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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1587: Euro im Härtetest oder Das Ende des Monetarismus


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11 - November 2011
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Euro im Härtetest oder: Das Ende des Monetarismus

Von Ingo Schmidt


"Das Geld erklärt dem ganzen Menschengeschlecht den Krieg." (Pierre de Boisguillebert, 1704).

Noch kommt die vorherrschende Kritik am Euro-Krisenmanagement von rechts - mindestens in den Gläubigerländern. Die Occupy-Bewegung bietet die Chance, dass sich das ändert.


Zwei wirtschaftspolitische Linien prallen in der EU zusammen. Auf der einen Seite stehen die orthodoxen Monetaristen. Staatsschulden und Geldschöpfung haben ihrer Meinung nach längst ein Niveau erreicht, das zu einer sich immer weiter beschleunigenden Inflation und schließlich dem Zusammenbruch von Finanzsystem und Realwirtschaft führen wird. Dies könne nur durch eine drastische Kürzung der Staatsausgaben, die Abschreibung fauler Kredite und die Begrenzung des Geldangebotes durch die Zentralbank verhindert werden.

Auf der anderen Seite fürchten die Pragmatiker in den Regierungen der Mitgliedsländer, in der Europäischen Zentralbank (EZB) und der EU-Kommission, dass gerade ein solcher Sparkurs zum Zusammenbruch führen wird. Auch sie gehen davon aus, dass das Finanzsystem an faulen Krediten zu ersticken droht, fordern aber, die fälligen Abschreibungen durch staatliche Unterstützungen auszugleichen. Auch sei eine lockere Geldpolitik so lange zu tolerieren, bis die privaten Banken ihre Bilanzen bereinigt hätten. Andernfalls drohten Bankenpleiten und ein dauerhaftes Einfrieren der privaten Kreditvergabe. Da der Wirtschaftsmotor ohne finanzielle Schmierung nicht rund laufen könne, müssten in Zeiten einer privaten Finanzkrise Staatshaushalt und Zentralbank die Geldversorgung aufrechterhalten.

Einig ist man sich lediglich darin, dass Staatsausgaben, die nicht der Unterstützung des Finanzsektors dienen, gekürzt werden müssen.

Der Gegensatz zwischen monetaristischer Orthodoxie und pragmatischer Finanztechnokratie war im Finanzmarktkapitalismus, der sich seit den 80er Jahren herausgebildet hat, von Beginn an angelegt, konnte bis zur Großen Rezession 2008/09 aber durch eine Art Arbeitsteilung immer wieder überbrückt werden. Während nämlich höhere Löhne oder Sozialausgaben mit der Warnung vor ihren inflationären Wirkungen abgewehrt wurden, wurden öffentliches Eigentum und die Ersparnisse kleiner Leute von der Finanztechnokratie in Wertpapiere umgewandelt. Solange deren Kurse stiegen, konnten sie in zunehmendem Umfang beliehen und auf diese Weise eine kreditfinanzierte Nachfrage geschaffen werden. Es entstand eine Akkumulation, die durch private Verschuldung und Spekulation getrieben war.

Dem hat die Krise ein Ende gesetzt. Die zu ihrer Eindämmung eingesetzten Staatsgelder haben die öffentliche Verschuldung in die Höhe getrieben. Sofern dafür Gelder im Ausland aufgenommen wurden, kommt auch noch eine Schuldenkrise hinzu. Dies ist der Hintergrund vor dem der wirtschaftspolitische Streit in der Eurozone gegenwärtig ausgetragen wird.


In den eigenen Widersprüchen gefangen

Die EZB galt lange als Hort des Monetarismus und präsentierte ihre strikten Antiinflationskurs gern als Gegenmodell zur amerikanischen Zentralbank, die den Finanzmarktkapitalismus so lange mit billigem Geld versorgt hat. Seit Ausbruch der Großen Rezession haben sich allerdings auch in der EZB die Gewichte mehr und mehr in Richtung einer pragmatischen Politik verschoben, der es vor allem um die Aufrechterhaltung der Finanzkreisläufe geht.

Dafür hat der Monetarismus an anderer Stelle an politischem Einfluss gewonnen. In den Ländern der Eurozone, die über Jahre Kapital- und Leistungsbilanzüberschüsse akkumuliert haben, macht sich das Gefühl breit, Habenichtse und Faulenzer in anderen Teilen Europas zu alimentieren. Diese Stimmung nutzen rechtspopulistische Parteien aus, um eine harte Gangart, Monetarismus pur, gegenüber hochverschuldeten Ländern wie Griechenland, Italien, Portugal und Spanien zu fordern. Sie wollen die Geldversorgung durch die EZB drastisch einschränken und Kompetenzen von der EU an die Mitgliedstaaten zurückgeben.

Radikalere Varianten des Rechtspopulismus fordern wahlweise, Schuldnerstaaten aus der Währungsunion auszuschließen oder unter Verwaltung durch die Kredit gebenden Länder zu stellen.

Der Aufschwung des Rechtspopulismus in Gläubigerländern wie Deutschland, den Niederlanden, Österreich, und Finnland setzt die dortigen Regierungen unter Zugzwang, sich in Richtung Monetarismus zu bewegen. Gleichzeitig müssen sie mit der Überschuldung der Banken in diesen Ländern umgehen und sind daher gegenüber Forderungen nach Staatsknete zwecks Bankenrettung durchaus aufgeschlossen.

