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ROTFUCHS/188: Tribüne für Kommunisten und Sozialisten Nr. 234 - Juli 2017


ROTFUCHS

Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland

20. Jahrgang, Nr. 234, Juli 2017



Aus dem Inhalt

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Vor einer "postwestlichen Welt"?

Vom 7. bis 8. Juli findet in Hamburg ein Gipfel von 19 Staaten und der EU statt, der sogenannten G20. Es handelt sich um Länder, die unterschiedliche, ja in einigen Fällen sogar diametral gegensätzliche Interessen haben. Unter ihnen befinden sich die USA, die die Welt mit einem Netz von über 700 Militärbasen überzogen haben, also global als Bedrohungsmacht agieren, und zusammen mit ihren Verbündeten, vor allem in der NATO, im vergangenen Vierteljahrhundert z. B. den Nahen und Mittleren Osten in ein Trümmerfeld verwandelt haben. Sie wollen dem Rest der Welt eine fälschlich als "neoliberal" bezeichnete, in Wirklichkeit auf gnadenlose Vermehrung des Reichtums von Reichen und daher auf Sozialabbau, staatlich verordnete Armut, Repression und komplette Überwachung gestützte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufzwingen, die seit der Erfindung des globalen "Kriegs gegen den Terror" in den USA und den NATO-Staaten selbst mehr und mehr faschistische Züge annimmt. Tatsächlich sind sie es, die seit dem Untergang der Sowjetunion 1991 fast ununterbrochen Staatsterrorismus ausüben. Daneben gehört zu den G20 China, das sich gerade anschickt, die USA als größte Volkswirtschaft der Welt abzulösen, eine Großmacht, die an keinem der zur Zeit auf der Welt geführten Kriege teilnimmt.

Zu der "Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer" gehören Rußland, das die westlichen Staaten daran gehindert hat, Syrien mit Hilfe der von ihnen geförderten Terrormilizen zu zerschlagen, ebenso wie Saudi-Arabien, das ideologisches Ursprungsland und Hauptfinanzier dieser Gruppierungen ist.

Das Thema Krieg und Frieden wird auf diesem Gipfel trotz solcher Gegensätze offiziell keine Rolle spielen. Das charakterisiert das Treffen als eines mit begrenzten Zielen und Verhandlungsgegenständen als einen Notmechanismus zur Begrenzung von Folgen jener Krisen, die der Kapitalismus entgegen allen Mythen seiner Apologeten regelmäßig hervorbringt. Diese Absicht war bereits der Anlaß für die Gründung der G20 nach der asiatischen Finanzkrise von 1997/98. Auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs arbeiten die G20 jedoch erst seit 2008, als die in den USA im Jahr 2007 ausgebrochene Hypothekenkrise sich zur Weltfinanz- und dann zur Weltwirtschaftskrise ausweitete. Sie dauert bis heute an, daher die G20-Treffen. Es läßt sich auch sagen: Ohne China und die großen Schwellenländer wie z. B. Brasilien, Rußland, Indien und Südafrika (die BRICS-Staaten) lassen sich das internationale Finanzwesen und die Weltwirtschaft nicht mehr stabilisieren. Insofern markiert die bloße Existenz der G20 ein sich wandelndes Kräfteverhältnis in der Welt, bei dem vom "Ende der Geschichte" oder einer "einzigen Supermacht USA" keine Rede mehr sein kann. Die G20 sind ein Spiegelbild jener Prozesse, die, wie der russische Außenminister Sergej Lawrow im Januar auf der "Sicherheitskonferenz" der NATO in München sagte, zur "postwestlichen Welt" führten.

Sowohl US-Präsident Donald Trump als auch das gesamte politische Establishment des Westens verweigert sich bislang dieser neuen Realität. Ob Hamburg zeigen wird, wie sich die Gegensätze zwischen den USA und der EU auf der einen Seite und beider zusammen gegenüber den Schwellenländern verschärft haben, ist offen. An deren Zuspitzung wird das Treffen nichts ändern. Schon deswegen aber wird die deutsche Präsidentschaft darum bemüht sein, das Thema von Krieg und Frieden, von Urhebern imperialistischer Kriege und Widerstand dagegen gar nicht erst aufkommen zu lassen, und alles daransetzen, einen Minimalkonsens zur Sicherung der Weltwirtschaft zu erreichen. Das ist ihr Geschäft im globalen Klassenkampf.

Die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Kriegspolitik nach außen und der Ausplünderungs- und Armutspolitik nach innen wird voraussichtlich Zehntausende zur Teilnahme an den Protestaktionen motivieren. Ein Bündnis aus Umweltverbänden, Gewerkschaften, Friedens- und anderen Gruppen hat zu Gegengipfel und Demonstrationen nach Hamburg aufgerufen, um eine starke Bewegung wie letztes Jahr gegen TTIP und CETA auf die Straße zu bekommen. Unter ihnen sind auch Akteure, welche die gegensätzlichen Interessen und vor allem die tatsächliche Politik der an G20 beteiligten Staaten verschweigen und deren Agieren undifferenziert darstellen, was einer Verfälschung und Ablenkung von Krieg und Krise gleichkommt. Hier gilt aber: Wer vom Krieg nicht reden will, der sollte vom Kapitalismus schweigen!

Arnold Schölzel

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Vereint wieder Kriege gewinnen?

Der unerwartete Wahlsieg des republikanischen Hasardeurs Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen am 8. November 2016 hat in Politik und Medien weltweit einen gewaltigen Wirbel ausgelöst. Fast alle Regierungen der westlichen Allianz, Clintons Demokratische Partei, diverse Bürgerbewegungen und selbst einige unterlegene Mitbewerber der Republikaner überschlugen sich vor Besorgnis und Ablehnung dieser populistischen Entgleisung des US-Parlamentarismus. US-Leitmedien, einige Richter und die mächtigen Geheimdienste stellten sich gegen ihn. Es wurde gar "das Ende des alten Westens" an die Wand gemalt. Bei der Kritik spielten Trumps Rassismus, seine Mißachtung rechtlicher Verfahrenswege, die Evangelikalen und "Falken" seines Teams keine so große Rolle wie eine befürchtete "Verständigung mit Rußland" und eine Abkehr vom Neoliberalismus. Inzwischen sortieren sich im wirtschaftslobbyistischen Machtgefüge die Kapitalfraktionen neu. Trump bemüht sich um die Majorisierung seiner Partei und um potente Unterstützer beim Ausbau seiner Hausmacht, deren Begehrlichkeiten er, wie jeder US-Präsident, dann auch bedienen wird. Im März gewann er den "Militärisch-industriellen Komplex" und die Armee mit zusätzlichen Ausgaben von 54 Mrd. Dollar für die Rüstung, um "Kriege auch wieder gewinnen" zu können. Seine NATO-Vasallen verpflichtete er ebenfalls zu verstärkter Aufrüstung und zu mehr Gefolgschaftstreue bei Kriegseinsätzen. Außenpolitisch bedeutet "America first": die Beibehaltung des Freihandels, wo immer er den USA Vorteile verspricht, erpresserische bilaterale Verhandlungen mit schwächeren Konkurrenten und harte Maßnahmen gegen Unbeugsame, besonders China und Rußland. Der gegen die reale Multipolarität gerichtete reaktionäre Hegemonialanspruch, von "Think tanks" (Brzezinski und Friedman) ersonnen, gilt jetzt mehr denn je - so, wie es im Leitartikel des "RotFuchs" vom März zu lesen ist: "Am imperialistischen Klassencharakter der US-Außenpolitik hat sich nichts geändert."

Wozu also das mediale und politische Schmierentheater nach Trumps Wahlsieg? Seit der "Wende" von 1991 haben in Europa viele Menschen die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit und die Durchsetzung der beschworenen "Werte" von Demokratie, Offenheit und einer friedlichen Zukunft verloren. Rechte Demagogen bieten daher auch hierzulande ein Zurück in die Vergangenheit protektionistischer und militaristischer Nationalstaaten, einer obrigkeitsstaatlich behüteten "Volksgemeinschaft" und "sozialpartnerschaftlich" zu erzeugenden Wohlstands als rettenden Strohhalm an.

Solche Vorstellungen will sich auch das angeschlagene Establishment in der Systemkrise zunutze machen. Dabei hilft ihnen der Trump-Effekt: Plötzlich erscheinen Kriegstreiber wie John McCain und Machtpolitiker wie Hillary Clinton quasi als Musterdemokraten in einer Reihe mit Bernie Sanders und den Protestbewegungen gegen Trump. Die Ablehnung der unsozialen und undemokratischen EU-Politik sinkt laut Umfragen. Selbst TTIP erscheint besser als Trumps Pläne. Es schallt: "Wir brauchen ein stärkeres Europa!" Und wir benötigten mehr Truppen, Rüstungsanstrengungen und Führungswillen bei Kriegseinsätzen für unsere nationalen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen. Schließlich wurden sogar schon eigene Atomwaffen gefordert.

Nach der Münchener "Sicherheitskonferenz" schien dann alles wieder im Lot zu sein. "Die USA stehen zum Bündnis": Truppenaufmärsche in Polen und dem Baltikum, Waffen und Instrukteure für Poroschenko, atomare Aufrüstung, NSA-Spionage, wie gehabt. Dazu: neue US-Stützpunkte in Deutschland! Merkel nebst Gauck äußerten nach einigem schamhaften Lamento, sie seien überzeugt, daß die USA auch "weiterhin gemeinsam mit der NATO am Aufbau einer gerechten Weltordnung" und für "unsere freie und offene demokratische Wertegemeinschaft" entschlossen eintreten würden.

Fazit: Dieser Regierungswechsel verschärft nicht nur die konkurrierenden wirtschaftspolitischen Widersprüche unter den kapitalistischen Staaten und die Klassengegensätze weltweit, sondern erhöht die Gefahr eines verheerenden Weltkriegs, durch höhere Risikobereitschaft zur Durchsetzung globaler imperialistischer Dominanz. Dagegen gilt es Widerstand zu leisten - bestärkt durch Vertrauen in die politische Umsicht Rußlands und Chinas.

Jobst Heinrich Müller

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Schreibt an Ana, Leonard und Mumia!
von Martin Schwander

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Rußland - die größte Bedrohung für die Sicherheit der USA?

In den letzten drei Jahren haben die USA gegenüber Rußland eine Politik der aggressiven Bedrohung betrieben. Noch kurz vor Machtantritt des neuen US-Präsidenten haben die alten Eliten Haß- und Dämonisierungsaktivitäten gegen Rußland in Kraft gesetzt, die zu einem Antistart führten. Dazu gehörten u. a. neue Sanktionen gegen den russischen Finanz- und Öl-Sektor, die Ausweisungen russischer Diplomaten, eine hysterisierte Propaganda, die Zuspitzung der Konfrontation an der Westgrenze Rußlands, in Syrien, der Ukraine, dem Jemen.

Sie wollten damit vor allem gute Beziehungen USA - Rußland langfristig unmöglich machen und dem neuen Präsidenten der USA und Rußland schaden. Das ist einmalig. Der Ehrenvorsitzende des Präsidiums des Rates für Außen- und Militärpolitik Rußlands, Sergej Karaganow, stellte dazu fest: "Die USA haben eine Reihe politischer und militärischer Niederlagen im Nahen Osten, in Afghanistan sowie Einflußverluste in Asien, aber auch solche in Sicherheitsfragen zu erklären, für die man Rußland verantwortlich machte und mit Sanktionen und Isolationspolitik bestrafte."

Die Trump-Administration strebt, trotz großer Gegenwirkung anderer Machtzentren im eigenen Land, in globalen Fragen einen Konsens mit den Hauptkonkurrenten Rußland, China und Indien an. Diese inneren Widersprüche treiben die USA beim Kampf um die Durchsetzung eigener Interessen zu einem nicht adäquaten Einsatz militärischer Mittel, wie der Schlag gegen die syrische Luftwaffenbasis al-Schairat zeigte. Für Rußland geht es darum, die Isolation durch die USA und andere Mächte zu überwinden, die Anerkennung als global agierende Großmacht zu erreichen sowie die Ausdehnung der USA und der NATO in russisches Interessengebiet aufzuhalten und nach Möglichkeit zurückzudrehen; die militärische Bedrohung soll möglichst auf das Niveau von 2001 zurückgeführt werden.

Die Interessen der USA und Rußlands könnten unterschiedlicher nicht sein. Die USA haben die gleichzeitige Abschreckung zweier so starker global agierender Konkurrenten wie Rußland und China verfolgt und leisteten sich dabei einen strategischen Fehler, der die Hauptkonkurrenten der USA zusammenbrachte. Rußland ist z. Z. das einzige Land der Erde, welches die USA mit seinen Kernwaffen und seinem wachsenden konventionellen Potential mehrfach vernichten könnte. Weiterhin haben die USA den antirussischen und prowestlichen Putsch in der Ukraine finanziert und leisten dem Nachputsch-Regime bis heute militärische Unterstützung. Der damalige Chef der CIA, O. Brennan, gab in einem Interview zu, daß die USA Kriminelle zur Auslösung der Unruhen auf dem Maidan und im Donbass nutzten, was wie auch in Syrien zu vielen Toten und Verletzten führte.

Als aber Rußland die Bewohner der Krim und des Donbass ebenfalls unterstützte, antworteten die USA und ihre Partner mit Sanktionen. Ab diesem Moment machten die Eliten des Westens und deren Propagandaapparat Rußland zum größten "Bedroher" der Sicherheit der USA und der NATO-Staaten. Der damalige Chef des Pentagons, Ashton Carter, legte in dieser Situation die Rolle Rußlands als langjährigen Gegner fest, denn man brauchte für die Propaganda und die Profite einen vorzeigbaren Gegenspieler. Ein existentielles Interesse haben die USA an der weltweiten Kontrolle der Rohstoff- und Energieträgerförderung sowie an dessen Transport und Verkauf, weil Letzterer meist immer noch in Dollar abgewickelt wird und für die USA Profite ohne Gegenleistung abwirft. Rußland reagierte und verkauft immer mehr Partnern Rohstoffe und Energieträger gegen Landeswährung und verringert so seine Abhängigkeit vom Dollar.

Demokratisierungsmissionen, "farbige Revolutionen" und Cyber-Aktionen werden von den USA zur Einflußnahme auf die inneren Angelegenheiten anderer Staaten sowie zur Erweiterung ihres Einflußgebietes finanziert und genutzt. Damit eröffneten die USA weitere Konfliktfelder gegenüber Rußland.

Rußlands eigene Interessen bestehen darin, die Sanktionen des Westens und die eigenen Gegensanktionen zu nutzen, um die Wirtschaft auszubauen, strategisch wichtige sowie exportträchtige neue Technologien und Erzeugnisse zu entwickeln, die Armee und andere Staatsorgane auf Vordermann zu bringen sowie zu einem selbstbestimmten und sozial stabilen Staat zu werden.

Konflikte entstehen, wenn unterschiedliche Interessen von Staaten aufeinander treffen und wenn Regeln zur Konfliktlösung fehlen. Konflikte zwischen den beiden Ländern entstanden bisher hauptsächlich bei der aggressiven und unnachgiebigen Durchsetzung von Zielen und Interessen durch die USA gegen russische Interessen. Rußland wurde dadurch zu Reaktionen gezwungen, da stets die Existenz, die Souveränität und die Stellung des Landes in der Welt auf dem Spiel standen.

Über allem schwebt der Konflikt der Supermächte auf dem Gebiet der Kernwaffen. Beide Länder halten ihre Kernwaffenkräfte, die den Sozialfonds Unsummen für Modernisierungen und Erneuerungen entziehen, bereits 15 Jahre lang in ständiger Einsatzbereitschaft. Rußland muß größte Anstrengungen unternehmen, um das annähernde Gleichgewicht der Kernwaffen-Triaden aufrechtzuerhalten. Vernunft, Verträge, die Verringerung der Kernwaffenpotentiale und deren Kontrolle, die Unterbindung der Weiterverbreitung sowie ein Moratorium zu neuen Kernwaffen wären notwendige Schritte für ein Überleben der Menschheit.

Zum besseren Verstehen der Konflikte zwischen den USA und Rußland sei auf den Syrienkonflikt verwiesen, der die dort handelnden Koalitionen bereits mehrfach an den Rand eines großen Krieges brachte. Der Kampf um die Befreiung Aleppos vom IS, an der Nusra-Front und der mit diesen verbündeten bewaffneten Opposition zeigte die Gegensätzlichkeit der Interessen beider Seiten. US-Piloten griffen Einheiten der syrischen Armee an und töteten und verletzten Hunderte syrische Soldaten, darunter auch russische Ausbilder. Als Antwort vernichteten russische Flugzeuge eine geheime Basis mit Spezialkräften der westlichen Seite und Israels.

Die USA-Koalition, die für die Teilung Syriens und die Ablösung Assads kämpfte, beanspruchte Aleppo als zweite Hauptstadt. Die russische Koalition schützt den demokratisch gewählten Präsidenten und den Erhalt des Staates Syriens. Aus dieser gegensätzlichen Interessenlage entstand ein unversöhnlicher militärischer Konflikt. Die Seiten stellten sich Ultimaten.

Die Einnahme Aleppos durch die syrisch-russisch-iranische Koalition machte die USA-Koalition zu Verlierern. Diese Art der Kampfhandlungen wiederholte sich mehrere Male. Rußland behielt die Nerven, band auch die bewaffnete Opposition in die Verhandlungen ein und befriedete Tausende Orte und Gebiete.

Die alten US-Eliten suchten Rache und zwangen den Präsidenten mittels einer Giftgasprovokation mit vielen Opfern, die Assad angelastet wurden, einen Luftschlag zur Vernichtung der syrischen Air-Base al-Schairat zu befehlen. Die USA brachen damit wiederum internationales und nationales Recht. Ein sofortiger Antwortschlag Rußlands hätte zu einem großen regionalen Krieg führen können. Diplomatische Bemühungen konnten das Schlimmste verhindern: US-Außenminister Tillerson war trotz alledem in Moskau und sein Gegenpart Lawrow in Washington. Dennoch gibt es wegen der unterschiedlichen Interessen kein gemeinsames Handeln der Koalitionen.

Neue russisch-türkische Vorschläge aus Astana zur Einrichtung von Schutzzonen standen bei den Genfer Syrienverhandlungen zur Debatte, und auch Assad ist noch an der Macht. Putin äußerte dazu im französischen Fernsehen: "Die einzige mögliche Variante eines Machtwechsels in Syrien ist die Durchführung von demokratischen Wahlen unter internationaler Kontrolle."

Oberst a. D. Gerhard Giese, Strausberg

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Protest gegen NATO-Rüstungstreffen in Brüssel

Was für ein NATO-Gipfel! US Präsident Trump will Schulden eintreiben, die es nicht gibt, und die europäischen Regierungschefs erklären erneut, daß sie zwei Prozent des Bruttospzialprodukts für Rüstung ausgeben wollen. Eine ungeheure Aufrüstungswelle steht uns bevor, für die BRD von 37 Milliarden Euro auf 69 Milliarden jährlich, für Europa von 200 Milliarden auf weit über 300 Milliarden Euro! Das Europa der Krise, der Arbeitslosigkeit soll sinnlose Interventionen und Kriege bezahlen, die Rüstungskonzerne werden jubeln; Bildung, Wissenschaft, Gesundheit und Umweltausgaben werden gekürzt werden.

Die Beteiligung der NATO am "Kampf gegen den IS" besser: an den völkerrechtswidrigen Kriegen, wurde vereinbart. Deutschland gehört damit noch mehr zur aktiven Kriegsallianz, eines Krieges, der Terror ausübt und weiteren Terror provoziert. Ein noch brutalerer Bombenkrieg wird die Folge sein. Unschuldige Menschen sind die wesentlichen Opfer, eine erneute Stärkung des IS und verbündeter "Terrorgruppen" steht zu befürchten. Der Krieg in und um Syrien wird angeheizt. Die gesamte Region wird noch mehr ein unbeherrschbares Pulverfaß. Diese Fortsetzung des Krieges gegen den Terror wird genauso scheitern, denn Kriege lösen keine Probleme, verstärken diese nur und destabilisieren ganze Gesellschaften, Länder und Regionen.

Die drei C dieses Gipfels: Cash, Capabilities, Contributions lassen sich ganz einfach übersetzen: mehr Geld für modernere Waffen, für noch mehr Kriegen, weltweit.

Brüssel war aber nicht nur eine Stadt der aktiven und kalten Krieger. Mehr als 12.000 Demonstranten zogen am 24. Mai in einer bunten, jungen, vielfältigen, imposanten und lauten Aktion durch die Stadt. Stundenlang zog sich diese ausdrucksvolle Friedensschlange durch die Straßen Brüssels, vielfältig die Bilder, die Transparente, die Puppen und die selbstgemalten Plakate. Musikalisch und laut war die Aktion, international gestaltet. Viele Länder, viele Slogans, eine beeindruckende Atmosphäre. Überall hallte ein "Nein zur NATO!" durch die Straßen, "Keine weitere Aufrüstung!" war die verbindende Losung einer Demonstration von Friedensbewegten, Globalisierungskritikern, Frauenbewegten und Umweltschützern - einer breiten Koalition des Widerstandes, die aus ganz unterschiedlichen politischen Quellen gespeist wird.

Mehr als 200 Menschen besuchten den Gegengipfel der belgischen und internationalen Friedensbewegung am Donnerstag. Die Internationalität prägte die Friedenskonferenz. Diese stand ganz im Zeichen der aktuellen friedenspolitischen Herausforderungen.

In einer Atmosphäre der Solidarität und der gegenseitigen Toleranz wurden mehr Gemeinsamkeiten deutlich, als vorher zu erwarten waren:

  • Die Herausforderung der Friedensbewegung ist es, die aktuelle Aufrüstungsrunde hin zu 2 Prozent des Bruttosozialproduktes abzuwehren und reale Abrüstung durchzusetzen: Abrüstung für Entwicklung und Abrüstung für die Lösung der sozialen und globalen Herausforderung verband die Teilnehmer. Deutlich wurde eine große Bereitschaft, sich für diese Ziele noch stärker einzusetzen.
  • Der UN-Atomwaffen-Verbotsvertrag, dessen internationaler Entwurf am Montag vorgestellt wurde, muß Realität werden, atomare Abrüstung gerade gegen die atomare Aufrüstungspolitik aller Atomwaffenmächte muß durchgesetzt werden. Europa muß endlich atomwaffenfrei werden.
  • Kooperation statt Konfrontation ist sinnvoll, notwendig und möglich - das gilt zuerst und besonders mit Rußland. Jede Feindbild-Konstruktion dient nur der Kriegsvorbereitung.
  • Ein Ende der Interventionskriege (sei es in Mali oder Afghanistan oder an den vielen anderen Kriegsorten der NATO) ist die Bedingung und Voraussetzung für eine friedliche und gerechte Entwicklung der Welt.

Die NATO-Mitgliedsstaaten wollen ihre Aufrüstungs- und Kriegsbeschlüsse von Brüssel "wirkungsvoll evaluieren" - wir werden jedes Jahr mit einer Friedensevaluation die zivilen Alternativen gegen diese Politik aufzeigen.

Alle diese Punkte bedeuten ein klares Nein zur NATO und signalisieren, daß diese Kriegsmaschine weiter delegitimiert werden muß. Ziel muß die Überwindung der NATO sein. NATO und globaler Frieden sind nicht kompatibel - kooperative, friedliche Zusammenarbeit ist das Ziel. Diese Grundpositionen des internationalen Netzwerkes "No to War - no to NATO!" fanden umfassende Zustimmung.

All das wird nur Realität durch eine breite, vielfältige, durchaus unterschiedliche, aber auch einheitlich handelnde internationale Friedensbewegung, die mit größeren Aktionen gesellschaftliche Zustimmung erfährt und in einem viel umfassenderen Maße wieder mobilisierungsfähig wird.

Einen Beitrag dazu zu leisten, das sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieses Gegengipfels durchaus als ihre "Hausaufgabe" an. Die optimistische Stimmung der Demonstration und des Gegengipfels macht Mut, dieses große Ziel zu erreichen. Die nächsten Aktionen, u. a. beim G20-Gipfel in Hamburg und bei den Ramstein-Protest-Aktionen, werden nicht nur für Deutschland erste Gradmesser sein.

Reiner Braun
(Co-Präsident des Internationalen Friedensbüros [IPB])

Kristine Karch, Lucas Wirl
(Koordinatoren des Netzwerkes No to war - No to NATO)

Weitere Informationen auf www.no-to-nato.org

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G20-Gipfel - Die Antikriegsbewegung beteiligt sich an Gegenaktionen
Frieden und Völkerrecht statt globalisierte NATO

In der politischen Bandbreite der zum G20-Gipfel angesagten Protestaktionen werden die globalen Themen aufgegriffen wie Umweltzerstörung und Klimawandel sowie die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen durch den sogenannten Freihandel. Diese Faktoren tragen auch in zunehmendem Maß zu den weltweiten Fluchtbewegungen bei, die heute vor allem durch regionale Stellvertreterkriege verursacht werden. Diese Kriege bergen eskalierende Risiken derart, daß es anstelle der militärischen Konfrontation zwischen regionalen Stellvertretern zum direkten Schlagabtausch der Atommächte dieser Welt kommen kann. Das wird auch an der forcierten Kriegspropaganda gegen Rußland und der NATO-Truppenstationierung an dessen Westgrenze deutlich.

Zudem wird seit kurzem in Deutschland eine eigene Verfügungsgewalt über Atomwaffen in die Debatte gebracht. Die ohnehin bereits vorhandene atomare Teilhabe soll damit einen offiziellen Charakter bekommen, als gäbe es keinen für Deutschland völkerrechtlich verbindlichen Atomwaffensperrvertrag. Hingegen haben sich Ende Oktober 2016 in der UN-Vollversammlung zwei Drittel der Mitglieder für Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot, d. h. einer völkerrechtlichen Ächtung dieser Waffen in 2017 ausgesprochen, natürlich gegen den Widerstand der Atommächte (China, Indien und Pakistan enthielten sich immerhin der Stimme) und den NATO-Staaten. Diese arbeiten statt dessen an milliardenschweren atomaren Aufrüstungsprogrammen: die USA mit neuen nuklearen Lenkgeschossen, mit denen die in Büchel einsatzbereit stationierten nuklearen Fallbomben "modernisiert" werden sollen, sowie Großbritannien mit dem innenpolitisch als Milliardengrab in der Kritik stehendem Programm zur Modernisierung der nuklearen Trident-U-Boote. Bei den weltweiten Rüstungsausgaben haben die NATO-Staaten einen Anteil von mindestens 60 Prozent, bei Einschluß von engen NATO-Partnern wie Israel und Japan sogar von 70 Prozent.

