Doch gemach. Es gibt ja noch Möglichkeiten, antikommunistisch eingestellte Wähler zu begeistern: "Stasi" ist abgehakt, kritisch eingestellte Kandidaten wurden ausgeschaltet - da eröffnet sich als letzte Gelegenheit zur Anbiederung an die SPD und zum Herüberziehen von Wählern eine "passende Stellungnahme zum 50. Jahrestag des Mauerbaus". Wetten, daß sich bestimmte Leute dazu noch etwas einfallen lassen, um die bisher ergriffenen Maßnahmen weiterzutreiben!

Carsten Hanke, Lambrechtshagen / Peter Möller, Rostock

Raute

Ein "Friedenskanzler", dessen Nimbus zu hinterfragen ist

Die zwei Gesichter des Willy Brandt

Höhnisch kolportierte die großbürgerliche FAZ am 22. Februar 2010 unter der Schlagzeile "Mausetoter Kommunismus" die schlimmsten Ausfälle auf einer Tagung, die sich mit "Erbe und Tradition" befassen sollte und zu der die Historische Kommission beim Parteivorstand der PDL in die Leipziger Moritzbastei eingeladen hatte. Unter dem gleichen Motto war zuvor eine zweibändige Anthologie im PDL-nahen Dietz-Verlag, Berlin, erschienen. Helga Grebing von der Historischen Kommission der SPD schilderte dort die "vorbildhaften politischen Lebenswege" Otto Brenners, Heinz Kühns und Willy Brandts. In einer ND-Veröffentlichung nahm Stefan Liebich eine Gleichsetzung des faschistischen Pinochet-Putsches gegen Salvador Allende und des medial erzwungenen Rücktritts von Willy Brandt, den "leider auch die SED mit zu verantworten hatte", vor.

Nach der Rosa-Luxemburg-Konferenz der "jungen Welt" im Januar 2011 ließen einige ehemalige SPD-Mitglieder, die jetzt der PDL angehören, verlauten, sie seien und blieben "Sozialdemokraten im Geiste von Willy Brandt". Dabei handele es sich um "Linkssozialismus". Spätestens hier muß ein Zwischenruf gestattet sein: Kann dieser SPD-Vorsitzende und Bürgermeister der Frontstadt Westberlin, der zwischen Oktober 1969 und Mai 1974 Bundeskanzler der imperialistischen BRD war, etwa Vorbild für die Partei Die Linke sein?

Willy Brandt, dessen medienwirksamer Kniefall am Warschauer Ghetto-Denkmal gern als Beispiel seines profunden Aussöhnungswillens ins Feld geführt wird, war ein Mann mit zwei Gesichtern, Produkt einer seit 1914 anhaltenden äußerst zwiespältigen Parteigeschichte.

Am 10. September 1959 hatte die SPD den marxistisch-proletarischen "Ballast" mit ihrem Godesberger Programm endgültig abgeworfen, um fortan eine "Volkspartei der Mitte" zu werden. Das versprach neue Wählerschichten und die Öffnung für eine Koalition mit der CDU, welche zwischen 1966 und 1969 dann auch zustande kam. Die SPD saß in dieser Zeit mit Strauß und dem Nazi Kiesinger am Kabinettstisch und bekannte sich rückhaltlos zur NATO und zur kapitalistischen "freien Marktwirtschaft".

Nach einem knappen Wahlsieg gelangte Willy Brandt dann als Kanzler einer sich "sozialliberal" nennenden SPD/FDP-Koalition ans Ruder. Diese Regierung konnte für sich die Förderung der betrieblichen Mitbestimmung, Fortschritte auf dem Gebiet der Tarifpolitik, der Gleichberechtigung von Frauen, der Gleichstellung Homosexueller sowie eine Neuorientierung auf den Gebieten des Jugendstrafrechts und der Schulpolitik verbuchen. Das hieß im Vokabular von Willy Brandt: "Mehr Demokratie wagen!" Noch aus der Vorkriegszeit überkommene und daher verkrustete Regelungen wurden dem Stand anderer westeuropäischer Länder angepaßt. Doch eines blieb ohne Abstriche bewahrt: der ebenso notorische wie bornierte deutsche Antikommunismus!

Als "Friedenskanzler" und Bahnbrecher der Entspannungspolitik wurde Brandt gefeiert, auch weil er die Existenz der DDR in Rechnung stellte. Abgesehen von einer bestimmten Regie, die hier sicher auch eine Rolle gespielt haben dürfte, sind die "Willy"-Rufe bei der Erfurter Begegnung mit Willy Stoph wohl in diesem Sinne zu deuten. Das Kräfteverhältnis hatte sich damals zugunsten der sozialistischen Seite verschoben. Die Niederlage der USA in Vietnam sprach für sich. In einer solchen Situation mußte man mit den RGW-Ländern verhandeln. Der SPD-Bundeskanzler ließ sich - anders als seine Vorgänger - dabei von Erwägungen politischer Nüchternheit leiten.

Der andere Willy Brandt aber war ein getreuer Vollstrecker der Vorgaben und Zielstellungen des NATO-Hauptquartiers und diente als Erfüllungsgehilfe bei der Umsetzung der Politik des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon.

Die Internationale Vietnam-Konferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) richtete sich unmittelbar gegen Washingtons Kriegskurs und dessen deutsche Unterstützer. Der SDS wurde daraufhin von der SPD als assoziierte Organisation ausgeschlossen. Der Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB), ein Teil der Jusos, die "Falken" und engagierte Gewerkschafter aus dem Umfeld der SPD sympathisierten jedoch weiterhin mit der außerparlamentarischen Opposition der BRD.

Nach Verabschiedung der berüchtigten Notstandsgesetze, die eine jederzeitige Außerkraftsetzung des Grundgesetzes ermöglichten, sorgte auch Willy Brandts Kabinett durch neue und verschärfte Normen wie die Novellierung des Bundesgrenzschutzgesetzes, den Ausbau des Bundeskriminalamtes und die erhebliche Aufstockung der zu Geheimdienstzwecken bereitgestellten Mittel für den zügigen Ausbau der BRD-Repressionsorgane. Und der SPD-Kanzler kommentierte stolz: "Dieser unser Staat ist sehr wohl imstande, das Maß an innerer Sicherheit zu gewährleisten, ... über das sonst nur wenige der vergleichbaren Staaten der Welt verfügen. Dafür hat auch die planende Arbeit der sozialliberalen Koalition seit 1969 gesorgt." So brüstete sich Willy Brandt, der sich zugleich gegen Proteste linker Kräfte, auch aus den eigenen Reihen, verwahrte, indem er die 1967 in BRD-Schulbüchern erstmals aufgetauchte "Totalitarismusdoktrin" übernahm: "Der Staat ... ist auch von seiner Inneren Sicherheit zu schützen. Dies geht nur, wenn der politische Zusammenhang zwischen linksextrem drapiertem Terror und rechtsradikalen Verirrungen sowie deren heimliches Zusammenspiel sichtbar gemacht werden." zitierte die Hamburger "Zeit" am 27. Dezember 1974 den Kanzler. "Die Unfähigkeit, an eine schrittweise Veränderung zu glauben, gehört zweifellos zu den Antriebskräften der Terroristen ... Wer die Erwartung an die Veränderbarkeit der Gesellschaft ins gefährlich Irreale hochtreibt, sucht in Wahrheit nur die Rechtfertigung, insgesamt zu zerstören." resümierte der Nachfahre aus Noskes Partei. Damit zog Willy Brandt eine scharfe Trennlinie zu allen, die eine Überwindung der kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse in Erwägung zogen oder anstrebten. Er unterstellte ihnen nackten Zerstörungswillen und blanke Mordlust.

So viel zu Willy Brandt. Möge ein jeder in der PDL gut überlegen, ob er sich den Namen dieses janusköpfigen, zwiespältigen und zwielichtigen rechten Sozialdemokraten an seine Fahne heften möchte.

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation: Der BRD-Kanzler und Führer der Sozialistischen Internationale in Demutspose am Warschauer Ghettodenkmal

Raute

Ein etwas anderer Zugang zur Kommunismus-Debatte

Geschichte im Zeugenstand

Wenn jetzt über "Wege zum Kommunismus" debattiert wird, muß man diese Zukunftsperspektive der Menschheit historisch richtig einordnen. Ich biete im folgenden einen Versuch hierzu an.

Etwa 1500 Jahre vor unserer Zeitrechnung entstand das israelitische Gesellschaftsmodell. Maßgebliche Initiatoren waren Abraham, Isaak und Moses. Sie schufen die ethisch-moralischen Grundlagen für das Zusammenleben des Volkes Israel. Nach mehrfacher, aber immer alleiniger Rücksprache mit Gott - Jahwe verkündete Moses die 10 Gebote und viele andere Gesetze. Zusammengefaßt sind diese in der Thora (5 Bücher Mose, Altes Testament). Jahwe gibt sich als ein strenger, strafender Gott. Er schafft dem Volke Israel Freiraum durch Vernichtung anders denkender und lebender Menschen. Es versteht sich als das auserwählte Volk. Es verteilte sich viele Jahrhunderte lang über die ganze Welt, ohne zunächst einen eigenen Staat zu besitzen.

Reichlich 1500 Jahre nach Moses verjagte Jesus die Geldhändler und Wucherer aus dem Tempel von Jerusalem und leitete damit die Wende zum christlichen Gesellschaftsmodell ein. Er verwandelte u. a. mit seiner Bergpredigt (Neues Testament) den strengen und strafenden Jahwe in den verzeihenden und liebenden Gott. Das Christentum verbreitete sich trotz großer Widerstände zunächst friedlich in ganz Europa.

Etwa 600 Jahre nach Jesus sprach Mohammed mit seinem Gott - Allah, wiederum allein. Er empfing dabei die Botschaften Allahs, die im Koran zusammengestellt sind. Sie enthalten die wichtigsten Aussagen des Alten und Neuen Testaments ergänzt und angewandt auf die Bedingungen der nomadischen Wüstenvölker. Mohammed beanspruchte nie die Gottessohnschaft und lehnt die Dreieinigkeit des Christentums ab. Allah ist wie Jahwe ein strenger Gott, es gibt aber auch Ähnlichkeiten mit dem Gott der Christen. Nach der Anerkennung und Festigung seiner Lehre in Mekka, Medina und den umliegenden Gebieten verbreitet Mohammed seine Lehre des Islam mit dem Schwert. Er und seine Nachfolger erobern so weite Gebiete des Nahen Ostens, Nordafrikas, Asiens und zeitweise Europas für den Islam.

Die ökonomischen Grundlagen dieser drei Gesellschaftsmodelle waren bestimmt durch verschiedene Formen feudaler Systeme und in der Gegenwart durch das bürgerlich-kapitalistische Wirtschaftssystem. Sie beruhen auf der skrupellosen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Diese ökonomischen Grundlagen werden von den israelitischen, islamischen und christlichen Gesellschaftsmodellen nicht angezweifelt, sondern unterstützt.

Weitere etwa 1000 Jahre nach Mohammed entwickelten Marx und Engels ohne die Hilfe und Unterstützung eines überirdischen Gottes in der Mitte des 19. Jahrhunderts den Gedanken einer kommunistischen Gesellschaft, die auf der Assoziation der freien Produzenten beruhen sollte, ohne Klassen und Staat. Während die drei Vorläufer aufeinander aufbauten und gemeinsame ökonomische Grundlagen hatten, schufen Marx und Engels ein sowohl ideologisch-philosophisch wie ökonomisch völlig anderes Gesellschaftsmodell. Die Menschen leben in ihm frei von religiösen Dogmen in voller Übereinstimmung mit der Natur und befreit von jeglicher Ausbeutung mit hohen moralischen und ethischen Grundsätzen.

Die Unterschiede zwischen Stadt und Land, zwischen geistiger und körperlicher Arbeit werden überwunden, die Persönlichkeit des einzelnen kann sich frei entfalten. Das Privateigentum an Produktionsmitteln verschwindet, Grund und Boden werden vergesellschaftet. Jeder leistet entsprechend seinen Fähigkeiten freiwillig seinen Beitrag zur Gesamtentwicklung. So kann der gesellschaftliche Reichtum so weit gesteigert werden, daß die Verteilung aller Produkte nach dem Prinzip der Bedürftigkeit erfolgt.

Im Gegensatz zu Marx und Engels konnten Abraham, Moses, Jesus und Mohammed ihre Ideen direkt umsetzen. Sie waren von Menschen umgeben, die ihnen gläubig folgten und deren Zahl ständig stieg. Dabei half ihnen ganz entscheidend die Berufung auf den überirdischen Jahwe-Gott-Allah. Ihre Nachfolger waren überzeugte Anhänger, die das jeweilige Gesellschaftsmodell weiter verbreiteten.

Marx und Engels hatten ebenfalls viele Anhänger in allen Teilen der Welt, aber sie erkannten, daß die ethisch-moralischen und vor allem wirtschaftlich-ökonomischen und wissenschaftlichen Voraussetzungen für die direkte Umsetzung ihrer Gesellschaftsidee nicht gegeben waren, und nannten demzufolge auch keinen Zeitpunkt für einen möglichen Wandel der Verhältnisse. So blieb das drohende "Ein Gespenst geht um in Europa" und die Aufforderung "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"

Betrachtet man die Entwicklung in diesen etwa 3000 Jahren, so ist die Herausbildung und Verbreitung der jeweiligen Gesellschaftsmodelle immer mit hohen Verlusten an Menschen verbunden gewesen. Dem Volk Israel half Jahwe bei der Vernichtung andersgesinnter Menschen. Mohammed verbreitete seine Lehre mit dem Schwert. Es wurden eine Vielzahl Kriege geführt zur Sicherung des Einflusses, um Heiligtümer und zur Vergrößerung der Macht - Kreuzzüge der Christen, Eroberung großer Teile von Spanien durch die Mauren, Vorstoß der Osmanen bis vor Wien u. a. m. Die Christen Europas wanderten nach der Entdeckung Amerikas dorthin aus, raubten die Schätze und vernichteten fast die gesamte Ureinwohnerschaft im Namen ihres Gottes. Sie führten die Inquisition ein, folterten und ermordeten Menschen, die eine andere Lebensauffassung hatten. Sie setzen bis in unsere Tage auf Kriege zur Sicherung von Macht und Bodenschätzen mit Millionen Opfern. Unter dem Kapitalismus konnten sich solche Extreme wie Hitler entwickeln.

Niemand käme auf die Idee, diese Gesellschaftsmodelle als grundsätzlich verbrecherisch zu bezeichnen.

Ganz anders ist der Umgang mit dem kommunistischen Gesellschaftskonzept von Marx und Engels. Darüber darf nur gesprochen werden, wenn gleichzeitig von Millionen Opfern geredet wird. Dabei ist dieses Modell noch nie umfassend und vollständig realisiert worden. Es ist unstrittig, daß bei den Versuchen, die sozialistisch/kommunistische Gesellschaftsidee zu verwirklichen, auch eine große Zahl von Menschen zu Schaden kam, ihrer persönlichen Freiheit beraubt wurde und den Tod fand. Das aber kann man nicht den Ideen von Marx und Engels anlasten. Man mag diese für utopisch halten, verbrecherisch und a priori Verbrechen erzeugend sind sie keineswegs. Man kann und muß also über Wege zum Kommunismus reden und debattieren. Ob und wann man sie beschreiten kann, ist eine ganz andere Frage.

Ein Mann vom Format des Jesus von Nazareth wäre wünschenswert, der die modernen Wucherer, Spekulanten und Geldhändler "aus dem Tempel jagt". Diesmal sollte es allerdings ein Marxist sein.

Dr. rer. nat. Klaus Möbius, Berlin

Raute

Ist "ökologische Nachhaltigkeit" unter kapitalistischen Vorzeichen überhaupt möglich?

Grüne Verwirrspiele

Die Tragödie von Fukushima hatte ihre Ursache - von der hinzukommenden Wirkung der Naturgewalten abgesehen - vor allem im rücksichtslosen Kampf der Führung eines territorial kleinen, aber dichtbesiedelten Landes um Energiequellen und die Behauptung seiner Position im Spitzenfeld der kapitalistischen Weltwirtschaft. Eine Folge dessen war die Errichtung eines Übermaßes an Atomkraftwerken in Japan. Einige der Meiler wurden direkt an der stets durch Tsunamis bedrohten Küste der permanent von Erdbeben erschütterten Region errichtet.

Immer mehr Konsumgüter, ein ständig steigender Energieverbrauch, der mörderische Konkurrenzkampf um den zunächst zweiten, inzwischen aber dritten Rang unter den Wirtschaftsnationen waren die Antriebskräfte einer Entwicklung auf des Messers Schneide. Dabei wurde alles auf eine Karte gesetzt.

Ähnliches wie in Fukushima, wo ein ganzer Landstrich für die Einwohner auf Dauer gesperrt sein dürfte, hatten wir bereits anderswo beobachten können: Nach der Flutkatastrophe von New Orleans ließen die Behörden des USA-Bundesstaates Louisiana die evakuierten Ghettobewohner gleich dort, wohin man sie verfrachtet hatte, um deren Grundstücke an interessierte Konzerne zu verhökern. Die Fischer am Golf von Mexiko mußten gegenüber dem Ölgiganten BT auf Entschädigungsansprüche verzichten, um wenigstens Jobs bei der Strandreinigung zu erhalten. So bleibt abzuwarten, was nach den qualvollen Monaten des japanischen Super-Gaus noch geschehen wird.

In der BRD dürfte davon auszugehen sein, daß sich die Energiegiganten sowohl die Abschaltung einiger Kernkraftwerke als auch die Alibi-Überprüfung der Reaktorsicherheit durch die Regierung letzten Endes vom Endabnehmer versilbern lassen. Die Anmeldung der Schadensersatzansprüche vom Netz genommener Spitzen-Umweltgefährder hat bereits angedeutet, wer die Zeche bezahlen soll. Was die Konzerne betrifft, so dürfte das Fell des Bären gewaschen werden, ohne daß es naß wird.

Eindeutiger Gewinner des jüngsten Geschehens sind die Grünen, die sich im Öko-Mainstream - einem Wust aus Halbwahrheiten, Lügen und Verwirrspielen - so darzustellen vermochten, als seien sie die einzigen mit "Kompetenz". Fukushima sei Dank!

Der PDL-Programmentwurf von 2010 wirft die Frage auf: "Wie erhalten wir Natur und Gesellschaft?" Es gehe um "sozial-ökologischen Umbau". Dort finden sich einige präzisierungsbedürftige Ansätze zu einer alternativen Öko-Politik mit sozialistischen Untertönen. Erkennt man aber den kapitalistischen Konkurrenzkampf und den daraus resultierenden Wachstumszwang, der wiederum ein Ansteigen der Konsumgüterproduktion ohne jedes vernünftige Maß zur Folge hat, als Ursachen des immer höheren Energieverbrauchs, so wird das Verlangen nach einer Vergesellschaftung der Stromriesen - und keineswegs nur der auf Atomkraft setzenden - zur elementaren Voraussetzung jeglicher nachhaltigen Wende überhaupt.

Der vom "Öko-Profitdenken" des grünen Sektors der Bourgeoisie angetriebene Öko-Kapitalismus verhindert indes keineswegs künftige Krisen und Kriege, denen das Pentagon in strategischen Studien über "nachwachsende Energiequellen" bereits seine Aufmerksamkeit gewidmet hat. Während "Bio-Sprit" und "E 10" zur drastischen Verschärfung der Welternährungskrise führen, vertreibt das CO2-Sanierungsgesetz ärmere Bevölkerungsschichten zugunsten von Öko-Neubauten aus bezahlbaren älteren Gebäuden. Abgasverordnungen und Benzinpreiserhöhungen treffen die Mobilität von Pendlern. Und für die an der Monopolkette marschierende Merkel-Regierung dienen sie lediglich als Konjunkturprogramme für die Autoindustrie, tonangebende Bauunternehmen und Immobilienspekulanten.

Noch Schlimmeres wird aus armen Ländern vermeldet. Mercedes-Benz-Bosse brüsten sich in Hochglanzbroschüren mit "Naturfasern von den Philippinen", während fast jeder Atomkonzern sein "ökologisches" Quentchen als Alibi für die Imagepflege dazugibt. "Alles Öko - alles gut", heißt die verlogene Parole. Statt einer Gewährleistung des von der UNO proklamierten Menschenrechts auf Wasser wird diese Existenzgrundlage jeglichen Lebens inzwischen nur noch "unter Marktaspekten" betrachtet und dadurch erst zum "akzeptablen Rohstoffhandelsobjekt". Auf den Kanarischen Inseln sind die eigentlich ausreichenden Wasserreserven unterdessen durch Massentourismus weitgehend aufgebraucht. Natürlich geht es auch hier allein um kapitalistische Profitmaximierung.

Die PDL sollte den Mut aufbringen, gegen den "Mainstream-Opportunismus" anzukämpfen und den Finger auf die Wunde zu legen. Denn Öko-Kapitalismus ist nun einmal nichts anderes als grün angestrichener Kapitalismus.

Albert Bötersheim, Hamburg

Raute

Wie die bundesdeutschen Pfandbriefhändler Millionen Kreditnehmer aufs Kreuz legten

Die "toxischen Papiere" der Hypo Real Estate

Die Anfänge der Hypo Real Estate (HRE) liegen im September 2001, als die Nürnberger Hypothekenbank, die Süddeutsche Bodencreditbank und die Bayerische Handelsbank zur damaligen HVB Real Estate Bank AG fusionierten. Nach Abspaltungen, Umwandlungen sowie Zusammen- und Ausschlüssen firmiert diese seit Herbst 2003 als Hypo Real Estate Bank AG. Neben der Wahrnehmung des internationalen Immobiliengeschäfts der Real Estate-Gruppe hatte die HRE 2008 Pfandbriefe im Wert von rund 100 Mrd. Euro herausgegeben. Rechnete man jene der irischen Tochter hinzu, dann waren es sogar 140 Mrd. Das entspricht mehr als 15 % des deutschen Pfandbriefmarktes, der laut Spiegel online ein geschätztes Volumen von 900 Mrd. Euro besitzt.

Seit der 2009 gezwungenermaßen erfolgten Verstaatlichung durch die BRD-Regierung besteht jetzt folgende Struktur: An der Spitze steht die Hypo Real Estate Group AG mit zwei Tochterunternehmen. Eine davon - die Deutsche Pfandbrief AG München - ist Mitte 2009 aus dem Zusammenschluß der Hypo Real Estate Bank AG und der DEPFA Deutsche Pfandbriefbank AG entstanden. Die DEPFA-Bank plc ist im irischen Dublin angesiedelt und gehört seit Oktober 2007 voll zum Konzern.

Übrigens erwies sich die Depfa-Bank als vermutliche Hauptursache für das größte Finanzwelt-Desaster der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die DEPFA gehörte der Bundesrepublik Deutschland und gewährte Wohnungsdarlehen für breite Bevölkerungsschichten. Sie wurde zu einem der größten Aussteller von Pfandbriefen in der BRD. Ihre stürmische Entwicklung verdankte die Bank vermutlich dem rasch anwachsenden Kommunalkreditgeschäft. Das machte sie für Privatinvestoren attraktiv.

Im Rahmen der CDU-Privatisierungspolitik unter Kohl wurde die DEPFA deshalb zum Jahreswechsel 1989/90 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 1991 brachte man sie für umgerechnet etwa 275 Mio. Euro an die Börse. Das Huhn, das dem Staatsbudget goldene Eier gelegt hatte, wurde im Interesse privater Profiterwirtschaftung kurzerhand geschlachtet. Die Bilanzsumme stieg bis 1993 auf 100 Mrd. DM. 2001 splittete man das lukrative Unternehmen. Es entstand eine Bank, die auf Staatsfinanzierung ausgerichtet war - die heutige depfa-Bank plc -, eine Aktiengesellschaft irischen Rechts mit Hauptsitz in Dublin.

Spätestens in den 90er Jahren begann die depfa dann am großen Rad zu drehen. Mit ihrem Umzug nach Irland ging sie zu äußerst risikoreichen Finanzgeschäften in vielen Ländern über. Dafür unterhielt sie eine Reihe von Niederlassungen - so in Chicago, Amsterdam, Tokio und London.

Die weltweite kapitalistische Finanz- und Bankenkrise schlug darum auf die depfa durch, weil deren Finanzierungsmodell vornehmlich darin bestand, langfristige Kredite mit kurzfristigen Anleihen zu refinanzieren. Bei einer "Austrocknung" der Kreditmärkte mußte dieses Konzept zwangsläufig scheitern. Der riesige Refinanzierungsbedarf riß nicht nur das eigene Institut, sondern auch die Konzernmutter, die Hypo Real Estate, in den Abgrund.

Die Bundesregierung fürchtete den totalen Zusammenbruch der HRE und des gesamten Pfandbriefmarktes vor allem auch deshalb, weil die Bank nicht nur einer der größten Finanziers von staatlichen Haushalten, Kommunen, Ländern und gewerblichen Immobilien ist. Ein Konkurs hätte nicht nur diese, sondern auch Versorgungswerke, Pensionskassen und Berufsgenossenschaften empfindlich getroffen, haben sie doch zum Teil sehr hohe Beträge bei der HRE angelegt. Diese selbst konnte nur überleben, weil die 2009 allein aus Rettungsgründen verstaatlichte Pleitebank für 102 Mrd. Euro Staatsbürgschaften aus dem Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (Soffin) erhielt. Im September 2010 wurden dann nochmals 40 Mrd. Euro in das Faß ohne Boden geschüttet. In einer Aufwallung von Großzügigkeit schenkte die Bundesregierung den Altaktionären für die wertlosen Papiere der HRE insgesamt 7,7 Mrd. Euro Steuergelder als Abfindung. Kanzlerin Merkel betrachtete diesen skrupellosen Akt als "alternativlos". Anfang Oktober 2010 wurden zweifelhafte und unsichere Geschäfte/Wertpapiere ohne Wert der HRE im Kaliber von 173 Mrd. Euro an eine staatliche "Bad Bank" (FMS-Wertmanagement) abgeschoben. Der Steuerzahler wird letztlich die Verluste tragen, wenn die Schuldner weder Zinsen noch Tilgungen bezahlen. Wie hoch die Verluste der "Abwicklungsanstalt" am Ende ausfallen werden, hängt vor allem vom weiteren Verlauf der Dinge in den Euro-Krisenstaaten Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien ab. Die HRE soll für ca. 80 Mrd. Euro dorthin Kredite ausgereicht haben.

Die Vorläuferin der heutigen HRE - die HypoVereinsbank - kann nicht mehr für die Misere und dadurch entstandene Verluste belangt werden. Als ehemaliger Haupteigentümer der Hypo-Real-Estate-Gruppe hatte sie ihre "toxischen Papiere" rechtzeitig entsorgt. Alle profitablen Geschäfte hielt die HVB indes aufrecht.

Allein diese dubiosen Vorgänge hätten es erforderlich gemacht, eine parlamentarische Untersuchung einzuleiten und strafrechtliche Konsequenzen herbeizuführen. Wie es heißt, müßte der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) von den Vorgängen in der Bank gewußt haben. Bereits 2007 hatte die Bankenaufsicht nämlich ihre Absicht angekündigt, die Hypo Real Estate genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Bundesfinanzministerium ließ jedoch eine Reaktion darauf vermissen.

Gesetzlich geregelt ist, daß eine "Mutter" fünf Jahre für Verluste zu haften hat, die bei einer "Tochter" entstehen. Einen einzigen Tag nach Ablauf dieser Frist gab Herr Steinbrück plötzlich bekannt, daß die Hypo Real Estate pleite sei. Damit war die HypoVereinsbank als "Mutter" aus dem Schneider. Handelte es sich um einen Zufall oder um Vorsatz? Weder die damalige schwarz-"rote" noch die jetzige schwarz-gelbe Regierung haben begreiflicherweise ein Interesse daran, Licht in diese Vorgänge zu bringen.

Doch unleugbar ist: Für den gigantischen Bankenbetrug werden die Bürger der Bundesrepublik Deutschland die nächsten 20 bis 30 Jahre aufkommen müssen. Einmal mehr bestätigt sich, daß im Kapitalismus stets die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert, also der Gesellschaft aufgebürdet werden.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

Raute

Merkels heuchlerischer "Migrationspolitik" echte Solidarität entgegensetzen!

Viel Geschwätz und wenig Wolle

Auf dem 18. Parteitag der Sozialistischen Partei Frankreichs, der 1920 in Tours stattfand, gehörte auch ein junger vietnamesischer Journalist und Fotolaborant namens Nguyen Ai Quoc - er wurde später als Ho Chi Minh weltweit bekannt - zu den Mitbegründern der dort gerade entstehenden Französischen Kommunistischen Partei (PCF). Spezielle Erfahrungen als Ausländer mit der Sozialdemokratie der Grande Nation bewogen ihn zu diesem Schritt. Trotz salbungsvoller Bruderschaftsparolen unterstützte deren Partei ohne Abstriche die knallharte Pariser Kolonialpolitik, wobei ein Teil ihrer Mitglieder offen rassistische Töne anklingen ließ.

Heute vertritt die Sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament wirtschaftsimperialistische Interessen und bejaht die inhumane Abschottung der EU-Außengrenzen gegen den Ansturm der Armen aus Afrika und Asien. Zugleich beteiligt sie sich an Aktionen gegen die fortschrittlichen Volksregierungen Lateinamerikas. Die SPD kann sich sogar so üble rassistische und sozialdarwinistische Scharfmacher wie Thilo Sarrazin und den Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky in ihren Reihen leisten. Zugleich aber entfalten örtliche SPD-Verbände, besonders in Wahlkampfzeiten, eine rege Integrationspolitik mit idyllischen Vorzeigeprojekten und propagandistisch zur Schau gestellter Harmonie.

Der ausschlaggebende Grund dafür liegt auf der Hand: Von den Millionen vor allem in Westdeutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund sind inzwischen mancherorts viele zu wahlberechtigten Staatsbürgern geworden. Während die CDU ganz ungeniert die Anpassung der "Zugewanderten" an "deutsche Leitkultur" verlangt und die Grünen "Multikulti-Paradiese" aus dem Hut zaubern, bietet die SPD vielerorts Bildungs- und Kulturprojekte mit finanzieller Hilfe an. Dabei vernetzt sie sich mit Eigeninitiativen der Betroffenen wie diversen humanitären, kirchlichen und anderen Interessengruppen.

Uns fast täglich erreichende Medienberichte über Asylantentragödien im Mittelmeer oder in BRD-Auffanglagern, Abschiebeknästen und bei "Schwarzarbeiter-Razzien" zerreißen den Grauschleier vermeintlich humanen Wohlwollens, das in krassem Gegensatz zu weitverbreiteten Ängsten und Abneigungen weiter Bevölkerungskreise steht, die aus trüben faschistoiden und rassistischen Quellen gespeist werden.

Dies alles unterstreicht die zwingende Notwendigkeit, auch mit linker sozialistischer Politik gegen den offenen oder verdeckten Ausländerhaß anzugehen. Ohne den ganzen Fächer dieses Komplexes drängender Fragen hier darlegen zu können, möchte ich einige der wichtigsten Felder kurz streifen und für einen höheren Stellenwert von Migranten-Politik plädieren. Wenn ganze Personengruppen ihrer demokratischen Grundfreiheiten aus ethnischen oder nationalen Gründen beraubt werden, berührt das auf elementare Weise die Pflicht zur Verteidigung der Menschenrechte.

