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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1340: DDR - Ein historisch berechtigter Versuch


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

DDR
Ein historisch berechtigter Versuch

Von Edeltraut Felfe


Je mehr der real existierende Kapitalismus Fragen nach Alternativen aufwirft, desto hysterischer wird es zum Pflichtprogramm, die DDR zu verteufeln. Jubiläen sind da besonders geeignet. Dabei geht es, wie schon vor dem Mauerfall bundesstaatlich verordnet, nicht so sehr gegen die Schwestern und Brüder im Osten, als vielmehr gegen "das System". Geschichte stellt sich als Problem der Gegenwart. Dabei sind bei allen subjektiven Erinnerungen historische Tatsachen aufzuarbeiten - und zwar vom Anfang der DDR.


Entnazifizierung

Sofort nach Kriegsende wurden in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) alle Gliederungen des faschistischen Staatsapparats, Medien und Organisationen aufgelöst und verboten. Grundlage waren das Potsdamer Abkommen und Rechtsakte der sowjetischen Militäradministration (SMAD), ab Oktober 1945 auch Gesetze der neuen Landesverwaltungen in ostdeutschen Provinzen.

In ihnen hatten Antifaschisten, die aus Konzentrationslagern, Zuchthäusern und aus der Emigration zurückkehrten, Kommunisten und Sozialdemokraten den bestimmenden Einfluss. Letztlich entschieden die örtlichen sowjetischen Kommandanturen über ihre Zusammensetzung.

Vorausgegangen war am 11.6.1945 der "Aufruf der KPD an das deutsche Volk", in dem die Partei ihre Konzeption für einen antifaschistisch-demokratischen Neuanfang darlegte. Der SPD-Zentralausschuss unter Vorsitz von Otto Grotewohl stimmte dem zu und am 19.6.1945 verabschiedeten beide Parteien ein gemeinsames Aktionsprogramm zur Durchsetzung dieser Ziele. Die ersten Verwaltungen wurden von örtlichen Aktionsausschüssen beider Arbeiterparteien, von Entnazifizierungskommissionen, Antifa-Ausschüssen, kommunalen Beiräten, neu gebildeten Einwohnervertretungen und anderen Formen der Selbstorganisation aus der Bevölkerung unterstützt.

Getragen von einer vielschichtigen Massenbewegung wurde 1945 in Sachsen der Volksentscheid zur Enteignung von Nazi- und Kriegsverbrechern durchgeführt, an dem ca. 94% der Stimmberechtigten teilnahmen; 77,6% stimmten für die Überführung von Betrieben - u. a. von Flick und Siemens - in Volkseigentum.

"Aktivisten der ersten Stunde", Gewerkschafter, gewählte Betriebsräte, Vertreter auch der zugelassenen bürgerlichen Parteien und loyale Fachleute entschieden in Sequesterkommissionen bei den Verwaltungen über beschlagnahmte und unter zeitweiliger Zwangsverwaltung stehende Betriebe oder wurden als Treuhänder eingesetzt.

Bekanntlich haben die westlichen Besatzungsmächte die Umsetzung eines ähnlich manifestierten Volkswillens in ihren Zonen gemeinsam mit den alten Herrschaften verhindert. Die sowjetische Administration hat sie ermöglicht und ihre Durchsetzung gesichert, und dies nicht gegen den Willen der Bevölkerung und nicht ohne schöpferisches Tun aus ihrer Mitte.


Die Bodenreform

Durch die Bodenreform im Herbst 1945 wurden Junker, Kriegsverbrecher und Großgrundbesitzer mit über 100 Hektar Land und dazugehörigem Inventar enteignet; landlose und landarme Bauern, Landarbeiter und Umsiedler erhielten daraus Ackerland, Wiesen und Wälder schuldenfrei übereignet.

Diese gesellschaftliche Umwälzung auf dem Lande wurde von Bodenreformkommissionen durchgeführt. In ihnen arbeiteten in Gemeinden, Kreisen und Provinzen über 50.000 in Gemeindeversammlungen gewählte Frauen und Männer. Die Gemeindekommissionen bereiteten jeweils die Pläne über die Bodenverteilung vor, die sichtbar ausgelegt werden mussten und von einer Dorfversammlung zu beraten waren. Vorschläge der Kommissionen, wer wo wie viel Land bekommen sollte, wurden in öffentlicher Abstimmung mit einfacher Mehrheit beschlossen und erhielten nach Bestätigung durch die Kreiskommissionen Rechtskraft.

