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ROTFUCHS/148: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 194 - März 2014


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

17. Jahrgang, Nr. 194, März 2014




Inhalt

  • 8. März - das ganze Jahr über!
  • Alexandra Kollontai: Bedarf es eines Weltfrauentages?
  • März 1919: Noskes zweiter Amoklauf
  • DDR-Raketentruppen, ein Elite-Verband, der nie zum Einsatz kam
  • Der faschistische Werkschutz
  • Kopf einer braunen Schlange
  • Als der Sozialismus plötzlich nicht mehr siegte
  • Unter Hitler wie unter Adenauer ins Gefängnis geworfen: Martha Hadinsky
  • Bayerische Anfrage an Radio MDR zur Lage der Schwerbehinderten in der DDR
  • Student der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät
  • "RotFuchs"-Wegbereiter (10): Günter Strobel
  • Für ein marxistisches Ausbruchsprogramm
  • Ein Kommunist "von nebenan": Otto Hurraß
  • Jeder sechste DDR-Bürger besaß eine Genossenschaftswohnung
  • Aus Eddas Blickwinkel: Elbflorenz heute
  • Griff in die falsche Kiste
  • Zartrosa ist nicht Rot
  • "Ethische Grundsätze" eines Stromgiganten
  • RF-Extra - Christa Luft: "Jetzt reden wir"
  • RF-Extra -Sabine Wils: Die real existierende EU
  • Europäische Linkspartei: Nichts für Marxisten
  • "Browderismus" - gestern und heute
  • Cuban Five - Fünf große Umarmungen
  • Belgiens PTB: Jung, modern, revolutionär
  • Großbritannien, Griechenland, Spanien:
    Medienfreiheit - Western Style
  • USA: Träume von einer Wirtschafts-NATO
  • KP Sudans zeigt Al Bashir die Rote Karte
  • Mittelalter modern: Saudi-Arabien
  • Ryschkow über Toröffner hinter Kreml-Mauern:
    Die "fünfte Kolonne" in der KPdSU
  • Philatelistische Visitenkarte der DDR (10)
  • Der Löwenmut der Esther Bejarano
  • Als Julius Fucik 1934 nach Bayern reiste
  • Griff in die literarische Schatztruhe (17)
  • Letzter Gruß an den Vater des Herrn Fuchs
  • Gisela Steineckert: Hand aufs Herz
  • Leserbriefe

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Über "die Russen" und über uns

Im Frühsommer 1948 lud das ZK der KP der Tschechoslowakei, deren Staatsbürgerschaft wir damals neben der deutschen besaßen, meinen Vater und mich zu einem Erholungsaufenthalt in die Hohe Tatra ein. Im Speisesaal des in Tatranska Polianka gelegenen Sanatoriums saßen wir Tag für Tag mit einem anderen aus Berlin angereisten Patienten am Tisch. Es handelte sich um Rudolf Herrnstadt, der damals bei der "Berliner Zeitung" tätig war und wenig später Chefredakteur des Parteiorgans "Neues Deutschland" wurde. In jenen Monaten beschäftigte ihn, wie er bei gemeinsamen Spaziergängen wissen ließ, neben Titos "besonderem Kurs" vor allem das Verhältnis zwischen den Deutschen im Osten und ihren sowjetischen Befreiern. Noch im selben Jahr veröffentlichte er den aufsehenerregenden ND-Artikel "Über 'die Russen' und über uns", der wie eine Bombe einschlug und eine landesweite Debatte auslöste.

Während der Autor die mehrheitlich schwankenden und zum Teil sogar sehr konträr eingestellten Deutschen zur "richtigen Einschätzung der Rolle der Sowjetunion" aufforderte, machte Herrnstadt zugleich keinen Bogen um heiße Eisen. Auf die rhetorische Frage, ob es in der UdSSR nur Gutes, Schönes und Edles gäbe, antwortete er: Dort seien auch Tagediebe, Bürokraten, Karrieristen und Gauner, ja, selbst Mörder anzutreffen. Während in den imperialistischen Staaten jedoch die Gauner den Ton angäben und das öffentliche Leben prägten, Mörder als Stellvertreter der eigentlichen Machthaber Kriege vorbereiteten und die Massen zu unwürdigen Instinkten erzogen würden, befänden sich in der Sowjetunion Leute dieses Schlages historisch auf der Verliererstrecke.

In überfüllten Berliner Veranstaltungen am 10. Dezember 1948 und am 7. Januar 1949 wurde der Herrnstadt-Artikel mit großer Leidenschaft diskutiert. Am zweiten Abend saß ich im späteren Maxim-Gorki-Theater als kleine Maus mit roten Ohren im Publikum, während sich Alexander Abusch, Wolfgang Harich, Luitpold Steidle, Albert Norden, Gerhard Kegel und der sowjetische Hauptmann Tregubow, aber auch viele weniger Bekannte zu Wort meldeten. Die erste Veranstaltung moderierte der namhafte Slawist Prof. Wolfgang Steinitz, die zweite mein Vater, der Jurist Peter Alfons Steiniger, der Rudolf Herrnstadt vertrat.

"Ja, wenn die Russen 1945 (damals lag die Oktoberrevolution in dem europäisch-asiatischen Riesenland erst knapp 28 Jahre zurück! - RF) anders aufgetreten wären, hätten sie die ganze Bevölkerung für sich haben können", zitierte Herrnstadt ein damals häufig gebrauchtes Ausflucht-"Argument". Und er widerlegte auch diese heuchlerische Behauptung: "Wir wären alle Bolschewisten geworden. Deutschland war bereit, die Rote Armee als Erlöser zu empfangen."

Rudolf Herrnstadt wurde nach dem 17. Juni 1953 aus dem Politbüro des ZK der der SED ausgeschlossen. Fortan war er Archivar. Trotz anderer offizieller Begründungen erfolgte dieser Schritt aus meiner Sicht deshalb, weil er - einst Warschauer Resident des Aufklärungsdienstes der Roten Armee (GRU) - Moskaus strategischen Gedanken, eine Österreich-Lösung mit Neutralität und Nichtpaktgebundenheit für ganz Deutschland anzustreben, in der SED durchsetzen sollte. Diese Überlegungen der Großmacht UdSSR hatten in der Stalin-Note ihren prägnantesten Ausdruck gefunden. Walter Ulbricht und andere Politiker der DDR, für die bei einer Verwirklichung des durch die Westmächte aus antikommunistischer Borniertheit zurückgewiesenen sowjetischen Vorschlags offensichtlich keine 40jährige Existenz vorgesehen war, wiesen diese Linie berechtigterweise zurück und hielten am sozialistischen Aufbau fest.

An Herrnstadts wegweisenden Artikel wurde ich beim Versuch einer Analyse der heutigen Rußland-Politik des deutschen Imperialismus erinnert. Es ist schockierend zu erleben, wie Medien und Politiker der BRD nahtlos vom Antisowjetismus zum Russenhaß übergegangen sind. Von der seinerzeitigen Boykotthetze gegen die Moskauer Olympiade zum Giftmischen im Vorfeld der Winterspiele von Sotschi führt ein gerader Weg. Die furchtbaren Mordanschläge in der allen Antifaschisten teuren Heldenstadt Wolgograd mögen von islamistischen Terroristen aus dem Kaukasus begangen worden sein, waren jedoch Teil einer orchestrierten Kampagne des Imperialismus zur Diffamierung des Wettstreits der Sportjugend an der russischen Schwarzmeerküste. Dort hat niemand die Gaucks und Obamas vermißt. Und auch das ist zu hinterfragen: Warum konzentriert sich eigentlich der Haß der meisten bundesdeutschen Medien nicht auf Sjuganows KP der Russischen Föderation, sondern auf den Staatsmann und Politiker Wladimir Putin? Weder der Sozialismus-Liquidator Gorbatschow noch der Komasäufer Jelzin waren bei den Rußland-"Experten" der deutschen Konzernpresse jemals in solcher Weise "Mode". Die Imperialisten hassen Putin, weil sie an ihm nicht vorbeikommen, weil er sein Land - so sehr es auch in ökonomischer und sozialer Hinsicht heruntergekommen ist - weder den USA noch der NATO oder der EU, also den westlichen Wölfen, zum Fraß vorgeworfen hat. Und weil er sich gegen die Preisgabe der nationalen Souveränität Rußlands entschieden zur Wehr setzt. Nicht zuletzt aber auch, weil sein couragierter Außenminister Lawrow das unabhängige Syrien mit Nachdruck verteidigt, wobei er das Pulver des russischen Vetos im UN-Sicherheitsrat trockenhält.

Der Versuch, durch einen Griff Berlins und Brüssels nach der Ukraine Moskau den Zugang zum Erz von Kriwoi Rog, zur Kohle des Donezbeckens und zu den Schwarzmeerhäfen auf der Krim zu verlegen, ist ein Kernstück der imperialistischen Ost-Strategie.

Als ich 1997 im Auftrag der DKP am Parteitag der KP der Ukraine in Kiew teilnahm, spürte ich bereits den Druck des Gegners, aber auch die Bereitschaft vieler, dem Wüten der westukrainischen "Swoboda"-Faschisten, mit denen Klitschkos "U.D.A.R." verbündet ist, Einhalt zu gebieten. Pjotr Simonenko, der 1. Sekretär des ZK der standhaft gebliebenen KPU, verdeutlichte mir das in einem etwa zweistündigen Gespräch.

Zu DDR-Zeiten war ich ehrenamtlicher Kreisvorsitzender der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. In der Güstrower Kongreßhalle konnte ich in den 50er Jahren vor einem wohl tausendköpfigen Publikum den Wolga-Volkschor und das Ossipow-Volksinstrumentenorchester willkommen heißen. Wie damals stehe ich auch heute - nun als Teil der großen "RotFuchs"-Familie - für solidarische Verbundenheit mit allen Völkern der Russischen Föderation. Als deutsche Antifaschisten und engagierte Internationalisten folgen wir - rund 65 Jahre später - der Spur Rudolf Herrnstadts, der im damals sozialistischen ND den fanatischen Russen-Hassern eine Abfuhr erteilt hat.

Klaus Steiniger

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Lenins Mitstreiterin Alexandra Kollontai warf 1913 die Frage auf:
Bedarf es eines Weltfrauentages?

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Wie der "Bluthund" im März 1919 Berliner Arbeiter massakrieren ließ

Noskes zweiter Amoklauf

Die Berliner "Mission" Gustav Noskes war im Januar 1919 noch nicht beendet. Im März befahl der rechte Sozialdemokrat, der sich selbst als "Bluthund" bezeichnet hatte, erneut den Einsatz der Armee.

Seit Ende Februar hatten Proletarier von Berliner Großbetrieben die Unterstützung des Generalstreiks ihrer mitteldeutschen Klassengenossen verlangt, welche die Enteignung der Konzerne und die Erweiterung der Rechte der Arbeiter- und Soldatenräte erreichen wollten. Deren Berliner Vollzugsrat zögerte jedoch einen Beschluß dazu immer wieder hinaus.

Am 3. März 1919 rief die KPD zum Generalstreik auf, warnte aber zugleich davor, sich zu bewaffneten Auseinandersetzungen provozieren zu lassen. Sie forderte die Wahl von Betriebsräten in sämtlichen Unternehmen, ein Ende der Willkürherrschaft der Soldateska, die volle Herstellung des Vereins- und Versammlungsrechts, die Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit, die Auflösung der Freikorps, die Bildung einer revolutionären Arbeiterwehr, die Freilassung sämtlicher politischer Gefangenen und die sofortige Aufnahme von Beziehungen zu Sowjetrußland.

Am Morgen des 3. März 1919 begann der Streik. Schon am Nachmittag beschloß die Versammlung der Großberliner Arbeiter- und Soldatenräte mit etwa 400 Stimmen, darunter jenen vieler Sozialdemokraten, bei etwa 120 Gegenstimmen und 200 Enthaltungen den Generalstreik. Die preußische Regierung verhängte daraufhin den Belagerungszustand und übertrug Reichswehrminister Gustav Noske die vollziehende Gewalt. Der SPD-Parteibuchträger erließ sofort Haftbefehle gegen sämtliche Mitglieder der Zentrale der KPD. Noch am Abend des gleichen Tages wurden auf seinen Befehl die Redaktionsräume der "Roten Fahne" demoliert, die Druckerei der Zeitung wurde gesperrt. Schon in der Nacht zum 4. März verhaftete man mehr als 120 kommunistische Funktionäre.

In den Morgenstunden begann in Berlin der Einmarsch von über 30.000 Mann Noske-Truppen. Es kam zu ersten Gefechten mit Teilen der Republikanischen Soldatenwehr, der seit Januar 1919 auch die Reste der Volksmarinedivision unterstellt waren. Die Noske-Leute hatten Provokateure engagiert, die von der Soldatenwehr angegriffen wurden, als sie am Alexanderplatz plünderten und mehrere Polizeiwachen überrumpelten. Bei dieser handelte es sich um keine bewaffnete Formation der Kommunisten. Sie war vielmehr im November 1918 im Auftrag des Parteivorstandes der SPD durch den Stadtkommandanten Otto Wels gegründet worden. Sowohl die KPD als auch die USPD distanzierten sich von den Gewalttätigkeiten. Doch die bewaffneten Kämpfe waren nicht mehr aufzuhalten. Noske wurde so der gewünschte Vorwand geliefert, die Republikanische Soldatenwehr mit Waffengewalt auszuschalten.

Am 4. März legte der Generalstreik Produktion und Verkehr nahezu lahm. In der Nacht zum 5. März besetzten Angehörige des Freikorps Lüttwitz das Polizeipräsidium am Alexanderplatz. Bald darauf schossen diese von dort aus mit Maschinengewehren auf Einheiten der Republikanischen Soldatenwehr. Diese glaubten, es handle sich um aufgescheuchte Plünderer, und feuerten zurück.

Als der Abteilungsführer der Soldatenwehr Rudolf Klöppel im Polizeipräsidium vermitteln wollte, wurde er abgewiesen und beim Verlassen des Gebäudes hinterrücks ermordet. Gleichzeitig flog aus der Kaserne der berittenen Polizei eine Handgranate in ein vollbesetztes Lastauto der Republikanischen Soldatenwehr. Sie brachte darauf ein Geschütz in Stellung und wollte das von Lüttwitz-Truppen besetzte Polizeipräsidium aus U-Bahn-Schächten heraus stürmen. Doch die schlecht geführten Truppen erlitten schwere Verluste. Die Noske-Leute ließen im Hof des Polizeipräsidiums Artillerie auffahren, deren Salven vorwiegend Arbeiterhäuser trafen. Aus sicherer Entfernung abgefeuert, durchschlugen zentnerschwere Geschosse die U-Bahn-Decke, Flugzeuge bombardierten u. a. das Marinehaus am Märkischen Ufer.

Erbittert über das brutale Vorgehen der von Noske eingesetzten Freikorps-Verbände beschloß die Vollversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte, den Streik auf die Gas-, Wasser und Elektrizitätsbetriebe auszudehnen. Die SPD und die Freien Gewerkschaften zogen sich daraufhin aus der Einheitsfront der Streikenden zurück. Am 8. März brach dann auch die USPD den Ausstand ab. Reste der Soldatenwehr - einige Hundert Mann, darunter Matrosen und zu ihnen gestoßene Arbeiter - setzten den bewaffneten Widerstand gegen die Freikorps im Stadtteil Lichtenberg fort.

Noskes von Oberst Reinhard befehligte Truppen traten nun zum Angriff an, um die östlichen und nördlichen Arbeiterviertel zu besetzen und die Reste der "unzuverlässigen" Berliner Standorttruppen, die im November an der Revolution beteiligt gewesen waren, zu entwaffnen. Eine schreckliche Mordtat geschah, als sich Angehörige der Volksmarinedivision unbewaffnet in einem Bürohaus der Innenstadt einfanden, um Entlassungspapiere und Abschlußlöhnung entgegenzunehmen. Dreißig von ihnen wurden grundlos herausgegriffen, in den Hof geführt, an die Mauer gestellt und erschossen. Sie waren aber nur ein Bruchteil der in Berlin Ermordeten. Noske schätzte deren Zahl selbst auf 1200. Er hatte den Befehl erteilt: "Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen."

Anlaß für diesen folgenschweren Befehl vom 9. März sollte ein Massenmord gewesen sein, den Spartakisten angeblich tags zuvor in Lichtenberg verübt hatten. Über 150 Offiziere, Mannschaften und Beamte des Polizeipräsidiums, darunter auch Frauen, seien von den "Roten" nach dessen Erstürmung und der Einnahme des Hauptpostamtes erschossen worden, meldeten die "Vossische Zeitung", das "Berliner Tageblatt", die "BZ am Mittag" und der sozialdemokratische "Vorwärts" unisono.

Nur drei Tage später brachte die "Vossische" folgendes Dementi: "Nach den uns heute vorliegenden Feststellungen sind wir verpflichtet zu erklären, daß sich alle Nachrichten über die Massenerschießung von Schutzleuten und Kriminalbeamten bei der Eroberung des Lichtenberger Polizeipräsidiums als unwahr erwiesen haben. ... Solche Gefangenenmorde können zunächst überhaupt nicht als einwandfrei festgestellt gelten. Daß aber dieser Anschein erweckt wurde, ist das schwere politische Vergehen der vorliegenden Berichterstattung über die Vorgänge in Lichtenberg."

Noske störte die Richtigstellung nicht. Das Standrecht blieb weiter in Kraft. Die Kämpfe in Berlin endeten am 12. März mit der Einnahme Lichtenbergs. Tags darauf konnte Noske der Nationalversammlung in Weimar melden: "Es herrscht wieder Ruhe und Ordnung in Berlin."

Dr. Kurt Laser, Berlin

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Warum Heinz Keßler auf die DDR-Raketentruppen stolz sein kann

Ein Elite-Verband, der nie zum Einsatz kam

Der Militärverlag Berlin hat unlängst ein Buch über "Die Raketentruppen der NVA" herausgebracht. Es wendet sich weniger an waffentechnisch interessierte Spezialisten und mehr an militärpolitisch und geschichtlich engagierte Leser. In einem Geleitwort betont Armeegeneral a. D. Heinz Keßler, früher Verteidigungsminister der DDR, daß er noch heute stolz auf diese Elitetruppe der Nationalen Volksarmee sei. Ihn erfülle ein Gefühl der Genugtuung darüber, daß ihre Soldaten und Offiziere nie zum Einsatz gekommen seien.

Herausgeber Kurt Schmidt, wie die anderen Mitautoren selbst einst Angehöriger dieser Hauptfeuerkraft der DDR-Landstreitkräfte, stellt fest: "Die Raketentruppen (...) existierten keine drei Jahrzehnte. Und sie verfügten gerade einmal über ein reichliches halbes Hundert taktischer und operativ-taktischer Raketen, weitaus weniger als die Hälfte dessen, was die Bundeswehr besaß. Die NVA-Raketen waren mit konventionellen Sprengköpfen bestückt, denn die DDR war zu allen Zeiten frei von dem Wunsch, Nuklearwaffen besitzen zu wollen."

Das erste Kapitel betrachtet den 1962 begonnenen Aufbau der NVA-Raketentruppen im internationalen politischen Kontext - anders, als das in nahezu allen Mainstream-Publikationen über die DDR gehandhabt wird. Und gerade das Eingehen auf weltpolitische Hintergründe und Zusammenhänge macht den Wert dieses Buches aus. Deutlich wird gleich in mehreren Kapiteln, daß die Sowjetunion und die Warschauer Vertragsstaaten auch bei der Formierung und Ausbildung der Raketentruppen stets nur auf entsprechende Entwicklungen im Arsenal der USA und der NATO reagiert haben. Erinnert sei hier an den berüchtigten NATO-Doppelbeschluß. Die Autoren vermitteln einen aussagekräftigen Überblick zur Einordnung der beiden Raketenbrigaden und der selbständigen Raketenabteilungen der Divisionen in die Struktur NVA-Landstreitkräfte.

Auf die mehr technikbezogenen Kapitel wie "Ballistische Kampfraketen", "Raketentruppen und Kernwaffen", "Die Ausbildung in den Raketentruppen der NVA" und "Die Sicherstellung der Raketentruppen im Gefecht" soll hier nicht näher eingegangen werden.

Sehr aufschlußreich sind Ausführungen zu den "Raketentruppen der NVA in den 80er Jahren, deren Auflösung und Abwicklung". Hier geht es um das feindliche Verhalten von Bundesregierung und Bundeswehr gegenüber den Militärs der DDR, aber auch um das verantwortungslose Verhalten der Clique Gorbatschows und Jelzins bei der Rückführung der brisanten Waffentechnik nach Rußland.

Das Nachwort des Buches vermittelt einen detaillierten Überblick zu diversen Waffensystemen der Raketentruppen und der Artillerie. Es enthält auch den Redetext eines früheren NVA-Stabsoffiziers aus dem Jahr 2011, in dem es heißt: "Kanzleramt und Bonner Hardthöhe mißtrauten der ostdeutschen Armee zutiefst. Das Feindbild, dessen Existenz immer bestritten worden war, lebte fort und wurde nunmehr auch innenpolitisch sichtbar. Ziel war die restlose Delegitimierung der Nationalen Volksarmee, verbunden mit pauschaler Diffamierung ihrer Soldaten. Da fiel auch nicht ins Gewicht, daß die Nationale Volksarmee im Herbst 1989 die Waffen nicht gegen das Volk gerichtet hatte."

Sehr informativ sind überdies Angaben zum Schicksal der Berufsmilitärs der deutschen Friedensarmee nach dem 3. Oktober 1990 und über deren bis heute anhaltende Diffamierung. "Die angeblich vorbildhafte Vereinigung der Streitkräfte war in Wirklichkeit eine Abwicklung der Nationalen Volksarmee", heißt es hierzu. Eine Reihe von Anlagen vermittelt dem Leser eine exakte Information über die beiden Verbände und alle selbständigen Truppenteile der NVA-Raketentruppen (Bezeichnung, Tarnname, Aufstellungsdatum, Standort, Struktur, Kurzchronik, Kommandeure. Vorgestellt werden auch die Chefs der Raketentruppen und der Artillerie, weitere leitende Offiziere dieser Waffengattung sowie die Technik der einzelnen Raketenkomplexe.

Den Autoren dieses Sammelbandes ist zuzustimmen, wenn sie feststellen, daß eine objektive historische Einordnung der NVA insgesamt wie ihrer Raketentruppen nur möglich ist, wenn man sie in einen kritischen Vergleich mit der Bundeswehr stellt. Sie werden in dieser Frage aktuell: "1999, neun Jahre nach dem Ende von DDR und NVA, nehmen erstmals wieder deutsche Soldaten aktiv an einem Krieg teil. Auf dem Balkan, der in den 40er Jahren schon einmal mit faschistisch-deutschen Waffen umgepflügt worden war.

Im Juni 2013 befanden sich etwa 6300 deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen, die meisten davon in Afghanistan, 103 verloren dabei ihr Leben."

Da ist der Stolz Heinz Keßlers, daß Soldaten der NVA zu keiner Zeit an kriegerischen Handlungen beteiligt waren, durchaus verständlich. Er war tatsächlich Chef einer Armee, die sich ausschließlich der Landesverteidigung verschrieben hatte und nicht zur weltweiten Durchsetzung deutscher Großmacht- und Kapitalinteressen verpflichtet war.

Fazit: Dieses Buch haben weder "unpolitische" Waffen- oder Techniknarren noch DDR-Delegitimierer ohne Sachverstand geschrieben, sondern durchaus kritische Insider mit einem umfassenden Wissen und mit einer komplexen Sicht auf das Thema. Herausgekommen ist eine wahre militärhistorische Fundgrube.

Siegfried R. Krebs, Weimar

Kurt Schmidt (Hg.): Die Raketentruppen der NVA. Militärverlag in der Eulenspiegel-Verlagsgruppe, Berlin 2013, 224 Seiten mit Abb., 19,95 Euro, ISBN 978-3-360-02717-7

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Wie der faschistische Werkschutz die "Judenvernichtung" betrieb

Antisemitisches Mordinstrument

Der Werkschutz, das betriebliche Terrororgan in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in Deutschland und den besetzten Gebieten, war an der "Judenvernichtung" des faschistischen Staates führend beteiligt. Er übernahm in den Betrieben geheimpolizeiliche, polizeiliche, militärische und ökonomische Aufgaben und agierte ganz im Sinne Heinrich Himmlers als eine Art innere Wehrmacht. Dafür wurde er ab 1933 sukzessive in den deutschen Betrieben aufgebaut. Unter dem Begriff Werkschutz wurden Funktionen des Hauptabwehr- bzw. Konzernabwehrbeauftragten in Großbetrieben wie der I. G. Farben, der Daimler Benz AG, der Junkers AG und der Krupp AG, die Abwehrbeauftragten, die ihm unterstellten oder in Personalunion verbundenen Werkschutzleiter und die hauptamtlichen und nebenamtlichen Werkschutzmänner zusammengefaßt. Die Stärke dieses Repressionsorgans nahm bis 1945 rapide zu. Allein aus dem Bereich der Staatspolizeistelle Darmstadt wurden 1944 rund 2000 Werkschutzangehörige gemeldet.

Seine über den Betrieb hinausgehende staatliche Funktion zeigte sich nicht nur in der Durchführung von Morden und Massenhinrichtungen jüdischer Häftlinge, z. B. auf dem Werksgelände der HASAG. Der Werkschutz war auch an groß angelegten Ausrottungsaktionen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in den "Ostgebieten" beteiligt. Es kam sogar zu seiner organisatorischen Einbettung in die Einsatzgruppen im faschistisch besetzten Teil der Sowjetunion, wo er in Gestalt seiner Abwehrbeauftragten sichtbar agierte. Spätestens 1939 war es Reinhard Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei gelungen, diese und damit den Werkschutz als "Hilfsorgan" strukturell an die Gestapo und den SD zu binden.

Das drängendste Problem des faschistischen Staates blieb bis zum Ende die Versorgung der Industrie und der Militärmaschinerie mit Öl. Um die "Gesamtinteressen Großdeutschlands" auf diesem Gebiet "zu befriedigen", wurde die deutsche Ölwirtschaft in einem staatsmonopolistischen Unternehmen zentralisiert. Diese Kontinentale Öl AG sollte gemäß der Weisung Görings zwar "unter staatlicher Leitung stehen, jedoch im übrigen von der Privatwirtschaft geführt werden". Die Dresdner Bank war mit einem Drittel an der Monopolgesellschaft beteiligt. Die ständige Federführung lag jedoch bei der Deutschen Bank. Die Kontinentale Öl AG expandierte rasch in Richtung Osten. Das Wirtschaftsministerium übertrug ihr die Ausbeutungsrechte für die reichen sowjetischen Erdölfelder. 1941 erhielt sie die Anweisung, spezielle Betriebe unter der Holding für die Plünderung verschiedener Ölregionen in den besetzten Gebieten aufzubauen, so für die baltischen Staaten.

Das einmütige Handeln von Staat und Wirtschaft zeigte sich auch im Einsatz des Werkschutzes in der Judenvernichtung außerhalb der betrieblichen Einrichtungen. Dafür wurde ein Werkschutzausbildungslager in Moderowka unweit von Krakau errichtet. Im Sommer 1942 fanden in diesem Distrikt zwei "Aussiedlungsaktionen" der Gestapo statt. Der Außenstelle Jaslo des Kommandeurs der Krakauer Sicherheitspolizei wurden hierzu die Werkschutzmänner des Ausbildungslagers Moderowka unterstellt.

Nach dem Krieg ermittelte die DDR-Staatsanwaltschaft gegen ehemalige Werkschutzangehörige der Kontinentale Öl AG wegen von ihnen begangener Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Einer der Beschuldigten war Oberwachführer Herbert Schneider, Kompaniechef und Ausbilder im Lager Moderowka.

Die HASAG - einer der größten Munitionsproduzenten Europas - war eng mit der Dresdner Bank, die auch als "SS-Bank" bezeichnet wurde, verflochten. Hohe und gut dotierte Positionen in der Verwaltung besetzte man auf Betreiben des Generaldirektors Budin und Himmlers mit ausgemusterten Schriftsteller-Generälen. Auch im Werkschutz wurde früh auf die Kooperation mit der SS und dem SD gesetzt. 1938 stellte Budin den SS-Untersturmführer Axel Schlicht als Werkschutzleiter des Leipziger HASAG-Hauptwerkes ein. Im November 1939 schrieb Budin an SS-Hauptsturmführer Schallermeyer im persönlichen Stab Himmlers, es sei "dringend notwendig", bei der Fabrik in Kamienna, die durch die HASAG und den berüchtigten Wehrwirtschaftsführer Röchling in Gang gebracht worden war, zwei Gestapo-Leute einzusetzen. Dort schufteten bislang 1000 polnische Zwangsarbeiter. Der Werkschutz sollte personell durch SS-Männer gestellt werden.