Bis hin zu Formen "moderner" Sklaverei werden sogenannte Schwarzarbeiter und Migranten ohne berufliche Qualifizierung als Reservearmee aus Hungerlöhnern in Bereitschaft gehalten und mißbraucht. Wie Hartz-IV-Zwangsarbeiter und -Zwangsvermittelte dienen sie der herrschenden Klasse - ohne Mitbestimmungs- und Arbeitsschutzrechte - lediglich als Werkzeuge zur Zurückdrängung der Tarifarbeit und der gewerkschaftlichen Einflußnahme. Sie müssen als Sündenböcke für die Notlage vieler einheimischer Arbeiter herhalten und werden zugleich zur Spaltung der sozial Deklassierten sowie zur Erhöhung des Drucks auf die "normal" Arbeitenden mißbraucht. Der dafür gezahlte Preis ist die ständige Reaktivierung faschistischen "Gedankengutes". In einem Land, das Auschwitz und Maidanek hervorbrachte, ist das ein gefährliches Spiel!

So erweist sich systematische Migranten-Arbeit für Linke als Imperativ. Die unmenschliche und völkerrechtswidrige Abschottung der EU-Außengrenzen, wo durch FRONTEX auf hoher See, am NATO-Stacheldraht in Griechenland, in Spaniens Kolonien auf afrikanischem Boden, vor Lampedusa oder in verschlossenen LKWs ohne Belüftung immer mehr Menschen ums Leben kommen, ist ein Teil dieses rassistischen Gefüges. Eine solche Praxis steht in krassem Gegensatz zur angeblichen Integrationsbereitschaft maßgeblicher Politiker und Parteien der BRD. Hinter Merkels heimtückischer Formel "Nicht die Menschen hierher holen, sondern ihre Probleme in den Herkunfts- und Transitländern lösen!" verbirgt sich eiskalte Berechnung.

Wo immer sich Völker gegen die neokolonialistische Politik der Imperialisten und ihrer einheimischen Komplizen, gegen die Unterdrücker aus NATO und EU zur Wehr setzen, ist unsere Solidarität gefragt. Denn wer vor reaktionären Regimes flüchten muß, der war und ist bei den Mächtigen in BRD und EU keineswegs willkommen und unterliegt von Beginn an der "Betreuung" durch "freiheitliche" Geheimdienste. Das Recht und die Pflicht, solche Opfer der Repression zu verteidigen, entspricht sowohl dem Grundgesetz als auch der alten Losung des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!"

Ernst Schrader, Kiel

Raute

Wie aus dem bürgerlichen Ingenieur Kraemer ein Erbauer des Sozialismus wurde

Bahnbrecher der DDR-Hüttenindustrie

Fritz Selbmann, der seit 1945 in verantwortlichen Positionen der DDR-Wirtschaft tätig war und sich später auch als Schriftsteller einen Namen machte, nannte Maximilian Heinrich Kraemer 1962 in einem Nachruf "eine jener Persönlichkeiten, welche bestimmenden Einfluß auf den Aufbau und die Entwicklung der metallurgischen Industrie der DDR genommen haben".

Dr.-Ing. Kraemer wurde 1898 in Saarbrücken als Sohn eines Ingenieurs geboren. Nach Absolvierung des humanistischen Gymnasiums gehörte er während der beiden letzten Kriegsjahre 1917/18 in Frankreich einer Artillerie-Einheit an. Dort erlebte er die deutsche Novemberrevolution. Nach einem Hüttenwerks-Praktikum im Saarbrücken studierte Kraemer an den Technischen Hochschulen Aachen und Berlin Eisenhüttenkunde. 1932 promovierte er über Induktionsöfen, die damals Eingang in der Industrie fanden. Dabei wird elektrische Energie dem Schmelzgut durch ein elektromagnetisches Wechselfeld zugeführt. Kraemer lernte neue Isolier- und Konstruktionswerkstoffe (Hartgewebe) auf der Basis von Phenolharzen kennen, was seine berufliche Entwicklung beeinflußte.

Von 1929 bis 1936 arbeitete er in einer Firma für Gießereibedarf sowie im Verein Deutscher Ingenieure in Berlin. Er befaßte sich mit der Erprobung von Kfz-Motoren und Treibstoffen sowie der Anfertigung von Rohstoffrecherchen. Danach beschäftigte er sich mit Werkstoff-Forschung auf den Gebieten Kupfer, Nickel und Mangan sowie eisenarmer Erze und der Planung der Salzgitterwerke. Von 1939 bis 1945 war Kraemer in der AEG Kunst- und Preßstoffabrik Hennigsdorf technischer Vertriebsleiter. Am 18. März 1945 legte ein anglo-amerikanischer Luftangriff die dortigen AEG-Fabriken in Trümmer.

Kraemer gehörte zum Widerstandskreis von Ernst Niekisch, der 1938 zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt wurde. Seit Mai 1945 arbeitete er in der Treuhand der AEG. Damals trat er der KPD bei. Von 1945 bis 1949 war Kraemer in verantwortlichen Funktionen der Deutschen Zentralverwaltung Industrie (DZVI) und der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) tätig. Im Berg- und Hüttenwesen der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) setzte er sich für die Inbetriebnahme der Werke in Hettstedt, Ilsenburg, Olbernhau, Silbitz und Thale sowie insbesondere für die Maxhütte Unterwellenborn ein. Dieser Betrieb ist eng mit der Wettbewerbslosung "Aus Stahl wird Brot" verbunden. Seitens der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), die ihren Sitz in Berlin-Karlshorst hatte, und in der Hauptverwaltung der SAG "Marten" Berlin-Weißensee wurde seine Kompetenz geschätzt. Mit Prof. Iwan Pawlowitsch Bardin, dem Vizepräsidenten der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, der 1933 Erbauer des Kusnezker Hüttenwerkes war, verband ihn eine enge Freundschaft.

Den Wiederaufbau der demontierten Hüttenwerke Burg, Brandenburg, Finow, Freital, Gröditz, Hennigsdorf, Kirchmöser und Riesa konzipierte Kraemer 1952 bis 1962 im Auftrag von Fritz Selbmann als Direktor des Zentralen Konstruktionsbüros bzw. der Metallurgieprojektierung (Mepro). Sein Name ist unmittelbar mit dem Aufbau des Niederschachtofenwerkes Calbe und des Eisenhüttenkombinats Ost verbunden. Die Roheisenproduktion stieg von 124 kt (1946), auf 337 kt (1950), 1517 kt (1955), 1995 kt (1960) und 2338 kt (1965). Damit wurden die Grundlagen für den Maschinenbau der DDR geschaffen, die Reparationsverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion erfüllt und langfristige Exporte gesichert. Die Auswirkungen der Spaltung Deutschlands sowie der BRD-Alleinvertretungsanmaßung (Hallstein-Doktrin) und des Wirtschaftsembargos konnten auf ein erträgliches Maß reduziert werden.

Dr. Kraemer wurde Ende der 50er Jahre in politische Turbulenzen hineingerissen. Gegen seinen Förderer Fritz Selbmann richtete sich auf der 25. Tagung des ZK der SED der Vorwurf des "Managertums" und indirekter Unterstützung der "Fraktion Schirdewan/Wollweber". Selbmanns Ablösung als stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates folgte.

M. H. Kraemer und Rudolf Kögl, Direktor der SAG Eisen- und Hüttenwerke Thale, hatten bereits 1947 den Fachverband Metallurgie der Kammer der Technik (KdT) gegründet. 1955 bereitete Kraemer im Auftrag des Ministers für Schwerindustrie die Gründung der Gesellschaft Deutscher Hüttenleute (GDH) vor.

Er war auch Vorsitzender des Zentralen Arbeitskreises für Forschung und Technik "Eisen" beim Forschungsrat der DDR, seit 1957 Korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und wurde 1955 als Verdienter Techniker des Volkes ausgezeichnet.

Als Stellvertreter Kraemers trieb Kurt Singhuber den Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost weiter voran, bevor er von 1965 bis 1990 Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali der DDR war.

Dr. Kraemer starb am 22. Juni 1962 in Berlin.

Dr. Helmut Kinne, Zepernick

Raute

Wie ein später Geborener die "Zwangsvereinigung" vom April 1946 bewertet

Neid auf die Akteure von einst

Die Lektüre des Artikels von Klaus Steiniger "Der Zwang zur Vereinigung" im April-RF und die Veranstaltungen anläßlich des 65. Jahrestages der Vereinigung von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands haben mich als Angehörigen einer weitaus jüngeren Generation dazu bewogen, dieses Thema noch einmal aufzugreifen. Mich hat die Schilderung des Geschehens beim Zusammenschluß vor sechseinhalb Jahrzehnten sehr beeindruckt. Man spürte förmlich, wie zwei Formationen der deutschen Arbeiterbewegung, deren Mitglieder sich jahrzehntelang untereinander bekämpft hatten, in einer historisch besonderen Situation aufeinander zugingen. Alle heutigen Diffamierungen durch die Sieger auf Zeit können die historische Tatsache nicht auslöschen, daß die Spaltung der Klasse in feindliche politische Lager nur dem Kapital nützt und der noch hemmungsloseren Ausbeutung Vorschub leistet. Der Sieg des Faschismus 1933 in Deutschland hatte ja den Nachweis erbracht, daß eine Aufsplitterung des Proletariats verheerende Folgen nach sich ziehen kann. Diese entscheidende Lehre haben die Genossen, die im April 1946 im Berliner Admiralspalast tagten, beherzigt und als Hauptmotiv für ihren Entschluß betrachtet. Ja, es gab in der Tat einen Zwang zur Vereinigung, bei dem es sich um das direkte Gegenteil einer Zwangsvereinigung handelte, welche uns Historiker im Dienste der Bourgeoisie einreden wollen.

Heute sind wir in Deutschland leider von einer klassenbewußten Arbeiterschaft und einer massengestützten revolutionären Bewegung, die dazu in der Lage wäre, dringend nötige soziale und politische Veränderungen herbeizuführen, meilenweit entfernt. Fast scheint es, als ob es den Herrschenden in der BRD gelungen wäre, das Klassenbewußtsein chirurgisch aus Köpfen und Herzen zu entfernen. Im Westen ertränkte man es im Konsumrausch. Jahrzehntelang ging es den Ausgebeuteten viel zu gut, um ihre Ausbeuter als solche wahrzunehmen. Irreführende Begriffe wie "Sozialpartnerschaft", "Arbeiternehmer" und "Arbeitgeber" trübten den klaren Blick der meisten. Die kritiklose Übernahme antikommunistischer Klischees aus der Zeit des Faschismus, gepaart mit den Bundesbürgern unablässig eingeimpftem Überlegenheitsdünkel gegenüber den "armen Brüdern und Schwestern im Osten" taten ihre Wirkung. Die Ellbogengesellschaft erhob den Egoismus zur obersten Tugend und brachte die Massen dazu, nur an die eigenen Bedürfnisse zu denken und sich nicht als Teil eines Ganzen, geschweige denn einer Klasse, zu begreifen. Das Motto hieß apolitische Vereinzelung. So gelang es, dem größten Teil der arbeitenden Menschen in der BRD jegliches Klassengespür abzugewöhnen - eine Meisterleistung der sozialen Demagogie.

1989 mußten wir feststellen, daß sich auch in der DDR das politische Bewußtsein der Mehrheit der Werktätigen nur ungenügend entwickelt hatte. Schon bald nach der Gründung des sozialistischen deutschen Staates waren Hunderttausende fortschrittlich eingestellte und bereits an den Marxismus-Leninismus herangeführte Arbeiter für staatliche und gesellschaftliche Aufgaben aus der manuellen Produktion herausgezogen worden, um sie für andere wichtige Aufgaben - darunter den inneren Schutz und die Landesverteidigung - einsetzen zu können. Hinzu kamen ernste ideologische Versäumnisse der Führung, darunter die zunehmende Propagierung kleinbürgerlichen Wohlstandsdenkens. Nur so läßt sich erklären, daß sehr viele DDR-Bürger den verlogenen Versprechungen der Feinde des Sozialismus auf den Leim gingen und die Errungenschaften der eigenen Gesellschaft erst als solche wahrzunehmen begannen, als es bereits zu spät war, um sie noch vor der Konterrevolution retten zu können.

Von den einst 3,2 Millionen Industriearbeitern der DDR blieben nach der Zerstörung der volkswirtschaftlichen Infrastruktur durch die Treuhand ganze 16% übrig. Der größte Teil der Arbeiterklasse wurde so einfach ausgelöscht - ein in der Weltgeschichte einmaliger Vorgang! Noch heute leben unzählige frühere DDR-Bürger in einer Art Schockstarre, die sich oftmals hinter Desinteresse und apolitischer Haltung verbirgt.

Seit dem Ende der DDR als der Systemalternative zum Kapitalismus der BRD kann deren "Sozialstaat" völlig ungeniert geschleift werden. Seit Jahren sinken die Reallöhne. Wachsendem Unmut begegnet man mit der schrittweisen Errichtung eines Polizeistaates und dem tausendfach bewährten Ausbeuterprinzip "Teile und herrsche!" Die jahrzehntelang betriebene Entsolidarisierung hat zu einem regelrechten Kampf "jeder gegen jeden" geführt. Dabei hetzt man Deutsche auf Ausländer, Job-Besitzer auf Arbeitslose, "Wessis" auf "Ossis", Niedriglohnempfänger auf tariflich Bezahlte, Leih- auf Stammarbeiter und jene, welche noch etwas zu verlieren haben, auf bereits restlos ins Aus Gestellte. Neben dem stets paraten Antikommunismus wird ein hemmungsloser Sozial-Darwinismus als zweite Staatsreligion installiert.

Ich gebe zu, daß ich als einer vom Jahrgang 1965 jene Generationen ein wenig beneide, welche es erleben durften, wie im April 1946 in Berlin der Aufbruch in eine bessere Zukunft eingeläutet wurde. Es muß bei aller Not der Nachkriegszeit ein wunderbares Gefühl gewesen sein, zu einer Bewegung zu gehören, die an den Aufbau eines friedlichen und gerechten Deutschland heranging.

Eine von "Bild, BamS und Glotze" - um einen Lieblingsbegriff des einstigen SPD-Kanzlers und heutigen Großkonzern-Managers Gerhard Schröder zu benutzen - berieselte und abgerichtete Bevölkerung fällt heute in Resignation zurück. Jeder sucht seine Nische. Angst vor der Zukunft gehört zum Lebensalltag vieler Menschen.

So wird es lange dauern, bis die deutsche Arbeiterklasse sich wieder auf ihre Kraft besinnt. Die kommunistische Bewegung in der BRD ist derzeit klein und überdies zersplittert, das linke Lager nur begrenzt aktionsfähig. Eine Vereinigung der fortschrittlichen Kräfte ist nicht in Sicht. So bedarf es enormer Anstrengungen, bis eines Tages wieder ein Aufbruch wie im April 1946 gewagt werden kann. Doch wir dürfen nicht kapitulieren. Denn: Überlassen wir die Zukunft dem Kapitalismus, wird die Menschheit bald keine Zukunft mehr haben. Sozialismus oder Barbarei!

Der historische Händedruck des Kommunisten Wilhelm Pieck und des Sozialdemokraten Otto Grotewohl hat den Beweis geliefert, daß Träume manchmal wahr werden können, wenn man mit Geduld, Klugheit und Augenmaß beharrlich für ihre Umsetzung wirkt. Halten wir uns an Ernesto Che Guevaras aufrüttelnde Worte: "Seien wir realistisch - versuchen wir das Unmögliche!"

Ulrich Guhl, Berlin

Raute

Schon 1920 küßte Hitler dem Boß des Alldeutschen Verbandes die Hände

Wer die Nazis erfunden hat

Als man im vergangenen Dezember den 40. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der BRD und der Volksrepublik Polen beging, wurde die "Aussöhnung" mit Warschau als originär westdeutsche Großtat ausgegeben. Auch Helmut Kohls Anerkennung der Oder-Neiße-Linie im November 1990 feierte man als BRD-"Verdienst". Endlich habe Deutschland wieder ein gutes Verhältnis zu Polen, hieß es. Daß die DDR bereits 1950 den Vertrag über die Oder-Neiße-Friedensgrenze signierte und 40 Jahre in guter Nachbarschaft zu Polen lebte, blieb völlig unerwähnt.

Nicht anders verfährt man mit historischen "Randerscheinungen" wie den Hexenjagden unter dem Sozialistengesetz oder den kaiserlich-imperialistischen Verbrechen an den Hottentotten und Hereros in "Deutsch-Südwest-Afrika". Was nicht in den Streifen paßt, wird wegretuschiert. Basta! Nach diesem Rezept verfährt man auch im Hinblick auf den deutschen Faschismus. Die "Aufarbeitung" beginnt bei Hitlers "Machtergreifung" und endet 1945. Würde man die Lücke füllen, wäre manches in der aktuellen Politik der BRD leichter zu verstehen.

Aus dem DDR-Braunbuch über Kriegs- und Naziverbrecher erfährt man z.B., was der Begründer des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, Emil Kirdorf, am 31. Januar 1934 in der gleichgeschalteten "Preußischen Zeitung" mitzuteilen wußte: "1927 bin ich zum ersten Mal mit dem Führer zusammengekommen. ... In der Erkenntnis, daß nur die Politik Adolf Hitlers zum Ziele führen werde, habe ich mich in der Folgezeit ganz seiner Bewegung zur Verfügung gestellt. Kurz nach der Münchner Unterredung fanden dann ... mehrere Zusammenkünfte des Führers mit leitenden Persönlichkeiten des Industriereviers statt."

So erklomm der Böse die Bühne. Aber die Weisheiten, die Hitler verkündete, entsprangen nicht seinem Gehirn. Schon lange vor dem Machtantritt der Nazis gab der Alldeutsche Verband, den die Kommunisten als "Generalstab des deutschen Imperialismus und Militarismus" bezeichneten, seine Ziele bekannt. 1890 verkündete er: "Wir sind bereit, auf den Ruf unseres Kaisers in Reih und Glied zu treten und uns stumm und gehorsam den feindlichen Geschossen entgegenführen zu lassen. Aber wir können dafür auch verlangen, daß uns ein Preis zufalle, der des Opfers wert ist. Dieser Preis ist, einem Herrenvolk anzugehören, das seinen Anteil an der Welt selbst nimmt."

Vorsitzender des Alldeutschen Verbandes war Justizrat Heinrich Claß. Schon im Dezember 1920 lud er Hitler zu sich ein. Der "Führer" küßte die Hände des Magnaten und versicherte Claß, sein treuer Schüler sein zu wollen.

So waren Herrn Kirdorf und den anderen "leitenden Persönlichkeiten des Industriereviers" Hitlers Gedanken und Pläne bestens vertraut. Nachdem der Nazi-Führer dann am 27. Januar 1932 im Industrieklub Düsseldorf eine zweieinhalbstündige Rede vor der gesamten "Elite der deutschen Wirtschaft" gehalten hatte, floß das Geld für seine NSDAP in Strömen. Die Industriebosse setzten auf Hitler, weil er jener Mann war, der die "Ideen" des Alldeutschen Verbandes umzusetzen vermochte. Daß Deutschlands Faschist Nr. 1 aus Täuschungsgründen unter der Fahne eines "Nationalsozialismus" segelte, störte die professionellen Sozialistenhasser in keiner Weise.

Zur Verquickung deutscher Industrieller mit dem Faschismus zeigt man im BRD-Fernsehen mitunter auch Filmdokumente zur hemmungslosen Ausbeutung von Kriegsgefangenen und Häftlingen. Darin wird die Schuld für Opfer, Leid und Zerstörung im 2. Weltkrieg ausschließlich mit dem Namen Hitlers verbunden, während man die Anstifter, Auftraggeber und Finanziers der braunen Schreckensherrschaft bewußt übersieht.

Inzwischen hat der weltweite Kampf um die immer knapper werdenden Ressourcen in aller Schärfe begonnen. Dabei erweisen sich die Bundeswehr als globale Eingreiftruppe und die BRD als erklärter Feind angegriffener und unterdrückter Völker. Die Möglichkeit sich rasch ausweitender "lokaler" Kriege unter Beteiligung "Großdeutschlands" ist ins Kalkül zu ziehen. Natürlich besteht dabei keinerlei Übereinstimmung zwischen der offiziellen Politik und den "rein privaten" Konzerninteressen!

Erhard Römer, Berlin

Raute

Faschismus als Bewegung und an der Macht

Fasci di combattimento nannte Mussolini seine 1919 gegründeten, in schwarzen Hemden auftretenden terroristischen Formationen. Deren Symbol waren die Fasci, das Rutenbündel mit der Axt, welches im alten Rom den Mächtigen vorangetragen wurde. Faschismus ist ein Produkt der allgemeinen Krise des Kapitalismus, die im ersten Weltkrieg und der Oktoberrrevolution ihren Ausdruck fand. Er ist durch extremen Antikommunismus, wütenden Chauvinismus und die strikte Zurückweisung internationaler Solidarität sowie die Leugnung des Klassenkampfes und Feindschaft auch gegenüber der bürgerlichen Demokratie gekennzeichnet. Hinzu kommen die Propagierung einer "Volksgemeinschaft" aller Klassen und Schichten oder eines "Ständestaates", Rassismus verschiedenster Art und Terror-Verherrlichung nach innen und außen.

Dabei muß man exakt unterscheiden, ob es sich um rechtsradikale oppositionelle Bewegungen oder um den Faschismus an der Macht handelt. Beide dienen vor und nach dem Machtantritt der Faschisten den Interessen des Kapitals. Massenwiderstand zu unterlaufen und aufzuspalten ist ihr Auftrag. Das erklärt, warum in der BRD die neofaschistische NPD bis heute nicht verboten worden ist. Für alle Fälle werden die auf Kosten der Steuerzahler finanzierten Neonazis in Bereitschaft gehalten, auch wenn ihnen in "ruhigeren" Zeiten die Staatsmacht keineswegs anvertraut ist. Da sie ihren Anhang aus unterschiedlichen Klassen und Schichten rekrutieren, reicht nationalistische Hetze als Klammer allein nicht aus. Faschisten sind stets auch auf soziale Demagogie angewiesen.

Georgi Dimitroff hat in seiner Rede auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale 1935 auf die Unterschiede bei Faschisten vor und nach der Machtübernahme verwiesen. Er bezeichnete den "Faschismus an der Macht" als "die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals".

Die Kommunistische Internationale überwand mit dieser Definition auch ihre eigene falsche "Sozialfaschismus"-These vom Beginn der 30er Jahre. Heute erleben wir einen Sturmangriff auf Dimitroffs Charakterisierung des Klassencharakters der faschistischen Diktatur. Der Hauptgrund: Nichts ist schlimmer für das Monopolkapital als der Nachweis seiner Verantwortung für das Grauen. So wird der Faschismus jetzt mit Vorliebe als Diktatur wildgewordener Kleinbürger und Asozialer dargestellt. Das Kapital habe sich dieser nur unter Zwang gebeugt.

Wer aber waren die "Wehrwirtschaftsführer", deren Befehlsgewalt während des Krieges auch die kleine und mittlere Bourgeoisie unterstand? Das Kommando hatten ausnahmslos die Herren der großen Konzerne. Darüber war sich damals alle Welt im klaren. Wie wäre es sonst wohl zu verstehen, daß US-Sondertribunale in den Nürnberger Nachfolgeprozessen Konzernbosse wie Krupp und die Chefs der IG Farben als Kriegsverbrecher abgeurteilt haben? Sie wurden wenig später allerdings auf Verlangen der Adenauer-Regierung allesamt begnadigt. Doch das entkräftet keineswegs die Tatsache, daß sie als die Hauptschuldigen und Nutznießer des deutschen Faschismus in die Geschichte eingegangen sind.

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Euthanasie-Programm - Formel für Massenmord

Man nannte sie "Heila" - die Haldenslebener Landesheilanstalt. 12 Jahre war sie ein Ort der Angst und des Schreckens für Patienten wie Angehörige. Die meisten Menschen im Umkreis wußten wenig darüber, was hier tagtäglich vorging. Viele wollten auch nichts davon wissen. Andere akzeptierten stillschweigend das Geschehen.

Willige Ärzte im Dienste Hitlers wie der "Heila" sterilisierten hier unablässig Männer und Frauen, schickten am Ende 880 der ihnen anvertrauten "Patienten" ins Gas. Andere brachten sie durch Hunger um.

Die hilflosen Menschen waren als "unnötige Esser" und "Ballast-Existenzen" abgestempelt, als "unwertes Leben" oder "Leistungsunfähige" ... Viele der dort Eingelieferten waren tatsächlich mehr oder weniger krank, manche jedoch überhaupt nicht. Unter jenen, die in der "Heila" weggeschlossen wurden, befanden sich auch bewußte Antifaschisten.

Hier sei von einem Magdeburger Oberschüler berichtet, der 1933 festgenommen wurde. Ärzte wiesen ihn nach Haldensleben ein, möglicherweise um ihm zu helfen, den Mühlen der Justiz zu entrinnen. Doch in der "Heila" wurde er sofort als "gemeingefährlich geistes- und erbkrank" eingestuft. "Sterilisation erforderlich!", hieß es.

Der junge Mann konnte fliehen, entging so dem Prozeß in Berlin, der Sterilisierung und der Euthanasie. Durch sieben Länder Europas führte ihn sein Fluchtweg, bis er 1938 als Offizier der Spanischen Volksarmee im Kampf gegen die Faschisten fiel.

Da gab es die Tragik eines 20jährigen Handlungsgehilfen, der sich ab 1933 aus politischen Gründen in "Schutzhaft" befand. Auch er landete in Haldensleben, wo man ihn sofort als "gemeingefährlich geistes- und erbkrank" einstufte. Am 5. Juni 1934 wurde er unfruchtbar gemacht, zwei Monate später freigelassen. Sein Leben war zerstört.

Im Frühsommer 1943 wurde der 39jährige Friseur Albert Kiß aus der Magdeburger Untersuchungshaft nach Haldensleben überstellt. Weshalb? "Der Angeklagte ist geständig, in den Kriegsjahren die Sender Moskau und London abgehört und dabei aufgefangene Feindnachrichten in volksschädlicher Weise weiterverbreitet zu haben", hieß es in seiner Akte. Kunden hatten ihn verraten. Der Tbc-Kranke starb noch am Tage seiner Einlieferung.

Schon 1937 war die 31jährige Else Hartmann nach einem Nervenzusammenbruch während ihrer bereits zweijährigen Haft aus Magdeburg nach Haldensleben gebracht worden. 1935 hatte man sie ihrer damals erst fünfjährigen Tochter entrissen und wegen eines "politischen Delikts" verhaftet. Elses Mann war 1933 als Antifaschist aus Deutschland geflohen, ihr Bruder saß im Zuchthaus Gommern.

Auch Else Hartmann wurde nach dem bereits geschilderten Schema für "gemeingefährlich geistes- und erbkrank" erklärt. Das bedeutete zunächst Sterilisierung und ab 1940 den Euthanasietod. Diesem Schicksal entging sie nur dadurch, daß sie bereits am 26. August 1937 verstarb. Übrigens war Else Hartmann schon Mitte der 20er Jahre in Magdeburg zur Stadtverordneten gewählt worden. Ihr Mandat hatte sie nicht davor bewahren können, 1925 erstmals das Gefängnis des Klassenfeindes kennenzulernen. Die bürgerlich-sozialdemokratische Mehrheit des Stadtparlaments hatte keine Hand zu ihrem Schutz gerührt.

Karl Schlimme, Haldensleben

Dieser Text des schreibenden Arbeiters entstand 1985.

Raute

Marxismus für Einsteiger - Partei

Parteien sind politische Vereinigungen, die eine Klasse oder eine Klassenfraktion repräsentieren, indem sie ihre Ziele programmatisch fixieren, weltanschaulich begründen und nach festen organisatorischen Regeln (Statuten/Satzungen) um deren Durchsetzung kämpfen.

Was hebt revolutionäre Parteien der Arbeiterklasse von anderen Parteien ab?

"Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien", heißt es im Manifest der Kommunistischen Partei. "Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen. Sie stellen keine besonderen (sektiererischen) Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß einerseits sie in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets die Interessen der Gesamtbewegung vertreten.

Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus." (MEW, Bd. 4/S. 474)

Das ist ein hoher Anspruch. Vorhut sein bedeutet, nicht in der Masse aufzugehen. Auch diesbezüglich muß man die Dialektik von Qualität und Quantität verstehen. Zugespitzt heißt das: Wenn alle in der Partei sind, ist am Ende keiner drin. Das trifft zu für Zeiten des Aufschwungs, jedoch - wie wir erlebt haben - wohl noch mehr für Perioden des Niedergangs.

Die Konterrevolution hat die Arbeiterbewegung weit zurückgeworfen. Deshalb gilt es erneut die Frage zu stellen: "Womit beginnen?" "Die unmittelbare Aufgabe", schrieb Lenin 1901, "kann nicht sein, alle vorhandenen Kräfte jetzt schon zum Angriff aufzurufen; sie muß vielmehr in der Aufforderung bestehen, eine revolutionäre Organisation zu schaffen, die fähig ist, alle Kräfte zu vereinigen, die sich nicht nur Leitung nennt, sondern die Bewegung tatsächlich leitet, d. h. stets bereit ist, jeden Protest und jeden Ausbruch zu unterstützen und zur Vermehrung und Festigung der für den entscheidenden Kampf tauglichen Streitkräfte auszunutzen." Seine Schlußfolgerung: "Wir brauchen vor allem eine Zeitung." (LW, 5/8 f.) Ein Jahr später betonte Lenin in "Was tun?": "Wir schreiten als eng geschlossenes Häuflein, uns fest an den Händen haltend, auf steilem und mühevollem Wege dahin. Wir sind von allen Seiten von Feinden umgeben und müssen fast stets unter ihrem Feuer marschieren. Wir haben uns, nach frei gefaßtem Beschluß, eben zu dem Zweck zusammengetan, um gegen die Feinde zu kämpfen und nicht in den benachbarten Sumpf zu geraten, dessen Bewohner uns von Anfang an dafür schalten, daß wir uns zu einer besonderen Gruppe vereinigt und den Weg des Kampfes und nicht den der Versöhnung gewählt haben." (LW, 5/364)

So begann die Entwicklung von Parteien "neuen Typus", ohne die es niemals Sozialismus gegeben hätte und auch künftig nicht geben wird. Ihre konkrete Gestalt wird natürlich maßgeblich von den jeweiligen Kampfbedingungen bestimmt, doch der Kern ist unverändert, damals wie heute.

"Lob der Partei" hat Bertolt Brecht deshalb eines seiner Gedichte überschrieben:

"Der Einzelne hat zwei Augen / Die Partei hat tausend Augen. /
Die Partei sieht sieben Staaten / Der Einzelne sieht eine Stadt. /
Der Einzelne hat seine Stunde / Aber die Partei hat viele Stunden. /
Der Einzelne kann vernichtet werden / Aber die Partei kann nicht vernichtet werden. /
Denn sie ist der Vortrupp der Massen / Und führt ihren Kampf /
Mit den Methoden der Klassiker, welche geschöpft sind / Aus der Kenntnis der Wirklichkeit."

Prof. Dr. Götz Dieckmann

Raute

Wie aus dem Harvard-Absolventen Steve Wechsler der Journalist Victor Grossman wurde

Der Mann, der McCarthy entwischte

Ist von Leuten, welche die SBZ oder die DDR in westlicher Richtung verließen, die Rede, so waren sie im bürgerlichen Sprachgebrauch natürlich "auf der Flucht". Egal, ob da bereits verläßliche Grenzanlagen bestanden oder nicht, ihr Weggang wurde stets als Flucht bezeichnet.

