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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1370: Auftritt von Shimon Peres im Bundestag und die Haltung der LINKEN


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Die Verantwortlichen haben Angst, unter Druck zu geraten"
Christine Buchholz (MdB DIE LINKE) über den Auftritt von Shimon Peres im Bundestag und die Haltung der LINKEN

Von Angela Klein


Der amerikanische Autor jüdischer Herkunft, Norman Finkelstein, hat in Deutschland faktisches Redeverbot. Ausgesprochen hat es u.a. die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die unter dem Druck angekündigter Störaktionen durch den LINKEN-Arbeitskreis BAK Shalom eine für den 26.2. geplante Veranstaltung mit Finkelstein über den Gazakrieg und die deutsche Verantwortung abgesagt hat. Auch in München, wo eine zweite Veranstaltung stattfinden sollte, bekam Finkelstein keinen Saal. Im vergangenen Jahr verhinderte diese Gruppe in München eine Veranstaltung mit dem israelischen Historiker Ilan Pappé.

Finkelstein löste vor zehn Jahren in der westlichen Welt scharfe Polemiken aus, weil er in seinem Buch Die Holocaust-Industrie. Wie das Leiden der Juden ausgebeutet wird gegen die Verflachung der Gedenkkultur und die Ausschlachtung des Holocaust für die imperialen Zwecke des Westens zu Felde zog.

Eine solche Verflachung und geradezu Pervertierung konnte man in Deutschland am diesjährigen 27. Januar erleben. Der Tag der Befreiung von Auschwitz ist seit seiner Einführung 1996 der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Er erinnert an alle Opfer, nicht nur an die jüdischen. In diesem Jahr hatte der Bundestag Israels Staatspräsident Shimon Peres als Hauptredner eingeladen. Peres hielt eine Rede, in der er das Gedenken an die Opfer des Holocaust dazu benutzte, die deutsche Politik aufzurufen, dass sie Israel in seinem Feldzug gegen den Iran beisteht. Fast der gesamte Bundestag erhob sich ehrfürchtig nach Peres' Rede. So wurde aus dem Auftrag des Tages "Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus" eine Demonstration der deutschen Einwilligung in Israels Kriegskurs. Bis auf drei standen auch alle anwesenden Abgeordneten der Linkspartei auf.

Für die SoZ sprach Angela Klein mit Christine Buchholz, die zusammen mit Sarah Wagenknecht und Sevim Dagdelen sitzen geblieben war.


SOZ: Israels Staatspräsident Shimon Peres ruft im Deutschen Bundestag mehr oder weniger offen die deutsche Politik dazu auf, an der Seite Israels Krieg gegen den Iran zu führen, und der Bundestag verneigt sich vor ihm, einschließlich der Fraktion der LINKEN. Gleichzeitig hält der neue deutsche Außenminister auf der Münchener Sicherheitskonferenz Brandreden, Politik und Medien suchen fieberhaft nach einem Anlass, der eine militärische Intervention rechtfertigen könnte. Es ist Kriegsgeschrei in Deutschland, und die einzige Antikriegspartei im Bundestag lässt sich in das israelische Kalkül einspannen. Das erinnert verdammt an den 4. August 1914. Was ist da los?

CHRISTINE BUCHHOLZ: Ich würde die Kirche im Dorf lassen. Die Linksfraktion ist eindeutig gegen Krieg und weist auch die Kriegsdrohungen gegen den Iran zurück. In der Bewertung der Münchner Sicherheitskonferenz gibt es gar keine Differenz. Von daher ist der Vergleich mit dem Verrat der SPD 1914 überhaupt nicht angebracht. Die Bundestagsfraktion hat sich auch nicht vor den Kriegsdrohungen von Peres verneigt. In ihrer Mehrheit waren die Genossinnen und Genossen der Meinung, dass es angesichts des Holocaust-Gedenktags angemessen ist, sich nach Peres Rede zu erheben - ungeachtet der Tatsache, was er im zweiten Teil seiner Rede zum Iran gesagt hat.