Nach Ausbruch der Schuldenkrise hofften sie noch, diese auf Griechenland, Irland und Portugal - die drei Länder, die bislang Mittel des Euro-Rettungsschirms in Anspruch genommen haben - durch drastische Sparauflagen begrenzen zu können. Die Auflagen haben die Wirtschaftsleistung dieser Länder, insbesondere Griechenlands, jedoch so stark stranguliert, dass deren Fähigkeit zur Rückzahlung der Kredite weiter gedrückt und die Bankenkrise in den Gläubigerländern dadurch verschärft wird. Nun steigen die Warnungen vor einem Kollaps des Bankensystems und die Forderungen, ihn durch staatliche Unterstützung abzuwenden.


Faule Tricks der Rechtspopulisten

Den gegensätzlichen Forderungen nach Monetarismus pur und staatlicher Alimentierung des Bankensektors versuchen die Regierungen in den Zentren der EU mit einer Doppeltaktik zu begegnen. Einerseits weiten sie den Euro-Rettungsschirm aus, andererseits drohen sie den Ländern, die ihn in Anspruch nehmen, den Entzug der politischen Souveränität an. Das hat aber zur Folge, dass zu der ökonomischen Spaltung der Eurozone in Gläubiger- und Schuldnerstaaten zunehmend auch Spannungen zwischen den Institutionen der EU und ihren Mitgliedsländern treten.

Das demokratische Defizit der EU, insbesondere das Fehlen jeder politischen Kontrolle über die EZB, sind schon lange ein Ärgernis. Im Zuge der Wirtschaftskrise ist aus dem Ärgernis eine Legitimationskrise geworden.

Rechtspopulisten haben darin für sich eine politische Chance erkannt. Sie präsentieren sich dieser Tage als Retter der mühsam zusammengesparten Früchte harter Arbeit vor Entwertung durch Inflation und vor einer drohenden Enteignung durch die Eurokratie. Ökonomischer Nationalismus statt Bankenmacht und Euro-Diktatur ist ihre Devise.

Das ist jedoch ein Taschenspielertrick. Faule Kredite verschwinden nicht deshalb, weil Schuldnerstaaten aus der Währungsunion geworfen werden. Entweder müssen die Besitzer von Geldvermögen diese Kredite abschreiben oder es müssen, wenn der Staat die Rückzahlung übernimmt, die Steuern entsprechend erhöht werden. Aus einem krisengeschüttelten Land wie Griechenland ist nichts mehr herauszuholen, sei es Mitglied in der Eurozone oder nicht. Der Verteilungskampf um die Kosten der Krise wird zwischen denen ausgetragen, bei denen es noch etwas zu holen gibt, sei es ein bisschen, wie bei vielen Kleinsparern, oder ein bisschen mehr bei den oberen Zehntausend.

Dieser Tatsache können sich rechtspopulistische Parteien nicht entziehen. Sofern sie, wie in Finnland, an der Regierung beteiligt sind oder, wie in den Niederlanden, eine konservative Minderheitsregierung stützen, schwenken auch sie auf den Kurs der Ausweitung staatlicher Garantien für den Bankensektor plus Forderung nach Souveränitätsbeschränkung der Schuldnerstaaten ein.

Es erweist sich dann sehr schnell, dass die vermeintlichen Retter der nationalen Souveränität vor der Euro-Diktatur praktisch die Fortsetzung der imperialistischen Ausbeutung der Schuldnerstaaten unter Zuhilfenahme der EU-Institutionen anstreben. Nationale Souveränität wollen sie nur für Gläubigerstaaten gelten lassen.

Ihre Anhänger stört das sicher nicht, ganz im Gegenteil. Es ändert aber nichts an dem ökonomischen Problem, dass die Schuldnerstaaten, genauer: die Arbeiterklasse in diesen Staaten, in der Krise an die Grenze ihrer Ausbeutbarkeit getrieben werden und trotzdem die finanziellen Forderungen aus den Gläubigerstaaten noch immer nicht erfüllt sind. Dafür sollen nun deren Arbeiterklasse aufkommen, entsprechende Sparpakete werden in den zuständigen Ministerien bereits geschnürt und, sobald die angekündigte nächste Rezessionswelle rollt, auf den Weg gebracht.

Die rechtspopulistische Vorstellung von Nationen, die in Arbeit und Sparsamkeit vereint sind, wird sich in dann in Luft auflösen. Es wird dann deutlich werden, dass auch in den Gläubigerländern die Mehrheit arbeiten muss, damit eine Minderheit ihre Profite anhäufen kann.


Die Stimme der 99%

In den Schuldnerländern setzt sich diese Mehrheit bereits durch Demonstrationen, Streiks und Besetzungen gegen die Profitansprüche der Minderheit zur Wehr. Dabei erscheinen oft die Gläubigerländer in Gänze als Gegner. Das ist auch kein Wunder, solange aus diesen Ländern nur die Forderung nach Schuldenrückzahlung und Gürtel enger schnallen zu hören ist.

Es wird Zeit, dass auch in diesen Ländern die Mehrheit ihre Stimme gegen die kapitalistische Ausbeutung erhebt. Dadurch würde der gegenwärtig dominierende Gegensatz zwischen Gläubiger- und Schuldnerländern in einen Kampf der ausgebeuteten Mehrheit in allen Ländern gegen die kapitalistische Minderheit transformiert.

Die Parole der Occupy-Wall-Street-Aktivisten "We are the 99%" unterschätzt vielleicht die Größe der Minderheit, sie mag auch unterschätzen, wie viele es unter den 99% gibt, die das eine Prozent unterstützen in der Hoffnung, selbst nach oben zu kommen. Aber die Richtung stimmt. Hier ist endlich eine populäre Bewegung von links, die dem Rechtspopulismus eine Alternative entgegensetzt.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 11, 26.Jg., November 2011, Seite 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2011