Wovor waren sie eigentlich geflohen? Manche vielleicht, um der Zahlung von Alimenten aus dem Wege zu gehen, die meisten aber wohl vor den "Mühen der Ebene". Andere Fluchtgründe: Saboteure, die Maschinen des ihnen verhaßten volkseigenen Betriebes unbrauchbar gemacht oder ihnen anvertrautes Vermögen veruntreut hatten.

Aber ich will nichts beschönigen. Auch politische Dummheiten so mancher unserer Funktionäre brachten diesen oder jenen dazu, vorsorglich die Koffer zu packen.

Wer aber waren die Menschen, welche sich in umgekehrter Richtung auf den Weg machten? Sprach man da auch von "Republikflucht", wenn einer aus der BRD in die DDR übersiedelte? Sie waren - in unserer Görlitzer Mundart - "halt rübergemacht".

Und da ist nun Steve Wechsler. Er weiß von einer ganz besonderen Flucht zu berichten. Steve sollte in seiner früheren Heimat - den USA - einen Revers unterschreiben, daß er keiner der etwa 120 dort aufgeführten, überwiegend linken Organisationen als Mitglied angehört habe. Wie aus seinem Buch "Ein Ami blickt auf die DDR zurück" hervorgeht, hatte er in einem ganzen Dutzend davon irgendwann einmal mitgemacht. Die Zeit, in der sich das abspielte, war brandgefährlich, da man im Herbst 1950 in den USA ein spezielles Gesetz erlassen hatte, das Mitgliedern kommunistischer Organisationen vorschrieb, sich unverzüglich als "Agenten einer ausländischen Macht" - der UdSSR - polizeilich registrieren zu lassen. Ich zitiere den Autor: "Für jeden Tag, den man sich nicht meldete, wurden bis zu 10.000 $ Strafe oder fünf Jahre Gefängnis angedroht." Es handelte sich um die Ära des McCarthyismus, die nach einem faschistoiden Senator so genannt wurde.

Was tun? Wechsler unterschrieb den Wisch dennoch, hatten sich doch für ihn ohnehin bereits Strafen von insgesamt einer Million Dollar oder zehnmal lebenslänglich angesammelt. Nachdem er bereits 18 Monate - zuletzt in der BRD - bei der U.S. Army gedient hatte, wies ihm das Pentagon per Einschreiben nach, in welchen Organisationen er gesteckt hatte. Damit war die Auflage verbunden, sich unverzüglich beim Militärgericht zu melden.

Was sollte unser Freund tun? Es blieb ihm eigentlich nur die Möglichkeit der Flucht. So machte sich Steve auf den gefährlichen Weg, durchschwamm bei Linz die Donau, um nach Österreich zu gelangen, wo es in jener Zeit eine sowjetische Besatzungszone gab. Die "Sowjets" schickten Wechsler in die DDR, wo er eigentlich gar nicht hinwollte. Dort wurde aus ihm über Nacht Victor Grossman. Der Namenswechsel erfolgte, um seine Angehörigen und Freunde in den USA zu schützen. Übrigens wurde er später ein bekannter Journalist, den wohl die meisten DDR-Bürger als den "Mann mit dem amerikanischen Akzent" aus Rundfunk und Fernsehen kannten.

Ganz so reibungslos und leicht spielte sich das freilich nicht ab. Steve Wechsler, ein Absolvent der elitären Harvard University, der nun Victor Grossman hieß, schleppte zunächst im Waggonbau Bautzen Holzbohlen, arbeitete dann in einem Klubhaus und studierte später in Leipzig Journalistik. Er ging also einen Weg von der Pieke auf, wie er für viele DDR-Bürger typisch war.

Dieser Mann, der aus dem mächtigen kapitalistischen Riesenland in die kleine, sich um den Sozialismus mühende DDR kam, erlebte mit seiner neuen Heimat schließlich den Rückfall in die Vergangenheit. So blickt er als sachlicher, engagierter, zugleich aber auch kritischer Zeuge auf die DDR zurück.

Victor Grossman gelingt es, etwas sichtbar zu machen, was wir in der oft hölzern wirkenden Sprache unserer Agitation nicht zum Klingen brachten: den im Osten Deutschlands binnen weniger Jahrzehnte zurückgelegten grandiosen Weg. Und das in einem Zeitraum, der - meteorologisch ausgedrückt - gerade mal einem Wetterleuchten gleichkam. Es geschah unter Bedingungen, die alles andere als traumhaft waren: mit Reparationsleistungen für ganz Deutschland, enormen Verteidigungslasten, die durch die rasante Remilitarisierung des Westens erzwungen wurden, dem Lieferboykott für wissenschaftlich-technische Güter bei gleichzeitiger Verweigerung des Know how und Abwerbung gut ausgebildeter Fachleute. Der Weg der DDR war überdies mit Menschen zu beschreiten, die gerade erst aus dem finstersten Faschismus gekommen waren. Menschen, in deren Köpfen Begriffe wie Sozialismus oder gar Kommunismus nicht Begeisterung, sondern Schrecken ausgelöst hatten, wobei diese barbarische Indoktrination 1945 nicht endete, sondern durch die kapitalistischen Medien im Westen und von ihnen ausgelegte populistische Köder ohne Unterbrechung fortgesetzt wurde.

Sehr ausführlich befaßt sich Victor Grossman mit der Frage, warum die verzuckerte Lüge lieber geschluckt wird als die bittere Wahrheit. Er legt zugleich den Finger auf die Wunden, die jeder DDR-Bürger kannte, und nennt dabei die Dinge beim Namen. Er wendet sich gegen Unvernunft und Ungerechtigkeit, gegen unnötige Härten und eine oftmals langweilige Presse, nicht zuletzt gegen ein Übermaß an kultivierter Spießbürgerlichkeit. Indem er sich sehr gründlich mit Deformationen solcher Art, die bis heute linke Politik belasten, auseinandersetzt, sucht er den Gründen dafür auf die Spur zu kommen, erklärt er, wie Politiker, Journalisten und für die Sicherheit des Staates Verantwortliche in die Spirale überzogener Ängstlichkeit gerieten.

Bei all dem kann und will Grossman, der sich als Kommunist betrachtet, nicht von diesem kleinen tapferen Land DDR lassen, das seine zweite (oder vielleicht sogar erste?) Heimat wurde. Eine Haltung, die nach Umfragen bei allem kritischen Rückblick auf Gewesenes viele ihrer früheren Bürger teilen. "Die Geschichte der DDR ist nicht folgenlos für Gegenwart und Zukunft Deutschlands. In den 40 Jahren hat sie Prozesse in Gang gesetzt, die fortlaufen. Und sei es nur in den Köpfen der Menschen."

Das schmale Bändchen aus der Edition Spotless verdient Beachtung.

Bernd Gutte

Ein Ami blickt auf die DDR zurück,
Spotless Nr. 238, Eulenspiegel-Verlagsgruppe Berlin,
2011, 96 Seiten, 5,95 €, ISBN 978-3-360-02039-0

Raute

Anmerkungen zu Stéphane Hessels Schrift "Empört Euch!"

Nicht im Giftschrank, sondern bei ALDI

Vor einigen Monaten erschien in der "jungen Welt" ein recht begeisterter Hinweis auf die in Frankreich hunderttausendfach verkaufte kleine Schrift "Empört Euch!" des 93jährigen früheren gaullistischen Résistance-Kämpfers und Buchenwald-Überlebenden Stéphane Hessel. Der Kommentar war mit Äußerungen des Bedauerns über den politischen Bewußtseinsstand in Deutschland verbunden, wo ein so hoher Verbreitungsgrad leider nicht möglich wäre.

Um so überraschter war ich dann, als ich unlängst das Heft entdeckte - nicht etwa im Giftschrank eines linken Buchladens, sondern bei Edeka und ALDI im Kassenbereich.

Zunächst einmal besitzt Stéphane Hessel meinen uneingeschränkten Respekt für seinen tapferen antifaschistischen Kampf und sein soziales Engagement, von dem er sich niemals distanziert hat. Seine Empörung klingt frisch, und sein Appell an die Jugend ist beeindruckend.

In "Empört Euch!" zitiert er Forderungen der Résistance: Die Energiequellen, Bodenschätze, Versicherungsgesellschaften und Großbanken sollten verstaatlicht, der Einfluß des Privateigentums auf die Wirtschaft sollte ausgeschaltet, der Wohlstand gerecht verteilt, die Presse von der Macht des Geldes unabhängig werden. So weit, so gut.

All das geht über heutige Positionen der alten Parteien in der BRD und Frankreich meilenweit hinaus, wäre aber hierzulande selbst unter "Linken" nicht unumstritten. Viele von ihnen wollen auf keinen Fall "hinter Bad Godesberg zurück". Dort hatte die SPD einst ihren Frieden mit dem deutschen Kapitalismus gemacht.

Als Marxist fragt man aber unwillkürlich: Wenn all diese Forderungen das Kapital derart angreifen und sogar verurteilen - warum unterstützen dann große Konzerne ausgerechnet den Vertrieb einer solchen Schrift, die Forderungen enthält, für die unter Adenauer und danach Gefängnisstrafen und Berufsverbote verhängt wurden?

Wollen sie etwa, um mit Lenin zu sprechen, "den Strick verkaufen, an dem man sie aufhängt"?

Im Vorspann von Hessels Schrift steht ein Text aus der FAZ, dem Zentralorgan der deutschen Monopole. Dort heißt es, der Autor beklage, "daß der Finanzkapitalismus die Werte der Zivilisation bedroht und den Lauf der Welt diktiert".

Will denn die FAZ auf einmal den Kapitalismus abschaffen? Wohl eher nicht! Aber was verspricht sie sich dann von der Verbreitung dieses Materials? Enthält es - aus der Sicht des Blattes - vielleicht doch Gedanken, welche die Nachteile ausgleichen?

Mein Eindruck: Wäre der heutige Kapitalismus ähnlich stabil und unangefochten wie in den 50er Jahren, könnte man sich den massenhaften Absatz einer solchen Schrift kaum vorstellen.

Offenbar ist das Vertrauen nachdenklicher Menschen in das System erschüttert, so daß sie mit platter Apologie des Kapitalismus nicht mehr bei der Stange zu halten sind.

Wenn die erste politische Verteidigungslinie also nicht zu halten ist, muß eben eine zweite aufgebaut werden. Anders ausgedrückt: Leute, die vom System wegwollen, muß man so verwirren, daß sie nirgendwo ankommen.

Woraus hofft die FAZ für ihre Sache Honig zu saugen?

Ich möchte betonen, daß meine weiteren Anmerkungen nichts von der Achtung zurücknehmen, die ich dem Autor zolle. Doch Respekt schließt Kritik nicht aus. Hessel faßt seine Bewertung der französischen Zustände in dem Satz zusammen: "... dieses gesamte Fundament der sozialen Errungenschaften der Résistance ist heute (!) in Frage gestellt."

Indes: Die "sozialen Errungenschaften" waren lediglich Forderungen des antifaschistischen Widerstandes, aber niemals Realität oder gar Fundament der Gesellschaft. Das Privateigentum an den entscheidenden Produktionsmitteln wurde in der Praxis zu keiner Zeit in Frage gestellt. Nach dem Krieg herrschte in der BRD wie in Frankreich ununterbrochen der Kapitalismus. Seit den 90er Jahren ist aus dem Regen ein dauernder Wolkenbruch geworden: Die Ausbeuterordnung ist brutaler denn je. Aber auch den "netteren" Kapitalismus sollten wir nicht verharmlosen. Und: Wir sollten uns darüber im klaren sein, daß diese Variante nicht mehr zu haben sein wird.

Damit zur "Alternative": Was Hesssel den jungen Leuten nahelegt, ist "Empörung", widerständige Haltung. Und in der Tat ist Widerstand Voraussetzung für jede Verbesserung der Welt. Soll es aber nicht bei kurzen, rasch aufgefangenen Vorstößen bleiben, brauchen die Widerständigen eine Strategie, Klarheit über Wege und Ziele. Dazu sagt Hessel sehr wenig.

Und was die einzige bisher ausprobierte Alternative zur Kapitalherrschaft angeht, so fertigt er sie mit wenigen Zeilen ab: "Was Stalin betrifft, so haben wir alle zwar den ersten großen Sieg der Roten Armee in Stalingrad Anfang 1943 bejubelt. Aber schon lange vorher, 1935, als wir von den großen stalinistischen Säuberungen und Schauprozessen erfuhren, konnten wir uns, trotz unserer Offenheit für den Kommunismus als Gegengewicht zum amerikanischen Kapitalismus, nicht der Einsicht entziehen, daß diese unerträgliche Form des Totalitarismus unannehmbar war."

Ich weiß, daß sehr viele Franzosen, keineswegs nur Kommunisten, wußten, wer Europa in erster Linie vom Faschismus befreit hat: Bei allem Respekt vor der heldenhaften französischen Résistance und bei voller Anerkennung der amerikanischen und britischen Anstrengungen: Das Genick ist Hitler im Osten gebrochen worden, durch Stalingrad und all die Schlachten davor und danach, durch die ungeheuren Opfer der Rotarmisten und der sowjetischen Zivilbevölkerung. Man sollte sich gründlicher überlegen, ob man nach diesem entscheidenden Sieg über die Barbarei wirklich Henker und Befreier mit der wissenschaftlich unhaltbaren "Totalitarismus"-Klammer auf eine Stufe stellen kann. Übrigens heißt eine Pariser Metro-Station nicht zufällig "Stalingrad".

Auch sollte man sich fragen, wie es kommt, daß der Kapitalismus sein wahres Gesicht erst so unverhüllt zeigen konnte, als der Sozialismus in Europa am Boden lag. Vielleicht ist es die Sicht auf diesen, welche Hessels Schrift für die FAZ trotz anderer Töne akzeptabel macht?

In "Empört Euch!" liest man: "Die Zukunft gehört der Gewaltlosigkeit - davon bin ich überzeugt." Da kann man Hessel nicht zustimmen. Natürlich wird niemand, der ernst zu nehmen wäre, heute in den kapitalistischen Metropolen zu terroristischer Gewalt für den Fortschritt aufrufen. Doch Gewalt als Mittel der Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung generell auszuschließen, ist etwas völlig anderes. Nachdem Chiles Unidad Popular 1970 die Wahlen gewonnen hatte, versuchte Allende die gewaltlose Überwindung des Kapitalismus. Die Antwort darauf war der faschistische Putsch Pinochets, der durch die "Wertegemeinschaft" des Westens mit den USA an der Spitze unterstützt wurde. Die Gewaltlosigkeit gegenüber den Feinden der Revolution endete in einem Blutbad.

Auch der von Hessel ins Feld geführte Nelson Mandela dürfte als Beispiel für Gewaltlosigkeit kaum geeignet sein. Sein ANC hat mit dem "Speer der Nation" bewaffnet und gewaltsam gegen Südafrikas Apartheid-Regime gekämpft. Übrigens galt er nicht nur bei den Rassisten Pretorias als "terroristische Organisation", sondern auch bei der bundesdeutschen CDU.

Die Großzügigkeit der FAZ erklärt sich wohl daraus, daß über den Kapitalismus Empörte für diesen so lange ungefährlich bleiben, wie sie die Gewaltlosigkeit zum Dogma erheben.

Fritz Dittmar, Hamburg

Raute

Ein junger Franzose und die "Wespen von Lens"

Die große Reise des kleinen Pierre Alain

Unvergessen bleibt mir die Freundschaft mit einem jungen Franzosen. Er hieß Pierre Alain Côic und stammte aus Paris. Zwischen dem Berliner Stadtbezirk Köpenick und den Genossen der FKP im Nordbezirk der französischen Hauptstadt bestand ein freundschaftliches Verhältnis, zu dessen Vertiefung eine Gruppe Pariser Jugendlicher in die Stadt an der Spree eingeladen wurde. Doch Alain und seine Mutter verpaßten am Abfahrtstag den Zug, für den die Gruppe gebucht hatte. Der Parkplatz an der Rue Ambroise Paré beim Gare du Nord - dem Pariser Nordbahnhof - war überfüllt, und so kurvten die beiden zeitraubend umher. Ergebnis: Die Bahn war weg. Kurzentschlossen setzte Madame Côic ihren Sohn in den nächsten Zug nach Berlin und drückte dem Unerfahrenen noch die Teilnahmebestätigung für die FKP-Delegation sowie seinen Schülerausweis in die Hand. Zwar hatte sich der schlanke Bursche am schulischen Deutschunterricht beteiligt, doch um sich in derart ungewohnten Situationen verständlich ausdrücken zu können - dafür reichten seine Kenntnisse natürlich nicht aus. Und so kullerten ihm die Tränen über das Gesicht, als die Genossen der damaligen DDR-Grenzpolizei in Marienborn mit seiner stockenden und bruchstückhaften Darstellung der Zusammenhänge dieser Einzelreise zunächst nicht klarkamen.

Ein Telefonat mit dem Köpenicker Bezirksbürgermeister Herbert Fechner klärte den Sachverhalt dann jedoch rasch auf. Um ihn zu trösten, schenkte ein Grenzer dem jungen Franzosen seine Taschenuhr. Die Tränen versiegten, und seine Freunde nahmen ihn in Berlin glücklich in Empfang.

Ich lud den kleinen Pechvogel einige Male zu mir nach Hause ein und machte ihn bei dieser Gelegenheit auch mit meinem Vater bekannt. Der war als deutscher Wehrmachtsangehöriger in französische Kriegsgefangenschaft geraten. Er gewann den Pariser Jugendgenossen für sich, als er ihm ein Dokument sehr besonderer Art in die Hand gab. Hier ist dessen wörtliche Übersetzung:

ANTIFA
Dépot P.G.A. Nr. 15
Bescheinigung
Der derzeitige Kriegsgefangene Herbert Horn, geboren 7.5.04, ist seit Gründung der Antifa des Kriegsgefangenenlagers in Mai 1946 deren aktives Mitglied. Seit seiner Gefangennahme hat er sich in Diskussionen auf hervorragende Weise als Antifaschist zu erkennen gegeben.

Er übernahm später die Funktion eines Mitglieds des Lagervorstandes, hielt Referate und hat besonders seine Fähigkeit im Entwurf guter Plakate in den Dienst der Sache gestellt. Durch seinen Unglücksfall im November 1946 mußten wir vorläufig auf Herbert Horns Mitarbeit verzichten. Wir sind überzeugt, daß er auch in der Heimat seiner Partei wertvollste Dienste leisten wird. Besonders empfehlen wir ihn der Obhut der heimatlichen Dienststellen, da er es wert ist, als antifaschistischer Kämpfer anerkannt zu werden.

Die Leitung der ANTIFA des Dépot der P.G.A. Nr. 15
Lens, den 5.3.1947
Unterschrift: Kreikemeier

Respektvoll reichte Pierre Alain Côic das Dokument zurück und blickte eher fragend zu den Krücken, auf die sich mein Vater stützen mußte.

"Ja", gab dieser dem Jungen zu verstehen, "das geschah an einem 11. November. Du weißt ja, was das für ein Tag ist?" "Oui", antwortete der Schüler eher verlegen. Es handelt sich um einen Nationalfeiertag der Franzosen, erinnert er doch an die Unterzeichnung des bedingungslosen Waffenstillstandes 1918 durch die Deutschen. "Ausgerechnet an diesem Tag des Jahres 1946 traf mich abends im Bett ein Querschläger. Das Bein mußte amputiert werden. Aber", fuhr mein Vater fort, "am 14. Juli 1947 kam ich wieder bei meiner Familie in Berlin an und ...". Eifrig wollte Pierre Alain nun das Datum erklären, doch der Einbeinige unterbrach ihn:

"Mir wurde in Lens ein Atelier eingerichtet. Dort erhielt ich auch die Gelegenheit, anhand von Fotografien die Ölporträts gefallener Kämpfer der Résistance anzufertigen. Daß mir dabei viele Schicksale von Widerstandskämpfern ans Herz wuchsen, versteht sich von selbst."

"Oui, oui" nickte der 12jährige.

"Und zudem", fuhr mein Vater fort, "schrieb ich über den dortigen Widerstandskampf eine Erzählung nach authentischen Darlegungen meines Freundes Albert Hus. Sie trägt den Titel 'Die Wespen von Lens' und schildert, wie Kohlenzüge, die in das faschistische Deutschland gehen sollten, in die Luft gejagt wurden."

Jetzt mischte ich mich in das Gespräch ein und erklärte unserem Gast, daß es die Hinterbliebenen der französischen Widerstandskämpfer und die Mitglieder des Antifa-Komitees im Lager gewesen seien, die Geld gesammelt hätten, damit mein Vater eine Beinprothese habe bekommen können. Mit dieser traf er auf dem zerbombten Anhalter-Bahnhof ein. "Sein wichtigstes Mitbringsel war ein Holzkoffer voller Ölfarben", ergänzte ich meine Gedanken.

1947 wohnten wir noch im Französischen Sektor von Berlin. Mein Vater malte mir ein kleines Werbeplakat, mit dem ich auf zwei nahegelegene Rummelplätze ging. Dort waren immer Franzosen in Uniform anzutreffen. So trug ich das Plakat vor mir her, auf dem stand: "Un joli cadeau" - Un souvenir durable: est une peinture a l'huile. (Ein vergnügliches Geschenk - ein dauerhaftes Souvenir: ein Ölgemälde.) Je peins votre portrait d'apres nature ou d'apres photographie!" (Ich male Ihr Porträt nach der Natur oder nach einer Fotografie.)

Tatsächlich fand ich einen Interessenten, und der Maler Herbert Horn erhielt Aufträge.

Nach einer Weile stand dieser auf und begab sich ins Nebenzimmer. Er kam mit einer Broschüre zurück. Es handelte sich um ein Exemplar der "Wespen von Lens". In das kleine Buch über den Widerstandskampf im Raum von Pas de Calais schrieb er eine Widmung und übergab es unserem neuen Freund.

Dreimal noch erreichte mich dankbare Post aus Frankreich. Der Absender war Pierre Alain Côic. Er schrieb uns aus Montreuil bei Paris. Als er indes die Frage stellte, wer Richard Sorge gewesen sei, blieb ich ihm die Antwort ausnahmsweise einmal schuldig. Schließlich wollte er im NATO-Staat Frankreich Flugzeugingenieur werden.

Hans Horn

Raute

Vor 60 Jahren war die DDR-Hauptstadt Gastgeberin der III. Weltfestspiele

"Im August, im August blüh'n die Rosen ..."

Die professionellen DDR-Hasser erfinden immer wieder Gründe, neue Greuelmärchen unter die Leute zu bringen. Wenn ich die Nachrichtenkolporteure am Bildschirm erlebe, muß ich stets auf die wildesten Ungereimtheiten gefaßt sein. Doch was wissen denn solche Leute eigentlich von unseren Anfängen, von der Freude junger Menschen, die in ihrer Freizeit den unendlichen Trümmerbergen ihrer Städte zu Leibe rückten und selbst dabei noch Spaß hatten! Wir freuten uns damals unbeschreiblich, als die im Frühjahr 1946 - vor nunmehr 65 Jahren - gegründete Freie Deutsche Jugend nicht nur in den Weltbund der Demokratischen Jugend (WBDJ) aufgenommen wurde, sondern überdies den Auftrag erhielt, im Sommer 1951 die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Berlin auszurichten. Zuvor - 1949 - war bereits eine Abordnung der FDJ nach Budapest gereist, um dort am II. Festival teilzunehmen.

Doch was spielte sich dann im August 1951 bei uns ab?

In vom Bombenkrieg verschonten Gebäuden Berlins wurde durch die Hausgemeinschaften überall auf den Dachböden für Schlafplätze gesorgt. Viele Mieter kümmerten sich liebevoll um die bei ihnen untergebrachten Jugendlichen. Auch Schulen und sämtliche erhalten gebliebenen öffentlichen Bauten dienten als Quartier für das große Fest. Den jungen Menschen aller Hautfarben und Rassen bereitete die Bevölkerung in dieser vom Krieg schwer gezeichneten Metropole einen überwältigenden Empfang. Dabei ist in Erwägung zu ziehen, daß die Deutschen in ihrer Gesamtheit noch sechs Jahre zuvor der rassistischen und völkerverhetzenden Indoktrination der Faschisten ausgesetzt gewesen waren, was internationalistische Solidarität auf dem Boden ihres Landes um so eindrucksvoller erscheinen ließ.

Damals sangen wir ein wunderbar eingängiges Lied, dessen erste Strophe mir noch heute im Ohr klingt:

"Laßt heiße Tage im Sommer sein,
im August, im August blüh'n die Rosen.
Die Jugend der Welt zieht als Gast bei uns ein,
und der Frieden wird gut und uns näher sein.
Im August, im August blüh'n die Rosen."

In den Heimatländern der insgesamt 26.000 Teilnehmer aus 104 Staaten war zuvor - oft genug gegen den Willen der dort Herrschenden, die mit Repressalien drohten oder diese auch anwandten - Geld zur Finanzierung der Reise gesammelt worden. In Berlin trafen die Abgesandten aus aller Welt mit zwei Millionen Jugendlichen und 20 000 Jungen Pionieren aus der DDR zusammen.

Auch in der BRD bereitete man sich - im entgegengesetzten Sinne - auf die III. Weltfestspiele vor. Wenige Monate vor deren Eröffnung - im April 1951 - wurde die westdeutsche FDJ für verfassungsfeindlich erklärt und verboten. Das konnte aber die Teilnahme von 35.000 Jugendlichen aus der BRD und Westberlin nicht verhindern, obwohl bis Ende Juli etwa 6000 an der Grenze aufgegriffene FDJler durch die bundesdeutsche Polizei zwangsweise in ihre Wohnorte zurückgeführt worden waren.

"Berlin - Stadt der Jugend" lautete ein Slogan der Gastgeber des Festivals, der aber so nicht zutraf. Die alte deutsche Hauptstadt bestand zu jener Zeit nämlich aus vier Sektoren, die eintreffenden Jugendlichen wurden indes nur im vormals sowjetischen Sektor, den man damals schon als Demokratischen Sektor bezeichnete, empfangen und untergebracht.

Aus taktischen Gründen und zur Irreführung der Öffentlichkeit lud der Westberliner Bürgermeister Ernst Reuter (SPD) - ein besonders übler Renegat, der früher einmal der KPD angehört hatte - die FDJler und deren ausländische Freunde dazu ein, sich ein "warmes Essen" abzuholen.

Die jungen Leute wollten von dem Angebot Gebrauch machen und zogen mit Kampf- und Jugendliedern unter ihren Fahnen zu den Sektorengrenzen. Dort wurden sie von Wasserwerfern und Knüppelgarden des sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Dr. Stumm brutal attackiert, wobei es zahlreiche Verletzte gab. Diese mußten zum Teil in Krankenhäusern stationär versorgt werden.

So handelten jene, welche unter dem Geläut der "Freiheitsglocke" am Schöneberger Rathaus ohne Unterlaß die Vorzüge ihrer "Demokratie" gepriesen hatten. Natürlich behaupteten die Medien der Bourgeoisie unisono, die FDJler aus der "Sowjetzone" hätten in den Westsektor "einrücken" wollen.

1973 war in Berlin die Weltjugend dann noch einmal zu Gast, wobei das X. Festival einen anderen Charakter trug. Die Jugend der DDR war inzwischen selbstbewußter geworden, die Sportveranstaltungen erinnerten fast an Olympiaden, die diplomatische Anerkennung des sozialistischen deutschen Staates nahm ihren Lauf. Doch zugleich war ein Hauch des Kalten Krieges zu spüren. Personen aus der BRD, die in der DDR wegen ihres provokatorischen Auftretens nicht unbekannt waren, erhielten vorsorglich keine Einreisegenehmigung, was wiederum zur Verschärfung antikommunistischer Aktivitäten führte.

Obwohl wir - inzwischen zu Großeltern geworden - diesmal die menschliche Wärme von 1951 ein wenig vermißten, trug auch dieses Festival ungeachtet seines bisweilen plakativen und pompösen Charakters zur Festigung der Solidarität unter den jungen Menschen aus aller Welt bei. Unvergessen bleibt mir, daß die erst im Jahr zuvor freigekämpfte afroamerikanische Kommunistin Angela Davis auf der Abschlußkundgebung das Gelöbnis der Teilnehmer sprach.

Noch einmal möchte ich auf die anfangs erwähnten Nachrichtenkolporteure der bürgerlichen Medien zurückkommen, die in aller Regel keine Ahnung von der Wirklichkeit der DDR haben, aber bedenkenlos die ihnen aufgegebenen Sprüche klopfen.

Doch was immer sie auch vom Stapel lassen: Damals hat die Welt erfahren, daß Solidarität in der DDR kein leeres Wort gewesen ist. Als international anerkannter deutscher Friedensstaat, der keine geringe Rolle in der UNO spielte, stellte sie das von der ersten Stunde ihrer Existenz an unter Beweis.

Trotz der Niederlage bin ich mir sicher: Auch wenn es noch lange dauern sollte - die Zeit wird kommen, in welcher unser Stern, den heute so manche für erloschen halten, seine alte Leuchtkraft wiedererlangen und den Ausgebeuteten aller Erdteile den Weg zu ihrer Befreiung erhellen wird. Dann dürfte man sich auch jenes Liedes erinnern, das wir im Sommer 1951 voller Inbrunst und Begeisterung wieder und wieder gesungen haben: "Im August, im August blüh'n die Rosen ..."

Brigitte Wackernagel, Berlin

Raute

Bevölkerungsexplosion in Armutshochburgen

Ende Februar sorgte die Feststellung der Vereinten Nationen, daß in diesem Jahr die Weltbevölkerung auf über 7 Milliarden Menschen anwachsen wird, für den üblichen Medienrummel in der bürgerlichen Presse. Für 2050 werden 10 Milliarden Erdenbürger vorausgesagt, d. h., daß im Jahresdurchschnitt 79 Millionen hinzukommen. Joel Cohen von der Rockefeller-Universität verkündete: "Wir können schon 7 Milliarden nicht ernähren." Tatsache ist, daß heute jeder siebente Mensch auf der Welt hungert.

Unser Planet ist relativ klein, seine Brenn- und Rohstoffressourcen sind beschränkt, die landwirtschaftlichen Nutzflächen insbesondere unter Klimaaspekten kaum ausdehnbar. Sauberes Trinkwasser ist bereits jetzt äußerst knapp. Der World Wildlife Fund geht davon aus, daß in den kommenden 40 Jahren etwa die gleiche Menge an Lebensmitteln hergestellt werden muß wie in den vergangenen 8000 Jahren. Das gewaltige Bevölkerungswachstum und die sich daraus ergebenden Konsequenzen sind ein drängendes Problem der Gegenwart und Zukunft.

Bis in das 20. Jahrhundert hinein war die demographische Entwicklung in den Kolonien und Halbkolonien durch einen traditionellen Typ der Bevölkerungsreproduktion geprägt. Es bestand ein relatives Gleichgewicht zwischen Sterblichkeit und Geburtenhäufigkeit. Das verhinderte im Rahmen agrarischer Gesellschaften übermäßiges Bevölkerungswachstum. Die Entwicklung entsprach den traditionellen und rückständigen Wirtschaften. Dieses Gleichgewicht wurde erst mit der Unterordnung der Regionen unter den Kapitalverwertungsprozeß und den kapitalistischen Weltmarkt aufgehoben.

An der Schwelle des 20. Jahrhunderts transplantierten die höherentwickelten imperialistischen Länder moderne industrielle und landwirtschaftliche Produktionen in die heutigen Entwicklungsländer. Es entstanden Sektoralwirtschaften mit Enklaven der Rohstoffproduktion und landwirtschaftlicher Monokulturen. Diese dienten und dienen ausschließlich den kapitalistischen Industrien auf der Nordhalbkugel der Erde. Um den Kapitalverwertungsprozeß zu sichern, schufen die Industrieländer entsprechende Infrastrukturen einschließlich eines Gesundheitssystems. Das blieb nicht ohne Folgen für die demographische Entwicklung.