Beim G20-Gipfel in Hamburg vertreten die anwesenden Staatschefs etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung und etwa 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung. Von diesen könnten deshalb auch Impulse ausgehen für globale Zusammenarbeit zur Lösung der dringenden Menschheitsprobleme. Dann hätte auch der G20-Gipfel seine Berechtigung. Jedoch stellt dieser durch die Dominanz der NATO - und der ebenfalls im Kanon der Aufrüstungspolitik vertretenen EU-Staaten - kein Forum für Lösungen, sondern ein Teil des Problems dar.

Die Friedensbewegung beteiligt sich an den Gegenaktionen zum G20-Gipfel in Hamburg mit eigenen Beiträgen zu geplanten Gegenveranstaltungen und der für den 8. Juli geplanten Großdemo.

Karl-Heinz Peil
(Bundesausschuß Friedensratschlag)


Fünf Gründe, in Hamburg gegen die G20 zu protestieren

Wenn im Juli die Staatschefs zusammenkommen, erwartet die Stadt die größten Proteste ihrer Geschichte.

Die 20 Staats- und Regierungschefs, die sich am 7. und 8. Juli in Hamburg treffen werden, repräsentieren große Industrie- und Schwellenländer sowie die EU und treffen sich seit 2008 in diesem Kreis. Die Asienkrise hatte 1999 zur ersten Einberufung des Gremiums als informelles Treffen der Finanzminister geführt. Auch das Treffen der Chefs 2008 war eine Reaktion auf eine Krise, nämlich die beschönigend Finanz- und Bankenkrise genannte Krise des globalen Kapitalismus.

Die Bundesregierung beschreibt auf ihrer offiziellen G20-Webseite das Gremium "als das bedeutendste Forum für wirtschafts- und finanzpolitische Zusammenarbeit". Der selbsterhobene Anspruch der Versammelten besteht also darin, den modernen Kapitalismus zu managen, seine Krisen zu bewältigen und vor allem die Weltwirtschaft, sprich die Kapitalverwertung, in Schwung zu halten. Das mißlingt ihnen offensichtlich gründlich, und zwar nicht nur, weil sie unfähig wären, sondern weil sie die falschen Rezepte anwenden. Die Themen benennt wiederum die Bundesregierung: "geopolitische Konflikte, Terrorismus, Migrations- und Fluchtbewegungen, Armut und Hunger sowie voranschreitender Klimawandel und Epidemien".

Wer wollte dieser Problembeschreibung widersprechen? Wenn man allerdings auf die Lösungsansätze schaut, die von G20-Regierungen propagiert werden, dann finden wir nur alte Rezepte, die schon in der Vergangenheit ihre Untauglichkeit bewiesen haben, wie Wirtschaftswachstum, Freihandel, Schaffung privater Investitionsmöglichkeiten und in deren Folge umfassender Sozialabbau.

Auch ein genauerer Blick auf die Einzelthemen lohnt sich:

1. Geopolitische Konflikte und Terrorismus

Syrien, Irak, Afghanistan, Kongo, Ukraine, Jemen. Jeder dieser Kriege kann sich noch weiter ausdehnen. An jedem sind gleich eine ganze Reihe G20-Länder beteiligt, und nirgendwo verfügen sie über erfolgversprechende Ideen der Deeskalation und Friedensstiftung. Auch terroristische Gruppen haben ihre eigene Logik und entstehen nicht einfach nur als Folge des Agierens Dritter. Aber die wesentlichste Ursache für ihre in den letzten Jahren ständig wachsende Basis liegt in der Politik der G20, nicht zuletzt in deren Kriegen.

2. Migrations- und Fluchtbewegungen

Inzwischen weit über 60 Millionen Menschen haben nicht nur ihr Zuhause, sondern dabei auch ihr Land verlassen. Das tun sie in großer Zahl nur dann, wenn ein Leben dort unmöglich ist. Im Sommer 2015 waren die zehn wichtigsten Herkunftsländer von Geflohenen in Deutschland: Syrien, Albanien, Kosovo, Afghanistan, Irak, Serbien, Eritrea, Mazedonien, Pakistan, Nigeria. In jedem dieser Länder haben G20-Staaten in den letzten Jahren Krieg geführt, regionale Konflikte akzeptiert oder verstärkt. Für jedes gilt, was die Gruppe "Kanak Attak" schon vor über einem Jahrzehnt formulierte: "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört."

3. Armut und Hunger

Obwohl der Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung gesunken ist, haben immer noch mehr als 800 Millionen Menschen nicht genug zum Essen. Dabei werden nach wie vor Nahrungsmittel für fast 12 Milliarden Menschen jährlich produziert. Hunger ist ein Verteilungsproblem und als solches eng mit dem Kapitalismus verbunden, in dem nur versorgt wird, wer bezahlen kann. Institutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds, die bei den G20 regelmäßig mit am Tisch sitzen, haben mit ihren Programmen viel dazu beigetragen, daß Unterstützungsmaßnahmen für die Ärmsten, die es in zahlreichen Ländern gab, beendet wurden.

4. Voranschreitender Klimawandel

Die G20 sind für 82 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich.

5. Epidemien

Verarmung, Abschaffung staatlicher Gesundheitsvorsorge, ausbleibende Finanzierung der Weltgesundheitsorganisation und dafür Förderung privater Organisationen wie der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung haben wesentlichen Anteil an der sich verschlechternden Gesundheitssituation in vielen Ländern der Welt.

Es sind also genau die Verursacher und Antreiber all der genannten Probleme, die sich im Juli in Hamburg versammeln werden. Dabei haben sie inzwischen auch massive Widersprüche untereinander, so daß es naiv wäre zu erwarten, daß sie mehr tun, als das Ganze trotz verschiedener Störungen am Laufen zu halten.

Sowohl die führenden Neoliberalen (May aus Großbritannien, Abe aus Japan, Merkel aus der BRD u. a.), als auch autoritär geführte Staaten wie Rußland, China, die Türkei oder Saudi-Arabien und rechtsradikale, rassistische Regimes wie Indien, Brasilien, Mexiko sind dabei, und natürlich fehlen auch die korrupten Regierungschefs aus Südkorea oder Südafrika nicht. Ein besonderes Glanzlicht wird dieses Jahr Donald Trump aus den USA sein. Vielleicht kommt auch noch Marine Le Pen aus Frankreich dazu.

Nicht nur die von Grund auf falsche Politik, sondern auch dieses Personal zeigt, daß die G20 Teil des Problems und nicht der Lösung sind. Wer sich solche Figuren einlädt, hat sich selbstverständlich auch den internationalen Protest eingeladen. Also auf nach Hamburg!

Werner Rätz (attac)

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Ecuador entschied sich mit Lenín für die Zukunft

Aufgrund des von der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im Februar eröffneten Weges waren die Ecuadorianer Anfang April aufgerufen, erneut zu den Wahlurnen zu gehen, um in einer zweiten Runde zwischen zwei entgegengesetzten Optionen zu entscheiden: der Zukunft und der Vergangenheit.

Auf der einen Seite repräsentierte der Kandidat der Alianza País, Lenín Moreno, die Kontinuität der Bürgerrevolution, die Millionen von Menschen in den letzten Jahrzehnten von der Armut befreit und die Ressourcen des Staates dem Wohlergehen der Bürger zur Verfügung gestellt hatte. Auf der anderen Seite verkörperte der Multimillionär und Bankier Guillermo Lasso von der rechtsgerichteten Alianz Creando Oportunidades (CREO), die Rückkehr zum Neoliberalismus, der Ecuador zu Ende des vergangenen Jahrhunderts an den Rand des finanziellen Bankrotts gebracht hatte.

Die Rechte hatte eine Kampagne entwickelt, mit der sie versuchte, sich als Option für einen "Wandel" zu verkaufen. Aber die Ergebnisse beweisen, daß die Mehrzahl der Ecuadorianer sich nicht durch Vernebelungen hinters Licht führen ließ, sondern die objektiven Veränderungen wertschätzte, die das Land im letzten Jahrzehnt der Regierung des Präsidenten Rafael Correa erlebt hat.

Die Biographie des Kandidaten der Rechten ist eine Anhäufung der schlechtesten Praktiken lateinamerikanischer Eliten, die der neoliberalen Doktrin treu ergeben sind, in der private und familiäre Interessen mit Ambitionen von Unternehmen, Banken und Politikern vermischt sind. Es handelt sich um die Hauptfigur des Neoliberalismus in Ecuador und einen der bekannten Vertreter der Parteienherrschaft, die zu Beginn dieses Jahrhunderts die Macht verlor, als kein Präsident es mehr schaffte, sein Mandat zu beenden.

Lasso war Wirtschaftsminister während der demokratisch-christlichen Regierung von Jamil Mahuad. Und wenn er auch die Regierung verließ, bevor die Finanzblase explodierte, ist er doch einer der Verantwortlichen der Krise, in die das Land zu Ende deren Zeit geriet. 1994 war er führend an der Annahme des Allgemeinen Gesetzes der Finanzeinrichtungen beteiligt, die die Liberalisierung der Finanzmärkte ermöglichte und die Grundlagen für das schuf, was in Ecuador als der "Bankfeiertag" bekannt ist. Nach Jahren der Deregulierung brach 1999 das Bankensystem zusammen, und der Staat organisierte ein Rettungspaket auf Kosten des Einkommens der Bevölkerung und der Abschaffung sozialer Dienste.

Die aufgrund der "Panama-Papiere" durchgeführten Untersuchungen deckten auf, daß Lasso ein Gutteil seiner Ersparnisse in Steuerparadiesen angelegt hat - peinlicherweise bestand eine der Losungen seiner Kampagne darin, daß die Multimillionäre ihre Guthaben im Land anlegen sollten ...

Der 63jährige Moreno ist Sohn von Lehrern aus der Grenzregion von Nuevo Rocafuerte und erreichte es aus eigener Kraft, seinen Hochschulabschluß in Öffentlicher Verwaltung an der Zentraluniversität von Ecuador zu machen. 1998 verlor er durch einen Schuß in den Rücken während eines Überfalls die Beweglichkeit seiner Beine. Seitdem richtete sich sein Wirken darauf, jene sichtbar zu machen und für sie zu sprechen, die unter einer Behinderung leiden. Während seiner Tätigkeit als Vizepräsident führte er die solidarische Mission Manuela Espejo an, eine Einrichtung, deren Aufgabe es war, die erste Diagnose zur Situation der Behinderten von Ecuador zu erstellen. Von 2014 bis 2016 war er als Sonderbeauftragter des UNO-Sekretärs für Behinderung und Barrierefreiheit tätig.

Seine Präsidentschaftskampagne basierte auf der Kontinuität des Werkes der Bürgerrevolution von Rafael Correa, wobei er aber zu jedem Zeitpunkt seinen eigenen Stil und eigene persönliche Fähigkeiten zeigte.

Nachdem er am Sonntag vom Sieg erfuhr, hob Moreno hervor, daß zu seinen Prioritäten die Einheit der revolutionären Kräfte gehöre.

"Wir werden jene Brüder wieder an uns annähern, die gegangen sind. Indigene Gruppen, Unweltschützer und junge Menschen müssen zurückkommen. All jene, die gegangen sind, werden zurückkommen müssen", erklärte er bezüglich einiger Spaltungen und Konflikte der letzten Jahre. "Wir werden anhören und verstehen, was es ist, was die ecuadorianischen Brüder wollen." Den Behörden des Nationalen Wahlrates und den internationalen Beobachtern zufolge verliefen die Wahlen vollkommen normal, trotz der Witterungsunbilden in mehreren Küstenprovinzen. Der Tag war jedoch durch die Wahlumfragen an den Wahllokalen bestimmt, die gegensätzliche Ergebnisse ergaben. Das mit Lasso verbundene Consulting-Unternehmen "Cedatos" gab als Sieger den Kandidaten von CREO bekannt, während "Perfiles de Opinión" Moreno ansagte.

Mehrere Politiker, einschließlich des Präsidenten, riefen dazu auf, die offiziellen Ergebnisse abzuwarten und eine Polarisierung zu vermeiden. Lenín Moreno wies gegenüber seinen Anhängern darauf hin, daß es unverantwortlich sei, falsche Angaben von seiten eines Unternehmens anzubieten, das vom Kandidaten der Rechten bezahlt werde. Er rief zu Ruhe auf und bat darum, die Ergebnisse zu respektieren.

"Eine großartige Nachricht für das Große Vaterland: Die Revolution hat in Ecuador erneut gesiegt", sagte der derzeitige Präsident, als die ersten Ergebnisse der zweiten Wahlrunde veröffentlicht wurden.

Correa ist zweifellos eine der zentralen Figuren der fortschrittlichen Welle, die die "lange neoliberale Nacht" hinter sich ließ, die sich Lateinamerikas bemächtigt hatte.

Der Sieg vom 2. April bedeutet, daß das Werk über seine Person hinauswachsen wird, wenn auch alle Analysten erwarten, daß er weiterhin einer der einflußreichsten Politiker seines Landes sein wird.

Der Sieg tritt in einem Moment ein, in dem wir einen Aufschwung der regionalen Rechten erleben und das internationale Panorama vom Voranschreiten von fremdenfeindlichen und extremistischen Ideen in großen internationalen Mächten gekennzeichnet ist.

Ecuador war während der Regierung von Rafael Correa auch eines der Länder, die die Mechanismen der Integration förderten, auf die die Region heute zählt. Daher ist es so wichtig, daß die neue Regierung bereit ist, den Stab zu übernehmen. Auf jeden Fall sendet die Entscheidung der Ecuadorianer der Welt die klare Botschaft, daß die fortschrittliche Welle in Lateinamerika weit davon entfernt ist, zu verschwinden.

Sergio Alejandro Gómez

(Aus: "Granma Internacional", 4/2017, red. bearbeitet)

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Noam Chomsky: Weil wir es so sagen
von Antoinette Mächtlinger

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Weltfestspiele der Jugend und Studenten (2)
Berichte einer Schweizer Genossin

Louise Stebler-Keller, eine Kommunistin aus Basel, hat sich in ihrer Jugend u. a. an Anschlägen und Sabotageakten auf Nazi-Transporte in Österreich und Tschechien beteiligt. Sie hat uns ihre Berichte von den Weltfestspielen in Budapest (1949), Berlin (1951) und Bukarest (1953), an denen sie als junge Kommunistin aus der Schweiz teilgenommen hat, überlassen.

Mit der Veröffentlichung verbinden wir einen herzlichen Glückwunsch an Louise zu ihrem 93. Geburtstag am 9. Juli. RF

Festival Budapest 1949

Nach Kriegsende durften viele Jugendliche, Studenten aus den USA mit Schiffen nach Europa reisen, um Europa kennenzulernen. Linke und kommunistische Studenten wollten aber 1949 zum Jugendfestival nach Budapest.

Das hat die amerikanische Regierung streng verboten. So haben sich 14 Jugendliche heimlich von den Reisegruppen losgelöst und sind klammheimlich in die Schweiz eingereist. Mein Baby Irene war ein Jahr alt, da erhielt ich eines Morgens einen Anruf. Auf amerikanisch wurde gefragt, ob sie kommen dürften. So war meine Wohnung voll mit Studenten. Sie erklärten mir, daß sie verbotenerweise zum Festival fahren und zur Tarnung eine Woche in Basel bleiben möchten. Gut, die "Freie Jugend" organisierte Schlafplätze und verköstigte sie eine Woche lang. Wir zeigten ihnen die Stadt und die Umgebung. Schon der Turm von Angenstein war eine Sensation, denn alte Schlösser gibt es in den USA ja nicht.

Nach einer Woche fuhr der Extrazug der französischen Festival-Teilnehmer nach Budapest mit Halt in Basel. Die Amerikaner mischten sich heimlich unter die französischen Freunde, um ohne Visa nach Budapest zu gelangen. Joe und ich fuhren später zum anschließenden Jugendparlament, wo wir unsere amerikanischen Freunde wieder trafen. Zweimal kam ein Brief aus den USA mit einer Nachricht des Leiters: "Wir haben jetzt geheiratet" und "Wir haben jetzt ein Baby", immer ohne Angabe einer Adresse, um nie verraten zu werden.


Festival Berlin 1951

Die USA haben alles getan, um dieses Festival zu verhindern! Wir waren ca. 400 Schweizer Jugendliche, die zum Festival nach Berlin fahren wollten. Ab Zürich fuhren wir mit Extrawagen, die in Buchs (Grenze) vom Zug abgetrennt wurden. Die Schweizer Bundespolizei, in Zivil anwesend, riet uns von der Reise ab, es sei zu gefährlich. Österreich war damals noch in vier Besatzungszonen eingeteilt. Wir versammelten uns auf dem Feld und beschlossen, in den nächsten Zug einzusteigen und uns unter die anderen Passagiere zu mischen. Da wir keine Visa im Paß hatten, waren wir nicht als Festivalteilnehmer erkennbar. Der Zug wurde vier Stunden aufgehalten. Die anderen Passagiere solidarisierten sich mit uns. Auf Drängen der österreichischen Hotelindustrie (wegen befürchteter Verluste) ließen sie uns endlich fahren.

Inzwischen haben wir erfahren, daß französische und englische Festivalteilnehmer von den Amis mit Gewehrkolben traktiert wurden.

Bei Nacht fuhren wir durch die französische und die englische Zone, problemlos und ohne Kontrollen. Alle übrigen Gäste waren ausgestiegen, als wir morgens in die gefährliche amerikanische Zone einfuhren. Im zentralen Bahnhof kamen die Amis schwerbewaffnet in unseren Zug, an allen Türen standen bewaffnete Soldaten. Da wir grüppchenweise im ganzen Zug verstreut waren und im Paß keine Erkennung hatten, ließen sie uns weiterfahren, in der Meinung, wir gehen nach Wien.

Dann kam die russische Zone. Eine echte Befreiung! Die Schweizer schenkten den dort lässig herumstehenden russischen Soldaten Schokolade, Äpfel u. a. Die Russen staunten nur. In Linz stiegen wir aus. Österreichische Friedensfreunde standen an Tischen und verpflegten uns.

Über Prag erreichten wir Bad Schandau, die Grenzstation zur DDR. Wir stiegen nicht aus, aber im Bahnhof war die Hölle los: Pioniere sangen, Jugendgruppen tanzten, und alles klatschte und rief Bravo. Wir waren die ersten Westler, die die DDR erreichten. Das wurde gefeiert. Durch die Fenster verpflegten sie uns mit Essen und Trinken, bevor wir die letzte Strecke nach Berlin antraten.

Wir skandierten Friedensparolen. Die USA wollten den Frieden nicht. Das Festival in Berlin war großartig mit Kulturen aus der ganzen Welt!


Festival Bukarest 1953

Auch an diesem Festival für Freundschaft und Frieden nahm eine ansehnliche Delegation Schweizer Jugendlicher teil. Nach der Rückreise wurden die Festivalteilnehmer von Rechtsradikalen und der Polizei im Bahnhof Zürich geschlagen. Die Basler Teilnehmer kamen erst einen Tag später. Weil wir das in der "Freien Jugend" wußten, organisierten wir einen Schutz. Wir mobilisierten gegen 100 Jugendliche vor dem Bahnhof. Obwohl ihre Ankunft auf den späten Abend angesagt war, kamen alle frühzeitig, am Nachmittag und frühen Abend. Der ganze Bahnhofplatz war von uns besetzt.

In der ehemaligen Bahnhof-Unterführung standen eine Menge Studenten, die zum Prügeln bereit waren. Die Stimmung war aufgeheizt und gefährlich. Alle standen für schlimmste Schlägereien bereit. Nach Mitternacht traf der Zug mit unseren Festivalteilnehmern ein. Wir waren zahlenmäßig viel stärker als die Studenten, so daß sie sich stillschweigend zurückzogen. Unsere ankommenden Freunde - voller Angst, da sie von den Schlägereien und den Verwundeten in Zürich gehört hatten - waren uns zutiefst dankbar.

Auf dem Perron saßen junge Postler in den gelben, zweirädrigen Postkarren. "Ja", haben sie uns gesagt "wir hätten schon lange Feierabend, aber wir hätten euch geholfen." Es waren alles junge Jurassier.

Man ging nach Hause, aber was waren da für vier suchende Leute? "Wir waren beim Festival, kommen aus dem Jura und haben keinen Anschlußzug mehr." "Dann kommt mit uns!" Wir marschierten ins kleine Haus der Familie Ensner in Kleinbasel. Wir verpflegten die uns vorher unbekannten Freunde, plauderten zusammen bis in der Früh, bis dann der erste Zug in den Jura fuhr.

Louise Stebler-Keller, Basel

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Ein Appell aus Lateinamerika
Das Wichtigste heute ist, die Mutlosigkeit zu stoppen

Die große Schlacht, die heute weltweit zu schlagen ist, ist nicht die um Räume, sondern sie findet im Kopf eines jeden einzelnen von uns statt. Es gibt genügend Revolutionäre, Guerilleros der Ideen, aber die Kräfte zerstreuen sich angesichts eines solch mächtigen und kompakten Blocks der Kommunikationsmedien, die darauf aus sind, den Menschen in eine Geisel seiner Emotionen zu verwandeln, abgekoppelt von seiner Fähigkeit zu denken.

Nicht ohne Grund hat am 20. November vergangenen Jahres Präsident Nicolás Maduro zu einer Kommunikationsrevolution aufgerufen, die die traditionellen Medien, die "sozialen" Netze, die Straßen, die Wände einschließt. Er forderte uns, vom progressiven Denken ausgehend, zu einer intensiven und notwendigen Arbeit auf.

Und um diese dringliche Angelegenheit ging es beim XV. Treffen des Netzes der Intellektuellen, Künstler und sozialen Bewegungen zur Verteidigung der Menschheit, das am 6. und 7. März in Anwesenheit von über 60 Denkern aus Venezuela und anderen Ländern stattfand.

In dem Forum mit dem Namen "Emanzipatorische Kommunikation oder kolonisierte Vaterländer" wurde deutlich, daß eine vom humanistischen Blickwinkel ausgehende Intelligenz in dieser Welt vorhanden ist, daß sie aber artikuliert werden und agiler auftreten muß, um die Wahrheit der Völker zu verteidigen. An dieser Stelle sagte der Kulturminister Kubas, Abel Prieto Jiménez, daß "man die Schlacht um das Bewußtsein und um die Ideen gewinnen muß".

Am zweiten Tag des Treffens nahm sich Abel die Zeit zu einem Gespräch, in dem er über die Zeit, in der wir leben, sprach. Sie erfordere, daß man für ein kritisches und revolutionäres Denken kämpfe.

Sie haben bei diesem Treffen daran erinnert, daß die Linke kein Paradigma (Muster) hinsichtlich der Kommunikation aufgebaut hat, das eine Alternative gegenüber der Medienhegemonie der Rechten darstellen würde. Welche Überlegungen Ihrerseits gibt es dazu?

Die Intellektuellen Venezuelas und die anderer Länder haben hier über diesen Mangel gesprochen, den die Linke traditionell aufwies, wenn es darum geht, hinsichtlich der Kommunikation eine Art Paradigma zu schaffen, das sich angesichts dieser Maschinerie der Lüge und Diffamierung als wirksam erweisen würde. Wir können sie nennen, wie wir wollen, aber sie ist zweifellos sehr effizient dabei gewesen, das Bewußtsein zu zähmen, das kritische Denken in Lethargie zu versetzen um z. B. bei den Leuten Kandidaten durchzusetzen, die ihnen goldene Berge versprechen und sie anschließend verraten.

Aus diesem Grund können wir beobachten, daß es Gruppen von Menschen gibt, die gegen ihre eigenen Interessen abstimmen, gegen die ihres Landes, gegen das, was sie bereits erreicht haben. Das sind gespenstische Dinge.

Es wurde hier über die Rolle der sogenannten sozialen Medien gesprochen, die auch in Wahlprozessen, aufgrund der großen Basis an Daten, welche die "sozialen Netze" anbieten und von denen aus man psychologische Profile der Personen ableiten kann, sehr gut darin waren, die Empfänger mit auf den einzelnen Adressaten abgestimmten Botschaften zu erreichen. Das bedeutet, daß sich dort die Maschinerie für Manipulation und Täuschung befindet, ein Thema, das in allen Diskussionen des Netzes zur Verteidigung der Menschheit eine Konstante war.

Ich erinnerte an ein Forum, das im Dezember 2004 im Cuartel de la Montaña stattfand, als Chávez uns dazu aufrief, in die Offensive zu gehen, uns aufrief eine Bresche in die mediale Umlagerung zu schlagen. Daraus entstand die Idee von telesur (ein multistaatlicher TV-Sender mit Sitz in Venezuela), das so erfolgreich und von so großer Bedeutung gewesen ist. Von diesem Zeitpunkt an sprechen wir von der Manipulationsmaschinerie. Aber ich würde sagen, daß heute die Konzentration der Medien, die Ausnutzung des Unterbewußtseins der Menschen in einer fast Orwellschen Weise angestiegen ist. Wir stehen vor einer enormen Herausforderung, und ich glaube, daß es am wichtigsten ist, dieses neue Paradigma zu schaffen, das partizipativ (für aktive Teilnahme offen) sein muß, weil es das revolutionäre Volk sein muß, das die "sozialen Netze" nutzt und das sich weigert, hypnotisiert und wie eine Schafherde von einer Seite zur anderen geführt zu werden. Gleichzeitig muß es uns gelingen, Inhalte zu schaffen. Wir müssen kritisch dem System gegenüber sein, aber gleichzeitig Vorschläge machen.

Von 2004 bis heute haben sich die Umstände merklich verändert. Wie Sie sagen, haben die Widrigkeiten zugenommen ...

Fidel und Chávez haben Außerordentliches in die Wege geleitet. Danach schlossen sich Evo, Correa, Daniel und ALBA an. In Brasilien war die Arbeiterpartei an der Regierung. Es war eine Zeit, die wirklich viele Hoffnungen erweckte. Wir sehen jetzt, daß viele vom Pendel sprechen. Eine der düstersten Dinge wäre es zu akzeptieren, daß es ein Pendel gäbe, das nach links ausgeschlagen habe, und daß jetzt ein Pendel käme, das rechts ausschlägt. Das ist verrückt, denn die Geschichte bewegt sich nicht in Pendelbewegungen. Die Geschichte machen die Männer, die Frauen, die Völker, und ich denke, daß es heute am wichtigsten ist, die Demoralisierung, die Mutlosigkeit aufzuhalten, die es innerhalb der progressiven Kräfte gibt, die Idee zu stoppen, daß es jetzt zu einem Fatalismus kommen werde, daß anstelle der Ideen von Bolivar, Martí, Fidel, Chávez und der kubanischen und lateinamerikanischen Revolution uns weitere zehn Jahre Neoliberalismus bevorstehen würden.