Hier sind wir beim Kern des Problems: Die Regierung will eine härtere Gangart gegen den Iran und nutzte das Gedenken an den Holocaust als moralische Legitimation. Die Instrumentalisierung des Holocausts zur Legitimierung von Kriegen ist übrigens keine Erfindung von Schwarz-Gelb. Erinnern wir uns an Fischers und Scharpings Lügen im Krieg gegen Jugoslawien.

SOZ: Hat es in der Fraktion davor eine Debatte über ihr Verhalten während der Rede von Peres gegeben? Und hattet ihr drei, die ihr sitzen geblieben seid, eure Aktion koordiniert?

CHRISTINE BUCHHOLZ: Wir hatten eine ausführliche Debatte in der Fraktion. Unsere gemeinsame Überzeugung war, dass ein Gedenken für die Opfer des Holocausts im Bundestag richtig und notwendig ist. Die LINKE hat das immer eingefordert. Wir sind dann übereingekommen, keine Erklärungen im Vorfeld der Rede abzugeben, um nicht vom eigentlichen Zweck der Veranstaltung abzulenken.

Das Sitzenbleiben war für mich auch keine "Aktion". Ich habe mich - wie Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen übrigens auch - zu dem von Peres rezitierten Kaddisch-Gebet zu Ehren der Opfer des Holocausts erhoben. Nach dem zweiten Teil der Rede, in dem er über den Iran gesprochen hat, konnte ich keinen stehenden Beifall klatschen. Die Simultanübersetzung, die wir über Kopfhörer verfolgten, war übrigens viel schärfer als das veröffentlichte Redemanuskript. Ich habe mich spontan entschlossen sitzenzubleiben.

SOZ: Ist die Mehrheit der Bundestagsfraktion jetzt prozionistisch? Und wie sieht es in der Partei aus?

CHRISTINE BUCHHOLZ: Das würde ich nicht sagen. Das Problem ist doch folgendes: Die öffentliche Debatte findet nicht in einem interessenfreien Raum statt. Medienkonzerne stellen die neoliberale Politik als alternativlos und alle, die sich dagegen wehren wollen, als Utopisten und Spinner dar. Kriegsgegner und ihre Argumente werden ignoriert oder denunziert. Und Kritik an Israel wird sofort in eine antisemitische Ecke geschoben.

Der Druck, der auf Linken lastet, die keine Antisemiten sind und auch nicht als solche diskreditiert werden wollen, ist groß. Er lastet besonders schwer, weil es, anders als bei Hartz IV oder dem Krieg in Afghanistan, keine nennenswerte Bewegung in Deutschland gegen die Verbrechen Israels gibt.

Wer sich in der Argumentation unsicher ist, tendiert dazu, sich lieber zurückzuhalten. Offen und bewusst prozionistisch ist nur eine kleine Minderheit. In der Partei gibt es eine offene, kontroverse und konstruktive Debatte über den Nahostkonflikt. Darüber berichtet niemand, weil man damit keine Stimmung machen kann.

SOZ: Nach eurer Aktion hat es eine regelrechte Hetzkampagne gegen euch gegeben, vor allem seitens eines jungen sächsischen Abgeordneten, Michael Leutert. Gehört der zur Gruppe BAK Shalom? Wie viele MdBs gehören dieser Gruppe an?

CHRISTINE BUCHHOLZ: Das weiß ich nicht, und das interessiert mich auch nicht besonders, da ich den Verein für unbedeutend halte. Bedeutender ist für mich die Unsicherheit vieler Genossinnen und Genossen, die aus Angst, selbst unter Druck zu geraten, sich lieber zurückhalten oder dem Konflikt ausweichen.

SOZ: Leutert wirft euch vor: "Vor allem der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus wird am 27. Januar in der Gedenkstunde im Bundestag gedacht. Nur um sie und die Mahnung des 'Nie wieder!' darf es aus diesem Anlass gehen. Alles andere bedeutet in dem Zusammenhang eine Relativierung der Nazi-Verbrechen." Ihr hättet die Verneigung vor den Opfern des Holocaust verweigert, weil ihr nicht aufgestanden seid.