Das Zentrum der gegenwärtigen Bevölkerungsexplosion liegt seit mehreren Jahrzehnten ausgerechnet in jenen Ländern und Regionen, die jahrhundertelang koloniale Ausbeutung und Unterdrückung erlitten und heute noch viele Merkmale der Rückständigkeit tragen. Um 1900 lebten in diesen Weltregionen etwa 1 Milliarde Menschen; 1960 waren es 2 Milliarden.

Im Jahre 2009 drängten sich dort bereits 5,7 Milliarden Erdenbürger zusammen, 2050 werden es wahrscheinlich an die 8 Milliarden sein. Das Wachstum der Weltbevölkerung wird sich fast ausschließlich in armen Nationen, vorwiegend in Afrika südlich der Sahara und Südostasien, vollziehen.

Das wesentliche Problem des demographischen Wandels besteht darin, daß eine angemessene oder ausreichende Befriedigung der Bedürfnisse der schnell wachsenden Weltbevölkerung mit Nahrungsmitteln, Energie und Rohstoffen unter kapitalistisch-profitorientierten Bedingungen die natürlichen Potentiale der Erde - und insbesondere die Umwelt - zunehmend belasten. Die grundlegende Frage lautet daher: Ist die Menschheit dazu in der Lage, alle für ihre weitere Entwicklung notwendigen Ressourcen zu sichern? Oder entsteht in Zukunft eine dramatische Verknappung? Diese ist schon deshalb wahrscheinlich, weil sie sich aus dem Widerspruch zwischen der relativen physischen Begrenztheit der Erde und der bestehenden Produktionsweise ergibt. Die Herstellung des Gleichgewichts zwischen den beschränkten Möglichkeiten unseres Planeten und dem rasanten Bevölkerungswachstum ist eine enorme Herausforderung. Eine Lösung dieses komplexen Problems ist bisher nicht in Sicht. Arbeitslosigkeit, Armut, Migrationsbewegungen, Klimawandel, Zerstörung der Urwälder, Überfischung der Meere, Lebensmittelknappheit und politische wie militärische Konflikte um Rohstoffe, Land oder Wasser sind nur einige Erscheinungen, die das Dreiecksverhältnis von Produktionsweise, Bevölkerungsentwicklung und Umwelt dokumentieren.

Die grenzenlose Internationalisierung der Kapitalverwertung und der Produktion sowie der kapitalistische Weltmarkt - auch "Globalisierung" genannt - verhindern eine vernünftige Bevölkerungspolitik und führen zu einer immer schnelleren Zerstörung des Lebensraums und der Existenzgrundlagen künftiger Generationen.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

Raute

NATO erledigt Libyens "Aero-Panzer"

Ein im Frühjahr weltweit verbreitetes Foto zeigte von Flugzeugen eines NATO-Staates auf Libyens Boden abgeschossene Panzer sowie einen triumphierenden "Rebellen" mit der Fahne des 1965 durch den damaligen Oberst Gaddafi gestürzten Marionettenkönigs Idris I. Der Mann bejubelte die vom UN-Sicherheitsrat ohne Gegenstimmen beschlossene "Flugverbotszone" über seinem Land.

Das Foto gibt zu der vielleicht naiven Frage Veranlassung: "Verfügte Gaddafi tatsächlich über fliegende Panzer?", zumal ja simple Bodenfahrzeuge - auch militärischer Art - nur selten in einer "Flugverbotszone" aufsteigen.

Doch weit gefehlt. Die Festlegung der Resolution Nr. 1973 des UN-Sicherheitsrates schließt lediglich den Einsatz von Bodentruppen der Aggressoren aus. Alles andere kann mit Mann und Maus be- und erschossen, zerbombt oder auch vergiftet werden, solange sich das aus der Luft machen läßt.

Natürlich sollten dabei möglichst geringe "Kollateralschäden" auftreten, weil sie die Idylle dieses Unternehmens zum Schutz der Menschenrechte stören würden. Soweit es um Menschenleben geht, sollen nach dem heißen Abriß aus luftigen Höhen fortan Herren in Nadelstreifen aus "westlichen Demokratien" diese Rolle mit oft weniger tödlichen, aber meist genauso scharfen Waffen übernehmen.

Da bleibt nur zu hoffen, daß unser fahnenschwenkender "Rebell" nicht einmal den Tag verfluchen wird, an dem er und seinesgleichen eine "Flugverbotszone" verlangt haben. Ihm dürfte es dann so ähnlich ergehen, wie jenen "DDR-Revolutionären" und "Bürgerrechtlern", die 1989/90 nicht weniger blauäugig und erwartungsfroh dem "Kanzler der Einheit" zujubelten und ihm unter seinen Fahnen jeden Kohl abkauften. Und was die "blühenden Landschaften" unseres Lügenbarons betrifft, so folgte der Zusage schon bald eine Zeit ohne eigene Fahne, ohne eigene Identität und ohne eigenes Denken.

Dafür kamen ganz neue Akteure ins Spiel: Ossis durften sich als Hungerlöhner und Lohndrücker verdingen. Soviel zur Mär von den "fliegenden Panzern".

Wolfgang Klages, Berlin


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Ein libyscher "Rebell" im Dienste der NATO

Raute

RF-Extra

Am 30. Juni 1946 wurden in Sachsen die Kriegs- und Naziverbrecher enteignet

Keine Sternstunde für Kapitalisten

Im Dezember 2010 stellte Oskar Lafontaine in einem Beitrag für den "RotFuchs" seine Überlegungen zur Eigentumsfrage vor. Mit den Worten "Was gehört wem und warum?" legte er den Finger auf die Wunde.

Zur gleichen Zeit debattierte die Linkspartei über ihren Programmentwurf, in dem es heißt: "Ein Sozialismusversuch, der nicht von der großen Mehrheit des Volkes demokratisch gestaltet, sondern von einer Staats- und Parteiführung autoritär gesteuert wird, muß früher oder später scheitern." Aus der Tendenz dieses Satzes ergäben sich Streitfragen: Wie müßte eine Demokratie beschaffen sein, die den Sozialismus erfordert und zuläßt? Oder: Gibt es einen Sozialismus, im dem das Ausbeuterkapital weiter schalten und walten kann, wie es will? Könnten die geschichtlichen Erfahrungen (nicht nur) der DDR zu Antworten beitragen?

Der Volksentscheid in Sachsen am 30. Juni 1946, der zur Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher führte, war der wichtigste und folgenreichste Schritt bei der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Seine Bedeutung wird nach dem Untergang der DDR und mit den Erfahrungen seit 1990 noch klarer erkennbar. In der "Erinnerungsschlacht" nimmt er deshalb einen bevorzugten Platz ein. Gegner des Sozialismus attackieren ihn als "stalinistische Durchsetzung des Sowjetsystems". Die Tatsachen beweisen etwas anderes. Im Juni 1946 nahmen 93,71 % der 3.693.511 wahlberechtigten Bürger Sachsens an der Abstimmung teil. 77,62% stimmten dem Gesetzentwurf zu, 16,56% votierten mit Nein, 5,82% der abgegebenen Stimmen waren ungültig.

Betroffen waren 1861 Betriebe, Vermögenswerte und Immobilien.

Sachsen stand übrigens nicht allein auf weiter Flur. Ende 2005 veröffentlichte "Der Spiegel" eine Serie über "Gründerjahre", in der vermerkt wurde, daß es nach 1945 auch im Westen eine "Vorliebe für die Enteignung von Industriebetrieben und Banken" gegeben habe, wobei die SPD der Vorreiter gewesen sei. Und: "Selbst in der CDU gibt es einen linken Flügel, der einen christlich geprägten Sozialismus will."

Das alles ist nicht neu. Auch die Anstrengungen von Geschichtsrevisionisten, die sächsische Nachkriegschronik in düsteren Farben darzustellen und sie in das berüchtigte Totalitarismus-Schema einzupassen, haben bereits eine gewisse Tradition. Einige Publikationen des Hannah-Arendt-Instituts trugen in genormter Sprachregelung Titel wie "Diktaturdurchsetzung in Sachsen" und "Die Partei der Diktaturdurchsetzung". Die Autoren fragen nicht einmal, welche und wessen Diktatur im Osten Deutschlands errichtet wurde, obwohl es an Literatur dazu wahrhaftig nicht mangelt. Die Wertung des Volksentscheids aus der Sicht von DDR-Historikern ist in der 1989 erschienenen "Deutschen Geschichte" zu finden. Dort heißt es in Band 9: Mit "der Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher (wurden) die entscheidenden gesellschaftlichen Grundlagen und Wurzeln für imperialistischen Krieg und Faschismus beseitigt, die dafür haupt- und mitverantwortlichen gesellschaftlichen Kräfte entmachtet und wesentliche Grundlagen für einen antiimperialistisch-demokratischen deutschen Friedensstaat gelegt. Ein Vermächtnis des deutschen antifaschistischen Widerstandes und eines der wichtigsten Ziele der Antihitlerkoalition wurden verwirklicht."

Demgegenüber behaupteten zwei aus dem gegnerischen Lager stammende Autoren - Schmeitzner und Donth -, der Volksentscheid von 1946 sei lediglich der "Schein der Legitimation" für die "Herrschaftskonsolidierung der SED" gewesen. Ihr Urteil lautete: "Zu einem Testlauf für Wahlen in der SBZ stilisierte Stalin persönlich im Januar 1946 einen Volksentscheid über die endgültige und entschädigungslose Enteignung der von der SMAD bereits im Oktober 1945 sequestrierten Betriebe von 'Nazi- und Kriegsverbrechern'. Dieser Volksentscheid, den die Führung der KPD bereits im März 1946 auf ihrer Reichskonferenz thematisierte, sollte nach Ulbrichts Auffassung nur in Sachsen durchgeführt werden, da das ... Land mit der stärksten Industrie in der sowjetischen Besatzungszone als Schrittmacher in der Veränderung der Produktionsverhältnisse vorangehen müsse."

In Wahrheit war das Nachkriegsprogramm der KPD seit 1933 - abgestimmt im Rahmen der Kommunistischen Internationale - Schritt für Schritt entwickelt worden. Der Aufruf vom 11. Juni 1945 stellte dabei die Krönung dar.

Wenn die KPD die Enteignung von Nazis im Auftrag Stalins als "Testlauf" für die Wahlen "thematisierte", dann müßte die SPD-Führung für ihre Prophetie gelobt werden. Sie verlangte nämlich bereits in ihrem Prager Manifest vom Januar 1934 genau das, was im Juni 1946 in Sachsen zur Abstimmung stand. Das Prager Manifest forderte den Sturz der Hitlerregierung durch eine Volksbewegung und deren Ersetzung durch eine revolutionäre Regierung. Als "Maßnahmen zur dauernden und völligen Entmachtung des besiegten Gegners" waren u. a. vorgesehen: Einsetzung eines Revolutionstribunals; Aburteilung der Staatsverbrecher, ihrer Mitschuldigen und Helfer in der Politik, der Bürokratie und Justiz; Organisierung einer zuverlässigen Militär-Polizeimacht; völlige Erneuerung des Offizierskorps; Zerschlagung des alten politischen Apparats; sofortige entschädigungslose Enteignung der Großgrundbesitzer; sofortige entschädigungslose Enteignung der Schwerindustrie; Vergesellschaftung der Großbanken.

Im Prager Manifest hieß es: "Erst nach Sicherung der revolutionären Macht und nach restloser Zerstörung der kapitalistisch-feudalen und politischen Machtpositionen der Gegenrevolution beginnt der Aufbau des freien Staatswesens mit der Einberufung einer Volksvertretung, gewählt nach allgemeinem, gleichem und direktem Wahlrecht in Einzelwahlkreisen."

Manchem könnte es scheinen, dieses Dokument der SPD-Führung vom Januar 1934 sei revolutionärer als die programmatischen Erklärungen der KPD vom Juni 1945. Das träfe wohl auch auf so manche Rede Kurt Schumachers und frühe SPD-Forderungen zu. Schumacher erklärte damals den Sozialismus zur "Tagesaufgabe". In die "Politischen Richtlinien für die SPD" vom August 1945 nahm er die Sätze auf: "Aus dem Klassencharakter des Nazismus ergibt sich zu seiner Überwindung als Konsequenz: der Sozialismus. Die Voraussetzung ist die völlige Zerbrechung der finanzkapitalistischen, imperialistischen und militärischen Linie."

Dieser Erkenntnis entsprachen auch die "Richtlinien für die Wirtschaftspolitik der SPD". Sie forderten "die Überführung der wirtschaftlichen Schlüsselstellungen in öffentliches Eigentum" und die "sozialistische Planung". Warum haben sozialdemokratische Politiker diesen Teil der Geschichte ihrer eigenen Partei vergessen? Ist es heute eine Sünde oder gar ein Verbrechen, für eine Gesellschaftsordnung zu kämpfen, die Ausbeutung und Krieg ausschließt?

Selbst das Ahlener Programm der CDU vom Februar 1947 stellte dem Kapitalismus ein Todesurteil aus: "Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den sozialen Lebensinteressen ... nicht gerecht geworden ... Nach dem furchtbaren Zusammenbruch ... kann nur eine Neuordnung von Grund auf erfolgen. Inhalt und Ziel dieser Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben sein." Die CDU stellte seinerzeit fest, der Kapitalismus entspreche nicht dem Recht und der Würde des Menschen. In Sachsen hatten im Juni 1946 übrigens die Bischöfe beider großer Konfessionen wohl auch deshalb den Volksentscheid unterstützt.

Jene, die wie Schmeitzner und Dohnt den Volksentscheid in Sachsen als Schritt in die Diktatur verteufeln, sollten die Ereignisse lieber im gesamtdeutschen Rahmen werten.

Besonders naheliegend ist der Vergleich mit Hessen. Dort wurde am 1. Dezember 1946 über den Artikel 41 der noch heute gültigen Landesverfassung abgestimmt. Er lautete: "In Gemeineigentum wird übergeführt: der Bergbau (Kohlen, Kali, Erze), die Betriebe der Eisen- und Stahlerzeugung, die Betriebe der Energiewirtschaft und das an Schienen oder Oberleitungen gebundene Verkehrswesen ..." Auch Banken und Versicherungen sollten damals verstaatlicht werden.

In Hessen wurden 78,9% gültige Jastimmen für die Enteignung abgegeben. Da die SPD dort 43% der Landtagswahl-Stimmen und die KPD 10,7% erhalten hatten, wäre die Bildung einer linken Koalitionsregierung möglich gewesen. Doch die SPD entschied sich für ein Zusammengehen mit der CDU.

Der Vollzug des in der Verfassung verankerten Volkswillens scheiterte am Veto der USA-Besatzungsmacht und an der antikommunistischen Linie der Schumacher-Leute, die ohne Zögern auf den Kurs der kalten Krieger einschwenkten.

In Sachsen gab es nicht nur die Unterstützung der sowjetischen Besatzungsmacht, sondern vor allem auch die von der SED verkörperte Einheit der Arbeiterbewegung. Sie war der entscheidende subjektive Faktor, der dem Volksentscheid zum Erfolg verhalf.

Unter jenen, die Wasser auf die Mühlen der Reaktion leiteten, befanden sich auch ursprüngliche Einheitsbefürworter, die nach ihrer Übersiedlung in den Westen den Zusammenschluß von SPD und KPD verurteilten und sich auf die Seite der Antikommunisten schlugen. Wolfgang Leonhard, Hermann Weber, Erich W. Gniffke und andere Überläufer lieferten mit Vokabeln wie "Zwangsvereinigung" und "Sowjetisierung" die entsprechenden Klischees. Manche von ihnen, beispielsweise Carola Stern, haben ihr "Doppelleben" als Agenten dem Leser nachträglich zu erklären versucht. Andere vergaßen, was Erich W. Gniffke auf dem Vereinigungsparteitag im April 1946 erklärt hatte: "Für mich ist es unverständlich, wie aus einem grundsätzlichen Bejaher der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien ein Verneiner oder ein Kritiker werden kann." Die Kenntnis von Gründen macht Renegatentum nicht sympathischer. Und die Verleumdung des Einigungs- und Umwälzungsprozesses in der sowjetischen Zone kann die historischen Tatsachen nicht aus der Welt schaffen. Zu diesen zählt, daß die Ausrottung der Wurzeln von Krieg und Faschismus zu jenen Verpflichtungen gehört, welche sich aus der UNO-Charta, dem Potsdamer Abkommen und den Nürnberger Prinzipien ergaben. Die Krupp und Flick saßen nicht zufällig nach dem Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher ebenfalls auf der Anklagebank. In Sachsen wurde Flick enteignet. Dem Völkerrecht tat man damit Genüge. Das Verfahren, das beim sächsischen Volksentscheid angewandt wurde, entsprach übrigens den Gesetzen und Regeln, die in der Zeit der Weimarer Republik Geltung besaßen. Erinnert sei hier an die Abstimmung über die Fürstenabfindung im Jahre 1926.

Auch der Vergleich mit dem Volksentscheid in Hessen zeigt, wie lächerlich die These von der "Diktaturdurchsetzung" ist.

Zweifellos hatte die Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher eine grundlegende Bedeutung für die Entwicklung der DDR, denn die dabei erfaßten Betriebe wurden zur ökonomischen Ausgangsbasis der sozialistischen Planwirtschaft.

Vierzig Jahre lang waren die DDR-Bürger frei von Ausbeutung, Existenzangst und Arbeitslosigkeit. Artikel 9 der DDR-Verfassung von 1968 entsprach durchaus der Realität: "Durch die Entmachtung der Monopole und Großgrundbesitzer, durch die Abschaffung der kapitalistischen Profitwirtschaft wurde die Quelle der Kriegspolitik und der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigt. Das sozialistische Eigentum hat sich bewährt." Mancher mag es für eine Ironie der Geschichte halten: Nicht wenige frühere DDR-Bürger erkannten die Richtigkeit dieses Satzes leider erst, als es diesen Staat nicht mehr gab. Doch der Volksentscheid von 1946 und das damit eingeleitete Entstehen einer volkseigenen Wirtschaft gehören zu den großen Errungenschaften der DDR und zum positiven Erfahrungsschatz der deutschen Geschichte. Um so bedauerlicher ist es, daß der von Sachsen ausgehende Schlag gegen das Kapital im Programmentwurf der Partei Die Linke nicht einmal Erwähnung findet.

Nach dem Sieg der Konterrevolution fällt jenen, die im Hintergrund Regie führten, jetzt die Aufgabe zu, im Auftrag der eigentlich machtausübenden Kräfte der BRD die DDR-Geschichte in eine Horror-Story umzufälschen. Das Verdikt des "Spiegels" in dem anfangs erwähnten Rückblick lautet: "Die DDR ist ein Betriebsunfall der deutschen Geschichte, ein Produkt aus Faschismus und kaltem Krieg, immer um seine Daseinsberechtigung bangend, wirklich gewollt eigentlich nur von einer Handvoll deutscher Kommunisten."

Nach dem Höllensturz unter den Nazis mußte sich das zerstörte und zutiefst kompromittierte Land von Grund auf neu erfinden, und das Weltbild der Marxisten bediente die doppelte Sehnsucht nach Erklärungen für das Unfaßbare und nach einem Wegweiser aus dem Nichts.

Was haben sich die einstigen DDR-Bürger durch den Rückfall in die politische und sozialökonomische Vergangenheit nur eingehandelt? "Spiegel"-Autor Cordt Schibben schrieb in der gleichen Ausgabe: Wir haben "ein Wirtschaftssystem, das so dynamisiert, so rücksichtslos, so effektiv, so zerstörerisch ist, wie kein anderes vorher in der Geschichte".

Und das soll so bleiben?

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

Über Größe und Tragik einer roten Literatin in der alten BRD

Gisela Elsner und die Kommunisten

Eine Zeit lang wurden die Romane und Erzählungen Gisela Elsners von keinem bürgerlichen Feuilleton übersehen. Kaum eine Buchbesprechung, kaum ein Artikel über ihre Arbeit in den Zeitungen der Bourgeoisie kam indes ohne meist abschätzige Bemerkungen zu ihrem Aussehen, ihrer Frisur, ihrer Kleidung, ihrem Make-up aus. Meist dienten sie dazu, die Autorin als überspannt oder etwas verrückt erscheinen zu lassen. Es ging darum, das Ansehen von Werk und Person zu beschädigen. Wurde Gisela Elsner zunächst als ernstzunehmende Autorin mit einem beachtlichen Erstlingswerk ("Die Riesenzwerge", 1964) wahrgenommen, so stellte man sie schon wenig später als durchgedrehte Diva und Möchtegern-Schriftstellerin dar.

Die bourgeoise Kritik zählte selbstverständlich auch Elsners politische Ansichten zu deren Verrücktheiten. Diese Feststellung gilt für die gesamte Schaffensperiode, insbesondere aber für die Zeit nach ihrem 1977 erfolgten Eintritt in die DKP. In den 70er Jahren war das für Menschen ihrer Art nichts Außergewöhnliches. Viele Angehörige der künstlerischen und wissenschaftlichen Intelligenz entschieden sich damals für ein Engagement in oder an der Seite der Partei.

Bis Ende der 70er Jahre gab es eine Reihe vernünftiger Gründe anzunehmen, daß sich die weltweiten Auseinandersetzungen zwischen dem sozialistischen und dem imperialistischen Lager eher zugunsten des ersten entwickeln würden. Die Krisenerscheinungen des Kapitalismus wurden immer unübersehbarer. Ein Drittel der Erde war in jener Zeit rot. Immer mehr Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika befreiten sich in antikolonialen, der sozialistischen Idee zuneigenden Revolutionen aus dem direkten Griff des Imperialismus und seiner führenden Macht, der USA. Da gab es kaum Argumente für kritische Intellektuelle, sich auf die Seite des "Westens" zu schlagen. Der führte gerade Krieg in Vietnam, unterstützte Südafrikas Apartheid-Regime und den Pinochet-Faschismus in Chile. Wer sich nicht nur oberflächlich mit den politischen Entwicklungen und Klassenverhältnissen beschäftigte, begab sich (oder geriet) schnell in die Nähe der Kommunisten.

In der Bundesrepublik war Willy Brandt mit der Parole "Mehr Demokratie wagen!" Kanzler geworden, um alsbald die Berufsverbote einzuführen. Außer den seinerzeit faschistisch regierten Ländern Spanien und Portugal war europaweit nur in der BRD die kommunistische Partei verboten. Die DKP konstituierte sich 1968 zwar neu - das Damoklesschwert des KPD-Verbots aber war damit nicht aus der Welt. Sie zählte bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre Zehntausende Mitglieder und war, auch dank der Unterstützung der Bruderparteien sozialistischer Länder, eine solide Kraft. Trotz der Berufsverbote und einer stramm antikommunistischen Prägung der Gesellschaft gehörten ihr auch Hunderte Schriftsteller, Theaterleute, bildende Künstler, Musiker, Professoren und andere Akademiker an. Unter ihnen befand sich Gisela Elsner.

Das allein wäre nicht der Rede wert, wenn es nicht schon sehr bald, nämlich Ende der 80er Jahre, vollkommen anders ausgesehen hätte. Nachdem die kommunistische Bewegung eine schwere Niederlage erlitten hatte, war von etlichen hundert Intellektuellen und Künstlern in der Partei nur noch eine Handvoll übriggeblieben. Zu ihnen gehörte Gisela Elsner.

Dabei war ihr Weg nicht leicht gewesen. Sie wuchs in einem "sozialen Umfeld von Emporkömmlingen" auf. Der Vater, der in den 30er Jahren als Werkstudent seine berufliche Karriere begann, wurde später Leiter einer Entwicklungsabteilung, Prokurist, Bevollmächtigter und schließlich Direktor eines Siemens-Werkes.

Gisela Elsner nutzte die erste Gelegenheit, das Elternhaus zu verlassen, studierte in Wien, lebte 1963/64 u. a. in Rom, London und Hamburg.

"Während dieser Zeit lernte ich erstmals Kommunisten kennen und durch die Gespräche mit ihnen und die Lektüre von Marx und Engels, die es in Rom in DDR-Ausgaben zu kaufen gab, begriff ich endlich, warum mich nicht einmal meines Vaters Bewunderung für Adenauer in die Arme der Sozialdemokraten hatte treiben können. Sich irgendwo zwischen den Klassen einzurichten, das ist für jemanden meiner Herkunft nicht möglich. Entweder bleibt man in dem Stall, in dem man geboren wurde, oder man schlägt sich auf die andere Seite. Die italienischen Kommunisten und die Lektüre von Marx, Engels und Lenin machten mir klar, daß es nicht darum ging, bürgerliche Statussymbole zu zerstören, sondern die Eigentumsverhältnisse zu verändern." Insbesondere Lenin hatte es der roten Literatin angetan.

Gisela Elsner war zu keiner Zeit eine klassische Vertreterin des sozialistischen Realismus. In ihren Romanen und Erzählungen arbeitete sie nicht mit positiven Helden, die dem Leser Identifikationsmöglichkeit geboten hätten. Ihr Hauptwerkzeug war die Negation. In den meisten ihrer Romane ist es ihr überzeugend gelungen, den Gewaltcharakter der gesellschaftlichen Verhältnisse, die sie richtig in den ökonomischen Bedingungen wurzelnd erkannt hatte, darzustellen. Deswegen, aber nicht nur aus diesem Grunde, zählt Elsners Werk fraglos zum Besten der realistischen Literatur der BRD.

Zur Arbeit der Kommunisten im Wirtschaftswunderland BRD gehörte es, abzuwägen, wie den Arbeitern gesagt werden könnte, vermögenswirksames Sparen, soziale Marktwirtschaft, "Arbeitnehmer"-Beteiligung an Aktienbesitz und "Wohlstand für alle" seien bloß Parolen, welche sie vom Erkennen der wirklichen Verhältnisse abhalten sollten. Bis 1989 wurde die Sozialgeschichte und -politik der BRD durchgehend von solchen Teilhabephantasien geprägt, das Bewußtsein vom Klassenwiderspruch weitgehend eliminiert. Die Elsner erkannte in den verschiedenen Kampagnen zur Festigung dieser Ideologie ein wesentliches Herrschaftsinstrument. In ihrem Roman "Das Windei" (1987) führt sie den Alltag derer vor, die den Versprechungen vom "Wohlstand für alle" Glauben schenken, sich einer Reihenhaushälfte wegen in existentielle Abhängigkeit der Bank begeben und alle Energie darauf verwenden, den schönen Schein Kollegen, Nachbarn und Bekannten gegenüber aufrechtzuerhalten, während sie sich in Wirklichkeit jeden Groschen zur Tilgung der Bankschulden vom Munde absparen müssen. In solchen Verhältnissen wächst kein Bewußtsein über die eigene Lage, sondern einzig die Kunst der Anpassung, der Unterwerfung und der sich stets wiederholenden eigenen Demütigung.

Gisela Elsner hatte als 14jährige den Klassenwiderspruch sehr unmittelbar zur Kenntnis genommen: "... als mich der Chauffeur meines Vaters mit dem Siemens-Mercedes aufs Werkgelände brachte, riefen mir die Arbeiter zu: 'Na, du blöde Sau.' Ich dachte darüber nach, warum mich jemand, der mich doch gar nicht kannte, so bezeichnete und begriff, daß ich allein deshalb eine 'blöde Sau' genannt worden war, weil ich im Mercedes des Direktors saß."

Die Mitgliedschaft Elsners in der DKP muß in zwei Phasen eingeteilt werden. Die erste kann als die gelassene, die zweite als die turbulente oder kämpferische charakterisiert werden. Die Elsner rief schon vor ihrem Eintritt in die Partei zu deren Wahl auf. Das tat sie - üblicherweise gemeinsam mit anderen Künstlern und Intellektuellen - zwei Jahrzehnte lang. Solche Appelle blieben ohne große Wirkung. Die Stimmabgabe für die DKP lag bei Bundestagswahlen immer unterhalb der Ein-Prozent-Marke. Gisela Elsner ließ sich davon nicht irritieren. Sie hatte zu jeder Zeit ihrer Mitgliedschaft Differenzen zu einzelnen Positionen der Parteiführung, die bisweilen heftig waren. So hielt sie der DKP vor, "an unüberbietbarem Wirklichkeitswahrnehmungsschwund erkrankt" zu sein und keine kämpferischen Aktionen zu entwickeln, um das Klassenbewußtsein zu fördern. Elsner nannte sie in der einen oder anderen Frage "schafsköpfig", war sich aber dessen bewußt, daß die DKP die einzige marxistisch-leninistische Partei in der BRD war und deshalb verteidigt werden mußte. Daher ließ sie keinen Zweifel an ihrer grundsätzlichen Verbundenheit mit der Partei. Ihre Beiträge im "Kürbiskern", der kulturpolitischen Zeitschrift, und im DKP-Theorieorgan "Marxistische Blätter" zeugten davon.

Diese Phase endete in den Jahren der Konterrevolution. Noch im Sommer 1989 verfügte die DKP über einen sehr beachtlichen hauptamtlichen Apparat und eine Reihe von Zeitungen. Sie hatte mehrere, z. T. mit bezahltem Personal besetzte Redaktionen, eine kleine Kette von Buchhandlungen, zahlreiche Parteibüros und rund 50.000 Mitglieder. Ein halbes Jahr später war dies alles vorbei. Die Mitgliedschaft schrumpfte auf weniger als ein Zehntel, die Zeitungen mußten bis auf ein Wochenblatt eingestellt, die Buchläden und Parteibüros geschlossen und die hauptamtlichen Funktionäre entlassen werden.

1985 war Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU geworden. In wohlklingenden Reden erweckte er den Eindruck, den Sozialismus ökonomisch effektiver und politisch wirksamer gestalten zu wollen. Als er seine Ämter wenige Jahre später wieder verlor, gab es in Europa kein sozialistisches Land mehr, die kommunistischen Parteien waren von der Macht verdrängt, und kapitalistische Wirtschaftsverhältnisse herrschten wieder - von der Elbe bis ins östlichste Sibirien. Dafür gab es innere und äußere Ursachen mit historischen Wurzeln. Die zweite Hälfte der 80er Jahre wurde als die heiße Phase der Gegenrevolution korrekt beschrieben. Auch die Ereignisse in der DKP widerspiegelten diesen Prozeß.

In der Partei bildeten sich zwei Hauptlinien heraus. Teile der DKP-Parteiführung blieben mit der SED-Spitze um Erich Honecker kritisch gegenüber dem Kurs der Clique Gorbatschows. Eine oppositionelle Strömung verlangte offen die Revision bisheriger Positionen, vor allem eine Absage an den Leninismus. Diese Leute bezeichneten sich als "Erneuerer". Sie blieben indes bei allen entscheidenden Abstimmungen in der Minderheit. 1988 standen sich "Erneuerer" und "Bewahrer" als innerparteiliche Fraktionen gegenüber.

Überdies gab es eine dritte, verschwindend kleine und politisch nicht organisierte Strömung. Diese griff die "Erneuerer" wegen deren rechter Linie an und forderte ihren Ausschluß aus der Partei. Sie kritisierte zugleich aber auch die Mehrheitler und die Parteiführung wegen ihrer Neigung zu "neuem Denken", das nur eine Umschreibung der Aufgabe von Klassenpositionen zugunsten "allgemeiner Menschheitsprobleme" darstellte.