Im November 1939 schrieb Budin an den persönlichen Stab Himmlers, es wäre ihm "lieb, wenn Sie veranlassen würden, daß sofort 30 SS-Männer ­... freigemacht werden, um in Kamienna als unsere Werkschutzbeamten in der früheren polnisch-staatlichen Munitionsfabrik ­... eingesetzt zu werden". Nachdem die polnischen Zwangsarbeiter ins "Reich" deportiert worden waren, setzte die HASAG Juden zur Arbeit ein. Insgesamt überließ man ihr 25.000 "Arbeitsjuden", von denen mehr als die Hälfte umkam. In Skarzysko-Kammiena hatte die HASAG drei Werke, in denen jeweils ein "Judenlager" mit einem Lagerkommandanten aus der SS eingerichtet wurde. Für die Bewachung der Häftlinge war der 180 Mann umfassende Werkschutz zuständig. Die Frauen und Männer mußten täglich zwölf Stunden in der Granatenproduktion arbeiten. Besonders das Werk C galt als "Todesfabrik". Jeden Tag starben dort 25 bis 60 Menschen. Die Arbeiter wurden von Meistern, Vorarbeitern und vor allem dem Werkschutz terrorisiert.

Die Brutalität und Mordlust brach sich in Ohrfeigen, Stockschlägen, der Mißhandlung mit Gummischläuchen, Stahlrohren, Riemen oder Brechstangen Bahn. 1943 erhängte der Werkschutz sechs Menschen auf dem Betriebshof. Er führte regelmäßige Selektionen durch. Im Anschluß brachte er die Arbeitsunfähigen und Kranken auf dem betriebseigenen Schießplatz um. Eine letzte große Selektion fand im Juli 1944 kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee statt. In der Nacht zum 30. Juli unternahmen rund 250 Häftlinge des Werks C einen Fluchtversuch. Dieser scheiterte jedoch.

Fast alle Häftlinge wurden daraufhin in den umliegenden Wäldern vom Werkschutz ermordet.

Otto Wendland, der Sicherheitsdirektor und Werkschutzverantwortliche der Flugzeugwerke Junkers, führte - von der Firma beurlaubt - das Einsatzkommando 9 und das Sonderkommando 7 a der Einsatzgruppe B "vertretungsweise" im mittleren Abschnitt der "Ostfront". Bis Ende 1941 ermordete die Einsatzgruppe B allein in Belorußland mehr als 46.000 Juden. Ein Trupp des Einsatzkommandos 9 brachte im Mai und Juni 1942 über 12.000 Juden um, während das Sonderkommando 7a im rückwärtigen Gebiet der 253. Infanteriedivision Jagd auf Kommunisten, Juden und Roma machte. Nach seinem "Osteinsatz" kehrte Wendland in seine alte Funktion bei Junkers zurück.

Stephan Jegielka, Berlin

Der gekürzte und leicht redigierte Beitrag erschien im "Rundbrief" 3/4 2013 der Bundesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus der Partei Die Linke.

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Auch nach dem 8. Mai 1945 wurde Niedersachsen von Nazis regiert

Kopf einer braunen Schlange

Meine Damen und Herren, die CDU hat ihre geistigen und politischen Wurzeln im christlich motivierten Widerstand gegen den Terror des Nationalsozialismus. Das ist die Wahrheit!", verkündete der spätere Kultusminister Dr. Bernd Althusmann am 9. Mai 2008 im Niedersächsischen Landtag.

2009 präsentierte dann die Landtagsfraktion der Partei Die Linke eine Dokumentation mit dem Titel "Braune Wurzeln - Altnazis in den niedersächsischen Landtagsfraktionen von CDU, FDP und DP", in der sie 71 Fälle offenlegte. In diesem Pulk befand sich auch CDU-Finanzminister Dr. Georg Strickrodt, der Verträge über das Aussaugen von KZ-Zwangsarbeitern entwarf, und SS-Obersturmführer Otto Freiherr von Fircks, ein Spezialist für Zwangsaussiedlungen in Lódz bis 1942, später im Vorstand des "Arbeitskreises für Ostfragen" der CDU.

Eine Untersuchung, mit der das Beratergremium "Historische Kommission für Niedersachsen" bereits 2009 beauftragt worden war, führte 2012 zur Identifizierung von 204 ehemaligen NSDAP-Mitgliedern unter den 755 Landtagsabgeordneten. Als dann im Juni 2013 die Göttinger Historikerin Teresa Nentwig eine Biographie des ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) vorlegte, ging die Bombe hoch: Der derzeitige Ministerpräsident Weil (SPD) empörte sich, Kopf habe seinerzeit den Landtag belogen und forderte eine "lückenlose Aufklärung". Die damit beauftragte konservative Historische Kommission sollte eine sofortige Debatte verhindern, mußte Nentwigs Erkenntnisse am Ende aber voll bestätigen: Kopf war in der Nazizeit Mitinhaber einer Berliner Immobilienfirma, aus der er seinen jüdischen Kompagnon ausbootete und an dessen Stelle den früheren Landrat Edmund Bohne als Partner auserkor. Die Firma lief von 1939 bis 1940 höchst profitabel.

Dann wurde Kopf zum Generalbevollmächtigten der "Treuhand-Ost" im besetzten Polen ernannte. In Freiherr von Fircksens Wirkungskreis verhökerte er das Eigentum ermordeter oder verfolgter Juden und Polen. Als Kompensation für seine Verdienste bei der "Entjudung" und "Eindeutschung" erhielt er satte Provisionen.

Am 9. Dezember 2013 berichtete die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" nach Vorliegen des Gutachtens der Kommission, die für die Beibehaltung nach Kopf benannter Schulen, Straßen und Plätze "in Anbetracht seiner Verdienste beim Aufbau des Landes Niedersachsen" optiert hatte, über neueste Forschungsergebnisse des Göttinger Universitätsprofessors Frank Möbus. Demnach hatte Kopf eine ganze Seilschaft von Altnazis, besonders mit kriegswirtschaftlicher Rauberfahrung, in der Ministerialbürokratie des Bundeslandes um sich geschart. Justus Danckwarts, Ministerialrat der Staatskanzlei, wurde 1948 Landesbeauftragter beim Verfassungskonvent in Herrenchiemsee, der das westdeutsche Grundgesetz ausarbeitete.

1940 war er allerdings Chef der Militärverwaltung auf dem Balkan gewesen, wo er die "Erfassung" von Juden mit plante. 1943 beteiligte sich Danckwarts an der Vorbereitung der Mordaktion im ukrainischen Kamenez Poldolsk, bei der 23.600 jüdische Leben ausgelöscht wurden.

Im "Wilhelmstraßen-Prozeß", der 1948 stattfand, konnte die begünstigende Aussage von Danckwarts eine Verurteilung des Kopf-Freundes Wilhelm Stuckart, der als SS-Obergruppenführer an der Wannsee-Konferenz zur Vernichtung der europäischen Juden beteiligt gewesen war, zwar nicht verhindern, doch wurde dieser später Geschäftsführer des "Instituts zur Förderung der niedersächsischen Wirtschaft".

Im Zusammenwirken mit dem "Arisierer" und Gauwirtschaftsführer Heinrich Hunke, dem Leiter der Abteilung für Vermögen und Finanzierungshilfen im niedersächsischen Finanzministerium, war er Kopfs verläßliche Stütze, zumal beide über eine gemeinsame "Berufserfahrung" verfügten.

Es erweist sich einmal mehr, in welchem Maße die Entstehungsgeschichte sämtlicher Parteien im Westen - mit Ausnahme der 1956 verbotenen KPD - ab 1945 von Altnazis bestimmt worden ist. Für die SPD war Kopf eine "Lichtgestalt des demokratischen Wiederaufbaus". Der Landesvater Niedersachsens von 1946 bis 1955 wurde als "volks- und heimatverbundener Politiker" sowie als "vorbildlicher sozialdemokratischer Genosse" bezeichnet. Ganz im Sinne Kurt Schumachers und seiner Mannen, die am 5. Oktober 1946 in Wenningen bei Hannover einer Zusammenarbeit mit der KPD, wie sie andere Niedersachsen im Wege der Gründung der SED verwirklichen wollten, eine Absage erteilten.

Nun suchen niedersächsische SPD-Funktionäre landauf, landab nach Möglichkeiten, sich aus dem Desaster herauszuwinden. Sie folgen den Empfehlungen der erwähnten Historischen Kommission, Kopfs Name auf dem Platz vor dem Landtagsgebäude, auf etlichen Straßenschildern und selbst an Schulgebäuden zu erhalten. Er könne einfach nicht "aus der Geschichte getilgt" werden.

Die BRD sei über "kleinliche Rache" erhaben, "Verdienst" bleibe "Verdienst, und "Ehre" bleibe "Ehre", heißt die Parole.

Bislang gibt es im Landtagshandbuch und der Ahnengalerie noch keinerlei biographische Hinweise auf das wahre Geschehen. Eine Dokumentation zur "Widersprüchlichkeit" Kopfs solle ihren Platz dort finden, heißt es.

In Lüneburg gibt es ebenfalls eine "Hinrich-Wilhelm-Kopf-Straße". Sie durchzieht eine frühere SPD-Mustersiedlung, die heute von Arbeitslosen und Mitbürgern ausländischer Herkunft bewohnt wird. Fast nebenan liegen eine "Anne-Frank-Schule" und Straßen, die nach ermordeten Männern aus dem bürgerlichen Widerstand gegen Hitler benannt worden sind. Der SPD-Oberbürgermeister Lüneburgs, bekannt für sein Motto "Unsere Stadt steht zur Fahne", will es dabei belassen.

Vizekanzler Gabriel tönte am 100. Geburtstag Willy Brandts: "Die SPD hat immer schon gewußt, was Recht und was Unrecht ist!"

Wirklich? Der einstige Frontstadtbürgermeister und Kanzler der Berufsverbote - als "Gigant des 20. Jahrhunderts" und "Urgestein der Sozialdemokratie" glorifiziert - beglückwünschte Hitlers Lieblingsdichterin Agnes Miegel ebenso zum Geburtstag wie die Tochter des Nazi-Rüstungsministers Albert Speer zur Entlassung ihres Vaters aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis.

Von "Widersprüchlichkeiten" und "Brüchen" kann da wohl kaum die Rede sein, weit eher von unheilvoller Kontinuität!

Jobst-Heinrich Müller, Lüneburg

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Als der Sozialismus plötzlich nicht mehr siegte

Hätte der SED/PDS-Sonderparteitag, der im Dezember 1989 in der Berliner Dynamohalle stattfand, ein positives Aufbruchssignal gegeben, dann wäre aus meiner Sicht die Erhaltung der staatlichen Machtorgane bis hin zum Widerstand gegen die Besetzung der Dienststellen des MfS und eine Stärkung der sozialistischen Kräfte an den "Runden Tischen" möglich gewesen. Das Ausbleiben eines Kampfes um den Erhalt der DDR indes allein diesem Parteitag anzulasten, ist für mich nicht nachvollziehbar, weil die Ursachen dafür tiefer liegen. Hinzu kommt, daß völlig unklar bleibt, ob zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch die reale Möglichkeit zum Erhalt der DDR bestanden hätte, ernsthafte Versuche dazu vorausgesetzt. Hätte die Partei noch eine Chance gehabt, selbst wenn sich auf der Beratung in der Dynamohalle der marxistisch-leninistische Flügel durchgesetzt hätte?

Ich möchte Prof. Dr. Horst Schneider zustimmen: "Wer den Gegner nicht wahrnimmt oder unterschätzt, hat schon verloren." Das aber wurde vor dem folgenschweren Herbst 1989 durch die Parteiführung nicht mehr beachtet.

Ich war kein Delegierter des Parteitags, mir aber bewußt, daß sich in der SED vieles ändern mußte. Patentlösungen konnte es nicht geben. Der Mehrheit der noch verbliebenen Mitglieder war klar, daß sie am Marxismus-Leninismus, am Sozialismus als gesellschaftlichem Ziel und am sozialistischen Staat festhalten wollten. Den meisten Teilnehmern am Parteitag etwas anderes zu unterstellen, halte ich nicht für redlich, wenngleich die spätere Entwicklung in der PDS durchaus Veranlassung für solche Überlegungen sein konnte.

Die Delegierten hatten schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Wer vermochte angesichts der entstandenen Situation zu sagen, welche Barrikaden gegen die Konterrevolution hätten errichtet werden müssen? Alle Beteiligten befanden sich in einer verzweifelten Situation, die sie sich noch wenige Monate zuvor so nicht hätten vorstellen können, ja, die ihnen sogar völlig undenkbar erschienen wäre. Plötzlich siegte der Sozialismus nicht mehr so selbstverständlich, wie das die vielerorts angebrachten Losungen verkündeten. Wer hätte damit gerechnet, daß es plötzlich um die Existenz der Partei und das Weiterbestehen der DDR gehen würde?

Die Akteure des Parteitags haben - nicht ohne harte Auseinandersetzungen untereinander - in dieser Frage richtig entschieden. Andere Beschlüsse waren damals bereits bedenklich und erwiesen sich in ihrer weiteren Umsetzung de facto als der Beginn einer Sozialdemokratisierung der Partei. Dennoch möchte ich dem höchsten Gremium der SED/PDS insgesamt nicht das Bemühen um die Partei und den Sozialismus absprechen.

Wenn in den damaligen und darauf folgenden Konflikten solche Auffassungen die Oberhand gewonnen haben, die dazu führten, daß sich die marxistisch-leninistische Linie nicht durchzusetzen vermochte, dann ist das besonders schmerzlich. Aber ich frage mich: Wo waren denn in der schweren Zeit, die dem Parteitag folgte, wirklich intakte und gebündelte marxistisch-leninistische Kräfte? Wie haben sie um den Erhalt oder die Wiederherstellung einer Partei gerade dieses Charakters gekämpft?

Warum haben sie nicht wenigstens versucht, den an den Klassikern orientierten Kern der Partei zu erhalten und zu stärken? Um wieviel mehr käme heute das Gewicht der klassenkampferfahrenen Kommunisten aus der alten BRD und Westberlin, der Kommunistischen Plattform, des Marxistischen Forums und anderer Kräfte in der Auseinandersetzung mit den Reformisten in der Partei Die Linke zum Tragen? Ich wollte nie einer sozialdemokratischen Partei angehören. Solange es in der Linken noch Strukturen gibt, die den Marxismus-Leninismus zur Grundlage ihres Denkens über die Gesellschaft machen, werde ich auch Mitglied dieses Teils der Partei bleiben.

Jürgen Stenker, Halle/Saale

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Unter Hitler wie unter Adenauer ins Gefängnis geworfen: Martha Hadinsky

Die meisten werden Martha Hadinsky nicht einmal dem Namen nach kennen. Doch diese Frau verdient es, daß man an sie erinnert.

Am 31. Oktober 1911 in einer Bergarbeiterfamilie geboren, arbeitete sie später als Einzelhandelskauffrau in Mühlheim. Bereits in jungen Jahren lehnte sie sich gegen das Hitlerregime auf. 1936 wurde sie wegen ihres aktiven Engagements in einer Gruppe junger Widerstandskämpfer verhaftet. Die Gestapo hatte herausgefunden, daß Martha Hadinsky der "Arbeitsbank" und dem "Sportverband" beigetreten war. Deren Ziel bestand darin, Angehörige des "Reichsarbeitsdienstes" und junge Athleten für den Kampf gegen die Nazis zu gewinnen. Im sogenannten Duisburger Jugendprozeß wurde Martha Hadinsky zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die ihr auferlegte Strafe verbüßte sie im Frauenzuchthaus Ziegenhain bei Kassel. Hier erkrankte sie an Tuberkulose, so daß sie nach achtjähriger Haft vorzeitig entlassen wurde. Wieder auf freiem Fuß, setzte Martha Hadinsky den Kampf ungebrochen fort. Sie knüpfte Kontakte zu politischen Häftlingen des Zuchthauses Lüttringhausen, die von den Faschisten als "Bombensuchkommando" eingesetzt wurden.

Nach der Zerschlagung der Hitlerdiktatur kam die erprobte Widerstandskämpferin in Adenauers "Rechtsstaat" nicht an. Ihrer Gesinnung blieb sie treu. Auch nach dem am 16. August 1956 vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ausgesprochenen KPD-Verbot gab Martha Hadinsky nicht auf. Das ließ bundesdeutsche Richter in Aktion treten. Am 27. August 1959 stand sie ein zweites Mal vor einem politischen Sondergericht. Man warf ihr vor, eine überzeugte Kommunistin geblieben zu sein. "Aus Abschreckungsgründen" sei es daher geboten, eine Strafe auszuwerfen, die "kommunistischer Wühltätigkeit" Grenzen setze, hieß es in der Urteilsbegründung.

Diesmal erhielt Martha Hadinsky "nur" ein Jahr und vier Monate Gefängnis. Anträge ihrer Verteidiger auf vorzeitige Haftentlassung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe wurden mit der Begründung zurückgewiesen, die Strafgefangene habe "keine Reue gezeigt". Die Landesrentenbehörde verlangte "Wiedergutmachung" und forderte die bisher gezahlte Summe zurück.

Damals entzogen die selbsternannten Rechtsnachfolger des faschistischen Dritten Reiches nicht wenigen fortschrittlich eingestellten Menschen in der BRD - vornehmlich Kommunisten - die materielle Lebensgrundlage. Ausdruck dieser Politik waren die unter Willy Brandt - dem Idol so mancher PDL-Politiker - verhängten Berufsverbote. Martha Hadinsky sah kein Land mehr. Am 3. Juni 1963 nahm sie sich das Leben.

Wilfried Steinfath, Berlin

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Hatten alle schwerbehinderten DDR-Bürger einen Arbeitsplatz?

Anfrage an Radio MDR

Am 3. Dezember 2013 brachte Radio MDR Thüringen mehrere Beiträge zum Thema "Die Welt schaut auf Menschen mit Handicap". So berichtete der Sender darüber, daß Schwerbehinderte in der BRD nach wie vor kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Diese Meldung korrespondierte mit folgender Information: "Die Bundesagentur für Arbeit warnt vor einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit bei Schwerbehinderten."

Noch am selben Tag schrieb ich an die Zuschauer-Redaktion des Senders: "Da ich selbst zu 80 % schwerbehindert bin und über 20 Jahre Personalratsmitglied war, können Sie leicht nachvollziehen, daß ich bei diesem Thema sehr sensibel reagiere und genau zuhöre, wenn es um die Situation schwerbehinderter Menschen in der Arbeitswelt geht. Ich kenne diese in der BRD seit über 40 Jahren. Als ich heute Ihre Beiträge hörte, kam mir der Gedanke nachzufragen, wie denn das Arbeitsleben schwerbehinderter Menschen in der DDR geregelt gewesen sei. Da ich als Personalrat gewohnt war, Gesetze und Verordnungen zu lesen, dachte ich mir, es müßte doch auch dort entsprechende Regelungen für schwerbehinderte Arbeiter gegeben haben. Dank meiner Ostberliner Freunde bin ich im Besitz der Verfassung der DDR und des Arbeitsgesetzbuches.

Ich las darin und wurde fündig. Im Artikel 24 der DDR-Verfassung lautet Punkt 1: 'Jeder Bürger (also auch ein schwerbehinderter - J. W.) hat das Recht auf Arbeit. Er hat das Recht auf einen Arbeitsplatz und dessen freie Wahl entsprechend den gesellschaftlichen Erfordernissen und persönlicher Qualifikation.'

Im § 3 des Arbeitsgesetzbuches erfuhr ich: 'Werktätige, deren Arbeitsfähigkeit gemindert ist, werden bei der Aufnahme und Ausübung einer Tätigkeit besonders gefördert und geschützt.'

Dies genügte mir, um feststellen zu können, daß in der DDR jeder schwerbehinderte Mensch einen Arbeitsplatz entsprechend seinen Fähigkeiten bekam. Er war nicht auf Almosen angewiesen.

Sie werden sich wundern, warum ein Niederbayer zu diesem Ergebnis kommt. In meiner langjährigen Personalratstätigkeit erlebte ich hautnah die eingeschränkten Möglichkeiten eines Mitglieds dieses Gremiums, dafür sorgen zu können, daß schwerbehinderte Menschen einen Arbeitsplatz erhielten. Deshalb gab es in der BRD seit Jahrzehnten so negative Berichte über die Situation schwerbehinderter ,Arbeitnehmer'. Trotz neuer Gesetze wurde deren Lage nur immer schlechter. Was besaßen wir für rechtliche Mittel?

Das Personalvertretungsgesetz und das Schwerbehindertengesetz. Doch wie lief das in der Praxis ab? Setzen wir den Fall, daß mehrere Bewerbungen vorlagen, darunter die eines Schwerbehinderten. Der Personalrat versuchte, daß er den zu vergebenden Arbeitsplatz erhielt. Der 'Arbeitgeber' lehnte aber ab, ihn einzustellen und begründete das damit, der Betrieb habe die Schwerbehindertenquote bereits mehr als erfüllt. Er zahlte lieber eine Ausgleichsabgabe, als einem schwerbehinderten Menschen die Möglichkeit zu geben, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen."

So fragte ich den Redakteur der Sendung "MDR-Thementag: Anders normal": "Warum erhielten die Hörer von Radio Thüringen nicht eine Schilderung, wie die Arbeitswelt Schwerbehinderter in der DDR gewesen ist? Dabei handelt es sich doch um kein SED-, Stasi- oder Mauerthema. Dank Internet besitzt Radio Thüringen auch einen großen Kreis von Hörern in den alten Bundesländern und in Ostdeutschland, die erst nach der Wende ins Arbeitsleben eintraten. Sie alle wären sicher dankbar, einmal zu erfahren, wie es anders gehandhabt werden kann. Denn Ziel eines jeden sozial denkenden Menschen muß es doch sein, alles zu unternehmen, damit Schwerbehinderte die Möglichkeit bekommen, ihren Unterhalt selbst zu bestreiten. Das aber geht nur mit einem Arbeitsplatz.

Ich würde mich freuen, wenn Sie mir erklären könnten, warum mein Anliegen nicht zum Tragen kam. Bei diesem Thema darf es keine ideologischen Grenzen geben."

Als sich nach zwei Wochen noch immer nichts getan hatte, hakte ich einmal mehr nach und schrieb an Radio Thüringen: "Bis heute habe ich von Ihnen keine Antwort erhalten. Da dies ein Behindertenthema ist, stelle ich mir die Frage, warum ich keine Auskunft bekomme. Wird das Thema 'DDR-Arbeitswelt' von einem öffentlichen Radiosender totgeschwiegen?"

Kurz vor Weihnachten rief mich eine Mitarbeiterin des Senders an, um mich folgendes wissen zu lassen: "Sie haben an die Zuschauer-Redaktion eine E-Mail geschickt, die wir erst heute erhielten. Es ging um den Tag der Behinderten, zu dem wir am 3. Dezember im Radio gesendet haben. Das war ein an den Tag gebundener Themenschwerpunkt, so daß man Ihre Frage nicht mehr mit aufgreifen konnte. Sicherlich ist es richtig, daß die Behinderten in der DDR alle eine Arbeit bekommen haben. Ich verstehe, daß Sie sich darüber ärgern, daß das von Ihnen aufgeworfene Thema nicht behandelt werden konnte. Wir wollten auf gar keinen Fall etwas totschweigen. Ich bedanke mich für die Anregung und den Hinweis."

Natürlich freute ich mich über die Reaktion, bestätigte sie mir doch, daß ich die Verfassung und das Arbeitsgesetzbuch der DDR, nach denen jeder Schwerbehinderte einen Arbeitsplatz erhielt, richtig interpretiert hatte.

Johann Weber, Ruhstorf (Niederbayern)

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Was war die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät?

Bei der Lektüre des Leitartikels "Über Junge und Alte" im Dezember-"Rot-Fuchs" ging mir so manches durch den Kopf. Unlängst war die Enkeltochter bei uns zu Besuch. Sie studiert an der Universität Potsdam - zu DDR-Zeiten eine Pädagogische Hochschule. Sie hatte auch ihr Zeugnis voller guter und sehr guter Noten mitgebracht. Ein fleißiges und bescheidenes Mädchen, auf das wir stolz sein können! Da auch ich einmal studiert habe, unterhielten wir uns über den Alltag der an Hochschulen Lernenden damals und heute. Viele junge Leute, die nicht aus begüterten Elternhäusern stammen, besuchen derzeit ein halbes Jahr lang die Vorlesungen, während sie das andere Halbjahr arbeiten, um finanziell über die Runden zu kommen.

Bisweilen sind Studiengebühren zu entrichten, welche die DDR bereits in der ersten Hälfte der 50er Jahre abgeschafft hatte. Bücher sind teuer, auch Unterkunft, Verpflegung und Fahrtkosten gehen ins Geld. Das sogenannte BAFÖG aber ist ja nur ein zinsloser Kredit, der nach dem Studienabschluß zurückgezahlt werden muß. Nicht alle werden damit ausgestattet.

Als ich mir den Bericht der Enkelin anhörte, dachte ich: Da hast du ja als Arbeiterstudent in der DDR wie im Schlaraffenland gelebt.

Ich lernte von 1950 bis 1953 Betriebsschlosser im VEB Stahl- und Walzwerk Riesa. Und da ich nicht der Schlechteste war, delegierte mich der volkseigene Betrieb an die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät der Technischen Hochschule Dresden. Das war kein Zuckerschlecken. Die Lehrer sagten uns unverblümt, daß nur echte Leistungen zählen. So habe ich mich im mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig der ABF auf den Hosenboden gesetzt, um gute Ergebnisse zu erzielen. Wir hatten neun Stunden Mathematik und je vier Stunden Physik und Chemie pro Woche. Hauptfächer waren außerdem Deutsch, Geschichte und Russisch.

Das Abitur bestand ich mit der Note "gut" und bekam sofort einen Studienplatz an der Fakultät Technologie des Maschinenbaus der TU Dresden, wie die TH seit 1956 hieß. Von 35 Schülern unserer ABF-Klasse - wir durften uns auch Studenten nennen - bestanden übrigens nur 19 das Abitur!

1962 verließ ich als Diplomingenieur die TU Dresden und ging wieder in meinen Delegierungsbetrieb nach Riesa zurück, wo ich dann über 30 Jahre als Schweißingenieur, Hauptschweißingenieur und Leiter für Qualitätssicherung und Schweißtechnik gearbeitet habe.

In über 40 wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die in der DDR, der BRD, Österreich und China erschienen, habe ich über unsere Arbeit berichtet. Auch drei Fachbücher, die mit Genehmigung der zuständigen DDR-Behörden in der BRD verlegt wurden, waren Ergebnisse unserer Arbeit.

Während meiner Studienzeit erhielt jeder ABF-Student ein monatliches Grundstipendium von 190 Mark der DDR. Im Studentenwohnheim zahlten wir im Monat 10 Mark Miete. Verpflegung und Mensaessen (maximal 1 Mark) waren billig. Außerdem konnte man bei guten oder sehr guten Noten ein Leistungsstipendium erhalten: 40 Mark bei guten, 80 Mark bei sehr guten und ein Karl-Marx-Stipendium bei außergewöhnlichem Abschneiden. Ich bekam 40 Mark. In unserer Fachrichtung gab es einen Studenten aus Jena, der das Karl-Marx-Stipendium bezog und später im VEB Carl Zeiß bei Werkdirektor Prof. Biermann arbeitete.

Lag man in einem Fach deutlich über dem Durchschnitt, konnte man sich als Hilfsassistent zusätzlich 100 Mark verdienen.

Ich tat das in Mathematik. Auch mein Delegierungsbetrieb unterstützte mich während des Studiums mit jährlich 100 Mark Büchergeld, Leistungsprämien und einer Weihnachtszuwendung. Meine Eltern hätten mir ebenfalls finanziell geholfen, was ich aber nicht wollte. So packte mir Mutter alle drei Wochen, wenn ich nach Hause kam, da ich nebenbei bei der HSG Wissenschaft TU Dresden Fußball spielte, den halben Koffer mit Eßware voll. Übrigens kostete mich eine Bahnfahrt von Dresden nach Riesa als Student nur 1,10 Mark!

Die BRD beklagt sich darüber, nicht genügend ausgebildete Fachleute zu besitzen. Das ist bei den heutigen Studienbedingungen ja kein Wunder und vielleicht sogar gewollt. Man holt sich eben billige Fachleute aus dem Ausland.

Jedenfalls bin ich stolz darauf, in der DDR gelebt und auch wissenschaftlich und privat etwas geleistet zu haben. Mein größter Kummer ist, daß mein Staat durch innere und äußere Defizite so jämmerlich zu Grunde gegangen ist. Ja, ich wollte - wie vielleicht auch einige der Leute, die damals in Leipzig demonstriert haben - eine noch weit bessere DDR!