Wie soll die Linke die Herausforderung annehmen weiterzukämpfen, ohne sich entmutigen zu lassen?

Es herrschte Einstimmigkeit unter den Teilnehmern dieses Treffens, daß man da nur mit konkreten Schritten, mit einem Aktionsplan herauskommt.

Etwas, was das Netz tun kann, ist, die Herzstücke des kulturellen Widerstands, die alternativen Medien, das Radio, die Arbeit der digitalen Guerilla in den "sozialen Netzen" zu verknüpfen. Es gibt viele, die nicht aufgegeben haben, die für die Emanzipation, gegen die neoliberale Offensive kämpfen, die aber nicht miteinander in Verbindung stehen.

Ich glaube, daß das Netz sich die Aufgabe stellen muß, alle diese Kräfte zueinander zu bringen und zu erreichen, daß die Leute spüren, daß wir es mit einem globalen Kampf zu tun haben und daß die kleinen lokalen Kriege das Problem nicht lösen werden, selbst wenn sie auf lokaler Ebene zum Erfolg führen sollten. Die großen Medien lügen. Wenn es zu einer Reaktion darauf kommt, geben sie nie zu, daß sie gelogen haben, und die Lüge steht im Raum. Das ist die Goebbels zugeschriebene Theorie: eine Lüge so oft wiederholen, bis sie zur Wahrheit wird, die viele glauben. Das ist heute die Philosophie der bürgerlichen Medien. Die Lage ist schrecklich. Die großen Medien haben eine Masse von Personen geformt - vor allem junge Leute, die sehr an dem hängen, was sich in den Netzen abspielt, und die sehr leichtgläubig sind. Deswegen bin ich der Auffassung, daß das andere, was wir tun müssen, ist, vor allem die Jugendlichen zum kritischen Studium dieses Kommunikationsmedienphänomens anzuhalten.

Man muß dazu anleiten, die Intelligenz zu benutzen. Erinnern wir uns nur daran, was uns Fidel so oft gesagt hat: Sie möchten uns den Denkapparat zerstören. Das ist das große Projekt: Daß die Menschen nicht mehr denken, daß die Menschen nicht kritisch die Lügen betrachten, die von den Medien in Umlauf gebracht werden.

Zu diesem Zeitpunkt können wir eine Frage stellen: Werden wir zulassen, daß das Denken Fidels, der Generationen in Kuba und Lateinamerika als etwas Archäologisches, etwas aus der Vergangenheit betrachtet wird? Werden die Venezolaner zulassen, daß das Denken Chávez' im Museum bleibt, als etwas, das es gab, das aber jetzt keine Gültigkeit mehr hat? Ich glaube, daß das keiner von uns zulassen wird.

Alina Perera Robbio

("Granma Internacional", April 2017; red. bearbeitet)

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Gibt es eine Perspektive für Afghanistan? (1)
I. Versuch einer konstitutionellen Monarchie (1964-1973)

Am 9. März 1963 gab König Mohammad Saher den Rücktritt seines Premierministers Mohammad Daud bekannt. Damit sollte dem Königreich Afghanistan die Revolution der Straße erspart bleiben. Es war der Versuch, die Umwandlung einer absoluten in eine konstitutionelle Monarchie von oben zu steuern und zu vollziehen. Die afghanische Monarchie sei entschlossen, "dem Volk die volle Freiheit zu lassen, die von ihm gewünschte Form der Regierung und der Verwaltung zu wählen". Die Bevölkerung könne sicher sein, "daß wir auf dem Gebiete der demokratischen Grundsätze und der sozialen Reformen bis zum Ende gehen werden. Wir wollen, daß unser Volk sein Schicksal selber bestimmt. Wir wollen, daß es sich politischen Parteien anschließen kann", wurde von offizieller Seite hervorgehoben. Am 11. März 1963 wurde Dr. Mohammad Jossof, der bisherige Minister für Bergbau und Industrie, zum neuen Ministerpräsidenten ernannt.

Mit Jossof übernahmen zum ersten Mal diejenigen Kräfte außerhalb der Dynastie die Regierungsgeschäfte, die sowohl das Vertrauen des Königs als auch der herrschenden Klasse hatten. Bereits in seiner ersten Regierungserklärung am 28. März 1963 kündigte Jossof Reformen im politischen Bereich des Landes an, deren Kernstück die Erarbeitung einer neuen Verfassung und eines Wahlgesetzes sein sollte. Im September 1964 verabschiedete eine Loyah Djergah (Große Ratsversammlung) den Verfassungsentwurf, und am 1. Oktober 1964 wurde die neue Verfassung durch den König ratifiziert. In Artikel 1 der Verfassung heißt es: "Afghanistan ist eine konstitutionelle Monarchie und ein unabhängiger und unteilbarer Einheitsstaat." Gestützt auf die Verfassung, traten sämtliche politische Richtungen mit ihren Programmen an die Öffentlichkeit.

Die marxistisch orientierten Kräfte gründeten am 1. Januar 1965 in der Illegalität die Demokratische Volkspartei Afghanistans (DVPA). Ein Jahr später wurde ein Parteiengesetz verabschiedet. Premierminister Jossof hatte am 30. April 1963 gesagt, daß für Afghanistan die einzige brauchbare Lösung ein Zwei-Parteien-System sei. Dies sollte dem Interesse einer stabilen Exekutive dienlich sein und den kleineren Gruppen den Weg zur Parteienbildung versperren. Es sollte eine Königspartei als Regierungspartei gebildet werden aus Anhängern des Königs und ihm nahestehenden Kräften, die zweite Partei sollte als "Oppositionspartei" fungieren, mit einer Loyalitätsverpflichtung gegenüber dem König.

Erstmals wurden Parlamentswahlen (vom 10. bis 25. September 1965) mit Beteiligung der breiten Massen des Volkes durchgeführt. Am 25. Oktober 1965 demonstrierten während der Debatte des Parlaments über die Vertrauensfrage des neugebildeten Kabinetts, wiederum unter Leitung von Dr. Mohammad Jossof, Schüler und Studenten öffentlich. Ihr Protest galt der Zusammensetzung des Kabinetts Jossof, welchem dem Volk als äußerst korrupt bekannte Personen wie Said Qasem Reschtia als Finanzminister angehörten. Polizei und Militär gingen mit Waffengewalt gegen die Demonstranten vor; nach offiziellen Angaben wurden drei Menschen getötet, einige Dutzend verletzt. Unabhängige Beobachter berichteten von mehr als 20 bis 30 getöteten Schülern und Studenten.

Um die Lage zu entspannen, trat Dr. Jossof am 29. Oktober 1965 als Regierungschef zurück. Damit war der erste Demokratisierungsversuch, bekannt als "Stille Revolution", gescheitert. Die neun bis April 1978 aufeinander folgenden Regierungen vermochten es ebenfalls nicht, die elementaren Bedürfnisse der Bevölkerung auch nur annähernd zu befriedigen.

II. König Saher, der Schatten Allahs, wird hinweggefegt (1973-1978)

Afghanistan gehörte in vielen Bereichen zu den am wenigsten entwickelten und ärmsten Ländern der Welt. Es war laut UNO-Statistik schon damals das unterentwickeltste Land Asiens. Trotz der von den Staaten des Westens, vor allem von den USA und der BRD, an Afghanistan über Jahrzehnte gewährten neokolonialistischen "Entwicklungshilfe" hatte sich die sozioökonomische Situation in Afghanistan von Jahr zu Jahr verschlechtert. Einzig die Verschuldung, nicht zuletzt für die zahlreichen, teilweise wenig erfolgreichen bzw. gescheiterten Entwicklungsprojekte, nahm weiter kräftig zu, so daß die Lage für die Monarchie insgesamt immer bedrohlicher wurde.

Die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung lebte ohnehin schon am Rande des Existenzminimums. Als der Hungersnot nach der verheerenden Dürreperiode von 1971/72 geschätzte anderthalb Millionen Menschen zum Opfer fielen, war das Ende der Herrschaft von König Mohammad Zaher besiegelt. "Die Zeit für die Entscheidung, entweder über die Revolution derer, die im Schatten stehen, [...] oder aber durch einschneidende Maßnahmen zur modernen Demokratie zu kommen, war nicht mehr fern. Es mußte über kurz oder lang seitens der Monarchie etwas geschehen, oder es würde mit der Monarchie etwas passieren." Am 17. Juli 1973 putschten die der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) zugehörigen Militäroffiziere gegen die Monarchie und verhalfen Mohammad Daud (von 1953 bis 1963 Ministerpräsident, außerdem Schwager und Cousin des Königs) an die Macht. Die Regierung Dauds führte aber keine der Reformen durch, die er in seiner ersten "Rede an die Nation" versprochen hatte. Außenpolitisch warf er die traditionelle Politik der Blockfreiheit Afghanistans über Bord, indem er die Beziehungen zum Schah von Iran, zu Anwar Al Sadat von Ägypten, zu Saudi-Arabien und Pakistan intensivierte. Zunächst schloß Daud alle linken Kräfte peu à peu von allen wichtigen Positionen aus, darüber hinaus ging er im Frühjahr 1978 zur offenen Repression gegen die Parteiführung der DVPA über. Hinzu kam noch der politische Terror der Islamisten bzw. des Geheimdienstes, dem namhafte Politiker und Repräsentanten der DVPA zum Opfer fielen. Mir Akbar Chaibar, Gründungsmitglied der Partei und Mitglied des Politbüros, war am 18. April 1978 auf offener Straße erschossen worden. Außerdem ließ Daud die gesamte Parteiführung bis auf wenige Ausnahmen verhaften; sie sollte liquidiert werden. Als diese Meldung in den Abendsendungen des afghanischen Fernsehens verbreitet wurde, kam es am 27. April 1978 zum militärischen Aufstand gegen das Daud-Regime unter der Führung von Teilen der DVPA und infolgedessen auch zum Beginn eines revolutionären Prozesses (April-Revolution). Die Militärs befreiten die Parteiführung und übertrugen ihr die Leitung des Staates: Generalsekretär Nur Mohammad Taraki wurde Vorsitzender des Revolutionsrates und Ministerpräsident, Babrak Karmal sein Stellvertreter und Hafisullah Amin Außenminister. Damit war auch der zweite Versuch, das Land am Hindukusch zu demokratisieren, gescheitert.

III. Afghanistan darf keine Schule machen (1978-1980)

Nach dem erfolgreichen Aufstand vom 27. April 1978 begann die Revolutionsregierung mit der Realisierung von Reformmaßnahmen wie der Regelung von Ehe- und Scheidungsangelegenheiten (Dekret Nr. 7 vom 17.10.1978), der Bodenreform (Dekret Nr. 8 vom 28.11.1978) sowie mit einer umfassenden Alphabetisierung, um die feudalen und halbfeudalen Strukturen aufzubrechen. Die Bekämpfung des Analphabetismus war zunächst sogar so erfolgreich, daß in einem halben Jahr ca. 1,5 Millionen Menschen Lesen und Schreiben lernten, wofür Afghanistan einen Preis von der UNESCO erhielt. Im ganzen Land wurden 27.000 ständige Kurse eingerichtet, an denen insgesamt 600.000 Menschen teilnahmen.

Bei der hastigen Umsetzung der Reformen wurden viele Fehler begangen, u. a. gelang es nicht, die Bevölkerung auf die revolutionären Maßnahmen vorzubereiten, was zwangsläufig zur Stärkung der Konterrevolution führte. Ende 1979 war die Lage der Regierung so hoffnungslos, daß sowjetische Militärhilfe unumgänglich wurde, um zu verhindern, daß Afghanistan zu einem zweiten Chile (Militärputsch gegen die Regierung Allende am 11.9.1973) gemacht wurde. Die afghanische Regierung hatte insgesamt 21 Mal, u. a. in einem Telefongespräch am 18.3.1979 zwischen N. M. Taraki und dem Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR, Alexej N. Kossygin, die Sowjetunion um Hilfe gebeten. Mit dem sowjetischen Militärengagement seit dem 27.12.1979, basierend auf Artikel 4 des afghanisch-sowjetischen Freundschaftsvertrages vom 5.12.1978 und Artikel 51 der UN-Charta, wurde der Afghanistan-Konflikt internationalisiert und zunächst verdeckt, später offen von den meisten westlichen Ländern, einschließlich der BRD und ihrer regionalen Verbündeten, geschürt. Der damalige Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Jürgen Todenhöfer, plädierte vehement für die Aus- und Aufrüstung der Konterrevolutionäre mit modernsten Waffen und motivierte vor Ort die Fanatiker zum Kämpfen und zur Zerstörung Afghanistans.

Die imperialistischen Länder waren hoch erfreut, die Sowjetunion in eine Falle gelockt zu haben. Vom kürzlich verstorbenen ehemaligen Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter (1977-1981), Zbigniew Brzezinski, wurde das in einem Interview mit "Le Nouvel Observateur" hervorgehoben: "Wir haben die Russen nicht gedrängt zu intervenieren, aber wir haben die Möglichkeit, daß sie es tun, wissentlich erhöht."

Ab 1979 wurde gegen Afghanistan "die größte Geheimoperation in der Geschichte der CIA durchgeführt". Es wurden unmittelbar nach der April-Revolution unter der Regie des US-Geheimdienstes CIA und dessen pakistanischer Bruderorganisation Inter Service Intelligence (ISI) etwa 35.000 radikale Islamisten aus 40 islamischen Ländern zu schlagkräftigen, bewaffneten Organisationen umstrukturiert und auf Afghanistan losgelassen. Über 100.000 Islamisten sind damit direkt vom Krieg gegen Afghanistan beeinflußt worden. Die CIA hat die afghanische Konterrevolution im Rechnungsjahr 1985 "mit der Rekordsumme von 250 Millionen Dollar" unterstützt. Dies machte "über 80 Prozent des CIA-Budgets für geheime Operationen aus". Dem "Spiegel" zufolge sind die Islamisten in den ersten zehn Jahren des Bürgerkrieges in Afghanistan offiziell mit "mehr als zwei Milliarden US-Dollar hochgerüstet worden".

Afghanistan durfte keinesfalls Schule machen. Ansonsten würden die Herrscher der gesamten Region, angefangen von dem engsten Verbündeten der USA in Iran bis hin zu den despotischen arabischen Potentaten, von revolutionären Stürmen hinweggefegt werden. Die iranische Februar-Revolution 1979 war dafür ein Paradebeispiel, bei welcher der Schah von Iran, einer der mächtigsten Herrscher der Region und neben dem NATO-Partner Türkei der wichtigste Verbündete der westlichen Welt, vertrieben wurde. Die USA wurden daraufhin gezwungen, ihre Spionagestationen von der iranisch-sowjetischen Grenze in die Türkei zu verlegen, ihre rund 40.000 Militärberater abzuziehen und den Sitz der regionalen Zentrale der CIA in Teheran zu schließen.

Als die Bemühungen der afghanischen Führung, den Konflikt politisch zu lösen, keinen Erfolg hatten, beschloß sie, zu kapitulieren. Damit war der Weg für die Islamisierung geebnet und eine große Hoffnung der Bevölkerung zerstört.

IV. Beginn einer Islamisierung (1992)

Die neue Führung um Außenminister Abdul Wakil, Najmudin Kawiani, Farid Masdak (alle drei waren Mitglieder des Politbüros) und Najibullahs früherem Stellvertreter und Nachfolger Abdul Rahim Hatef hatte beschlossen, am 27. April 1992 die Macht an die Konterrevolutionäre zu übertragen. Daraufhin wurde Sebghatullah Modjadedi, ihr Exil-Präsident, erstes Staatsoberhaupt der Islamischen Republik Afghanistan. Den Islamisten gelang es aufgrund divergierender politischer und ökonomischer Interessen jedoch nicht, das Land gemeinsam zu regieren. Der vom Volk so heiß ersehnte Frieden kehrte nicht zurück. Im Gegenteil, der Krieg wurde mit einer nie dagewesenen Brutalität fortgesetzt. Die Weltöffentlichkeit nahm dies kaum wahr, aber die letzten Nachrichten aus der afghanischen Hauptstadt Kabul lassen selbst den Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina beinahe als harmlosen Konflikt erscheinen: 3000 bis 4000 Tote, 200.000 Flüchtlinge, eine Stadt ohne Wasser, Strom und Lebensmittel. Die großen Städte, darunter Kabul, wurden in Schutt und Asche gelegt. Beobachter sprachen sogar von der Einäscherung Kabuls. Dieses historische Versagen der Islamisten stand im Widerspruch zu den politisch-ökonomischen und strategischen Interessen ihrer ausländischen Auftraggeber. Denn nach deren Auffassung sollte ein mit den USA und Pakistan eng kooperierendes Regime in Afghanistan stabile politische Verhältnisse schaffen, um die Konzeption des US-amerikanischen und pakistanischen Kapitals in der Region des Mittleren Ostens - insbesondere in den mittelasiatischen Republiken - zu realisieren. Damit war die Geburtsstunde für die Taliban gekommen, deren Geburtshelfer die USA waren.

(Fortsetzung folgt)

Dr. Matin Baraki

Matin Baraki lehrt internationale Politik an der Universität Marburg

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Das Ende einer Ära?

Mit neuen Absprachen zur militärischen Formierung der EU setzt die Bundesregierung ihre Bemühungen um eine partielle Abkopplung des europäischen Staatenbundes von den USA fort.

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat Anfang Juni mit ihrer neuen französischen Amtskollegin Sylvie Goulard die Planungen für eine gemeinsame EU-Militärpolitik vorangetrieben.

Kanzlerin Angela Merkel hat sich nach ihrer Forderung, "Europa" solle sein "Schicksal in die eigene Hand" nehmen, um den Ausbau der bilateralen Beziehungen zu China bemüht; gemeinsam mit Beijing positioniert sich Berlin in der Handels- sowie in der Klimapolitik offen gegen Washington. Deutsche Regierungsberater empfehlen darüber hinaus, die Bundesregierung solle sich auch in der Nahostpolitik deutlich von den Vereinigten Staaten absetzen. Die Transformation der deutsch dominierten EU zu einer eigenständigen, auch militärisch operierenden Weltmacht schreitet voran.

(Gestützt auf german-foreign-policy)

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Dr. Seltsam gegen den Rest der Welt

Die Aufkündigung des Klimaabkommens ist für die französische Zeitung "Les Echos" noch nicht mal die Krönung der Trumpschen Umweltzerstörung: "Das Schlimmste ist nicht, mit anschauen zu müssen, wie der Dr. Seltsam dieses Planeten mit dem Erbe unserer Kinder spielt.

Das Schlimmste sind die Dinge, die er schon vorher unternommen hat, um das getrübte Vermächtnis Obamas zu zerstören, Klimaabkommen hin oder her. Dazu gehören das riesige Keystone-Pipelineprojekt mit (der westkanadischen Provinz) Alberta, das Aus für den Clean Power Plan zur Verminderung von Kraftwerksemissionen ... und die Plazierung eines Klimaskeptikers an der Spitze der US-Umweltbehörde. Schon das genügt, um Donald Trump zum Staatsfeind Nummer eins der Bewohner eines lebenswerten Planeten zu machen."

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"Deutschland muß leben, deshalb muß Hitler fallen!"

Der 8. Mai 1945 ist für uns Deutsche, für die ungezählten unterdrückten Häftlinge in Konzentrationslagern, für die vom Faschismus unterdrückten Völker Europas ein Tag der Befreiung vom Faschismus.

Der 9. Mai 1945 ist ein Tages des Sieges für die Völker der Sowjetunion, der Alliierten, der griechischen, italienischen, jugoslawischen Partisanen, der widerständigen Bevölkerung in Europa, aber auch jener Deutschen, die in der Uniform der Siegermächte an der Zerschlagung des faschistischen Herrschaftssystems beteiligt waren, die sich in der Emigration bzw. in der Gefangenschaft den Befreiungsbewegungen anschlossen. Ihres Mutes wollen wir heute ganz besonders gedenken.

Am 2. Mai verstarb Heinz Keßler. Er war der letzte direkte Zeuge, er war Gründungsmitglied der Bewegung der Komitees "Freies Deutschland", konkret des NKFD am 12. Juli 1943 in Krasnogorsk bei Moskau. Als junger deutscher Wehrmachtssoldat war er desertiert und zur Roten Armee übergelaufen. Seine Mutter mußte dies im KZ Ravensbrück büßen.

Am 22. Juni 1941 hatte das Deutsche Reich die Sowjetunion überfallen. "Lebensraum" wollte Adolf Hitler im Osten erobern. Er plante den Krieg von Anfang an als Raub- und Vernichtungsfeldzug gegen die Sowjetunion - in dessen Zentrum die Eroberung und Vernichtung Moskaus, Stalingrads und Leningrads standen. Ein "Blitzkrieg" war geplant, der nach sechs bis acht Wochen enden sollte.

Buchstäblich auslöschen wollten die Deutschen die Bevölkerung Leningrads. Als "Wiege" der kommunistischen Oktoberrevolution von 1917 hegte Hitler besondere Verachtung für die ehemalige Hauptstadt des Zarenreichs. "Die Stadt wird nur eingeschlossen, mit Artillerie zerschossen und ausgehungert", so der Diktator im September 1941. Leningrad sollte nicht erobert werden, eine mögliche Kapitulation war abzulehnen. Die eingekesselten Menschen sollten elendig krepieren - ein beispielloses Kriegsverbrechen. Im Januar 1943 konnte die Rote Armee einen schmalen Landkorridor sichern, aber erst am 27. Januar 1944 sprengten die Rotarmisten die Abriegelung der gepeinigten Stadt endgültig. Nach fast 900 Tagen war Leningrad wieder frei, Schätzungen von Historikern zufolge kostete die deutsche Blockade rund eine Million Menschen das Leben. Genau ein Jahr später wurde Auschwitz von der Roten Armee befreit. Dazwischen lag Stalingrad.

Am 19. August 1942 griff die 6. Armee Stalingrad an, unterstützt von Bombenangriffen - in wenigen Wochen war die Stadt vollkommen zerstört, nach 200 Tagen Kampf waren zwei Millionen Menschen vernichtet.

Stalingrad wurde zum Massengrab der deutschen Wehrmacht. Von den 300.000 deutschen Soldaten, die nach Stalingrad gezogen waren, kamen 150.000 zu Tode. Ungezählt, ungenannt bleiben die Opfer auf der Seite der siegreichen Roten Armee, der sowjetischen Bevölkerung.

Zu jenen Deutschen, die sich der Eroberungspolitik des faschistischen Deutschland organisiert widersetzten und hierbei breite Bündnisse zu schaffen suchten, gehörten die kommunistischen Widerstandskämpfer und deutschen Patrioten, Menschen, die ihr Land liebten, seine Menschen, seine Kultur und sich aus humanistischer Überzeugung gegen diese sinnlosen Vernichtungs- und Eroberungsfeldzüge der deutschen Machthaber stellten.

Zu ihnen gehörten: Wolfgang Abendroth, Johannes R. Becher, Ernst Busch, Heinrich Graf Einsiedel oder Peter Gingold. Viele der Genannten kehrten nach 1945 nach Deutschland zurück, die meisten lebten später in der DDR und setzten dort das in der Emigration Begonnene in ihren zivilen Berufen fort. Ihr antifaschistisches Engagement war ungebrochen und in der DDR stets hochgeschätzt. Anders in der BRD! Hier wurden die Genannten geächtet.

Am 8. September 2009 beschloß der Deutsche Bundestag endlich - 64 Jahre nach Kriegsende - die Rehabilitierung der sogenannten Kriegsverräter.

• 30.000 Deserteure, Verweigerer und "Kriegsverräter" wurden durch NS-Richter zum Tode verurteilt.

• Etwa 20.000 von ihnen wurden hingerichtet. Nach dem Krieg erfuhren die Überlebenden und ihre Familien Ächtung und Ablehnung durch Staat und Gesellschaft in der Bundesrepublik, wurden somit zum zweiten Male gedemütigt.

Alle diese NS-Unrechtsurteile sind nun seit 2009 aufgehoben. Viele, die meisten der Betroffenen, haben diese Rehabilitierung nicht mehr erleben können.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker betonte in seiner Rede anläßlich des 40. Jahrestages der Befreiung 1985:

"... Wir dürfen den 8. Mai nicht vom 30. Januar 1933 trennen ... Wir haben allen Grund, den 8. Mai als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen - ein Datum, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg."

Dr. Marianne Linke

(MdB, Partei Die Linke; gekürzt aus ihrer Rede vom 7. Mai in Stralsund)

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Zum 80. Jahrestag eines Infernos
Guernica und kein Ende

Man schreibt den 26. April 1937. Was die Besatzung eines Bombers der hitlerdeutschen Legion Condor als Truppenbewegung meldet, ist nur eine Schar Zivilisten auf ihrem Weg zum Markt der baskischen Kleinstadt Guernica. Wolfram von Richthofen, Stabschef der Legion, erteilt ohne weitere Prüfung im Einvernehmen mit dem Stab des Franco-Generals Emilio Mola seinen Fliegern den Befehl zum Angriff. Guernica steht noch unter Kontrolle der gewählten Volksfrontregierung. Von Richthofen will mit dem ersten Flächenbombardement in der Militärgeschichte die Achtung des Faschistenduos Hitler / Franco erringen. Es soll einerseits den spanischen Putschisten den Vormarsch ins Baskenland "ebnen" und andererseits der nazideutschen Luftwaffe Gelegenheit geben, vor größeren Gemetzeln Fluggeräte und Taktiken im "Feldversuch" zu testen. Göring wird im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß die günstige Gelegenheit einräumen, alles "im scharfen Schuß" erprobt zu haben.

