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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1322: Neue Kriegermentalität mit alten Wurzeln


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 - Oktober 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Bundeswehr
Neue Kriegermentalität mit alten Wurzeln

Von Inge Höger


Im Rahmen ihres Afghanistaneinsatzes greift die Bundeswehr auf alte Wehrmachtstraditionen zurück. Vor allem die Division "Brandenburg" wird den Bundeswehrsoldaten in einem Handbuch als traditionsstiftend vorgehalten, als Beispiel für "Kameradschaft und Korpsgeist" für "unkonventionelle" Vorgehensweise, "Raffinesse" und "Fähigkeit zur Gegnertäuschung". Nur dem massiven Einsatz u.a. der Bundestagsabgeordneten Inge Höger ist es zu verdanken, dass diese Passagen jetzt zurückgezogen wurden.


Nach derzeitigem Stand sind bereits 35 Bundeswehrsoldaten im Afghanistankrieg ums Leben gekommen, außerdem Dutzende, durch direktes Handeln von Soldaten der Bundeswehr getötete, afghanische Zivilisten. Seit einiger Zeit wird auch offiziell von Gefallenen geredet, und die Vermeidung der Bezeichnung "Krieg" für das blutige und tödliche Geschehen in Afghanistan wird allerorts bemängelt.

Seit dem Ende des Faschismus wurde in Deutschland am 8. September 2009 das erste Ehrenmal für gestorbene Soldaten eingeweiht, ein Ort für das Heldengedenken an die neuen Krieger. Kurz zuvor wurde die Tapferkeitsmedaille (wieder) eingeführt. Die Kriegseinsätze werden sogar im Parlament gefeiert: So wurde im Bundestag Ende Juni anlässlich des vor 15 Jahren (am 22. Juli 1994) vom Parlament an die Bundeswehr erteilte Mandat für Auslandseinsätze, mit dem Bundeswehr-Musikkorps feierlich eine Ausstellung eröffnet.

Bei jedem dieser Anlässe gab es Proteste: gegen die Tapferkeitsmedaille, das Ehrenmal, die Ausstellungseröffnung sowie die Rekrutierung von neuen Soldaten gab es Proteste, aber auch gegen öffentliche Gelöbnisse, gegen Werbeauftritte der Bundeswehr auf Marktplätzen, an Schulen und in Job-Centern. Längst nicht alle Menschen wollen diese neue "Normalität" akzeptieren.


Deutschland führt wieder Krieg

Es gibt also vielfältigen und entschlossenen Widerstand gegen die militärische Infrastruktur und Propaganda. Auch vor dem ersten deutschen Massaker seit 1945, das am 4. September westlich von Kunduz auf Befehl eines Bundeswehrkommandanten verübt wurde, war die Brutalität des neokolonialen Krieges in Afghanistan vielen bewusst.

Eine solche Kriegsbeteiligung verändert hierzulande die innergesellschaftliche Realität. Männlich zugeschriebene Werte von Mut und Tapferkeit, von "Opfern für Deutschland" und der Anerkennung der Leistungen "unserer" Soldaten und Soldatinnen im Auslandseinsatz werden zunehmend hoch gehalten.

In der Financial Times Deutschland (18.6.09) wird der Alltag der Soldaten in Afghanistan beschrieben: Verletzungen und Tod, Hinterhalte, Schusswechsel und Sprengladungen. Doch das wird heroisch gewendet: "'Für die Freiheit!', scherzen einige Soldaten, wenn sie sich mit Schutzwesten und bewaffnet mit allem, was sie zum Schießen haben, in ihre gepanzerten Ungetüme setzen, um durch das Mittelalter in den Dörfern ringsherum zu fahren."

Der Anführer der schnellen Eingreiftruppe in Kunduz, Hans-Christoph Grohmann, beschreibt den Stolz seiner Kämpfer auf die professionelle Erfüllung der militärischen Aufgaben: "Einen seiner Offiziere stellt er (Grohmann) so vor: 'Der erste Oberleutnant, der nach 1945 eine Infanterie-Kompanie im Angriff geführt hat.'"