Gisela Elsner kritisierte die Mehrheitler wegen ihres Kompromißlertums gegenüber den "Erneuerern". Die zur Majorität Gehörenden lehnten zwar diese und jene Forderung der "Erneuerer" ab und bekämpften sie verbal, setzten aber in der Praxis eine ganze Reihe davon um. So schaffte man z.B. 1989 die bisherigen Leitungsstrukturen ab, wählte statt des Vorsitzenden nunmehr Sprecher- und Sprecherinnenkreise und fand sich so im Sog basisdemokratischer, kleinbürgerlicher Politikvorstellungen wieder. Einige Auswüchse dieser Art wurden später allerdings korrigiert.

Gisela Elsner sah sich der kleinen dritten Formation zugehörig. Ihre Gegner bei "Erneuerern" und Mehrheitlern nannten diese Haltung "linksradikal", sie selbst aber bezeichnete sich als revolutionär und marxistisch-leninistisch. Die Zuspitzung des innerparteilichen Streits zwischen beiden Hauptströmungen ließ die dritte Tendenz, die kaum an Bedeutung gewann, im Hintergrund bleiben. Gisela Elsner war bei all dem nicht gerade zimperlich, blieb aber bemüht, den politischen Kern der Auseinandersetzung zu sehen und sich nicht auf die persönliche Ebene einzulassen.

Auf dem 9. Parteitag der DKP - er fand im Januar 1989 in Frankfurt/Main statt - wurde sie in den Parteivorstand gewählt. Bis Mitte des Jahres nahm sie an einigen Sitzungen teil, trat dann im Juni 1989 aus der Partei aus, um im Oktober wieder einzutreten, ohne jedoch ihre Zugehörigkeit zum PV erneut aufzunehmen.

Trotz der Heftigkeit der Auseinandersetzungen blieb Elsners Grundhaltung der Partei gegenüber - auch in der kurzen Zeit zwischen Austritt und Wiedereintritt - unbeschädigt und unverändert.

Ihre persönliche Situation war nun auch vom drohenden finanziellen Ruin überschattet. Diesen leitete bereits 1986 ihr Rauswurf als Autorin beim Rowohlt-Verlag ein. Dessen Chef war damals der Sozialdemokrat Michael Naumann, der später als Kulturstaatssekretär der Schröder-Fischer-Regierung angehörte. 1990/91 wurden Elsners Bücher von Rowohlt kurzerhand verramscht. 1987 und 1989 erschienen dann noch zwei Titel im Wiener Zsolnay-Verlag, die ihr jedoch wenig einbrachten.

Mit Blick auf ihre letzte Lebensphase wurde Gisela Elsner in Nachrufen sowie auch in späteren Veröffentlichungen häufig als verzweifelte, ratlose Frau dargestellt. Die gleiche vereinfachte und daher falsche Sicht auf die Schriftstellerin vermittelte auch der im Jahr 2000 gedrehte Film "Die Unberührbare". Hier ist die Verzerrung bis ins Irrwitzige gesteigert.

Gisela Elsner befand sich 1991/92 ohne Zweifel in einer bedrängten Lage. Sie war sich ihrer Situation vollkommen bewußt. Dennoch vermochte sie nach wie vor Freund und Feind zu unterscheiden. Sie wußte, gegen wen sie ihre Wut zu wenden hatte und von wem sie Solidarität erwarten konnte. Sie besaß Freunde, mit denen sie bis kurz vor ihrem Zusammenbruch in Verbindung stand. Es gibt Gründe anzunehmen, daß der Suizid im Mai 1992 eine Kurzschlußreaktion war, auch wenn eine solche Möglichkeit durchaus zu Elsnerschen Erwägungen gehört haben dürfte.

Als ab 1990 die vollständige Zerschlagung des europäischen Sozialismus vollzogen wurde, erlebte Gisela Elsner das Geschehen wie viele andere Menschen, die gleich ihr zu den vernünftigsten gehörten, als reinen Horror. Sie verfolgte den Prozeß gesellschaftlicher Rückläufigkeit in seinen verschiedenen Etappen. Hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Ereignisse hatte sie keinerlei Illusionen.

Von Elsners Hochachtung für Lenin war bereits die Rede. Als sich 1990 und 19991 Antikommunisten vieler Länder ans Werk machten, die Statuen dieses großen Revolutionärs, Philosophen und politischen Denkers zwischen Vilnius und Addis Abeba zu schleifen, erblickte sie darin einen konzentrierten Ausdruck der Absichten der neuen Herren in den ehemals sozialistischen oder sozialistisch orientierten Ländern. Es sei logisch, so Elsner, daß die Bourgeoisie jede Erinnerung an Lenin und die Möglichkeit einer abermals siegreichen Revolution getilgt wissen wolle. So schmerzlich sie die Zerstörung jedes einzelnen Denkmals empfand, so klar blieb sie sich in der Beurteilung solcher Taten.

Gisela Elsner war eine kluge Frau. Und man kann sagen: Sie war auf eine gewisse Weise eine einzigartige Kommunistin.

Mathias Meyers, Mainz

Ende RF-Extra

Raute

Am 1. Juli vor 90 Jahren wurde in Shanghai die KP Chinas gegründet

Eine kampferfahrene und reife marxistische Partei

In einem Shanghaier Wohnhaus, das heute eine der wichtigsten Gedenkstätten nicht nur der VR China, sondern auch für Kommunisten aus aller Welt ist, fanden sich 13 kampfentschlossene Revolutionäre im Juli 1921 zur Gründung der Kommunistischen Partei Chinas zusammen. Sie vertraten 52 Mitglieder kommunistischer Gruppen des Landes. Zugegen waren auch zwei Abgesandte der Komintern. Es gibt nicht viele Orte von vergleichbarem historischem Rang. Wer konnte damals schon ahnen, welche weltverändernde Wirkung von diesem Ereignis ausgehen würde!

Zu den besten Traditionen der KPD und dann auch der SED gehört die Solidarität mit der chinesischen Revolution. Am 13. April 1927 schrieb Ernst Thälmann in der "Roten Fahne": "Die Augen der ganzen Menschheit sind auf China gerichtet, wo das älteste und größte Kulturvolk der Erde die imperialistischen Fesseln sprengt, in die es ein Jahrhundert lang geschlagen war."

Im Oktober 1986 erklärte Erich Honecker als Leiter einer in China weilenden Partei- und Staatsdelegation der DDR: "Wir empfinden Freude und Hochachtung, daß das revolutionäre Erbe von Marx, Engels und Lenin in der Volksrepublik China sichtbar Wirklichkeit wird."

Der in 90 Jahren zurückgelegte Weg der KPCh ist charakterisiert durch komplizierte revolutionäre Kämpfe in den 20er und 30er Jahren, den großen Beitrag der von ihr geführten Streitkräfte im Kampf gegen die japanischen Invasoren während des II. Weltkrieges, den Sieg im Bürgerkrieg über die Tschiang-Kaischek-Diktatur und die Gründung der VR China am 1. Oktober 1949. Erfolge beim beginnenden Aufbau des Sozialismus, aber auch Fehler bis hin zur gefährlichen "Kulturrevolution" und deren Korrektur aus eigener Kraft sowie das stürmische Voranschreiten mit Beginn der Politik der Reformen und der Öffnung nach außen kennzeichneten die weitere Entwicklung.

Zu einer Zeit, in der nach der Konterrevolution in der UdSSR und den ehemals sozialistischen Staaten Europas der Antikommunismus in den alten und neuen kapitalistischen Ländern eine Hochkonjunktur erfährt, ist die sozialistische Entwicklung in der VR China ein anspornendes Beispiel. Menschen in aller Welt blicken auf das fernöstliche Riesenland, dessen Volk unter Führung der Kommunistischen Partei sich den Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft bahnt.

Die chinesische Revolution war opferreich und verlief nicht geradlinig. Ein leichter, ebener Zugang zum Sozialismus hat sich bisher noch keiner kommunistischen Partei erschlossen. Doch der Kampf der KPCh führte zu Ergebnissen, wie sie nur wenige kommunistische Parteien aufweisen können.

Sie hat von Beginn an die Theorie des Marxismus als Kompaß ihres Handelns betrachtet. Ausgangspunkt war zugleich die stete Berücksichtigung der konkreten Situation im eigenen Land. Dieses Herangehen ist zum wesentlichen Bestandteil der erfolgreichen politischen Linie der KPCh geworden.

Neun Jahrzehnte Geschichte der KPCh - das sind 29 Jahre des revolutionären Kampfes um die Macht und 61 Jahre der Errichtung und Erprobung einer neuen Gesellschaft. Die Partei sammelte dabei Erfahrungen, die von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung in China, aber auch für die internationale Arbeiterbewegung und den Marxismus-Leninismus sind.

Zu den wichtigsten Erkenntnissen der KPCh gehört die von Mao Zedong formulierte Theorie der neudemokratischen Revolution, die Theorie der Vollendung der antifeudalen, antikolonialen, bürgerlich-demokratischen Revolution unter Führung der Arbeiterklasse und der Kommunistischen Partei. Diese wies den Weg zur Beseitigung der halbfeudalen, halbkolonialen Gesellschaft sowie zur sozialistischen Umgestaltung. Wichtiger Bestandteil des theoretischen Fundaments der KPCh ist die Lehre von den Widersprüchen, die den Unterschied zwischen antagonistischen und nichtantagonistischen Widersprüchen sowie die sich daraus ergebenden verschiedenen Lösungsmethoden herausarbeitet. Die als Deng-Xiaoping-Theorie bezeichnete Strategie der KPCh ab Dezember 1978 ist die Politik der Reformen und der Öffnung nach außen. Sie geht vom Vorrang der wirtschaftlichen Entwicklung zum Wohle des Volkes aus.

Marx und Engels konnten die Phase der Machteroberung durch das Proletariat und insbesondere den konkreten Weg zur Schaffung sozialistischer gesellschaftlicher Verhältnisse, überdies unter Bedingungen scharfer Klassenauseinandersetzungen zwischen neu entstandenen sozialistischen und alt-etablierten kapitalistischen Staaten noch nicht konkret voraussehen. Das betrifft insbesondere die komplizierten Entwicklungen nach der Entstehung zweier Weltsysteme bis zur Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und den europäischen sozialistischen Staaten. Die KPCh ist heute dabei, Strategien für eine gesellschaftliche Entwicklung zu erarbeiten und umzusetzen, die den neuen Bedingungen entsprechen.

Einer der grundlegenden Ausgangspunkte der Politik der KPCh ist die Erkenntnis von Marx und Engels, daß die Bourgeoisie erst dann ihre politische Herrschaft errichten kann, wenn sich die kapitalistischen Produktionsverhältnisse im wesentlichen herausgebildet haben, während sozialistische erst nach der Errichtung der Macht der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten geschaffen werden können. Dabei ist zu beachten, daß eine sozialistische Staatsmacht noch nicht mit einer sozialistischen Gesellschaft gleichgesetzt werden kann. Die KPCh hat mit der 1978 eingeleiteten Politik ausdrücklich betont, daß sich China in der Anfangsphase des Sozialismus befindet.

Zu den wichtigsten Elementen der Strategie der KPCh gehört das Festhalten an der führenden Rolle der Kommunistischen Partei. Das in der VR China bestehende System der Zusammenarbeit mehrerer Parteien unter Führung der KPCh, das sich grundsätzlich vom bürgerlichen Mehrparteiensystem unterscheidet, stellt eine schöpferische Weiterentwicklung der marxistischen Auffassungen zur führenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse dar. Auch in der DDR ging man von ähnlichen Vorstellungen aus.

Einer der großen Vorzüge in der Politik der KPCh besteht darin, daß sie sich begangenen Fehlern stellt und Lehren aus ihnen zieht, ohne dabei in historischen Nihilismus zu verfallen. Die Negierung der eigenen Geschichte ist selbstzerstörerisch, führt zur Blockierung des historischen Fortschritts und wirft die gesellschaftliche Entwicklung zurück. Das lehrt vor allem auch die Niederlage des Sozialismus in der UdSSR und den mit ihr verbundenen europäischen Ländern.

Die KP Chinas hat Wege gefunden, den Marxismus-Leninismus in der praktischen Politik des sozialistischen Staates unter Bedingungen der Existenz unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme in der Welt umzusetzen. Auch die von der VR China verfolgte Politik der friedlichen Koexistenz sowie deren schöpferische Anwendung und Weiterentwicklung gehören zu den bedeutenden Leistungen der KPCh. Das Geschehen der letzten zwei Jahrzehnte hat mehr denn je gezeigt, daß die Lösung internationaler und regionaler Konflikte oder komplizierter innenpolitischer Fragen in einzelnen Ländern durch Mittel des Krieges ausgeschlossen werden muß.

Der 90. Jahrestag der KP Chinas ist ein geeigneter Anlaß, die historischen Leistungen dieser erfahrenen, reifen marxistischen Partei zu würdigen. Er sollte Kommunisten und andere fortschrittliche Kräfte überall auf der Welt dazu anregen, sich mit den reichen Erfahrungen der KPCh eingehender vertraut zu machen.

Rolf Berthold


Unser Autor war von 1982 bis 1990 Botschafter der DDR in der Volksrepublik China.

Raute

Über alte und neue Gründe der Gottesfurcht in Rußland

Wo sich selbst Putin bekreuzigt ...

Die russisch-orthodoxe Kirche war stets bemüht, eine Staatskirche der Zaren und aller anderen Mächtigen zu sein. Diese Tendenz setzt sich auch heute fort. Selbst einstige Kommunisten wie der frühere KGB-Stabsoffizier Putin bekreuzigen sich bei jeder Gelegenheit. Uns geht es hier indes vor allem um Religiosität, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetmacht einen ungewöhnlichen Aufschwung erfahren hat. Woher kommt diese neue Gottesfurcht, oder ist sie gar nicht so neu?

Nach der Oktoberrevolution kämpfte die junge Sowjetmacht vehement gegen die Kirche. Es war ein Kampf auf "Gegenseitigkeit", denn diese wehrte sich mit allen Mitteln gegen die neue Ordnung. Es kam zum Abriß von Kirchen, zum Einschmelzen von Kirchengold für den Staatssäckel, zur Verbannung von Popen ins ferne Sibirien. Die Vernichtung wertvoller Ikonen, die Verwandlung von Gotteshäusern in Lagerhäuser hatte schon etwas Barbarisches an sich. Dennoch war es keine blinde Bilderstürmerei. Nach dem Ende des Bürgerkrieges wurde der rauhe Umgang mit der Kirche überdies von der 1925 entstandenen "Militanten Vereinigung der Gottlosen" flankiert.

Die zusammengeschmolzene russische Geistlichkeit überzeugte sich mit den Jahren von der Aussichtslosigkeit des Kampfes gegen die Sowjetmacht. Sie fand sich mit der Trennung von Kirche und Staat ab. Diese Anpassung war ein Reflex auf gewisse restaurative Tendenzen nach Lenins Tod. Man denke nur an die plötzlich einsetzende gerichtliche Ahndung von Abtreibungen oder die Wiedereinführung getrennter Schulen für Mädchen und Jungen, die Verschärfung des Ehescheidungsrechts und die geradezu pfäffische Verketzerung Gleichgesinnter. Damals wurden Priesterseminare wieder eröffnet und geschlossene Kirchen für Gottesdienste zur Verfügung gestellt. Ihren Höhepunkt fand diese von der KPdSU-Führung geförderte Renaissance dann im Juni 1941. Der Große Vaterländische Krieg wurde in Anlehnung an das Jahr 1812 offiziell zum "Heiligen Krieg" erklärt, den ein berühmtes Lied besingt. Die Kirche schaltete auf Patriotismus um, segnete nicht nur Flugzeuge und Panzer, damit sie die "Fritzen" besser treffen würden, sondern zeichnete auch reichlich bei Kriegsanleihen.

Hinzu kam, daß die russisch-orthodoxe Kirche pompöse Messen auf das ewige Leben Stalins zelebrieren ließ, was von den Sowjetbehörden entsprechend honoriert wurde. Mit anderen Worten: Die Kirche war schon lange vor dem Zusammenbruch der UdSSR wieder "salonfähig".

Bei der "Eingliederung" Sibiriens und Mittelasiens hatte die russisch-orthodoxe Kirche dort eine Unzahl zu bekehrender "Heiden" vorgefunden. Missionare und Seelsorger erwiesen sich als Vorreiter einer unbarmherzigen Kolonialisierung, die zur Erweiterung des Zarenreiches bis an die Behringstraße führte. Die Kirche wurde zum Wegbereiter der entfesselten Kosaken. Sie und die Macht gingen ein unerschütterliches Bündnis ein, das in den 30er Jahren vorsichtig wiederbelebt wurde und bis heute Bestand hat.

Vor einigen Jahren unternahm ich mit Freunden einen "russischen" Busausflug von Moskau nach Susdal und Wladimir, den Klosterstädten am Goldenen Ring. Der emsige Reiseleiter stimmte die Teilnehmer auf Fürsten und Thronfolger, Heilige Messen, große Geistliche und Wundertäter ein. Die Tatsache, daß dieses Land drei Revolutionen und opferreiche Kriege hinter sich gebracht hat, blieb unerwähnt. Dem Bus entstiegen dann fast durchweg blutjunge Leute, die angesichts der großen Kathedrale von Wladimir sofort das Kreuz schlugen. Die Frauen holten Kopftücher hervor, deren Tragen beim Betreten einer Heiligen Stätte für sie Pflicht ist. Im Innern herrschte Halbdunkel, ein wunderbarer Kirchenchor erklang, der goldüberladene Altar war in der Menge kaum noch zu erkennen. Die Touristen stimmten mit Hingabe in die frommen Gesänge ein.

Was auf den ersten Blick wie ein Mythos erscheint, wird für den Atheisten zur nüchternen Bestandsaufnahme. Doch wie stets in solchen Fällen sind allwissende "Deuter" sofort zur Stelle: Die "unendlichen Weiten", eine 1000jährige Tradition, ja die strapazierte "russische Seele" müssen herhalten. Die simple Frage, wie 70 Jahre Sowjetmacht so spurlos an ganzen Völkerscharen vorübergehen konnten, bleibt offen.

Da wäre die Unfaßbarkeit des opferreichen Krieges - ein Trauma, das noch weiter anhalten wird. Hinzu kommt die "neue Welt" der Rattenfänger, eine Inflation, die den Menschen das letzte Hemd genommen hat. Aber reicht das zur Erklärung aus?

Heute fragt sich, ob "wir" die Fassungslosigkeit des Menschengeschlechts angesichts des Todes und die Unbegreifbarkeit der Naturgewalten mit ihren Erdbeben, Tsunamis, Tornados und Überschwemmungen, welche den Glauben an eine übernatürliche Kraft suggerierten und sich dann bei allen Völkern in sehr unterschiedlichen Konfessionen niederschlugen, auch richtig vermittelt haben. Bei den Jungen wurden solche Zusammenhänge lediglich "im Unterricht behandelt".

Vor vielen Jahren betreute ich im DEFA-Studio für Spielfilme das FDJ-Lehrjahr, wobei das Gespräch auch auf Religionen kam. Ich entschied mich kurzerhand, den Teilnehmern Gelegenheit zu geben, ihren Scharfsinn an "echten" Gläubigen zu wetzen und vereinbarte mit der Jungen Gemeinde von nebenan eine Zusammenkunft. Mir ging es um ein freundliches, friedenspolitisches Gespräch, nicht aber um den Versuch, dem christlichen Nachwuchs die Nichtexistenz seines Gottes zu beweisen. Die Zusammenkunft verlief recht konstruktiv, hatte allerdings ein Nachspiel: Man zitierte mich in die SED-Stadtleitung und wollte wissen, was ich mir dabei gedacht hätte, FDJler und junge Christen zusammenzuführen. Ich konnte die Genossen wohl nicht von meiner guten Absicht überzeugen ...

Unterdessen sehen wir manches klarer: Nicht nur in der UdSSR, sondern auch in der DDR wurde versäumt, den Menschen die "Anatomie" der Religionen mit der nötigen Geduld zu erläutern. Ein Jugendweihe-Festband "Weltall, Erde, Mensch" hat da wohl kaum ausgereicht.

Die Unfaßbarkeit des Todes ist bis heute für jeden von uns geblieben, während die Unkenntnis in bezug auf Naturkatastrophen zurückgegangen sein dürfte. Besonders bei gesellschaftlichen Schockzuständen wie Kriegen und Hungersnöten weiß die Religion "Rat". Hinzu kommt in Rußland ein allumfassender Erdrutsch aus dem für alle abgesicherten sowjetischen Alltag in die Welt des sozialen Kahlschlags, der Arbeitslosigkeit, der raffenden Banken, der Armut und der prassenden Oligarchen, der hohen Mieten und des Korruptionssumpfes im "neuen Apparat". Das ist selbst für gestandene Naturen des Schlimmen zu viel. Labilere sehen die "Rettung" nur noch in einem "höheren Wesen". Der soziale Absturz hat Millionen aus der Bahn geschleudert und dürfte nicht wenig zur verblüffenden Renaissance der Religiosität beigetragen haben. Auch auf die russischen Menschen hat sich - einer Giftwolke gleich - das Gefühl allgemeinen Unvermögens, den Dingen wieder einen vernünftigen Lauf geben zu können, gelegt. Die Erlösung von dieser Ohnmacht könnte ein erster Schritt zur Befreiung von der Allmacht mystisch-religiöser Vorstellungen sein.

Offensichtlich blieb wahrhaft befreites Denken in Ansätzen stecken. Auch künftig werden uns die Gemüter der Menschen nicht als "Nebenprodukt" sozialistischer Umgestaltung in den Schoß fallen.

Walter Ruge

Raute

Vor 75 Jahren überfielen Hitler, Mussolini und Franco die Spanische Republik

No pasaran! - Sie werden nicht durchkommen!

Bei den Wahlen im Februar 1936 in Spanien errang die Volksfront - ein Bündnis aus Sozialisten, Kommunisten und Politikern bürgerlich-republikanischer Parteien - 278 von 473 Parlamentsmandaten. Bereits fünf Jahre zuvor hatten die Spanier ihre Monarchie abgewählt und die Republik ausgerufen. Dem internationalen Kapital war das Votum des Volkes ein Dorn im Auge. Am 17./18. Juli verbreitete der Sender Ceuta die Parole "Über ganz Spanien wolkenloser Himmel". Es war das Signal für den gegen die Republik und die Volksfront gerichteten Putsch faschistischer Generäle.

Am 18. Juli gab das ZK der KP Spaniens die Losung aus: "No pasaran!" Die Arbeiter und viele andere Verteidiger der Republik griffen zu den Waffen und bildeten Milizen. Es begann ein fast dreijähriger blutiger Bürgerkrieg zwischen den organisiert kämpfenden und durch Antifaschisten vieler Länder unterstützten werktätigen Massen und den Franco-Horden. Hinter denen aber standen die deutschen und italienischen Faschisten.

Erst am 28. März 1939 gelang es Francos Söldnern, in Madrid einzumarschieren und eine faschistische Diktatur über ganz Spanien zu errichten. Die Periode brutalster Unterdrückung jeglicher Opposition dauerte bis in die zweite Hälfte der 70er Jahre.

Gleich zu Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen erfolgte eine massive militärische Intervention Hitler-Deutschlands. Die Franco-Truppen - Marokkaner und Fremdenlegionäre - wurden mit Flugzeugen der Nazi-Luftwaffe in Spanien abgesetzt. Während des Krieges warf diese insgesamt 21 Millionen Tonnen Bomben über dem Territorium der Republik ab. 5000 Angehörige der "Legion Condor" befanden sich ständig auf spanischem Boden. Ihr abscheulichstes Verbrechen erfolgte am 26. April 1937: Die totale Zerstörung der baskischen Stadt Guernica - das erste Flächenbombardement ziviler Ziele.

Auch Mussolini griff auf seiten der Putschisten in die Kämpfe ein. Etwa 50.000 italienische Faschisten nahmen an der Aggression gegen Spanien teil.

Die UdSSR, die anfangs strikte Zurückhaltung geübt hatte, änderte angesichts dieser offenen Intervention im Oktober 1936 ihre Haltung, um einer weiteren Ausbreitung des Faschismus entgegenzuwirken. Bis zum März 1938 lieferte sie der Spanischen Republik Militärtechnik und dringend benötigte Güter. Sie stellte auch militärische und technische Berater.

Die heuchlerische "Nichteinmischungspolitik" Großbritanniens und Frankreichs spielte den Faschisten direkt in die Hände. Um keine Waffen nach Spanien durchzulassen, blockierten britische, französische, deutsche und italienische Kriegsschiffe gemeinsam die Küsten. Bezeichnend ist, daß Großbritannien, Frankreich und die USA das Franco-Regime schon Monate vor der Kapitulation der Volksfrontregierung diplomatisch anerkannten. Militärhilfe erhielt Volksfront-Spanien durch mehr als 60.000 Antifaschisten aus 53 Ländern, die sich in die Internationalen Brigaden und die spanische Volksarmee einreihten. Bei allen Unterschieden in sozialer, weltanschaulicher und politischer Hinsicht einte sie der feste Wille, den angreifenden internationalen Faschismus zurückzuschlagen. Sie kamen freiwillig und ohne finanzielle oder logistische Unterstützung nach Spanien. Ihre Feuerprobe bestanden die Interbrigadisten im November/Dezember 1936 bei der Verteidigung von Madrid, wo sie die Hauptlast des Kampfes trugen. Ab 1937 waren sie an allen Fronten zu finden.

Im Sommer 1938 verlangte die "Nichteinmischungskommission" einmal mehr den Stopp von Waffenlieferungen und den Rückzug aller fremden Hilfstruppen von spanischem Boden. In der Hoffnung, daß somit auch die ausländischen Unterstützer Francos abgezogen würden, verfügte die Regierung der Republik am 29. September 1938 das Ausscheiden aller Interbrigadisten aus der Armee. Frankreich und Großbritannien, die gerade erst die Tschechoslowakei an Hitler verraten hatten, erhoben indes keine Einwände gegen den weiteren Verbleib der faschistischen Interventionstruppen in Spanien.

Mit einer Parade in Barcelona wurden die Interbrigadisten verabschiedet. Die führende Kommunistin Dolores Ibarruri (La Pasionária) richtete unter Tränen Abschiedsworte an die überlebenden Kämpfer, hatten doch mehr als 20.000 ausländische Verteidiger der Republik ihr Leben gelassen.

Den Interbrigadisten rief Dolores Ibarruri zu, Gründe der Staatsräson hätten dazu geführt, sie wegschicken zu müssen. Doch sie seien bereits eine Legende und hätten Geschichte gemacht.

Jene, welche auf Grund des Bestehens faschistischer Diktaturen in ihren Heimatländern nicht mehr zurückkonnten, beteiligten sich dann noch an der Verteidigung Barcelonas oder deckten den Abzug ihrer Kameraden. In Frankreich wurden diese in Internierungslager gesteckt und später vom Vichy-Regime an die Gestapo ausgeliefert. Im KZ Mauthausen brachte die SS Hunderte "Rotspanier" um.

Die materiell-technische Überlegenheit der Putschisten - bei Panzern und Flugzeugen betrug das Verhältnis 10:1 -, die offene militärische Intervention der faschistischen Mächte und die kapitulantenhafte Politik westlicher Staaten gegenüber dem Faschismus, geboren aus Haß auf und Furcht vor dem Kommunismus, waren wesentliche Ursachen der Niederlage der spanischen Volksfront.

Eine bedeutende Rolle spielten auch die defätistische Haltung und der Verrat gewisser Führer des republikanischen Lagers sowie die ernsten Meinungsverschiedenheiten zwischen Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, Trotzkisten u. a. zu Fragen der Strategie und Taktik. Dieser Konflikt spitzte sich im Mai 1937 dramatisch zu, als anarchistische und trotzkistische Kräfte einen bewaffneten Aufstand gegen die Volksfrontregierung anzuzetteln versuchten, um zu diesem Zeitpunkt völlig irreale Vorstellungen durchzusetzen. Ihre der Lage nicht entsprechende Agitation für einen sofortigen Übergang zur proletarischen Revolution trug zur Spaltung der republikanischen Reihen und zur Untergrabung ihrer Verteidigungskraft bei.

Die Geschehnisse vor 75 Jahren in Spanien sind zwar Vergangenheit, besitzen aber zugleich einen höchst aktuellen Bezug. Ein Hauptanliegen des Kampfes der Volksfront bestand darin, Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen und politischer Orientierungen im Antifaschismus zusammenzuführen. Die Geschichte der Niederlage der demokratischen Kräfte im Spanienkrieg lehrt uns, daß es im Kampf gegen den Neofaschismus breiter sozialer und demokratischer Bündnisse bedarf.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Lenins Feststellung: "Einen mächtigeren Gegner kann man nur unter Anspannung aller Kräfte und nur dann besiegen, wenn man unbedingt aufs sorgfältigste, sorgsamste, vorsichtigste, geschickteste sowohl jeden, auch den kleinsten Riß zwischen den Feinden, jeden Interessengegensatz zwischen der Bourgeoisie der verschiedenen Länder, zwischen den verschiedenen Gruppen oder Schichten der Bourgeoisie der einzelnen Länder, als auch jede, selbst die kleinste Möglichkeit ausnutzt, um einen Verbündeten zu gewinnen, hinter dem Massen stehen, mag das auch ein zeitweiliger, schwankender, unsicherer, unzuverlässiger, bedingter Verbündeter sein. Wer das nicht begriffen hat, der hat auch nicht einen Deut vom Marxismus und vom wissenschaftlichen Sozialismus überhaupt begriffen."

Gerhard Scholz, Wolgast

Raute

Wie Frankreichs Kolonialtruppen in Abidjan die Staatschefs austauschten

Pariser Putsch an der Côte d'Ivoire

Beim jüngsten Putsch an der Côte d'Ivoire, dem westafrikanischen Staat Elfenbeinküste, der früher eine französische Kolonie war, hatte Paris mehr als eine Hand im Spiel. Frankreich führte - flankiert von den USA und anderen imperialistischen Mächten - sogar Regie. Während der Welt im Fernseh-Psychokino ein spannender Krimi vorgesetzt wurde, flossen in dem seit 2002 de facto geteilten Land buchstäblich Ströme von Blut. Ausgangspunkt des Ganzen waren die Präsidentschaftswahlen vom 28. November 2010. Dabei entfielen 46% der Stimmen auf den Amtsinhaber Laurent Gbagbo, der sich sofort zum Sieger erklärte, während sein Herausforderer Alassane Ouattara das gleiche tat. Doch Ouattara, der früher in leitender Position beim Internationalen Währungsfonds (IWF) gearbeitet hatte, galt als Wunschkandidat des Westens. Seine Gönner sorgten dann dafür, daß Ouattara von der UNO zum Wahlsieger erklärt wurde. Während der vermeintliche Verlierer Gbagbo nun als Unperson galt, sorgten die Medien der Bourgeoisie weltweit und auch hierzulande für sprachliche Gleichschaltung, indem sie Ouattara zum "international anerkannten Präsidenten" erklärten - eine Formel, die selbst das ND übernahm. Monatelang fand in Côte d'Ivoire ein blutiger Bürgerkrieg statt. Beide Seiten boten starke bewaffnete Kräfte auf. Doch das Schicksal Gbagbos war besiegelt, weil sich dieser mit den gesellschaftlichen Oberschichten verbundene Politiker für ein Abgehen von der Alleinorientierung auf Frankreich und für eine Diversifizierung der Wirtschaftsbeziehungen seines Landes eingesetzt hatte. So war Ouattaras Sieg bereits beschlossene Sache, bevor auch nur die erste Stimme hatte abgegeben werden können.

Nur eine Woche nach Ausbruch der Unruhen, die der Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses folgten, richtete Frankreichs Präsident Sarkozy ein Ultimatum an Gbagbo: Falls dieser seine Niederlage nicht innerhalb von 48 Stunden eingestehe, würden seitens der EU (!) einschneidende Sanktionen verhängt. Das war nackte imperialistische Erpressung!