Flugzeuge der Legion Condor, unterstützt von Maschinen eines italienischen "Freiwilligenkorps", greifen das geistige und kulturelle Zentrum des Baskenlandes in mehreren Wellen an. Zweieinhalb Stunden lang. Alles ist diabolisch durchdacht. Mit Bomben und Granaten treiben ihre Besatzungen die panische Bevölkerung in die Flucht, mit Maschinengewehrfeuer erschießen sie die Flüchtenden oder drängen sie in Unterschlupfe, die dann mit Brandbomben belegt werden. Dem kalkulierten Feuerinferno ging die Zerstörung der Wasserleitungen voraus. "Bombenlöcher auf den Straßen noch zu sehen, einfach toll", schreibt von Richthofen in sein Tagebuch. Hunderte Menschen kommen zu Tode, die genaue Zahl ist wegen der vielen Flüchtlinge in der Stadt nicht zu ermitteln. Die Fliegerbomben haben 99 Prozent der Häuser in Mitleidenschaft gezogen, über zwei Drittel davon völlig zerstört. Der gesamte alte Ortskern ist vernichtet. Spätestens mit der Erschießung von fliehenden Frauen und Kindern im Tiefflug ist die Mär von Truppenbewegungen widerlegt und der Vorwurf eines unsäglichen Kriegsverbrechens evident. Deshalb bezichtigt Franco die Verteidiger der Volksfrontregierung, Urheber des Infernos zu sein, und auch im Deutschen Reich leugnet man das Verbrechen, solange es geht. Als der deutsche Botschafter in Großbritannien, Ribbentrop, unvorsichtigerweise eine neutrale Inspektion vor Ort vorschlägt, beeilen sich deutsche Spezialisten, in der nun von den Franco-Truppen eingenommenen Ruinenstadt die Bombenreste und Blindgänger einzusammeln. Guernicas Schleifung bewegt die Welt.

Was in Guernica geschieht, ist kein lokales Ereignis. Unter Spaniens Himmel findet nichts Geringeres statt als ein Krieg antagonistischer Gesellschaftsentwürfe. Er scheidet das Lager der Demokratie und der Volksbefreiung von der Phalanx der am meisten reaktionären und chauvinistischen Kreise, die ihre Klassenherrschaft nicht mehr mit den Methoden bürgerlicher Demokratie aufrechterhalten konnten und deshalb zur faschistischen Diktatur übergegangen sind. Die "gemäßigten" kapitalistischen Staaten verstehen diese Polarisierung in größter Sorge und schlagen sich nicht auf die Seite der revolutionären spanischen Demokratie. Was war geschehen?

Am 16. Februar 1936 ging die von Linksparteien gebildete Volksfront siegreich aus den Wahlen zur Cortes hervor. Sie errang 268 der 473 Mandate. Forderungen nach Säuberung des Heeres von reaktionären Kräften wurden laut. Eine Generalsclique unter Franco inszenierte Mitte Juli eine Militärrevolte in Spanisch-Marokko, die auf Spanien übergriff. Am 30. Juli 1936 ernannte sich Franco in Burgos zum Chef einer Gegenregierung. Ziel war es, die Herrschaft der großbürgerlich-feudalen und klerikalen Reaktion wiederherzustellen und die von der Volksfront eingeleiteten demokratischen Veränderungen rückgängig zu machen.

Diese beinhalteten vor allem eine Bodenreform, die feudale und faschistische Elemente enteignete und den konfiszierten Boden an Bauern und Landarbeiter zur Nutzung übergab; die Gründung von Betriebsräten in den unter staatliche Treuhänderschaft gestellten Industriebetrieben; eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung und die Gleichberechtigung der Frauen. Die Konterattacken der Putschisten wurden zunächst im größten Teil des Landes zurückgeschlagen. Aber dann griff Hitler militärisch ein. Im Rahmen der "Operation Feuerzauber", deren Umfang alle Hoffnungen der Falangisten übertraf, wurde die Legion Condor zur Luftunterstützung entsandt. Dabei war es Deutschland von den alliierten Siegermächten nach dem ersten Weltkrieg untersagt worden, eine eigene Luftwaffe zu unterhalten. Die Intervention der deutschen und italienischen Faschisten, der auch Guernica zum Opfer fiel, sollte das Blatt wenden.

Aber auch die Antipoden in der Welt - Kommunisten, Sozialisten, Anarchisten, bürgerliche Demokraten, unter ihnen bedeutende Publizisten und Künstler - hatten verstanden, was von der Verteidigung der spanischen Republik abhing. Viele von ihnen zogen in den Kampf.

Bereits Mitte Oktober 1936, als Hitlers Olympia-Inszenierung noch blendete, hatten sich die Internationalen Brigaden gebildet, in deren Reihen Antifaschisten aus 53 Ländern, darunter etwa 5000 Deutsche, Spaniens Freiheit schützen wollten. Frankreich und Großbritannien, aber auch die USA, fürchteten die von der spanischen Volksfront ausgehenden Signale und begünstigten durch ihre "Nichteinmischungspolitik" die faschistische Intervention. Als einzige Großmacht unterstützte die Sowjetunion die legitime spanische Regierung mit Waffen, Lebensmitteln, Medikamenten sowie durch die Entsendung von Militärberatern.

Welche dramatischen Wege der fast drei Jahre währende Krieg nahm, lesen wir in unseren alten Geschichtsbüchern oder hören es in Ernst Buschs Liedern. Wenn ich heute die Klampfe auspacke, dann singen sich die spanischen Landschaften noch immer wie ein ewiges Einverständnis mit "unseren" in den Gräben: vor Madrid, bei Guadalajara, im Jaramatal, am Ebro. Aber die faschistische Achse obsiegte. England und Frankreich erkannten das Franco-Regime im Januar 1939 an. Sie hatten die antifaschistische Karte nicht gezogen und ahnten nicht, wie schnell sie das erstarkte Barbarentum der Hitlerei am eigenen Leibe spüren würden.

Franco aber errichtete eine Diktatur, der bis zu seinem Tode Zehntausende politische Gegner zum Opfer fielen. Der mit seinem Putsch ausgelöste Krieg hat auf iberischer Erde eine halbe Million Tote gefordert. Der zweite Weltkrieg hingegen, dessen Verursachern Spanien als Testfeld diente, hat 35 Millionen Menschen der überfallenen bzw. in der Anti-Hitler-Koalition kämpfenden Nationen sowie sechs Millionen Deutsche das Leben gekostet. Elf Millionen Entrechtete wurden in den Konzentrationslagern ermordet. Die Überlebenden beschworen die Errichtung einer friedlichen Welt, fanden sich aber schnell zurückgeworfen in einen kalten Krieg, dessen Adjektiv seine Grausamkeiten beschönigte. Denn der mit Churchills berüchtigter Fulton-Rede eingeleitete Feldzug kam nicht ohne neue Verbrechen aus. Wo sich fortan Völker, wie einst das spanische, im Kampf um ihre nationale und soziale Befreiung staatliche Bastionen schufen, da waren sie geharnischten politischen, wirtschaftlichen und militärischen Counter-Attacken ausgesetzt. Das Kalkül, das Guernica vernichtete, brauchte keine faschistischen Erben. Diversifiziert in seinen Mitteln, ging es auf die Siegelbewahrer des Monopolkapitals und der verbündeten einheimischen Oligarchien über. Mit ihren "regime-change policies" inszenierten sie das Zurückdrehen progressiver Entwicklungen in aller Welt.

Man kann dem vom Anti-Hitler-Koalitionär zum Weltgendarm umgerüsteten Uncle Sam den Vorwurf nicht ersparen, immer wieder geistiger Urheber und Regisseur derartiger Rollback-Attacken gewesen zu sein. Offen oder verdeckt agierten die USA an den Schauplätzen so gut wie aller konterrevolutionären oder antidemokratischen Hotspots, destabilisierten legitime Regierungen, warfen Napalm und gen-deformierende Entlaubungsmittel, sponserten oder organisierten Putsche, erteilten Mordaufträge, rekrutierten und finanzierten Contra-Banden. Allein Tim Weiners Bestseller "CIA. Die ganze Geschichte" gibt einen fast tausendseitigen Bericht über sechs Jahrzehnte US-amerikanischer Verstrickung in derartige Manipulationen. Nennen wir, pars pro toto, nur diese: Assistiert von den Briten, lancierten die USA einen Putsch gegen den iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh, der die Nationalisierung der Erdölindustrie veranlaßt hatte, und inthronisierten den Schah samt seiner Mordmaschine SAVAK. Schockiert von der kubanischen Revolution, hielten die USA brasilianischen Militärs die Steigbügel, die die linksverdächtige Regierung Goulart aus dem Amt jagten und dem Volk eine zwanzigjährige Diktatur aufzwangen. Sie agierten als politische Komplizen der Pinochet-Junta, welche die frei gewählte Volksfrontregierung unter Präsident Allende stürzte und Chile in ein Schlachthaus verwandelte. In Nikaragua brachten sie gemietete Contras gegen die sandinistische Volksregierung in Stellung, damit sie auf ihren Mordzügen die nationale Entwicklung paralysierten. Den Irak verwüsteten sie für Öl.

Guernica findet kein Ende, solange hegemoniale Interessen das Recht der Völker auf nationale Selbstbestimmung und soziale Befreiung bombardieren. Picasso hat seinem berühmten Bild neben der Trauer eine Mahnung eingegeben, die bis ins Heute reicht: Schaut genau hin, erkennt die Gefahren, fallt den Kriegstreibern in den Arm! Die Völker brauchen dringend eine Renaissance ihrer Wachsamkeit.

Dr. Hartmut König, Panketal

(Aus "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke", 4/2017)

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Löst den braunen Haufen auf!
von Otto Köhler

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Der Beitrag wurde nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Armseliger amtlicher Armutsbericht

Die Bundesregierung hat im April ihren fünften Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Auf 654 Seiten wird in der Langfassung die BRD in den schönsten Farben gezeichnet - der Weg ins Paradies scheint demnach wirklich nicht mehr weit zu sein, zumindest für jene, die ihre Augen vor den realen Zuständen hierzulande verschließen. Auch die 46seitige Kurzversion muß als Meisterwerk der Demagogie und Schönfärberei entlarvt werden. So wird behauptet, Armut wie Reichtum seien "gesellschaftliche Phänomene mit vielen Facetten".

Sind sie also vom Himmel gefallen, oder werden sie von Zauberhand willkürlich verteilt? Sind sie nicht eher Folge privatkapitalistischen Wirtschaftens - gewollt von den Herrschenden im Auftrag der besitzenden Klasse? Das Wort Phänomen steht übrigens für Erscheinung, seltenes Ereignis oder Wunder. Das Leben in der BRD - alles Zauber? Wer Armut und Reichtum wirklich sehen will, braucht sich nur einen Tag lang durch verschiedene Stadtbezirke von Berlin zu bewegen. Glanz und Elend geben sich hier ein Stelldichein, oft dicht an dicht.

Weiter heißt es: "Langzeitarbeitslosigkeit ist eines der schwerwiegendsten Armutsrisiken und besonders häufig mit einer Verfestigung der Armut verbunden." Was für eine bahnbrechende Erkenntnis! Und welche Ursachen liegen ihr zugrunde? Warum stellt man nicht die Frage, ob eine kapitalistische Gesellschaftsordnung ohne Arbeitslosigkeit überhaupt lebensfähig ist? Oder fürchtet man, Arbeitern und Angestellten damit eine Handhabe für ihren Kampf gegen Hartz IV zu geben?

Zynisch wird es, wenn behauptet wird: "Nur wenige Kinder in Deutschland leiden jedoch unter erheblichen materiellen Entbehrungen." Wie bitte? Im Jahr 2015 lebten in der BRD etwa 2,55 Millionen Mädchen und Jungen in Familien, denen so wenig Geld zur Verfügung steht, daß sie als arm oder armutsgefährdet gelten. Und das in der so reichen BRD!

Freude herrscht über das deutsche Bildungswesen. "Der Bildungsstand und die Bildungsbeteiligung der Bevölkerung haben sich in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich verbessert", wird herausgehoben, was keine Kunst ist, wenn lediglich nur die Abschlüsse und nicht die Bildungsinhalte zu bewerten sind. Ich bin am Rande eines "Kreativseminars" einmal gefragt worden, ob ich nicht Bedenken hätte, dem Konkurrenzdruck durch 15 oder 20 Jahre jüngere Mitarbeiter standhalten zu können. Meine Antwort: "Nein, denn ich habe quer durch alle Firmen noch nie so viel Dummheit und Faulheit erlebt wie in dieser Altersklasse." Bild, Gala, Bunte, RTL, PRO7 und Konsorten haben ihren Anteil daran.

Genugtuung herrscht, wenn man feststellen kann: "Die Leistungssysteme der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und der Sozialhilfe (SGB XII) bekämpfen Armut und Mangel." Wie wäre es, wenn sich die Mitglieder des 24köpfigen Gutachtergremiums - zumeist Professoren und Doktoren - dazu hinreißen ließen, ihre Konten sperren und sonstiges Vermögen beschlagnahmen zu lassen. Dann könnten sie einmal - probehalber - unter der menschenunwürdigen Hartz-IV-Knute leben und deren Hiebe am eigenen Leib erfahren. Vielleicht würde dann ein solcher Satz, der Millionen Betroffene verhöhnt, im nächsten Armuts- und Reichtumsbericht fehlen.

"Die Frage der individuellen Gesundheit kann in einem Zusammenhang mit den materiellen Möglichkeiten des jeweiligen Haushalts stehen." Nein, sie kann nicht, sondern steht mit ihnen in engstem Bezug. Spätestens bei der Beschaffung von Zahnersatz oder Brillen scheiden sich im Gesundheitssystem der BRD die Klassen.

Zum Ende hin nimmt der Bericht sogar ein wenig poetische Züge an. "Ein Dach über dem Kopf, das Schutz, Wärme und Raum für eine gute Lebenssituation bietet, ist ein menschliches Grundbedürfnis." Sieh an! Doch die Herrschenden scheinen nicht daran interessiert zu sein, allen dieses Grundbedürfnis zuzugestehen. Eine Zahl von offiziell etwa 335.000 Obdachlosen (darunter rund 29.000 Kinder!) ist beschämend für ein Land, das sich und sein kapitalistisches "Erfolgsmodell" lobpreist.

Rico Jalowietzki

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Die letzten Wochen vor der Oktoberrevolution (3)
1. Juli 1917: "Brot, Frieden, Freiheit!"

Etwa 500.000 Menschen demonstrierten an diesem Tag durch die damalige russische Hauptstadt Petrograd. Die bürgerliche Provisorische Regierung, die eine Demonstration von Lenins Partei, den Bolschewiki, verboten hatte, rief selbst zur 1.-Juli-Demonstration auf. Ihr Hintergedanke war, damit die am selben Tag an der Front begonnene Offensive zu begrüßen und zu unterstützen. Doch diese Absicht schlug fehl, immer mehr Menschen lehnten die Fortsetzung des Krieges ab. Die Teilnehmer der Demonstration legten auf dem Marsfeld Kränze an den Gräbern der Opfer der Februarrevolution nieder und führten Losungen mit sich, die den Forderungen der Bolschewiki entsprachen: "Alle Macht den Sowjets!", "Nieder mit den zehn kapitalistischen Ministern!", "Brot, Frieden, Freiheit!"

Mit denselben Forderungen finden Demonstrationen in Moskau, Minsk, Iwanowo-Wosnessensk, Charkow, Twer und anderen Städten statt. Die Demonstrationen zeigten, daß "eine Krise von unerhörtem Ausmaß" (Lenin) über Rußland hereingebrochen ist. Die ungenügend vorbereitete, gegen den Willen breiter Teile des Volkes begonnene Offensive der russischen Armee an der Front scheiterte bereits nach zehn Tagen.

Zehntausende Soldaten waren eingesetzt worden. In zehn Tagen, seit dem Beginn der Offensive am 1. Juli, gab es an der Südwestfront 60.000 Tote und Verwundete. Im Verlauf des Rückzuges, der bis zum 15. Juli andauerte, wurden große Gebiete verloren, die vor Beginn der Offensive von russischen Truppen besetzt waren.

An der Front und im ganzen Lande verstärkten sich die Antikriegsstimmung und der Haß gegen die Provisorische Regierung. Das widerspiegelte sich auch in Soldatenbriefen von der Front. In einem solchen Brief aus diesen Tagen, der an Kerenski - zu diesem Zeitpunkt Kriegs- und Marineminister der Provisorischen Regierung - gerichtet war, hieß es: "Jetzt bitten Sie darum, daß wir zugunsten der Kapitalisten, der Gutsbesitzer Englands und Frankreichs wie auch Rußlands angreifen. Nein, Herr Minister, Sie irren sich sehr: Jetzt verweigern wir die Offensive und wollen nicht für fremde Ziele bluten ­... Sie sollen es wissen, daß wir nun kein Vertrauen zu Ihnen haben, well Sie zum Verräter am ganzen Volk geworden sind." Ganze Regimenter weigerten sich, an der Fortsetzung des Krieges teilzunehmen. Eine Versammlung der Matrosen des Schlachtschiffes "Republika" beschloß: "Wir betrachten die gegenwärtige Offensive nicht als eine strategische, sondern als eine politische, konterrevolutionäre Offensive, die ein Dolchstoß in den Rücken der gesamten Demokratie gewesen ist."

In Garnisonsstädten forderten Arbeiter und Soldaten auf gemeinsamen Meetings Frieden, die Übergabe der ganzen Macht an die Sowjets und die Demobilisierung der Armee-Einheiten.

Die Krise spitzte sich weiter zu

Die politische Krise in Rußland spitzte sich immer mehr zu. Ursache war die gescheiterte Offensive der russischen Truppen an der Front. Angesichts der ungeheuren Opfer, des Hungers und Massenelends trieb die Stimmung der Arbeiter und Soldaten gegen die bürgerliche Provisorische Regierung dem Siedepunkt zu. Immer lauter wurde die Forderung, den Sowjets die gesamte politische Macht zu übertragen.

Mittelpunkt der revolutionären Bewegung war die Hauptstadt Petrograd. Am Abend des 16. Juli gingen dort mehrere Regimenter auf die Straße. Sie standen unter dem Einfluß von Anarchisten und riefen zu bewaffneten Aktionen auf. Die Arbeiter zahlreicher Fabriken schlossen sich der Demonstration an und forderten "Nieder mit der Provisorischen Regierung!", "Alle Macht den Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten!" Die Bolschewiki unter der Führung Lenins standen vor einer komplizierten Aufgabe. Einerseits erkannten sie, daß ein Aufstand zu diesem Zeitpunkt zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, da die Arbeiter und Soldaten Petrograds keine ausreichende Unterstützung aus den übrigen Landesteilen erhalten hätten. Immer noch verfügten die kleinbürgerlichen Parteien der Menschewiki und Sozialrevolutionäre über eine Mehrheit in den Sowjets. Andererseits zeigten aber die Ereignisse am 16. Juli, daß die Aktionen in Petrograd nicht mehr aufzuhalten waren. Darum beschlossen die Bolschewiki, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen, um bewaffnete Auseinandersetzungen und damit eine blutige Niederlage der Arbeiter und Soldaten zu verhindern. Sie riefen darum für den folgenden Tag zu einer friedlichen Demonstration unter der Losung "Alle Macht den Sowjets!" auf. 500.000 Arbeiter und Soldaten zogen am 17. Juli unter dieser Losung durch Petrograd. In einer kurzen Ansprache mahnte sie Lenin zur Geduld. Anschließend marschierten sie zum Taurischen Palast, wo zur selben Stunde die Führung der Sowjets gemeinsam mit Delegierten aus den Betrieben und Truppenteilen der Stadt tagte. Die Arbeitervertreter forderten die menschewistischen und sozialrevolutionären Führer der Sowjets auf, unverzüglich alles zu tun, um den Sowjets die ganze politische Macht zu übertragen.

Doch die beharrten auf ihrer Unterstützung der bürgerlichen Provisorischen Regierung und lehnten die Forderungen ab. Kurze Zeit später billigten sie den Einsatz regierungstreuer Truppen gegen die demonstrierenden Arbeiter und Soldaten. Damit hatten sie sich vollständig von der revolutionären Bewegung getrennt und auf die Seite der Bourgeoisie gestellt.

Reaktionäre Offiziersschüler und Kosaken eröffneten das Feuer auf die Demonstranten. 56 Personen wurden getötet, 650 verletzt. Damit hatte die Bourgeoisie ihre Offensive gegen die revolutionäre Volksbewegung begonnen, um die Macht nun vollständig an sich zu reißen. In den folgenden Tagen wurden regierungstreue Truppen von der Front nach Petrograd beordert, mit deren Hilfe die Arbeiter entwaffnet und revolutionäre Truppenteile aufgelöst wurden. Über die russische Hauptstadt wurde der Ausnahmezustand verhängt.

Der besondere Haß der bürgerlichen Provisorischen Regierung richtete sich gegen die Bolschewiki. Am 18. Juli überfielen sie die Druckerei und Redaktion der "Prawda" und verwüsteten sie. Einen Tag später wurde ein Haftbefehl gegen Lenin erlassen, der somit gezwungen war, erneut in die Illegalität zu gehen.

Vorläufiger Sieg der Bourgeoisie

Die Bourgeoisie hielt die Zeit für reif, um eine Entscheidung zu ihren Gunsten herbeizuführen. Sie bediente sich dabei der Dienste der kleinbürgerlichen Menschewiki und Sozialrevolutionäre. So trat der Sozialrevolutionär Kerenski die Nachfolge des Ministerpräsidenten Lwow an und übernahm am 21. Juli 1917 die Regierungsführung. Sein Programm bestand in der Fortsetzung des imperialistischen Krieges und in der Bekämpfung der revolutionären Arbeiter und Soldaten.

Lenin, der trotz seiner Illegalität den Kampf an der Spitze der Bolschewiki fortsetzte, zog aus den Juli-Ereignissen einschneidende Schlußfolgerungen für die weitere Entwicklung der Revolution in Rußland. Er stellte in seinen Thesen "Die politische Lage" vom 23. Juli fest, daß sich die Konterrevolution ganz der Staatsmacht bemächtigt habe, weil die Menschewiki und Sozialrevolutionäre dies zugelassen hatten. Die Sowjets, in denen diese Kräfte noch immer die Mehrheit besaßen, seien somit zum Anhängsel der Provisorischen Regierung geworden. Aus diesem Grunde sei die Losung "Alle Macht den Sowjets!" im gegebenen Augenblick falsch, und er schlug vor, sie zurückzuziehen.

Damit war die Periode der Doppelherrschaft zwischen der Bourgeoisie und den Sowjets beendet. Die Juli-Ereignisse hatten die Lage vollständig verändert. Von einer friedlichen Entwicklung der Revolution konnte nicht mehr ausgegangen werden. Lenin formulierte es so: "Entweder voller Sieg der Militärdiktatur oder Sieg des bewaffneten Aufstands der Arbeiter, was nur möglich ist, wenn dieser Aufstand mit einer machtvollen Erhebung der Massen gegen die Regierung und gegen die Bourgeoisie zusammenfällt." In der Entwicklung der Revolution war eine neue Etappe angebrochen.

(Gestützt auf "UZ")

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Warum die Revolution bis heute bekämpft wird

Im Zusammenhang mit dem 60. Jahrestag der Europäischen Union spielten auch historische Reminiszenzen eine Rolle. Da wurde zum Beispiel an den Streit zwischen Lenin und Trotzki erinnert. Lenin schrieb am 23. August (5. September) 1915 im "Sozialdemokrat" Nr. 44: "Vom Standpunkt der ökonomischen Bedingungen des Imperialismus, d. h. des Kapitalexports und der Aufteilung der Welt durch die 'fortgeschrittenen' und 'zivilisierten' Kolonialmächte sind die Vereinigten Staaten von Europa unter kapitalistischen Verhältnissen entweder unmöglich oder reaktionär." (LW 21/343) Lenin wies in diesem Artikel darauf hin, daß das Kapital international und monopolistisch geworden und die Welt aufgeteilt sei "unter ein Häuflein von Großmächten, d. h. von Staaten, die in der großangelegten Ausplünderung und Unterdrückung der Nationen die größten Erfolge zu verzeichnen haben." (LW 21 s.o.)

Es ist nun über einhundert Jahre her, als Lenin das schrieb. Doch leider scheint sich im Vergleich zu damals nicht viel verändert zu haben, denn der erste Versuch, eine sozial gerechte sozialistische Gesellschaft aufzubauen, ist ja leider gescheitert. Damals verfügten die europäischen Großmächte Europas (England, Frankreich, Rußland und Deutschland - die USA kamen erst später hinzu) mit einer Bevölkerung von 250-300 Millionen und einem Territorium von zirka sieben Millionen Quadratkilometern über Kolonien mit einer Bevölkerung von fast einer halben Milliarde und einem Territorium von 64,6 Millionen Quadratkilometern. Lenin nahm noch die drei asiatischen Staaten China, die Türkei und Persien (Iran) hinzu. Damals waren das faktisch Halbkolonien, die, wie Lenin schrieb, von den im "Befreiungskampf" stehenden Räubern Japan, Rußland, England und Frankreich in Stücke gerissen wurden. Heute sind es Länder, die in der internationalen Politik ein gewichtiges Wort mitsprechen. An ihrer Stelle sind der Irak, Libyen und Syrien zu nennen, die "in Stücke gerissen werden". Hauptverantwortlich für das dort angerichtete Chaos sind die USA, die zusammen mit ihren NATO-Verbündeten angeblich im Kampf um die Durchsetzung der Menschenrechte stehen.

Ferner - so Lenin weiter - hätten England, Frankreich und Deutschland im Ausland mindestens 70 Milliarden Rubel investiert. Um das "legitime" Einkommen aus dieser Summe - eine Jahreseinnahme von über 3 Milliarden Rubel - zu bekommen, seien "die Millionärsausschüsse da, Regierungen genannt". Heute sind die Summen um ein Vielfaches größer.

Im Zeitalter der höchsten kapitalistischen Entwicklung sei die Ausräuberung von rund einer Milliarde Erdbewohnern durch ein Häuflein von Großmächten organisiert. Die Erdbevölkerung ist inzwischen weiter gewachsen, die Ausplünderung der "Dritten Welt" überschreitet jedes Maß. Lenin stellte fest, daß unter dem Kapitalismus jede andere Organisation unmöglich sei. Auf Kolonien, auf "Einflußsphären" und Kapitalexport verzichten? fragte er und antwortete: Daran zu denken, hieße, "auf das Niveau des Pfäffleins herabsteigen, das jeden Sonntag den Reichen die Erhabenheit des Christentums predigt und ihnen rät, den Armen zu geben ... nun, wenn nicht ein paar Milliarden, so wenigstens ein paar hundert Rubel im Jahr". (LW 21/344) Die Vereinigten Staaten von Europa waren nach Lenin unter kapitalistischen Verhältnissen gleichbedeutend mit einem Übereinkommen über die Teilung der Kolonien. Unter kapitalistischen Verhältnissen sei jede andere Basis, jedes andere Prinzip als das der Teilung der Macht unmöglich. Zum Zeitpunkt der EG-Gründung verfügte Frankreich noch über Kolonien und mußte diese nicht mit den anderen Partnern teilen. An die Stelle des direkten Kolonialismus ist heute der Neokolonialismus getreten, und die Ausplünderung von Ländern der sogenannten Dritten Welt wird noch stärker verschleiert als früher.