CHRISTINE BUCHHOLZ: Diese Unterstellung ist unredlich und falsch. Ich finde es bedenklich, wenn Genossen anfangen, anderen Genossen Noten zu geben, ob sie gute Antifaschisten sind oder nicht. Ich unterstelle keinem Abgeordneten, der sich an der Gedenkstunde beteiligt hat, die Opfer nicht zu würdigen.

Meines Erachtens haben Shimon Peres und Bundestagspräsident Norbert Lammert den Holocaust-Gedenktag instrumentalisiert, um Stimmung gegen den Iran zu schüren.

SOZ: Leutert hat vor allem Sarah Wagenknecht im Visier, andere schießen sich auf Sevim Dagdelen ein. Wirft da jemand mit Schmutz, weil er innerparteiliche Gegner an den Rand drücken will?

CHRISTINE BUCHHOLZ: Ich glaube nicht, dass eine Debatte über Michael Leutert weiterhilft. Er hat nur auf unser Sitzenbleiben aufmerksam gemacht. Fakt ist doch, dass der Druck auf uns hauptsächlich von außerhalb der Partei kommt. Insbesondere die SPD-nahe Presse in Nordrhein-Westfalen hat Sevim angegriffen. Klar, die nutzen jede Gelegenheit, der LINKEN zu schaden.

Besonders im Wahlkampf. Egal ob Regierungspartei oder Oppositionspartei - wer die Militarisierung der deutschen Außenpolitik befürwortet, sieht in der LINKEN ein Hindernis für seine Ziele. Wir sind nun mal leider die einzige Partei, die konsequent gegen Krieg eintritt. Gerade weil die Friedensbewegung und wir so große Zustimmung in der Bevölkerung haben, was den Krieg in Afghanistan angeht, nutzen es diese Leute nur zu gerne, wenn sie uns an anderen Fragen angreifen können. Einige in der LINKEN lassen sich davon beeinflussen.

SOZ: Die Gruppe BAK Shalom hat auch eine Veranstaltung der RLS mit Norman Finkelstein verhindert. Dabei tritt die Gruppe sehr militant und ultimatistisch auf und duldet keine anderen Meinungen als die ihre. Wer ist und wie arbeitet BAK Shalom? Welchen Einfluss hat die Gruppe in der Partei? Und in den Jugendstrukturen? Wer finanziert sie?

CHRISTINE BUCHHOLZ: Nicht BAK Shalom hat die Finkelstein-Veranstaltung verhindert, sondern die Angst der Verantwortlichen in der Rosa-Luxemburg-Stiftung, selbst unter Druck zu geraten. Diese Angst halte ich für gefährlich, weil sie Debatte abtötet, statt Debatte zu ermöglichen. Deshalb habe ich zusammen mit den Genossinnen und Genossen Jan van Aken, Norman Paech, Wolfgang Gehrcke, Sevim Dagdelen, Sahra Wagenknecht und Werner Ruf einen Protestbrief an die Rosa-Luxemburg-Stiftung geschickt.

SOZ: Wie kommt es, dass die RLS davor einknickt?

CHRISTINE BUCHHOLZ: Es gibt einen starken Drang bei Teilen der Partei und der Stiftung, in der Gesellschaft anzukommen, sich Teile der Staatsräson zueigen zu machen. Diese Haltung führt dann dazu, dass einige israelkritische Standpunkte ausgegrenzt werden, während andere - offen bellizistische - als legitim angesehen werden.

Ich bin aber optimistisch, dass sich das Blatt wendet. Erfolgreiche Kampagnen gegen Nazis, wie kürzlich in Dresden, Proteste gegen die Kriegsdrohungen gegen den Iran und eine Stärkung der Friedensbewegung allgemein werden zu einer Isolierung der sog. prozionistischen Linken führen.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 25. Jg., März 2010, Seite 5
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2010