Ende März begann Paris den Krieg gegen die Bevölkerung von Côte d'Ivoire. Vier Tage lang bombardierte die französische Luftwaffe Ziele in der Fünf-Millionen-Stadt Abidjan, um Ouattara den Weg freizuschießen. Dabei wurden der Präsidentenpalast, Gbagbos offizieller Wohnsitz, das Gebäude des Fernsehens, mehrere Kasernen sowie ein Supermarkt im Zentrum der Hauptstadt angegriffen. Als Vorwand bemühten Sarkozys Militärs die Behauptung, Gbagbo ergebene Einheiten hätten französische Truppen attackiert.

"Die Vereinigten Staaten und Frankreich wollten von Beginn an eine Marionette auf den Präsidentenstuhl bringen", zitierte die belgische Wochenzeitung "Solidaire" den marxistischen Panafrikanisten Mohamed Hassan. Diese Interessen seien sehr umfassend.

Die Elfenbeinküste gehörte zu klassischen Kolonialzeiten wie Senegal, Mauritanien, Niger, Burkina-Fasso, Benin und Guinea zu einem riesigen Territorium, das als Französisch-Westafrika bezeichnet wurde. Auch nach der 1960 formell errungenen Unabhängigkeit blieb Frankreich politisch wie ökonomisch präsent. Zwischen 55 und 60% aller ausländischen Investitionen in Côte d'Ivoire wurden von seinen Superkonzernen Total, France-Telecom, Bouygues, Electricité de France u. a. getätigt. Entscheidende Wirtschaftssektoren - Öl, Kommunikationswesen und Wasser - werden durch 1200 Firmen kontrolliert, deren Kapital ganz oder überwiegend aus Frankreich stammt. Seit der staatlichen Selbständigkeit besteht im Zentrum Abidjans eine französische Militärbasis.

Auch Gbagbo war als Präsident um optimale Beziehungen zur politischen und wirtschaftlichen "Elite" der in seinem Lande angesiedelten Franzosen interessiert. Allein die Tatsache, daß er sich Paris nicht bedingungslos unterwarf und dessen Anspruch auf die alleinige Kontrolle der Wirtschaft seines Landes zurückwies, brachte die französische Kolonialbourgeoisie gegen ihn auf.

Seit den 80er Jahren hat die Elfenbeinküste als größter Exporteur von Kakao schwere finanzielle Rückschläge hinnehmen müssen. Zwischen 1984 und 1993 fiel der Weltmarktpreis für Kakaobohnen um 80% und 1998/99 noch einmal um weitere 30%. Die Folge war ein drastischer Rückgang des Brutto-Nationalprodukts im Zeitraum zwischen 1980 und 2009. Er lag bei 44%. Das wiederum hatte verheerende Folgen für die ivorische Bevölkerung. Innerhalb von fünf Jahren stieg z.B. die ohnehin sehr hohe Kindersterblichkeit von 155 auf 176 bei 1000 Lebendgeborenen.

Um die Profite der großen Unternehmen trotz gravierender Einbrüche sichern und die verelendete Bevölkerung in Schach halten zu können, bedienten sich die Machthaber seit den 90er Jahren der Taktik des "Teile und herrsche!", indem sie die Mechanismen der ethnischen und religiösen Spaltung zwischen Nord und Süd, Muslimen und Christen bedienten und nutzten. Auch Gbagbo und Ouattara spielten auf dieser Tastatur.

Nur ein Prozeß wirklicher nationaler Aussöhnung unter den Ivorensern hätte dieser gefährlichen Entwicklung einen Riegel vorschieben können. Daran aber war vor allem Frankreich in keiner Weise interessiert. Im Gegenteil: Paris nutzte die sich verschärfenden Spannungen aus, um seine ständige Militärpräsenz im Lande zu "rechtfertigen". Vor die Frage gestellt, sich zwischen Gbagbo und Ouattara zu entscheiden, setzten Paris und Washington von Beginn an auf ihren Strohmann, den Führer der "Nordkräfte". Am Ende sorgten Sarkozys Militärs dafür, daß der "international anerkannte Präsident" ans Ruder gebracht wurde. Ouattara war übrigens schon zu Zeiten des die Elfenbeinküste jahrzehntelang im Auftrag des französischen Kapitals verwaltenden Präsidenten d'Houphouet-Boigny in Abidjan Regierungschef gewesen.

Selbst die Festnahme Gbagbos erfolgte unter unmittelbarer Beteiligung französischer Offiziere. Ohne deren Schützenhilfe wäre der erfahrene IWF-Würger Ouattara wohl kaum zum Staatschef von Côte d'Ivoire aufgestiegen.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Army, Navy und Air Force umspannen den Erdball mit ihren Basen

Das Stützpunktsystem des Pentagons

Das Pentagon hat den fünften Erdteil und die größte Insel der Welt dazu auserkoren, einen wichtigen Part im beginnenden Kalten Krieg um den Weltraum zu übernehmen. Mit astronomischen Summen wird die streng geheime Harold-Holt-Marinebasis im westaustralischen Exmouth Gulf für eine Schlüsselrolle in der internationalen Schlacht um die Überlegenheit im All ausgebaut. Ohne Zweifel soll dabei vor allem der chinesische Konkurrent in diesem Wettlauf aus dem Rennen geschlagen werden.

Auf dem Höhepunkt des "konventionellen" Kalten Krieges - die Sowjetunion und die anderen Staaten des Warschauer Vertrages waren damals voll in Rechnung zu stellen -, konzentrierten die Vereinigten Staaten ihre Militärbasen vor allem im europäischen Raum, um den Systemgegner einzukreisen. Aber auch nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde die Zahl der hier angesiedelten Stützpunkte in keiner Weise verringert. Das Gegenteil trat ein: Washingtons Kriegsmaschine errichtete jetzt sogar innerhalb des einstigen "Ostblocks", dessen Staaten inzwischen überwiegend der NATO einverleibt worden waren, zusätzliche militärische Objekte.

Nach den Ereignissen vom 11. September 2001, die der Bush-Administration anstelle des abhanden gekommenen "bolschewistischen Erzfeindes", zu dessen imaginärem Nachfolger in Gestalt des "internationalen Terrorismus'" verholfen hatten, entstanden sofort weitere Basen in vielen Teilen der Welt. Heute wird von einer Zahl zwischen 700 und 900 ausgegangen, wobei einige davon gigantisch und andere kaum wahrnehmbar, aber technisch nicht minder hoch bestückt sind.

Das derzeit größte Auslandsobjekt der US-Streitkräfte ist Camp Bondsteel in der durch die NATO und albanische Separatisten Serbien entrissenen Provinz Kosovo. Diese Basis befindet sich an der Grenze zu Mazedonien und dient vor allem der strategischen Absicherung wichtiger Öl-Pipelines und Energiekorridore aus dem kaspischen Raum.

Erheblich ausgebaut werden derzeit gegen die KDVR und China gerichtete US-Militärobjekte in Südkorea. Wertvolle Ackerflächen und ganze Fischerdörfer in der Region Grangju wurden von der rechtsgerichteten und US-hörigen Seouler Regierung dafür zur Verfügung gestellt - trotz schriftlicher Proteste von 94% der dort ansässigen Bevölkerung. Die auf der Basis stationierte Aegis-Zerstörer-Flotte der U.S. Navy soll die Seeroute durch das Gelbe Meer "im Auge behalten", über die China derzeit 80% seiner Öl-Importe realisiert.

Eine Schlüsselrolle im Stützpunktnetz des Pentagons fällt Japan zu - besonders der Insel Okinawa, wo die meisten der in Nippon befindlichen US-Truppen konzentriert sind. Obwohl diese Präfektur nur 0,6% des japanischen Territoriums ausmacht, hat das Pentagon dort 75% der "Freunde und Verbündeten" Tokios installiert. Der jetzige Gouverneur Okinawas gewann übrigens seine Wahl durch das Versprechen, kein weiteres Objekt der U.S. Marines zuzulassen, während der vorletzte japanische Ministerpräsident über sein Unvermögen zu Fall kam, die Schließung der Basen auf Okinawa durchzusetzen. Japans derzeitiger Regierungschef hat sich offenbar für eine Stillhaltetaktik entschieden.

Übrigens genießt das in diesem Land stationierte Personal der US-Streitkräfte einen Sonderstatus: Es unterliegt bei Begehung krimineller Delikte nicht der Justizhoheit des fernöstlichen Inselstaates, dessen Autoritäten ohne ausdrückliche Einzelfall-Genehmigung Washingtons keinen Zugang zu den Basen haben. Wie verlautet, muß Nippon den Löwenanteil der jährlichen Stützpunktkosten, die etliche Milliarden Dollar ausmachen, aus seinem Budget begleichen.

Erwägungen, einen Teil der Basen von Japan auf die den USA einverleibte Pazifikinsel Guam zu verlegen, konnten bislang nicht umgesetzt werden, da sich die dort einheimischen Chamarros gegen bereits vor Jahrzehnten eingerichtete US-Militärobjekte heftig zur Wehr setzten.

Doch nicht nur China und die KDVR sind von imperialistischen Basen umzingelt. Eine ähnliche Situation besteht auch im Nahen Osten und in Zentralasien, wobei sich vor allem Teheran im Visier des Weltgendarmen befindet.

Von höchster strategischer Bedeutung für die U.S. Navy ist Bahrain, das den "Heimathafen" der 5. US-Flotte beherbergt.

In Lateinamerika, wo in jüngster Zeit zusätzliche Stützpunkte auf den Territorien von Kolumbien und Panama eingerichtet worden sind, sieht sich die US-Administration mit besonders energischem Widerstand konfrontiert.

In Afghanistan ist die Situation infolge des seit neun Jahren andauernden Aggressionskrieges und der faktischen Besetzung des ganzen Landes unvergleichlich komplexer. Kaum anders verhält es sich in Irak.

Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: In Australien hat der Kampf gegen die US-Besatzer schon seit den frühen 70er Jahren tief verwurzelte Traditionen. 1972 rechnete man dort mit nicht weniger als 39 ausländischen Militärbasen, von denen 35 direkt durch die Vereinigten Staaten betrieben wurden, während sich die übrigen "unter gemeinsamer Kontrolle" befanden. Der zum Britischen Commonwealth zählende Staat besaß als wichtigste Nachschub- und Versorgungsbasis der Yankees in deren Vernichtungskrieg gegen das vietnamesische Volk für die Aggressoren einen besonders hohen Stellenwert.

RF, gestützt auf The Guardian, Sydney


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Dieses Foto wurde 1973 auf dem Luftwaffenstützpunkt Yokota unweit von Tokio aufgenommen. Dort hoben die achtstrahligen B 52 der U.S. Air Force mit ihrer für Vietnam bestimmten tödlichen Fracht ab. Damals "besichtigte" ND-Sonderkorrespondent Klaus Steiniger in Begleitung japanischer Kommunisten die streng abgeschirmte Basis, an deren Zaun zweisprachig vor jeder Annäherung gewarnt wurde.

Raute

Eine tapfere Zeitung verschafft sich Gehör: Kolumbiens KP-Organ "Voz"

Hier soll über ein Blatt berichtet werden, welches von der Geschichte der Kommunistischen Partei Kolumbiens (PCC) nicht zu trennen ist. Zwei Monate nach dem Sturz der blutigen Militärdiktatur von Rojas Pinilla am 20. Juli 1957 kam die Zeitung - zunächst unter dem Namen "Voz de la Democracia" (Stimme der Demokratie) - erstmals heraus, besaß aber bereits eine Reihe von Vorgängern. Sie folgte von Beginn an der Leninschen Erkenntnis, daß eine revolutionäre Partei unbedingt über ein Periodikum verfügen müsse, das als ihr kollektiver Agitator, Propagandist und Organisator die Massen auf den politischen Kampf zum Sturz der Herrschaft ihrer Klassenfeinde vorzubereiten imstande sei.

Zeit ihrer Existenz war die Stimme der kolumbianischen Kommunisten ein vorrangiges Angriffsziel regierender Staatsterroristen. 1963 wurde der "Voz de la Democracia" durch rechtskonservative Kräfte, die in Bogotá an der Macht waren, die Lizenz entzogen. Diese Aktion korrespondierte mit dem berüchtigten "Lasso-Plan" der kolumbianischen Oligarchien und des USA-Imperialismus zur Auslöschung des kommunistischen Einflusses in den ländlichen Regionen. Die Linkskräfte beantworteten die reaktionäre Offensive mit der Schaffung der bis heute bestehenden, inzwischen aber von der KP unabhängigen Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC), die den Widerstand gegen die Latifundistas sowie deren Armee- und Polizeieinheiten aufnahmen. Ab Oktober 1963 erschien das kommunistische Blatt unter dem Namen "Voz Proletaria". Es sah sich sehr bald einer scharfen Pressezensur gegenüber. Buchstäblich jede Zeile einer neuen Ausgabe wurde vor der Veröffentlichung kontrolliert. In den 70er und 80er Jahren machte die Zeitung, in deren Spalten die permanenten Menschenrechtsverletzungen des Ayala-Regimes angeprangert wurden, besonders schwere Zeiten durch. Wiederholt waren ihre Redakteure Opfer von Anschlägen des militärischen Geheimdienstes.

Ab 1983 nannte sich das PCC-Organ dann nur noch "Voz", was seinem eindeutigen Klassenprofil aber keinen Abbruch tat. Besonderes Anliegen war es nun, für die Einheit der Linken und den Zusammenschluß aller demokratischen Sektoren der Gesellschaft einzutreten. Es bemühte sich auch um die Geschlossenheit der Guerilla-Bewegung und deren enges Bündnis mit den zivilen Volkskräften.

In den 90er Jahren holte Kolumbiens regierende Rechte, von der die "Voz" schon immer mit wütendem Haß verfolgt worden war, zum großen Schlag aus, um die mutige Stimme des Proletariats endgültig zum Schweigen zu bringen. 1994 wurde Manuel Cepeda Vargas, der damalige Direktor der Zeitung und Führer der PCC, im Zuge der Operation "Gnadenputsch" heimtückisch ermordet. Etliche Autoren und Mitarbeiter der "Voz" wurden bedroht und verhaftet, obwohl sich die Zeitung inzwischen die Legalität erkämpft hatte. Besonders auf dem Lande unternahm die Reaktion wiederholt Überfälle auf deren Filialen, um die Verbreitung der "Voz" zu verhindern.

Am 22. Dezember 1996 wurden ihr seinerzeitiger Direktor Carlos Lozano Guillén, Stellvertretender Generalsekretär der PCC, und andere Redakteure mit dem Tode bedroht. Doch die "Voz" hat auch die finsteren Jahre unter dem US-hörigen und staatsterroristischen Präsidenten ‘lvaro Uribe überdauert. 2006 erschien sie zweimal im Monat mit einer Auflage von jeweils 30.000 Exemplaren und landesweiter Verbreitung. Sie galt am Ende der Ära Uribes als das einzige in Kolumbien regelmäßig herauskommende alternative Medium.

Unter dem 2010 gewählten neuen Präsidenten Juan Manuel Santos, der Uribes scharf rechts ausgerichteter Partei angehört und wie dieser die Interessen der einheimischen Oligarchie und des Imperialismus vertritt, hat sich die innenpolitische Situation Kolumbiens trotz einer gewissen "Kosmetik" nicht verändert. Das als "Plan Colombia" bezeichnete angebliche "Drogenbekämpfungsprogramm" des U.S. Bureau of International Narcotics and Law Enforcement Affairs (INL) zielt in Wahrheit auf die physische Vernichtung der zwar geschwächten, ihren Widerstand aber fortsetzenden FARC ab.

Erst unlängst inspizierte Wiliam R. Brownfield, der Verantwortliche für das INL, mehrere Länder der Region, darunter auch Kolumbien, um an Ort und Stelle Weisungen für die künftig noch intensivere "Drogenbekämpfung" - mit anderen Worten: den Export der Konterrevolution - zu erteilen.

RF, gestützt auf "Voz"

Raute

Freiheit für Radko Mladic!

Diese Forderung wird in Serbien vielhunderttausendfach erhoben, seitdem die in Belgrad regierenden proimperialistischen Kräfte den ehemaligen Chef der bosnisch-serbischen Armee festgenommen und an das sogenannte Kriegsverbrechertribunal in Den Haag abgeliefert haben.

Im Unterschied zu Slobodan Milosevic, der in einer Nacht-und-Nebel-Operation illegal nach Holland verschleppt wurde und dort während seines Prozesses in der Haft verstarb, ist der schwerkranke Mladic "ordnungsgemäß" an die Todfeinde der serbischen Unabhängigkeit überstellt worden. Ihm wird das in Stäben der CIA und der NATO ersonnene "Blutbad von Srebrenica" angelastet.

Offenbar wurden dorthin zahlreiche bosnisch-moslemische Opfer des Bürgerkrieges auch aus anderen Regionen verbracht, um Belgrad international zu diskreditieren.

RF

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Junge Belgrader verlangen die sofortige Haftentlassung des populären Generals

Raute

Ein Pariser Kaviar-"Sozialist" als Schänder des Sozialismus-Begriffs

Vergewaltigte DSK "nur" eine Zimmerfrau?

Dominique Strauss-Kahn - inzwischen allgemein DSK genannt - war Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), der unablässig die armen Völker der Dritten Welt vergewaltigt. Nun ist er offenbar in eine von ihm selbst aufgestellte Falle - seine hemmungslose Triebhaftigkeit - gegangen. Es war bekannt, daß der berüchtigte Schürzenjäger nicht nur hinter jedem Weiberrock her war, sondern in sexueller Hinsicht auch keine Zimperlichkeit kannte.

Aus seiner jüngsten Affäre mit der Zimmerfrau eines New Yorker Luxushotels wurde ein handfester Skandal. Wer auch immer bei dieser für DSK peinlichen, für Sarkozy und die Wall-Street-Banken aber höchst genüßlichen Angelegenheit die Hand im Spiel gehabt haben mag - den nach Sensationen pikanter Art gierenden Medien der Bourgeoisie wurde ein Dauerbrenner erster Klasse frei Haus geliefert.

Uns interessieren indes nicht die Bettaffären dieses momentan in Ungnade gefallenen Schleppenträgers des Kapitals, sondern allein deren politische Auswirkungen.

Der "Sozialist" DSK galt als Star-Kandidat der Sozialistischen Partei (PS) für die 2012 stattfindenden französischen Präsidentschaftswahlen, wobei feststand, daß er der einzige denkbare Bewerber sein würde, der Merkels Freund Sarkozy mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus dem Sattel zu stoßen imstande gewesen wäre.

Wer aber ist dieser Mann, den die "internationale Gemeinschaft" mit der Abwicklung ihrer globalen Finanzgeschäfte im Rahmen des IWF betraut hatte, wobei er den Spuren Horst Köhlers gefolgt war?

Die Pariser Zeitung "Le Soir" brachte die hier abgebildete Karikatur ihres Zeichners Pierre Kroll, der die delikate Szene mit der von DSK begehrten Zimmerfrau gewissermaßen "nachstellte". Von einem New Yorker Polizisten vernommen, bezichtigt die vom IWF-Chef Attackierte ihren Belästiger mit den Worten: "Er hat sogar geäußert, er wolle mich glauben machen, daß er Sozialist wäre."

Obwohl DSK in Paris zu den Spitzenpolitikern der PS gerechnet wurde, hatte er mit dem Sozialismus weit weniger am Hut als ein Atheist mit dem lieben Gott. Dabei gab sich unser Frauenfreund der Karriere halber zeitweilig sogar als Halblinker aus. Nachdem er zunächst die Interessen eines gigantischen Versicherungskonzerns bedient hatte, schloß sich DSK in den 80er Jahren der PS an. Deren seinerzeitiger Führer, sein Duz-Freund Lionel Jospin, war damals schon im Anmarsch auf den Sessel des Premiers. 1991 übernahm DSK erstmals ein Ministeramt.

1994 schickte ihn der illustre "Kreis der Industrie" - eine Gruppierung der Spitzen des Kapitals - als seinen Cheflobbyisten zur EU nach Brüssel. 1997 wurde DSK Frankreichs Minister für Industrie und Finanzen. In dieser Zeit der "pluralistischen Linken" unter Jospin sorgte er für die größte Privatisierungswelle in der französischen Nachkriegsgeschichte. Unternehmen der öffentlichen Hand wie France-Telecom, Crédit Lyonnais, d'Arcelor, Thomson und Aerospatiale gingen ganz offiziell an "interessierte Käufer". Für seine Verdienste an dieser Operation erhielt der "sozialistische" Finanzminister 1999 die Goldmedaille des Börsenblattes "Les Echos", das ihn als "größten Privatisierer der Nation" bezeichnete.

Nach einem Finanzeklat mußte DSK zwar seinen Rücktritt erklären, verschwand aber nicht von der Pariser politischen Bühne. 2005 wurde er Nationalsekretär der PS, deren Kandidatin Martine Aubry bei den Präsidentschaftswahlen 2007 an Sarkozy scheiterte, dem Le Pens Faschisten in der zweiten Runde ihre Stimmen gaben.

Im gleichen Jahr wurde der "Sozialist" DSK mit ausdrücklicher Zustimmung Sarkozys Direktor des IWF. Sein dortiges Jahresgehalt von 315.000 Euro kann der Multimillionär, der etliche Häuser und Luxusappartements besitzt, als bloßes Zubrot betrachten.

In letzter Zeit war unser "Kaviar-Sozialist" überwiegend mit dem Knüpfen der Würgeschlingen des IWF für Griechenland, Irland und Portugal beschäftigt. Diese sollten reißfest und so beschaffen sein, daß den Gedrosselten die Luft genommen würde, ohne sie vollends zu ersticken.

Um den Bogen zu schließen, sei angefügt, daß dieser "sozialistische" Held ein leidenschaftlicher Verfechter des US-Überfalls auf Irak und ein Parteigänger jener war, die dem Pentagon einen Angriff auch auf Iran empfahlen. Auf einer "Konferenz für die Sicherheit Israels" hielt er im Januar 2010 - Seite an Seite mit dessen Premier Netanjahu - die Eröffnungsrede.

Wegen der Affäre um die New Yorker Zimmerfrau vorerst aus dem Verkehr gezogen, muß DSK dennoch nicht alle Hoffnung fallen lassen. Der internationale Geldadel dürfte auf einen so erfahrenen "Sozialisten" wie ihn wohl kaum dauerhaft verzichten. So ist ein Comeback nicht gänzlich ausgeschlossen.

RF, gestützt auf "Solidaire", Brüssel

Raute

Wie die EU den PSOE-Premier Zapatero politisch erdrosselt

Brüssel sorgte für Rechts-Sieg in Madrid

Am 22. Mai wurde Spaniens regierende Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) - rechte Sozialdemokraten bezeichnen sich dort mit Täuschungsabsicht als Sozialisten - bei den Kommunal- und Regionalwahlen für die durch Brüssel "mit vorgehaltenem Revolver" erzwungene rabiate Sozialdemontage abgestraft. Während die Partei von Ministerpräsident Zapatero, der bereits vor dem Abstimmungstag seinen Verzicht auf eine abermalige Kandidatur bei den 2012 fälligen Parlamentswahlen erklärt hatte, fast landesweit abserviert wurde, errang die rechtskonservative und zum Teil aus Franquisten bestehende Volkspartei (PP) diesmal 38% der Stimmen. Für die PSOE votierten hingegen nicht mehr als 28% der Wähler. Sie büßte nicht nur ihre Führungspositionen in einer Reihe von Provinzen ein, sondern zog überdies auch in mehreren Großstädten, in denen sie bisher am Ruder gewesen war, den kürzeren. Besonders schmerzhaft war für die PSOE ihre Niederlage in Barcelona, das Zapateros Partei zusammen mit katalonischen Verbündeten lange Zeit verwaltet hatte.

Der Rechtssieg vollzog sich im Schatten von Ereignissen, die weltweit für Schlagzeilen und spektakuläre Medienberichte gesorgt hatten: Zehntausende von der schweren Wirtschaftskrise Betroffene hatten auf der dem Königspalast unmittelbar benachbarten Puerta del Sol - dem Hauptplatz Madrids - sowie in den Zentren anderer Städte Protestcamps eingerichtet, in denen sie unerschütterlich ausharrten. In Barcelona und anderswo von starken Polizeikräften brutal bedrängt und verjagt, waren sie nur wenig später an die Stätten ihrer Manifestationen zurückgekehrt.

Die hier geschilderten Aktionen waren ein unmittelbarer Reflex auf den als "Sparkurs" deklarierten Generalangriff der EU und ihrer Europäischen Zentralbank zur weiteren Absenkung des ohnehin eher bescheidenen Lebensstandards der Bevölkerung ärmerer Mitgliedsstaaten des Brüsseler Paktes. Dieses Europa der Monopole steht unter deutsch-französischer Führung.

Für Spanien erweist sich die EU-Mitgliedschaft als ein wahrer "Segen": Die offizielle Erwerbslosenrate liegt inzwischen bei 21%. Nach Griechenland, Irland und Portugal wird jetzt auch dem iberischen Land von der EU ein weiteres Anziehen der Daumenschrauben "dringend empfohlen".

Im Falle Madrids heißt das die als "Privatisierung" bezeichnete Verscherbelung des Nationaleigentums, eine fünfprozentige Kürzung der Löhne und Gehälter aller im öffentlichen Dienst Tätigen, die Verweigerung jeglichen Inflationsausgleichs für Pensionäre und äußerst empfindliche Einschnitte bei sämtlichen Ausgaben der Regionen, Städte und Gemeinden. Nur unter diesen Bedingungen werden aus Steuermitteln aufzubringende und allein das Bankkapital bereichernde EU-"Hilfspakete" zur Überbrückung der enormen Staatsverschuldung gewährt.

Angesichts des verheerenden Wahldebakels der PSOE hat die triumphalistische Rechtspartei PP ihren starken Auftrieb vom 22. Mai dazu genutzt, Premier Zapatero zu drängen, in den Cortes die Vertrauensfrage zu stellen. So könnten gegebenenfalls vorgezogene Neuwahlen erzwungen werden. Bereits 2008 hatten die Sozialdemokraten nur noch mit sehr geringem Vorsprung in das Parlament einziehen können.

Spaniens Vereinigte Linke (IU), die aus der traditionellen Kommunistischen Partei (PCE) und kleineren linken Gruppen besteht, hat am diesjährigen Wahltag ihre Positionen festigen können. Der IU-Anteil stieg von 5,48% (2007) auf 6,33%. Das Bündnis errang insgesamt 200 Sitze in den Munizipalräten und 12 Mandate in den Vertretungskörperschaften der Provinzen. Die PCE mußte allerdings eine herbe Enttäuschung hinnehmen: Andalusiens Metropole Córdoba fiel nach Jahrzehnten kommunistischer Verwaltung diesmal an die Rechten.

Sehr positiv waren die Resultate in den baskischen Provinzen Bilbao, San Sebastian und Vitória, wo eine neugegründete linksnationalistische Partei namens BILDU, deren durch Zapatero angestrebte Nichtzulassung wegen angeblicher Nähe zur verbotenen baskischen Guerilla-Organisation ETA Madrid am Ende nicht durchzusetzen vermochte, hervorragend abschnitt. BILDU errang 18 von 83 Sitzen in den Munizipalräten und zog selbst im für die Linke schwierigen Pamplona mit drei Vertretern in das Lokalparlament ein.

Die politische Szenerie Spaniens ist unterdessen mit der Lage in den noch härter drangsalierten südeuropäischen Staaten Griechenland und Portugal fast vergleichbar. Sie werden ebenfalls von der EU ökonomisch garottiert, um das Bild des noch unter Franco zu Hinrichtungszwecken benutzten mittelalterlichen Würgeeisens zu gebrauchen.

In Madrid und Athen regieren vorerst noch Sozialdemokraten, denen Brüssel systematisch den Boden unter den Füßen wegzieht. Sie müssen sich dem Druck der EU, ihrer Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF) beugen und der Bevölkerung im Zuge aufgezwungener "Sparprogramme" gerade jene "Wohltaten" entziehen, die sie sich einst selbst ausgedacht hatten, um ihre Wähler bei der Stange zu halten. In Lissabon ist die Sozialistische Partei (PS) inzwischen durch eine akzentuiert rechte Formation, die sich seit 1976 aparterweise Sozialdemokratische Partei (PSD) nennt, und deren Juniorpartner CDS unlängst aus dem Regierungskahn gestoßen worden.

Die kommunistischen Parteien auf spanischem Boden - außer der PCE gibt es noch die KP Kataloniens und die auf marxistisch-leninistischen Positionen stehende KP der Völker Spaniens - schneiden zwar bei Wahlen nicht schlecht ab, besitzen aber derzeit weder im Parlament noch auf der Straße den Einfluß und die personelle Stärke, um die Sozialdemokratie zum gemeinsamen Widerstand gegen die Großoffensive der EU bewegen zu können. Die PSOE, die sich vom Antikommunismus leiten läßt, neigt ohnehin nicht dazu, Allianzen mit weiter links stehenden Kräften einzugehen.

Unter den geschilderten Bedingungen muß damit gerechnet werden, daß der im kontinentalen Maßstab spürbare Rechtsruck über kurz oder lang auch die letzten zwei sozialdemokratischen Regierungen Europas aus dem Sattel heben dürfte.

RF, gestützt auf "People's World", New York


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- In Spanien hören die Proteste des von der EU ausgeplünderten Volkes nicht auf.

Raute

Vor 100 Jahren wurde der "Pionier des zeitnahen Romans" geboren

Autor mit Diplomatenpaß: Eduard Claudius

Eduard Claudius zählte neben Willi Bredel, Hans Marchwitza und anderen zu jenen DDR-Schriftstellern, die bereits in jungen Jahren am politischen Kampf teilnahmen. Er ist überdies einer der wenigen DDR-Autoren neben Friedrich Wolf, die als Diplomaten für ihren Staat tätig waren.

Claudius wurde als Eduard Schmidt am 29. Juli 1911 in Gelsenkirchen geboren. Er erlernte das Maurerhandwerk und begab sich in den Jahren der Weltwirtschaftskrise zwischen 1929 und 1932 auf Wanderschaft durch westeuropäische Länder, wobei er in Italien, Österreich und Spanien Station machte. Hans Marchwitza konnte den Jungen aus dem Ruhrpott als Arbeiterkorrespondenten für die kommunistische Presse gewinnen. Nach illegaler Tätigkeit für die KPD, der er 1932 beigetreten war, mußte Claudius 1934 in die Schweiz emigrieren. Zwei Jahre später legte er unter dem Pseudonym Edy Brendt seinen ersten Roman "Jugend im Umbruch" in Basel vor. Der Autor selbst bezeichnete später seinen zweiten Titel "Salz der Erde" (1948) als den ersten. In diesem schilderte er, wie ein junger deutscher Proletarier in den Klassenschlachten der 30er Jahre seinen Weg zu finden suchte.

Über zwanzig deutsche Schriftsteller unterstützten das spanische Volk im Kampf gegen Franco und dessen faschistische Mitverschwörer. Unter diesen Literaten befanden sich Bodo Uhse, Willy Bredel, Ludwig Renn und Erich Weinert. Als Kriegskommissar nahm Eduard Claudius am Freiheitskampf teil, wobei er zweimal verwundet wurde. Hier begegnete er Egon Erwin Kisch, der Brendts 1938 in der Moskauer Zeitschrift "Das Wort" veröffentlichte Erzählung "Das Opfer" über den Tod eines jungen Spaniers gelesen hatte. Kischs Urteil lautete: "Da kann noch mehr drinstecken ..., vielleicht noch ein Roman über uns! Wenn der Autor nicht schon gefallen ist!" Dieser wagte nichts zu entgegnen und gestand Kisch erst später, daß er die Erzählung verfaßt habe.