Zeitweilige Abkommen zwischen den Kapitalisten und zwischen den Mächten sah Lenin als möglich an, aber nur als Übereinkommen der europäischen Kapitalisten darüber, wie man mit vereinten Kräften den Sozialismus in Europa unterdrücken, die geraubten Kolonien gegen Japan und die USA verteidigen könnte, die durch die damalige Aufteilung benachteiligt waren.

Um die tatsächliche Macht eines Staates zu prüfen, gebe es und könne es laut Lenin kein anderes Mittel geben als den Krieg. Der Krieg sei kein Widerspruch zu den Grundlagen des Kapitalismus, sondern das direkte und unvermeidliche Entwicklungsergebnis dieser Grundlagen. Nun haben zwischen Mitgliedsländern der EU keine Kriege mehr stattgefunden. Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Frankreich erfolgten nicht mehr wie jahrhundertelang auf militärischem Gebiet, aber Mitgliedsländer der EU wie Frankreich führten blutige Kolonialkriege.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion konnte die NATO auch wieder in Europa Krieg führen und Jugoslawien zerschlagen. Deutschland beteiligte sich daran. Während die Sozialdemokraten 1914 "nur" für die Kriegskredite stimmten, waren sie beim Überfall auf Jugoslawien zusammen mit den Grünen in der Regierungsverantwortung.

Lenin stellte fest, daß unter dem Kapitalismus das gleichmäßige Wachstum in der ökonomischen Entwicklung der einzelnen Wirtschaften und in einzelnen Staaten unmöglich sei. Daraus zog er die Schlußfolgerung, daß der Sieg des Sozialismus ursprünglich in wenigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich sei.

Das siegreiche Land würde sich nach Enteignung der Kapitalisten und nach Organisierung der sozialistischen Produktion im eigenen Land der übrigen, der kapitalistischen Welt entgegenstellen und würde die unterdrückten Klassen der anderen Länder auf seine Seite ziehen, in ihnen den Aufstand gegen die Kapitalisten entfachen und im Notfall sogar mit Waffengewalt gegen die Ausbeuterklassen und ihre Staaten vorgehen. Die politische Form, in der das Proletariat siege, indem es die Bourgeoisie stürze, werde die demokratische Republik sein.

Die sozialistische Revolution siegte zunächst in einem Land, und die Armeen von 14 imperialistischen Staaten unterstützten die einheimische russische Konterrevolution und trieben das Land in einen blutigen Bürgerkrieg, den Sowjetrußland damals siegreich beendete. Wenn man von der Mongolischen Volksrepublik absieht, blieb die Sowjetunion bis 1945 allein und besiegte trotzdem das schlimmste Regime der Weltgeschichte, den deutschen Faschismus. Danach wurden gewaltige Aufbauleistungen vollbracht, und auf einigen Gebieten der Wissenschaft, wie der Weltraumtechnik, wurde sogar die Weltspitze erreicht. Aber es gelang nicht, die kapitalistischen Länder bei der Arbeitsproduktivität zu überholen und die Herausforderungen der wissenschaftlich-technischen Revolution zu bewältigen. Die USA haben das Land außerdem ganz bewußt totgerüstet.

Obwohl heute nichts auf eine unmittelbar bevorstehende revolutionäre Situation hindeutet, haben die Kapitalisten große Angst, daß es noch einmal zu einer sozialistischen Revolution kommen könnte. Deshalb wird von ihren Ideologen und Lohnschreibern nichts ausgelassen, um die Oktoberrevolution in Rußland anläßlich ihres 100. Jahrestages zu verunglimpfen.

Kurt Laser


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Der abgeschlagene und beschädigte Kopf Lenins (vom großen Lenin-Denkmal Nikolai Tomskis am heutigen Platz der Vereinten Nationen in Berlin) ist ein Mahnmal der Kulturbarbarei und des Antisowjetismus.

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Wolgograd - Heldenstadt, Festivalstadt (1977)
von Peter Böttcher

"Bei uns herrscht die Zensur des Rubels"
Gespräch mit dem Filmregisseur Wladimir W. Menschow

Wissenschaftliche Weltanschauung
Lebendiges Erbe - Zur Lenin-Vortragsreihe

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Obige 3 Beiträge wurden nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Kann man heute noch Marxist sein?

Karl Marx hat "Das Kapital" vor 150 Jahren publiziert. Dort formuliert er das von ihm entdeckte, tagtäglich sich bestätigende Grundgesetz: "Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol." (MEW 23/675) Dagegen behaupten die globalen Eliten durch ihre an den Herrschaftsstrukturen teilhabenden, korrupten politischen und ideologischen Bediensteten, erst der Reichtum treibe die Menschheitsgeschichte voran, was der weltweit sich ausbreitende Wohlstand beweise.

Der Abgrund zwischen reichen und armen Völkern bleibt gigantisch. Aber wie leicht lassen sich Menschen täuschen! "Wissenschaftliche Wahrheit ist immer paradox vom Standpunkt der alltäglichen Erfahrung, die nur den täuschenden Schein der Dinge wahrnimmt", resümiert Marx (MEW 16/129). Selbst Sahra Wagenknecht begründet die Fähigkeit des Kapitalismus, sich zu verändern, unter anderem damit, daß es in Deutschland keine Kinderarbeit mehr gebe. Das Wissen, daß "Wohlstand" direkt von der brutalen Versklavung von Millionen Kindern profitiert, verschwindet. In der früheren Sowjetrepublik Usbekistan in Zentralasien werden massenhaft Kinder auf die Baumwollfelder zum Pflücken getrieben. In Indien oder Bangladesch sind es die Textil- und Kleiderfabriken, in denen unzählige Kinder für das Kaufangebot der Warenhäuser des Westens angebunden werden.

Eine Säule des Wohlstands sind die Waffenexporte. Die auch mit Waffen aus deutscher Produktion getöteten, verwundeten und traumatisierten Kinder werden von der alltäglichen Erfahrung ausgeblendet. Im Kongo schürfen Kinder unter blutigen Bedingungen Seltene Erden als Rohstoff für die globalen Hersteller von Smartphones. Eine der politischen Voraussetzungen für diese Barbarei haben im Kongo die Monopole der kapitalistischen Weltmächte schon 1961 geschaffen, indem sie dessen ersten gewählten Ministerpräsidenten, Patrice Lumumba, der für die Beseitigung des Kolonialismus eingetreten war, ermorden ließen. Solche Morde wurden vom US-Imperium für Lateinamerika systematisiert und auf Christen ausgedehnt, die das Herrschaftssystem mit seiner Dialektik von Reichtum und Armut praktisch in Frage gestellt haben. Im November 1989 wurden sechs Jesuitenpatres in El Salvador im Auftrag der USA ermordet, um ihrer im Volk sich ausbreitenden Parteinahme für eine Umkehrung der Geschichte ein Ende zu bereiten. Wenige Wochen nach diesen Morden und nach der illegalen Militärintervention der USA in Panama dankte Václav Havel im Kongreß den USA für deren weltweiten Einsatz "im Interesse der Freiheit".

Heinz Fischer (bis 8. Juli 2016 Bundespräsident Österreichs), von bürgerlichen Leitmedien zur Symbolfigur "unserer Werte" hochstilisiert (siehe RF 224, S. 19), hat nach eigener Aussage Marx angelesen, nicht ohne hinterhältig zu versichern, eigentlich sei es ja Marx gewesen, der Josef Stalin das geistige Instrumentarium in die Hand gegeben habe. Lieber demonstriert Fischer seine Werte mit seiner öffentlich bekundeten und betonten Freundschaft zu Henry Kissinger, der für den Völkermord in Indochina mitverantwortlich ist, oder zu Schimon Peres, der für Israel die Unterdrückung des palästinensischen Volkes mit offener Gewalt und verdeckter Diplomatie als Ziel verfolgt hat.

Die NATO-Propaganda, daß der Angriff auf Serbien 1999 ein "humanitärer Krieg" gewesen sei, könnte direkt aus einer Ansprache von Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels stammen. Nach 2001 orientierte sich Deutschland, als es sich an der Militärintervention in Afghanistan beteiligte, das zweite Mal auf Krieg. Seither sind deutscher Kriegseinsatz und deutsche Rüstung eine selbstverständliche Option der Führungskräf te des friedlichen Europa. Wie der 1973 ausgezeichnete Kissinger ist Barack Obama Friedensnobelpreisträger.

Unmittelbar vor der Verleihung (2009) befahl Obama nach Drohnenaufklärung einen Angriff mit Raketen und Streubomben auf al-Majalah im Jemen. 2011 ließ er die US-Luftwaffe bei der NATO-Bombardierung Libyens mitmachen. Iraks Erdölressourcen waren für die Kriegsverbrecher George Bush und Tony Blair die Motivation, 2003 den Angriffsbefehl auf den Irak zu geben.

Angela Merkel hat Deutschland den Aggressoren USA, Großbritannien, Türkei, Saudi-Arabien und Katar zugeführt, wobei sie zugleich behauptet, es müßten die Ursachen von Flucht und Migration bekämpft werden. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sekundiert in der ihm angemessenen Erbärmlichkeit an der EU-Mauer am Mittelmeer. Alle diese illegalen Kriege werden uns von den bürgerlichen Medien als "gerechte Kriege" angepriesen.

Feststellungen über die Kriegsorientierung des Reichtums sind weder antideutsch noch antiamerikanisch - sie sind antikapitalistisch. Es ist falsch, den Marxismus allein auf seine ökonomischen Analysen zu reduzieren. 1848 erhoffen Karl Marx und Friedrich Engels im "Manifest der Kommunistischen Partei" die Ablösung der sich aus den Eigentums- und Machtverhältnissen ergebenden Klassengegensätze durch "eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (MEW 4/482). Mit dem wirklichen Glück des Menschen erübrige sich dann für den Menschen auch die Religion als illusorisches Glück.

Der im Auftrag des amerikanischen Imperiums ermordete Befreiungstheologe Ignacio Ellacuría SJ dachte, daß die "Kreuzigungssituation" der großen Mehrheit der Menschheit einer sozialen Ordnung entspringe, "die von einer Minderheit gefördert und aufrechterhalten wird. Diese Minderheit übt ihre Herrschaft durch ein Ensemble von Faktoren aus, die als solches Ensemble und in ihrer konkreten historischen Wirklichkeit als Sünde betrachtet werden müssen."

Ellacuría läßt es nicht bei einem mitleidigen Blick bewenden, denn die "Tatsache der Kreuzigung und des Todes allein ist keine Erlösung". Nur die Volksmassen selbst können sich aus den Ketten befreien und "durch die völlige Wiedergewinnung des Menschen" ihren Beitrag zur Schaffung des neuen Menschen und der neuen Erde leisten.

Mit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 in Rußland wurde zwar das Ziel einer solchen Befreiung des Menschen nicht erreicht, aber die Möglichkeiten des Menschen sind damals global offenkundig geworden. Was tun? Lenin hat formuliert: "Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben." (LW 5/379) Rezepte dafür gibt es keine. "Die Widersprüche sind die Hoffnungen" - mit dem großen Marxisten Bertolt Brecht kann der Marxist so weiter denken und handeln!

Prof. Gerhard Oberkofler

Univ.-Prof. i. R. Gerhard Oberkofler (Innsbruck) studierte Geschichte und Kunstgeschichte, ist Wissenschaftshistoriker und leitete 19 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung das Innsbrucker Uniarchiv. Zahlreiche Publikationen, zuletzt ein Buch über den Schweizer Marxisten Konrad Farner sowie Fragmente zum Gedenken an den Friedenskämpfer Daniel Berrigan SJ (siehe RF 224, S. 12).

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GEDANKEN ZUR ZEIT

Nach bestem Wissen und Gewissen

Während meiner Gymnasialzeit - es war in der Adenauer-Ära - entbrannte in der Bundesrepublik Deutschland die Debatte um die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Das Thema wurde in der Öffentlichkeit wie in den Familien, aber auch in den Schulen heiß und kontrovers diskutiert, und so kam unser Deutschlehrer auf die Idee, uns als Hausaufsatz einen "Besinnungsaufsatz" über das Thema "Allgemeine Wehrpflicht - ja oder nein?" schreiben zu lassen, wobei uns das Ergebnis unserer Überlegungen freigestellt war.

Ich war zu der Zeit Mitglied der katholischen Jugendorganisation Neudeutschland, deren Düsseldorfer Ortsverband unser Religionslehrer (ein Priester) leitete, der uns jede Woche einmal in seinem Haus versammelte und uns dabei die jeweils aktuellen politischen und weltanschaulichen Direktiven erteilte. Auf die Frage, wie wir uns angesichts der Wehrpflicht entscheiden sollten, zitierte er den damaligen Papst (Pius XII.), der dazu gesagt habe, es sei "Gewissenspflicht des gläubigen Katholiken, das Abendland notfalls mit der Waffe in der Hand zu verteidigen". Vielleicht hatte der Papst Oswald Spenglers "Untergang des Abendlandes" gelesen und fürchtete weniger die gelbe als vielmehr die rote Gefahr - eine Furcht, die ihn als Apostolischen Nuntius dazu motiviert hatte, das Konkordat (Lat. concordia = Einklang der Herzen, herzliches Einvernehmen) mit Hitler zu schließen.

Jetzt hatte er zwar nicht ex cathedra gesprochen, d. h. keine (vermeintlich unfehlbare) Entscheidung zu Fragen der Glaubens- und Sittenlehre verkündet, die für die gesamte katholische Christenheit gültig war, aber er hatte doch die Autorität seines Amtes - und als gläubiger Katholik, der ich damals noch war, fühlte ich mich durchaus angesprochen. Zudem: Meine Eltern waren CDU-Wähler - ich wußte also, was von mir erwartet wurde, und schrieb einen 36 Seiten langen Aufsatz, in dem ich mich für die Wiedereinführung der Wehrpflicht entschied und der - vermutlich nicht wegen seines inhaltlichen Fazits, sondern wegen seiner formalen Qualitäten - mit "sehr gut" benotet wurde. Wir sollten einfach "nach bestem Wissen und Gewissen" entscheiden, hatte der Religionslehrer noch gesagt. Das Gewissen (als die "Stimme Gottes") sei für jeden einzelnen die höchste Instanz, der allein er verpflichtet sei. Da es allerdings auch ein "irrendes Gewissen" gebe, müsse man sich jedoch auch in Gewissensfragen an "objektiven Normen" orientieren, und dies seien die sittlichen Normen, die das Lehramt der Kirche verkünde.

So ließ ich mich rhetorisch auf den Leim führen, anstatt zu fragen, ob die Stimme Gottes womöglich die Stimme eines Irren, eines Schizophrenen, sei, der den Franzosen gebiete, gegen die Deutschen zu kämpfen, und gleichzeitig den Deutschen gebiete, gegen die Franzosen zu kämpfen, und wie ich denn "Gewißheit" und sicheres "Wissen" (beides stecke ja in dem Wort "Gewissen") erlangen könne angesichts des Wirrwarrs von höchst widersprüchlichen Informationen von seiten aller möglichen Autoritäten oder Pseudo-Autoritäten, zerstrittener Parteien und mitunter auf hohem Niveau konkurrierender moraltheologischer Lehren und Irrlehren.

Denn das gerade ist ja das Problem! Wissen kann nur dann als gut, besser oder bestens bezeichnet werden, im Maße es gleichbedeutend ist mit Kenntnis und Erkenntnis des wahren Sachverhalts. Alles andere ist bloßes Für-wahr-Halten, Vermuten oder Glauben ohne Einblick in den Sachverhalt aufgrund einer Autorität, die ihrerseits lediglich angemaßt, verlogen oder im Irrtum befangen sein kann. Und was die "Stimme Gottes" betrifft, so halte ich - aus meiner heutigen Sicht - dagegen, daß das Gewissen des einzelnen ein Sozialprodukt ist, nämlich das Ergebnis eines lebenslang andauernden Sozialisierungsprozesses, an dem Elternhaus, Kirche, Schule und alle nur denkbaren sozialen Kräfte beteiligt sind, mit denen der Mensch jemals in Berührung kommt. Die Crux meines Daseins in der Welt, die mich gerade in schwierigen Entscheidungssituationen bedrückt, ist dabei gerade mein unzureichendes Faktenwissen, meine Unwissenheit, meine Befangenheit und Borniertheit aufgrund nur kümmerlicher Providenz (Voraussicht), Verführbarkeit und schier unüberschaubarer Manipulierbarkeit. Die Qualität meines Wissens hängt stets ab von der Qualität (dem Wahrheitsgehalt) der auf mich einprasselnden Informationen, die im einzelnen zu überprüfen meine Kräfte maßlos übersteigt. Alle Staaten haben ein Propagandaministerium; das der Bundesrepublik hat den Namen "Presse- und Informationsamt der Bundesregierung". Während des Faschismus war es das von Goebbels geleitete Reichspropagandaministerium. Aufgabe dieser Ministerien ist stets Beeinflussung der öffentlichen (und privaten) Meinungen, Indoktrination und dirigistische Lenkung, hinter der nicht immer die edelsten, sondern oftmals niedere, mitunter gar verbrecherische Interessen stehen.

Immer wieder stoßen wir auf das Dilemma der Fragwürdigkeit alles sogenannten Für-wahr-Haltens, Glaubens oder Wissens. Und nicht anders und nicht besser ist es um das "Gewissen" bestellt als dem Hort der innersten Wertvorstellungen des Menschen. Es ist knetbar wie Plastilin. Hat die Gesellschaft ihm als höchsten Wert das Vaterland vermittelt, wird der Betroffene sagen: "Right or wrong - my country!" Hat man ihn Liebe gelehrt, so kann er ein Menschenfreund werden wie Heinrich Pestalozzi.

So bleibt mir (und andern) als brauchbare Direktive für die Lebenspraxis in heiklen Entscheidungssituationen, zumal in tragischen Situationen, in denen nicht Wert gegen Unwert, sondern Wert gegen Wert steht, wohl nur die Möglichkeit der Entscheidung für jene Handlungsweise (im Tun wie im Unterlassen), die die größere Wert- und Sinnfülle verspricht, mit der Konsequenz, die sich daraus ergebenden Opfer tapfer in Kauf zu nehmen.

Wer sich also trotz der oben beschriebenen Schwierigkeiten der Wahrheitsfindung nach sorgfältiger Prüfung aller ihm zugänglichen Informationen und ohne seine innerste Überzeugung zu verraten zu einer verantwortbaren Entscheidung durchringt und danach handelt, der darf sagen: "Ich entscheide und handle nach bestem Wissen und Gewissen" und wird gleichzeitig so ehrlich sein, keine Unfehlbarkeit zu beanspruchen, und bescheiden hinzufügen: "Irrtum vorbehalten."

Dies ist die unaufhebbare Crux unserer Existenz in einer tragisch strukturierten Welt, in der wir alle leben und mehr oder weniger gut zurechtkommen müssen, da eine andere und bessere uns vorerst nicht gegeben ist.

Theodor Weißenborn

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Zum 160. Geburtstag von Clara Zetkin am 5. Juli
"Da kämpfen, wo das Leben ist"
von Florence Hervé

Erinnerung an Käthe Kollwitz (1967-1945)
von Heinz Lüdecke

Otto Nagel zum Gedenken
von Werner Klemke

[Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Obige 3 Beiträge wurden nicht in den Schattenblick übernommen.]

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Günther Weisenborn zum 115. Geburtstag

Der Schriftsteller und Dramatiker Günther Weisenborn ist am 10. Juli 1902 in Velbert geboren und am 26. März 1969 in Berlin gestorben. Weisenborn, der 1928 mit dem Antikriegsstück "U-Boot S4" seinen ersten großen Erfolg hatte, später mit Bertolt Brecht zusammenarbeitete, emigrierte nach dem Machtantritt der Nazis in die USA. 1937 nach Berlin zurückgekehrt, schloß er sich der Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack an, wurde verhaftet und von den Nazis mehrere Jahre ins Zuchthaus gesteckt.

In den Jahren nach Faschismus und Krieg widmete er einen großen Teil seines Schaffens dem Andenken der antifaschistischen Widerstandskämpfer. Im Vorwort zu seinem Drama "Die Illegalen" (1945) schrieb er: "Wir haben die Verpflichtung, ihre Taten unserem deutschen Volk und besonders seiner Jugend bekanntzumachen." In seinem tagebuchähnlichen "Memorial" werden die Leiden der Haftzeit den Erinnerungen aus friedlicher Zeit gegenübergestellt, denn - so Weisenborn - jene Hunderttausende, die "kämpfend an der Schafott-Front gefallen sind", dürften von uns nie vergessen werden.

1953 erregte sein Bericht "Der lautlose Aufstand" über die deutsche Widerstandsbewegung von 1933 bis 1945 Aufsehen. Er wurde vielfach neu aufgelegt und gehört heute noch zu den Standardwerken über den deutschen Widerstand. Auf Vorwürfe von Reaktionären und Militaristen, die Widerstandskämpfer seien Vaterlandsverräter gewesen, erwiderte Weisenborn: "Heute, nachdem die Geschichte gesprochen hat und die eiserne Summe gezogen worden ist, sollte klar sein, auf welcher Seite Landesverrat begangen wurde. Wer sein Volk soldatisch in das schrecklichste Unheil seiner Geschichte schickte und belog, beging Landesverrat. Wer die ehrlichen und betrogenen Männer unseres Volkes in Uniformen steckte und sie über Grenzen jagte, um andere Völker mit Krieg zu überwinden, der beging Verrat an unserem Volk. Wer sein Volk gegen diesen Wahnsinn zu verteidigen suchte, kämpfte gegen die Landesverräter. Und Hitler war ein Landesverräter. Nur die beschränktesten Köpfe plappern heute noch, nachdem die Ergebnisse vorliegen, seine Phrasen nach."

Weisenborns "Göttinger Kantate" wurde im Mai 1958 mit großem Beifall uraufgeführt. In dem Stück ging es um die Kritik von 18 Atomwissenschaftlern (Göttinger Appell vom April 1957; siehe RF 231, S. 4) an der Atomrüstungspolitik der Bundesregierung.

1960 mahnte er: "Es fehlt ein Aufruf zum öffentlichen Boykott antisemitischer Literatur. Es fehlt eine sofortige und scharfe Anwendung von Strafen für unbelehrbare Nazis. ... Das, was man heute die 'unbewältigte Vergangenheit' nennt, muß endlich bewältigt werden, sonst bewältigt sie uns wieder!"

Auch der Roman "Der Verfolger" (1961) gehört zu den Bemühungen des Autors - entgegen dem offiziellen, restaurativen Kurs in der Nachkriegszeit und der Zeit des kalten Krieges - die Bedeutung des antifaschistischen Widerstands in seiner ganzen Breite bewußtzumachen. Einer seiner Leitsätze war: "Dichter sein heißt, die Menschen bewegen, ihr Leben zu ändern."

(Gestützt auf "UZ")

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Hans Brandt - Mit 30 Zeilen durch MV

Nein, abwarten wollte der langjährige Chefredakteur der Schweriner Volkszeitung nicht, daß man ihm zu "Wendezeiten" den Stuhl vor die Tür setzt, er nahm selbst seinen Hut; mit einundsechzig Jahren begann sein Unruhestand. Für einen Kommunisten wie ihn verhießen die Umbrüche, die nach Einverleibung der DDR das Land veränderten, nichts Gutes. Doch er gab nicht auf, suchte nach sinnvoller Betätigung und hatte Glück.

Hans Brandt - von ihm ist hier die Rede -, gewöhnt, genau zu beobachten, bot seine Betrachtungen einer regionalen Zeitung an. Man vereinbarte eine wöchentliche Kolumne von 30 Zeilen. Es entstanden kleine, feine Reportagen und Anekdoten - Episoden aus dem ostdeutschen Alltag in Mecklenburg - Zeugnisse gutsherrlicher Beamtenmacht zugereister drittklassiger Westdeutscher einerseits, wachsende Enteignung, Verarmung und Verlust des Arbeitsplatzes andererseits.

Fast fünf Jahre (von 1994 bis 1999) schrieb Hans Brandt seine Kolumnen, geschliffen, unaufgeregt, überlegen, frei jeder Pöbelei. Aber irgendwann fiel es dem übergeordneten Establishment doch auf: Was da in die Zeitung kam, richtete sich so gar nicht nach des ehemaligen Außenministers Klaus Kinkel verkündete Anweisung, die DDR zu delegitimieren, wo immer man ihr im Kopf, auf dem Papier oder mit eigenen Augen begegnete. Das Resultat können wir uns denken: Dem Schreiber wurde gekündigt.

Heute, zwanzig Jahre danach, befanden Hans Brandt und der Wieden-Verlag: Wichtige Zeitgeschichte ist entstanden. Wovor der Autor einst warnte, ist längst Realität; von wegen blühende Landschaften! Die Menschen zwischen Ost und West entfremden sich weiter. Von "Zusammenwachsen" keine Spur.

Ein Buch faßt nun die Geschichten zusammen. Ein Leser meinte kürzlich: "Genauso war es, ich hatte es fast schon vergessen - bei allen Sorgen, die einen umtreiben. Es hat sich alles bewahrheitet."

Die dem Kapitalismus eigenen Verwerfungen spiegeln in Peter Pagels Kolumnen - unter diesem Pseudonym wurden sie veröffentlicht - den rachsüchtigen Geist der Heimzahlenden. Doch Hans Brandt, der vorerst Unterlegene, zahlt zurück mit in elegante Worte gekleidete Fakten und weist nach vorn mit seinem unbeugsamen historischen Optimismus. Wer weiß, vielleicht finden unsere Enkel eines Tags eine Episode von Peter Pagel in ihrem Schulbuch - in einer Zeit, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Rainer Stankiewitz, Crivitz

Hans Brandt: Mit 30 Zeilen durch MV. Peter Pagel im "Schweriner Sonntagsblitz" von 1994 bis 1999.
Wieden-Verlag, Crivitz 2016, 174 S., 13 €

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Anti-DDR-Hetze "im Namen des Volkes"

Die vollendeten, aber auch die nicht gelungenen Versuche von westlicher Seite, die Deutsche Demokratische Republik auf dem Gebiet der Wirtschaft und Kultur zu schädigen, waren in den ersten Jahren nach ihrer Gründung besonders zahlreich. Dadurch entstand ein nicht unerheblicher volkswirtschaftlicher Schaden und wurde Unruhe und Unsicherheit bei der Bevölkerung erzeugt. Mit jedem Jahr der Existenz der DDR gab es weniger solche Handlungen. Wer jedoch annimmt, nach Abschluß des Grundlagenvertrages hätte es solche Ereignisse nicht mehr gegeben, der irrt.

