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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1243: Münchner Sicherheitskonferenz - Mehr Waffen, mehr Soldaten


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Mehr Waffen, mehr Soldaten

Die Münchner Sicherheitskonferenz 2009 diskutierte
einen erweiterten Interventionsbegriff

Von Paul B. Kleiser


Alljährlich führt die sog. "Sicherheitskonferenz", die dieses Jahr erstmals nicht mehr vom Kohl-Berater und BMW-Lobbyist Horst Teltschik, sondern von Wolfgang Ischinger geleitet wurde, etwa 400 bis 500 Politiker, Wissenschaftler, Militärs und Rüstungslobbyisten im Münchner "Bayrischen Hof" zusammen. Es handelt sich um eine Art Davos der außen- und sicherheitspolitischen Strategen, eine Gelegenheit, in zwangloser Atmosphäre Interessen der verschiedenen Länder und ihrer "Eliten" zu verhandeln. Auch die politischen und sozialen Verwerfungen im Gefolge der Wirtschaftskrise spielten diesmal eine große Rolle.

In den Hinterzimmern trafen sich die Lobbyisten der Deter AG (Geschütze), Diehl (Lenkwaffen), EADS (Flugzeuge, Hubschrauber und militärisches Gerät), General Dynamics (Panzer), Howaldswerke (U-Boote), Kraus Maffei (Panzer), Lockheed Martin (Flieger und Raketen), Rheinmetall (Panzer, Haubitzen, Gewehre), Rhode & Schwarz (Elektronik), Thales International (Panzer) usw., um "Atmosphäre zu schaffen" und die anwesenden Politiker (Frauen waren weniger anwesend) von ihren neuesten Kreationen zu überzeugen.

An solchen Tagen gleicht München einer Festung: Mit einem riesigen Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern und Hunden werden dann große Teile der Innenstadt abgeriegelt und können nur mit Sonderausweisen betreten werden. Seit einigen Jahren ist die Konferenz Anlass für zahlreiche Gegenveranstaltungen und Demonstrationen der Friedensbewegung; an der recht bunten Großdemonstration beteiligten sich heuer etwa 6000 Menschen.

Der Aufruf des Aktionsbündnisses gegen die NATO-"Sicherheitskonferenz" wurde in diesem Jahr von den Grünen in Bayern nicht unterzeichnet, weil darin die Auflösung der NATO und der Rückzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan gefordert wurde. Ein weiterer wunder Punkt war die Verurteilung des israelischen Angriffs auf Gaza; der Münchner Bundestagsabgeordnete der Grünen, Jerzy Montag, nannte sie nach Art der Stellungnahmen der israelischen Botschaft "antisemitisch".


Das deutsch-französische Papier

Die 45. Sicherheitskonferenz (früher "Wehrkundetagung"), die vom 6. bis 8. Februar 2009 stattfand, stand einerseits im Schatten der Neugier auf die strategische Neuausrichtung der US-amerikanischen Regierung, für die Vizepräsident Joe Biden an der Konferenz teilnahm. Er betonte die Notwendigkeit des "Multilateralismus" und der "Zusammenarbeit mit den Partnern" in wesentlichen Wirtschafts- und Sicherheitsfragen. Andererseits diente das Treffen auch als zwanglose Gesprächsbörse zur Austarierung der Interessen im Hinblick auf die im April in Straßburg stattfindende NATO-Jubelfeier zum 60-jährigen bestehen der Allianz.

Im Vorfeld der Konferenz hatten der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Angela Merkel ein gemeinsames Papier vorgelegt, in dem - nach den schlechten Erfahrungen der Bush-Ära und dem Debakel des Irakkriegs - eine "Überarbeitung der Strategie des Verteidigungsbündnisses" (der NATO) angemahnt wird, wobei eine "Kombination von zivilen und militärischen Mitteln für Deutschland und Frankreich von besonderer Bedeutung" sei (alle Zitate nach der Dokumentation der SZ zur SiKo vom 4.2.2009).

Das Treffen anlässlich des NATO-Jubiläums, welches erstmals von zwei Ländern ausgerichtet wird, solle dazu genutzt werden, eine "Diskussion ohne Scheuklappen zur sinnvollen Transformation und Neuausrichtung der Allianz zu führen". Sicherheitspolitik müsse heute im erweiterten Sinne verstanden werden: "Dazu gehören neben den Fragen der militärischen Sicherheit Fragen der weltweiten Finanzarchitektur ebenso wie die Energieversorgung oder die Migration. Wir müssen unsere Instrumente entsprechend anpassen und zur Bewältigung von Krisen und Konflikten globale, flexible und vernetzte Ansätze nutzen."

Die europäische Sicherheit beruhe auf "drei Dimensionen", nämlich der engen deutsch-französischen Zusammenarbeit, der europäischen Integration und der "atlantischen Partnerschaft". Die beiden Länder seien sich einig, dass die NATO weltweit ("außerhalb ihres Bündnisgebiets") agieren können soll, wenn es um die Sicherheit der Rohstofflieferungen oder der Handelswege oder um den "Kampf gegen den Terrorismus" geht, doch sollten diese Möglichkeiten nicht überdehnt werden. Insbesondere müsse man mit Russland zu einem vernünftigen Modus vivendi kommen. Denn für die "Europäer" ist "Russland als Nachbar und Partner unverändert von großer Bedeutung". Will heißen, dass die US-Unterstützung der georgischen Regierung in ihrem Versuch, die abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien wieder unter die Fuchtel von Tiflis zu bringen, kontraproduktiv war und dass man derzeit eine Aufnahme von Georgien und der Ukraine in die NATO kritisch sieht, weil dadurch wirtschaftlich bedeutsame Vereinbarungen mit Russland verschoben oder ganz verhindert werden könnten.