Zu meinem Leidwesen sammelte ich die Erfahrung, daß viele junge Leute, die heute einen gut bezahlten Job haben, nur aus Höflichkeit und recht oberflächlich zuhören, wenn wir Alten aus vergangenen Tagen erzählen. Identifizieren wollen sie sich mit der DDR nur selten, weil sie sich unterdessen manches leisten können, das wir damals nicht hatten, und - zumindest theoretisch - in Länder fahren können, wohin wir nicht kamen.

Gerhard Frank, Riesa

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"RotFuchs"-Wegbereiter (10): Günter Strobel

Seit zehn Jahren leitet Oberst a. D. Günter Strobel umsichtig und mit Feingefühl die "RotFuchs"-Regionalgruppe Dresden. Seit langem gehört er auch dem zentralen Vorstand des derzeit etwa 1700 Mitglieder zählenden RF-Fördervereins an.

Der Kontakt zu Günter kam unter dramatischen Bedingungen zustande. Wir hatten dem einstigen Kaderchef der DDR-Grenztruppen, der 1995 in einem Schandprozeß zu der von ihm teilweise verbüßten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden war, wie anderen durch die BRD-Justiz politisch Verfolgten den "RotFuchs" ins Gefängnis geschickt. Daraus entstand eine äußerst fruchtbare und sehr freundschaftliche Verbindung auf Dauer.

Der 1936 in Dresden Geborene wurde als Kind zum Zeugen der angloamerikanischen Terrorangriffe auf die Elbestadt, nachdem er diese Seite des Krieges bereits in München und Cottbus erfahren hatte. Zwischen 1950 und 1953 erlernte er den Beruf eines Elektroinstallateurs, wobei er als Lehrling auch am Aufbau der Berliner Stalinallee teilnahm.

Nach Erfüllung von Aufgaben in der FDJ wurde Günter Strobel als 18jähriger in die SED aufgenommen, deren Grundeinheits-Sekretär in den Grenztruppen er war, bevor er von 1983 bis 1986 die Funktion eines Stellvertretenden Vorsitzenden ihrer Parteikontrollkommission wahrnahm. Von November 1954 bis zum 30. September 1990 gehörte Günter Strobel ununterbrochen diesem die DDR-Staatsgrenze zuverlässig sichernden Schutzorgan an. In der letzten Zeit arbeitete er an der Dresdner Militärakademie der NVA.

Günter besitzt eine abgeschlossene Hochschulbildung als Diplompädagoge, die er im Fernstudium an der Leipziger Karl-Marx-Universität erwarb, und absolvierte einen Einjahres-Lehrgang der Bezirksparteischule. Für seine militärischen Verdienste wurde er u. a. mit dem Kampforden in Gold ausgezeichnet. Verheiratet und Vater dreier Töchter, genießt unser Wegbereiter im großen "RotFuchs"-Kollektiv nicht zuletzt auch wegen seiner mit Bescheidenheit gepaarten soliden Urteilskraft und beispielhaften Kameradschaftlichkeit hohes Ansehen.

Wir wünschen Günter die volle Wiederherstellung seiner Gesundheit.

RF

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In einer nichtrevolutionären Etappe über die Revolution nachdenken!

Für ein marxistisches Ausbruchsprogramm

Im RF vom April 2013 veröffentlichte ich den Beitrag: "Strategische Überlegungen in einer nichtrevolutionären Etappe - Lenins 'Was tun?' aus heutiger Sicht".

Diese Schrift, die 1902 erschien, gilt als Meilenstein auf dem Weg zum Sieg der Bolschewiki im Oktober 1917. Kernaussagen der Arbeit haben bis heute ihre Gültigkeit behalten. Man darf Lenins Frage nicht schematisch-dogmatisch beantworten. Der RF hat hierzu einen vorzüglichen Klärungsbeitrag geleistet. Er machte nicht nur gegen "linke" Revoluzzer energisch Front, sondern wies auch Versuche zurück, den Marxismus rechtsopportunistisch oder "marxistisch verbrämt" bei gleichzeitiger Negierung der Parteitheorie der Klassiker zu offerieren. Auf der Tagesordnung steht jetzt die Problematik eines historischen Übergangsprogramms für hochentwickelte kapitalistische Länder. Das verlangt zugleich, über den Sozialismus der Zukunft schon jetzt nachzudenken. Hierfür ist auf der Grundlage der Erkenntnisse von Marx, Engels und Lenin sowie anderer bedeutender Marxisten unsere Theorie weiter zu vervollständigen.

Lenins Rat für das Heute könnte zumindest, was den mittelfristigen Prozeß der erneuten Formierung einer massengestützten marxistischen Vorhutpartei in Deutschland betrifft, nur so lauten: Bei der Gestaltung eines Übergangsprogramms - ich selbst nenne es Ausbruchsprogramm - ist unerläßlich, theoretische und praktische Vernunft walten zu lassen. Es sollte die Tür für die Mitarbeit unterschiedlicher kommunistischer Zusammenschlüsse öffnen - und zwar unabhängig von bestehenden Differenzen. Maßstab sollte der historische Händedruck von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl sein. Differenzen können perspektivisch nur auf dem Boden der gemeinsamen Weiterentwicklung des Marxismus unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts überwunden werden. Auch eine politische Blockbildung als Gegenmacht, bei der Sozialisten, aufrichtige Demokraten und progressive Christen nicht ausgeschlossen werden, ist in die Erwägungen einzubeziehen.

Der imperialistische Spätkapitalismus befindet sich aus meiner Sicht in seiner permanenten Endkrise. Auf obskure Weise bildet sich immer mehr eine Diktatur der Finanzmärkte heraus. Das Kapital betreibt - gestützt auf fiktive Börsenspekulationen - eine reine Bereicherungsstrategie. Die Gesellschaft wird einzig und allein dem Profitmechanismus des Finanzkapitals unterworfen. Durch die enorme Vergesellschaftung der Produktion pocht indes objektiv eine sozialistisch-kommunistische Gesellschaft an die Tür der Geschichte, obgleich es Ausbeutern noch auf längere Sicht gelingen dürfte, ihren Untergang aufzuhalten. Denn sozialistische Revolutionen sind in den am meisten entwickelten kapitalistischen Staaten noch nicht in Sicht. Die Niederlage des frühen Sozialismus in Osteuropa und der UdSSR erweist sich als das schwerste und folgenreichste Debakel in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung. Deshalb steht wahrscheinlich für eine längere historische Etappe der Kampf um Reformen spezifischer Art auf der Tagesordnung, der über evolutionäre Wege und revolutionäre Brüche in diesen oder jenen gesellschaftlichen Bereichen den Weg in eine sozialistische Gesellschaft bahnen könnte.

Der strukturelle Umriß eines Ausbruchsprogramms zeigt sich zunächst vor allem in Abwehrforderungen. Sie sind auf die Verteidigung des bürgerlichen "Sozial- und Rechtsstaates" gerichtet. Hierbei muß aber zugleich auch die Eigentumsfrage gestellt werden, wenngleich Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Kapitals zunächst noch nicht möglich sind. Das Demokratieerfordernis ist der fundamentale Faktor eines Ausbruchsprogramms. Dabei geht es nicht nur um politische, sondern auch um ökonomische und soziale Demokratie. Neuer Staatstyp in historisch langfristiger Umsetzung des entscheidenden Anliegens könnte ein sozialistischer Sozial- und Rechtsstaat werden, der mit seiner Geburt den bürgerlichen Staat dialektisch negiert. Es handelt sich um die Macht des Volkes unter Führung der zeitgenössischen Arbeiterklasse. Die internationalen Rahmenbedingungen eines Ausbruchs sind dabei unbedingt in Rechnung zu stellen.

Jeder Marxist weiß, daß es für einen sozialistischen Neuanfang der Herausbildung eines subjektiven Faktors als führender politischer Kraft bedarf. Gegenwärtig steht seine Formierung noch weitgehend aus.

Aus meiner Sicht könnte heute in der BRD nur die DKP Impulsgeber für die Gestaltung eines solchen Ausbruchsprogramms sein. Sie hat bereits in der Vergangenheit zum Thema "Übergänge zum Sozialismus" (Marxistische Blätter 3-04) mit ihren Leverkusener Konferenzen erheblichen Erkenntnisgewinn erzielt, der leider nicht weitergeführt worden ist. Die vierte dieser Konferenzen wandte sich zwar mit dem Beitrag Robert Steigerwalds eindeutig gegen reformistische Theoretiker aus den Reihen der Partei Die Linke, blieb aber meines Erachtens insofern hinter den Erwartungen zurück, als sie revolutionstheoretische Probleme abstrakt in den Mittelpunkt rückte. So kam es vorerst zu keinem Ausbruchsprogramm.

Die DKP ist derzeit politisch noch ohne nennenswerten Einfluß, sucht jedoch seit ihrem 20. Parteitag den revisionistischen Kurs nicht einflußloser Kräfte in den eigenen Reihen zu überwinden und ihre kommunistische Identität zu festigen. Das DKP-Parteiprogramm könnte für ein Übergangsprogramm als Grundlage geeignet sein, wobei auch alle anderen marxistischen Kräfte einbezogen werden müßten, soweit deren Bereitschaft vorliegt.

Ein Ausbruchsprogramm hätte dem konkreten politischen Bewußtseinsstand und der Mentalität der arbeitenden Klasse Rechnung zu tragen und müßte auf Massenpsychologie und Pädagogik beruhen, wobei seine taktisch-strategische Ausgestaltung ständiger Präzisierung bedarf.

Der "RotFuchs" besitzt ausgezeichnete politisch-ideologische Voraussetzungen, am Gestaltungsrahmen eines Ausbruchsprogramms schöpferisch mitzuwirken.

Prof. Dr. Ingo Wagner, Leipzig

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Vor 80 Jahren erschlugen SA-Leute den Arbeiter Otto Hurraß

Ein Kommunist "von nebenan"

"In der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1934 wurde ich zur Vernehmung vorgeführt. Ich mußte mich mit dem Gesicht zur Wand stellen und eine halbe Stunde so stehen. Als die Tür aufging, habe ich gesehen, wie sie einen Mann am Jackettkragen und Genick angeschleppt brachten. ­... Ich wagte mich umzudrehen und erkannte Otto Hurraß. Ich wurde dann als nächster in das von ihm verlassene Zimmer gezerrt. Es war mit Kot und Blut beschmutzt, auf dem Tisch lagen etliche Gummiknüppel und Pistolen ­..., nach stundenlangen Quälereien und Folterungen ... ging einer von den SS-Leuten raus ... in das Zimmer, wo Otto Hurraß eingesperrt war. Er kam gleich zurück und berichtete, daß Hurraß tot sei. Darauf gingen Landjäger Kraul aus Kleinleipisch und der stellvertretende Lagerkommandant Zimmermann raus ... Sie kamen nach einer kurzen Zeit zurück und unterhielten sich. Ich hörte die Worte: Das Schwein ist erledigt", gab ein KPD-Mitglied zu Vorgängen im Sammellager (KZ) Lichtenburg, Gemeinde Prettin, Landkreis Wittenberg, Sachsen-Anhalt, zu Protokoll.

Das Herz des erst 31jährigen Kommunisten Otto Hurraß aus Bockwitz (heute Lauchhammer) hatte in dieser Nacht aufgehört zu schlagen. Schwarze und braune Bestien in Menschengestalt ermordeten den Genossen, Ehemann und Vater von zwei Kleinstkindern auf brutalste Weise. Was wissen wir über Otto Hurraß?

Er entstammte einer Bockwitzer Arbeiterfamilie. Bei den Mitteldeutschen Stahlwerken in Lauchhammer erlernte er das Schlosserhandwerk. Seine Heimat, das Mückenberger Ländchen, war damals eine Hochburg des sich rasch entwickelnden Braunkohlebergbaus. Gleichzeitig wurde es zusehends zu einem Zentrum der politisch organisierten Arbeiterbewegung, weshalb es bald den Namen Rotes Ländchen erhielt. Bei den Reichstagswahlen 1928 votierte von den rund 8000 Wahlberechtigten etwa ein Viertel für die KPD, zwei Viertel stimmten für die Sozialdemokraten. Ja, wenn man da zusammengehalten hätte!

In dieser Umwelt aufwachsend schloß sich Otto Hurraß bald der Arbeiterjugendbewegung an und wurde nach der Novemberrevolution Mitbegründer der Freien Sozialistischen Jugendgruppen in Bockwitz. Vermutlich war das ein wesentlicher Grund dafür, ihm nach Beendigung der Lehre sofort die Entlassungspapiere auszuhändigen. Wie viele seiner Altersgenossen ging Otto auf Wanderschaft, eignete sich dabei fahrzeugtechnische Kenntnisse an und erwarb den Führerschein. Zurückgekehrt, eröffnete er in Bockwitz eine kleine Reparaturwerkstatt, verdiente durch Lohnfuhren und Fahrradreparaturen seinen Lebensunterhalt.

Seiner Weltanschauung folgend engagierte er sich im Kommunistischen Jugendverband, später dann im Roten Frontkämpferbund. Aktiv wirkte er in einem örtlichen Aktionsausschuß zur Aufstellung bewaffneter Arbeitergruppen.

Dieser Schritt erfolgte im Zusammenhang mit dem Kampf der revolutionären Arbeiter von Leuna und im Mansfelder Gebiet zur Abwehr des Kapp-Putsches. Dafür mußte Otto eine erste Gefängnisstrafe antreten.

Da er seine politischen Aktivitäten aus den 20er Jahren fortsetzte, geriet er zwangsläufig in das Visier der ans Ruder gelangten Faschisten. Schon im Sommer 1933 wurde er von ihnen für zwei Monate in "Schutzhaft" genommen.

Die zuvor jahrzehntelang als Haftanstalt genutzte Prettiner Lichtenburg diente den neuen Machthabern als Sammellager für "Schutzhäftlinge". Angedacht für 1000 Gefangene, befanden sich im September 1933 dort bereits 2000 "identifizierte" Regimegegner. 70 Prozent von ihnen waren Kommunisten, etwa ein Fünftel Sozialdemokraten. Ottomar Geschke, Ernst Grube, Michael Niederkirchner, Friedrich Ebert, Friedrich-Karl Kaul, Wolfgang Langhoff und später auch Olga Benario befanden sich unter den dort Gequälten.

In Vorbereitung eines Hochverratsprozesses gegen mehr als 50 aus dem Roten Ländchen zusammengetriebene Kommunisten suchten die braunen Schergen nach Schuldbeweisen. Sie taten das unter Anwendung aller ihnen zur Verfügung stehenden Mittel.

Ein sich den Nazis andienendes Subjekt aus dem Ort denunzierte Otto Hurraß und log, dieser verberge auf seinem Wohngrundstück ein Maschinengewehr. Kräfte des Lagers Lichtenburg, verstärkt durch einheimische SA-Leute, nahmen sich ihn nun vor.

Seine Frau gab später zu Protokoll: "Als ich nach Hause kam, hörte ich schon von weitem Schreien und Schlagen. ... Nach einer Stunde kam mein Mann in Begleitung von ... zu mir in die Küche und wusch sich die Hände, da er im Garten nach einem Maschinengewehr graben mußte. Dabei sah ich, daß er zerschlagene, blutige Hände hatte. Ich sagte: 'So sehr haben sie dich geschlagen.' Er antwortete darauf, das sei noch gar nichts ... 'Auf dem Rücken bin ich braun und blau geschlagen, die schlagen mich heute noch tot.'" Ein Maschinengewehr wurde nie gefunden.

Am 24. Februar erhielt Frieda Hurraß ein Telegramm: "Ehegatte verstorben. Verstorbenen hier abholen. Leichenhalle Prettin", hieß es lakonisch.

Nach der Befreiung vom Faschismus erinnerte sie sich an die Sargöffnung in Lauchhammer: "... Da lag mein Mann in ein vollkommen beschmutztes Laken gewickelt, die Hände waren mit den Hemdsärmeln zusammengeknüpft. Das Blut kam noch aus Mund und Nase gelaufen. Er war so blau geschlagen, daß keine weiße Stelle zu sehen war ..."

Das neue sozialistische Deutschland - die DDR - ehrte das Andenken an Otto Hurraß durch die Benennung einer zentralen Straße im heutigen Lauchhammer-Mitte. Bis zur Konterrevolution trug das Kulturhaus der Bergarbeiter als politisches und kulturelles Zentrum der Stadt den Namen des proletarischen Helden. Im Volksmund hieß es damals: "Wir gehen ins 'Hurraß'." Der Namensgeber hätte das richtig zu werten gewußt.

Heute wird das Gebäude als "Bürgerhaus" weiter genutzt. Das Grab des ermordeten Antifaschisten befindet sich nur wenige hundert Meter entfernt auf dem Gelände des inzwischen geschleiften Friedhofes. Wer möchte, kann sich dort erinnern und versprechen, nie wieder Faschismus zuzulassen, der zum gewaltsamen Tod des Kommunisten "von nebenan" geführt hat.

Eberhard Rebohle, Berlin

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Jeder sechste DDR-Bürger besaß eine Genossenschaftswohnung

"Jedem Bürger und jeder Familie ist eine gesunde und ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnung zu sichern." Dieses Bestreben fand bereits in der ersten Verfassung der am 7. Oktober 1949 gegründeten DDR seinen Niederschlag. Am 10. Dezember 1953 - also vor über 60 Jahren - wurde vom DDR-Ministerrat die "Verordnung über die weitere Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter und die Rechte der Gewerkschaften" verabschiedet. Sie regelte die Zulässigkeit von Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften - einem freiwilligen Zusammenschluß von Arbeitern, Angestellten und Angehörigen der Intelligenz zum genossenschaftlichen Bau und Erhalt von Wohnungen. Der Rechtsakt legte fest, daß eine Zwangsvollstreckung privater Gläubiger nicht zulässig sei.

Bereits am 24. März 1954 wurde im Transformatoren- und Röntgenwerk Dresden die erste AWG der DDR gegründet. Ende 1954 existierten bereits 270 solcher Genossenschaften. Neben der allgemeinen Wohnungsnot gab es damals zwei wesentliche Gründe für ihre rasche Ausdehnung. Erstens bekamen die AWG vom Staat kostenfrei Bauland zur dauerhaften Nutzung zugewiesen, das aber Volkseigentum blieb. Zweitens gewährte die DDR zinslose Kredite für 80 %, ab 1957 sogar für 85 % der Baukosten. Die Genossenschaften oder deren Trägerbetriebe mußten also nur 15 bis 20 % des Baugeschehens selbst finanzieren.

Die Mitglieder erwarben einen Anteil, anfänglich meist pauschal in Höhe von 2500 Mark, ab 1957 wurden dann nach Wohnungsgrößen gestaffelte Anteilsbeiträge eingeführt. Die AWG-Mitglieder mußten eine Aufbauhilfe erbringen, entweder am Objekt selbst oder im örtlichen Baugewerbe. Die Stunden, in der Regel mehrere hundert, waren zusätzlich zur täglichen Berufsarbeit, an Feierabenden, am Wochenende oder im Urlaub zu erbringen. Die Verteilung der Wohnungen erfolgte nach Familiengröße, Reihenfolge des Eintritts, Wohnsituation, persönlichen Erfordernissen der Mitglieder, deren Leistungen am Arbeitsplatz sowie in der gesellschaftlichen Betätigung.

1958 bestanden bereits 740 Genossenschaften, deren Mitgliederzahl 74.000 betrug.

1962 erfolgten schon 63 % aller DDR-Wohnungsneubauten im Rahmen des genossenschaftlichen Sektors. Bis 1971 sank dann dessen Anteil auf 17 %. Ab 1973 wurde der Bau genossenschaftlicher Wohnungen wieder verstärkt gefördert und wurden wesentlich höhere Kredite aus dem Staatshaushalt bereitgestellt, wodurch ab 1976 der Genossenschaftsanteil wieder auf 45 % stieg. 1989 befand sich etwa eine Million Wohnungen in der Hand von Genossenschaften und deren Mitgliedern. Jeder 6. DDR-Bürger verfügte über eine genossenschaftliche Wohnung.

Nach 1990 mußten die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften, wollten sie weiterbestehen und ihr Eigentum sichern, die Statuten dem BRD-Genossenschaftsgesetz anpassen. Es gab weder Auflösungen noch Neugründungen. Aus den AWG wurden nunmehr Wohnungsbaugenossenschaften e. G., aus deren Revisionskommissionen Aufsichtsräte, welche die hauptberuflichen Vorstände kontrollieren sollen.

Durch die Sanierung der 20 bis 40 Jahre alten Wohnhäuser konnte die Wohnqualität ab 1990 deutlich verbessert werden. Noch heute gehört die Dresdner WG Aufbau mit ihren rund 17.000 Wohnungen zu den größten Genossenschaften in der BRD. Ungeachtet aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüche ist der Genossenschaftsgedanke nach wie vor aktuell. Nicht zufällig war das Jahr 2012 durch die UNO zum Genossenschaftsjahr ausgerufen worden.

Lutz Heuer, Berlin

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Aus Eddas Blickwinkel: Elbflorenz heute

Im Dezember 2008 war ich mit einer Gruppe der Volkssolidarität in Dresden. Damals notierte ich: Am Stadteingang lese ich als erstes, "Erotic Car wash". Dann drängt sich goldprotzig, neu aufgemotzt das Reiterstandbild August des Starken auf.

Die Vordergründigkeit des Geldes in der veränderten Sachsenhauptstadt scheint deren Markenzeichen geworden zu sein. Ich erfahre von der Reiseleiterin allerhand Merkwürdigkeiten: Das alte Kaufhaus wurde abgerissen, ein neues am gleichen Platz für etliche Millionen hingestellt. Die Geschäfte im Straßentunnel existieren nicht mehr, es gab zu viele Überfälle. Die Unterführung wird für etliche Millionen beseitigt. Die "gewendete" Dimitroffbrücke heißt jetzt Augustusbrücke.

Wir überqueren das nach Loschwitz über die Elbe führende "Blaue Wunder". Die Reiseleiterin erklärt: Die Villa des Sängers Günter Emmerlich dort oben harmoniert farblich mit dem "Blauen Wunder"! Wie schön!

Dann hören wir das Wort zum Montag über allerlei Fürstengebein und das in der katholischen Hofkirche aufbewahrte Herz August des Starken, das schlagen soll, wenn eine schöne Jungfrau vorbeikommt.

Vor der Frauenkirche steht die obligatorische Warteschlange. Bewacht wird das Gotteshaus von zwei silberblanken Rittern mit Visier, Lanze und Sammelbüchse. Klimpert's in der Büchse, verbeugen sich die Ritter mit ausladender Gebärde und nehmen danach die alte Position wieder ein. Ich spähe ins Visier, lebendige Augen! Sind das nun Stadtbedienstete als Attraktionen, oder ist es nur eine weitere Möglichkeit, die Harz-IV-Bezüge etwas aufzubessern? Das frage ich mich auch bei den Bläsern am Eingang zur Frauenkirche in Anbetracht ihres offen stehenden Instrumentenkoffers.

Auf dem riesigen Platz spielt ganz versunken ein junger Mann auf einem Piano. Silbern klingen die Töne in der klaren kalten Luft. Wie ist das kostbare Stück dorthin gelangt? Was passiert mit ihm bei Regen? Und warum eilen die meisten Menschen achtlos vorüber? Ich hole mir seine CD und denke zu Hause an das Erlebte, aber auch an das alte Dresden vor 30 Jahren: Damals waren wir nur kurz auf dem Striezelmarkt, weil uns die Klänge des probenden Kreuzchores vom Platz lockten. Die Zeit reichte gerade noch für eine Tüte mit Pflaumentoffeln. Nach denen suche ich heute und - verzichte. Zwei Euro fünfzig für sechs aufgespießte Backpflaumen mit einem albernen Pappkopp sind mir zu viel und auch für die schöneren mit zierlichem Nußkopf will ich die geforderten fünf Euro nicht berappen. Viele Menschen streifen wie einst zu DDR-Zeiten durch den Markt. Doch nur wenige kaufen etwas vom Überangebot an Plauener Spitze, Blaudruck, erzgebirgischen Schnitzereien, zarten Glasbläserwaren. Dafür sind die Glühweinstände und Freßbuden überlaufen.

Was früher nicht zu haben war, das können wir heute nicht bezahlen, gehen also nicht minder leer aus.

Fünf Jahre später.

Eine Gruppe von Sängern des Ernst-Busch-Chores, dem ich angehöre, ist zum Jahreskonzert des Bergsteigerchors nach Dresden gefahren. Ob diese Reise meine Meinung über Elbflorenz ändern wird?

Der Kulturpalast, in dem die Konzerte früher stattfanden, ist geschlossen. Der alte Stadtratsbeschluß, das Gebäude, das seit 2008 unter Denkmalschutz steht, zu sanieren und den Festsaal akustisch aufzubessern, wurde aufgehoben, ein neuer Umbaubeschluß gefaßt. Seine Verwirklichung aber käme die Stadt teuer zu stehen, ein funktionierendes wirtschaftliches Gebäude würde zerstört, und die Umbaukosten wären höher als der Neubau eines Konzertsaales. Also wird darüber gestritten, wie es weitergehen soll. So findet das Konzert im Congress Center am Maritim-Hotel statt. Das Haus wirkt ernüchternd, ist nicht behindertengerecht, Treppen auf und ab, unübersichtliche Gänge, endlose Menschenschlangen vor den umlagerten und viel zu kleinen Garderoben. Der riesige schmucklose Mehrzwecksaal läßt keine erwartungsvolle Stimmung aufkommen.

Das ändert sich erst, als etwa 100 Sänger die Treppe herab und durch den Saal auf die Bühne schreiten. Leider sitzen wir so weit entfernt von ihr, daß die Gesichter der Chormitglieder nur schemenhaft erkennbar sind. Dann aber wird es laut, zu laut für meine Ohren, da die Akustik nicht trägt, die Technik macht es kaum besser. Feinheiten, die es mit Sicherheit gibt, lassen sich nicht erfassen. Möglicherweise sind es auch die Titel, die zwar dem Anspruch "Bergsteiger-Chor" gerecht werden, aber dessen Namen nicht entsprechen. Der Chor heißt seit 1949 nach Kurt Schlosser - einem von den Nazis ermordeten Antifaschisten.

Nach der Pause gefallen mir die Sänger besser, und zwar nicht wegen der jetzt roten Strümpfe zu den knielangen Hosen ... Die Gesänge wandeln sich, sind modulierter. Genau besehen würden unserem Ernst-Busch-Chor ein paar dieser schönen Männerstimmen als Verstärkung guttun.

Wir besuchen anschließend das Neue Grüne Gewölbe. "In diesem Museum begeistern über 1000 unschätzbar wertvolle Exponate aus vier Jahrhunderten die Besucher", lese ich in einem Informationsblatt. Sehr schnell ist mir klar, daß ich nicht zu den Begeisterten gehöre.

Obwohl in spiegelfreien Vitrinen und unter moderner Lichttechnik jedes Kunstwerk von allen Seiten bestaunt werden kann, die Besucher ausreichend Platz haben und sich von einem elektronischen Gerät, dem Audioguide, umfassend informieren lassen können, werde ich immer unruhiger. Tatsächlich zeugt jedes Detail von höchster Handwerkskunst, ist vollkommen und wunderschön. Besonders eine große perlmuttausgelegte, reich verzierte Goldschale läßt mich verweilen.

Aber dann frage ich mich: Woher dieser Reichtum? Warum diese Verschwendung? Wer hat vor 400 Jahren bei schwachem Licht in einen winzigen Kirschkern 185 Gesichter geschnitzt. Woher hatte August der III. die 400.000 Taler für den großen grünen Diamanten in einer Hutagraffe? Wie mag sich 1701 wohl der Hofjuwelier August des Starken gefühlt haben, als er ein gerade fertiggestelltes, fast ausschließlich aus Gold bestehendes Kaffeeservice in das winterliche Warschau bringen mußte?

Wem dienten die prunkvollen Harnische, Helme, Schilde, Schwerter, Pistolen und Gewehre, und wie waren deren Knechte wohl ausgestattet?

Da erinnert mich Kati, als unser Gespräch noch einmal auf das Grüne Gewölbe kommt, an Brechts "Fragen eines lesenden Arbeiters" ... Wer baute das siebentorige Theben ... und wer die Paläste von Dresden?