Markantes Beispiel dafür ist der Diebstahl von wertvollen Bildern alter Meister, unter anderem von Tintoretto, die sich im Museum der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci befanden. Sie stammten aus einer Gemäldesammlung Friedrich II. Am 29. Januar 1977 drangen zunächst unbekannte Täter in das Museum ein und entwendeten insgesamt zehn Bilder. Weitere drei wurden beschädigt, darunter eines von Peter Paul Rubens. Der Gesamtwert der gestohlenen Bilder wurde mit einer Million Mark angenommen. Bereits frühzeitig deutete die Spurenlage darauf hin, daß die Täter aus der BRD gekommen sein mußten und sich wohl auch nach dorthin wieder abgesetzt hatten. Das erschwerte die Aufklärung beträchtlich. Erst als sich knapp zwei Monate später ein Mann aus dem Raum München beim Bundeskriminalamt meldete, um mitzuteilen, daß ihm ein namentlich Bekannter die Gemälde zum Kauf anbot, kam Bewegung in die Sache.

Im Rahmen einer Observationsmaßnahme wurden durch die Polizei zwei Personen festgenommen, in deren Pkw sich vier der gestohlenen Bilder befanden. Die sechs weiteren tauchten in einem anderen Pkw auf, als ein Tatverdächtiger in Untersuchungshaft sich offenbarte. Insgesamt waren fünf Personen verdächtig, an dem Diebstahl beteiligt gewesen zu sein. Darunter auch ein gewisser Bernd W., der bis 1961 in der BRD lebte und dann zu seinen Großeltern in die DDR zurückkehrte. 1969 wurde er hier straffällig und durch das Bezirksgericht Erfurt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, später erneut 1974 zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Nach seiner Entlassung siedelte er in die BRD über.

Im Zuge der weiteren Ermittlungen räumten zwei weitere der Tatverdächtigen ihre Beteiligung ein, wobei darauf hingewiesen wurde, daß man mit dem eigentlichen Einbruch und dem Verbringen der Gemälde in die BRD nichts zu tun habe. Hierfür hätte der bereits genannte W. zwei Türken beauftragt, welche ihrerseits die Gemälde an eine andere namentlich bekannte Person noch auf dem Territorium der DDR übergeben hatten, die sie nunmehr heimlich in die BRD schafften. Auch diese drei Personen konnten festgenommen werden. Einer der beiden angeheuerten Türken sagte dann aus, daß er von W. angesprochen worden war, der ihnen sagte, worum es ging und wie sie bei dem Einbruch vorgehen sollten. Dabei konnte W. auf Kenntnisse zurückgreifen, die er als Architekt in der DDR mit dem Schloß Sanssouci gewonnen hatte.

Über den Grenzübergang Helmstedt gelangten die Bilder schließlich in die BRD. Letztlich gestanden alle an der Tat Beteiligten bis auf W. ihre Mitwirkung ein. Die zuständigen Organe der DDR wurden über die Sicherstellung der Bilder und die Ergreifung der Täter nicht informiert und erhielten erst Kenntnis aus der West-Presse. Daraufhin bevollmächtigte der Generaldirektor der Schlösser und Gärten Sanssouci Rechtsanwalt Prof. Dr. Kaul, sich um die Rückführung der Gemälde in die DDR zu kümmern.

Dieser setzte sich mit der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main in Verbindung und sprach mit der zuständigen Oberstaatsanwältin. Bis zur Anklageerhebung mußten sie noch im Westen verbleiben. Man hatte sie in einem Museum in Wiesbaden eingelagert. Dort wurden sie von Professor Kaul und einem Restaurator der Potsdamer Schlösser und Gärten in Augenschein genommen. Späterhin mußten beide wiederum aus der BRD-Presse entnehmen, daß die Hauptverhandlung gegen die Tatbeteiligten für den 25. April 1977 vor dem Amtsgericht Frankfurt/Main anberaumt worden war. So kam es, daß auch Rechtsanwalt Kaul zu diesem Zeitpunkt sich im Gerichtssaal befand. Er erlebte den Ablauf der Verhandlung mit, die damit begann, daß einer der Anwälte die DDR als einen "Unrechts- und Verbrecherstaat" bezeichnete und sich alle anderen anwesenden Verteidiger diesen Hetztiraden anschlossen. Selbst die zuständige Oberstaatsanwältin sah sich zunächst nicht veranlaßt, hierauf in irgendeiner Weise mäßigend oder zurückweisend zu reagieren. Erst nachdem sie Professor Kaul in einer Pause auf diese unmöglichen Vorgänge hinwies, entschuldigte sie sich nach Fortsetzung der Verhandlung bei ihm für die Beleidigungen gegenüber der DDR.

Unabhängig von der Rückgabe der Bilder hatte Rechtsanwalt Kaul auch einen Schadenersatzantrag gestellt. Gegen diesen tönte es nunmehr erneut von der Verteidigerbank: Das Westberliner Oberverwaltungsgericht hätte entschieden, daß öffentliche Einrichtungen der "Sowjetzone" keinen rechtsstaatlichen Schutz genießen würden. Außerdem habe das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Grundlagenvertrages festgestellt, "daß das 'Deutsche Reich' nach wie vor bestünde; sein 'geborener und gekorener Sachwalter' sei die Bundesrepublik Deutschland. Die in Frage stehenden Bilder seien widerrechtlich von dem 'Sowjetzonen-Staat' okkupiert und dem Sachwalter des rechtmäßigen Eigentümers, dem der Bundesrepublik, rechtswidrig vorenthalten worden". Und schließlich: Der Schadenersatzantrag würde sich nicht zur Entscheidung im Strafverfahren eignen, weil doch der Initiator des Einbruchs W. gegenüber dem "Zonenstaat" schließlich "Ansprüche wegen rechtswidriger Freiheitsberaubung und wegen der ebenso unrechtmäßigen Beschlagnahme seines Kraftwagens habe und deshalb gegen die Schadenersatzforderung die Aufrechnung erklären könne". Trotz dieser hanebüchenen Begründung folgte das Gericht dem Begehren, den Antrag auf Schadenersatz zurückzuweisen.

Nun kam der Auftritt des Drahtziehers W. Er behauptete jetzt in unverschämter Dreistigkeit - nachdem er zunächst vorangestellt hatte, daß er das "Zonenregime" hassen würde -, nicht in Bereicherungsabsicht gehandelt zu haben. Sein Ziel wäre es gewesen, "unseren Brüdern in der 'Zone' zu helfen".

Bereits während seiner Haftzeit in Cottbus sei ihm die Idee gekommen, Kunstwerke aus DDR-Museen zu stehlen und sie erst zurückzugeben, wenn verlangte Ausreisen gewährt werden würden. Er hielt das anscheinend für ein ehrenwertes Motiv. Im gleichen Atemzug bezeichnete er Professor Kaul als "Agenten des Staatssicherheitsdienstes". Das Gericht verhängte Bewährungsstrafen zwischen elf und sechs Monaten. Der Hauptangeklagte W. erhielt eine solche von zwei Jahren. Dabei wurde ihm das vorgelogene Handlungsmotiv zu seinen Gunsten angerechnet. Jetzt war spätestens der Zeitpunkt, wo die Bilder an die DDR zurückzugeben waren. Die zuständige Oberstaatsanwältin versuchte Rechtsanwalt Kaul einige Tage hinzuhalten. Hier bestand die Gefahr, daß wegen des behaupteten Aufrechnungsanspruchs durch W. von diesem ein Arrestbeschluß über die Bilder erwirkt wird und damit deren Rückgabe über längere Zeit verhindert würde.

Es ist letztlich nur dem unnachgiebigen Drängen von Professor Kaul zu verdanken, daß er bereits am Morgen nach der Urteilsverkündung die Herausgabe der Bilder bewerkstelligen und sie in seinem Pkw wieder sicher auf das Territorium der DDR zurückbringen konnte.

Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie die gegen die DDR betriebene Hetze mit einhergehender rechtswidriger Schädigung auch noch Jahre nach Abschluß des Grundlagenvertrages in einem Frankfurter Gerichtssaal seine Billigung fand - und das noch dazu "im Namen des Volkes"!

Ralph Dobrawa


Robert Allertz: Im Visier die DDR. Eine Chronik.
edition ost / Das Neue Berlin, Berlin 2002. 192 S.

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Geschichtsfälschung mit Methode

Die Übergabe des 13. Tätigkeitsberichtes der BStU an den deutschen Bundestag im Frühjahr dieses Jahres veranlaßt mich, diesen etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Auffallend ist, daß in der DDR geführte Ermittlungsverfahren gegen westliche Spione im Bericht wie schon in den Jahren davor überhaupt keine Rolle spielen.

Als ehemaliger Untersuchungsführer des Ministeriums für Staatssicherheit, der im Verlaufe von 30 Dienstjahren in Hunderte von Ermittlungsverfahren gegen Agenten westlicher Geheimdienste oder von diesen gesteuerter Organisationen involviert war, frage ich: Warum ist das so? Immerhin wäre es ein leichtes, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, wenn man es denn wollte.

Für alle auf unserem Staatsgebiet eingesetzten Spione existierten seit der Grenzschließung 1961 in Berlin nachrichtendienstliche Systeme zur unpersönlichen Aufrechterhaltung der Verbindung wie z. B. tote Briefkästen, Deckadressen, Code-Materialien zur Ver- und Entschlüsselung von Nachrichten und Informationen, Geheimschreibmittel, einseitige Rundspruchdienste der Geheimdienste und in speziellen Fällen Funkgeräte im Besitz der Agenten. In unterschiedlichem Umfang gelangten Instruktionen und Aufträge der Geheimdienste über geeignete Wege zu den Spionen. Bei solchen Systemen ist das Risiko ihrer Entdeckung durch die Spionageabwehr wesentlich höher.

Es waren insbesondere Code-Materialien, Geheimschreibmittel und schriftliche Instruktionen, deren Aufbewahrungsorte das MfS bereits vor der Festnahme durch operative Maßnahmen aufklären konnte, so daß deren Sicherstellung als Beweismittel unmittelbar im Zusammenhang mit der Festnahme möglich war. Hinzu kam, daß es Spezialisten des MfS gelang, geheimschriftliche Texte der Agenten auf dem Postweg zu kopieren und sichtbar zu machen. Die Rundspruchdienste der Geheimdienste wurden von einer dafür zuständigen Diensteinheit permanent aufgezeichnet, weshalb nach Sicherstellung der Code-Materialien Chancen gegeben waren, übermittelte Aufträge und Instruktionen zu entschlüsseln.

Verständlich, daß sich dadurch die Auswahlmöglichkeiten der Beschuldigten zur Gestaltung ihres Aussageverhaltens erheblich einschränkten. Die Erkenntnis, daß die Arbeitsmethoden ihrer Auftraggeber sie in ausweglose Situationen gebracht hatte, war ein weiterer Faktor für die Förderung ihrer Gesprächsbereitschaft gegenüber dem Untersuchungsorgan des MfS.

Dies und noch viel mehr ließe sich bei sachlicher Aufarbeitung der umfangreichen Archivmaterialien des MfS feststellen und belegen. Es handelt sich um Tausende von Ermittlungsverfahren.

Wer Aussagen über weitreichende Details und Zusammenhänge bis hin zur operativ verwertbaren Charakterisierung von Geheimdienstmitarbeitern, welche das MfS durch operative Methoden niemals hätte aufklären können, lesen würde, käme zu der Erkenntnis, daß Unterstellungen über psychische Folter und dergleichen abwegig sind.

In gleichem Maße ist der Umfang und Inhalt an persönlichen Niederschriften erstaunlich, den Beschuldigte, überwiegend in ihrem Haftraum, angefertigt haben. Die darin enthaltenen Informationen gehen weit über strafrechtliche Aspekte hinaus und bereicherten das Wissen operativer Diensteinheiten des MfS. Sie waren gleichzeitig Beleg für eine aktive Mitwirkung der Beschuldigten im Ermittlungsverfahren, auf die sie sich auch vor Gericht berufen konnten.

Die als schriftliche Beweismittel existierenden Aufträge und Instruktionen der westlichen Geheimdienste gestatten im Zusammenhang mit den protokollierten Aussagen und persönlichen Niederschriften eine thematische Gliederung der Angriffe gegen die DDR und ihre gesellschaftliche Ordnung.

Sie umfaßten Schädlingstätigkeit und Sabotage gegen die Volkswirtschaft der DDR mit bezifferbaren Folgeschäden, Piraterie auf offener See zur Störung und Unterbindung der Handelsbeziehungen der DDR, An- und Abwerbung von Spezialisten und Wissenschaftlern mit dem Ziel, ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten für westliche Konzerne zu erschließen, die Installierung von Funkmeldeköpfen für den Kriegsfall auf dem Territorium der DDR, intensive Sammlung von Informationen über die gesellschaftliche Situation innerhalb der DDR, womit ausnahmslos jeder Spion beauftragt war, um Grundlagen für aktuelle Propagandakonzepte der Medien, staatstragender Parteien und politischer Organisationen zu gewährleisten sowie eine systematische Aufklärung der Standorte, Mannschaftsstärke und Ausrüstung militärischer Einheiten auf dem Territorium der DDR und angrenzender Bruderstaaten.

Logisch, daß sich aus diesen permanent feindlichen Aktivitäten Einflüsse auf die Entwicklung der Strafgesetzgebung, der Aufgabenstellung für die Sicherheitsorgane und das gesellschaftliche Leben in der DDR insgesamt ergaben und von den Initiatoren der Angriffe auch gewollt waren. Angemerkt sei hier, daß die Ausblendung der Angriffe der Geheimdienste gegen die DDR nur ein Bereich ist. Ein anderer war das direkte Wirken westlicher Konzerne und Wirtschaftsunternehmen, wozu ebenfalls umfangreiches Aktenmaterial in den Archiven des MfS existierte. Nicht unerwähnt bleiben darf auch die konsequente Haltung der DDR zur Aufarbeitung von Nazi- und Kriegsverbrechen. Die durch das Untersuchungsorgan des MfS dabei erzielten Ergebnisse geben Hinweise auf das Wirken von belasteten Nazis in Machtstrukturen der Alt-BRD und finden in den Tätigkeitsberichten der BStU keinen Platz.

Es ist höchste Zeit, diesen Gegebenheiten bei der Geschichtsaufarbeitung Rechnung zu tragen, das Handeln beider deutscher Staaten und die daraus entstandenen Wechselwirkungen nicht länger auszublenden.

Dies zu leisten sind Roland Jahn und seine Behörde weder gewillt noch in der Lage, eingeschlossen die Tatsache, daß im Auftrag verantwortlicher Amtsträger der Bundesregierung ganze Aktenbestände den Archiven des MfS entnommen und den USA übereignet wurden.

Herbert Kierstein, Bestensee

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Stimmen aus aller Welt über die DDR

Zum 30. Jahrestag am 7. Oktober 1979 hat die Auslandspresseagentur Panorama DDR Stellungnahmen von Persönlichkeiten aus dem Ausland über die DDR in einem Buch vereint. Stellvertretend für viele heute die eines österreichischen Gynäkologen und damaligen Klinikdirektors.

Prof. Dr. med. Erich Burghardt
(1921-2006)

Nach Abschluß des Gesundheitsabkommens zwischen der Republik Österreich und der DDR haben sich direkte Beziehungen zwischen namhaften Wissenschaftlern und Forschergruppen unterschiedlicher medizinischer Disziplinen gut entwickelt.

Aus eigener Anschauung weiß ich, daß die medizinische Wissenschaft und Praxis in diesem Land allseitig modernsten Stand verkörpert. Es gibt keinerlei Gefälle zum jüngsten internationalen Wissensfundus. Was hier zum Wohle der Menschen und besonders für Kranke getan wird, bewerte ich sehr hoch und sehe viele Bemühungen, stets den entscheidenden Schritt zu tun, der Fortschritt bedeutet.

In meinem Fachgebiet, der Geburtshilfe und Gynäkologie, gibt es seit vielen Jahren eine ausgeprägte Zusammenarbeit, die für beide Seiten nutzbringend ist.

Aus der DDR kommen nicht selten medizinische Wissenschaftler und Ärzte nach Österreich, auch zu uns nach Graz, um auf meinem Fachgebiet Erfahrungen auszutauschen.

Neben familienfördernden sozialen Maßnahmen betrachte ich die Fürsorge um Schwangere und den besonderen Schutz von Mutter und Kind in der DDR als vorbildlich. Sicherlich ist das leichter in einem Staat, der solche Dinge zentral und somit umfassend planen, durchführen und kontrollieren kann. In Österreich haben wir einen international als vorbildlich angesehenen Paß für Mutter und Kind eingeführt. Doch ist bei uns noch zuviel der Eigeninitiative überlassen, und wir hätten die Fürsorge um Mutter und Kind im ganzen gerne verbessert, wobei das in der DDR gut organisierte Beratungs- und Betreuungssystem durchaus Maßstab sein könnte.

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Fakten zur Staatsgrenze zwischen der DDR und der BRD sowie zur Grenze um Westberlin (1)

Wie jede Staatsgrenze auf der Welt hatte auch die Staatsgrenze der DDR ihre spezifischen Besonderheiten. Sie war nicht nur eine Grenze zwischen Staaten, sondern auch eine Trennlinie zwischen dem Warschauer Vertrag und der NATO.

1. Eigentlich gab es keine "Staatsgrenze der DDR". Jede Staatsgrenze existiert grundsätzlich nur zwischen konkreten Staaten: Staatsgrenze oder Grenze zwischen DDR und BRD, DDR und CSSR sowie DDR und VR Polen etc.

2. Der Verlauf der Staatsgrenze ist nicht gleichzusetzen mit den Sicherungsanlagen, egal welcher Art sie waren. Diese befanden sich ausschließlich auf dem Hoheitsgebiet, Territorium, Staatsgebiet der DDR. Der Bau, ihre Art und ihr Verlauf (der Abstand von der Staatsgrenze) wurden grundsätzlich durch die dafür zuständigen Organe der DDR auf der Grundlage der Rechtsvorschriften und darauf beruhenden dienstlichen Bestimmungen festgelegt. Bestimmte Ausnahmen wie das Verlegen von Minen wurden von den zuständigen Organen der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland bestimmt.

3. Wenn alle Sicherungsanlagen der DDR sich ausschließlich auf ihrem Hoheitsgebiet befanden, folgt daraus, daß eine Identifizierung vom Verlauf der Staatsgrenze DDR/BRD mit den Sicherungsanlagen nicht nur falsch, sondern irreführend ist. Gerade zwischen beiden deutschen Staaten wurde entsprechend des Grundlagenvertrages aus dem Jahre 1972 eine Grenzkommission gebildet, die die Staatsgrenze vermessen, teilweise (neu) festgelegt und markiert hat. Der vereinbarte neue Grenzstein zwischen den beiden deutschen Staaten trug auf einer Seite das Kürzel DDR.

Im Grenzgesetz vom 25. März 1982 sind, ausgehend von der Verfassung der DDR, insbesondere Artikel 7, die Grundsätze geregelt. Das Grenzgesetz lautet in seiner Präambel: "Die strikte Achtung und Einhaltung der allgemein anerkannten Prinzipien des Völkerrechts, darunter die Achtung der Souveränität, der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen, der territorialen Integrität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten, ist eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen, der Sicherheit und Zusammenarbeit zwischen den Staaten und die entscheidende Grundlage einer stabilen Friedensordnung. In Wahrnehmung ihrer souveränen Rechte gestaltet die DDR ihre Beziehungen in Grenzangelegenheiten mit den benachbarten Staaten in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und organisiert den Schutz der Staatsgrenze einschließlich ihres Luftraumes und der Territorialgewässer."

Das Grenzgesetz definiert im 1. Abschnitt, was die DDR unter Hoheitsgebiet, Staatsgrenze, Seegewässer, Territorialgewässer, Innere Seegewässer, Grenzgewässer, Markierung und Kennzeichnung der Staatsgrenze und Grenzgebiete verstand. Meßlatte war immer das Völkerrecht.

Das Grenzgesetz bestimmte gleichfalls die Grundsätze für das "Überschreiten der Staatsgrenze", Grenzübergangsstellen (GüSt), Transitverkehr, Verkehr über die Seegrenze allgemein, Aufenthalt ausländischer Wasserfahrzeuge und Kriegsschiffe, die friedliche Durchfahrt, Überflug über die Staatsgrenze, Grenzverletzungen, die Verantwortung für den Schutz der Staatsgrenze, die Befugnisse der Grenztruppen (u. a. das Recht zum Betreten; Beseitigung von Gefährdungen und Störungen; Personalienfeststellung und Klärung von Sachverhalten; Durchsuchung und Verwahrung; Gewahrsam; Durchsetzung von Maßnahmen der Grenztruppen; Anwendung von Schußwaffen; Maßnahmen bei Luftraumverletzungen; Kontrollrechte und Einbringen von Wasserfahrzeugen; Recht der Nacheile; Befugnisse anderer Schutz- und Sicherheitsorgane; Grenzbevollmächtigte; Grenzkommissionen).

4. Von besonderer Bedeutung, aber oftmals übersehen oder unterschätzt, war die "Anwendungsregel" des § 39 Grenzgesetz, die lautet: "Die Bestimmungen dieses Gesetzes sind an der Staatsgrenze zu Berlin (West) entsprechend anzuwenden. Bestehende Rechte und Zuständigkeiten in Berlin (West) werden davon nicht berührt."

Das hieß, auf die Grenze um Westberlin bezogen: Diese Grenze war keine Staatsgrenze, an der jene Prinzipien galten, die oben skizziert wurden.

In den Folgebestimmungen (Grenzverordnung) wurden die Details geregelt, die sich z. B. auf die Bestimmungen für die Grenzgebiete; auf Arbeiten im Schutzstreifen, Veranstaltungen, Meldepflichten, Ordnungen in den Grenzgebieten, auf den Grenzgewässern und Seegewässern zur BRD, zur CSSR und zur VR Polen bezogen.

5. Immer wieder wird behauptet, die Grenzfragen zwischen beiden deutschen Staaten, ausgehend vom 13. August 1961, hätten sich de facto mit dem 9. November 1989 erledigt. Zum 25. Jahrestag des Anschlusses der DDR an die BRD erhielt ich von der hessischen Landesregierung (CDU und Grüne) eine Einladung, die unter dem Motto "Grenzen überwinden" stand. In ihr war - in "konsequenter Nicht-Anerkennung der innerdeutschen Demarkationslinie als völkerrechtliche Grenze" (22. Parteitag der CDU 2008) von einer "innerdeutschen Grenze", womit unzweifelhaft die Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten gemeint war, die Rede.

In diesem Zusammenhang sollte an das "Gesetz über den Abbau von Salzen im Grenzgebiet an der Werra" vom 3. Dezember 1984 (BGBl. I, Nr. 50, S. 1429) von Bundespräsident Weizsäcker, Bundeskanzler Kohl und Bundesminister Bangemann unterzeichnet sowie im Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates beschlossen, erinnert werden, in dem von der "Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik" gesprochen wird. (§ 1 [2])

6. Wer statt "Staatsgrenze zwischen der DDR/BRD" den Kampfbegriff "innerdeutsche Grenze" gebraucht, verletzt auch bundesdeutsches Recht.

7. Die Staatsgrenze der DDR in ihrer Gesamtheit trennte bis zum 3. Oktober 1990 ihr Hoheitsgebietsgebiet von dem der Nachbarn BRD, CSSR und VRP.

Aus der Staatsgrenze zwischen beiden deutschen Staaten entstand mit diesem Datum um 0.00 Uhr eine innerdeutsche Grenze zwischen den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sowie Niedersachsen; Sachsen-Anhalt und Niedersachsen; Thüringen und Niedersachsen, Hessen sowie Bayern; Sachsen und Bayern.

Am 3. Oktober 1990, 0.00 Uhr, wurde aus der Staatsgrenze BRD/DDR eine innerdeutsche Grenze zwischen den alten und den angeschlossenen Ländern der BRD.

8. Wer die Staatsgrenze meint, aber "innerdeutsche Grenze" sagt, ignoriert nicht nur die Staatlichkeit beider deutscher Staaten, sondern fällt zugleich in Zeiten des kalten Krieges zurück und pflegt einen Mythos. Er ignoriert die Tatsache, daß es diese zwei deutschen Staaten überhaupt gab. Am 15. Februar 1973 erklärte Bundeskanzler Willy Brandt im Deutschen Bundestag zum Grundlagenvertrag: "Ob es uns paßt oder nicht, . aus Demarkationslinien wurden Staatsgrenzen." Diese Feststellung gilt auch noch nach über 25 Jahren Anschluß der DDR an die BRD.

Dr. Klaus Emmerich, Edertal

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Mehr als biographische Miniaturen

Es war auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz 2016, als Wiljo Heinen an seinem Stand die biographische Miniaturen Peter Michels über Künstler und Kollegen präsentierte. "Ich habe das Buch gerade aus der Druckerei geholt", verkündete Wiljo stolz, "es ist sozusagen noch druckfrisch."

Ein mutiges Unterfangen, dieses so schwergewichtige Buch in seinem kleinen, aber aufrechten Verlag herauszubringen. Schwergewichtig im doppelten Sinne: Der Versuch über Kunst und die Künstler einer kurzen, aber so hoffnungsvollen Zeit zu erzählen, die eine wirkliche Wende darstellte im Gegensatz zur Restauration des Vergangenem nach 1989, dieser Versuch läßt sich nicht in ein schmales Paperback pressen. Aber sein Inhalt macht es darüber hinaus zu einem schwergewichtigen Stolperstein, über den Dummschwätzer und Berufsdelegitimierer ins Straucheln kommen sollten.

Und nun ist über ein Jahr vergangen, bis ich hineingestiegen bin in diese Gespräche und Erinnerungen - Nichtigkeiten und Kleinkram hatten sich dazwischengestellt: C'est la vie ... Aber Michels Buch ist zu wichtig, um es unbesprochen zu lassen.