Die Kommissionen waren faktisch demokratische gesellschaftlich-staatliche Machtorgane. Es war eine neue Eigentumsform und ihre rechtliche Gestaltung geschaffen worden: Arbeitseigentum der Bauern mit dem Recht, sich die eigenen Arbeitsergebnisse anzueignen, und mit dem gesetzlichen Verbot, die Wirtschaften zu teilen, zu verkaufen, zu verpachten oder zu verpfänden. Mit dem staatlichen Eingriff in das Verfügungsrecht der Eigentümer wurden das Wiedererstehen kapitalistischen Grundeigentums und die Gefahr der Bodenspekulation und Verschuldung der Klein- und Mittelbauern verhindert.

Um die Bodenreform produktiv zu machen, schufen sich die Bauern mit der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) eine Massenorganisation, die mit landwirtschaftlichem Gerät, Saatgut, Reparaturkapazität, aber auch mit Kreditvergabe und bei der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte half.

Die neu geschaffenen staatlichen Verwaltungen von den Provinzen bis zu den Gemeinden waren beschlussfassende und ausführende Organe zugleich. Etwa die Hälfte der Frauen und Männer kamen aus der Arbeiterklasse. Sie trugen zu der Zeit zur Mobilisierung und Selbstorganisation der Bevölkerung bei, deren Organe zum Teil selbst staatliche Entscheidungsbefugnisse wahrnahmen bzw. vorbereiteten.

Im Herbst 1946 wurden erstmals in der SBZ Gemeinde- und Stadtverordnetenversammlungen, Kreis- und Landtage gewählt. Mit dem Faschismus liierte Personen waren ausgeschlossen. Die Abgeordneten waren ihren Wählern rechenschaftspflichtig und abberufbar.

Mit diesen bürgerlich-demokratischen und antifaschistisch-antiimperialistischen ökonomischen und politischen revolutionären Umwälzungen waren erste Voraussetzungen für eine demokratisch-sozialistische Entwicklung geschaffen worden. Das war ein historisch berechtigter Versuch.


Justiz- und Schulreformen

Richter und Staatsanwälte, die zu ca. 60% der NSDAP angehört hatten, ebenso Lehrer und Hochschullehrer, wurden entlassen. An deren Stelle traten mit heißem Herzen und ohne Gesetzbuch und Studium Hunderttausende Arbeiter aus Betrieben und aus der Landwirtschaft, Antifaschisten, junge Leute, die nur Krieg und Gefangenschaft oder Umsiedlung kannten. In Kurzlehrgängen wurden sie "Volksrichter" und "Neulehrer".

Es wurden Arbeiter- und Bauernfakultäten geschaffen, auf denen die Hochschulreife erlangt wurde. Das bürgerliche Bildungsprivileg wurde in jenen Jahren bei Hunger und Kälte, unter Häme und Verachtung der "Habenichtse" gebrochen. In Fernstudien- und Nachtarbeit haben sie ihre Fachqualifikationen erworben.

Die amerikanische Rechtshistorikerin Inga Markovits schreibt in ihrer Ostdeutschen Rechtsgeschichte (2006) von einer "heroischen Zeit, die unter großen Anstrengungen versuchte, die Welt zu verändern". Gemeinsam mit Vertretern aus den Westzonen arbeiteten Bürgerinnen und Bürger aller Bevölkerungsschichten in der Volkskongressbewegung für ein demokratisches friedliebendes Gesamtdeutschland. Aus ihr ging nach der Gründung der BRD im Mai 1949 im Oktober die Konstituierung der DDR mit einer Provisorischen Volkskammer hervor. In ihr waren neben den im "Demokratischen Block" zusammen geschlossenen sechs politischen Parteien auch der Gewerkschaftsbund und weitere Organisationen selbstständig vertreten.


Es war Klassenkampf

Dass sich die da unten denen da oben entzogen hatten, wurde der DDR von der ersten Stunde bis heute nicht verziehen. In systematischen groß angelegten Terror-, Sabotage-, Spekulations-, Abwerbungskampagnen von qualifizierten Fachleuten und staatlich verordneten Handelsblockaden der BRD wurden auch im Innern bezahlte Handlanger der alten Herren aktiv. Das Radio im amerikanischen Sektor (RIAS) u. a. verbreiteten Angst und Schrecken und riefen mit der erklärten "Alleinvertretung aller Deutschen" zu Widerstand und Aufstand im Osten auf.

Inzwischen hatte der amerikanische Präsident Dulles verkündet, dass der Westen nicht eher ruhen werde, "bis den Völkern Osteuropas die Freiheit wiedergegeben" sei, und dabei hätte Westdeutschland eine ganz besondere Funktion gegenüber Ostdeutschland zu erfüllen. Die Eliten der BRD nahmen sich ausdrücklich dieser Sache an.