Edda Winkel

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Griff in die falsche Kiste

Irgendwann in den 80er Jahren schepperte es im Erzgebirge gewaltig, worauf Presse und Funk der DDR einen Gebirgsschlag vermeldeten. Auf die Frage, was das denn sei, antwortete ein pfiffiger Journalist, es handle sich vermutlich um "ein Erdbeben in den Farben der DDR". Die ironische Bemerkung bezog sich auf eine von der SED-Führung in Umlauf gebrachte und nicht überall Verständnis auslösende Formulierung, in der plötzlich vom "Sozialismus in den Farben der DDR" die Rede war. Mancher interpretierte die Wortwahl als einen Griff in die falsche Kiste. Dabei gibt es keinen Zweifel, daß jede sozialistische Gesellschaft in der konkret-historischen Situation ihres Bestehens von den jeweiligen nationalen und internationalen Bedingungen ausgehen muß, also spezifische Züge trägt.

So war z. B. das Neue Ökonomische System, das die DDR in den 60er Jahren unter Ulbricht erproben wollte, nicht deckungsgleich mit dem Sozialismus-Modell, das sich in der UdSSR herausgebildet hatte. Die DDR wollte damit individuelle, kollektive und gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse und Erfordernisse besser in Einklang bringen, um stärkere Triebkräfte für die wirtschaftliche Entwicklung freisetzen zu können. Die Tatsache, daß sie das nicht zu erreichen vermochte, hing sowohl mit ihrem Eingebundensein in die sowjetische Konzeption, die im RGW bestimmend war, als auch mit eigenen Ungereimtheiten in der Wirtschaftspolitik zusammen. Was die DDR indes ohne Abstriche anstrebte, war die immer vollkommenere Gestaltung des Sozialismus als einer ausbeutungsfreien und gerechten Gesellschaft. Die aber ist ohne die Macht der Arbeiterklasse, deren Bündnis mit den Bauern und anderen werktätigen Schichten ebensowenig möglich wie ohne konsequente Aufhebung des Privateigentums der Kapitalisten an den wichtigsten Produktionsmitteln.

Im Hinblick auf gegenwärtige Entwicklungen in der Volksrepublik China reicht mein Wissen derzeit nicht aus, um mir ein endgültiges Urteil zu erlauben. Dennoch halte ich es für richtig, daß der RF in den ersten beiden Ausgaben dieses Jahres Artikel veröffentlicht hat, in denen nicht einfach der "Sozialismus chinesischer Prägung" propagiert wurde, den manche noch für eine Variante der NÖP halten, sondern eine differenziertere Einschätzung versucht worden ist.

Als Lenin seinerzeit die Grundzüge der als NÖP bekanntgewordenen "Neuen Ökonomischen Politik" herausarbeitete, die nicht zuletzt darauf gerichtet war, das Profitstreben der Kapitalisten in einer bestimmten Frist für den sozialistischen Aufbau Sowjetrußlands zu nutzen, betonte er, erst damit sei die Frage "Wer - wen?" zugunsten des Proletariats zu entscheiden. Zwei Aspekte dieser Politik bestimmten aus seiner Sicht deren Wesen: den Kleinproduzenten die Freiheit des Handels zuzugestehen und im Hinblick auf das große Kapital seitens der Sowjetmacht Prinzipien anzuwenden, die man in der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre als "Staatskapitalismus" bezeichnet.

Doch schon im März 1922, als die Hungersnot noch grassierte und sich Sowjetrußland im Schraubstock der Weltfinanzkrise befand, erklärte Lenin, "der Rückzug in dem Sinne, daß wir dem Kapital Zugeständnisse machen", sei beendet. "Wir haben unsere Kräfte und die Kräfte der Kapitalisten gegeneinander abgewogen ..., Verträge mit russischen und ausländischen Kapitalisten abgeschlossen, und wir sagen ..., unseren ökonomischen Rückzug können wir jetzt einstellen. Es ist genug. Weiter zurück werden wir nicht gehen ..." (LW 33/206).

Ich wiederhole meine Eingangsthese: Keine konkret-historische Situation in einem bestimmten Land ist einer anderen völlig gleich. So muß jede kommunistische Partei der spezifischen Lage Rechnung tragen. Wir dürfen und wollen uns nicht in die Rolle von Lehrmeistern begeben, zumal auch wir an der Niederlage des europäischen Sozialismus in den später 80er und frühen 90er Jahren nicht schuldlos gewesen sind. Doch der "Sozialismus chinesischer Prägung" dürfte ebensowenig der Weisheit letzter Schluß sein wie das "Erdbeben in den Farben der DDR".

Dr. Ernst Heinz

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Zartrosa ist nicht Rot

Unsere Sprache lebt, und ihr Wortschatz verändert sich ständig. Das ist ganz natürlich und hat vielfältige Ursachen. Manches ist dabei auch vom sich heute als neoliberal vermarktenden Herrschaftsklüngel politisch so gewollt, also Teil des Klassenkampfes von oben. Das erleben wir nicht zuletzt beim Umgang der bei uns tonangebenden politischen Kräfte und ihrer Medien mit dem Begriff "Faschismus", den man zu umgehen oder zu vermeiden sucht. Wenn es um den Charakter des in Deutschland zwischen 1933 und 1945 herrschenden Terrorregimes geht, wurde er aus dem Sprachgebrauch verdrängt und durch den einst von den Hitlerfaschisten in demagogischer Absicht selbst geprägten Terminus "Nationalsozialismus" ersetzt.

Konsequent linke Kräfte leisten dagegen Widerstand, wie das z. B. auf einer diesem Thema gewidmeten wissenschaftlichen Tagung der DKP-nahen Wuppertaler Marx-Engels-Stiftung im Februar 2013 geschah. Dort hielt der namhafte DDR-Faschismusforscher Prof. Kurt Pätzold ein Grundsatzreferat über die besonders auch im Bildungswesen zu beobachtende Renaissance der irreführenden Vokabel "Nationalsozialismus".

Der "neoliberale" Kampf um diesen Terminus ist alles andere als ein bloß sprachlicher Lapsus. Allein die phonetische Nähe der Worte "Sozialismus" und "Nationalsozialismus" läßt sich bestens für die Totalitarismusdoktrin von den zwei angeblich gleichartigen Diktaturen ausschlachten. Das Ganze gipfelt dann im antikommunistischen Slogan "Rot gleich Braun". Damit kann man besonders in Wahlkampfzeiten irregeführte Bundesbürger vor den eigenen Karren spannen.

All das setzt sich dann in der praktizierten Politik fort. Nicht ohne Hintergedanken bedient man beim Parlaments- und Regierungstreiben mit besonderer Vorliebe eingebürgerte "Signalfarben", darunter auch das traditionsschwere "Rot".

Die einst als Partei der Arbeiterklasse gegründete, aber seit spätestens 1914 in das Lager des deutschen Chauvinismus überwechselnde SPD verkauft sich - ihre Wähler zum Narren haltend - noch immer als "rote" Partei. Die manipulierte Medienkundschaft der BRD greift solche Signale gierig auf. Regierungskoalitionen nennt man entweder "Rot-Grün" oder "Schwarz-Rot", seitdem das "Gelb" der FDP unter den Tisch gefallen ist. Ohne das "Rot" der SPD, das in der Realität eher an "Zartrosa" erinnert, funktioniert auch keine "Ampel".

Apropos "Rot": Über das von Beigedrehten und Angepaßten, aber auch Illusionen Nachjagenden vorsorglich schon jetzt für die Bundestagswahlen 2017 ins Spiel gebrachte "Rot-Rot-Grün" kann man hier getrost hinweggehen.

Beim historisch zwar fälligen, in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der BRD aber noch keineswegs herangereiften künftigen Entrümpeln wird auch das antiquiert-skurrile, buntschillernde Kaleidoskop auf der politischen Müllhalde landen - zusammen mit dem ganzen System.

Dafür kämpfen wir illusionslos und mit langem Atem. Unsere Siegeszuversicht, die auch durch die bisher schwerste Niederlage der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung nicht erloschen ist, folgt keiner der genannten Schattierungen von Farbenblindheit. Sie ist "fuchsrot".

Wolfgang Mäder

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"Ethische Grundsätze" eines Stromgiganten

Vor geraumer Zeit erhielten die Tarifkunden des Stromriesen E.ON die neuen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Darin heißt es: "E.ON wird den im Vertrag genannten Verbraucher weiter mit Strom beliefern, wenn der Netzbetreiber (auch E.ON! - W. Sch.) die Belieferung nach Standardlastprofilen zuläßt, der Kunde einen Niederspannungs-Eintarifzähler nutzt und die Jahresabnahmemenge 100 MW (!) nicht übersteigt.

Die aktuellen Preise bleiben selbstverständlich unverändert. Außerdem gelten die vereinbarten Regelungen zur Laufzeit und Kündigung unverändert weiter. Im Fall von Preisanpassungen (!) bedarf jede Kündigung nach wie vor der Textform. E.ON hat die Regelungen zu Preisänderungen sowie zum Datenschutz den weiterentwickelten rechtlichen Anforderungen angepaßt. Die Regelungen von E.ON zur Preisgarantie bleiben für die Tarif-Kunden unverändert, und der Anpassungsmechanismus (!) ist zukünftig in Ziffer 6 unserer AGB zu finden."

Die Änderungen der AGB von E.ON werden nicht ohne unser Einverständnis wirksam. Wir müssen nur dieses Schreiben samt den neuen AGB einfach als Teil des Vertrages zu unseren Unterlagen nehmen und weiterhin Strom bei E.ON beziehen.

Damit haben Hunderttausende Tarifkunden sicher verstanden, daß uns E.ON trotz wachsender Umsätze und Profite in Höhe von mehreren Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr, der Fusion seiner regionalen Vertriebsgesellschaften bei gleichzeitiger - natürlich sozialverträglicher (!) - Entlassung von mehr als 6.000 Mitarbeitern in Deutschland und 11.000 weltweit auch nach Änderung ihrer AGB weiter mit Strom versorgen wird, wobei die Preise weiter kräftig steigen dürften. Damit ist jedem klar, wie hart der von Frau Merkel geforderte "Atomausstieg" die Weltenergiekonzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW getroffen hat. Sie hat es "Gott sei Dank" erreicht, daß wir bald den "grünen Strom" für 40 bis 50 Cent/kWh kaufen dürfen. Wie klug und richtungweisend diese Entscheidung für die Rettung der Welt ist, erkennen wir schon daran, daß wir mit dem Strom aus Kernkraftwerken für ca. 20 Cent/kWh "unsere Volkswirtschaft" in den sicheren Ruin getrieben hätten. Die Franzosen werden es noch bitter bereuen, daß sie 72 % ihrer Elektroenergie in Kernkraftwerken erzeugen.

Da fällt kaum noch auf, daß aus den neuen "Allgemeinen Stromlieferbedingungen" (wie die AGB hier heißen) unter Punkt 3 "Zustandekommen des Vertrages, Lieferbeginn" plötzlich zu erfahren ist, daß der Kunde durch Übermittlung des ausgefüllten Auftrags E.ON ein Angebot auf Abschluß des Vertrages unterbreitet. Was für ein Angebot? Zu welchen Konditionen? Wer bestimmt hier über wen? Sollen jetzt die Tarifkunden - wie schon bei deutschen Banken praktiziert - nicht nur E.ON im voraus ihr Geld geben, sondern auch noch kostenlos den Service übernehmen?

Am Ende dieser Mitteilung steht dann noch: "E.ON behält sich vor, den Vertrag mit dem Kunden abzulehnen." An dieser Stelle kann man nur hoffen, daß jeder Tarifkunde die rechtlichen Konsequenzen der völlig neuen AGB verstehen möge! In der alten AGB-Fassung stand noch der Satz: "E.ON ... ist verpflichtet, den Strombedarf des Kunden gemäß diesem Vertrag zu befriedigen und für die Vertragsdauer im vertraglich vorgesehenen Umfang nach Maßgabe dieses Vertrages jederzeit Strom zur Verfügung zu stellen."

Bildlich gesprochen liegt jetzt der demütige Kunde vor dem Palast von E.ON und bettelt um das Allgemeingut "Energie", das von skrupellosen Managern zu Horrorpreisen vermarktet wird. Den Begriff "Daseinsvorsorge", d. h. die kostengünstige Bereitstellung von Energie für ein würdiges Leben der Bürger, können wir getrost aus unserem Wortschatz streichen.

Punkt 7 - "Preisanpassung, Sonderkündigungsrecht" - der neuen AGB bestätigt die oben getroffenen Aussagen. "Wer die Netze besitzt, besitzt auch die Energieversorgung!" Das ist eine Binsenwahrheit. Deshalb sagte ein E.ON-Vorstandsmitglied auch: "Mit den Netzen verdienen wir inzwischen so viel, daß wir auf den Gas- und Stromverkauf verzichten können."

Den Tarifkunden von E.ON wird im Falle von Preiserhöhungen "großzügig" das Recht zur monatlichen Kündigung eingeräumt, wohl wissend, daß sie beim Wechsel des Anbieters "vom Regen in die Traufe" kommen.

Was hat all das noch mit Moral zu tun? Daran ändern auch die von E.ON veröffentlichten "Ethischen Grundsätze" für Mitarbeiter nichts.

Dr. Wolfgang Schacht, Wandlitz

Unser Autor war 50 Jahre in der Energiewirtschaft tätig.

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RF-Extra

Ein Buch der Generaldirektoren volkseigener Kombinate der DDR

"Jetzt reden wir"

Im Jahr 2014 wird sich die sogenannte Wende in der DDR zum 25. Mal jähren. Eine Flut neuer Publikationen dürfte sich mit dem Untergang des zweiten deutschen Staates befassen. Vom Zeitgeist getragen und der besseren Vermarktung wegen werden sie bekannte Klischees aufwärmen. "Unrechtsregime" und "Pleitestaat", "Schrotthaufen" und "Mißwirtschaft" sind einige Stichworte. Autoren (seltener Autorinnen), die die DDR von innen kaum kannten, werden abermals die Ineffizienz von Volkseigentum beschwören und privatkapitalistisches Wirtschaften als alternativlos preisen.

Das hier präsentierte Buch, eine Pionierarbeit im wahrsten Sinne, hebt sich davon ab. Es widmet sich einer Leerstelle im Publikationsangebot zur DDR-Ökonomie: dem bisher nicht gehobenen Erfahrungsschatz von "roten Wirtschaftslenkern". Es erzählen Menschen, welche die DDR von innen kannten, die bei deren Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und bei ihrer Manövrierung während des Kalten Krieges dabei waren, aber eben auch bei ihrem Zusammenbruch. Aus berufenen Mündern wird dies ein Beitrag zur Versachlichung in der Darstellung des sozialistischen Wirtschaftsgeschehens sein, so wie das in der jüngeren Zeit bereits zum Beispiel mit dem Film "Die Außenhändler" von Lutz Pehnert oder mit dem Buch "Der Bereich Kommerzielle Koordinierung" von Matthias Judt geschah.

Natürlich hatten sich die Initiatorinnen und Initiatoren ebenso wie die sich Erinnernden zu fragen, was denn nach gut zwei Jahrzehnten der Sinn solcher Publikation sein kann. Eine selbstgerechte, gar nostalgische Reflexion des Gewesenen konnte nicht in Frage kommen. Auch galt es der Gefahr zu entgehen, mit wachsendem zeitlichem Abstand und angesichts zivilisationsgefährdender Vorgänge im Realkapitalismus realsozialistische Defizite, auch Fehler zu verharmlosen. Es sollte vielmehr anhand von Erfahrungsberichten der Frage nachgegangen werden, ob und wenn ja was aus dem Wirtschaften eines letztlich implodierten Staates heute noch zu lernen, was aufhebenswert ist.

Wenn es nach denen geht, die dem Zeitgeist frönen, dann war da nichts Brauchbares, nichts für die Zukunft Weiterzuentwickelndes. Noch am 4. Februar 2013 verstieg sich z. B. Richard Schröder, Fraktionsvorsitzender der SPD in der am 18. März 1990 gewählten DDR-Volkskammer, in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zu einem grotesken Urteil über die DDR und ihre Wirtschaft. Der inzwischen an der Humboldt-Universität emeritierte Professor für Philosophie und Theologie bemühte dazu einen Witz, der angeblich in der DDR im Umlauf gewesen sei: "Der Sozialismus hat von allen bisherigen Gesellschaftsordnungen etwas bewahrt: vom Kapitalismus die vielen Krisen, vom Feudalismus die vielen Könige, von der Sklavenhaltergesellschaft den Umgang mit den Menschen und von der Urgemeinschaft die Produktionsmethoden." Das ist so hämisch, so dumm, daß ein Kommentar nicht lohnt. Ich erzähle auch mal gern einen Witz, aber für so einen würde ich mich schämen.

Alle, welche die heutigen, gerade im Umgang mit Menschen brutalen kapitalistischen Verhältnisse nicht für das Ende der Geschichte halten, kommen an den Erfahrungen des sozialistischen Versuchs nicht vorbei. Das betrifft das Bewahrenswerte, Weiterzuentwickelnde ebenso wie das nicht Gelungene, auch Fehlerhafte und Falsche. Für den deutschen Philosophen Hegel galt es als Imperativ, beim Start in etwas Neues Vergangenes nicht unbesehen zu entsorgen, sondern an tragfähigen Ansätzen anzuknüpfen und Geleistetes vor dem Vergessen zu bewahren.

Eine Frage bei der Suche nach einer Alternative zum realkapitalistischen Wirtschaften müßte also lauten: Waren Volkseigentum an den Produktionsmitteln und gesamtgesellschaftliche Planung letztlich schuld am Scheitern des sozialistischen Versuchs und darf daher beides in alternativen Zukunftskonzepten keinen Platz mehr haben? Ein "Ja" wäre nicht nur zu einfach, es wäre falsch.

Erst Volkseigentum an den Produktionsmitteln hat es möglich gemacht, daß wirtschaftliche Tätigkeit zuvorderst eine soziale Funktion hatte, eine Gemeinwohl-, keine einseitig einzelwirtschaftliche Renditeorientierung. Seinen Ausdruck fand das in entlohnter Arbeit für alle, die arbeiten wollten und konnten, in bezahlbarem Zugang zu Energie und Wasser für jedermann, in einem modernen, polytechnisch ausgerichteten Schulsystem. Gewährleistet war das Recht auf eine Lehrstelle für jeden Jugendlichen, auf kostenlose oder kostengünstige Bildungs-und Gesundheitsleistungen für alle. Das Qualifikationsniveau war in der DDR im internationalen Vergleich hervorstechend. Auf 1000 Beschäftigte in volkseigenen und genossenschaftlichen Betrieben entfielen im statistischen Durchschnitt 903 mit einer abgeschlossenen beruflichen Ausbildung. Darunter verfügten 606 über einen Facharbeiterabschluß, 42 über eine Meisterprüfung, 14 über einen Fachschul- und 81 über einen Hochschulabschluß. Die wichtige Naturressource Grund und Boden war kein Spekulationsobjekt.

Die blinden Kräfte des Marktes waren durch eine angestrebte geplante Entwicklung der Wirtschaft weitgehend ausgeschaltet. Auf Volkseigentum gründete, daß der Mensch nicht als "Humankapital" galt, das sich rechnen muß, wie die hochqualifizierten Ingenieure und Facharbeiter in der Sprache neoliberaler Ökonomen heißen.

Und die "roten Wirtschaftskapitäne" verkörperten mehrheitlich einen eigenen Managertyp. Nicht, weil sie ein ausgeprägtes Improvisationsvermögen besitzen mußten, sich mit dem Dreifachen des Verdienstes ihrer Facharbeiter begnügten und eine ausgeprägte Leidensfähigkeit gegenüber dem diktatorischen Verhalten übergeordneter Partei- und Staatsfunktionäre brauchten. Sie kamen zumeist aus sogenannten bildungsfernen Schichten und waren lebendiger Beweis für das in der DDR gebrochene Bildungsprivileg. In ihrem Führungsstil bevorzugten sie Sozialbeziehungen, in denen Gemeinschaftsgeist, Vertrauen und persönlicher Kontakt eine zentrale Rolle spielten.

Es ist bitter feststellen zu müssen, daß eine Bevölkerungsmehrheit 1989/90 annahm, solche im Laufe der Zeit als selbstverständlich hingenommenen Vorzüge könnten beibehalten, aber durch die begehrte harte Deutsche Mark ergänzt werden. Woran lag es aber dann, daß das im Volkseigentum und gesamtgesellschaftlicher Planung steckende humane, soziale und auch Effektivitätspotential sich nicht maximal entfalten und dauerhaft stabilisieren konnte?

Dafür gibt es mannigfache Ursachen. Gebremst haben äußere Bedingungen: umfangreiche Reparationsleistungen an die UdSSR in Form von Demontagen und Entnahmen aus der laufenden Produktion, Embargomaßnahmen kapitalistischer Länder, die offene Grenze zum Westen und die Abwanderung hochqualifizierter Männer und Frauen, die Zugehörigkeit zum RGW, einem Verbund wirtschaftlich und technologisch weniger entwickelter sozialistischer Länder.

Dennoch darf die Implosion der DDR nicht allein darauf zurückgeführt werden. Es gab innere, systemeigene Faktoren, die hemmend wirkten und die bei zu entwickelnden Modellen für alternatives Wirtschaften im Blick bleiben müssen:

- Die nahezu komplette Verstaatlichung des Eigentums an Produktionsmitteln in allen Branchen, die Landwirtschaft ausgenommen, und schließlich Anfang der 70er Jahre bis zur kleinsten Fabrik war nicht begleitet von der realen Verfügung der Produzenten über dieses Eigentum, von demokratischer Mitbestimmung der Belegschaften. Insofern war es kein wirkliches "Volkseigentum", sondern befand sich weitgehend in der Verfügung von Politbürokraten.

- Das zentralistische Planungssystem engte die Handlungsspielräume der wirtschaftenden Einheiten stark ein und ignorierte deren eigenständige ökonomische Interessen. Im Unternehmen erarbeitete Gewinne konnten nur sehr eingeschränkt nach Entscheidung der Kombinatsleitung verwendet werden.

- Ausgeschaltet waren nicht nur die blinden Kräfte des Marktes. Geringgeschätzt bis mißachtet wurden überhaupt Marktkategorien (Wert, Preis, Gewinn, Kredit), statt dessen wurden administrative Surrogate genutzt (Festpreise, Subventionen, ökonomische Hebel, Währungsumrechnungs- und Richtungskoeffizienten). Durch überwiegende Anwendung von Naturalkennziffern waren die wahren Produktionskosten verschleiert. Eine international vergleichbare Wirtschaftlichkeitsrechnung war erschwert.

Die Behebung dieser und weiterer Probleme war Anliegen des Neuen Ökonomischen Systems, das jedoch vor Wirksamwerden abgeblockt wurde. Solche Fehler und Mängel kritisch zu benennen, ist kein Nachtreten, sondern schützt vor Wiederholungen in künftigen linken Gesellschaftskonzepten. Das realsozialistische Eigentums- und Planungsmodell eignet sich nicht als Blaupause für eine Gesellschaft, die eine zukunftsfähige Alternative zum Realkapitalismus ist.

Noch ein Problem: In der ökonomischen Theorie und in der Wirtschaftspolitik der DDR galt wie in anderen realsozialistischen Ländern die Leninsche These, wonach die Arbeitsproduktivität in letzter Instanz das Allerwichtigste, das Ausschlaggebende ist für den Sieg der neuen Gesellschaftsordnung. (Die große Initiative. In: Lenin-Werke, Bd. 29, S. 416, Dietz-Verlag, Berlin 1976)

Lenin hatte den Vergleich mit den USA im Auge, deren Produktivität Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts neunmal so hoch war wie die der Sowjetunion. Diesen Maßstab angelegt, hat auf deutschem Boden das kapitalistische System zunächst gesiegt. In der Enquetekommission des Deutschen Bundestages "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit" sprach man ernsthaft davon, daß die volkswirtschaftliche Arbeitsproduktivität in der DDR etwa 30 Prozent oder sogar noch weniger als jene der BRD betragen habe. Die amtliche Statistik der DDR hat 1989 einen Stand von 60 Prozent ausgewiesen. Der Streit um Prozente ist inzwischen müßig. Daß es einen beachtlichen Abstand gab, ist bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft nicht zu bestreiten, im Vergleich mancher Branchen oder Unternehmen konnte das durchaus anders aussehen.

Doch taugt die Gegenüberstellung nackter Zahlen, um ein für alle Mal das prinzipielle Versagen einer auf Gemeineigentum und Planung beruhenden Wirtschaftsweise zu belegen, oder kann sie als Endbeweis für die Überlegenheit privatkapitalistischen Wirtschaftens gelten? Nein!

Außer Betracht bleiben dürfen erstens nicht historische, entwicklungsbedingte Umstände, die - bezogen auf die DDR - eingangs bereits erwähnt wurden. Zweitens aber gab es zweifellos Mängel und Fehler im praktizierten Eigentums- und Planungsmodell, die unmittelbar zu Produktivitätseinbußen führten.

Der Preis als grundlegender Faktor des Wirtschaftsgeschehens widerspiegelte nicht den Wert, also den Aufwand an lebendiger und vergegenständlichter Arbeit. Er wurde künstlich nachgebildet und verlor damit sein Wesen als einheitlicher Wertmaßstab.

In der Entlohnung dominierte Gleichmacherei. Es fehlte an systemkonformen Triebkräften, die denen von Profitgier und Existenzangst im Kapitalismus überlegen waren.

Zu Einbußen an Kreativität und Flexibilität sowie an Wertschöpfung in den Regionen kam es, als die restlichen kleinen und mittleren privaten und halbstaatlichen Betriebe Anfang der 70er Jahre in die Kombinate gepreßt wurden. Damit wurden auch Freiräume für die Lebensgestaltung nach individuellen Vorstellungen eingeschränkt.

Das Fehlen eines Marktes für Dienstleistungen führte dazu, daß jedes Kombinat selbst für den entsprechenden Zugang sorgte und unter seinem Dach Bauabteilungen und Fuhrparks ansiedelte, Kantinen, Kultureinrichtungen und Ferienlager vorhielt.

Aber: Muß nicht auch die Leninsche Meßlatte für den Systemwettbewerb hinterfragt werden? Ist diese nicht nur auf den Produktionsumfang und letztlich das Nacheifern kapitalistischer Praktiken fokussiert? Sie sagt doch nichts darüber aus, wem die neu geschöpften Werte zugute kommen, wie sie verteilt werden, darüber, ob sie parasitär, zum Beispiel für Rüstungsausgaben, Prestigeobjekte und ähnliches oder sozial und ökologisch zukunftsorientiert verwendet werden. Es fehlte und fehlt zum Teil bis heute die Antwort auf die Frage: Wie wollen wir leben? Welche Werte sind uns wichtig?

Die Bürgerinnen und Bürger der neuen Bundesländer verfügen inzwischen über Erfahrungen zweier Gesellschaftssysteme. Unterschiedliche Erfahrungen sind kein Mangel, kein Manko, sondern eine Bereicherung. Mit dem Heben von Erfahrungen der DDR-Wirtschaftslenker begonnen zu haben, ist ein zu würdigendes Verdienst des Unternehmens Rohnstock-Biographien und des Vereins zur Förderung lebensgeschichtlichen Erinnerns und biographischen Erzählens. Auf die öffentliche Resonanz darf man gespannt sein.

Prof. Dr. Christa Luft, Berlin


Einführungsvortrag auf der Tagung zur Übergabe des Buches "Jetzt reden wir" am 8. Dezember 2013

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Über den Auftrag konsequenter Linker im Europaparlament

Die real existierende EU

"Für mich ist das die Krise der EU und ihrer Institutionen. Leider spielt das Thema im Koalitionsvertrag kaum eine Rolle. Tatsache ist aber, daß uns die Krise der EU im nächsten Jahr einholen und die anderen Themen beiseiteschieben wird. Unsere Nachbarn in Europa werden einen gewaltigen Druck auf Deutschland ausüben, sobald die Regierung steht. Spätestens im Frühjahr 2014", erklärte Helmut Schmidt in einem "Bild"-Interview am 23. Dezember 2013.


Irland verläßt den Rettungsschirm, Spanien verzichtet auf weitere ESM-Hilfen, die Rezession in der EU ist gestoppt, die Börsen gehen immer weiter auf Höhenflug, der BRD-Kurs hat Deutschland gegen den Trend bestens durch die Krise geführt. Diese Botschaften hämmern aus allen großen Medien auf die Bevölkerung ein. Das Ergebnis dieser neoliberalen Verdummungspropaganda konnten wir dem Wahlergebnis entnehmen. Eine Mehrheit im Land will diesen Kurs fortsetzen, ein anderer Teil der Bevölkerung resigniert und verabschiedet sich aus der Politik. Helmut Schmidt hat hier recht. Die Wirklichkeit hinter den Meldungen sieht düster aus: Die Krisenstaaten der EU versinken in Arbeits-, Wohnungs- und Perspektivlosigkeit. Nordafrikanische Verhältnisse ziehen dort ein. Die Verschuldungsquote der Krisenstaaten steigt weiter an. Die Austeritätspolitik verschärft die Probleme noch. Ein Schuldenschnitt für Griechenland ist unabdingbar.