Der Prager "rasende Reporter" sollte mit seiner Prognose recht behalten. Wenige Jahre danach - 1944 - erschien Claudius' großer Spanienroman "Grüne Oliven und nackte Berge" (1957 von Martin Hellberg unter dem Titel "Wo du hingehst ..." verfilmt). Er war eines der ersten großen Werke in deutscher Sprache zu diesem Thema. Stephan Hermlin wertete diesen Roman als "ein großes internationales und immens deutsches Buch". Als er 1939 illegal in die Schweiz zurückkehrte, wurde Claudius verhaftet und in Arbeitslagern interniert. Auf Grund der Fürsprache Hermann Hesses und anderer kam er schließlich frei und wurde nicht an Nazi-Deutschland ausgeliefert. In einem Gespräch fragte man Claudius 1974, wie er eigentlich an Hesse geraten sei. Er erwiderte, dieser habe sich immer für junge Autoren und deren Bücher eingesetzt und vielen deutschen Emigranten zu helfen versucht. 1945 kämpfte er dann in den Garibaldi-Partisanenbrigaden der IKP in Oberitalien.

Während der Nachkriegsjahre war Claudius zunächst im Auftrag der Alliierten Mitarbeiter des bayerischen Ministeriums für Entnazifizierung. 1948 übersiedelte er nach Potsdam. Mitte der 50er Jahre wurde er Sekretär des DDR-Schriftstellerverbandes, später Vizepräsident der Akademie der Künste der DDR. Nahezu über Nacht berief ihn die Regierung Otto Grotewohls in den diplomatischen Dienst. Er war zunächst Generalkonsul der DDR in Syrien und später Botschafter in der Demokratischen Republik Vietnam.

Seine Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Kämpfen des 20. Jahrhunderts, aus denen er gestählt hervorging, faßte der Schriftsteller in seinen Werken zusammen. Indem Claudius die Menschen seiner Zeit zu beschreiben wußte, wurde er zu einem Wegbereiter der neuen Literatur. Aus manchen kleineren Arbeiten gingen Bücher hervor. Ein Beispiel dafür war die 1950 erschienene Erzählung "Vom schweren Anfang", auf der sein Erfolgsroman "Menschen an unserer Seite" (1951) beruhte. Hierzu hatte Claudius intensive Studien im Berliner VEB Elektrokohle Lichtenberg betrieben. Im Mittelpunkt des Geschehens stand der damals legendäre Ringofenmaurer Hans Garbe. Der Autor schilderte das erstarkende Selbstbewußtsein und die Individualität des Neuerers. Er diente ihm als Vorbild für die Gestalt seines Hans Aehre. Mit dem vieldiskutierten Buch stellte sich Claudius an die Spitze der DDR-Literatur jener Jahre. Seit der Rückwende wird es verschwiegen oder als "reiner Produktionsroman" disqualifiziert.

Aus der Fülle von Reportagen, die Claudius schrieb, seien hier genannt: "Seemannsgarn neu gesponnen", "Wintermärchen auf Rügen" oder "Mit Netz und Winsch auf hoher See". Herausgehoben seien von seinen Erzählungen: "Das Mädchen sanfte Wolke", "Aus den nahen und fernen Städten" und "Hochzeit in den Alawitenbergen". Verwiesen sei auch auf die Reiseberichte "Notizen nebenbei" und "Paradies ohne Seligkeit", das Reisebuch "Syrien" und das Drama "Die Söhne Garibaldis". Als DDR-Botschafter in Vietnam sammelte Claudius Märchen und Legenden aus den Ländern Indochinas. Diese wußte er poetisch in dem Band "Als die Fische die Sterne schluckten" (1976) nachzuerzählen.

In seiner Autobiographie "Ruhelose Jahre" (1968) gab Eduard Claudius Auskunft über seine Abenteuerlust und wie er in den Klassenschlachten gefordert wurde. Den geplanten zweiten Band mit dem möglichen Titel "Die Reise hat nie ein Ende" konnte er nicht mehr vollenden, da ihn am 13. Dezember 1976 der Tod ereilte.

"Als Mensch hat Eduard Schmidt-Claudius das Notwendige, historisch Unerläßliche stets mit letztem Einsatz seiner Person getan, und so war er sich als Schriftsteller der strengen Verpflichtung zu Bekenntnis und Engagement von früh auf bewußt", urteilte Wolfgang Hartwig. In seinen Werken gehen gelebtes und gestaltetes Leben beständig ineinander über. Er wußte überzeugend das gesellschaftlich Entscheidende und das geschichtlich Neue künstlerisch so zu gestalten, daß er als "Pionier des zeitnahen Romans" bezeichnet wurde. Seine einprägsamsten Bücher bilden einen wichtigen Bestandteil der frühen DDR-Literatur.

Dieter Fechner

Raute

Er brandmarkte Adenauers Nazi-Generäle als Kriegsverbrecher

Zum 90. von Lorenz Knorr

"Nach Rückschlägen vorwärts - im Streit für eine humane Welt", hieß eine Veröffentlichung, die vor zwanzig Jahren zu Ehren des 70. Geburtstages von Lorenz Knorr herauskam. Sie könnte als Lebensmotto des Jubilars gelten, der am 18. Juli seinen 90. Geburtstag begeht. Lorenz Knorr wurde schon frühzeitig zum antifaschistischen Kämpfer. Er beteiligte sich an Sabotageakten zur Behinderung von Waffentransporten der hitlerfaschistischen Truppen. So geriet er wegen "Wehrkraftzersetzung" in ein Strafbataillon. Nach dem 2. Weltkrieg reihte sich Lorenz Knorr in die Friedens- und Antifa-Bewegung ein. In den 50er Jahren war er in der Sozialistischen Jugend - Die Falken - aktiv. 1960 wurde er Mitbegründer der Deutschen Friedensunion. Seit einem halben Jahrhundert steht er mit an vorderster Stelle in der Friedensbewegung der BRD.

Aus seiner Feder stammen zahlreiche Publikationen. Einige Titel seien hier stellvertretend für alle anderen genannt: Geschichte der Friedensbewegung der Bundesrepublik (2. Aufl. 1984), Dritter Griff nach der Weltmacht? (1995), Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Deutsches Militär von Massenmördern geprägt? (1998), Gegen Hitler und Henlein (2008), Generäle vor Gericht. Oder: Darf man Nazi-Militärs als Massenmörder bezeichnen? (2011).

Anfang der 60er Jahre geriet Lorenz Knorr in das Visier von "Verteidigungsminister" Franz Josef Strauß und führender Bundeswehrgeneräle. Er hatte diese öffentlich als Kriegsverbrecher bezeichnet, denen man die Jugend nicht anvertrauen dürfe. Strauß ließ ihn daraufhin wegen Beleidigung der Bundeswehr vor Gericht bringen. In einem spektakulären Prozeß, der international stark beachtet wurde, erbrachte Lorenz Knorr den Nachweis der Richtigkeit seiner Aussagen. Die aufs schwerste belasteten Generäle Heusinger, Speidel, Foertsch und Kammhuber mußten abtreten.

Lorenz Knorr hat seinen Antimilitarismus nicht nur bei spektakulären Aktionen, sondern vor allem auch durch Aufdecken der Hintergründe und Ursachen imperialistischer Kriege unter Beweis gestellt. Er betrachtet diese als "Instrumente der herrschenden Klasse zur Gewährleistung ihrer Privilegien und ihrer Macht".

Ich hatte Lorenz Knorrs unbeugsame Haltung schon früher bewundert, lernte ihn selbst aber erst nach 1990 bei Friedenssymposien, Tagungen zu geschichtlichen Themen und der gemeinsamen Arbeit an Büchern kennen. Das brachte mir großen Gewinn, über den ich sehr froh bin. Besonderer Dank gebührt Lorenz Knorr dafür, daß er leidenschaftlich gegen den Geschichtsrevisionismus auftritt. "Auch unter den neuen Bedingungen ist Antifaschismus mit seinem klaren Anti und seinem kreativen Pro gefordert", lautet seine Devise. - Ein herausragender Publizist, nutzt Lorenz Knorr auch seine reichen Erfahrungen als Historiker. Davon zeugen - bis heute - mit seinem Namen verbundene Bücher, Vorträge und Artikel. Selbst im 90. Lebensjahr hat er sich nicht zur Ruhe gesetzt. Möge ihm dieses Wirksamwerden noch lange vergönnt sein. Denn Deutschland braucht knorrige Eichen.

Prof. Dr. Horst Schneider

Raute

"Amsel, Drossel, Fink und Spatz und der ganze Vogel-Satz ..."

Die DDR war ein Dorado für Philatelisten

Als die Menschen ihre Liebesbriefe noch mit der Post verschickten, sich über Botschaften aus Freundesländern freuten und gern bunte Karten aus Urlaubsorten erhielten, war Briefmarkensammeln weit verbreitet. Es machte Spaß, die kleinen Bildchen mit den verschiedenen Wertaufdrucken, die eine Postsendung oben rechts schmückten, zu erblicken. Alben mit meist eher wertlosen, aber schön gestalteten Marken hatten viele DDR-Jugendliche zwischen ihren Abenteuerbüchern und an das Jugendweihebuch gelehnt, in ihren unaufgeräumten Regalen stehen. Aber mit der Zeit verblaßte diese Leidenschaft. Die einen gaben sie wieder auf, die anderen spielten lieber Fußball oder gingen tanzen. Bei der Sache Gebliebene aber besorgten sich eine Lupe, arrangierten ein Marken-Abo bei der Post und betrieben das Sammeln nun als Leidenschaft, traten gar einer philatelistischen Arbeitsgemeinschaft der Jungen Pioniere oder der FDJ bei.

Ganze Serien von Briefen wurden an ausländische Freunde mit gleichen Interessen verschickt und die Antworten stets sehnsüchtig erwartet, da sie neben Neuigkeiten aus der Sowjetunion, Kuba, Polen oder Vietnam in der Regel auch Postwertzeichen mit wunderbaren Motiven enthielten. Später jagten die Sammler dann Sonderausgaben zu den verschiedensten Anlässen hinterher, trafen sich regelmäßig mit Gleichgesinnten in Vereinen oder schlenderten aufgeregt über Tauschbörsen. In der DDR gab es immerhin 160.000 Menschen, die sich mehr oder weniger intensiv mit den kleinen gummierten Kunstwerken beschäftigten. Das populäre Komikerpaar Herricht und Preil brachte dieses Hobby sogar in einem Sketch unter, die "leicht" veränderte Liedzeile "Amsel, Drossel, Fink und Spatz / und der ganze Vogel-Satz" rief bei vielen ein Schmunzeln hervor.

Wer in der DDR Briefmarken sammelte, kann bis heute so manches berichten. Der Bauingenieur und Wirtschaftswissenschaftler Dr. Peter Tichatzky (Jahrgang 1929) war ein Spezialist auf dieser Strecke. Im Bund Philatelistischer Prüfer hatte man ihn für das Sammelgebiet DDR verantwortlich gemacht. Dort beteiligte er sich aktiv an der Fälschungsbekämpfung. Denn auch DDR-Marken wurden bisweilen nachgemacht, besonders wenn Form und Inhalt das erleichterten. Erinnert sei an die mangelhaft gestaltete 20-Pfennig-Sondermarke zum 40. Jahrestag der Novemberrevolution.

Jetzt veröffentlichte Tichatzky ein gewichtiges Buch: "Bunte DDR-Briefmarkenwelt". Hier kann der eingefleischte Sammler, aber auch jeder, der mehr als nur das von der heutigen Presse und Politik Vorgegebene über DDR-Geschichte erfahren möchte, zugreifen. Der Autor weiß buchstäblich alles über den durch ihn behandelten Gegenstand. Im Anhang stellt er die aus seiner Sicht schönsten Marken vor, beschäftigt sich mit peinlichen Fehlgriffen, erläutert politische Botschaften und weist nach, welche Marken nie von einer Zunge bearbeitet worden sein können, da sie von der Post der DDR überhaupt nicht in Umlauf gebracht wurden. Bei einigen Ausgaben wird endlich geklärt, was falsch an ihnen war: So zeigen z.B. die Scheibenwischer eines Trabant bei Ruhestellung in die falsche Richtung, sind russische Worte verballhornt. Dinge, die nur einem notorischen Sammler ins Auge springen konnten.

Wer wußte übrigens schon, daß "die größte DDR der Welt" auch den größten Briefmarkenblock herausgebracht hat - zu Ehren des 15. Jahrestages der Republik. Neben solchen Spezifika stellte Peter Tichatzky auch ein Abc der Philatelie zusammen, mit dem er Grundbegriffe aus der Welt der Briefmarke vergnüglich und den Leser bereichernd erklärt. - Wer das Buch gelesen und die dort abgebildeten Postwertzeichen angeschaut hat, wird wehmütig an die eigene Kindheit zurückdenken und einmal mehr die bisweilen bereits vergilbten Alben hervorkramen. Die verzaubernden Märchenserien oder den herrlichen Rosen-Satz besitzt der eine oder andere bestimmt noch. Schade, daß das Sammelgebiet DDR abgeschlossen ist, man hätte gerne noch weitergemacht ­...

Thomas Behlert, Gotha

Peter Tichatzky, Bunte DDR-Briefmarkenwelt,
192 S., Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2011, 19,95 €,
ISBN 978-3-359-02297-8

Raute

Die wechselvolle Chronik einer wald- und wildreichen Region

Mit einem Revierförster auf der Pirsch

Mecklenburgs Lebensader sind die Wälder. Seit Jahrmillionen prägen sie das Bild dieses Landstrichs. Es gab sie schon, bevor die letzte Eiszeit Tannen, Fichten, Eichen, Erlen und Buchen zum Rückzug zwang. Doch sie kamen wieder und mit ihnen die Tiere - Wisente, Auerochsen, Elche, Rehe, Hirsche, auch Wölfe und Bären ... Wald und Flur boten nicht nur ihnen, sondern auch den Menschen eine unverzichtbare Lebensgrundlage. Jäger-Nomaden, Germanen und Slawen waren die ersten, deren Spuren sich noch heute finden lassen. Wer ihnen folgt, wird feststellen, daß es "Waldmenschen", wie sie einstmals das norddeutsche Land bevölkerten, auch heute noch gibt. Einer von ihnen ist Heinz Lenkat, der diese Bezeichnung mit Fug und Recht für sich beanspruchen kann. Sein ganzes Leben hat er in den Dienst der Pflege und des Schutzes der Wälder gestellt. Er war Förster aus Berufung und Jäger aus Passion.

Klepelshagen - ein Dorf im Dreiländereck von Mecklenburg, Brandenburg und Pommern - ist der Ausgangspunkt für eine Chronik, die Heinz Lenkat in seinem Buch "Wald und Wild - Eigentum der Bürger" festhält.

Sein Exkurs beginnt weit vor dem Einzug früher Besitzverhältnisse im "Land der Wenden", berührt die Daseinsbedingungen der kleinen Leute in den einander ablösenden Gesellschaftsformationen, das sich stets wandelnde Naturgeschehen, die beeindruckende Forst- und Jagdchronik und immer wieder den Kampf um den Erhalt des Waldes.

In seinen Aufzeichnungen wird eine jahrtausendealte Geschichte lebendig und mit ihr der Überlebens- und Klassenkampf, der selbst um Mecklenburgs hinterste Winkel keinen Bogen machte. Er dauert, wenn auch anders als zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges oder der bürgerlichen Revolution von 1848, bis heute an.

Heinz Lenkat ist ein unmittelbar Beteiligter. Ein Leben lang engagierte er sich für andere, setzte sich ehrlichen Herzens für den Aufbau eines antifaschistischen, demokratischen, sozialistischen Staates ein. Man kann das, was er über die Aufbaujahre, seine eigene Entwicklung und die der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen im eigenen Umfeld schreibt, nicht ohne innere Bewegtheit lesen. Lückenlos dokumentiert er den mühsamen Weg in eine Zukunft, auf dem Neues mit Altem, Fortschritt mit Rückschlägen, Entwicklung mit Stagnation rangen. Der Autor resümiert: "Es war ein erfülltes Leben" - ein Leben, das den Menschen, den Tieren, der Natur, der Gesellschaft diente. Manch fragwürdiges Leitungsgebaren oder Imponiergehabe, wie es sich u. a. in "Jagdgewohnheiten" hoher Funktionäre zeigte, ärgerte ihn, anderes, was aus der kollektiven Anstrengung zur Gestaltung eines sinnerfüllten Lebens wuchs - Vertrauen, Zusammenhalt, Freundschaft, gegenseitige Hilfe - wurde zu prägenden Werten einer neuen Gemeinschaft.

Heinz Lenkat ist stolz darauf, als Revierförster seinen Beitrag zur Schaffung eines "holzreichen, forstlich und jagdlich gepflegten Reviers mit naturnahen Waldbeständen, einem reichen Wildbestand und vielen vom Aussterben bedrohten Tieren und Pflanzen" geleistet zu haben.

Mit der Zerschlagung der DDR wurde diese Bilanz Teil eines Jahrhundertgeschäfts, bei dem insgesamt "1,8 Millionen Hektar schuldenfreies Ackerland und 2,1 Millionen Hektar schuldenfreie Wälder, ja sogar 'blühende Landschaften'" in finsteren, kriminellen Abgründen verschwanden. Dieses Schicksal traf auch Klepelshagen. Nachdem die Treuhand alles getan hatte, den in Lohn und Brot stehenden Menschen der Region die Arbeit zu nehmen, versprach ein aus Hamburg kommender Unternehmer für Wäscherei und Berufsbekleidung, nun die Lebensbedingungen der "auf einer niederen zivilisatorischen Stufe angetroffenen Dorfbewohner" verbessern zu wollen. Klepelshagen ist heute sein Privatbesitz. - Ein gewisser Arnulf Baring verkündete, daß das "DDR-Regime fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Erziehung und Ausbildung verhunzt" hätte. Heinz Lenkat weiß es besser. Mit seinem Buch erbringt er einen unwiderlegbaren Beweis für das Maß des in vierzig Jahren unter sozialistischen Verhältnissen Geschaffenen. Dazu zählen nicht nur die ökonomischen und materiellen Güter, sondern vor allem der Gewinn an Menschlichkeit und Solidarität.

Bruni Steiniger

Heinz Lenkat: Wald und Wild - Eigentum der Bürger. Geschichte der Region und des Reviers Klepelshagen in Mecklenburg-Vorpommern.
Hrsg. Norbert Raulin. Schibri-Verlag, Strasburg (Uckermark) 2011, 308 Seiten, ISBN 978-3-86863-063-3

Raute

Als Glückspilz Archie Schwein hatte

In volksdemokratischen Zeiten, wie sich Archie zu sagen angewöhnt hat, wenn er die DDR meint, besaß er recht weit vor den Toren der Hauptstadt ein preiswert - quasi auf Lebenszeit - gepachtetes riesiges Grundstück. Dort gab es nachts viele Rehe, und auch Wildschweine tummelten sich zum Leidwesen der Nachbarn und auch Archies. Sie fraßen sämtliche Tulpen, Erdbeeren, Kartoffeln und andere Knollen ratzbatz weg. Archie gab daraufhin die "Gärtnerei" auf und pflanzte fortan nur noch Koniferen, die dem Anwesen im Laufe der Jahrzehnte ein parkähnliches Aussehen verliehen. Wenn er nachts so auf der Bank saß, sah er gelegentlich im Mondschein Hasen hoppeln und Igel durch das Gras gleiten. Wildschweine schoben sich unterm Zaun durch, Rehe sprangen darüber. Es kreuchte und fleuchte nur so auf "seinem" Besitz.

Nach der "Konterrevolution", wie seine Freunde das Geschehen vor über 20 Jahren bezeichnen, wurde das alles durch die böse Hexe "Wende" nach dem Motto weggezaubert: Kauf geht über alles, am allerbesten "cash", wie man neudeutsch zu sagen pflegt.

Der Nachbar warf oft wütend Mistgabeln nach den Wildschweinen, die stets nur einen kleinen Schritt gelassen beiseite traten und nicht getroffen wurden. Es war ganz seltsam, sie wühlten nie den Boden auf, wenn Archie still dasaß und sich nicht rührte. Sie fraßen die Obst- und Gemüseabfälle, und die Frischlinge leckten sogar seine nackten Zehen. Sie schienen Rücksicht auf ihn zu nehmen.

Es geschah einmal im "Roten Luch", jenem großen Waldstück in der Nähe von Strausberg, wo Archie Pilze suchte, daß ein junges Wildschwein aus dem hohen Farn hervortrat und grunzte: "Folge mir, ich zeige dir, wo Pilze stehen." Archie lief dem Tier hinterher und kam an eine Lichtung. Dort fand er lauter große Steinpilze und Rotkappen.

Förster Grünrock kam ächzend vorbeigeradelt und fiel fast vom Sattel, als er dieses Riesenaufgebot an Waldfrüchten sah. Archie blickte den Alten an und sagte: "Das ist Sammlerglück. Ein Wildschwein gab mir den Tipp." Förster Grünrock parierte sofort: "Sie haben aber auch Schwein und sind ein Glückspilz! Alle sprechen vom großen Glücksschwein im 'Roten Luch', und Sie treffen es." Archie zeigte sich großzügig: "Lieber Förster, nehmen Sie so viel, wie Sie wollen, für die Frau Försterin mit", sagte er. Der Grünberockte radelte dankend und qualmend weiter, hüstelte und schüttelte den Kopf.

Später, als die Abenddämmerung Zwielicht erzeugt hatte, erschien das gute Schwein noch einmal und kauderwelschte leicht grunzend, aber dennoch für Archie, der der Schwarzkittelsprache mächtig ist, verständlich: "Weißt du, es herrscht hier eine böse Landflucht, alle wollen in die Stadt, sogar die Tiere." Der so Angesprochene stimmte dem zu: "Da hast du vollkommen recht. Im Fernsehen gab es sogar einen Bericht über wilde Tiere in der Großstadt. In Berlin soll es 9000 Wildschweine geben, die oft sogar von älteren Damen gefüttert werden."

"Kein Wunder", grunzte das junge Tier, "die Wälder sind manchmal wie leergefegt. Da gibt es für unsereins nichts mehr zu fressen. Wieder andere stecken voller Gerümpel, jeder macht heute mit seinem Wald, was er will." Und plötzlich sagte das Wildschwein zu Archies größtem Erstaunen auch noch ein paar gereimte Zeilen auf: "Einst war's nur für Hasen und Füchse / Im wildesten Waldesgewüchse / Der einsamste Platz. / Jetzt liegt dort Matratz / Papier und Konservenbüchse." Archie war begeistert: "Bravo, mein liebes Schwein, bravo!", rief er aus. "Der Mann, der das schon vor einem halben Jahrhundert schrieb, heißt Eugen Roth. Sein Vers trug die Überschrift "Waldfrieden". Darauf das Schwein: "Ich hörte die Verse von einem Mann, der sie im Wald laut deklamierte." Es fuhr fort: "In Berlin soll es für Tiere wie mich viel zu fressen geben. Außerdem kann ich ja auch ma ncherlei vertilgen, was nicht für Menschen bestimmt ist, sondern nur für Tiere. Schließlich gibt es doch auch streunende Hunde, warum keine Wildschweine, wenn sie friedlich sind?"

Die Menschen haben Angst vor den Tieren. Schon stehen private Jäger mit Schrotflinten bereit. Wo einer des anderen Feind ist, kommt es auf so ein kleines Schweinderl nicht an, höchstens noch zum Verzehr, dachte Archie und sagte es wohl auch. Da packte ihn das Mitleid, nachdem das kluge Schweinchen erzählt hatte, daß es beinahe gefangen und gebraten worden wäre, noch dazu am Spieß! Flugs öffnete er die hintere Tür des Autos und ließ das arme Tier einsteigen. Er versuchte, es in einem Schrebergarten unterzubringen, den er seit kurzem besaß. Doch da kam es zu einem Aufstand der Hunde, die auf allen Wegen plötzlich aus Ärger ihre Geschäfte verrichteten. Ein Wildschwein würde sie nur stören. Und überhaupt: Eine Sau im Schrebergarten, wo kämen wir da wohl hin?

Also fuhr Archie mit Alfie, so hatte er das Tier inzwischen genannt, die nähere Umgebung ab, immer auf der Suche nach einem geeigneten Stand- und Freßplatz für sein Schwein. Am Ende fanden sie ein passendes Quartier in der Königsheide. Gelegentlich besuchte Archie seinen Freund dort, und sie redeten dann über Dinge, bei denen sonst kein Schwein zugehört hätte. Zu Archies Entzücken sagte Alfie bei einer solchen Gelegenheit noch einen weiteren Vers von Roth auf: "Man schwärmt für bessre Welten sehr. / Was dafür tun, will selten wer."

Manfred Hocke

Raute

Leserbriefe an ROTFUCHS

Den RF halte ich nicht zuletzt deshalb für unersetzlich, weil er beweist, daß selbst bei älteren Semestern deren politische Standhaftigkeit keineswegs Kritik- und Lernfähigkeit ausschließt, wodurch auch Jüngere zu gewinnen sind. Allerdings kommen wir Alten nicht an der Erkenntnis vorbei, daß die junge Generation im 21. Jahrhundert den Schwerpunkt politischer Auseinandersetzungen weltweit immer mehr ins Internet verlagert. Mit anderen Worten: Dort geht die Post ab. Wer die Diskussion im "Netz" ignoriert, wird zum Außenseiter. Das gilt auch für uns RotFüchse. Es gibt sicher auch andere - doch zumindest von den mir bekannten Genossen besitzt zwar mancher einen PC und schaut sogar gelegentlich ins Internet, hingegen ließ sich bisher keiner für eines der vielen Foren oder Portale interessieren, in denen Diskussionen über historische sowie aktuelle politische Probleme geführt werden.

Ich (82) bin vor Jahren per Zufall in einem solchen Forum gelandet, wo die primitivsten und übelsten Anschuldigungen gegen die DDR bei Moderatoren und Hauptakteuren zum "guten Ton" gehörten. Dagegen ließ sich mit sachlichen Argumenten nur schwer ankommen, und es lag nahe, diesen scheinbar sinnlosen Versuch rasch zu beenden. Allerdings meldete sich dann doch die eine oder andere zaghafte Stimme mit dem bekannten "Es war ja nicht alles schlecht in der DDR, aber ..." Auch die "schweigende Mehrheit" begann sich zunehmend für die Thematik zu interessieren. Mittlerweile hat sich das Klima verändert. Die reaktionärsten Schreihälse sind gegangen, andere halten sich zurück. So kann ich unwidersprochen oder sogar mit positivem Echo über DDR-Themen schreiben.

Eine Mitwirkung wäre auch für manchen RotFuchs geeignet, der sich wie ich selbst nicht mehr an anderen Formen der politischen Arbeit beteiligen kann.

Ursel Münch, Strausberg


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Mit der raschen Anpassung an veränderte Situationen seit Jahrzehnten vertraut, faselte Angela Merkel plötzlich gewichtig vom "Ende des Atomzeitalters" und einer angeblich anders gewordenen Welt. Tatsächlich hat sich in der Politik der Kanzlerin gar nichts verändert. Im Gegenteil: Die Katastrophe von Fukushima und die Tragödie Hunderttausender Japaner rang ihr lediglich eine Moratorium genannte Beruhigungspille ab. Bald hieß es, der politische Beschluß besitze rechtlich kein Gewicht.

Eine andere Welt? Stinknormaler, ungebremster Kapitalismus, der keineswegs auf die Milliardenprofite der AKWs aus verlängerten Laufzeiten verzichten will, auch wenn jetzt weitgesteckte Fristen präsentiert werden.

Wir müssen die Kanzlerin nur immer richtig verstehen: Wenn sie Sicherheit als obersten Grundsatz benennt und diesem zu folgen gelobt, meint sie in Wahrheit Absicherung der Maximalprofite. Als sie vor Jahren beteuerte, "die Wirtschaft" sei für die Menschen da, hat sie natürlich auch nicht alle darunter verstanden, sondern nur die Reichsten der Reichen.

Und bitte nicht jubeln, wenn sie heute in Libyen (noch) nicht offen Krieg spielen will. Mit der in Stuttgart angesiedelten Leitstelle des U.S.-Afrika-Kommandos (Africom) sind wir ohnehin längst dabei.

Roland Winkler, Remseck


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Das ND schenkte Roland Jahn, dem Nachfolger von Gauck und Birthler, am 19. Mai eine ganze Seite, auf der er - Harmlosigkeit vorspiegelnd - beteuern durfte: "Rache war nie mein Sinnen." Anschließend schmähte er in den Spalten dieses Blattes die DDR munter als "Unrechtsstaat" und verleumdete das MfS nach allen Regeln der Kunst. Jahn verkündete eine zeitlich unbegrenzte Abrechnung mit der DDR. "Versöhnung" sei nicht Sache des Staates. Jahn wirft MfS-Mitarbeitern vor, einem "menschenverachtenden Unterdrückungsapparat" gedient zu haben. Nach Landes- und Völkerrecht wie nach persönlichem Empfinden waren sie jedoch DDR-Bürger, die dem Frieden und dem Schutz ihres Staates dienten. Seit dem "Sachsenspiegel" gilt in Rechtsangelegenheiten die Devise: "Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede - man muß sie hören alle beede."

Prof. Dr. Horst Schneider, Dresden


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Lieber Klaus Steiniger! Du hast in einem vom ND veröffentlichten Leserbrief auf das unsägliche Interview mit diesem unsäglichen Nachfolger in einem unsäglichen Amt Deine unmißverständliche Ansicht bekundet. Ich will Dich wissen lassen, daß ich mich damit voll solidarisiere und Dir dafür herzlich danke. Und solltest Du im "RotFuchs" dazu etwas sagen, kannst Du meine hier geäußerte Meinung auch verwenden.

Dein Armin Stolper, Berlin

Bemerkung der Redaktion: In der Leserzuschrift an das ND war davon die Rede, daß Roland Jahn nicht, wie dort dargestellt, der Versöhner der Nation Nr. 1, sondern nach Gauck und Birthler der deutsche McCarthy Nr. 3 ist.


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Wozu muß sich die BRD am Hindukusch verteidigen? Man rechne sich einmal folgendes durch. Ich gehe von einem Tagessold von 110 Euro für 5000 BRD-Militärs in Afghanistan aus, wobei die übrigen Kontingente am Horn von Afrika, im ehemaligen Jugoslawien und an anderen Einsatzorten noch gar nicht mitgerechnet sind. Hinzu kommen die Kosten für Sicherstellung der Logistik, Versorgung der Truppe mit Verpflegung, Munition, Waffen, Treibstoff, Ersatzteilen, Unterbringung, medizinische Betreuung und Lazarette. Bereits aus dieser verknappten Aufzählung wird ersichtlich, wohin unser Geld fließt und weshalb drängende soziale Probleme im eigenen Land nicht gelöst werden können.

Oberstleutnant a.D. Volker Kretzschmar, Potsdam


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"Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben". Unter diesem Titel veröffentlichten Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und Generaloberst a.D. Fritz Streletz bei edition ost ein bemerkenswertes Buch. Auf einige wirkt es provokativ, bei anderen führt es zur Nachdenklichkeit, für mich ist es wie ein Fels in der Brandung von Lüge, Hetze und Ausblenden historischer Zusammenhänge kurz vor dem 50. Jahrestag des "Mauerbaus".