Das deutsch-französische Papier erklärt unumwunden, man müsse am "Grundsatz der nuklearen Abschreckung festhalten". Allerdings seien die Arsenale viel zu groß, es könnten und müssten also Abrüstungsschritte unternommen werden (Barack Obama vertrat kürzlich in einer Stellungnahme eine ähnliche Position). Die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen den USA und Russland über eine Verringerung der Nuklearrüstung wird ausdrücklich unterstützt.

Bedroht werde das "Regime der Nichtverbreitung" durch das iranische Nuklearprogramm. In Übereinstimmung mit der Haltung der neuen amerikanischen Regierung werde man auf die iranische Bedrohung "mit einem mehr an Dialog" reagieren, erforderlichenfalls aber auch mit "neuen, sehr entschlossenen Sanktionen". Der iranische Vertreter Ali Larijani erklärte, sein Land sei prinzipiell zu einem solchen Dialog bereit, allerdings "ohne Vorbedingungen".

Die nunmehr auch von Frankreich gewünschte engere Zusammenarbeit zwischen der EU und der NATO scheiterte bisher an den Positionen der Türkei, die in der Zypernfrage nicht klein beigeben will. Auch hat der Gazakrieg die Bemühungen der Europäer gestört, die Türkei als Vermittler zwischen Israel und den Arabern vorzuschicken. Der unverhüllte und öffentliche Streit zwischen Erdogan und Peres zeugt von der ebenso selbstgerechten wie autistischen Haltung der gegenwärtigen israelischen Führung.


Der afghanische Sumpf

Ein wichtiger Tagesordnungspunkt war die Lage in Afghanistan, dessen Präsident Hamid Karsai in München weilte. Doch auf der Konferenz wurde, wie die Zeit vom 12.2. schrieb, schnell klar, dass der "einstige Hoffnungsträger im Krieg gegen den Terror" "nicht mehr der Favorit des Westens ist". Ob Washington einen glaubwürdigen Ersatz für die nun für August vorgesehenen Wahlen auftreiben kann, steht in den Sternen.

In Afghanistan wussten bei Karsais Wahl alle, dass er ein Mann der USA ist (immerhin hat er 50 Marines als Personenschutz). Aber nach dem Sturz der Taliban erhofften sich die Menschen nach 30 Jahren Krieg von ihm und seinen Beziehungen Frieden und Gelder für den Wiederaufbau. Und Karsai, dessen Machtbereich schon früher kaum über Kabul hinausreichte, verstand es meisterhaft, sich im Westen als Hoffnungsträger der geschundenen Nation zu verkaufen.

In Wirklichkeit war er der Eckstein eines Systems von Korruption und Herrschaft der Drogenbarone und Warlords vor allem aus der Nordallianz; seine Funktion als Paschtune war die Einbindung von Stammesführern aus dem Süden des Landes. Als die Taliban immer mehr erstarkten, richtete er verschiedentlich Appelle an deren Führer "Bruder Mullah Omar" und bot dem gemäßigteren Teil die Integration ins zivile Leben - also einen Anteil an den Fördergeldern plus sicheres Geleit - an. Das Gelächter der Taliban über den "Oberbürgermeister von Kabul" war bis nach Europa zu hören.

Die Karsai-Sippe steckt tief im afghanischen Sumpf. Sein Bruder Ahmad, Chef des Provinzrats von Kandahar, gilt als führender Drogenbaron. Ein anderer Bruder hat sich die Zementfabrik in Pul i Kumri unter den Nagel gerissen und sich außerdem größere Ländereien angeeignet, die dem Staat gehören. Ein weiterer Bruder fuhr vor ein paar Wochen in Kabul fünf Menschen zu Tode, ohne auch nur anzuhalten.

In der Regierung Karsai sieht es genauso aus: Sein Stellvertreter Karim Khalili hat im Krieg Tausende unschuldige Menschen umgebracht, dasselbe gilt von Ismael Khan, dem Energieminister, oder von Rashid Dostum, dem Stabschef der afghanischen Armee. Und einen in den USA verurteilten Drogenhändler, Izzatullah Wasifi, hat man zum Chef der Korruptionsbekämpfung befördert.

Auf der Konferenz war hinsichtlich Afghanistans von einer "neuen Sicherheitsstrategie" die Rede, die weniger auf militärische Aktivitäten und mehr auf den zivilen Aufbau setzen solle. Außerdem sollen die Autoritäten vor Ort mehr eingebunden werden. Dies ist schon seit längerem offizielle deutsche Politik im Norden des Landes, doch auch bei den deutschen Geldern für Afghanistan fließen fast 90% ins Militär.

Präsident Obama hat Truppenverlegungen aus dem Irak nach Afghanistan angekündigt, so als würde ein massiverer Einsatz von Soldaten die Lage noch wenden können. Dies ähnelt in vielem der Strategie von General Westmoreland im Vietnamkrieg, der den Krieg auch mit einer doppelten oder dreifachen Anzahl von Soldaten gewinnen wollte.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 24. Jg., März 2009, Seite 3
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2009