Und wichtiger noch: Die Ursachen der Krise werden nicht beseitigt und produzieren immer mehr Sprengstoff, der die Lebensverhältnisse der Menschen in der EU sowie die weitere Existenz der Europäischen Union und des Euro-Raumes in Frage stellt.

Die Krise des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus und der EU wird für das kapitalistische System neue Weichenstellungen erfordern. Aber dessen Anpassungsfähigkeit ist noch nicht ausgeschöpft, ein revolutionäres Potential für eine andere Gesellschaft derzeit nicht gegeben. Linke Politik muß sich auch jenseits revolutionärer Träume in die Gestaltung des Kapitalismus einmischen.

Wenn die aktuelle Krise ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zurückkehrt, wird politisch um die Deutungshoheit gerungen werden. Dazu ist deren Verständnis in ihren Zusammenhängen notwendig, wenn die richtigen Schritte zu ihrer Bekämpfung angestrebt werden sollen.


Krisenaspekt 1:
Mit dem Übergang zur Phase des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, der als Neoliberalismus bezeichnet wird, sollen die Profite privater Unternehmen über ein neues Verteilungsverhältnis des Mehrwerts und den Zugriff auf noch unerschlossene Geschäftsfelder gesteigert werden, auch über die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Das Ergebnis ist die dramatische Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums in den kapitalistischen Staaten. Doch der Spielraum dafür wird enger, Rücksichten im Umgang mit der Arbeiterklasse der entwickelten kapitalistischen Länder werden nicht mehr genommen.

Hierfür mußte das Kapital weltweit den Rückgang an Nachfrage in Kauf nehmen. Dieser Widerspruch verschärft die Tendenz zur kapitalistischen Überakkumulationskrise. Durch für den Kapitalismus günstige historische Umstände - den Zusammenbruch der sozialistischen Staaten Europas - und Spekulationsblasen konnte diese hinausgeschoben werden. Doch seit 2008 hat sie die Weltwirtschaft fest im Griff, insbesondere jene der EU.

Linker Politik kommt hier die Aufgabe zu, massiv für eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums einzutreten. Der Schwäche des Binnenmarkts muß auch durch sozial-ökologische Entwicklungsprogramme entgegengewirkt werden.


Krisenaspekt 2:
Dem Angebot von Kapital steht im Neoliberalismus mangels Nachfrage kein entsprechendes Angebot profitträchtiger Produktionsfelder zur Verfügung. Deshalb verbleibt die Spekulation als einzige Möglichkeit für das überschüssige Kapital, Gewinne zu erzielen. Diesem Kapitalinteresse ist die Öffnung und Liberalisierung der Finanzmärkte zu verdanken. Beim Zuschnappen der Krisenfalle werden die Staaten und damit die Bevölkerungen in die Verantwortung für die Spekulationsbanken genommen.

Linke Politik hat hier das Ziel, Spekulation zu bekämpfen und zu erschweren sowie die lebensnotwendigen Bereiche (Banken, Produktion, Rohstoffe, Nahrungsmittel und Energieversorgung) der Spekulation zu entziehen.


Krisenaspekt 3:
Im Neoliberalismus findet die Umverteilung auch über die Steuerpolitik statt. Das Schonen der Monopolprofite und Megareichen hat die Finanzierung der Staaten über Kredite herbeigeführt. Mit neoliberaler Steuerpolitik und Schuldenbremse wurden auch in Deutschland schon vor der Krise Kommunen und Länder in Existenznot gebracht. Die Rettung der Banken war hier der Eimer, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat. Die Schuldenquote der Staaten wurde dann zum Spekulationsobjekt der Finanzmärkte.

Linke Politik verfolgt hier das Ziel, die Finanzierung der Staaten aus Steuern wieder auf die "richtigen" kapitalkräftigen Beine zu stellen, die Finanzierung dem Kapitalmarkt zu entziehen und einen Schnitt für die öffentlichen Schulden vorzunehmen.


Krisenaspekt 4:
Mit der EU hat sich das europäische Kapital eine Staatengemeinschaft nach seinen Wünschen gestaltet. Eine Wettbewerbsunion von Staaten, die sich mit den Verträgen von Maastricht und Lissabon auf die Garantie der vier Grundfreiheiten, den freien Kapitalverkehr, freien Warenverkehr, freien Dienstleistungsverkehr und freien Personenverkehr verpflichtet hat. Alle Organe der EU - und insbesondere der Europäische Gerichtshof als letzte Instanz - haben diese neoliberalen Postulate umzusetzen.

Mit der Währungsunion hat sich dieser Prozeß beschleunigt. Ohne die Option einer Veränderung des Wechselkurses haben sich das ökonomische Ungleichgewicht innerhalb der EU und die Deindustrialisierung vieler EU-Staaten verschärft. Mit Ausbruch der globalen Überakkumulationskrise wurde dieses Auseinanderdriften der EU ins Blickfeld gerückt.

"So ist das in einer Wohngemeinschaft mit einem Elefanten als Hauptmieter und ein paar Schafen und Ziegen als Mitbewohnern. Der Elefant hat das Sagen", hieß es unter der Schlagzeile "Europa wird germanisiert" am 2. Januar 2014 in der Zeitung "Die Welt".

Dazu muß ich hier noch ergänzen: Der Elefant drückt die anderen nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch an den Rand. Verschärft wurde diese Entwicklung mit der den Krisenstaaten aufgedrückten Austeritätspolitik. Mit dem Fiskalpakt, dem sogenannten Six Pack und Trimester, wird dieser Kurs für alle EU-Staaten verbindlich.

Linke Politik muß für einen angemessenen Platz jeder Volkswirtschaft in der EU eintreten. Die EU darf kein Zusammenschluß von Schuldnern und Gläubigern sein. Für Deutschland bedeutet das eine Rückkehr zum Ziel einer ausgeglichenen Leistungsbilanz, zu einer Stärkung des Binnenmarktes und einer Abkehr vom Exportdumping. Dies bricht mit der neoliberalen Politikrichtung, da damit die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums in Deutschland verändert werden würde.


Krisenaspekt 5:
Die Grundrechte-Charta ist dem Vertrag von Lissabon nur als Protokoll beigefügt. In der real existierenden EU verpflichtet Eigentum nicht, hat Eigentum nicht dem Gemeinwohl zu dienen, und es geht auch keine Macht vom Volke aus. Derartige Aussagen und die Grundrechte der Menschen verbleiben in der Verantwortung der jeweiligen Nationalstaaten. Die EU stellt die Arena zur Verfügung, auf der die Wirtschaften und ihre Staaten gegeneinander um die Aufteilung des Kuchens drängen. Steuer-, Infrastruktur- und Sozialpolitik sind die möglichen Hebel für die Nationalstaaten. Die EU sichert den "diskriminierungsfreien" Marktzugang aller Konkurrenten. Ausbaden müssen diesen Dumpingwettbewerb die Völker.

Die Folgen dieses Weges hat Die Linke/PDS schon in ihren Stellungnahmen zu den Verträgen von Maastricht und Lissabon sowie bei der Einführung der Währungsunion beschrieben. Nun sind diese Warnungen Wirklichkeit geworden. Die real existierende EU, die sich auf die Verträge mit ihren Grundfreiheiten des Neoliberalismus gründet, ist kein Projekt eines solidarischen Europas. In dieser EU ist jeder Nationalstaat der Feind des anderen im Kampf um Märkte und Ressourcen. Egoistischer Nationalismus wird in reinster Form ausgelebt.

Linke Politik muß sich für eine Ablösung der Verträge von Maastricht und Lissabon mit ihrer Konkurrenzorientierung einsetzen.

Ein solidarisches Europa - mit dieser real existierenden EU? Das geht nur über eine inhaltliche Grundlage, die für alle eine Win-Win-Situation darstellt. In der derzeitigen EU gibt es keine realistische Option für einen solchen Neubeginn in seiner Gesamtheit. Die notwendigen Veränderungen der Verträge verlangen die Einstimmigkeit.

Wie sollen sich die Menschen, egal ob sie sich als "Sieger" oder "Verlierer" empfinden, gleichzeitig auf ein soziales Europa einigen? Behalten die Regeln von Lissabon ihre Gültigkeit, bis auch der letzte EU-Staat bekehrt ist?

Die Mehrheit der Bevölkerung in allen EU-Staaten - eventuelle Ausnahmen sind Griechenland und Zypern - ist dem Denken des Neoliberalismus verhaftet und wählt dessen Parteien. Die Bundestagswahlen haben dies für Deutschland mit den Ergebnissen für CDU/FDP/Grüne/SPD/AfD demonstriert. Erst wenn sich die Menschen der beteiligten Staaten auf Zusammenarbeit statt Konkurrenz, auf das Recht eines guten Lebens in jedem beteiligten Staat verständigt haben, ist ein solches solidarisches Europa möglich. Bisher hat diese Voraussetzung nie bestanden. In Deutschland wurde die real existierende EU als Wachstumsimpuls für die Wirtschaft verkauft, die Arbeitsplätze schafft und möglichst nichts kostet. Linke Politik setzt sich für die Schaffung eines anderen Europa ein, einer Gemeinschaft von Staaten auf solidarischer Ebene.

Die LINKE hat bisher ihre Position einer grundsätzlichen Ablehnung dieser real existierenden EU in der Bevölkerung nicht deutlich machen können: Diejenigen, auf deren Kosten das Erfolgsmodell "Exportland Deutschland" mit Hartz IV und prekärer Beschäftigung, Rente erst ab 67 und anderen Abbauprogrammen aufgebaut wurde, sehen in der LINKEN keine Kraft der Ablehnung der real existierenden EU und bleiben der Wahl fern. Diejenigen, die an den Erfolg des Modells Deutschland glauben, weil die anderen EU-Staaten schlechter dastehen, unterstützen die Agenda-Parteien.

Diese Bevölkerungsgruppen werden wir nur erreichen, wenn linke Politik das Scheitern der aktuellen Politik der Wettbewerbsorientierung mit ihrer Agenda 2010 sowie die Profiteure deutlich benennt und eine Alternative anbieten kann.

Die Krisenprozesse im Euro-Raum werden neben dem aktuellen Krisenmanagement die Diskussion zur Übertragung von mehr Rechten auf die EU-Ebene, verbunden mit einer "Demokratisierung" der EU, also mehr Rechten für das EU-Parlament, vorantreiben.

Jede Vertiefung der real existierenden EU erfolgt auf ihrer bisherigen Vertragsgrundlage. Wie kann da eine gemeinsame Wirtschaftsregierung die Wettbewerbsfreiheit der deutschen Industrie einschränken wollen?

Die Forderung nach mehr Entscheidungsrechten für das Europäische Parlament verkennt, daß dieses in großer Mehrheit aus den egoistischen Interessen der jeweiligen nationalen Kapitale Politik macht.

Demokratie aber ist mehr als lediglich eine Versammlung von gewählten Parlamentariern. Demokratie verlangt Gemeinsamkeit und Solidarität, eine Öffentlichkeit, in der die politische Willensbildung stattfindet, und ein Verständnis von Gemeinschaft. Das hat diese Europäische Union nicht zu bieten. Demokratie findet derzeit nur in nationalen Grenzen statt. Diese bereits existierende Demokratie muß gestärkt und erhalten bleiben.

Sabine Wils


Unsere Autorin stammt aus Hamburg und gehört der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken im Europaparlament an.

Ende RF-Extra

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Zum Charakter und zur Rolle der Europäischen Linkspartei

Nichts für Marxisten

von Tibor Zenker

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Als Revisionisten die KP der USA liquidieren wollten

"Browderismus" - gestern und heute

In den 30er Jahren spielte die durch William Z. Foster, Eugene Dennis, Gus Hall und Henry Winston geführte KP der USA in der Arbeiterbewegung ihres Landes eine wichtige Rolle. Von Marxisten wurden die kampfstärksten Industriegewerkschaften des CIO aufgebaut. Während des Krieges zeichneten sich nicht wenige Mitglieder der Partei an den Fronten der Antihitlerkoalition durch großen Mut und Aufopferungsbereitschaft aus.

Doch im Mai 1944 durchlebte die KP der USA schwere Zeiten. Auf ihrem XII. Parteitag in New York faßte sie den verhängnisvollen Beschluß der Selbstauflösung. Was staatliche Repression nicht vermocht hatte, erledigte Generalsekretär Earl Browder nun selbst. Er und seine ebenfalls auf das Liquidatorentum setzenden Anhänger verwandelten die Vorhut der Arbeiterklasse über Nacht in einen harmlosen Schulungs- und Bildungsverein unter der Bezeichnung Communist Political Association.

Was war dem vorausgegangen? Die KP der Vereinigten Staaten fand bei ihrer Formierung im Jahre 1921 Bedingungen vor, die sich von den Voraussetzungen der in Europa gegründeten kommunistischen Parteien deutlich unterschieden. Die Entwicklung revolutionärer Tendenzen in der Arbeiterklasse der USA war durch Traditionen und landestypische Faktoren gehemmt worden. Die früh erfolgte bürgerlich-demokratische Revolution und auf ihr fußende Entwicklungen hatten auch unter den Proletariern einen gefestigten Glauben an deren Prinzipien entstehen lassen. Der Arbeitskräftemangel einer sich rasant entwickelnden Industrie begünstigte relativ hohe Löhne und somit den Aufstieg nicht weniger Proletarier in das Kleinbürgertum. Überdies wurde der Zusammenschluß der arbeitenden Massen durch deren multiethnische und multinationale Zusammensetzung erschwert.

Vor diesem Hintergrund konnte sich die KP der USA nicht zu einer dauerhaft großen Partei entwickeln, obwohl sie auf dem Höhepunkt ihres Einflusses etwa 80.000 Mitglieder hatte.

Als hinderlich erwiesen sich auch sektiererische Tendenzen, die oftmals durch unzureichende Massenverankerung begünstigt wurden. Andererseits aber waren Kommunisten in den Kämpfen der Arbeiter um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen vielerorts anerkannte Wortführer. Ein besonderes Ruhmesblatt der Partei war der Einsatz zahlreicher Genossen gegen den rabiaten, staatlich begünstigten Rassismus, dem nicht wenige Afroamerikaner zum Opfer fielen.

Als Präsident Franklin Delano Roosevelt zu Beginn der 30er Jahre den Folgen der Weltwirtschaftskrise mit einem als New Deal bezeichneten Bündel das ökonomische Wachstum stimulierender Maßnahmen auch sozialpolitischer Natur begegnete, nährte dies bei einem Teil der KP-Mitglieder reformistische Illusionen.

Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und der Formierung der Antihitlerkoalition galt Roosevelt als Bundesgenosse der Sowjetunion. Auch diese plötzliche "Nähe" wurde von bestimmten Kreisen in der Partei falsch bewertet. So suggerierte Browder die Vorstellung, die Teheraner Konferenz, bei der sich Roosevelt, Churchill und Stalin 1943 erstmals getroffen hatten, sei das Aufbruchssignal zu einer neuen Epoche gedeihlichen Zusammenwirkens von Kapitalismus und Sozialismus zum Wohle der Menschheit. Das US-Monopolkapital müsse fortan als Partner begrüßt werden, da von ihm wichtige Impulse für Fortschritt und Demokratie erwartet werden könnten. Nach Kriegsende würden die dann militärisch nicht mehr in Anspruch genommenen Produktionskapazitäten einen enormen Zustrom an Konsumgütern zur Sicherung des Massenwohlstandes bescheren.

Das aus Republikanern und Demokraten bestehende Wechselbad zweier großbürgerlicher Parteien könne unter diesen Umständen durchaus akzeptiert werden, so daß es einer eigenständigen Kommunistischen Partei nicht länger bedürfe. Übrig bleiben sollte nur ein loser Zusammenschluß Gleichgesinnter, welcher die insgesamt erfreuliche Entwicklung mit sozialistischen Ideen flankiere.

Browder überrumpelte den linken Flügel der KP um William Z. Foster, der den Standpunkt vertrat, weder die Antihitlerkoalition mit der UdSSR noch Roosevelts "New Deal" hätten irgend etwas am prinzipiellen Gegensatz von Sozialismus und Kapitalismus, Arbeit und Kapital geändert.

Die Auflösung der KP der USA rief in der kommunistischen Weltbewegung ein kritisches Echo hervor. Die französischen Parteiführer Maurice Thorez und Jacques Duclos gingen auf Gegenkurs. Mit internationaler Unterstützung gelang es den marxistisch-leninistischen Kräften in der KP der USA Anfang Juli 1945, ihre Partei zu rekonstituieren.

Bald darauf erfolgte Browders Ausschluß, dessen verhängnisvoller Kurs zu empfindlichen Mitglieder- und Einflußverlusten sowie zur Auflösung etlicher KP-Betriebsgruppen geführt hatte. Der Kalte Krieg und die unter dem McCarthyismus einsetzende Kommunistenverfolgung sprachen das endgültige Urteil über dessen Phantasien von einer neuen Weltharmonie.

Die Beschäftigung mit diesem Renegaten wäre unnötig, gäbe es nicht auch heute Kräfte in der sozialistischen und kommunistischen Bewegung, die ähnliche Ideen zu verbreiten suchen. Im Februar 2011 veröffentlichte z. B. der jetzige Vorsitzende der KP der USA Sam Webb ein Papier, in dem auch er de facto die Umwandlung seiner Partei in eine Allerweltsvereinigung von "Gutmenschen" empfahl. Die durchaus informative Zeitung der KP - "People's World" - erscheint seit längerem nur noch im Internet.

Auch in Europa fehlt es bekanntlich nicht an Personen und Zusammenschlüssen, die zwar mit der Bezeichnung "kommunistisch" firmieren, Lenins Parteiverständnis und dessen Imperialismus-Analyse jedoch zu "dogmatischen" Relikten erklären. Sie werben für Konstrukte wie die EU und die in deren Fahrwasser segelnde EL. Diese propagiert eine bunte Mosaik-Linke ohne ideologische Abgrenzung.

Aktive Bündnispolitik ist seit jeher ein Kernelement erfolgreicher kommunistischer Politik. Hierzu aber bedarf es klar definierter Inhalte und unmißverständlicher eigener Konturen. Jeder Verzicht auf eine eigenständige marxistisch-leninistische Partei führt in die Sackgasse.

Wer diese Vorhut im Nirwana der Klassenharmonie unkenntlich machen will, sollte wenigstens nicht versuchen, das als Neuheit auszugeben, liegt doch Earl Browders Debakel schon sieben Jahrzehnte zurück.

Erik Höhne, Neuss

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Zeigt ein gelbes Band für die Cuban Five!

Fünf große Umarmungen

Der Berliner "RotFuchs"-Aktivist Walter Drexler, der sich seit Jahren in der Solidaritätskampagne für die als Cuban Five weltweit bekannt gewordenen fünf wegen ihres Antiterrorkampfes in den USA verurteilten kubanischen Kundschafter engagiert, erhielt unlängst Post aus einem Hochsicherheitstrakt der Vereinigten Staaten.

Die dem Brief vorangestellten Verse nehmen auf eine kubaweite Initiative Bezug, das Verlangen nach Freilassung der Cuban Five durch Anbringen von Millionen gelber Bänder - wo immer möglich - zu unterstreichen.



Zeig dich mit dem gelben Band,
lächle auf der Straße, wenn ihr
aneinander vorbeigeht,
verbunden durch das gelbe Band
wie wir beide durch unsere Wunden

so enges Band
durchlässig für das Licht
euer gelbes Band für uns

Spür deine Hoffnung, wenn es flattert
von Bäumen, aus Fenstern
vom Balkon das gelbe Band
an der Haustür, die auch die meine ist

Zeig dich mit dem gelben Band,
damit die Welt sieht
daß unser Traum lebt

Wie eine entfaltete Blume
das gelbe Band, es soll uns reichen
bis an den Rand der Sterne

Tu es, obwohl ich weiß, wie sehr du mich liebst,
wie sehr dein Leben das meine ist,
und obwohl ich weiß, daß du auf mich wartest
Unrecht braucht Antwort
die deine ist das gelbe Band


Lieber Walter!
Im Dezember 2013 waren es zwölf Jahre, daß ein Richter in Miami sein brutales und ungerechtes Urteil gegen uns gefällt hat. Ich erinnere mich daran, daß ich 2002 mitten im strengen Winter in das Gefängnis von Florence kam. Ich traf dort mit der Last einer Verurteilung zu Lebenslänglich auf den Schultern ein und erfuhr bald, daß viele Insassen dieses Gefängnis als "Friedhof für Lebende" bezeichneten. Etliche, mit denen ich zusammentraf, waren dazu bestimmt, in Florence oder in einem anderen Bundesgefängnis zu sterben. Ihre Chancen, aufgrund des Urteils einer Berufungsinstanz entlassen zu werden, waren gleich Null, und viele dieser Männer hatten bereits lange Haftzeiten abgesessen.

Gewalt gehörte zur täglichen Routine innerhalb der Mauern von Florence. Es war wirklich äußerst schwer, auch nur einen einzigen ruhigen und friedlichen Menschen dort zu finden. Fast jeder hatte ein Sündenregister gewalttätiger Handlungen inner- oder außerhalb der Anstalt. Was alles indes noch schlimmer machte, war eine Überzahl von Gefangenen, die an Geisteskrankheiten litten.

Ich erinnere mich noch an einige Gespräche mit Gefängnisveteranen, die mir erzählten, in Florence überschreite man nach 15iähriger Haftzeit eine imaginäre Grenze, mit der die "Anstalt zum Alltag geworden" sei. Sie erklärten mir, das wäre die Zeit, in der dann physische und psychische Probleme aufträten.

Wir befinden uns jetzt - rechnet man die Untersuchungshaft mit - im 16. Jahr unserer ungerechten Einkerkerung und sind sehr glücklich, daß wir bei uns keine Symptome des Orientierungsverlustes oder der Depression feststellen müssen. Im Gegenteil, an jedem neuen Gefängnistag sind wir positiver und kreativer eingestellt, sind wir ernsthafter und vor allem optimistischer.

Ich wage zu sagen - und das ist mein voller Ernst -, daß wohl niemals irgendein Gefangener so viele Briefe erhalten hat wie die Cuban Five. Sie erreichten uns während unserer langen Haftzeit von allen Enden der Welt. Es war ein endloser Fluß von Briefen voller Freundschaft und Liebe. Diese Botschaften der Solidarität haben niemals aufgehört, seitdem man 2001 unserer Situation gewahr wurde. Das machte den Unterschied aus, und wir wissen, daß dieser Strom der Unterstützung und Zuneigung nicht enden wird, bevor unsere vielen Freunde erfahren, daß wir alle sicher wieder zu Hause eingetroffen sind.

Das harte Leben, das man im Gefängnis führt, zeigt mir, daß ein Unschuldiger mit reinen Prinzipien, der von vielen Menschen geliebt wird, niemals den Verstand verlieren kann. Er wird zu keiner Zeit seine Integrität und Moral aufgeben oder kompromittiert und gebrochen werden können. Das bleibt wahr, auch wenn sich der Betreffende in der am meisten isolierten Zelle befinden sollte. Wie José Martí gesagt hat: "Ein gerechtes Prinzip vom tiefsten Boden einer Höhle ist stärker als eine ganze Armee."

Euch übermittle ich meinen ewigen Dank für die immense und ständige Unterstützung, die uns den Widerstand fortsetzen und die uns jeden Tag die unaufhaltsam nahende Freiheit spüren läßt. Wir wünschen Euch Gesundheit, Freude und Erfolg in der Wahrnehmung Eurer Ziele. Fünf große Umarmungen!

Grüße an unsere Freunde in Deutschland. Venceremos!

Antonio Guerrero

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Das Erscheinungsbild der Partei der Arbeit Belgiens

Jung, modern, revolutionär

Die flämisch-wallonische Partei der Arbeit Belgiens (PvdA/PTB) ist die derzeit wohl am schnellsten wachsende marxistische Formation in Europa. Seitdem sie sich von dogmatisch-sektiererischen Rudimenten ihrer Anfänge gelöst und die proletarische Weltanschauung voll in sich aufgenommen hat, läßt sie auch die Kommunisten anderer Parteien des Kontinents an ihrem neu erschlossenen Erfahrungsschatz teilhaben. Auf dieser Seite machen wir die RF-Leser mit attraktiven Bildern aus dem Leben der PTB vertraut.

Die Bilder sind in der PDF-Ausgabe des Rotfuchs zu betrachten unter:
http://www.rotfuchs.net/zeitung/archiv/2014/RF-194-03-14.pdf

- "Nehmt eine Mitgliedskarte!" machen junge Leute auf ihre Partei neugierig

- Ein eindrucksvolles Plakat der belgischen Kommunisten: "Ohne Arbeiter gibt es keinen Reichtum!"

- Solidarität mit Immigranten gehört zu den Markenzeichen der PTB.

- Die Mitarbeiter des landesweiten Netzes der PTB-Ärztehäuser "Medizin für das Volk" - hier auf einem gemeinsamen Ausflug mit ihren Familien - gewährleisten die fürsorgliche Behandlung finanziell schwacher oder mittelloser Patienten.

- Ständig wächst der Einfluß des engagierten PTB-Jugendverbandes COMAC. Unser Bild zeigt junge Genossen bei einer Zusammenkunft.

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Als der britische GCHQ über die "Guardian"-Festplatten herfiel

Medienfreiheit - Western Style

Was mit dem Londoner "Guardian", der keineswegs als "rotes" Vorzeigeblatt gilt, geschehen ist, spricht Bände. Seitdem der Journalist Glenn Greenwald die Enthüllungen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden über die weltweiten Abhörpraktiken seines einstigen Dienstes dort publik gemacht hat, sieht sich die britische Zeitung den Attacken in offiziellem Auftrag handelnder Gesinnungsterroristen ausgesetzt. Schon am 17. Juni 2013 stieß Stephen Glover von der konservativen "Daily Mail" eine massive Drohung aus. Die Anprangerung der Spionagezentrale NSA und des mit ihr kooperierenden britischen GCHQ grenze an Hochverrat - einen Straftatbestand. "Wichtige Staatsgeheimnisse" seien ausposaunt worden.

Solche düsteren Andeutungen hatte man längst auch durch behördliche Schritte untersetzt. Schon im September 2011, als der "Guardian" die Schnüffelpraktiken der Blätter des britisch-australischen Medienmoguls Murdoch attackiert hatte, waren repressive Akte gegen das aufmüpfige Blatt im Gespräch gewesen.

Kurz nach der Verhaftung des Snowden-Kuriers David Miranda - des Lebensgefährten von Glenn Greenwald - auf dem Londoner Flughafen Heathrow drangen Regierungsbeamte unter Berufung auf ein elf Jahre altes Terrorgesetz in die "Guardian"-Redaktion ein und vernichteten dort sämtliche diesbezüglichen Festplatten.

Murdochs notorisches Flaggschiff - das an "Bild" orientierte Boulevardblatt "The Sun" - brachte Ende Oktober 2013 einen auf Informationen von NSA und GCHQ gestützten tendenziösen Bericht, der dem "Guardian" vorwarf, die Arbeitsmöglichkeiten der Sicherheitsorgane Großbritanniens und der USA zugunsten von Terroristen einzuschränken. Der rechtskonservative Unterhausabgeordnete Julian Smith legte nach und verlangte strafrechtliche Schritte. Der "Guardian" wurde beschuldigt, ein seit 1912 geltendes Gentlemen's Agreement über den Verzicht der Medien auf die Publizierung sicherheitsrelevanter Materialien gebrochen zu haben: das DA-Notice-System. Ihm zufolge darf in Großbritannien keine Bloßlegung staatlicher Interessen ohne vorherige "Diskussion" erfolgen.

Unterdessen drohte der britische Tory-Premier David Cameron mit Verschärfungen. Am 25. April 2013 forderte er im Rahmen einer Unterhausdebatte die Medien zu "mehr sozialer Verantwortung" auf. Die Regierung könne sonst "gezwungen sein, die Veröffentlichung Sicherheitsinteressen berührender Informationen generell zu blockieren". Derzeit sind in Großbritannien etwa 9000 Personen in einer speziellen "Extremismus-Datenbank" erfaßt. Auch die Namen nicht weniger Journalisten sollen darunter sein.

Der Kampf gegen eine unerwünschte Öffentlichkeit wird indes nicht nur an der Themse geführt. Als "Leitmotiv" solcher Art von Repression gilt das Vorgehen der Athener Machthaber gegen den griechischen Staatssender ERT. Nachdem Premier Samaras die Station am 11. Juni 2013 per Handstreich geschlossen hatte, wonach sich etliche der 2650 Mitarbeiter dieser Repressalie an ihren Arbeitsplätzen im ERT-Gebäude widersetzten und den Sendebetrieb per Internet monatelang aufrechterhielten, erfolgte am 7. November das definitive Aus. Jetzt ist die hellenische Regierung damit befaßt, ein personell wesentlich verkleinertes, fest an ihrer Kandare marschierendes neues staatliches Rundfunk- und Fernsehsystem - den Propagandasender NERIT - aufzuziehen.