Hier wird nicht DDR verramscht - da ein Waschpulver von Spee, dort ein altes Radio und eine Flasche "Blauer Würger", nein, es ist nicht einmal ausschließlich ein Buch über DDR-Künstler, wenngleich die im Mittelpunkt stehen. Peter Michel war denen sein ganzes berufliches Leben lang eng verbunden, nicht zuletzt durch sein Wirken als Chefredakteur der Zeitschrift "Bildende Kunst". In dieser Funktion entwickelten sich Kontakte und Freundschaften auch zu Kunstschaffenden in Österreich, der Sowjetunion, Italien oder Finnland. Mancher Gegenüber bleibt reserviert oder distanziert, mancher Faden ist im Laufe der Zeit abgerissen, meist aber bleiben die Verbindungen eng, freundschaftlich und die von Gleichgesinnten. Und davon spricht das Buch in seinen Miniaturen. Michel kaut keine zähe Kunstgeschichte und langweilt auch nicht mit lexikalischen Biographien; ein Zeitalter wird hier besichtigt.

Es geht mir wie Armin Stolper, der im Prolog gesteht, den oder jenen erst durch Michels Erzählung kennengelernt zu haben. Und ich ergänze für mich: Seine Erzählungen haben mir beim Lesen der Namen viele Erlebnisse und Begegnungen wieder aus dem Unterbewußtsein hervorgebracht, die inszeniertes Verdrängen verfinstert hatten. So die regelmäßigen Besuche der großen Kunstausstellungen der DDR in Dresden, so das begeisterte Schauen auf der Intergrafik am Fernsehturm. Aber auch die jährliche Begegnung mit neuesten Plastiken von DDR-Bildhauern im Geraer Küchengarten, und im gleichen Ort der so lichte und außergewöhnliche Eintritt in das Ensemble des Hauses der Kultur, an dem Bildhauer aus unterschiedlichen Generationen unter Jo Jastram gearbeitet hatten, dessen Einzigartigkeit ich eigentlich erst durch Michel begriffen habe. Bei anderen Lesern werden vielleicht andere Erinnerungen aufscheinen.

Mit mehr als 70 Personen, zumeist aus der DDR, kommt der Autor ins Gespräch, spricht über deren Werke, über ihr Leben und die Beziehungen zu ihnen. Schicksale werden offenbar, ohne in larmoyante Rückschau zu verfallen. Ja, da ist Herrmann Peters, der sich verzweifelt 1995 aus seiner Wohnung in den Tod stürzte. Nicht das einzige Nachwendeopfer, wie wir wissen. Da ist der großartige Dieter Rex, von dem es heißt: "Wo er seine Wurzeln hatte, war seine Heimat nicht mehr." Trotzig Renata Ahrens zu ihrem Porträtfoto: "So grimmig wie ich aussehe, ist mir auch!" - Ein sehr aufrechtes Buch hat der Verlag in die Welt gebracht. Vergangenheitsbewältigung im besten Sinne ohne Schönfärberei. Ich denke, wir können offen auch über Fehler sprechen, ohne uns auf irgendwelche Zwänge herauszureden. Wir sind einen Weg gegangen, den Menschen gemacht haben, nicht Lehrbücher. Und Menschen sind nicht fehlerfrei, wenn uns Sozialisten freilich die Fehler der Sozialisten am bittersten ankommen.

Peter Michel: "Bald gehörten einige der Engherzigen, die stets selbst Toleranz gefordert hatten, zu den intolerantesten Akteuren einer gnadenlosen Kampagne gegen die 'Kunst des Staatssozialismus'. Natürlich hatten sie recht mit ihrer harten Kritik an der immer wiederkehrenden Enge einer Kulturpolitik, die am Ende hilflos angesichts der realen Prozesse war. Aber sie bemerkten nicht, daß sie selbst mehr und mehr zu Dogmatikern neuen Typs wurden."

Ich danke Peter Michel für seine "Sicht auf eine reiche Kunst, in der Künden und Können zusammengehörten, die gebraucht und geachtet wurde". Künden und Können, gebraucht und geachtet werden - wieviel Utopie hatten wir doch eigentlich schon verwirklicht!

Bernd Gutte

Peter Michel: Künstler in der Zeitenwende. Biographische Miniaturen.
Verlag Wiljo Heinen, Berlin und Böklund 2016, 368 Seiten, 38 €

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Erinnerungen an Dr. Walter Wolf

Im März-"RotFuchs" erschien ein Beitrag von Dr. päd. habil Jörgpeter Lund aus Potsdam über Prof. Dr. Walter Wolf. Das weckte in mir Erinnerungen an eine Begegnung, die ich vor 69 Jahren mit besagtem Pädagogen hatte. Das Schulamt Altenburg in Thüringen hatte mich, den Neulehrer, gerade mit der Leitung der Grundschule Kriebitzsch beauftragt, nachdem Altlehrer Kramer, der nach dem Krieg die Geschicke der Schule leitete, über Nacht in den Westen gegangen war. Das war eine schwere Bürde für mich, da ich nur sehr geringe Erfahrungen im Unterrichtsbetrieb hatte und nun von heute auf morgen sieben junge Kollegen anleiten sollte. In eben dieser Situation stand eines Tages - es muß im Frühsommer des Jahres 1948 gewesen sein - der damalige Landesdirektor für Volksbildung in Thüringen, Dr. Walter Wolf, in meinem Dienstzimmer. Er war - wie ich später erfuhr - zu Beginn der 30er Jahre Lehrer in Zechau-Leesen, einem Nachbarort von Kriebitzsch, kannte aus dieser Zeit die Genossin Erna Himmer, die nun in Kriebitzsch in den Unterstufen-Klassen eine hervorragende Arbeit leistete. Als ich hörte, wer mich da besuchte, erstarrte ich in Ehrfurcht. Aber dieser Zustand hielt nicht lange an, denn Walter Wolf war ein Mensch, der so gar nichts von "steifer Etikette" hielt. Er kam mit mir in den Unterricht - ich war damals Klassenleiter einer 7. Klasse, die ich seit dem 5. Schuljahr betreute - und wertete anschließend meine Arbeit mit mir aus. Ich erinnere mich sehr gut an dieses Gespräch, weil ich in relativ kurzer Zeit eine Menge Tips zu Fragen der Selbsttätigkeit der Schüler bis zur Vorbildwirkung des Lehrers in einer demokratischen Schule bekam.

Wie das im Leben so zugeht: Erst als Dr. Walter Wolf wieder abgereist war, erinnerte ich mich eines Dokuments, das seit gut zwei Jahren in einer meiner zahlreichen Mappen lag. Es war überschrieben mit "Methodisches Manifest" und begann mit folgendem Text: "Am 4. Juli 1946 fand in Weimar eine pädagogische Konferenz statt, in der eine Kommission gewählt wurde, die in zwei Sitzungen am 12. und 22. Juli unter Vorsitz von Landesdirektor Dr. Wolf dieses 'Methodische Manifest' annahm, welches die Plattform für eine breite Diskussion in den Thüringer Schulen bilden soll mit dem Ziel der Hebung des methodischen Niveaus." Besonderen Wert wurde in dem Manifest auf die Selbsttätigkeit der Schüler gelegt: "Der Lehrer soll dem Kinde nicht geben, was es nicht selbst finden kann." Und weiter: "Die neue demokratische Schule muß zur objektiven Wahrheit und Sachlichkeit, zu vergleichendem Beobachten, ursächlichem Denken und selbständigem Urteilen erziehen."

Ich bin nun längst berentet, verfolge aber durchaus interessiert alle Vorgänge in der derzeitigen Volksbildung. Manchmal denke ich, wie gut wir jungen, antifaschistischen Lehrer doch beraten waren, als uns pädagogische Persönlichkeiten wie Dr. Walter Wolf lenkend und leitend zur Seite standen!

Helmuth Hellge, Berlin

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Junge Frau im Sozialismus (Teil 4)

Nach der Abenteuerfahrt auf dem Frachtschiff nach Leningrad schrieb ich zügig die Filmerzählung und das Szenarium zum "Schneemann für Afrika". Leider verschob sich der Drehbeginn wegen fehlender Valuten. Der Regisseur Rolf Losansky fuhr erst mal mit dem Kameramann Helmut Grewald auf einem DDR-Frachter nach Westafrika, um Meeresbilder, Häfen und Landschaften als "Schnittbilder" zu drehen. Ich sollte mitfahren, aber ich wollte für so lange Zeit nicht meine lieben drei Männer allein lassen. Adrian und Sebastian gingen ja jetzt zur Schule, und ich saß noch mittendrin im Studium und schrieb auch noch Gedichte. Eines spiegelt das neue Lebensbild der Frauen. Hier ein Ausschnitt:

Frauenbild

Nichts fehlt uns an Weiblichem,
sind wir behelmt und gestiefelt,
hemdsärmlig noch gleichen wir
unserem Urbild.

Unser Tag, das sind Blitze und Blumen
und die Augen nicht mehr die
schwankenden Kähne der Sehnsucht.
Abgeschubst mit dem Fuß.
Dieses Ufer ist sicher
und uns gewogen.

Wir sind dabei: spalten Atome,
ebnen Berge, besteigen Kräne.
Härter wird da die Hand, doch
zärtlich genug zu streicheln
die Kinder.

Am Schluß heißt es: "... schaukeln im Baum der Erkenntnis. Ungestraft flattert der kürzeste Rock." (aus meinem Gedichtband "Tausendunddritte Nacht", Märkischer Verlag Wilhelmshorst). Trotz aller Anspannung fühlte ich mich auf dem richtigen Weg, mir ein geistiges Fundament fürs Schreiben zu schaffen. Hilfe bekam ich von vielen Seiten. Meine Mitstudentinnen Katharina Schubert und Karla Kochta schrieben für mich die Vorlesungen auf Kohlepapier mit, wenn die Kinder krank waren. Oder sie erzählten mir die Filme zu Ende, die ich früher verlassen mußte, um die Kinder vom Schulhort abzuholen. Oder wir lernten vor wichtigen Prüfungen bei mir zu Hause. Es war immer ein Gefühl der Hilfe und Solidarität, das mich umgab.

Unsere Hochschule, die einst nur auf reines Film-Studium ausgerichtet war, mußte sich mehr und mehr dem Fernsehen öffnen. Sie hatte national und international einen guten Ruf. Studenten aus Vietnam, Kuba, Polen, Bulgarien, einigen afrikanischen Staaten oder auch aus westeuropäischen Ländern studierten Regie, Kamera oder Schauspiel u. a. Fächer.

In meinem Studienjahr waren 13 Studenten, die zumeist von der Leipziger Theaterhochschule und der Humboldt-Universität Berlin kamen, um eine filmspezifische Ausbildung in Film- und Fernseh-Dramaturgie zu machen. Einer davon war Amir, ein Kurde. Unsere Dramaturgie-Ausbildung war ausgezeichnet. Von Aristoteles über Lessing, Schiller bis Stanislawski und Brecht büffelten wir uns durch die Dramaturgie der Jahrhunderte, erlebten hochinteressante Vorlesungen und Filmanalysen von Spielfilmen bei Dr. Peter Wuss und von Dokumentarfilmen bei Rolf Liebmann. Filmgeschichte hatten wir bei Dr. Schneider, Ästhetik und Literaturtheorie bei Dr. Schmidt, Philosophie bei Dr. Eiselt. Besonders in Erinnerung bleibt mir Dr. Henne in seiner Originalität. Er lehrte das Fach Wissenschaftlicher Kommunismus. Das war nie langweilig, denn man lernte dialektisch denken und wurde "gelenkig" im Kopf. Ich war bildungshungrig, und das "Durchmarxen" und "Durchhegeln" machte mir Spaß. Neben politischer Ökonomie hatten wir noch Russisch, Journalismus und medienspezifische Gestaltungsmittel.

Großartige Filme der Filmgeschichte und der Gegenwart ergänzten den Unterricht. Alle zwei Wochen hatten wir die "Aktuelle". Das waren Filmvorführungen der neuesten Filme aus Westeuropa, Osteuropa, USA und anderen Ländern. Wir waren also vertraut mit den Filmen von Visconti, Antonioni, Fellini, Bunuel, Forman, Pollock, Truffaut, Staudte, Fassbinder und Wenders. Auch gab es jährlich die "Tage des sowjetischen Films", die uns begeisterten. Das waren wahrhaftige und kritische Filme von Bondartschuk, Schukschin, Mitta, Romm, Tarkowski u.v.a. Für einige Zeit unterrichtete auch Joris Ivens, der weltbekannte belgische Dokumentarfilmer, an der Schule.

Zwei Studentenclubs hatten wir auch. Die offizielle "Bratpfanne" in der Bierstraße und den Geheimklub "Im Schrank", der in der Spitzweggasse durch einen Schrank ohne Rückwand zu erreichen war. Leider konnte ich meine Studentenzeit nicht sehr ausleben, denn ich hatte ja schon "Familie".

Unser Studentenleben war politisch im besten Sinne. Da wir schon in der Schule zu Frieden, Freundschaft und Solidarität angehalten waren, erlebte ich meine Studentenzeit auch in diesem Sinne. Unser Studienjahr fuhr 1972 gemeinsam zur internationalen Dokumentarfilmwoche nach Leipzig. Ich sehe uns alle um eine ausgebreitete vietnamesische Fahne vor dem Filmtheater Capitol stehen, um bei den Festivalgästen Geld für das kämpfende Volk in Vietnam zu sammeln. Als endlich im Frühjahr 1973 der ungerechte und grausame Krieg des Giganten USA gegen das kleine sozialistische Land Vietnam endete, war das für uns ein Freudenfest. Sicher hatten manche Studenten einen anderen Standpunkt zum Sozialismus, schließlich lagen die Ereignisse um den "Prager Frühling" und das 11. Plenum 1965 in der DDR, das viele DEFA-Filme verboten hatte, nicht weit zurück.

Aber ich lebte in der Gegenwart und akzeptierte die führende Rolle der Arbeiterklasse im Sozialismus der DDR - die war mir näher als die verheuchelte Macht des Großkapitals und der Kartelle, die von Freiheit sprach und mit Kriegen endete. Von meiner Herkunft her und dem, was meine Eltern im Faschismus erlitten hatten, fühlte ich mich als Teil des einfachen Volkes. Da brauchte ich nicht agitiert zu werden, da hatte ich mir mein eigenes Weltbild gemacht.

Den Sozialismus in der DDR wünschte ich mir weniger dogmatisch und weniger von der Sowjetunion abhängig, offener und vertrauensvoller. Und ich glaubte fest, daß wir Jüngeren eine Chance hatten, ihn zu reformieren.

Christa Kozik

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Gisela Steineckert: Hand aufs Herz

Außer meiner gütigen Großmutter Maari habe ich in meiner Kindheit keine alte Frau gemocht. Sie waren ihr Leben lang arm gewesen - andere kannte ich nicht. Im Alter waren sie noch bedürftiger und hatten gelernt, sich Hoffnungen zu verweigern, die sich ohnehin nie erfüllten. Aus Angst vor Folgen machten sie den Jüngeren alle Genüsse ekelhaft. Wir haben ihre Nähe nicht gesucht, aber wir hätten sie auch nicht gefunden.

Vielleicht hatten sie noch Sehnsüchte. Aber ihre Gefühle und ihr Denken waren geprägt durch lebenslänglichen Mangel. Geld macht nicht glücklich, aber zu wenig Geld macht unglücklich, die Zärtlichkeiten karg und sogar die Worte arm. Wie ein zusätzliches Familienmitglied lebte in ihrer Mitte das Unglück. Es hieß Alkohol. Die Männer ließen diesen Mörder jeglicher Verläßlichkeit in die Familie hinein. An den Alkohol fielen fast alle Freude und jegliches Vertrauen.

Diese alten Frauen hörten am liebsten den verunglückten Seelen zu, die gaben ihren Meinungen recht. Das Leben war mies, und die Menschen sind schlecht. Diese armen alten Frauen meiner Kindheit habe ich eher als schadenfroh und hämisch in der Erinnerung. Was ihnen verschlossen blieb, gaben sie als unerreichbar aus. Sie sagten den Töchterlichen gern ein böses Schicksal voraus. Für meine Ohren bestimmt, sagte eine: "Dem Armen seine Sau oder dem Reichen seine Hure, da kann man sich doch ausrechnen, was sich mehr lohnt." Die Männer stießen ihre Frauen immer wieder in die ungewollte Schwangerschaft und also in gefährliche Abtreibungen, was damals "Rettung" genannt wurde.

Diese alten unfrohen Mädchen sind meist ihr Leben lang ohne Glück geblieben.

Denen waren wir damals anvertraut. Solchen Frauen, deren einziger süßer Trost das Kino mit seinen unerreichbaren Männern und begehrten schönen Damen war. Aber auch diese harten prügelnden Frauen wurden älter. Das Selbstmitleid machte sie weicher, und die Erinnerungen tauchten alles Geschehen in ein anderes Licht. Fast so, als hätten sie uns geliebt. Sie gaben unseren Männern Bilder aus unserer Kindheit, als wäre jene Zeit ein einziger Lachanfall gewesen. Lauter lustige Anekdoten, eine wünschenswerter als die andere.

Aber nein, Mama. Du hast nie zu mir gesagt, daß du mich lieb hast. Deine Kinder wurden erwachsen, waren draußen im Leben, und dort machten sie Erfahrungen, die ihr Leben veränderten. Es gab Frauen, die hatten es nicht leichter gehabt als ihr, aber sie haben das Unglück, das auf sie fiel, nicht als Härte weitergegeben. Sie hatten andere Helden als eure Filmschauspieler, waren vom schmalen Pfad des Vorgegebenen abgewichen und haben sich ein großes Leben gemacht. Ihre Erfahrungen waren, sind gefragt. Ich habe mit euch leben müssen, Mama, und habe dann, ohne euch, ältere Frauen gefunden, mit denen ich lachen, arbeiten und mich verbunden fühlen konnte. Wenn sie von ihrem Leben erzählen, dann stockt mir manchmal beim Zuhören der Atem, und für einen Augenblick erstirbt beinahe der Wunsch, mit ihnen gelebt zu haben.

Manche von ihnen hätte ich so gern früher gekannt. Aber unsere Wege waren zu unterschiedlich. Wir konnten uns nicht früh genug treffen. Das hindert mich nicht, sie als unvergeßlich in meiner Erinnerung und Zuneigung zu hüten. Ich möchte Oda Schottmöller gekannt haben, und meine Sympathie und Bewunderung für Eva Klemperer ist so groß, daß ich die raren Zitate ihrer Sätze aus Victors Tagebüchern herausgeschrieben habe.

Ich muß lachen, wenn sie bei seinem Anfall von Selbstmitleid sagt: "Damit war ich mit zwanzig durch." Klingt zurechtweisend, aber sie sagt das in noch friedlichen Zeiten, als sein dekadenter Wunsch eher unpassend war. Später, in der Bedrohung und der täglichen Nähe des Todes, hat sich gezeigt, daß sich bei ihr Sensibilität und Kraft verbinden konnten.

Ich lese die Aufzeichnungen der Frauen, die ich gern gekannt hätte - oder gekannt habe, aber die Zeiten haben nicht gereicht für die gewünschte Dauer einer Freundschaft. Ich will mich ein Leben lang an das Gelesene erinnern. Da heißen Bücher "Leben, wo gestorben wird" und "Haus der schweren Tore". Die Autorin war Eva Lippold.

Als ich sie traf, lagen hinter ihr nur schwer vorstellbare Zeiten der Angst, der langen Gefährdung ihres Lebens, Zeiten in Zuchthäusern und schwere Arbeit als Teil der Strafe, die ihr vom Volksgerichtshof auferlegt wurde. Weil sie im Widerstand gegen Hitler eine jener Frauen war, die mehr auf sich genommen haben, als wir uns auch nur vorstellen wollen. Fast eine Generation älter als ich, waren wir Kolleginnen. Aber was uns mehr verbunden hat, war jener Teil ihres schweren Weges, an dem sich der meine nicht messen durfte. Ich wußte das. Und sie hat es einmal gesagt, einmal: "Du weißt es nicht. Du warst nicht dabei." Aber sie hat mir das nicht vorgeworfen. Eva Lippold war eine der Frauen, die auch mit dem Alter nicht unschön werden. Ihre Stimme klang nicht rauher oder unfreundlicher, als ich sie mir für ihre Jugend vorstellen konnte. Fast unglaublich, daß man mit ihr lachen, Pläne haben und sie sogar verwirklichen konnte. Sei es einen Wettbewerb für junge Dichter zu organisieren, sei es im Verband der Schriftsteller, wo man sich gegen eine engherzige Auflage von oben auflehnen konnte. Ich erinnere mich, wie wir einmal von Herzen miteinander gelacht haben. Da sollte Henryk Keisch eine Parteistrafe bekommen, weil in sein Haus eingebrochen worden war, und der Dieb hatte aus einer Kassette das Parteibuch geklaut. Die Parteileitung warf ihm vor, daß er das Parteibuch nicht unauffindbar gehütet habe, nämlich an seinem Körper. Dafür sollte er eine Parteirüge bekommen. Ich weiß es noch, weil es wunderbar war. Die anwesenden Mitglieder der Partei brachen in ein so herzliches Lachen aus, und Keisch sagte: "Mein Dieb ist ohne Strafe davongekommen." Da hat Eva Lippold so herzlich gelacht, wie sie sicher auch weinen konnte. Um Hermann, den Geliebten und Genossen, der hingerichtet worden war.

Wenn ich mich, bei diesem ganz normalen Leben, das ich nun bis in mein bemerkenswertes Alter hinein gelebt habe, von Herzen bedanken möchte, dann bei all den Frauen, die sich mir anvertrauten, sich Rat holten, und die mir geholfen haben. Und die auf vielfältige Art in meinem Leben geblieben sind. Ihr Beispiel hat mir nicht erlaubt, bei Schwierigkeiten einen manchmal doch möglichen kleinen Umweg durch die Feigheit zu nehmen. Oder aufzugeben, wo noch eine Chance bestand.

Die alten Frauen meiner Kindheit konnten nicht verhindern, daß wir Kinder wollten und sie immer wissen ließen, daß sie geliebt und nicht allein sind. Das hat sich als ein goldener Glücksfaden durch mein Leben gezogen, ob ich die jeweilige Göre selber geboren hatte oder nicht.

Nun gibt es eine kleine Person mit einem unglaublichen Blick direkt in meine Seele. Ihr habe ich zu sagen: Ich bin die fast Hundertjährige, die durchs Fenster reingeklettert ist, um drinnen ja nichts zu verpassen. Sie versteht mich.

Ich sage doch: Wir hatten Glück. Wir alten Frauen von heute. Wir hatten eine unglaubliche Chance. Und wo es ging, haben wir sie genutzt.

Das Alter hat mich umarmt
die Stirn konnte nicht widerstehn
es hat sich meiner Hände erbarmt
auf den Lippen die Spur ist zu sehn

Das Alter hat mich sanft berührt
hat die Träume ins "möglich" geführt
nur das Herz, nie ein Herr, nie ein Knecht
das fügt sich nicht und hat recht

Altsein ist anders als Älterwerden
wo soll das Herz denn hin
mit der Asche aus so viel erloschenen Herden
nehmt mir die Sterne erst aus der Tasche
wenn ich gestorben bin

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LESERBRIEFE

U-Boote für Israel und Waffen in alle Welt ... Die Bundesrepublik zeichnet sich durch immense Rüstungsexporte aus und schafft somit Voraussetzungen für Tod und Verderben für viele unschuldige Menschen. Damit dies gut gelingt, wird auch noch kräftig geschmiert. Die schwarz-rote Bundesregierung steht Gewehr bei Fuß und sanktioniert das Treiben mit dem explosiven Exportgeschäft. Der alte Wirtschaftsminister und neue Außenminister Gabriel trägt dafür maßgeblich und tatkräftig die Verantwortung. Der bisherige Außenminister und neue Bundespräsident redet über Frieden, aber hat bisher diesem kriegerischen Treiben auch keinen Einhalt geboten.
Aber auch eine Mehrheit im Bundestag fördert das Geschäft mit dem Tod, indem die Auslandseinsätze der Bundeswehr ausgeweitet werden statt die Soldaten zurückzuholen. Konsequente Friedenspolitik müßte die Auflösung von Militärbündnissen fordern und endlich die Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie die Rüstungsexporte sofort beenden.
Auch aus Brüssel Unfaßbares! Linke Europaabgeordnete schlagen sich auf die Seite der Troika und unterstützen damit den sozialen Kahlschlag in Griechenland. Damit nimmt die Fraktionsvorsitzende der Linken im Europaparlament die weitere Verelendung der Griechen billigend in Kauf und stimmt dem Ausverkauf des Landes an Finanzhaie und Spekulanten zu. Dies ist ein Schlag ins Gesicht derer, die sich linker Politik im Interesse der Mehrheit der griechischen Bevölkerung verpflichtet fühlen und dafür aktiv kämpfen. Ein solch devotes Verhalten konterkariert die massiven Proteste (Generalstreik) im Lande. Geboten wäre der aktive Kampf der Linken gegen die Austerität und Privatisierung sowie Solidarität mit den finanziell Gebeutelten. Leider ist unübersehbar, daß Die Linke für die sicher komplizierte gesellschaftliche Entwicklung in Griechenland kein Konzept hat, nicht einmal eine antikapitalische Position und schon gar keine solidarische Haltung. Sie trabt der neoliberalen Entwicklung in Europa nur stoisch hinterher.

Raimon Brete, Chemnitz


Wieder stehen deutsche Panzer an der russischen Grenze, und die Regierung plant, die Bundeswehr zu verstärken und mit neuester Waffentechnik auszustatten. An dieser Grenze wirken wieder "ausgegrabene" und zeitbezogen angepaßte Feindbilder. In mir löst die Vorstellung kriegerischer Konflikte zwischen der NATO, Deutschland und Rußland traumatische Gedanken und Erschütterungen aus. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Rußland - von den Folgen des 2. Weltkrieges noch nicht genesen - nach kriegerischen Auseinandersetzungen "giert". Haben doch die Russen den Frieden genauso nötig wie wir. Mit mehr Einsicht in objektive Veränderungen der Geschichte und Beachtung der Befindlichkeiten und berechtigten Sorgen der Russen wäre auch das Problem der Ostukraine lösbar. Wo bleibt die Einhaltung der Verpflichtungen des NATO-Rußland-Vertrages?
Diese Entwicklung birgt nicht minder große Gefahren. Und der Blick über den Ozean nach Amerika kann nicht beruhigen. Ganz aktuell erklärte sich der amerikanische Präsident zu einer umfassenden Modernisierung und Erweiterung der amerikanischen Streitkräfte, einschließlich des atomaren Waffenarsenals nach der Grundhaltung "Wer uns an unserem Tun hindert, ist unser Feind - Feinde werden wir liquidieren". Wer bedroht Amerika? Ich erinnere an den Tod von Dr. Martin Luther King und John F. Kennedy und an den schrecklichen Tod Tausender Menschen im World Trade Center von New York. Diese Ereignisse waren wieder Menschenwerk. Nicht die Erde, die Natur, unsere kleine Welt bedrohen uns, sondern eine "Handvoll" gewissenloser Profiteure, denen es nicht nur um die Sicherung, sondern um die Maximierung ihres Profits im Interesse ihrer Machtvorstellungen geht.
Es ist offensichtlich, daß gesellschaftliche Ereignisse, Entscheidungen und Strukturen, also die Art und Weise, wie regiert wird, Unsicherheiten oder Sicherheiten bewirken, Demokratie zerstören oder bewahren. In diesem besonderen Jahr der Bundestagswahlen in Deutschland stellen sich viele die Fragen nach ihrer Zukunft im Alter, der gesundheitlichen Fürsorge ohne Ansehen der Person nach Familienstand, Alter, Beruf oder Funktion sowie nach umfassenden Bildungschancen für die Jugend. Ist es nicht so, daß ein Staat, dem die Demokratie (also die Volksherrschaft) am Herzen liegt, darum ringen müßte, daß es den "Alten" wie den "Jungen" an der nötigen Wertschätzung und Hilfe nicht fehlt und diejenigen, welche die Hauptlast der Werteschaffung zu tragen haben, gesicherte, angemessene Arbeits- und Lebensbedingungen vorfinden?