Nicht nur der Stolz auf Angriffsgefechte wird hier deutlich. Die Bundeswehr besteht seit 1955, seit 1994 sind laut Bundesverfassungsgerichtsurteil bewaffnete Auslandseinsätze möglich - warum also das Datum 1945?


Die Wehrmachtstradition

Die Bundesregierung wird auf Anfragen nicht müde, zu wiederholen, dass "die ehemalige deutsche Wehrmacht als Werkzeug der nationalsozialistischen Weltanschauung für die Bundeswehr keine Tradition begründet". Doch die Praxis der Bundeswehr weist auf ein anderes Verständnis hin, das die Bundesregierung zu ignorieren scheint.

Bereits 2007 wurde die Bundesregierung durch eine Anfrage von Ulla Jelpke, mir und weiteren linken Abgeordneten auf Kommandeure deutscher Sondereinheiten aus Militär und Polizei (GSG9, KSK) aufmerksam gemacht, die in der Spezialdivision "Brandenburg" der Wehrmacht ein Vorbild sehen.

Im Buch Geheime Krieger - drei deutsche Kommandoverbände im Bild, das 2006 im rechtsextremen Verlag Pour le Mérite erschien, bezeichnen General a.D. Reinhard Günzel (Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr) und General a.D. Ulrich K. Wegener (GSG9 des damaligen Bundesgrenzschutzes) die Division "Brandenburg" als traditionsstiftend für die von ihnen angeführten Spezialeinheiten. Günzel: "Die Kommandosoldaten des KSK wissen genau, wo ihre Wurzeln liegen. Die Einsätze der 'Brandenburger' ... gelten der Truppe geradezu als legendär." Wegener sieht vor allem "Kameradschaft und Korpsgeist der 'Brandenburger'" als vorbildhaft, sowie die "unkonventionelle" Vorgehensweise, die "Raffinesse" und die "Fähigkeit zur Gegnertäuschung".

Die Division "Brandenburg" war eine terroristische Sondereinheit der Wehrmacht, die hinter den feindlichen Linien eingesetzt wurde und zahlreiche Kriegsverbrechen und Massaker besonders im Kampf gegen Partisanen beging. Ihre Kampfweise war auch durch das damalige Kriegsvölkerrecht nicht gedeckt und schloss bspw. das Tragen gegnerischer Uniformen ein.

Selbst in den Ausbildungshandbüchern der Bundeswehr sind Wehrmachtstexte abgedruckt. Um Soldaten in Kampfstimmung zu versetzen, werden Lieder und Kriegsgeschichten der Wehrmacht eingesetzt. Diese sind in Büchern wie "Einsatznah ausbilden" und "Üben und Schießen" zu Hunderten abgedruckt, wie die Magazinsendung Kontraste aufdeckte. Ein Soldat, der anonym bleiben will, bezeugt: "Problematisch ist, dass das einige Soldaten, ich sag mal, geil finden, wenn sie das dann verwenden und sagen, damals wurde heroisch gekämpft. Das ist natürlich für ein Klientel, das äußerst rechts politisch orientiert ist, ein gefundenes Fressen."


Der "Wegweiser" der Bundeswehr

An alle im Rahmen von ISAF in Afghanistan eingesetzten Bundeswehrsoldaten wird das Buch Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan ausgegeben, das Artikel zur Geschichte und Kultur des Landes enthält. Dieses Handbuch wird vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr (MGFA) erstellt. Nach dem proklamierten Selbstverständnis soll darin die "Militärgeschichte des Nationalsozialismus und die Auseinandersetzung mit dieser" aufgearbeitet und eine "historische Aufklärung der Rolle der Wehrmacht" geleistet werden. Dabei wird besonderer Wert "auf die Sensibilisierung für die Epoche des Nationalsozialismus" gelegt.

Trotzdem wurde man erst durch die Recherche des Nachrichtenmagazins Kontraste Ende April 2009 auf einen Text aus dem Buch aufmerksam, der in selbstgefälliger Weise den Einsatz der "Brandenburger" im "Unternehmen Tiger" 1941-43 in Afghanistan beschreibt - verfasst von einem noch lebenden ehemaligen Angehörigen dieser Division, Dietrich Witzel! Dieser Text wurde daraufhin nicht entfernt, sondern nur leicht gekürzt und geändert sowie mit einem neuen Autorenkürzel versehen. Statt dw für Dietrich Witzel, steht dort nun bc für Dr. Bernhard Chiari, Mitarbeiter des MGFA.

