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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1517: Eine Wirtschaftsregierung für die Euroländer?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 - März 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Eine Wirtschaftsregierung für die Euroländer?
Das Schicksal einer Chimäre

Von Andreas Wehr


Über Jahre hinweg hat die deutsche Bundesregierung eine europäische Wirtschaftsregierung stets abgelehnt. Allein die deutsche Linke forderte sie. In der EU war es die französische Regierung, die für sie warb - zumindest für die Eurozone. Noch 2009 sah Kanzlerin Merkel in einer Wirtschaftsregierung für die 17 Euroländer nichts anderes als eine Spaltung der EU. Trotzig erklärte sie auf einem Gipfel des Europäischen Rats (die Vertretung der 27 Mitgliedstaaten): "Wir sind die Wirtschaftsregierung."

Doch jetzt sucht die Bundesregierung verzweifelt nach einem Instrument, wie sie die europäischen Defizitländer an der Peripherie an die Kandare nehmen kann. Da der Stabilitäts- und Wachstumspakt kaum noch beachtet wird und die deutsche Absicht, die aus seiner Verletzung folgenden Strafen künftig automatisch wirken zu lassen, am Einspruch Frankreichs scheiterte, verlangt Berlin nun einen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit": "Dieser Pakt zielt darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit in den beteiligten Staaten dauerhaft zu erhöhen und so eine stärkere wirtschaftliche Konvergenz zu erreichen."

Zugleich stellt Berlin klar, wer und was sich zu ändern hat: "Dabei muss der Mechanismus zur makroökonomischen Überwachung insbesondere bei den Mitgliedstaaten ansetzen, die aufgrund ihrer starken Wettbewerbsdefizite eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Raumes darstellen können."

Das im Pakt enthaltene "6-Punkte Programm für mehr Wettbewerbsfähigkeit, dessen Maßnahmen binnen 12 Monaten national umzusetzen sind" ist denn auch der Versuch, die sog. deutsche Stabilitätspolitik in die anderen EU-Länder zu exportieren. Es ist eine Kurzfassung der Agenda 2010 von Schröder und Fischer, die da zur Nachahmung empfohlen wird.


Am deutschen Wesen...

Damit auch europaweit überall die Löhne sinken, wird im "Pakt" die Abschaffung der Lohnindexierungssysteme (Preisgleitklauseln) gefordert. In Portugal, Belgien und Luxemburg gibt es sie noch. Die empfohlene Rente mit 67 ist bereits ein deutsches Exportprodukt: Griechenland, Irland, Frankreich und Spanien haben sie schon übernommen. Nun fordert Deutschland für alle "die Anpassung des Rentensystems an die demografische Entwicklung (z.B. Renteneintrittsalter)".

Ein weiterer Exportschlager soll die "Schuldenbremse" werden. So soll die "Verpflichtung zur Verankerung einer 'Schuldenbremse' in die Verfassungen aller Mitgliedstaaten" festgeschrieben werden. Zwar enthält der Pakt auch das Verlangen nach einer "einheitlichen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage", was der irischen Regierung gar nicht gefällt, doch solange eine solche Vereinheitlichung nicht mit abgestimmten Steuersätzen einhergeht, wird sich am europäischen Steuerwettbewerb nichts ändern.

Ganz und gar illusorisch ist die Vorstellung, das 6-Punkte-Programm "binnen 12 Monaten national umsetzen" zu können. Dies gilt zumal für das Verlangen, sich "über die gegenseitige Anerkennung von Bildungs- und Berufsabschlüssen zur Förderung der Arbeitsmobilität in Europa" zu einigen.


...soll Europa genesen?

Die deutschen Pläne werden am Widerstand der anderen Euroländer scheitern. Selbst enge Verbündete Berlins haben bereits Bedenken angemeldet. Paris ist nicht bereit, über seinen indexierten Mindestlohn mit sich reden zu lassen. Belgien besteht auf der Lohnanpassung an die Inflationsentwicklung, und selbst die ansonsten folgsame Regierung in Wien will keine verordnete Erhöhung des Renteneintrittsalters. Auch in Deutschland gibt es Kritik: Rechte Ordnungspolitiker befürchten, dass die "marktwirtschaftlich orientierte deutsche Wirtschaftspolitik durch Dirigismus abgelöst werden könnte" (FAZ vom 16.2.2011).

So lenken der "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" und die damit einhergehende Wirtschaftsregierung allein davon ab, dass die Bundesregierung längst ihre Zustimmung zur Verlängerung und Erhöhung des zunächst bis 2013 befristeten Stabilisierungsmechanismus - des sog. Rettungsschirms - gegeben hat.

Diese Zustimmung erfolgte auf Druck der Banken und anderer Finanzinvestoren, die um ihre Kredite in den europäischen Peripherieländern bangen und deshalb nach staatlichen Garantien für sie verlangen.

Da eine solche zweite Bankenrettung in der deutschen Öffentlichkeit aber unpopulär ist, will man in Muskelspielen gegenüber den "Schlendrianen des Südens" Stärke zeigen.

Tatsächlich bedeuten die mit einem solchen "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit" verbundenen Einschnitte eine weitgehende Aufhebung der nationalen Souveränitäten der Euroländer. Dies stößt dort aber auf den Widerstand der sozialen Bewegungen, die nicht zulassen können, dass ihre Länder zu Kolonien werden.

Gegenüber der wachsenden deutschen Hegemonie in Europa ist die Verteidigung der Souveränitäten der schwächeren Euroländer daher die wichtigste Waffe.


Von Andreas Wehr erschien im Oktober 2010 im PapyRossa-Verlag das Buch Griechenland, die Krise und der Euro.
Mehr unter: www.andreas-wehr.eu


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 26.Jg., März 2011, S. 9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2011