Willy Brandt z. B. sah die Aufgabe Westberlins darin, die Festigung der DDR "so sehr wie möglich zu erschweren". Ein eigens geschaffenes "Ministerium für gesamtdeutsche Fragen" organisierte und koordinierte die konterrevolutionären Aktivitäten. Im Juli 1952 wusste Der Spiegel, dass "der Generalstabsplan für die administrative Machtübernahme" der DDR so gut wie fertig war. Es würde nur noch die Gelegenheit fehlen, ihn in der Praxis anzuwenden.


Der 17. Juni 1953

Diese Gelegenheit ergab sich aus vielerlei Gründen, die u. a. mit dem 1952 verkündeten Aufbau des Sozialismus in der DDR zusammen hingen. Mit diesem Beschluss reagierte die SED auch auf die Remilitarisierung der BRD und ihren Beitritt zur EVG. Der Aufbau einer Schwer- und Grundstoffindustrie im östlichen Deutschland wurde fortan als vorrangig gesehen und verschlang finanzielle Mittel und Arbeitskräfte. Hinzu kamen die Reparationen an die Sowjetunion.

Die Konsumgüterproduktion wurde rückläufig. In dieser Situation hat die SED-Parteispitze über den Ministerrat administrativ "durchgestellt", dass die Arbeitsnormen in vielen Industriezweigen hochgesetzt wurden, dass zusätzliche Lebensmittelkarten für Schwerarbeiter, Vergünstigungen bei Bahnfahrten, Unterstützungen von Klein- und Mittelbetrieben, Händlern und Bauern reduziert oder gestrichen wurden. Großbauern wurden mit Abgaben- und Steuerpolitik zur Verzweiflung getrieben.

Die Arbeiter- und Bauernjustiz und die gewählten Schöffen aus dem Volk gingen z. T. mit unglaublicher Härte, langen Gefängnisstrafen, fehlender Verteidigungsmöglichkeit auch gegen "kleine Leute" vor, die sich bei überall herrschendem Mangel einen Vorteil auf Kosten der Gesellschaft sichern wollten. Sie waren vielfach zu Feinden des Sozialismus erklärt worden. So flüchteten auch deshalb viele Menschen in das andere, unter dem Marshallplan schnell erblühte, Deutschland.

Musste die soziale Basis beim Hinüberwachsen von antifaschistischen und antiimperialistischen zu sozialistischen Umwälzungen kleiner werden? Wieviel davon war der notwendigen Entwicklung der Produktivkräfte im wirtschaftlich unterentwickelten Teil einer Nation unter dem Trommelfeuer des so starken Klassengegners mit seinem Staat geschuldet? Ist Brechts Gedanke, dass die Schaffung einer Grundlage für Demokratie in den seltensten Fällen auf demokratische Weise erfolgen könne, relevant?

Unverkennbar aber auch: Von der KPdSU übernommene oder aufgezwungene Praktiken einer "führenden Rolle der Partei" und eines "demokratischen Zentralismus" in der SED und im Staatsapparat hatten dazu geführt, dass ein immer weniger von unten beeinflussbarer Apparat sich anmaßte, die Interessen der Bevölkerung ohne deren tatsächliche kritische Mitwirkung zu bestimmen.

Dem lag u. a. die Irrlehre von der "gesetzmäßigen" Interessenübereinstimmung von Staat und Werktätigen infolge des Volkseigentums zugrunde. Sie ging vielfach einher mit weniger Achtung vor dem einzelnen Menschen, als vor einer "historischen Mission der Arbeiterklasse", aber auch mit verhängnisvollen Irrtümern über "den neuen Menschen".

So wurde die eben geborene Demokratie schon wieder eingeschränkt in einem seltsamen Geflecht von seelenloser Bürokratie und Unterdrückung von Kritik an "der Parteilinie"; eingeschränkt auch durch Autoritätsglauben und Unterwürfigkeit. Dies alles geschah gleichzeitig mit so viel menschlicher Schöpferkraft, zupackendem Idealismus und vielfach beginnender neuer Mitmenschlichkeit!

Jedenfalls wurden am 9. und 11. Juni 1953 von der engsten Parteispitze und dem Ministerrat mit einer "Politik des neuen Kurses" viele der offensichtlichen Fehler öffentlich korrigiert. Dennoch gingen am 17. Juni in Berlin und anderswo Arbeitermassen gegen die Regierungspolitik auf die Straße, angefeuert vom RIAS und tatkräftig unterstützt von Westberlin. Das war eine einschneidende Zäsur.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 24.Jg., November 2009, Seite 18
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2009