Jeder, der an der Notwendigkeit der Grenzsicherung und ihrer militärischen Komponente im Sommer 1961 und danach zweifelte, findet hier genügend Argumente. Das Buch läßt aber auch hinreichend Raum zur Diskussion über diese brisante Thematik. Man muß den Gedankenaustausch nur wollen.

Oberst a.D. Hans Linke, Suhl


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Schon während meines Studiums Mitte der 50er Jahre hatte ich Gelegenheit, an einer Diskussion mit westdeutschen Hochschullehrern über Krieg und Frieden, NATO, Bundeswehr und Remilitarisierung der BRD unter gehäufter Verwendung von Offizieren der faschistischen Wehrmacht und solcher Politiker, die nur noch den "Fall Rot" kannten, teilzunehmen. Mich beschlich damals schon der Verdacht, die beiden Doktoren der Universität Heidelberg neigten zur Verharmlosung des Charakters und des Wirkens der imperialistischen Armee und ihres Bündnissystems. Heute operieren NATO und Bundeswehr weltweit und ohne alle Skrupel.

Vor einigen Jahren fand ich bei einem Besuch des NATO-Hauptquartiers in Brüssel mit einer Reisegruppe meine Einsichten und Vermutungen bestätigt. Hohe Offiziere bekannten sich dort als Referenten zur Erstschlagsdoktrin (dem Ersteinsatz von Atomwaffen) und dem Operieren der NATO auch "out of area", also zur Vorne-"Verteidigung".

Heinz Tellbach, Erfurt


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Nach der Einverleibung der DDR durch die BRD und der Auflösung des Warschauer Vertrages besaß die Bundeswehr keine Feinde mehr. 1991 erklärte ihr Generalinspekteur Admiral Wellershoff, Aufgabe der Truppe sei es, "zu einer dauerhaften Garantie des Friedens und der Sicherheit beizutragen".

Seitdem SPD-Wehrminister Struck die Verteidigung Deutschlands an den Hindukusch vorverlegte, haben sich Rolle und Funktion der Bundeswehr grundlegend verändert. Der CSU-Mann zu Guttenberg verkündete dann, die Bundeswehr führe in Afghanistan Krieg. Sein CDU-Nachfolger de Maizière trieb das von Guttenberg begonnene "Reformprojekt" weiter voran. Inzwischen ist das Ziel des "Umbaus" der Bundeswehr sonnenklar: Es geht um ihre jederzeitige und weltweite Interventionsfähigkeit im Rahmen der schnellen Eingreiftruppen von NATO und EU.

Dieser Umbau wäre mit einem Milliardenaufwand für Eurofighter, Marschflugkörper, Kampf- und Transporthubschrauber, Panzer und gepanzerte Fahrzeuge verbunden, von Erfordernissen des modernen Seekriegs ganz abgesehen. All das ist von der im Grundgesetz festgelegten Verteidigungsaufgabe der Bundeswehr meilenweit entfernt.

Oberstleutnant a.D. Egon Eismann, Wernigerode


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Zwischen 1980 und 2009 arbeitete ich als Bürgermeister in Nohra. Ich gehörte seit Juni 1962 der SED an und bin seit deren Auflösung Mitglied der PDS bzw. der Partei Die Linke. Leider muß ich bekennen, daß diese sehr wenig mit meinen Vorstellungen von einer Linkspartei zu tun hat. Seit sieben Jahren bin ich Mitglied der PDL-Fraktion im Kreistag Weimarer Land.

Ende vergangenen Jahres wurde ich "RotFuchs"-Leser. Die in der Zeitschrift veröffentlichten Beiträge empfinde ich als sehr lehrreich und in der politischen Akzentsetzung präzise. Ich fühle mich unter meinesgleichen! Deshalb möchte ich gerne Mitglied des RF-Fördervereins werden.

Gerhard Müller, Nohra/OT Ulla


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Herzlichen Dank für die Zusendung von insgesamt 40 RF-Exemplaren. Einige davon konnte ich an junge Genossinnen und Genossen der Antifa und des SDS Heidelberg weitergeben. Unter ihnen befanden sich auch kurdische Studenten.

Unlängst bin ich aus der Partei Die Linke ausgetreten. Deren Auffassungen stimmen mit meinen politischen Positionen nicht überein. Übrigens habe ich selbst in meinem Leben Fehler begangen, zumal ich noch zu den letzten Republikflüchtigen gehörte. Ich habe die DDR am 3./4. November 1989 verlassen. Elf Jahre lang hatte ich dem Marxismus-Leninismus abgeschworen, weitere sechs Jahre brauchte ich, um mich wieder zu unserer Weltanschauung durchzuringen. Das ist bis zum heutigen Tag eine enorme emotionale Herausforderung für mich. Leider habe ich viel zu spät erkannt und begriffen, daß meine Genossinnen und Genossen der SED aus Mühlhausen in Thüringen damals recht hatten. Jetzt bin ich Mitglied des RF-Fördervereins.

Kerstin Sterzenbach, Heidelberg


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Viele von uns Alten unter den RotFüchsen sind in der FDJ zu bewußten DDR-Bürgern erzogen worden. Ich selbst war seit 1948 dabei und erinnere mich oft und gern an viele schöne Erlebnisse im Jugendverband. Unsere Aktivitäten reichten vom Wegräumen der Trümmer auf dem Leipziger Augustus-Platz - er erhielt später den Namen von Karl Marx - bis zum interessanten Gruppen- und Sportleben. Die beiden Deutschlandtreffen der FDJ und die Weltfestspiele, die Messen der Meister von Morgen - das waren Höhepunkte in unseren jungen Jahren. - Im Westen wurde die FDJ schon 1952 verboten. Man überließ die Jugend sich selbst oder solchen Kräften, die sie für den Kapitalismus abrichteten.

Wolfgang Müller, Bad Düben


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Die Welle der Erinnerungen an die FDJ-Gründung vor 65 Jahren war überall zu spüren. In Zwickau fand ja dazu eigens eine RF-Veranstaltung statt. Dort erinnerten viele Teilnehmer an ihre Taten als FDJler und junge Genossen der SED. Wir besaßen in der DDR eine gut aufgebaute Volksarmee, die Volkspolizei und die Kampfgruppen. Alle wurden von erfahrenen Kommunisten geleitet.

Im RF 159 schreibt Generalmajor a.D. Dr. Dieter Lehmann in seinem Artikel "Die erste FDJ-Generation" u. a., daß es in Dresden eine Elsa-Fenske-Straße und eine Paul-Gruner-Straße gegeben hat, die 1989/90 umbenannt wurden. "Nach dem Anschluß der DDR an den Staat des deutschen Imperialismus fielen sie dem Tilgungswillen der Schilderstürmer zum Opfer."

Hat sich die DDR der BRD tatsächlich angeschlossen, obwohl es sich doch um eine Konterrevolution handelte, bei der die NVA, die KVP und die Kampfgruppen Knall auf Fall außer Gefecht gesetzt wurden? Wo blieben in dieser Situation all unsere erprobten Genossen? Nicht wenige zogen sich in ihre vier Wände zurück und sangen dort das erwähnte Lied der Waldschlößchen-Gruppe:

"Nie, nie woll'n wir wieder Waffen tragen.
Nie, nie zieh'n wir in den Krieg,
laßt die hohen Herren sich selber schlagen,
wir machen einfach nicht mehr mit."

Wolfgang Zierold, Oelsnitz/Erzgebirge


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Cosi fan tutte - so machen's alle. Mozart wählte diese Feststellung als Titel für seine komische Oper. Allerdings schwebten ihm dabei nur die Frauen vor. Mir kam die deutsche Übersetzung in den Sinn, als das Platzen der Dissertation des Freiherrn zu Guttenberg durch die Medien ging. Nachdem auch die Universität Bayreuth zu dem Ergebnis gelangt war, der noble Doktorand habe bewußt getäuscht, stellte sich der Adelssproß und Bürger der alten BRD offenbar auf den Standpunkt: "So machen es alle" und fand deshalb gar nichts Verwerfliches dabei.

Themenwechsel: Vor einiger Zeit brachte die "Sächsische Zeitung" einen Artikel über Adolf Hennecke. Autor war ein aus dem Westen importierter Historiker und Kommunikationswissenschaftler. Das DDR-Volk, schrieb der Jenaer Hochschullehrer, habe sich schon bald mit der Losung "Überholen ohne einzuholen" über die von Hennecke ausgelöste Aktivistenbewegung lustig gemacht. Etwa 14 Tage später erschien ein Leserbrief, in dem die Urheberschaft für diese Losung Walter Ulbricht zugeschrieben wurde. Ich ließ die Zeitung unter exakter Quellenangabe dann wissen, daß der namhafte Gelehrte Prof. Peter Adolf Thiessen am 27. Februar 1958 gesagt hatte: "Wir dürfen nicht nur Bekanntem hinterherlaufen. Wir müssen auch überholen, ohne einzuholen." Ich hatte dieses Zitat dem Protokoll der Beratung Walter Ulbrichts mit Wissenschaftlern und dem Buch Herbert Grafs "Mein Leben, mein Chef Ulbricht, meine Sicht der Dinge" entnommen. Wie und durch wen diese Orientierung dann zu einer allgemeinen politischen Losung wurde, vermag ich nicht zu sagen.

Gerhard Lehmann, Dresden


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In der Berliner Zeitung vom 28. April war ein Brief des "Doping-Opfer-Hilfevereins" veröffentlicht, in dem die Verfasser gegen die Aufnahme Renate Stechers und Gustav-Adolf Schurs in die Ruhmeshalle des Sports plädierten. Dabei verstieg sich eine Minderheit der DDR-Leistungssportler zu haßerfüllten Formulierungen wie "Schurs Rolle als zentrale Propagandafigur des kriminellen DDR-Sports". Mit dieser bodenlosen Frechheit werden über drei Millionen Mitglieder des DTSB beleidigt. Die Arbeit Tausender Übungsleiter, Schieds- und Kampfrichter sowie ehren- und hauptamtlicher Sportfunktionäre wird durch die Unterzeichner dieses Briefes in den Schmutz gezogen.

Der Freundeskreis der Sport-Senioren und die AG Sport der GRH verwahren sich gegen die dort geäußerten Unterstellungen. Sie werden ihre inhaltliche Tätigkeit verstärken und die Ehre denen zukommen lassen, die sie verdienen. Dazu gehören vorrangig Renate Stecher und Täve Schur.

Erhard Richter, Berlin


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Täve Schur war (und ist) für viele meiner Generation in sportlicher und menschlicher Hinsicht ein Vorbild. Ich denke, er steht weit über den Dingen und kann auch ohne Eintrag gesund und mit Selbstachtung gut leben.

Ich war in den 70er und 80er Jahren an zwei Berliner Sportschulen pädagogisch tätig. Ein Wort zum Doping: In bestimmten Sportarten gab es einige ehrgeizige Trainer und gewisse Forderungen. Das entscheidende Argument war, alles geschehe unter Aufsicht und Begutachtung qualifizierter Hochschulmediziner. Erst sehr viel später habe ich erfahren, daß gewissen Sportlern ohne deren Kenntnis Dopingmittel verabreicht wurden. Ich erinnere mich an diesbezügliche Gespräche mit Schwimmerinnen in Weißensee.

Doch eines steht fest: Der überragende Erfolg des DDR-Sports liegt nicht im Doping begründet, sondern in der qualifizierten Förderung von Talenten.

Westdeutsche Sportler haben mir unverbindlich davon berichtet, bei ihnen sei in den meisten Vereinen freimütig gedopt worden. Nach immer wieder auftauchenden Berichten geschieht das heute noch. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

Wilfried Meißner, Blankenburg


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In der Zeitung "der stacheldraht" (Nr. 3/2011) läßt sich ein Horst Schüler unter dem Titel "Halleluja für Relativierer" über Heinz Florian Oertel aus. Dem Mann ist es suspekt, daß ein renommierter Sportreporter auch politisch zu denken vermag: "Jetzt schreibt er Bücher wie 'Pfui Teufel' oder 'Halleluja für Heuchler'" beschwert sich Schüler über Oertel. Der wolle "uns die Leviten lesen, vor allem den Vertretern der christlich-kulturellen Werte".

Was versteht Schüler darunter? Etwa Afghanistan, wo angebliche Christen unter Mißachtung des fünften Gebots für imperialistische Interessen Amok laufen? Oder meint er eine bundesdeutsche Regierungschefin und Vorsitzende einer C-Partei, die öffentlich ihrer Freude darüber Ausdruck verleiht, daß Osama bin Laden durch ein US-Killerkommando in Pakistan ohne Gerichtsurteil gelyncht worden ist?

Wilfried Steinfath, Berlin


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Sehr geehrter Herr Kuhnt! Man kann ja zu Erich Loest stehen, wie man will. Doch wenn man wie Sie in Ihrer Leserzuschrift in der Mai-Ausgabe eine Meinung über ihn zum Ausdruck bringt, darf man auch nicht verschweigen, daß Herr Loest von 1947 bis 1957 der SED angehörte und siebeneinhalb Jahre wegen sogenannter konterrevolutionärer Gruppenbildung in Bautzen eingesperrt war. Bedenken Sie bitte, daß E. L. bei Kriegsende erst 19 Jahre war, so daß man eine NSDAP-Mitgliedschaft nicht als Totschlagsargument nutzen darf.

Frank-Eckhard Stahr, E-Mail


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Die neuen braunen Häuser im Sumpfland Europas ängstigen mich, viele um mich herum aber keineswegs, was mich noch mehr ängstigt. Der Mainstream wird in seinem Bodensatz immer bräunlicher. Berlusconi, Orbán u. a. sind dabei nur die sichtbaren Sumpfblüten des Bösen.

Manfred Hocke, Berlin


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Nach meinem RF-Leserbrief zur Aberkennung des einer Bautzener Kindestagesstätte in DDR-Zeiten verliehenen Namens Clara Zetkin fand ich in meinem Postkasten den "Dombrief" - das Mitteilungsblatt der katholischen St.-Petri-Gemeinde Bautzen für ihre Gläubigen. Darin wird darüber informiert, daß in der katholischen Bautzener Kindertagesstätte beschlossen worden sei, den Gruppen statt bisheriger Blumen- bzw. Pflanzennamen fortan die Namen Heiliger zuzuordnen. An ihrem Beispiel könnten die Kinder besser erzogen werden. Das geht also am Vorbild der Heiligen Hildegard, nicht aber an dem Clara Zetkins, die dem Namen "Löwenzahn" weichen mußte.

Helge Tietze, Bautzen


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- Wußten Sie bereits, daß für manchen am Anfang schon das Ende ist und für manchen am Ende noch immer nicht der Anfang?
- Kannst Du Dich erinnern? Es wurde zuviel über Weniges geredet, weil zu wenig über Vieles nachgedacht wurde.

Gerd Ziemann, Berlin


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Unlängst hatte ich einen Arzttermin, zu dem ich sehr früh bestellt worden war. Im Wartezimmer verging viel Zeit. Schließlich wurden wir durch die Sprechstundenhilfe aufgefordert, uns zur Entrichtung der Praxisgebühr anzustellen. "Sie wissen doch noch aus DDR-Zeiten, was eine Schlange ist", griff sie dabei zu einer Anspielung auf Schwachstellen leider längst vergangener, weil insgesamt sehr schöner Tage.

Ich hielt mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg und ergänzte das Gesagte durch den Kommentar, in der DDR habe man allerdings keine Praxisgebühr und keine Zuzahlungen beim Erwerb von Medikamenten entrichten müssen. Im Raum herrschte Schweigen, weil ich derart mit der Tür ins Haus gefallen war. Ältere Patienten guckten weg, manche vielleicht aus Nachdenklichkeit.

Als ich den Warteraum verließ, senkte auf einmal jene Dame, die den Göttern in Weiß zur Seite steht, ihr Haupt. Vielleicht war ihr inzwischen klar geworden, daß sie sich etwas zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte.

Dieter Kramp, Grevesmühlen


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In dem Beitrag über einen Brief von Friedrich Engels zum Problem der materialistischen Geschichtsauffassung (RF 160/Marxismus für Einsteiger) sind durch die Redaktion Fehler verursacht worden. So wurde ein Autor genannt, der mit dem Beitrag wirklich nichts zu tun hat. Schwerwiegender ist eine fehlerhafte Quellenangabe, die wißbegierige Leser bei der Suche nach dem Text in die Irre führt. Es handelt sich um Band 37 - Seiten 463 bis 465 - was ich korrekt angegeben hatte. Überdies ist das Zitat insoweit nicht exakt wiedergegeben worden, als Engels im zweiten Satz des Zitats nicht den Plural verwendet hat (mehr hat weder Marx noch ich ...), was übrigens zur damaligen Zeit üblich war. Dies zu ändern ist beim Zitieren nicht zulässig. Im gleichen Textzusammenhang hätte ich allerdings die Namen Marx und Engels nicht durch die Worte "unserer Klassiker" ersetzt, weil dieser Begriff nichts verdeutlicht und personell auch umfassender ist.

Dr. Ulrich Roehl, Berlin


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Trotz ihrer jüngsten Personalkosmetik, die auf üble persönliche Querelen gefolgt ist, verliert die FDP - die selbsternannte "Partei der Besserverdienenden" - weiter an Wählergunst und Ansehen bei der Bevölkerung. Die meisten ihrer Minister - von Frau Leutheusser-Schnarrenberger abgesehen - haben sich als ausgesprochene Stümper erwiesen. Den sachfremden Arzt Philipp Rösler mit der Funktion des Wirtschaftsministers zu betrauen, macht jedermann klar, daß dieser Amateur eine - wie zuvor schon als Chef des Gesundheitsressorts - absolute Marionette in den Händen der Konzerne ist.

Und überhaupt: Wer von 14,6% auf knapp 4% und in Bremen noch weit weniger bei Wahlen abstürzt, hat wohl fast alles falsch gemacht, was man in der Politik überhaupt versieben kann. Der Köder einer vorgeblich angestrebten Steuersenkung, den die FDP den Wählern vorsetzte, ist längst verdorben und bewegt niemanden mehr, kümmert sich diese Partei doch einzig und allein um die Profitmaximierung des Kapitals.

Oberstleutnant a.D. Hans-Joachim Hartlieb, Dresden


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Der Artikel "Mit Lenin-Maske gegen den Leninismus" von Willi Gerns aus Bremen ist recht überzeugend und trägt zum Verständnis vieler Erscheinungen der Vergangenheit bei. Aber der letzte Satz über die Notwendigkeit des Bestehens einer lebendigen, streitbaren kommunistischen Partei mit breit entfalteter innerer Demokratie und ständiger Kontrolle der Führung durch die Mitgliedschaft bewegt mich zu der Frage: Wann und wo hat es eine solche machtausübende Partei gegeben?

Peter Fricker, Berlin


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Zu den größten Errungenschaften der DDR gehört die 40 Jahre praktizierte Gleichberechtigung der Frau. Wir, die wir in der DDR gelebt haben, wissen sehr genau, wie das im einzelnen war. Angefangen von der verfassungsmäßigen Garantie des Rechts auf Arbeit unter absolut gleichberechtigten Bedingungen über eine besonders die Situation der Mütter erleichternde gesellschaftliche Infrastruktur - ich denke dabei vor allem an Krippen und Kindergärten - umschloß sie auch gleiche Bildungschancen für beide Geschlechter. Meine Frau arbeitete im VEB Steingutwerk Dresden als Porzellanmalerin. Es war klar, daß sie den gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen bekam. Unsere beiden Kinder wurden in entsprechenden Einrichtungen hervorragend betreut. Wie alle anderen Frauen in der DDR erhielt meine Frau einen bezahlten monatlichen Haushaltstag.

Unsere gewerkschaftlichen Forderungen, die der FDGB bereits 1946 formulierte - bezogen auf die vollständige Gleichstellung der Frauen - gingen in Erfüllung.

Gerhard Kmoch, Aachen


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Eine Kritik am Beitrag "Größe durch Schlichtheit: Erwin Strittmatter" im RF 160: Als jahrzehntelanger Leser und guter Freund Erwin Strittmatters freue ich mich über jede Würdigung seines Werkes. Doch ich bitte darum, bei den Fakten größere Sorgfalt walten zu lassen. Der "Ochsenkutscher" erschien bereits 1950 als Erstausgabe dieses Titels in der Büchergilde Gutenberg Berlin, nicht aber erst 1956. Ihm folgten 1953 "Katzgraben" und 1954 "Tinko" (nicht 1957). "Die Holländerbraut" kam erst 1960, nicht Anfang der 50er Jahre heraus. Strittmatters (DDR-)Start begann also mit Prosa. Die Hauptgestalt im "Wundertäter" Band 1 heißt Büdner, nicht Büttner! Der 2. Band der Trilogie erschien bereits 1973, nicht 1980. Alle diese Fakten sind in Meyers Taschenlexikon "Schriftsteller der DDR", Leipzig 1975, zu finden.

Ich habe "Tinko" schon 1955 im Kinderheim gelesen und war von der frischen, urkräftigen Sprache des Dichters begeistert.

Werner Voigt, Kromsdorf


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Mit einiger Verspätung habe ich Dieter Fechners verdienstvolle Würdigung Harry Thürks im RF 159 gelesen. Der Autor präsentiert einen ganzen Strauß von Titeln des äußerst produktiven Schriftstellers, dessen Bände ich seit den 70er Jahren verschlungen habe. Mich hat allerdings gewundert, daß ein Schlüsselwerk, nämlich "Der Gaukler" (Verlag Das Neue Berlin, 1978), mit keinem Wort Erwähnung fand.

Daran wird am Beispiel der fiktiven Figur des Ignat Issaakowitsch Wetrow hinreißend und realitätsnah entwickelt, wie Leute dieses Schlages an der langen Leine der CIA ihre Rolle im Kampf gegen die Sowjetunion gespielt haben. Im Klappentext heißt es: "Eine Geschichte von Intrige und Manipulation, Irreführung und grandiosem Bluff". Natürlich ging es nicht nur um Fiktion, sondern das leibhaftige Vorbild war der von den westlichen Zentralen der Konterrevolution zum "Großdichter" hochstilisierte Alexander Solschenizyn.

Das Werk hat damals viele Hintergründe des internationalen Klassenkampfes beleuchtet und besitzt noch heute seine Bedeutung, wenn man sich z.B. die in Washington, Berlin, Paris, Rom oder London ausgeheckten Versuche ansieht, immer wieder solche Figuren in Kuba, China oder sonstwo aufzubauen.

Heinz-W. Hammer, Essen


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Der Freundeskreis Walter Womacka e. V. beabsichtigt, 2012 eine thematische Wanderausstellung zum Gemälde "Am Strand" zu veranstalten. Dabei soll es um Geschichte und Geschichten dieses weithin bekannten Bildes gehen. Es wurde erstmals auf der V. Deutschen Kunstausstellung im Dresdner Albertinum vorgestellt und von 63% der 210.000 Besucher zum Lieblingswerk auserkoren. Seitdem sind 50 Jahre vergangen. Das Bild erschien auf Postern, Briefmarken und Buchtiteln, war Thema von Schulaufsätzen, hing in unzähligen Wohnzimmern, Klubs und Kultureinrichtungen sowie in "Studentenbuden". Es handelt sich um das am häufigsten reproduzierte Gemälde der DDR, über das heftig diskutiert worden ist.

Die Veranstalter suchen für diese Ausstellung niedergeschriebene Erinnerungen, frühe Reproduktionen, Fotos, Rezensionen, Texte aus Zeitschriften, Büchern und Katalogen, Schulaufsätze, kunstwissenschaftliche Ausarbeitungen u. v. a. Kunstliebhaber, wissenschaftliche Experten und Mitarbeiter kunstwissenschaftlicher Einrichtungen können sich an der Arbeit beteiligen. Gesucht wird auch ein ständiger Ausstellungsort. Sponsoren und Spenden sind erwünscht.

Interessenten werden gebeten, sich an den Freundeskreis Walter Womacka e. V., Pettenkofer Straße 40, 10247 Berlin, zu wenden.

Dieter Lämpe, Hoppegarten


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Wie immer habe ich auch die Mai-Ausgabe unseres RF gewinnbringend gelesen, studiert und anregend nutzen können. Dafür zunächst Dank. Doch an einem insgesamt sehr anerkennenswerten und aktuellen Beitrag stolperte ich hinsichtlich der Angaben über Schäden, die von den deutschen Faschisten seit dem 22. Juni 1941 in der UdSSR angerichtet wurden. In seinem Extra-Beitrag "Geschichtsentsorgung" spricht Bruno Mahlow von 17.000 in der UdSSR zerstörten Städten. Im Band 2 der Chronik zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung (Dietz Verlag 1966) ist von 1700 Städten die Rede. Vielleicht hat sich beim RF ein Druckfehlerteufel eingeschlichen, oder es wurde einfach eine Null zu viel geschrieben, die man bei der redaktionellen Bearbeitung übersah. Bei 17.000 und 1700 liegt diese Vermutung nahe.

Günther Bandel, Berlin

Bemerkung der Redaktion: In solchen Fällen - Druckfehlerteufel hin, Autorenirrtum her - liegt es immer an der Redaktion, die sich für die dritte Null entschuldigt.
Übrigens: Herzlichen Glückwunsch zum 85., lieber Günther!


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Der Artikel des Neubrandenburger Autors Wolfgang Giensch im RF 158 "Erfahrungsschatz muß rasch geborgen werden" findet unsere volle Zustimmung. Der Zufall wollte es, daß meine Frau und ich anhand derzeitiger Kosten und Preise wieder einmal über grundsätzliche Fehler unserer DDR-Preispolitik diskutierten, als wir mit Genugtuung diesen RF-Beitrag lesen konnten.

Er wirft manche Fragen auf. Beispielsweise: Wieso hat Walter Ulbricht bei allen Bemühungen um eine eigenständige DDR-Politik nicht Moskaus Fehler in der Preisgestaltung vermieden und diesbezügliche Erfahrungen Stalins aus den 30er Jahren für die DDR positiv genutzt, so daß es schließlich zu solchen Verwerfungen kam, wie sie im RF-Artikel dargestellt werden? Bekanntlich hatte Stalin den Versuch unternommen, im Zeichen des "nahenden Kommunismus" an die Bevölkerung kostenlos Brot abzugeben.

Wieso hat die DDR diesen der Realität nicht entsprechenden voreiligen Schritt des Jahres 1936 in modifizierter Form wiederholt? Die Konsequenz waren Niedrigstpreise wie 0,20 M für eine S-Bahnkarte, 0,80 M für ein Brot, 50 M Miete für eine 60 m² große Wohnung und ca. 60 M für einen Ferienscheck (14 Tage mit Vollverpflegung). Solche "Geschenke", die wir als Errungenschaften empfanden, haben zu unserer Niederlage beigetragen und sollten deshalb - bei aller Würdigung der DDR-Sozialpolitik - nicht vergessen werden.

Harry W. Schröder, Berlin


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Beim Ordnen und Sortieren von Erinnerungen aus zwar vergangener, aber unvergessener Zeit fiel mir eine Arbeit des bekannten Zeichners, Malers und Grafikers Gerhard Vontra in die Hände, die ich beilege. (Wir kommen in einer unserer nächsten Ausgaben darauf zurück - d. R.)

Uns verband über viele Jahrzehnte eine Freundschaft, die Gerhards Tod im vergangenen Jahr - er wurde fast 90 - leider beendete. Als damaliger Mitarbeiter der FDJ-Zeitschrift "Junge Generation" war ich mit G. V. des öfteren unterwegs. Ich erinnere mich an unser Herumkrabbeln in Schächten des Mansfelder Reviers, wo Gerhard unter schwierigsten Bedingungen zeichnete.

In Erinnerung ist mir der immer klare Klassenstandpunkt des keiner Partei Angehörenden geblieben. Er war ein gütiger und aufrechter Begleiter unserer Sache. So behalte ich ihn im Gedächtnis.

Jürgen Leichsenring, Döbeln


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Zweifellos ist es sehr verdienstvoll, daß die proletarische Revolution von 1871 durch den Beitrag über die "Pariser Himmelsstürmer" im Mai-RF in das aktuelle Bewußtsein politisch Interessierter gerückt wird. Dafür dem "RotFuchs" ausdrücklich danke! Dennoch ist der Zeitschrift ein textlicher Mißgriff unterlaufen. Er betrifft den Mord an den letzten Kommunarden auf dem Friedhof Père Lachaise. Die Mauer, an der dieses Verbrechen geschah, ist nicht als "Mauer der Füsilierten" in die Geschichte eingegangen, wobei mancher Hobby-Historiker diese Bezeichnung benutzt haben könnte. Indes darf man nicht vergessen, daß die Friedhofswand tatsächlich als "Mauer der Föderierten" geschichtsträchtig geworden ist.

Dieter Hornung, Berlin


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Ich wende mich gegen die Nivellierung unserer Geschichte. Zum Anlaß nehme ich einen Artikel der Sächsischen Zeitung unter der Schlagzeile "VVN wehrt sich gegen anonyme Tafeln".

Zum Sachverhalt: 1945 erfolgte die kampflose Übergabe der Stadt Meißen durch beherzte Bürger an die Rote Armee. Kaltblütigkeit und Zivilcourage gehörten damals dazu, fanatisierten Nazis entgegenzutreten. In den letzten Kriegstagen bedurfte es besonders großer Tapferkeit, Heimatliebe und Willenskraft, die eigene Angst zu überwinden und sich den Wahnsinnigen zu widersetzen, die eine historische Stadt wie Meißen zur Festung erklären und damit für die Vernichtung freigeben wollten. Ein Menschenleben galt in jenen Tagen absolut nichts. Wenn also solche Meißener wie Willy Anker und Herbert Böhme alles auf eine Karte setzten, dann sollte das namentlich gewürdigt und der Nachwelt übermittelt werden. Bereits über 1000 Bürger der Stadt haben sich unterschriftlich zu einer Namenserwähnung bekannt. Dem müßte durch die Behörden Rechnung getragen werden. Statt dessen sucht man sich in die Anonymität zu flüchten. Die derzeit in Sachsen praktizierte "Gedenkstätten-Politik" ist mir als einem langjährigen VVN-Mitglied völlig unbegreiflich.

Dipl.-Ing. Hermann Ziegenbalg, Riesa-Weida


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Hallo, ich habe an die vielen sozialistischen Parteien und Verbände nur eine Frage: Warum handelt Ihr nicht gemeinsam? Nur zusammen sind wir stark!

Überall auf der Welt raucht es gewaltig, und keiner weiß, wohin das führt. Wir sind der rettende Anker und müssen mit anderen linken Organisationen - so der PDL, die derzeit hierzulande wohl am einflußreichsten ist - in Verbindung treten. In meinen Augen ist das der einzige Weg, um etwas verändern zu können. Alle Gleichgesinnten müßten sich zusammenschließen, sonst erreichen wir gar nichts. Für mich gilt nach wie vor die Losung "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" Sie ist auch heute noch aktuell. Bitte tut was!

Rigo Dötsch, E-Mail

Raute

RF-Bezugsbedingungen Kurze Nachricht per Telefon oder E-Mail oder Briefpost an den Vertriebsleiter Armin Neumann genügt.

Er ist folgendermaßen erreichbar.
Tel.: 030/654 56 34
E-Mail: arminneumann@ewt-net.de
Adresse: Salvador-Allende-Straße 35, 12559 Berlin

Der RotFuchs wird ausschließlich aus Spenden und nach eigenem Ermessen jedes einzelnen finanziert.
Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.

Raute

IMPRESSUM

Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift für Politik und Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
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(Redaktionsadresse)

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Sylvia Feldbinder

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Quelle:
RotFuchs Nr. 162, 14. Jahrgang, Juli 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2011