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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1397: Gespräch mit Jamal Jumaa zum Tag des Bodens in Palästina


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2010
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

"Ihr solltet die deutsch-israelische Militärkooperation anprangern"
Jamal Jumaa begründet, warum gegen die israelische Besetzung nur noch Sanktionen helfen

Von Sophia Deeg


Der 30. März ist in Palästina der Tag des Bodens - ein Tag des Protests gegen die fortgesetzte Landnahme durch israelische Siedler und gegen die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Die willkürliche Zerschneidung des Territoriums, das laut Osloer Abkommen die Basis für einen eigenständigen palästinensischen Staat bilden soll, drängt die Palästinenser und einen Großteil der internationalen Öffentlichkeit dazu, von Israel als einem Apartheidstaat zu sprechen. Dementsprechend sieht sich die BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) in der Tradition der Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika.

Sophia Deeg sprach mit Jamal Jumaa, dem Koordinator der Kampagne "Stop the Wall" über die Bedeutung von BDS für die palästinensische Bevölkerung.




SOZ: Am 30. März erinnerten sich Palästinenser überall auf der Welt an diesen Tag vor 34 Jahren (1976), als bei Protesten in Israel sechs Palästinenser, israelische Staatsbürger, getötet und über hundert verletzt wurden. Sie hatten sich gegen die fortgesetzte Landnahme durch die israelische Regierung gewandt. Wie habt ihr in diesem Jahr den "Tag des Bodens" begangen?

JAMAL JUMAA: Diesmal fanden besonders viele Demonstrationen und Veranstaltungen statt. Der Tag ist inzwischen zugleich auch internationaler Aktionstag der BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestition, Sanktionen). Die Frustration der Leute über das absurde Theater der "Verhandlungen" ist groß. Israel ist zu echten Verhandlungen auf Augenhöhe nicht bereit, schafft weiter Fakten zu seinen Gunsten und missachtet ungestraft das Völkerrecht. Gerade am "Tag des Bodens" wissen sich alle Palästinenser verbunden: die im 1948er Gebiet - Israel - Lebenden mit denen in den 1967 besetzten Gebieten und mit den Flüchtlingen überall auf der Welt. Immer ging es um Landnahme und Vertreibung und den Kampf dagegen.

SOZ: Heute vor über 30 Jahren (1977) rief die UN-Generalversammlung zu umfassenden Sanktionen gegen das südafrikanische Apartheidregime auf und verurteilte jede Kooperation mit diesem "rassistischen Regime" als "feindseligen Akt gegenüber den Unterdrückten in Südafrika und verächtliche Haltung gegenüber den UN und der internationalen Gemeinschaft". Wird sich die UNO auch gegenüber dem israelischen Regime, das inzwischen von vielen als Apartheidstaat bezeichnet wird, zu dieser Haltung durchringen?

JAMAL JUMAA: Die internationale Staatengemeinschaft muss diese Haltung einnehmen, wenn sie tatsächlich auf der Grundlage des Völkerrechts für Frieden sorgen und das rassistische israelische Regime zum Einlenken bringen will. Seit 1967/68 wurde das in über 100 UN-Resolutionen versucht, von denen Israel nicht eine befolgte. Ist das nicht eine unerträgliche Missachtung der UNO und des Völkerrechts, die alle Menschen angeht?

In Oslo wurde den Palästinensern für 1999 ein unabhängiger Staat zugesichert. Doch 2010 leben wir in Bantustans ohne Bewegungsfreiheit oder irgendwelche Rechte. Es gab die Road Map und ungezählte Verhandlungsinitiativen - ohne Ergebnis, weil sich Israel grundsätzlich nicht an Vereinbarungen hält.

Andererseits funktioniert die Abstimmung hinsichtlich der "Sicherheit", d.h. der Kontrolle und Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung, zwischen Abbas und den israelischen Partnern sehr gut. Was aber ernsthafte Verhandlungen auf der Grundlage von Rechten angeht - das Recht auf Bewegungsfreiheit, das Recht auf die Rückkehr der Flüchtlinge, das Recht, sein Land zu bewirtschaften usw. - da helfen offenbar nur Sanktionen, um den weitaus Stärkeren dazu zu bewegen, von der permanenten Gewalt des Rechtsbruchs abzusehen. Südafrika hat das gezeigt und uns zur BDS-Kampagne gegen das israelische Apartheidregime inspiriert.

SOZ: Die von der palästinensischen Zivilgesellschaft 2005 angestoßene Kampagne hat in den letzten Jahren weltweit Auftrieb gewonnen. Wird sie sich wie seinerzeit diejenige gegen die südafrikanische Apartheid entwickeln?

JAMAL JUMAA: Wir sehen da durchaus Parallelen. Auch in Südafrika war die Regierung viele Jahre lang nicht bereit sich zu bewegen. Die Zivilgesellschaft machte den Anfang, und schließlich folgten die Regierungen.