Dr. Wilfried Meißner, Chemnitz


Zu Hans Fischer: Halt! Stehenbleiben!, RF 229 Bezugnehmend auf diesen Artikel möchte ich unterstreichen: Einen Schießbefehl für DDR-Grenzer gab es nicht.
Aber in der BRD wurde "legal" geschossen, wie in der Arbeit von Klaus Huhn "Über Todesschüsse an der Westgrenze" (Spotless, Edition Ost) nachzulesen ist. Der Schießbefehl war enthalten im "Gesetz über den Waffengebrauch des Grenzaufsichtspersonals vom 2.7.1921 (Reichsgesetzblatt 1921, S. 935), in der Dienstanweisung (zum Gesetz über den Waffengebrauch vom 2.7.1921) und neu gefaßt vom 3.9.1951. Außer Einschränkungen erfolgte keine Außerkraftsetzung des Schießbefehls vom 2.7.1921. In der Zeit von 1946 bis 1952 wurden bei Aachen 31 Menschen (Kaffeeschmuggler) von Zöllnern erschossen, die sich auf den Schießbefehl berufen konnten. Es lohnt sich, das Büchlein zu lesen.

Joachim Heimer, Berlin


Wie bekannt wurde, ist der Bau eines "Einheitsdenkmals", das in Form einer Wippe errichtet werden soll, geplant. 8,5 Millionen Euro soll dieses kindische Großspielgerät kosten - ein krasses Beispiel von Geldverschwendung durch Politiker, die sich im Denken und Handeln weit von den "Normalbürgern" entfernt haben. Uns als frühere DDR-Bürger würde diese Wippe schmerzlich in Erinnerung rufen, wie wir nach der Annexion unseres Staates regelrecht verschaukelt wurden - denken wir nur an die radikale Privatisierung unserer Betriebe in Stadt und Land durch die Treuhandanstalt, an deren Spitze eine Frau Breuel stand, die sich dabei durch besondere Brutalität hervortat. Bekanntlich fielen die westlichen Firmen wie die Aasgeier über unsere volkseigene Wirtschaft her und übernahmen die Betriebe oft nur, um riesige Subventionen zu kassieren bzw. steuerliche Begünstigungen zu erhalten und die Betriebe dann zu liquidieren.
Den Befürwortern der gigantischen Einheitswippe sollten wir bei den Veranstaltungen ihrer Parteien vor der Bundestagswahl die sinnlose Geldverschwendung vor Augen führen. Die vorgesehene riesige Summe könnte man im gesamtgesellschaftlichen Interesse besser für soziale Zwecke oder das Bildungswesen verwenden.

Heinz Behrendt, Plauen/Vogtland


Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel meint, uns gehe es ja gut, dann ist es ein Schlag ins Gesicht derer, die von Hartz IV leben müssen oder von der Grundsicherung. Und wenn man die vielen Obdachlosen sieht, frage ich: Wem bitte geht es gut? Dieses Land ist eins der reichsten, und dennoch sind nicht wenige Menschen von Armut betroffen. Das ist eine Schande! Wer Kinder- und Altersarmut oder die allgemeine Armut leugnet, macht es den drei Affen nach - nichts hören, nichts sehen und nichts sagen ... Wer Armut verhindern will, muß für eine Umverteilung des Reichtums von oben nach unten sorgen und Steuergelder für mehr soziale Gerechtigkeit anstatt für Aufrüstung einsetzen.

René Osselmann, Magdeburg


Ich beschäftige mich in letzter Zeit mit der zehnbändigen "Kriminalgeschichte des Christentums" von Karlheinz Deschner (1924-2014).
Die Entwicklung des Christentums von seiner Urform begann in dem Moment kriminelle Formen anzunehmen, als es um 312 nach Chr. umgewandelt wurde zur Institution Kirche, besonders der katholischen. Die Herausbildung dieser Institution war keineswegs einheitlich. Viele sich als christlich bezeichnende Sekten stritten sich - einfach ausgedrückt - wie die Kesselflicker um die richtige Deutung und Auslegung der Botschaften und Handlungen von Jesus, Paulus und anderen Heilsbringern. Jeder beanspruchte auf seine Weise das alleinige Recht auf die Wahrheit. Und das taten sie nicht etwa mit geistreichen Disputationen, sondern mit brachialer Gewalt, mit Lug und Trug, mit Intrigen, Mord, Totschlag, Brand, Vergewaltigung, Folter und Kriegsverbrechen. Deschner beschreibt diese Entwicklung akribisch, nennt Namen, Daten und Tatbestände. Dabei handeln sowohl Bischöfe, Päpste, Könige und Kaiser von Anbeginn an in einer unheiligen Allianz. Die Gründe für dieses unsägliche Vorgehen waren stets - neben der Behauptung, im Besitz der alleinseligmachenden christlichen Wahrheit zu sein - Geld, Gold, Grund und Boden, Immobilien und vor allem Macht. Es sind über Jahrhunderte hinweg die gleichen Mittel und Methoden der damaligen klerikalen und monarchischen Herrscher, mit denen sich der Kapitalismus müht, seinen Ewigkeitsanspruch durchzusetzen. Christentum und Kapital bilden eine Symbiose.

Siegfried Wunderlich, Plauen


Zu Hermann Jacobs: Sozialismus "mit oder ohne Wertgesetz"? (RF 232)
Hermann Jacobs ordnet in seinem Beitrag dem Geld und damit dem Wertgesetz ausschließlich die Funktion zu, eine "nach dem Leistungsprinzip regulierte Verteilung an Individuen" zu vermitteln. Im weiteren hält er es für gut, daß sich in der DDR mit den unmittelbaren Geldeinahmen der Betriebe kein ökonomisches Recht mehr verband.
Daraus ergeben sich eine Reihe Fragen: Warum soll das Leistungsprinzip ausschließlich auf Individuen angewandt werden, statt auf Betriebskollektive, wo doch der kollektive Charakter der Arbeit stetig zunimmt? Wie soll eigentlich die individuelle Leistung gemessen werden, wenn vom Ergebnis des Kollektivs abstrahiert wird? Gibt es im Sozialismus etwa nicht gut und schlecht arbeitende Betriebe? Muß nicht ein Anreiz dafür sorgen, daß die Werktätigen sich Sorgen ums Ganze machen, statt zu sagen: Diese Havarie ist nicht meine Schuld?
Insbesondere die Rolle der betrieblichen Leiter steht hier in Frage. Wie will ich deren individuelle Leistung be"wert"en, ohne das betriebliche Ergebnis in Betracht zu ziehen? Es ist daher auch kein Zufall, daß die Rolle des Marktes und damit des Wertgesetzes im Sozialismus im Rahmen der Reformen zum Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft rehabilitiert wurde.

Witold Fischer, Jena


Die Diskussion "Sozialismus 'mit oder ohne Wertgesetz'" ist mir angesichts der praktischen Erfahrungen beim Aufbau des Sozialismus zu theoretisch. Hier stehe ich ganz bei der Zuschrift von Helmut Müller zur Rede von Egon Krenz, in der vor Vereinfachung gewarnt wird. Die wichtigste Erkenntnis Lenins war, daß die Wirtschaft ohne Warenproduktion, ohne Geld und ohne marktwirtschaftliche Kräfte nicht aufgebaut werden kann. Damit brach er mit der Vorstellung, daß die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft mit der Abschaffung der Warenproduktion verbunden sei. Lenins Anhänger verstanden ihn nicht mehr: Statt die Warenproduktion abzuschaffen, trat er für die Entfaltung des Marktes, die Stabilisierung der Geldzirkulation und die Wiederzulassung kapitalistischer Unternehmen ein!
Die Autonomie der Betriebe sah Lenin als Voraussetzung an, damit die staatliche Planung funktioniert, wie in seiner Schrift "Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" nachzulesen ist. Also: Das sozialistische Eigentum wird zunächst vom Staat lediglich verwaltet, indem er die "Garantie für die ökonomische Selbstbefreiung und Selbstentwicklung der Werktätigen übernimmt". Deshalb ist "Staatseigentum" nicht zugleich "Staatsbesitz" an den Produktionsmitteln. Der Staat verhindert damit nur, daß Sonderinteressen einzelner geltend gemacht werden, und sichert den Übergang ins genossenschaftliche Eigentum.
Das Staatseigentum erfüllt seine sozialistische Funktion auch oder erst recht, wenn es nicht die einzige Eigentumsform ist, wenn es richtig realisiert wird, d. h. eine richtige Verbindung von Eigentum und Arbeit und eine Teilhabe des Produzenten an der Aneignung hat.
Die Marktgesetze bleiben daher für längere Zeit relevant, da der Warenverkehr im Wirtschaftsverkehr der verschiedenen Eigentumsformen fortbesteht.

Horst Joachimi, Berlin


Anstatt sich erneut auf einen schon bisher ergebnislos verlaufenen Streit einzulassen, wäre es vielleicht doch sinnvoller, zunächst nochmals auf Vorgaben zurückzugreifen, die uns der Wissenschaftliche Sozialismus zu diesem Thema überliefert hat, zusammengefaßt: "Also I. 'lange Geburtswehen'; II. 'erste Phase der kommunistischen Gesellschaft'; III. 'höhere Phase der kommunistischen Gesellschaft' ". (Lenin, Marxismus und Staat, Berlin 1960, S. 47)
Wir haben es demnach mit einer einheitlichen, in sich identischen Gesellschaftsformation ("Kommunismus", "kommunistische Gesellschaft") zu tun, deren Phasen sich im wesentlichen nur durch das Verteilungsprinzip unterscheiden. Ihr vorgelagert und ausdrücklich davon abgehoben sind "lange Geburtswehen", mit anderen Worten eine Übergangsphase oder Zwischenstadium, das sich logischerweise nur aus Elementen der alten und Elementen der zukünftigen Gesellschaft zusammensetzen kann. Ökonomisch gesprochen würde es sich dann um eine Kombination des kapitalistischen Wertprinzips ("Kapitalismus") einerseits mit dem sozialistischen Planprinzip andererseits handeln. In seiner optimalen Kombination ergibt das - politisch einen Staat vom Sowjettypus vorausgesetzt - den "Staatskapitalismus der außergewöhnlichen Art" (Lenin), wie er sich sowohl während der NÖP-Periode in der Sowjetunion als auch in der VR China, seit der Einführung der "sozialistischen Marktwirtschaft", voll bewährt hat.
Nebenbei bemerkt: Falls man der Dialektik treu bleiben, also keine Konzessionen an das altmetaphysische Identitätsprinzip (a = a) machen will, muß man sich schon zu der Einsicht bequemen: Kapitalismus ist nicht gleich Kapitalismus.
Angesicht der historischen Erfahrungen eines halben Jahrhunderts, die Pariser Kommune eingerechnet, sah sich Marx zu einem letzten Wort über die historische Perspektive veranlaßt, das man durchaus als eine Mahnung verstehen kann: Die Arbeiterklasse hat "keine fix und fertigen Utopien durch Volksbeschluß einzuführen ...", sie hat "lange Kämpfe, eine ganze Reihe geschichtlicher Prozesse durchzumachen, durch welche die Menschen wie die Umstände gänzlich umgewandelt werden". (MEW 17, 343)

Dr. Manfred Höfer, Leipzig


Zur Rede von Egon Krenz über die Gründe unserer Niederlage, RF 228 und 229:
Zu dieser Rede veröffentlichte der "RotFuchs" im Mai einen Leserbrief von Horst Nörenberg aus Potsdam, zu dem ich mich äußern und folgende Details in Erinnerung rufen möchte:
- Das Politbüro der SED hatte auf einer Sitzung am 26. Juli 1968 über eine Umbewertung der Erzeugerpreise entsprechend dem tatsächlichen Aufwand, was eine Erhöhung der Konsumgüterpreise zur Folge gehabt hätte, beraten. Walter Ulbricht konnte sich damit nicht durchsetzen.
- Trotz der beeindruckenden Entwicklung der DDR-Ökonomie mit Hilfe marktwirtschaftlicher Elemente widersetzte sich Erich Honecker der Industriepreisreform 1964, der größten und tiefgreifendsten ökonomischen Operation im Rahmen des Neuen Ökonomischen Systems.
- Die Bedeutung der Arbeitsproduktivität wurde von Zeit zu Zeit in der Öffentlichkeit wohl erwähnt, ihr Stellenwert im Kampf um Fortbestand oder Untergang unseres Staates aber hat man dort, wo Beschlüsse gefaßt wurden, nie wirklich erkannt. Kompetente Ökonomen der DDR kamen nicht zu Wort.
- Die Haltung zum Volkseigentum konnte im Bewußtsein der Werktätigen niemals gefestigt werden.
- Seit Mitte der 70er Jahre setzte mit der Einführung der Mikroelektronik eine Wende ökonomischer Art ein. Bis dahin wettbewerbsfähige Erzeugnisse des Maschinenbaus konnte die DDR-Wirtschaft kaum noch absetzen, und wenn, dann nur über den Preis, was ein Verlustgeschäft für unser Land war.
Später stellte Erich Honecker einen Mikrochip des Kombinats Robotron der Presse vor. Die DDR unterhielt Geschäftsbeziehungen zu Toshiba in Japan, ein führender Produzent der Mikroelektronik. Auf die Frage, ob der Konzern der DDR nicht mit Know-how helfen könne, kam eine positive Antwort. Man einigte sich darauf, daß die DDR den geforderten Preis von 20 Millionen US-Dollar bezahlte. Im Gegenzug konnte wenig später der Chip offeriert werden. Solche Geschäfte sind im Kommerz nicht verwerflich, doch die Öffentlichkeit hätte darüber informiert werden müssen, um nicht ein falsches Bild zu zeichnen.
- Im Oktober 1981 wandte sich Leonid Breschnew an Erich Honecker und informierte ihn über den ökonomischen Zustand der UdSSR, die er mit den Verhältnissen von 1918 verglich, wie Egon Krenz darlegte. Mit dem Wissen um diese Dinge, die Belastungen durch das Wettrüsten, den NATO-Doppelbeschluß, die Embargo-Politik usw. hätte man spätestens zu diesem Zeitpunkt grundlegende Schlußfolgerungen im RGW ziehen müssen.

Wolfgang Schröder, Schöneiche


In der Rede Egon Krenz' zu den Gründen unserer Niederlage werden diese m. E. nicht klar genug benannt. Im Sozialismus ist das Ziel der Produktion die Bedürfnisbefriedigung, nicht wie im Kapitalismus, wo der Markt Angebot und Nachfrage regelt. Der Preis der Waren hätte den Aufwand an vergegenständlichter Arbeit widerspiegeln müssen. Das aber hat er nicht einmal ansatzweise getan. Die Folge künstlich niedrig gehaltener Preise ist der Verlust an Wertschätzung des gestützten Produkts, wie wir es in der DDR erlebten. Mit der Politik der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik und dem Wohnungsbauprogramm als dessen Kern hat sich die DDR übernommen. Wir haben damit unsere Maschinen aufgefressen, statt in Produktion wurde in Konsumtion investiert. Walter Ulbricht war klar, daß der Sozialismus vor allem eine starke ökonomische Basis braucht, deshalb der Versuch, mit der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP) unser Land weiterzuentwickeln. Doch die Verantwortung dafür, daß dieser Versuch abgebrochen wurde, liegt im wesentlichen bei der sowjetischen Führung in Moskau, für welche die DDR letztlich zum Handelsobjekt wurde. Die fehlende innerparteiliche Demokratie in der KPdSU führte schließlich dazu, daß sich in der Sowjetunion eine Schattenwirtschaft entwickeln konnte, die, als sie stark genug war, auch den Anspruch hatte, sich durchzusetzen.
All das zeigt, daß die Kaderpolitik in Verbindung mit der Entwicklung der sozialistischen Demokratie entscheidend ist für den Erfolg.

A. Zahn, München


Zu Renate Fausten: Raúl Castro, RF 232
In der Rezension des Buches "Raúl Castro - Revolutionär und Staatsmann" lese ich: "Volker Hermsdorf zeigt auf, wie Raúl Castro dadurch, daß er den Revolutionären Streitkräften schon in den 60er Jahren über die Verteidigung des Landes hinaus Aufgaben in der landwirtschaftlichen Produktion und bei der Unterstützung des Tourismus und staatlicher Betriebe zugewiesen hatte, die Grundlagen für das Überleben Kubas in der sogenannten Sonderperiode nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion legte."
Es ist unstrittig, daß die landwirtschaftliche Produktion die Basis des menschlichen Lebens ist - ganz unabhängig vom gesellschaftlichen System eines Landes. Die Meinung, daß eine militärische "Sonderwirtschaftszone Landwirtschaft" das "Überleben" eines Volkes sichert, halte ich für sachlich nicht korrekt. Im Fall Kubas waren und sind die von der FAR bewirtschafteten Farmen voll damit ausgelastet, die Streitkräfte und die "Nomenklatura" mit Lebensmitteln zu versorgen. Der Rest der Bevölkerung mußte auch schon in den 90er Jahren sehen, wie er über die Runden kommt.
Was der politische Zusammenbruch der Sowjetunion mit dem Fortbestehen der landwirtschaftlichen Produktion in Kuba zu tun hat, läßt sich ebenfalls nicht in einem Satz darstellen. So wie es in der Rezension steht, könnte man auf den Gedanken kommen, daß die kubanische Landwirtschaft vollständig von der Sowjetunion abhängig war. So war es aber nicht.

Dr. agr. Hermann Wollner, Berlin


Die Geschichte hat uns gelehrt, daß soziale Veränderungen für die Mehrheit der Menschen nur dann möglich sind, wenn sich das Wahlprogramm konsequent auf das Fundament des gültigen Parteiprogramms bezieht. Das Taktieren und Abwägen, inwiefern Kompromisse mit einem zukünftigen Koalitionspartner eingegangen werden können, nützt einer linken Partei nur dann, wenn sie ihr festgeschriebenes Ziel, nämlich die Überwindung des Kapitalismus, nicht aus den Augen verliert. Das seit Jahren andauernde Verschleudern von gesellschaftlichem Eigentum, aufgrund leerer kommunaler Kassen, läßt selbst den Traum Sahra Wagenknechts von der Wiederherstellung einer "sozialen Marktwirtschaft" zur Utopie werden. So ist auch die Chance unserer Parteiführung in weite Ferne gerückt, sich mit dem Sofortprogramm der DKP, einem für jedermann verständlichen und konsequenten Programm als Alternative, in einem Bündnis gemeinsam auf den Weg zu machen.

Peter Dornbruch, Schwerin


Erstmalig nach der politischen Wende trafen sich aus gegebenem Anlaß Zöllnerinnen und Zöllner der Dienststelle Seifhennersdorf/Oberlausitz. Der Anlaß lag fünfzig Jahre zurück.
Am 1. Mai 1967 hob sich 22 Jahre nach dem 2. Weltkrieg ein neu errichteter Schlagbaum zwischen dem tschechischen Industrieort Varnsdorf und dem bevölkerungsreichsten Dorf der DDR - Seifhennersdorf. Ich war - damals schon mit guten Tschechischkenntnissen - und Abonnent der Zeitschriften "Tschechoslowakei für Sie" und "Motor-Revue" natürlich mit meiner CZ 175 unter den Augenzeugen. Ein halbes Jahrhundert später trafen sich die aktivsten und leidlich gesunden "Filzstifte", so die landläufige Bezeichnung von Zöllnern, am 28. April 2017 an ihrer ehemaligen Arbeitsstelle. Wieviel deckungsgleiche Erinnerungen kamen dabei hoch, beginnend von der Wohnungsvermittlung bis hin zum Familienurlaub: die Grenzlage meines Arbeits- und Heimatortes, die landschaftlichen Schönheiten des südlich gelegenen Nachbarlandes und die geknüpften Freundschaften zu Fachkollegen der Textilmaschinenbauer-Zunft ließen mich die Staatsgrenze dutzendmal privat und dienstlich passieren. Komischerweise nie problembehaftet - und doch mit kleinen privaten Tricks, von denen ich mittlerweise weiß, daß sie erfahrenen Zöllnern allesamt bekannt waren.

Arndt Bretschneider, Dresden


Seit März habe ich Gelegenheit, den "RotFuchs" zu lesen. Mit Freude stellte ich fest, daß die Schriftstellerin Gisela Steineckert einen festen Platz bei Euch hat. Seit vielen Jahren schmücken ihre Werke mein Bücherregal.
Ich gratuliere dem "RotFuchs" dazu, daß monatlich Beiträge von ihr erscheinen. Es ist eine große Bereicherung! Ihre Sprache ist ausdrucksstark und wird bis heute von DDR-Bürgern verstanden - auch das, was oft unausgesprochen zwischen den Zeilen steht.

Brigitte Topfstädt, Berlin


Vor kurzem habe ich das Buch "Eiszeit" von Eberhard Panitz gelesen. Heute schreiben wir das Jahr 2017, und die Gefahr, in die Eiszeit zurückkatapultiert zu werden, ist allgegenwärtig. Wie aber hat er bereits 1983 ein solches die gesamte Menschheit betreffendes Atomkriegs-Untergangsszenario beschreiben können?
Warum ist dieses Buch nicht in der Öffentlichkeit diskutiert worden? Ich hatte nie davon gehört oder gelesen, obwohl ich aufmerksam alle Neuerscheinungen verfolge. Andere Produktionen von Panitz haben einen großen Bekanntheitsgrad. Bei der letzten Zusammenkunft der AG Senioren bei der Linken habe ich nachgefragt, niemand wußte davon. Zur Herbstmesse 2016 war es unter den Neuerscheinungen im ND angezeigt, also ist es neu aufgelegt worden. Ich bestellte es. Es dauerte Wochen, bis ich es bekam, und dann war es die DDR-Ausgabe vom Mitteldeutschen Verlag, die die Buchhändlerin in einem Antiquariat aufgetrieben hatte. Ich würde gern mit Eberhard Panitz reden. Nicht nur über die "Eiszeit", auch über unsere Zeit, über die "Wende" und was sie mit sich brachte, und über die Gefahren, denen wir heute ausgesetzt sind. Aktueller kann ein Buch nicht sein. Dank an Eberhard Panitz! Dieses Buch brennt sich ein. Ich habe Tage gebraucht, um mein Gleichgewicht nach diesem Leseerlebnis wiederzugewinnen. Man sollte es in alle Sprachen übersetzen und jedem zu lesen geben. Noch ist es nicht zu spät.

Beate Bölsche, Brielow


Im Juli 2016 hat Eberhard Panitz sein 1983 in der DDR erschienenes Buch überarbeitet, ergänzt und aktualisiert. Bis über das Jahr 1989 hinaus und bis heute ist diese Geschichte unwirklich geblieben. Sie muß unwirklich bleiben!
Die Neufassung ist im Verlag Wiljo Heinen erschienen und unter der ISBN 978-3-95514-028-1 lieferbar (216 S., 14 €). RF


Zu R. Richter: Die Blockade ..., RF 229
Das Buch "871 Tage" kann man nicht wieder weglegen, wenn man mit dem Lesen begonnen hat. Es hat mich erschüttert und gleichzeitig beschämt, ein Deutscher zu sein, obwohl ich der nächsten Generation angehöre.
Das Foto auf dem Cover zeigt ein kleines Mädchen mit der großen Schleife im Haar (Ninel Koribskaja), die festgehalten hat, was damals während der Leningrader Blockade geschah - ein Dokument, das die Erinnerung wachhält und die Heutigen mahnt.
Ich war vor etwa fünfzig Jahren einige Monate in Leningrad, habe dort auch an einem Vortrag über die Heldentaten der Bevölkerung während der 871 Belagerungstage teilgenommen. Das Gehörte und Gesehene hat mich damals emotional bewegt, aber nicht so sehr wie das Lesen dieses Buches. Es ist unvorstellbar, daß die Menschen zur Zeit der Blockade um jeden Krümel Brot, jede Schöpfkelle Grütze und jede Tasse Suppe kämpfen mußten, um nicht zu verhungern. Selbst Tafelleim wurde zu Sülze gemacht. Millionen haben das Martyrium nicht überlebt.
Voller Stolz erfüllt die Leningrader noch heute, daß die faschistische Armee die Stadt Leningrad nicht einnehmen konnte.

Johann Helbig, Rostock


Vor einiger Zeit las ich im "PreußenSpiegel" eine kleine Notiz, die mich empörte. Es wurde mitgeteilt, daß eine Kreuzung an der Rosa-Luxemburg-Straße in Potsdam nun den Namen des früheren Bundeskanzlers Konrad Adenauer trägt. Vor Jahren gab es noch heftigen Protest gegen dieses Vorhaben - damals mit Erfolg.
Still und heimlich wurde diese Benennung nun vorgenommen. Die Stadtverwaltung wolle, wie sie mitteilte, an einen "herausragenden Politiker" erinnern - der allerdings seinerzeit als Oberbürgermeister wegen Untätigkeit von den amerikanischen Besatzern aus dem Amt entfernt wurde. Als Kanzler standen ihm dann alte Nazigeneräle bei seinen Plänen zur Wiederaufrüstung und Militarisierung der BRD zur Seite. Es ist für mich nicht nachzuvollziehen, weshalb nun ein Platz in unserer Stadt nach ihm benannt wurde.

Elke Prieß, Potsdam

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RotFuchs Nr. 234, 20. Jahrgang, Juli 2017
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2017

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