Wie der stellvertretende Vorsitzende der Athener Journalistengewerkschaft Giorgos Gioukakis erklärte, werde der Kampf mit juristischen Mitteln fortgesetzt, wobei gute Chancen bestünden, ihn vor den Arbeitsgerichten zu gewinnen. Während 540 einstige ERT-Mitarbeiter vorerst beim Übergangssender DT Beschäftigung fanden, laufen derzeit noch 170 Prozesse entlassener ERT-Angestellter vor den entsprechenden Instanzen.

Werfen wir noch einen Blick in das von der Falange-Nachfolgepartei PP regierte Spanien. Am 30. November 2013 eilten Tausende Demonstranten in Valencia und Alicante den Beschäftigten des öffentlich-rechtlichen Regionalsenders RTVV zu Hilfe, die ihre Station gegen Repressalien der Zentral- und der Provinzialregierung verteidigten. Am Mittag jenes Tages war das Signal von Canal Nou (Kanal 9) plötzlich ausgefallen. Die schon früher geplante Abschaltung hatte sich um etwa 12 Stunden verzögert, da sich der unter Polizeischutz in das Sendergebäude gebrachte Techniker Francisco Signes mit den protestierenden Journalisten solidarisierte. "Ich schalte Canal Nou nicht ab", erklärte er unter Hinweis auf eine fehlende richterliche Entscheidung. Selbst der RTVV-Chef bezog die gleiche Haltung. Doch die einzige in valenzianischer Mundart übertragende Station mußte - das Gericht hatte dann doch noch gegen die Beschäftigten entschieden - am Ende geräumt werden.

Dem jüngsten Geschehen war folgendes vorausgegangen: Im Vorjahr hatte Valencias Oberster Gerichtshof die früher erfolgte Kündigung von 1200 Mitarbeitern aufgehoben, welche eiligst durch Anhänger der faschistoiden Madrider Regierungspartei PP des Ministerpräsidenten Rajoy ersetzt worden waren. Die Folge war eine totale Programmdeformation gewesen. Als Reflex auf die gerichtlich verfügte Wiedereinstellung sämtlicher entlassener Angestellter ordnete der Präsident der Regionalregierung Alberto Fabia (PP) die sofortige Schließung der Station an, da für den Weiterbetrieb kein Geld mehr zur Verfügung stehe. Seine Entscheidung sei "nicht verhandelbar".

"Fabia hat Angst vor einem Sender, der die Wahrheit sagt", stellte der Betriebsratsvorsitzende Vicent Mitsud vor protestierenden Bürgern Valencias fest.

Nach der zuvor erzwungenen Wiedereinstellung der 1200 entlassenen Mitarbeiter war plötzlich bei RTVV über Korruptionsskandale und andere sinistre Machenschaften der PP berichtet worden. Auch war die Rede davon, daß die Schulden des Senders auf 1,1 Mrd. Euro angewachsen und die Einschaltquoten von 20 auf vier Prozent gefallen seien.

So kannte die PP mit den Frauen und Männern des widerspenstigen Regionalsenders keine Gnade.

Esperanza Aguirre, die PP-Vorsitzende in der hauptstädtischen Region, zog ihrerseits Parallelen zwischen dem Schicksal der RTVV und der "Personalreduzierung" bei Telemadrid, wo 900 von ursprünglich 1200 Mitarbeitern gegen ihre willkürliche Entlassung Einspruch erhoben haben.

Wie man sieht, ist die Pressefreiheit im Bannkreis des Kapitals grenzenlos!

RF, gestützt auf Beiträge der ver.di-Monatszeitschrift "Menschen machen Medien"

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Wird die Transatlantische Freihandelszone eine Wirtschafts-NATO?

"Cockpit"-Träume der USA

US-Präsident Barack Obama erklärte in seiner "Rede zur Lage der Nation" Anfang Februar 2013, er verfolge zwei Projekte: eine transatlantische und eine transpazifische Partnerschaft. Die Idee für die Erstgenannte lieferte Angela Merkel schon 2007. Seitdem diskutieren Washington und die Brüsseler EU-Spitze intern über die Errichtung einer "Freihandelszone". Die Grundlage hierfür soll ein Abkommen bilden, das unter folgenden Gesichtspunkten betrachtet werden muß: Erstens betrifft es die Entwicklung der Weltwirtschaft. Da die USA ihre globalen Vormachtpositionen schwinden sehen, wollen sie sich die EU als politische und wirtschaftliche Einflußsphäre bewahren. Zweitens wollen die USA anderen wirtschaftlichen Zentren oder Einflußzonen bei deren Expansionsbestrebungen Hindernisse in den Weg legen. Das betrifft vor allem China - die zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt -, aber auch Rußland und aufstrebende Schwellenländer mit wachsender Potenz wie Brasilien, Indien und Südafrika.

Angesichts der abweisenden Haltung der Europäischen Union (EU) schafft sich Rußland seit einigen Jahren eigene Schwerpunkte. Das europäisch-asiatische Riesenland und weitere vier Staaten unterzeichneten im Jahre 2000 den Vertrag über die Errichtung der "Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft". Es handelt sich dabei um einen Versuch, die früheren ökonomischen Verbindungen ehemaliger Sowjetrepubliken auf eine neue Grundlage zu stellen. Dabei geht es vor allem auch um die Schaffung einheitlicher Zollregeln, die Einigung auf gemeinsame Positionen für den Warenhandel, für Dienstleistungen und den Zugang zu den Binnenmärkten. Im Juli 2010 einigten sich Rußland, Kasachstan und Belarus als ersten Schritt auf eine Zollunion. Der visafreie Reiseverkehr zwischen den Mitgliedsländern wurde eingeführt. Auch Usbekistan erwägt seinen Beitritt, während Armenien bereits erklärte, sich der Zollunion anschließen zu wollen. Selbst Ankara prüft entsprechende Schritte.

China plant gemeinsam mit Belarus den Bau einer riesigen Stadt nur 25 Kilometer von Minsk - eine Art weißrussisches "Silicon Valley" mit Hightech-Firmen in den Bereichen Biomedizin und Elektronik. Fallen die Handels- und Zollbarrieren zwischen China und seinen wichtigsten Geschäftspartnern in Südostasien, dann entsteht dort eine außerordentlich mächtige weitere Wirtschaftszone. Für die USA wäre es jedoch noch brisanter, wenn Pekings Vorschlag zur Gründung einer Handelsachse China-Korea-Japan Wirklichkeit würde. So bleibt aus Sicht Washingtons kein anderer Weg als in die Offensive zu gehen, wenn es seinen Einfluß in Asien und Europa nicht weiter geschwächt sehen möchte.

Unter diesem Aspekt ist das angestrebte Wirtschaftsbündnis USA-EU zu werten. Die Vereinigten Staaten streben eine weit über eine reine Zollunion hinausgehende Allianz an, um den Herausforderungen einer sich wandelnden Weltwirtschaft begegnen zu können. Deshalb drängen US-Konzerne darauf, die ökonomischen, technischen und rechtlichen Standards der EU denen der USA anzunähern. Springender Punkt dabei sind Vorstellungen, daß künftig Unternehmen gegen Entscheidungen von Staaten (z. B. beim Umweltschutz, der Bewahrung natürlicher Ressourcen und dem Gen-Schutz) klagen können. Diese Frage wird besonders im Bereich der Lebensmittelproduktion, aber auch der chemischen und pharmazeutischen Industrie höchst explosiv. US-Unternehmen drängen bekanntlich seit längerem mit genmanipulierten oder geklonten Erzeugnissen auf den westeuropäischen Markt.

Mit Hilfe einer neuen Energiepolitik, die auf umweltzerstörende Ausbeutung inländischer Gas- und Erdölressourcen durch Fracking setzt, verschaffen sich einzelne Staaten Wettbewerbsvorteile. Die Internationale Energieagentur (IEA) geht davon aus, daß die USA bald mehr stromintensive Güter exportieren werden. "Auch in Asien dürfte - getrieben durch die Nachfrage - die Produktion solcher Waren ansteigen. Europa und Japan hingegen verlören so bis 2035 gut ein Drittel ihres Weltmarktanteils", prognostizierte die IEA. Das würde bedeuten, daß die Europäische Union in großem Ausmaß Positionen einbüßen könnte. Die größte Volkswirtschaft der Welt - die der USA - nimmt nach wie vor den führenden Rang in Forschung und Entwicklung ein. Konflikte über Patente und Patentrecht sind da angesagt.

Als Schlußfolgerung mag die Erkenntnis gelten, das Obamas Vorschlag für eine neue Partnerschaft USA-EU nicht vorrangig ökonomisch motiviert ist. Er stellt vor allem den Versuch dar, strategische Machtpositionen zurückzuerobern. "Auf vielen Gebieten, etwa in der Energiewirtschaft, dem Maschinenbau, der Leichtindustrie und teilweise auch der Landwirtschaft, konkurrieren USA und EU keineswegs nur mit China, sondern in erheblichem Maße auch untereinander", konstatierte der russische Politologe Dmitri Absalow. Überdies sind viele Mechanismen einer Freihandelszone wenig effektiv. In Krisenzeiten werden sowohl Washington als auch Brüssel wieder Beschränkungen einführen (müssen), um nicht Arbeitsplätze der eigenen Volkswirtschaften auf dem Altar einer solchen "Integration" zu opfern.

Die transatlantische Markterweiterung dürfte im EU-Raum wohl kaum neue Jobs entstehen lassen. Eher werden sich industrielle Produktionen längerfristig in den USA konzentrieren - bei Arbeitsplatzeinbußen industrieller Unternehmen Europas. Ob diese durch den Ausbau des Dienstleistungssektors ausgeglichen werden können, steht in den Sternen.

Die Gestaltung des rechtlichen Rahmens für die geplante Transatlantische Freihandelszone ist ebenfalls ein heißes Eisen. Zwar werden USA und EU formell gleichberechtigte Beziehungen vereinbaren, in der Praxis jedoch dürfte sich die Europäische Union dem Führungsanspruch Washingtons unterordnen. "Manche Transatlantiker sprechen bereits von einer 'Wirtschafts-NATO'", urteilte die "Süddeutsche Zeitung". Die US-Regierung bezeichnet das Projekt zwar als "Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft", stellt sich dabei jedoch einen Wirtschaftsraum vor, der einem Flugzeug gleicht: Die Vereinigten Staaten wollen im Cockpit sitzen, während man 28 EU-Mitgliedern hintere Plätze zuweist.

Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin

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KP Sudans zeigt Al Bashir die Rote Karte

Während sich in Sudan die Protestaktionen gegen die Tyrannei des despotischen Präsidenten Omar Hassan al Bashir ausweiten, hat die KP des Landes vor geraumer Zeit ein Programm zum Sturz der islamistischen Regierung und deren Ersetzung durch ein demokratisches und säkulares (weltliches) Regime vorgelegt.

Al Bashir, der 1989 durch einen Militärputsch an die Staatsspitze gelangt war, bekannte sich bald zum Islamismus, wobei er die überwiegend christliche Bevölkerung im Landessüden mit brutaler Gewalt unterdrückte. Das löste einen blutigen Bürgerkrieg aus. 2011 erklärte der Süden, wo sich drei Viertel des sudanesischen Erdöls befinden, nicht ohne imperialistisches Zutun (vor allem der USA und der BRD), seine staatliche Unabhängigkeit. So entstand die Republik Südsudan, in der im Dezember 2013 erneut äußerst heftige und für die Bevölkerung verlustreiche Ressourcen-Kämpfe ausbrachen.

Die Sudanesische Kommunistische Partei (SKP), deren Mitglieder in beiden Staaten aktiv sind, setzte sich für eine Beilegung des Konflikts, die Rückkehr zur Demokratie und die Einstellung jeglicher Bestrebungen ein, den Süden zu islamisieren. Sie wandte sich entschieden gegen die Spaltung des Landes.

Nach der Abtrennung des Südens stand Sudan vor einem Dilemma. Von den reichen Ölvorkommen im Süden führt eine Hunderte Kilometer lange Pipeline über Nordgebiet nach Port Sudan am Roten Meer. Diese Situation lag im Frühjahr 2013 einem weiteren militärischen Konflikt zugrunde. Die Trennung des Landes verschärfte auch die Spannungen im Grenzgebiet beider Staaten. Hier wie dort operierten bewaffnete Kräfte, nördlich der Grenze in der Abya-Region und der Provinz des Blauen Nils. Erbitterte Kämpfe tobten auch im westlichen Gebiet von Darfur.

All das setzte das Bashir-Regime unter Druck. In der ersten Hälfte des Vorjahres erhöhte es plötzlich drastisch die Preise für Öl und Nahrungsmittel, wobei Khartum die Notwendigkeit der ergriffenen Maßnahmen damit begründete, durch die Teilung des Landes hätten sich die Einnahmen aus der Förderung des schwarzen Goldes erheblich verringert.

Die SKP und andere linke Kräfte wiesen dieses Argument zurück und machten die ausufernde Korruption, den Druck ausländischer Kreditgeber sowie die maßlos überzogenen Budgets für Armee- und Polizeikräfte verantwortlich.

Die Preissteigerungen lösten landesweit eine Welle heftiger Proteste aus. Das Khartumer Regime antwortete mit Terror und Gewalt. Hunderte Sudanesen wurden ermordet, Tausende verletzt, die Oppositionsführer - darunter etliche Kommunisten - ins Gefängnis geworfen. Der Schlag richtete sich auch gegen die oppositionelle Presse, wobei die Knebelung der SKP-Tageszeitung "Al Midan" natürlich nicht ausblieb. Ein wichtiger Sektor der organisierten Opposition zum Al-Bashir-Regime formierte sich 2010 unter aktiver Beteiligung der SKP zu den "Kräften der Nationalen Übereinkunft". Zwei der daran beteiligten Gruppen sind islamistisch orientiert. Dem breitgefächerten Bündnis gehören Gewerkschaften, Studentengruppen und Bürgerrechtler an, wobei viele der Beteiligten parteipolitisch ungebunden sind. 2012 unterzeichneten alle gemeinsam die Charta der Demokratischen Alternative. Deren Ziel ist der Sturz der Al-Bashir-Diktatur.

Der Machthaber gelangte selbst zu der Erkenntnis, daß die Unterstützung für sein Regime im Schwinden begriffen ist. Einige Schlüsselfiguren der herrschenden Nationalen Kongreßpartei und etliche bereits in den Ruhestand versetzte Militärs brachen inzwischen mit Khartums bisherigem Kurs und sprachen sich für einen Politikwechsel aus. Sie forderten die Rücknahme der Preiserhöhungen und ein Ende der Repression.

Am 8. November 2013 charakterisierte die SKP das bestehende Regime als "Herrschaft parasitärer islamischer Kapitalisten". Sie habe das Land gespalten. Die Kommunisten forderten, der Privatisierung staatlicher Schlüsselunternehmen ein Ende zu setzen und dem Zusammenspiel mit den Petro-Dollar-Regimes in arabischen und islamistischen Ländern einen Riegel vorzuschieben. Zugleich verurteilte die SKP die Rolle Sudans als eines imperialistischen Agenten im schmutzigen Spiel gegen Libyen und Syrien.

RF, gestützt auf "People's World", New York

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Mittelalter modern: Saudi-Arabien

Die mittelalterlichen Machthaber in der vordergründig neuzeitlichen saudischen Metropole Riad erschauerten angesichts der aufeinanderfolgenden, aus ihrer Sicht finsteren, wenn auch lichtspendenden Ereignisse in Tunesien und Ägypten. Der Grund dafür lag auf der Hand. Sie hielten das zwar zum Regime-, nicht aber zum Systemwechsel führende Geschehen für leibhaftige Revolutionen. So sahen sie sich zum sofortigen Reagieren veranlaßt. Gemeinsam mit ihren islamistischen Gesinnungsbrüdern in Katar ließen die Saudis von ihnen in aller Eile aufgestellte Milizen gegen Gaddafis Libyen von der Kette und unternahmen zugleich "alles Notwendige, um auch in Jemen die geheiligte Ordnung wiederherzustellen".

In Ägypten, wo die Dinge zeitweilig außer Kontrolle zu geraten schienen, und die Möglichkeit der abermaligen Etablierung eines proamerikanischen Regimes bis zum erneuten Machtantritt der auf Pentagon-Schulen abgerichteten Militärs zunächst fraglich war, brachte König Saud vorerst die ihm ideologisch nahestehenden, durch Riad finanziell abgesicherten Moslembrüder ins Spiel. Nachdem diese ihre Mission erfüllt hatten, wurden sie von den US-hörigen Generälen wieder in die Wüste geschickt. Dabei fiel die Möglichkeit einer kurzen und blutigen Abrechnung mit der in Ägypten lebenden Minderheit koptischer Christen ab.

Auch in Syrien bedienten sich die Saudis zunächst der Moslembrüder im Kampf gegen das "Assad-Regime", bevor Al Kaida und andere islamistische Terrorgruppen der massiven Attacke von Söldnern aus vieler Herren Länder den Weg bahnten. Angriffsziel war die "mit Teheran unter einer Decke steckende Alawiten-Herrschaft in Damaskus".

In den 70er Jahren hatte die iranische Revolution, wie sie von ihren Protagonisten bezeichnet wird, die Alleinherrscher des saudischen Königshauses geradezu in Panik versetzt. Nicht anders reagierten die Saudis auf den in Afghanistan von Linkskräften eingeleiteten revolutionären Prozeß. So gehörten sie zu den entschiedensten Einpeitschern und Hintermännern des als Jihad bezeichneten Heiligen Krieges.

Auch in seinem unmittelbaren Umfeld läßt Riad keine "Hilfe" aus. So rollten saudische Panzer nach Bahrain, um die gewaltsame Niederschlagung eines Volksaufstandes zu besorgen. König Saud erwies auch Katar seine "Solidarität", als sich dort Widerstand gegen den Machthaber zu regen begann.

Heute ist Saudi-Arabien - gemeinsam mit Katar - die entscheidende Kraft hinter den "Rebellen" in Syrien, die es im Übermaß und ohne Unterlaß mit Spenden und tödlichen Waffen aus den USA, Großbritannien und Frankreich ausstattet. Der britische Außenminister William Hague sorgte in Abstimmung mit Riad dafür, daß das Waffenembargo für Syrien aufgehoben wurde. Zur gleichen Zeit unternimmt man alles, um die von BRD-Konzernen gelieferten Chemiewaffen der syrischen Armee restlos zu vernichten. Dabei geht es nicht um Humanität, sondern ausschließlich um eine gravierende Veränderung des militärischen Kräfteverhältnisses im Nahen und Mittleren Osten zugunsten Israels und des Imperialismus.

RF, gestützt auf "The New Correspondent", Glasgow

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Über Toröffner hinter den Kremlmauern

Die "fünfte Kolonne" in der KPdSU

Mit Nikolai Ryschkow, Jahrgang 1929, Bergmannssohn, Produktionsarbeiter und Ingenieur, seit 1956 in der KPdSU, 1974-1991 Abgeordneter, 1974-1982 Minister im Industriebereich, 1981-1991 ZK-Mitglied, 1985-1990 im Politbüro und 1985-1990 letzter Ministerpräsident der UdSSR, stellt der zweithöchste Staatsfunktionär des europäisch-asiatischen Riesenlandes seine Sicht auf die Konterrevolution in der Sowjetunion dar. Der Autor beschreibt vorrangig Abläufe auf staatlicher Ebene und befaßt sich besonders mit den permanenten Brüchen des Staats- und Zivilrechts durch die Gorbatschow-Jelzin-Clique. Diese bezeichnet er als "fünfte Kolonne" in der KPdSU. Er weist nach, daß die juristisch illegale Zerschlagung der Sowjetunion weder vom Volk gewollt war noch demokratischen Regeln entsprechend ablief.

Im Unterschied zu dem ebenfalls in deutscher Sprache vorliegenden Buch Jegor Ligatschows geht Ryschkow nicht auf Fragen der Ideologie ein, sondern befaßt sich vor allem mit den Mechanismen und Etappen des Hochverrats, wobei er dessen vorrangige Akteure beschreibt. Gorbatschow wird von ihm in seiner Anfangstätigkeit als von übermäßigem Ehrgeiz und persönlicher Eitelkeit zerfressener, angesichts gigantischer Probleme aber völlig hilfloser Politiker geschildert. Als Sowjetführer habe er sich als unfähig, feige und willenlos erwiesen, dem Zerfall der UdSSR entgegenzutreten. Sein vom Westen zielstrebig aufgebautes Renommé sei ihm weit wichtiger gewesen als die Einhaltung verfassungsmäßiger Pflichten. Nachdem die Perestroika de facto gescheitert gewesen sei, habe er die Flucht nach vorn angetreten und unter dem maßgeblichen Einfluß Alexander Jakowlews Schritt für Schritt die Vernichtung der KPdSU und der sozialistischen Gesellschaftsordnung der UdSSR angestrebt.

Ryschkow beschreibt den Besuch Gorbatschows bei Margaret Thatcher im Herbst 1984, der durch Jakowlew eingefädelt worden war, und fragt, wie ein Politbüromitglied der zweiten Reihe zu der außergewöhnlichen Ehre gelangte, von der Eisernen Lady auf deren Landsitz eingeladen zu werden. Gorbatschow legte dort seiner erstaunten Gastgeberin ein streng geheimes Dokument vor, in dem die Stationierung auf britische Ziele gerichteter sowjetischer Nuklearraketen verzeichnet war. Er tat das angeblich, um seinen leidenschaftlichen Abrüstungswillen zu demonstrieren. Doch so etwas gilt überall auf der Welt als Landes- und Hochverrat. Wer ihm das brisante Material allerdings zugespielt hat, bleibt offen.

Ryschkow, der Jelzin schon Jahrzehnte zuvor als Ersten Sekretär des Swerdlowsker Gebietskomitees der KPdSU kannte, beschreibt diesen als ebenso skrupellosen wie unfähigen Machtpolitiker, der hemmungslos die Separatisten in den Unionsrepubliken wie später auch in den Autonomen Gebieten Rußlands zum Widerstand gegen Moskau aufstachelte. Nach seinem Machtantritt förderte Jelzin in unerhörter Weise deren gegen die Zentrale gerichtete Aktivitäten und billigte ihnen fast absolute Souveränitätsrechte zu, um Moskaus Einfluß systematisch zu untergraben.

Als Beispiel für Jelzins Maßlosigkeit und Arroganz beschreibt Ryschkow dessen Ankunft in einer westlichen Hauptstadt. Nachdem er die Gangway hinuntergeschritten war, drehte er dem Begrüßungskomitee den Rücken zu, verrichtete in Sichtweite zu diesem unter dem Flugzeug seine Notdurft, kam dann zurück und reichte seinen Gastgebern die Hand.

Der Autor ist bemüht, ein übersichtliches Bild von den verworrenen Vorgängen zu vermitteln: Bis 1988 funktionierte die Wirtschaft normal, weil die Perestroika zunächst nicht griff, sondern das alte System fortwirkte. 1989 erfolgte dann der Einbruch. Zusätzlich wurde eine Versorgungskrise durch destruktive Kräfte inszeniert, um die Bevölkerung gezielt gegen den Sowjetstaat und die Partei aufzubringen. Durchaus vorhandene Waren wurden einfach nicht mehr transportiert und verkamen, während man die Be- und Entladekräfte für deren Untätigkeit bezahlte. Das bestehende politische und wirtschaftliche System sollte als ineffektiv diskreditiert werden, um einer radikalen Privatisierung den Weg zu ebnen.

Die Perestroika sah bereits die Preisgabe von 40 % der Volkswirtschaft vor. Um den Widerstand gegen einen prokapitalistischen Kurs in der Gesellschaft zu brechen, wurde schrittweise ein politisches Gegengewicht zur schwächelnden Partei geschaffen: Ab 1986 stellte man landesweit die Strafverfolgung antisowjetischer Kräfte ein und entließ überführte Feinde der UdSSR aus der Haft. Mit diesem Beschluß, der alle Schleusen öffnenden "Pressefreiheit" und der radikalen Umbesetzung der Redaktionen einflußreicher Zeitungen konnte man die Konterrevolution ungehindert organisieren. Auch wenn im Kongreß der Volksdeputierten noch etwa 80 Prozent der Abgeordneten KPdSU-Mitglieder waren, verließen nach der Medienkampagne und dem Entstehen einer Plattform der "demokratischen Opposition" immer mehr Deputierte die Partei. Auch die ethnischen Konflikte kamen nicht von ungefähr. Sie diskreditierten systematisch die Zentralmacht und stärkten ihrerseits die rechten Kräfte in Partei und Gesellschaft.

Als im Sommer 1989 auf der Beratung der Ersten Sekretäre der KPdSU-Gebiets- und -Kreiskomitees - das Sekretariat und das Politbüro tagten fast nicht mehr und waren total zerstritten - der Niedergang unter Gorbatschow heftig kritisiert wurde, verhöhnte der Generalsekretär seine Kritiker und warf sie den gewandelten Medien zum Fraß vor.

Der infame Plan der Moskauer Parteispitze zeigte leider Wirkung: Das "totalitäre System" mit Disziplin und "Gehorsam" gegenüber der Zentrale wurde zerschlagen, die KPdSU obendrein.

Ryschkows Darstellung vermittelt wichtige Erkenntnisse über die von Kräften im Kreml geschickt konzipierte Konterrevolution und weist den Autor als einen standhaft gebliebenen Kommunisten aus.

Dr. Bernhard Majorow


Nikolai Ryschkow: Mein Chef Gorbatschow. Die wahre Geschichte eines Untergangs. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2013, 256 S., 16,99 €, ISBN 987-3-360-02168-7

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Briefmarken offenbaren den Charakter eines Staates

Philatelistische Visitenkarte der DDR (10)

In der BRD, dem kapitalistischen Deutschland, ist der dominierende "Sport" - nicht gemeint ist echtes Athletentum - allenthalben zur Farce verkommen. Das unablässig angepriesene Formel-1-Rennen des Hunderte Millionen schweren Profis Sebastian Vettel - heute auf dieser und morgen auf jener Piste als gigantische Werbeveranstaltung für Luxusautos abgezogen - hat mit Sport nichts zu tun. Allein mit Einseifen, Über-den-Löffel-Balbieren und Abkassieren. Nicht anders verhält es sich beim Fußball, der Hunderte Millionen Menschen in aller Welt begeistert, obwohl dort ebenfalls nicht Sport angesagt ist, sondern das Schaulaufen steinreicher Profis, die dem "kleinen Mann" als dessen Idole serviert werden.

Völlig konträr verhielt es sich damit in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern. Dort war der Sport das, was er im Westen heute allein noch für ehrenhafte, einer Neigung oder Befähigung folgende Verteidiger echter Körperkultur geblieben ist: eine dem menschlichen Wohl dienende, der Gesellschaft nützende und Athleten wie Zuschauer begeisternde körperlich-seelische Aktivität. Nicht Millionäre, sondern Millionen waren in der DDR von klein auf einbezogen. Kinder- und Jugendspartakiaden, Wettkämpfe aller Ebenen bis zum hochqualifizierten Leistungssport, der seinerseits aus dem Volkssport hervorging, sorgten für eine ungeahnte Breite der Beteiligung. Von den Kinder- und Jugendsportschulen bis zu der in Leipzig angesiedelten international renommierten Hochschule für Körperkultur und Sport reichte die Skala der Möglichkeiten, wurde der Nachwuchs an Trainern und Aktiven herangebildet.

So entwickelte sich die kleine DDR zu einer der größten Sportnationen der Welt, die nicht nur der reichen und weitaus größeren BRD in den olympischen Arenen wie bei Europa- oder Weltmeisterschaften das Nachsehen gab.

Doch auch die politische Seite dieses Wunders soll nicht verschwiegen werden: Die jahrzehntelange Blockade des Westens - durch die berüchtigte Bonner Hallstein-Doktrin der Alleinvertretungsanmaßung erzwungen - ließ den sozialistischen deutschen Staat nach speziellen Möglichkeiten zur Erringung weltweiter Akzeptanz suchen. So wurden ihre Athleten die ersten Botschafter der DDR - lange bevor die Diplomaten in alle Welt ausrückten.

Ist es da ein Wunder, daß sich der sportliche Reichtum der DDR gerade auch in ihren nicht selten prächtigen Briefmarken-Editionen widerspiegelte? Wir haben zwei Serien, stellvertretend für zahlreiche andere, ausgewählt - als Spiegelbild echter Leistung aus Tagen, in denen der abstoßende Profisport in einem Drittel Deutschlands noch keine Karten besaß.