Die palästinensische BDS-Kampagne hat sich schneller entwickelt. Seit wir sie vor fünf Jahren angestoßen haben, gab es eine große Zahl von Initiativen gegen Firmen überall auf der Welt, die von der Besatzung profitieren und an ihr beteiligt sind. Die zionistische Lobby und die israelische Regierung reagieren inzwischen alarmiert und arbeiten an Gegenkampagnen. Sie sprechen von uns als "Delegitimierern" Israels. Was wir in der Tat "delegitimieren", ist Rassismus, ist der Siedlungsbau auf besetztem Land, ist die Vertreibung, ist die völkerrechtswidrige Abriegelung Gazas.

SOZ: Wie schaffen es die Dorfbewohner und ihre Bürgerkomitees angesichts der massiven Repressionen, den Widerstand entlang der Mauer aufrecht zu erhalten?

JAMAL JUMAA: Der Kampf der Palästinenser für ihre Rechte und gegen die Besatzung besteht seit über 60 Jahren und hat im Laufe der Zeit immer wieder andere Formen angenommen. Israel wird unseren Widerstand nicht brechen. Das hat sich auch gezeigt, als im Juni letzen Jahres eine Repressionswelle gegen den zivilgesellschaftlichen Widerstand begann, die immer noch anhält.

Kürzlich wurden von israelischen Sicherheitskräften innerhalb von 24 Stunden vier unbewaffnete Jugendliche ermordet. In den vergangenen Monaten kam es fast täglich zu Überfällen auf Widerstand leistende Dörfer, zu Verhaftungen und Verschleppungen, zur Verwüstung von Wohnungen und Büros von Koordinatoren des Widerstands.

Die Repressionen haben die Entschlossenheit zum Widerstand jedoch verstärkt. Demonstrationen, die vor einiger Zeit nur an drei Orten wöchentlich stattfanden, werden jetzt jede Woche an rund zehn Orten organisiert. Das ist die Reaktion der Menschen auf die Demütigungen und die Gewalt der Besatzungsmacht.

SOZ: Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang unsere Solidarität?

JAMAL JUMAA: Eine große! Wenn Internationale an den Aktionen teilnehmen und Zeugen sind, wird weltweit bekannt, was sich hier abspielt, was Besatzung und Apartheid tatsächlich für die Menschen bedeuten und dass ihr Widerstand legitim ist. Bilder von den Dorfbewohnern gehen um die Welt, wie sie zur Mauer gehen, um zu ihrem Land zu kommen, das auf der anderen Seite liegt, und wie sie dann unter Beschuss genommen werden.

SOZ: Wie siehst du die Rolle Deutschlands bzw. der hiesigen Friedensbewegung, der Gewerkschaften und anderer sozialer Bewegungen?

JAMAL JUMAA: Deutschland kooperiert militärisch besonders eng mit Israel, beliefert es bspw. mit atomwaffenfähigen Dolphin-U-Booten, und deutsche Soldaten werden für den Afghanistan-Einsatz an israelischen Drohnen (Heron) ausgebildet - das solltet ihr anprangern, auch im eigenen Interesse; denn ihr wendet euch doch ganz entschieden gegen die atomare Aufrüstung und gegen die militärische Intervention Deutschlands in Afghanistan.

Das könnt ihr anprangern, auch wenn ihr die deutsche Geschichte und die besonderen Beziehungen zu Israel berücksichtigt. Der Respekt vor den Opfern des Holocaust kann doch eigentlich nur bedeuten, dass man sich gegen jede Form von Rassismus und Militarismus wendet. Blinde Solidarität mit dem Staat Israel, die dazu führt, dass man gegenüber Kriegsverbrechen dieses Staates schweigt und die Belagerung Gazas hinnimmt, ist als Lehre aus der deutschen Geschichte absolut nicht nachvollziehbar. Die deutschen zivilgesellschaftlichen Kräfte sollten sich den internationalen sozialen Bewegungen anschließen und den palästinensischen Kampf für Menschenrechte und politische Rechte unterstützen.

Ohne die Unterstützung aus aller Welt säße ich übrigens jetzt nicht in meinem Büro und würde mit dir sprechen. Wie es tausendfach geschieht, wurde ich verhaftet, ohne dass etwas gegen mich vorlag. Das war im Dezember 2009. Bei den Befragungen verwies man auf eine "geheime Akte" gegen mich. So ist es üblich. Auf dieser Grundlage wird man normalerweise zu sechs Monaten "Administrativhaft" verurteilt. Das kann immer wieder verlängert werden, ohne dass irgendetwas nachgewiesen wird. Am Ende sitzt man für Jahre. Das ist mir erspart geblieben dank Tausender E-Mails aus aller Welt an das israelische Außenministerium, dank der Intervention der diplomatischen Vertretung der EU-Staaten, die bei den israelischen Behörden vorsprachen... Unsere Telefone und Computer sind allerdings immer noch bei den Israelis.

SOZ: Wann kommst du mal nach Deutschland, um über die Kampagne Stop the Wall und BDS zu berichten?

JAMAL JUMAA: Jederzeit sehr gerne - nur bräuchte ich dazu meinen Pass, der ebenfalls bei der Verhaftung konfisziert wurde.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 25. Jg., Mai 2010, Seite
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Mai 2010