Dietrich Witzel will bis heute von Verbrechen der Wehrmacht nichts wissen - für ihn sind sie ein "Seiteneffekt", und er ist gerne gesehen in rechten Kreisen.

Auch bei der Bundeswehr ist er offenbar ein willkommener Gast, wie sein Textbeitrag und ein aus seinem Privatarchiv beigesteuertes Foto im Wegweiser Afghanistan zeigen. Das Foto zeigt den Grabstein des Geheimagenten Manfred Oberdörffer, eines Angehörigen der Spezialeinheit "Brandenburg", der 1941 bei der Vorbereitung einer weiteren Angriffsfront gegen Indien starb. Dazu steht im Wegweiser zur Geschichte folgende Bildunterschrift: "Das von der ISAF gepflegte Grab Manfred Oberdörffers auf dem europäischen Friedhof in Kabul."

Das wirft viele Fragen auf, denen ich mit Recherchen und einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung nachgegangen bin. Ein Besuch auf dem Friedhof von Kabul ergab, dass sich die an einer Mauer angebrachten Gedenktafeln für deutsche ISAF-Angehörige und Polizisten, die in Afghanistan ihr Leben verloren, in unmittelbarer Nähe zum Grab des faschistischen Geheimagenten Oberdörffer befinden. Der Friedhof ist groß und diese räumliche Nähe ist auffällig und muss bewusst gewählt worden sein.

Die Bundesregierung wollte die Frage dazu nicht verstehen und antwortete: "Es besteht kein inhaltlicher Bezug zwischen den Gedenktafeln und dem Grab aus dem Zweiten Weltkrieg." Das im Wegweiser zur Geschichte abgebildete Grab zeigt einen auf der Wiese liegenden Grabstein. Doch im letzten Jahr wurde das Grab neu gestaltet und vergrößert. Der Grabstein wurde aufgerichtet, das Grab eingefasst und mit weißen Kieselsteinen aufgefüllt. Daneben wachsen Rosensträucher.

Der Friedhofsgärtner sagt, dass ihn "ein Ausländer" damit beauftragte und ihn bar bezahlte; über die deutsche Auslandsvertretung erhält er 50 Dollar im Jahr für die Pflege der deutschen Gräber. Die Vergrößerung des Oberdörffer-Grabs sei jedoch nicht von der Bundesregierung finanziert worden. Weitere Informationen werden nicht gegeben.

Allerdings besteht die Bundesregierung darauf, dass "in früheren Ausgaben des Wegweisers nicht von 'deutschen', sondern nur von 'ISAF-Soldaten' die Rede [war]", die das Grab von Manfred Oberdörffer pflegen. Wer pflegt also das Grab? Vielleicht niederländische oder polnische ISAF-Soldaten, deren Staaten vor 60 Jahren von der Wehrmacht überrollt wurden? Und warum weist auch nach seiner Überarbeitung der Wegweiser, den alle Soldaten erhalten, die in die ISAF-Mission nach Afghanistan geschickt werden, weiter auf das Grab Oberdörffers hin?

Die Ausbildungshilfen mit Texten und Liedern der Wehrmacht werden nun überarbeitet und in der bisherigen Form nicht mehr in der Ausbildung eingesetzt. Der Wegweiser zur Geschichte - Afghanistan wird in der kritisierten Ausgabe nicht mehr verteilt, eine überarbeitete Neuauflage wurde veranlasst. Nur wegen der Kritik von außen verliert also die positive Bezugnahme auf die Tradition der Wehrmacht an Einfluss.

Statt Ehrungen und gesellschaftliche Anerkennung von soldatischem Einsatz im Krieg - mit oder ohne Bezug auf die Wehrmacht - brauchen wir soziale Bewegungen, die sich konsequent gegen jeden Kriegseinsatz und gegen jedes Militär stellen.


Inge Höger ist MdB für die Partei DIE LINKE.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 24.Jg., Oktober 2009, Seite 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2009