Rainer Albert, Zwickau

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Der Löwenmut der Esther Bejarano

Eigentlich wollte sie nur eins: leben, einfach nur leben. Und das hieß, endlich auskosten dürfen, was die Jahre im KZ raubten - das grenzenlose Glück, atmen zu können ohne Angst, die Freude, sich frei zu bewegen, ohne den schußbereiten SS-Mann hinter sich zu wissen, zu spüren, ein Mensch zu sein. Nein, sie wollte nicht ständig erinnert werden an das Grauen, das ihr und Millionen anderen widerfahren war und was mit Worten kaum zu beschreiben ist. Sie genoß den Neuanfang und hoffte, dem Faschismus nie wieder begegnen zu müssen.

Die Rede ist von Esther Bejarano, der Sängerin, Jüdin, einer der letzten Überlebenden des "Mädchenorchesters" von Auschwitz. Doch als Esther, die 1945 nach Palästina auswanderte und 15 Jahre später in die BRD kam, sah, daß die Nazis noch da waren, Flugblätter verteilten und auf andere mit Gummiknüppeln einschlugen, während die Polizei Demonstranten, welche sich der braunen Brut entgegenstellten, verhaftete, wußte sie, daß sie anfangen mußte, antifaschistische Arbeit zu machen. Das hält sie in ihren Aufzeichnungen fest, die im vergangenen Jahr vom LAIKA-Verlag Hamburg herausgegeben wurden.

Esther Bejarano begriff, daß sie nicht länger schweigen durfte. Sie ging zu Schülern, Lehrlingen, Studenten, zu denen, die unwissend waren. Und die Jungen hörten zu, aufmerksam und ernst, stellten Fragen, begannen nachzudenken. Die oft beklagte Barriere zwischen Jung und Alt gab es nicht. Erst recht nicht, wenn sie mit ihren jüdischen und antifaschistischen Liedern auftrat.

Wer ihre Konzerte erlebte, war begeistert. Da berührten ihr musikalisches und künstlerisches Können ebenso wie das große Repertoire, das von Klassik bis zu Volksliedern reichte, vor allem aber ihr Auftreten gegen das Wiedererstarken neonazistischer Kräfte in Westdeutschland.

Zusammen mit ihren Kindern Joram und Edna gab sie Konzerte in Nürnberg, München, Bielefeld, Hannover, Hamburg und vielen anderen Städten.

Seit 2009 ist Esther Mitglied der Rap-Band Microphone Mafia - einer Gruppe, in der drei Generationen aus drei verschiedenen Religionen zusammengefunden haben. Was sie präsentieren ist keine Unterhaltungsmusik. Die Mitglieder der Band, die als "Menschen mit Migrationshintergrund" am eigenen Leib Chauvinismus und Rassismus erlebt haben, wollen ein Zeichen gegen die Gleichgültigkeit vieler angesichts gesellschaftlicher Intoleranz, Diskriminierung und Ausgrenzung setzen.

Die dem Buch beigefügte DVD vermittelt Ausschnitte eines gemeinsamen Konzerts sowie ein mit der Sängerin geführtes Interview.

Die Idee, die Erinnerungen Esther Bejaranos als Buch zu publizieren, entstand während eines Auftritts in Italien. Das Ergebnis ist ein leinwandgebundenes, mit vielen persönlichen und historischen Fotos bebildertes Werk, in dem nicht nur Esther, sondern auch jene zu Wort kommen, die das Projekt begleiteten. Antonella Romeo, eine italienische Journalistin, gibt Auskunft über das "Mädchen mit dem Akkordeon" und hält die bewegenden Gespräche fest, die sie mit Esther Bejarano 2011 und 2012 führen konnte. Bei dieser Gelegenheit erfuhr sie von der Existenz der seit über 30 Jahren irgendwo verstauten, längst vergilbten Notizen, in denen Esther über ihre Kindheit, die Deportation nach Auschwitz und Ravensbrück, die Befreiung, das Leben in Palästina, die Rückkehr nach Deutschland und damit zum politischen und künstlerischen Leben berichtet.

Von der Publizistin Peggy Parnass stammt die Hommage über "eine große Frau", in der sie das Bild eines politisch bekennenden und engagierten Menschen zeichnet - einer lebensbejahenden Frau, die Geselligkeit, gute Gespräche und kulinarische Genüsse liebt.

In einfühlsamer Weise stellt der an der Universität Turin lehrende Historiker Bruno Maida in einem Nachwort das persönliche Schicksal Esther Bejaranos in den geschichtlichen Kontext, was die Bedeutung der für Frieden und gegen neue Nazis eintretenden Künstlerin noch mehr ins Bewußtsein hebt.

Am 15. Dezember 2014 wird Esther Bejarano 90 Jahre alt. Bis heute ist sie dort zu finden, wo Menschen gegen das Vergessen, gegen Faschismus und Krieg zusammenkommen.

Bruni Steiniger


Antonella Romeo (Hrsg.): Esther Bejarano. Erinnerungen. LAIKA-Verlag, Hamburg 2013, 208 Seiten, 21 Euro, ISBN 978-3-944233-04-8

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Als Julius Fucik 1934 nach Bayern reiste

Es ist ein gerade mal 64 Seiten umfassendes Büchlein, das der Verlag Wiljo Heinen jüngst herausbrachte. Doch es besitzt großes Gewicht, handelt es sich doch um die 2011 wiederentdeckten Aufzeichnungen des Journalisten Julius Fucik. Dieser hatte 1943 eine "touristische" Reise nach Bayern unternommen, in deren Ergebnis die bislang verschollen geglaubte Reportage entstand.

Es waren nur zwei oder drei Tage, die Fucik in Nazi-Deutschland verbrachte. Was er sah, waren "all die schweigenden und flüsternden Menschen ... auf den Straßen, in den Zügen, in den Bierkellern ... Sie saßen breitbeinig über einem Kloben, sie gruben keinen Graben, aber sie tischlerten schweigend und düster einen gewaltigen Galgen für eine Gesellschaft. Und aus dem Untergrund trat ihr Henker ... hervor."

Auch sein eigener Henker war dabei. Als einer der bedeutendsten Journalisten seiner Zeit, der in einer Reihe mit Egon Erwin Kisch, Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky zu nennen ist, setzte er sich mit ganzer Kraft für die "Vereinigung der tschechischen Kulturschaffenden im Kampf gegen den Faschismus" ein und fiel - nach dem Attentat auf Himmlers Prager Residenten Heydrich 1942 - in die Hände der Nazischergen.

Im Prager Gefängnis Pankrac verfaßte er auf aus seiner Zelle geschmuggelten Kassibern die "Reportage unter dem Strang geschrieben". Sie machte ihn weltbekannt. Erst 40jährig wurde der kühne Reporter am 8. September 1943 in Plötzensee hingerichtet.

Fuciks Mahnung "Menschen, ich hatte Euch lieb, seid wachsam!" ist heute aktueller denn je. Schon damals, während seines illegalen Aufenthalts in München, fand er bestätigt, daß nur entschlossener Widerstand und gemeinsames Handeln die drohende faschistische Gefahr hätten abwenden können. Um so wichtiger ist es, das Vermächtnis dieses großen Humanisten und kommunistischen Märtyrers wachzuhalten. Sein Bericht "Eine Reise nach München" trägt dazu bei.

B. S.


Julius Fucik: Eine Reise nach München, Juli 1934. Verlag Wiljo Heinen, Böklund und Berlin 2013, 64 Seiten, 10 Euro, ISBN 978-3-95514-011-3

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Griff in die literarische Schatztruhe (17)

Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen

Die später bekannte Literaturtheoretikerin und -kritikerin Annemarie Auer wurde am 10. Juni 1913 in Neumünster/Holstein geboren. Ihr Vater nahm am Kieler Matrosenaufstand 1918 teil. Sie wurde 1944 dienstverpflichtet, arbeitete in der Rüstungsindustrie und lernte später ihren Lebens- und Gesinnungsgefährten Eduard Zak kennen. Annemarie Auers "Umgang mit Büchern, das Studium der Germanistik und die Arbeit als Redakteurin bildeten ihre Erfahrungen unter dem Prägestempel der DDR". (Fritz Rudolf Fries) Sie absolvierte eine Buchhändlerlehre, arbeitete beim Rundfunk, der Akademie der Künste und der Redaktion der "Neuen Deutschen Literatur".

Annemarie Auer förderte durch Zuspruch u. a. Autoren wie Franz Fühmann, Irmtraud Morgner und Brigitte Reimann. Für DDR-Leser erschloß sie den Schriftsteller Elias Canetti. Proben ihres Talents als Schriftstellerin erschienen in Anthologien, so in "Unterm Notdach" und "Tausend Gramm". In ihrem Buch "Landschaft der Dichter" (1958) wußte sie tiefgründig die Gestaltung unterschiedlicher Naturbilder verschiedener Lyriker aus der jeweiligen Zeit heraus zu betrachten und zu vergleichen. Sie verfaßte einen Essay über den Essay unter dem Titel "Die kritischen Wälder" (1974), in dem sie auf die Vielfalt essayistischer Typen hinwies, so den philosophischen und den historischen Essay. In dem Band "Standorte - Erkundungen - Essays" (1967) vereinte Annemarie Auer sieben literaturkritische Studien aus "zehn Arbeitsjahren".

In vier Beiträgen untersuchte sie das Schaffen von Anna Seghers, Johannes R. Becher, Ludwig Renn und Hermann Kant. In ihrem Essayband "Erleben - erfahren - schreiben. Werkprozeß und Kunstverstand" (1977) stellte sie sechs Abhandlungen vor, die zumeist bereits früher erschienen waren, und zwei ihrer Dankreden. In den Texten fanden sich Belege für ihre Kunstanschauungen sowie ihre Rezeptionsvorstellungen. Herausragend war ihr Geschichtenband "Morgendliche Erscheinung" (1987). Die sieben zwischen 1945 und 1985 entstandenen Beiträge waren Erzählungen, Berichte und Betrachtungen. Sie enthielten Erinnerungen an ihre Kindheit in Kiel sowie einen Bericht über ihre Reise nach Wien.

In einem beigefügten Brief würdigte Fritz Rudolf Fries die Autorin. Die Akademie der Künste der DDR ehrte sie 1968 mit dem F.-C.-Weiskopf-Preis und 1974 mit dem Heinrich-Mann-Preis. Die Universität Halle verlieh ihr 1983 die Ehrendoktorwürde. Die wahrheitsliebende und engagierte Zeitzeugin starb mit fast 89 Jahren am 7. Februar 2002 in Berlin. Eine außergewöhnliche Frau mit hoher Selbstdisziplin, bestimmte sie die Literaturentwicklung in der DDR als Redakteurin, Kritikerin und Essayistin mit.

Dieter Fechner

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Liebe geht nur
wenn du so gut lebst wie allein
wenn sprechen und zuhörn die schöne Feier sind
wenn du zehn Seiten hintereinander lesen darfst
ohne daß jemand etwas von dir will
Liebe geht nur ohne das schlechte Gewissen
über Freude, die der andere nicht teilen kann
einen Kummer, der sich noch nicht in Worte kleidet
Liebe geht nur, wenn du dich mit einer sanften Bewegung
abwenden darfst und da stößt keiner nach
Liebe geht nur ohne Herablassung
das irreführende Wort heißt Toleranz
wenn du willst, magst du dich verändern
ich verändere mich
ich nicht dich und du nicht mich
nur so geht Liebe
Vielleicht


Ich liebe dich. Und ich werde lernen, dir das in glaubwürdigen Wörtern zu sagen. Eine stumme Liebe taugt nicht, sie braucht ihre Sprache. Vielleicht werden wir ein Beispiel, an das sich andere Menschen halten. Das ist doch ein schöner Gedanke. Im reichen Gedächtnis der Menschheit leben die Erinnerungen an Kriege und an die großen Lieben in besonderer Weise. Sie pflanzen sich fort, ergänzen und verändern sich. Der Krieg ist das Furchtbare, die Liebe das am meisten Ersehnte. Sie sind einander das Gegenteil und nur in einem gleich: sie lassen keinen Stein auf dem anderen. Im Krieg verengen sich die Gefühle auf den Wunsch, zu leben, sei es bei Wasser und Brot, nur leben, nur überleben. Wenn wir lieben, haben wir alles Vorher überlebt. Dann reicht uns oft nicht, was wir scheinbar sicher haben.

Die Kunst hat uns gezeigt, wie Liebe sein kann, sie hat uns vielleicht auch schon gestreift, oder wir hatten sie, und sehnen uns danach, noch einmal so zu fühlen. Die traurige Wahrheit kann sein: So werde ich nicht geliebt. So fühle ich nicht, und so will ich, und so werde ich nicht für immer leben.

In jedem Stück oder Roman, in den Versen der Dichter, in den Bildern der Maler entsteht neben der Liebesgeschichte das Porträt der Gesellschaft, in der sie großartig sein konnten, oder gescheitert sind. Ohne die Verse der Labé wüßten wir weniger über das Leben einer hoffnungslos Liebenden vor fast vierhundert Jahren.

Wenn es uns selber betrifft, ist alles ganz anders. Wir fügen den Erfahrungen unsere einmalige, unvergleichliche hinzu. Hoffentlich, denn ohne das "private Weltereignis" wäre es kein Leben.

In Zeiten der Einsamkeit denken wir: Wenn ich geliebt wäre, könnte ich ganz anders sein, ich könnte zu meiner wahren Größe auflaufen.

Klingt naiv, ist aber die ganze Wahrheit. Nicht geliebt sein, das heißt: Nicht wahrgenommen werden, nicht aufgefangen in einer Niederlage, nicht gerühmt für die Bemühung, nicht erkannt als der Mensch, der wir sein könnten, wenn wir inmitten dieses überfordernden Weltgeschehens jemandes Herzpunkt und lebendiger Mittelpunkt wären.

Wenn wir uns geliebt fühlen, schwingen wir uns auf zu Entscheidungen und Handlungen, die hätten wir sonst auf ewig verschoben, oder für immer verdrängt. Denn darin sind wir Meister, als Ungeliebte. Aber nun steht in den schönen Augen des anderen, daß wir alles können, und also können wir ungeahnt viel.

Es gibt die Liebe, vergänglich, oder von Dauer. Man muß sie für möglich halten und an sie glauben. Sie verdient und verlangt großen Respekt, aber für die Liebe ist niemand zu jung oder zu alt, zu unbedeutend oder schon zu großartig vereinsamt.

Lieben heißt auch: keine schmutzigen Geheimnisse vor dem anderen haben - und ihm ein Geheimnis bleiben. Durch und durch kennen kann man Verwandte, nicht die große Liebe. Ich liebe dich, könnte mich einbuddeln in dich, ich mag dich riechen, schmecken, anfassen, ich höre dir gern zu, Streit mit dir tut sterbensweh und ist manchmal nötig, du bist klüger, ich bin klüger, helfe dir tragen und lasse mir ohne Widerspruch beistehn.

Aber wir müssen auch Freunde werden, sonst wird unsere Liebe nicht gedeihn. Gerade in den schönsten Gefühlen lauert auch ihr Gegenteil, der Verrat, das Verderben, die Enttäuschung, der Haß. In der Kunst hat das zu reicher Beute geführt. Im Leben aber wollen wir uns davor hüten, durch Schweigen das Trennende zu bestärken, zu leiden und, miteinander oder aneinander, zugrunde zu gehen.

Trotz aller Aufhaltungen: Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Nichts sollte uns hindern, verständig über den Sinn alles schon Gelebten zu sprechen. Wir können vorher nicht ungewesen sein, und wer die eigenen Erfahrungen achtet, sollte das auch für den Partner gelten lassen.

Meine erste Liebe blieb unerwidert. Ich war fünfzehn und er schon ein gestandener Mann. Er hat nichts gemerkt, obwohl meine Gefühle sichtbar wie ein Elefant gewesen sein müssen. Für mich war diese erste Liebe ein Maßstab für das ganze Leben. Ich wußte von da an, wie ich fühlen kann. Es hat mich vor manchem Schaden beschützt, der im Nachkriegsberlin leicht zu haben war.

Was denkt ihr über die Welt? Es wird eure Liebe beeinflussen. Laß dir nicht sagen, daß unsereiner bei dem Kräfteverhältnis von vornherein verloren hat. Das hörst du vielleicht beim dritten Streit über eure Liebe dann auch. Die Welt geht euch beide an, und wenn ihr euch nicht wehrt, holen euch ihre Verwerfungen um so leichter ein. Ihr würdet nichts ändern, die Nachrichten sind, wie sie sind? Ihr könnt in einem bestimmten Moment eure Stimme abgeben, euch sehen lassen, wo es drauf ankommt, auch wenn es die Lage nicht sofort zum Tanzen bringt. Ihr könnt eure Kraft nicht hindern, euch Grenzen zu zeigen, aber eure Courage schon.

Ihr müßt euch der Verblödung widersetzen und der falschen Gläubigkeit.

Eure Liebe muß nicht langweilig, unfruchtbar und kleinlich werden. Ihr beide könnt das verhindern, statt auf ein Wunder zu warten. Es macht Arbeit, kostet Kraft, aber es ist möglich - und es muß sein.

Wenn die Liebe langer Jahre
nur noch müde Füße hebt
wenn der Mond, der wunderbare
wie 'ne Zehnermarke klebt
wenn dein Atem dir zu laut ist
und wenn nichts mehr überspringt
wirst auch du zur alten Blume
die ins faule Wasser sinkt.

Unerträglich, nicht wahr? Zum Trost lese ich das Liebesgedicht, das Nazim Hikmet an seine Frau schrieb, als ihm das Todesurteil drohte.

In meinem Arbeitszimmer hängt ein Bild Esthers. Es zeigt die Frau von Peter Edel. Die beiden haben geheiratet, als sie fast ohne Hoffnung auf Überleben waren. Da legte sie ihm noch einen Zettel in seinen Koffer: "Du wirst überleben, ich weiß es, ich liebe dich."

In der Anthologie "Welch Wort in die Kälte gerufen" gibt es ein kurzes Lebensdatum: "Folgte seiner Frau freiwillig nach Theresienstadt. Wurde in Auschwitz ermordet." Ein junger unbedachter Heißsporn? Er war achtundsechzig Jahre alt.

Wir klagen manchmal über zu wenig Zeit füreinander, Abwesenheiten, Mangel an Ruhe. Auch über die Vergeblichkeit mancher Arbeit, die uns Kraft und neue Einsichten abverlangt hat.

Aber wenn du die Liebe willst, wenn du sie auf dich nimmst, dann wird dir nicht nur ihr Übermut und ihr Jubel zuteil. Sie wird dir alles abverlangen, was du vielleicht bisher nie zu Ende gebracht hast; sie reißt dir das Herz auf und rückt deinen Verstand grade. Das schafft die Liebe, und so kann die Welt dich brauchen.

Möglich, daß wir uns dann in der Menge begegnen.

Du gehst vor mir, Hand in Hand mit deiner Liebe, und ich wünsche euch Glück.

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Leserbriefe an RotFuchs

Manche sehnen sich nach Bhutan, weil dort das Glück zu Hause sein soll. Ich bleibe gern in Berlin. Pünktlich und zuverlässig kommt zu mir das Glück in den ersten Tagen des Monats ins Haus, wenn ich den Briefkasten öffne und meinen "RotFuchs" in Empfang nehmen kann.
Die Januarausgabe erinnerte an den 70. Geburtstag von Angela Davis. Es ist lange her, daß ich ihr zum letzten Mal die Hände reichen durfte. Gern denke ich an unsere erste Begegnung im Jahr 1972 zurück. Damals war ich mit dem Leiter des SED-Parteiarchivs auf einer Studientour in den USA, um Dokumente zu Aktivitäten von Marx und Engels in Amerika aufzuspüren und zu erwerben.
1972 durfte ich Angela von Moskau zu ihrem ersten DDR-Besuch abholen und ihre Betreuung übernehmen. Auch bei den X. Weltfestspielen 1973 fiel mir diese Aufgabe zu.
Noch heute ist Angela aktiv, wie man aus dem Internet erfahren kann, mal bei einer Wahlveranstaltung in Detroit, mal bei einer Vorlesungsreihe in Frankfurt am Main, ihrer alten Alma Mater, die sie jetzt geehrt hat. Wünschen wir unserer Angela noch viele Jahre.

Botschafter a. D. Heinz Birch, Berlin


Frieden, Freundschaft, Solidarität - das war einer der Sprechchöre während der diesjährigen Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demonstration Er erinnerte mich an die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten. Damals galt unsere Solidarität dem auf Robben Island vom südafrikanischen Apartheidregime eingekerkerten Nelson Mandela, der vietnamesischen Freiheitskämpferin Vo Thi Linh und Angela Davis, der zu ihrem 70. Geburtstag ein sehr emotionaler Beitrag Klaus Steinigers im "RotFuchs" gewidmet war. Damals gehörten wir FDJler zu den Organisatoren der großen Aktion "Eine Million Rosen für Angela". Auch meine Tochter Simone - sie besuchte noch den Kindergarten - malte eine Blume, die Angela in der Haft erreichte und ein bescheidener Beitrag dazu war, daß sie am Ende freigesprochen werden mußte.

Dr. Walter Michel, Berlin


Ihnen schreibt ein langjähriger Leser Ihrer Zeitschrift aus Minsk. Im "RotFuchs"-Leitartikel "Die Jungen und die Alten" (Nr. 12/2013) ist mir Ihre Feststellung aufgefallen, "daß im heutigen Deutschland eine solide politische Bildung schon lange defizitär ist". Sie erinnern daran, daß die Lehre von Marx in der DDR niemals eine theoretische Abstraktion für die Parteielite war, sondern Allgemeinwissen von Millionen Menschen. Ich kann Sie gut verstehen. 1922 in einer sowjetischen Kommunistenfamilie geboren, habe ich viele Jahre Marxismus-Leninismus studiert und besitze auch ein Diplom. Ich bin der Meinung, daß die heutige russische Jugend ebenso im "schwarzen Kanal" der Medien erzogen wird, der vieles aus der Geschichte meines Landes verheimlicht.
Es gab viel Gutes, an das man sich berechtigterweise erinnern kann, aber auch nicht wenig, was man lieber vergessen möchte. Ich stimme Ihnen zu, daß in der DDR die Lehre von Marx und Lenin mit reinen Händen vermittelt wurde. Nicht ganz so war es in der UdSSR - viel zu viel Zeit vergeudeten die Führer der Partei nach 1925 mit der Suche nach inneren Feinden.

Boris Popow, Minsk (Belarus)


Weil der "RotFuchs" dem sozialistischen Gedankengut und der politischen Einstellung der Mitglieder unserer Basisgruppe Oppurg der Partei Die Linke voll entspricht, beziehen wir monatlich drei Exemplare. Wir möchten uns auf diesem Wege für die Zusendung sehr herzlich bedanken.

Annelies und Herbert Klinger, Oppurg


Seit einigen Monaten bekomme ich den "RotFuchs". Die Berichte aus dem In- und Ausland sowie die Artikel, die sich mit der DDR beschäftigen, gefallen mir gut. Als aktives ver.di-Mitglied würde ich mich freuen, wenn Ihr auch Artikel über die Gewerkschaften in der DDR veröffentlichen könntet, da ich dazu bislang noch keine Literatur gefunden habe. Des weiteren würde mich interessieren, ob in der Nähe des Wendlands eine RF-Regionalgruppe besteht.

Andreas Dölle, Tolstefanz (Wendland)

Leider gibt es im Wendland noch keine Regionalgruppe, aber etliche in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sowie viele Leser zwischen Niedersachsen und Hamburg.


Wenn eine Landtagskommission in Potsdam jetzt die "stärkere Vermittlung von informations- und wissensbasierten Beiträgen zum Thema DDR-Geschichte" in den Brandenburger Medien verlangt, dann sollte das nicht nach sächsischem Vorbild vonstatten gehen. Im MDR ist es nämlich seit langem Brauch, daß die verblichene Ostrepublik zwei- bis dreimal wöchentlich zerstückelt, seziert und nach verwertbaren Sensatiönchen beäugt wird. Was der kleine "Ossi" davon hat, zeigten Amtsgerichtsentscheidungen in Zwickau und Auerbach.
Die Richter folgten in beiden Fällen einem mit drei akademischen Titeln bestückten "Gutachter" aus Bayreuth. Der sorgte dafür, daß man einem Vater das Sorgerecht für sein Kind verweigerte und einem Großvater den Umgang mit seinem Enkel verbot, weil beide "in diktatorischen Gesellschaftsverhältnissen der DDR" aufgewachsen seien und gelebt hätten.
Wir fragten die MDR-Intendantin: Wie kommt es eigentlich zu den anhaltend "großen Stunden der Gutachter" aus dem Westen in Sachen DDR-Geschichte?

Paul Jattke, Chemnitz


Allen Belastungen zum Trotz konnte sich die DDR 40 Jahre lang für ihre Bürger eine völlig unentgeltliche und umfassende Gesundheitsfürsorge leisten. Für öffentliche Verkehrsmittel galten extrem niedrige Nah- und Fernverkehrstarife. Stabile Festpreise für Grundnahrungsmittel waren garantiert. Es gab keine Studiengebühren. Jedem Jugendlichen wurden ein Ausbildungs- und danach ein Arbeitsplatz gesichert. Die Preise für Theater-, Konzert- und Kinokarten waren für jedermann bezahlbar. Ein 14tägiger Urlaub in gewerkschaftlichen Ferienheimen kostete 65 DDR-Mark. Die Betreuung des Nachwuchses in Krippe, Kindergarten und Schulhort erfolgte nahezu kostenlos, warmes Mittagessen inklusive. Jedes Kind konnte daran teilnehmen. Die DDR kannte weder Arbeits- noch Obdachlose oder Suppenküchen. Wie verhält es sich damit in der BRD?

Werner Juhlemann, Geithain


Der Januar-Leitartikel "Ein Steinwurf der Geschichte" war einmal mehr herzerfrischend. In der Zeit ihres Bestehens hat unsere Zeitschrift auf überzeugende und gekonnte Weise kommunistische und sozialistische Grundpositionen dargestellt. Ich finde es gut, wenn in Beiträgen an die von uns Älteren gelebte und erlebte DDR-Geschichte positiv erinnert wird. Es waren meine Bildungs- und Entwicklungsjahre, die mich "keine müde Mark" gekostet haben. Als Sohn einer Landarbeitergroßfamilie wäre mir unter kapitalistischen Bedingungen die in der DDR ermöglichte Entwicklung versagt geblieben.

Walter Krüger, Dudinghausen


Am 16. Januar geriet ich rein zufällig in die Talkshow des ZDF-"Moderators" Markus Lanz, bei der auch Sahra Wagenknecht zugegen war.
Dieser Lanz sollte eine Murmelrunde moderieren oder ganz vom Bildschirm verschwinden! Er besitzt keine Qualifikation, eine journalistisch und sprachlich überzeugende Talkrunde von einigem Niveau zu leiten. Die verletzende, entwürdigende Art und Weise, mit der er Sahra Wagenknecht immer wieder in die Defensive zu drängen versuchte, war, gelinde gesagt, eine äußerst üble Masche. Mutig und klar argumentierte und behauptete sich hingegen Sahra. Bravo!!

Arno Kiehl, Berlin


Unlängst habe ich das Buch des belgischen PTB-Vorsitzenden Peter Mertens "Wie können sie es wagen?" gelesen. Wie man hört, ist es in den Beneluxstaaten und Frankreich ein Bestseller. Ein Grund dafür dürfte sein, daß Genosse Mertens dem Leser keinen komplizierten Einstieg in das marxistische Theoriegebäude zumutet, sondern seine Themen in einer allen zugänglichen Sprache behandelt, also die Leute dort abholt, wo sie sprachlich, gedanklich und wissensmäßig sind. Der Bezug zur Theorie wird dadurch hergestellt, daß der Autor leicht zugängliche Marx-Zitate einbezieht, die jeder Leser, der mehr wissen möchte, unschwer in den Originaltexten finden kann.

Dr. Walter Lambrecht, Zingst


Im Dezember 2013 wurde bekannt, daß die bayerische Staatsregierung eine kommentierte Ausgabe von Hitlers "Mein Kampf" nicht mehr verhindern will, da das gegen die Wissenschaftsfreiheit verstoße. Damit könnte der Weg geöffnet werden, dieses üble Hetztraktat nach Ablauf der urheberrechtlichen Sperrfrist Ende 2015 offiziell zur Verbreitung freizugeben. Herausgeber soll das Institut für Zeitgeschichte sein, das je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern finanziert wird.
Klar ist, daß jede unkommentierte Veröffentlichung als strafrechtlich relevante Volksverhetzung geahndet werden müßte. Die Kommentierung aber hätte sich eindeutig vom grundgesetzwidrigen Inhalt des Machwerkes zu distanzieren.

Dr. Hans Erxleben, Berlin


Ingo Wagners Worten zum Sonderparteitag der SED/PDS kann ich nicht vorbehaltlos zustimmen. Ich bin zwar als Nichtmitglied der SED nur ein "Außenstehender" gewesen, habe aber in meinen DDR-Jahren doch erhebliche Erfahrungen im Umgang mit Mitgliedern dieser Partei gesammelt. Natürlich bin ich dabei auf ehrlich überzeugte Genossen gestoßen, die sich inhaltlichen Diskussionen nicht entzogen. Doch leider gab es unter den Funktionären nicht wenige "Hundertfünfzigprozentige", die jede kritische Bemerkung sofort abblockten. Oder auch "Mitschwimmer", die sogar augenzwinkernd zu verstehen gaben, daß sie manche Parteibeschlüsse für Unfug hielten, aber erklärten, gegen die "Linie" könne man nichts machen.
Die Erosion der SED ist also nicht erst auf dem Sonderparteitag eingetreten, sie wurde dort nur auf erschreckende Weise offenbar, während sie sich in den Jahren zuvor längst abgezeichnet hatte. Und auf einmal trat zutage, daß sich die SED unzählige Mitläufer und Karrieristen in die eigenen Reihen geholt hatte - ein verhängnisvoller Irrtum.
Ich bin dafür, daß unsere Fehler und Versäumnisse als Sozialisten und Kommunisten viel tiefer lotend analysiert werden müssen, als Ingo Wagner das in der Bewertung des Putsch-Parteitags getan hat. Der eigentliche Putsch war eine schleichende Erosion. Und nicht der Klassenfeind war der alleinige Verursacher unserer Niederlage, sondern die tonangebenden Repräsentanten der nicht mehr herrschenden, sondern sich abduckenden und einrichtenden Arbeiterklasse.
In christlich-kommunistischer Verbundenheit

Peter Franz, ev.-luth. Theologe, Weimar


Der Sonderparteitag habe das Ende der DDR eingeläutet und sei Höhepunkt der Destabilisierung gewesen, heißt es bei Ingo Wagner. Ich war einer der "Helden" in der Dynamohalle, die angeblich unsere marxistischen Erkenntnisse sang- und klanglos über Bord geworfen haben sollen. Tatsächlich war das Schicksal der DDR im Dezember 1989 bereits besiegelt. Unsere Partei - die SED - hatte sich stillschweigend aus der Verantwortung verabschiedet, was in der Geschichte der Arbeiterbewegung wohl ohne Beispiel ist. Zehntausende Genossen hatten ihre Dokumente schon vorher körbeweise abgegeben oder gleich selbst vernichtet. - Wir, die heute die Fahne der Linkspartei hochhalten, unermüdlich in Wohngebieten, Gemeindevertretungen, Kreis- und Landtagen sowie im Bundestag wirken, unterscheiden uns deutlich von jenen, die als Zaungäste und Beobachter glauben, ihre Seele reinwaschen zu können. Sie sollten ihre persönliche Verantwortung beim Untergang unserer sozialistischen Heimat überdenken.

Uwe Zander, Grünheide (Mark)


Am 9. März vor 80 Jahren wurde Juri Gagarin geboren. Am 12. April 1961 hielt die Welt den Atem an. Es war der UdSSR gelungen, den ersten Menschen in den Kosmos zu entsenden. Der Kolchosbauernsohn und Fliegermajor Juri Gagarin umkreiste mit dem Raumschiff "Wostok I" einmal die Erde. Danach war er ein gefragter Held. Er reiste in mehr als 30 Länder. Im Oktober 1983 besuchte er auch die DDR. Die fünftägige Visite des Kosmonauten führte ihn u. a. nach Suhl. Auf dem hiesigen Thälmannplatz wurde er mit großer Begeisterung empfangen. "Thüringen grüßt Dich, Himmelsstürmer, mit Hörnerschall, dem frohen Lachen der Kinder und dem hohen Lied der Arbeit", lautete das Motto dieser Begegnung. Danach ging die Reise weiter in das Kaligebiet Merkers. 9000 Kumpel und deren Familien feierten damals die deutsch-sowjetische Freundschaft. Das Fazit vieler Teilnehmer: Was für ein Kerl! Mit dem würde ich durch dick und dünn gehen! Juri Gagarin selbst resümierte: "Das Schönste hier in Thüringen sind die Menschen, der Stolz auf ihre Arbeit und ihre Begeisterung."
Im kapitalistischen Rußland wird Gagarin weiterhin verehrt, jedoch mehren sich die Versuche, seinen makellosen Ruf zu untergraben oder ihn zu vermarkten. In Suhl tragen eine Straße und ein Saal nach wie vor seinen Namen.

Hans Linke, Suhl


Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden sorgte - folgt man den Medien - für die "Enthüllung des Jahres 2013". Handelte es sich wirklich darum? Bereits 1961 beschrieb der DDR-Autor Julius Mader in seinem Demaskierungsbuch "Gangster in Aktion. Aufbau und Verbrechen des amerikanischen Geheimdienstes", das im Berliner Kongreß Verlag erschien, Snowdens Nacional Security Agency folgendermaßen:
"Die elektrischen Spürhunde und elektronischen Spione des amerikanischen Geheimdienstes haben rund um das sozialistische Lager - in den amerikanischen Botschaften, zu Wasser, in der Luft und zu Lande - Tausende Funkabhör- und Funkmeßstationen plaziert.
Um sich vom Umfang dieser elektronischen Spionage ein Bild zu machen, genügen bereits folgende Angaben: Die NSA unterhält in aller Welt 2000 Abhörstellen mit 8000 Mann, hinzu kommen weitere 2000 Mitarbeiter, die schwimmende oder fliegende Abhöreinrichtungen bedienen, welche in den US-Botschaften oder in Fort Meade/USA wirken. Dort befindet sich die Zentrale, in der zum Brechen der Funkschlüssel aus mehr als 40 Staaten eine der größten Elektronen-Rechenmaschinen der Welt 24 Stunden am Tag in Betrieb ist. Mit den modernsten Radaranlagen versuchen diese Funkspione bis zu 5000 km in sowjetisches Gebiet hineinzuschnüffeln."
Hinzuzufügen wäre dem noch, daß 1990 bereits etwa 140.000 Mitarbeiter auf den Gehaltslisten der NSA standen, deren Jahresetat damals auf 10 Milliarden Dollar geschätzt wurde.

Werner Wild, Berlin


Eine Bemerkung zum Artikel "Wohin geht die Reise?" im RF 192. Der Beitrag beschäftigt sich mit den deutlich in Frage gestellten neuen Wirtschaftsreformen in China. Eine Bilanz, daß der wachsende kapitalistische Anteil an dessen Volkswirtschaft nur noch "die Wahl zwischen Pest und Cholera" möglich erscheinen lasse, schließt nach meiner Ansicht jeden Widerspruch aus. Ich glaube, daß von den Autoren wichtige Erfahrungen der Leninschen Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) nicht berücksichtigt worden sind, obwohl gerade sie bei der Neuorientierung der KP Chinas Pate gestanden haben.
Die jetzt eingeschlagene Richtung der NÖP gilt der Belebung des Binnenmarktes, der Förderung des Austausches zwischen Stadt und Land. Kurzum: Es handelt sich offenbar darum, daß das wichtigste Prinzip der Diktatur des Proletariats durch weitreichende Dezentralisierung der Industrie umgesetzt wird. Dazu schlug Lenin bereits 1921 vor, das Privatkapital auf die Bahnen des Staatskapitalismus zu lenken.
Die Übergangsperiode wird aber weiterhin die Frage "Wer - wen?" zu entscheiden haben.

Horst Joachimi, Berlin


Vom Leitartikel der Januar-Ausgabe, vom Beitrag "Die Würfel fielen in Moskau" und von dem Material über die Defizite des Nürnberger Tribunals war ich begeistert. Doch der China-Artikel haute mich um. Ich hatte immer Lenins Warnungen vor der Kapitalismusreproduktion und Maos Losung "Die Macht im Staat zurückerobern! Diejenigen schlagen, die den kapitalistischen Weg gehen!" im Hinterkopf, sah aber keine Alternative zu Dengs Konzeption. Natürlich mußten die Vorgänge der letzten Monate bereits stutzig machen. Doch man verdrängt vieles. Früher waren wir darin ja Meister!
Ich frage mich, ob die vielen Fehler oder Verrätereien gar keine subjektiven Irrwege gewesen sind, sondern nur der Beweis dessen, daß wir ein paar Gesetzmäßigkeiten, vor allem aber das Gesetz der ungleichmäßigen Entwicklung, nicht wissenschaftlich genug ausgeleuchtet haben.
Die gescheiterten Anläufe und fehlgeschlagenen Methoden, den Kapitalismus mit unseren Vorstellungen überholen und zum Kommunismus gelangen zu wollen, deuten in diese Richtung.

Manfred Lowey, Kamen


Im Zusammenhang mit dem Beitrag von Hermann Jacobs im Januar-RF möchte ich auf die Rolle Juri Andropows verweisen, den ich als "liberalen Tschekisten" und Totengräber der UdSSR betrachte. War er der "Mann mit dem Januskopf", wie er in russischen und europäischen Quellen bezeichnet wird? Als KGB-Vorsitzender hatte er Zugang zu allen persönlichen Dossiers des politischen und militärischen Personals. Es war Andropow, der die erste große "Anti-Korruptionsinitiative" lancierte, die im Grunde darin bestand, altbewährte Kader aus irgendwelchen Gründen auszuschalten und durch junge "Reformer" zu ersetzen. Es war auch Andropow, der Gorbatschow nach Moskau holte und als seinen Protegé anlernte.
Als KPdSU-Generalsekretär trat Gorbatschow in Andropows Fußstapfen und startete eine zweite "Anti-Korruptionskampagne", der dann die übriggebliebenen "Alten" zum Opfer fielen. Als Gorbatschow begann, Amok zu laufen, gab es kaum noch inneren Widerstand: "Die junge Garde" war ihrer Positionen sicher und schrie bravo! Die alten Genossen waren konfus - schließlich kam diese Initiative ja von "ganz oben". Wie konnten diese Leute antisowjetisch sein?
Die UdSSR zerbrach von innen, argumentiert Hermann Jacobs. Andropow verstand es, seine wahren Absichten geschickt zu tarnen. Diverse Handlungen als KGB-Vorsitzender und kurzzeitiger Generalsekretär der KPdSU bestätigen seinen Einfluß auf die Änderung des Sowjetsystems - möglicherweise in der Annahme, die westliche Feindseligkeit dadurch neutralisieren zu können. Doch diese Rechnung ging nicht auf.

Dr. Vera Butler, Melbourne


Für die klaren Ausführungen im Beitrag von Hermann Jacobs herzlichen Dank! Die von ihm aufgeworfenen Überlegungen verdienen es, weiterverfolgt zu werden. Nur in einem Punkt hat er m. E. nicht den Kern getroffen. Richtig ist, daß unsere politischen Gegner den sozialistischen Staaten Reformen "aufschwatzen" wollten und wollen, die zur Untergrabung ihrer Ordnung führen. Doch etwas ganz anderes ist es, solche Reformen aus eigenem Antrieb zur Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie einzuleiten, wie das gegenwärtig in Kuba geschieht. Das wäre in der UdSSR spätestens in den 60er Jahren erforderlich gewesen. Ich frage mich, wie anders wohl die Weltgeschichte verlaufen wäre, wenn die Sowjetunion damals entsprechende Schritte unternommen hätte.
Walter Ulbricht bewies offenbar den größeren Weitblick, als er, gestützt auf Erkenntnisse von Gesellschaftswissenschaftlern der DDR, erklärte, daß der Sozialismus eine relativ selbständige, länger währende Gesellschaftsformation sein müsse. Das wollten die Genossen des ZK der KPdSU offenbar nicht akzeptieren. Die Bereitschaft zu Reformen, die sich in einigen sozialistischen Staaten als zartes Pflänzchen zu entwickeln begann, wurde rücksichtslos zertreten.
Als man sich in der UdSSR unter Gorbatschow zur Durchführung von Reformen entschloß, waren diese nicht nur rückwärts gerichtet und mit unnötigen Privatisierungen verbunden, sondern stellten auch die Überwindung von Fehlern aller Art in den Mittelpunkt. Für die Bürger der UdSSR wurde dadurch augenscheinlich: Schuld an der Fehlentwicklung ist die KPdSU. Ihre Diskreditierung war der absichtsvolle erste Schritt zur Zerstörung der Sowjetunion.

Konrad Hannemann, Eisenhüttenstadt


Es freut mich immer wieder, etwas von Almos Csongár im RF zu lesen. Er hat recht mit seiner Feststellung, daß die Deutschen als Nachfahren von Marx und Engels leider nicht in der Lage waren, dem Kapitalismus die Stirn zu bieten. Das haben Russen, Ungarn und andere aber auch nicht geschafft.
Ich stimme auch Werner Hunger zu, daß an das Karl-Liebknecht-Haus vor allem eine Gedenktafel für die von den Hitlerfaschisten verfolgten und ermordeten deutschen Kommunisten gehört.

Dr. Kurt Laser, Berlin


Konstantin Brandt berichtete im Januar-RF, wie er einst fasziniert die Proben zu "Moritz Tassow" von Peter Hacks verfolgt habe. Zu dem Stück möchte ich von einer seltsamen Vorstellung berichten, die sich in meinem Kopf festgesetzt hat. Bestimmte Bühnenfiguren verknüpfen sich in unserer Erinnerung mit dem Bild, der Stimme oder den Gesten von einst erlebten Schauspielern. So steht mir Arturo Ui immer als Ekkehard Schall vor Augen, Wolf Kaiser als Mackie Messer und Eberhard Esche als Drachentöter Lanzelot. Doch zurück zum "Tassow": In meinem Gehirn-Theater steht für dieses Stück jetzt plötzlich Bundespräsident Gauck auf der Besetzungsliste. Was geht da vor?
Der Anarchosozialist Moritz Tassow ist dabei, den mecklenburgischen Gutsbesitzer von Sack zu enteignen. Nachdem dieser das Einbringen der Ernte sabotiert hat, versucht er mit Hilfe seines Inspektors Achilles das Chaos und den Zusammenbruch herbeizuführen, wobei er die Landmaschinen gen Westen verschiebt. Von Sack - bei seinem Vorhaben gestört - muß sich in einer Nebenkammer verstecken. Mein Kopf hat Joachim Gauck für die Rolle des Achilles ausgewählt. Der Inspektor soll Herrn von Sack nämlich signalisieren, ob die Luft wieder rein ist. Dafür vereinbart man ein Kennwort: "Sie rufen Freiheit, und ich trete hervor", sagt der Gutsbesitzer zum Inspektor. Als Achilles zufällig das Wort "Freiheit" über die Lippen kommt, springt von Sack vorzeitig auf und erscheint. Als finsterer Reaktionär enttarnt, kriecht er zurück ins Versteck, doch Hacks läßt seinen Phrasendrescher Achilles solange "Freiheit" brüllen, bis auch der letzte den Bluff begreift. Freilich könnte die Rolle auch mit Wladimir Klitschko oder Michail Chodorkowski besetzt werden, da es der Anwärter viele gibt. Doch ich lasse es bei meinem Favoriten - das wäre zumindest keine Fehlbesetzung.

Bernd Gutte, Görlitz


Vor geraumer Zeit sah ich den Film "Der Zobel" aus der Serie "SOKO Leipzig" mit Michael Degen in der Hauptrolle. Ich war über dieses antikommunistische Machwerk voller DDR-Verleumdung schockiert, gehöre ich doch der Generation der über 80jährigen an und habe meine eigenen Erinnerungen. Beispielsweise an Goebbelssche Hetzfilme und antisowjetische Plakate, die einen die Knute schwingenden "jüdisch-bolschewistischen Untermenschen" mit Messer zwischen den Zähnen zeigten. Die CDU hat das bekanntlich nachgemacht, als sie einen finsteren Rotarmisten einst erklären ließ: "Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau."
Wie man sieht, grüßt der vor 68 Jahren in den Selbstmord geflohene einstige "Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda" noch aus dem Jenseits.

Siegfried Wunderlich, Plauen


Es ist mir vor einigen Jahren durch einen älteren Genossen und Freund ermöglicht worden, den "RotFuchs" zu beziehen. Seitdem ist mir die Zeitschrift ein treuer Begleiter. Sie gibt mir Halt und hilft mir dabei, mein marxistisches Weltbild zu bewahren.
Ich habe den Leitartikel "Über Junge und Alte" mit Interesse und Zustimmung gelesen. Selbst aber merke ich oft, wie gerade ältere Mitbürger ihre DDR-Vergangenheit augenscheinlich ausblenden. Dabei haben sie doch in großer Zahl den Krieg und dessen Leid miterleben müssen. Danach waren sie daran beteiligt, ein besseres Land aufzubauen. Warum wollen sie nur von alledem nichts mehr wissen oder zumindest nicht mehr darüber reden? Sind wir Deutschen tatsächlich Weltmeister im "Verdrängen-Vergessen-Weitermachen"? Muß man eine Vergangenheit beiseiteschieben, auf die man stolz sein kann und - angesichts heutiger Entwicklungen - sogar stolz sein muß?!
Für Ihre Arbeit, Ihren Mut und Ihre Klarheit sage ich Ihnen allen vielen Dank.

Michael Ernst, Wernburg


Beim Lesen des RF gewinne ich immer stärker den Eindruck, daß es der Zeitschrift vor allem um Theorie und das Beschreiben der Vergangenheit, nicht aber um Ideen und Erfahrungen geht, wie wir heute wirksam werden können. Das aber ist doch das Entscheidende.
Natürlich stand auch ich 1990 - ich war Parteisekretär der Abteilung Berufsbildung/Berufsberatung des Berliner Stadtbezirks Lichtenberg - wie viele Genossen, die früher in Betrieben organisiert waren, vor der Frage, was nun werden solle.
Die Vorstellung, wir würden eine große Parteiorganisation, erwies sich als Illusion. Die im Wohnbezirk Übriggebliebenen paßten auf unsere Couch. Doch wir gaben nicht auf. Schließlich waren es vier Gruppen, die sich zur PDS-Basisorganisation "Marzahner Promenade" zusammenschlossen. Bis heute sind wir aktiv und mischen uns vielfältig ein. Hauptbetätigungsfeld ist unser Kiez. Hier entstanden zwei Mieterbeiräte, die sich mit Sachkompetenz und hohem Engagement für die Anwohner einsetzen. Ein monatlicher Informationsstand unserer Basisgruppe an der Kaufhalle gehört seit zehn Jahren zum Bild. Die Menschen wenden sich an uns und erleben, daß wir ihre Sorgen und Probleme ernst nehmen. Die Partei Die Linke kümmert sich um das Einrichten von Mieterparkplätzen, das Anbringen der Außenbeleuchtung, das Aufstellen von Bänken, den Erhalt der Sporthalle und der Galerie M. Dabei spüren wir, daß Wut wie Resignation der Bürger über die gegenwärtige Politik zunehmen.

Bodo Lützenberg, Berlin


Heutzutage dient das Wort "Stalinismus" als Totschlagargument gegen alle, die an der Idee des Kommunismus festhalten. Ohne die Vorkommnisse in der UdSSR der 30er Jahre bagatellisieren zu wollen, muß man sie unter den Bedingungen der damaligen Zeit betrachten, was leider oft unterlassen wird. Aus heutiger Sicht ist es ohne fundierte und konkrete Geschichtskenntnisse recht leicht, die seinerzeitige Situation in der Sowjetunion "einzuordnen".
Im Mai 2013 unternahm ich mit meiner Frau eine Kreuzfahrt von Rostow am Don die Wolga aufwärts bis Moskau und weiter nach St. Petersburg. In der Bibliothek der MS "Tschaikowski" entdeckte ich ein aufschlußreiches Buch Bernd Rulands. Anhand von Dokumenten der deutschen Botschaft in Moskau aus der Nazizeit wird darin nachgewiesen, daß es der Gestapo gelungen war, Stalin und seinem Führungsstab gefälschte Dokumente unterzuschieben. Sie "überführten" sowjetische Heerführer und in die UdSSR emigrierte deutsche Kommunisten des Verrats und waren so geschickt gefälscht, daß sie von den Adressaten für echt gehalten wurden.
So war das faschistische Deutschland an den verhängnisvollen Entscheidungen der sowjetischen Führung in bezug auf zahlreiche Angehörige der Sowjetarmee und deutsche Politemigranten nicht unbeteiligt.

Dr. Manfred Graichen, Berlin


Im Januar-RF las ich Ulrich Guhls interessanten Beitrag über den Bundeswehr-Major Bruno Winzer. An ihn kann ich mich noch sehr gut erinnern. 1970 wurde ich gefragt, ob wir Interesse an seinem Auftritt in unserer Dienststelle hätten. Wir waren eine Ausbildungseinheit der Luftstreitkräfte und bejahten das gerne. Schließlich war Major Winzer Presseoffizier der Bundesluftwaffe gewesen. Da der Termin von der URANIA Potsdam kurzfristig angedacht war, entschied sich mein Kommandeur für die Einladung. Am 6. Januar 1970 fand die Veranstaltung statt. Später ließ mich Major Winzer wissen, daß ich ihn in der Bundeswehr als damaliger Oberleutnant nicht hätte begrüßen dürfen. Zum 1. September 1970 lud mich Herr Winzer zu einer Veranstaltung ins Berliner Haus der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft ein. Er nannte mich dort seinen "jungen Freund aus der NVA". Später habe ich einige Jahre mit Major Winzer korrespondiert. Mir ist bekannt, daß er Ende der 70er noch in der DDR weilte und an einem neuen Buch arbeitete. Nachfragen bei Angehörigen der Bundesluftwaffe nach dem 1. Oktober 1990 ergaben keine Hinweise auf seinen Aufenthaltsort.

Oberstleutnant a. D. Georg Ehmke, Werder


Major Winzers Buch wurde mir 1974 zum Geburtstag überreicht, woran eine Widmung erinnert. Ich identifiziere mich mit Ulrich Guhls Artikel. Ausnahme: Die auf den "Spiegel" gestützten Feststellung, Bruno Winzer habe die DDR 1967 wieder verlassen. Da kann ich die Redakteure beruhigen. Ich habe in Vorbereitung der X. Weltfestspiele 1973 eine Buchlesung mit Major Winzer organisiert und ihn selbst aus seiner Wohnung in Berlin-Oberschöneweide abgeholt. Er berichtete uns über seine Entwicklung in der Bundesluftwaffe und seine Übersiedlung in die DDR im Jahre 1960. Er ließ uns wissen, daß alle Bemühungen, seine Frau und seinen Sohn in das Leben der DDR zu integrieren, leider fehlgeschlagen seien. Er aber blieb.
Winzer war übrigens nicht der einzige, der damals diesen Weg wählte.

Udo Helmbold, Berlin


Für die RF-Artikelserie über fast vergessene Schriftsteller der DDR rege ich an, auch den Autor Curt Letsche einzubeziehen. Daß er nicht ganz so vergessen ist wie manch anderer, hat wohl nicht zuletzt mit meinen Aktivitäten zu tun. Ich bin sein Sohn, wuchs in Stuttgart auf und lebte immer in Baden-Württemberg, während er 1957 in die DDR ging. Viele Jahre hatten wir kaum Kontakt. Er war - und darauf kommt es hier an - ein produktiver und beliebter Schriftsteller der DDR. Seine Romane finden antiquarisch - wie man im Internet nachvollziehen kann - noch immer ihre Abnehmer.

Lothar Letsche, Tübingen


Der Beitrag über Martin Merbt/Selber in Dieter Fechners Rubrik "Einst erfolgreiche DDR-Autoren dem Vergessen entreißen" im Januar-RF hat bei mir Erinnerungen geweckt. Mit Martin habe ich 1946/47 in der FDJ-Kreisleitung Wanzleben zusammengearbeitet. Wir halfen als Arbeitsgebietsleiter in den Städten und Dörfern, die junge Organisation aufzubauen. Ich habe selten einen so ideenreichen, optimistischen und aktiven Menschen wie Martin erlebt. Er hat mir von Beginn an Hochachtung abverlangt. Besonders in seinem Wohnort Domersleben trieb er die politisch-kulturellen Aktivitäten ständig voran. Dabei entstanden nach und nach die verschiedensten Kulturgruppen, die Martin öffentlich auftreten ließ. Sie wurden später zum Börde-Ensemble zusammengefaßt. Martin war technisch, aber auch musisch begabt. So spielte er u. a. hervorragend Schifferklavier. Wenn irgendwelche Anfragen zu Laienspielen und Liedtexten an ihn gerichtet wurden, war seine unerschütterliche Antwort: "Das machen wir selber." Und er hielt Wort. So hieß er am Ende bei allen Martin Selber.

Werner Bruns, Magdeburg


Seit über einem Jahr kenne ich den "RotFuchs" und fand ihn bisher sehr lesenswert. Doch bei einer oberflächlichen Darstellung der Mittelalter-Märkte, an denen ich seit sieben Jahren beteiligt bin und für die Akteure wie Darsteller keinen müden Heller irgendeiner Aufwandsentschädigung erhalten, will ich es nicht belassen. Im Artikel von Jobst-Heinrich Müller heißt es lediglich: "... Auf dem Mittelalter-Markt lernen Kinder, daß Hamburger einst mit Bio-Brot zubereitet wurden." Wir Akteure sind vor allem bemüht, das damalige Leben und Wirken möglichst authentisch nachzugestalten.
Der Begriff "finsteres Mittelalter" bezieht sich nicht nur auf schreckliche Ereignisse, sondern auch darauf, daß es wenige und nur sehr vage Originalüberlieferungen über das tägliche Leben und Wirken der einfachen Leute in jener Zeit gibt. Und was das damalige Brot betrifft, so sind dessen Zutaten tatsächlich in gewisser Weise mit dem heutigen Bio-Brot zu vergleichen.

H. Konietzky, Berlin


Im Januar-RF fanden wir die schöne Sisyphus-Grafik unseres parteilosen Genossen Harry Herre, der so seine Verbundenheit mit dem "RotFuchs", "dem Marxismus und der Sache überhaupt" zum Ausdruck gebracht hat. Wahrlich: Unser Wirken, unser Kampf für eine friedliche, menschliche und ausbeutungsfreie Gesellschaft erscheinen bisweilen tatsächlich einer Sisyphusarbeit zu gleichen. Doch es gibt einen Unterschied: Glaubt man der alten griechischen Mythologie, so ist die Qual des Sisyphus, den Felsblock wieder und wieder hinaufzuwälzen, obwohl er stets hinunterrollt, letztlich vergebens und somit sinnlos.
Das aber trifft auf unser Tun nicht zu. Wir sind trotz der schwersten Niederlage der Arbeiterbewegung in Europa von historischem Optimismus beseelt. Dieser beruht nicht auf dem blinden Glauben an einen wunderschönen Traum, sondern auf der Wissenschaft von den Entwicklungsgesetzen der menschlichen Gesellschaft. So wird der Felsblock - allen Rückschlägen zum Trotz - eines Tages eine neue, höhere Ebene erreichen.

Dr. Ernst Heinz, Berlin


Genosse Steiniger, ich bitte Dich, die Polemik gegen die Zeitung "Neues Deutschland" einzustellen. Es ist eine sozialistische Tageszeitung. Du hast bestimmt schon viele Male das "Kommunistische Manifest" von Marx und Engels studiert und dabei festgestellt, wie großzügig dessen Autoren mit dem Begriff des Sozialismus umgegangen sind. Sag doch einfach zum ND, daß es nicht den marxistischen Sozialismus im Sinn hat und sich von der Bourgeoisie ein wenig ausnehmen läßt. Das trifft den Kern, und alle wissen Bescheid.

Gerd Schulz, Waldau

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Einen festen Preis gibt es nicht. Die Zeitschrift kommt jeweils am letzten Werktag eines Monats zum Versand.



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Der im Februar 1998 gegründete "RotFuchs" ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift.

HERAUSGEBER: "RotFuchs"-Förderverein e. V.

CHEFREDAKTEUR: Dr. Klaus Steiniger, (V.i.S.d.P.)
Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin,
Telefon 030/561 34 04
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(Redaktionsadresse)

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AUTORENKREIS:
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Dr. Vera Butler (Melbourne)
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Bernd Gutte
Dr. Ernst Heinz
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Rico Jalowietzki
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Dr. Dieter Laser
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Bruno Mahlow
Dr. Bernhard Majorow
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Cornelia Noack
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Quelle:
RotFuchs Nr. 194, 17. Jahrgang, März 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2014