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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1642: Keynes kommt nicht wieder


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

SERIE ZUR SCHULDENKRISE[*]
IV. Keynes kommt nicht wieder

Von Ingo Schmidt



"Das Geld erklärt dem ganzen Menschengeschlecht den Krieg"
(Pierre de Boisguillebert, 1704)  


Finanzmärkte erscheinen als unheimliche Macht. Im Aufschwung verzaubert die Leichtigkeit, mit der sie bestehende Vermögen vermehren. In diesen Zeiten dürfen sogar die Habenichtse hoffen, das schnelle Geld werde ihnen den sozialen Aufstieg erlauben, der ihnen trotz - oder wegen? - harter Arbeit bislang verwehrt blieb. In der Krise verängstigt dagegen die Kraft, mit denen die Finanzwelt Hoffnungen und reale Lebenschancen in den Strudel sinkender Börsenkurse, steigender Schulden und Firmenpleiten zieht.

Den meisten Menschen erscheint diese Macht gleichermaßen als unheimlich, faszinierend und furchterregend, weil sie von ihr ausgeschlossen sind, aber im Notfall die Kosten zu tragen haben. Tatsächlich spielen die Finanzmärkte im Kapitalismus eine gesellschaftlich notwendige und eine parasitäre Rolle zugleich.


Was tun mit dem Überschuss?

Einerseits sind sie Sammelstellen für Ersparnisse und stellen diese für Investitionen bereit. In jeder Gesellschaft, die über den unmittelbaren Verbrauch hinaus produziert, muss über die Verwendung des Überschusses entschieden werden. Welcher Teil davon soll jenen Gesellschaftsmitgliedern zufallen, die nicht zur Produktion beitragen? Welcher Teil soll zur Ausweitung der Produktionskapazitäten verwendet werden, so dass in der Zukunft mehr Konsummöglichkeiten bestehen? Ist eine Ausweitung der Produktion überhaupt anzustreben und welche Güter und Dienstleistungen sollen in Zukunft hergestellt werden?

Andererseits ist die kapitalistische Antwort auf diese Fragen klar: Die Produktion ist soweit auszudehnen, dass ein maximal zu erwartender Profit realisiert werden kann. Dabei ist in jene Produktionszweige zu investieren, die den höchsten Profit erzielen.

Diktiert werden diese Antworten von der Konkurrenz, die selbst die Allmachtsfantasien der Reichsten mit der Angst vor Versagen, Bankrott und sozialem Abschied durchsetzt.


Der neue Rentierkapitalismus

Die Beziehungen zwischen Geldvermögensbesitzern, Bankiers und Börsianern einerseits und Industriellen andererseits können ganz unterschiedlich aussehen. Während der Großen Depression der 30er Jahre propagierte John Maynard Keynes das Bündnis von Industrie und Arbeiterschaft gegen die Besitzer und Händler des Geldes. Letztere waren durch den Zusammenbruch von Börsen und Kredit arg angeschlagen und versuchten, aus ihrem Restkapital hohe Zinsen zu schlagen. Den Lohnraub, den sie zu diesem Zweck betrieben, machte Keynes für den Übergang eines zyklischen Wirtschaftsabschwungs in eine anhaltende Depression verantwortlich.

Zur Überwindung dieser Depression schlug Keynes vor, dass sich Regierungen vorhandene Ersparnisse zu niedrigen Zinsen borgen und als wirksame Nachfrage in den Wirtschaftskreislauf schleusen sollten. Das Bündnis zwischen Gewerkschaften und industriellem Kapital sollte durch die Anbindung der Löhne an die Produktivitätsentwicklung untermauert werden.

In den 70er Jahren erlebten die Rentiers, deren sanften Tod Keynes in den 30er Jahren beschworen hatte, eine Wiederauferstehung. Ihre Renditeforderungen, die sich aus Gewinnmöglichkeiten an der Börse speisten, halfen die mittlerweile als lästig empfundenen Forderungen der Gewerkschaften zurückzudrängen, schossen aber beständig über die zu realisierenden Profite hinaus. Im Zuge der Finanzkrise 2008/09 drohte den Rentiers eine Vermögensentwertung vergleichbar jener, die ihre Großeltern zu Beginn der Großen Depression getroffen hatte.


Sozialismus für die Banken?

Doch die Gegenwart ist keine bloße Wiederholung der Vergangenheit. Niedrige Zinsen und steigende Staatsausgaben, mit denen die keynesianische Wirtschaftspolitik seinerzeit den sanften Tod der Rentiers einleitete und die Realwirtschaft ankurbelte, sind zum Lebenselixier fauler Vermögensbestände geworden. Dieser Sozialismus für Banken und Börsen hat einen kapitalistischen Totalschaden, wie er den keynesschen Rezepten in den 30er Jahren vorausgegangen war, verhindert. Dafür drücken jetzt private und öffentliche Schulden die Investitionsneigung industrieller Kapitalisten. Vor allem aber lasten sie auf den Lohnzetteln und Sozialversicherungen der Arbeiterklasse.

Lohnraub ist auch heute ein Rezept zur Krisenverschärfung statt der Krisenüberwindung. Börsianer, Banker und Industrielle halten ihn gleichermaßen für alternativlos, weil Absatz versprechende Zukunftsmärkte nicht in Sicht sind.

Massenkonsum und die Industrialisierung vieler Länder des Südens haben die kapitalistische Akkumulation seit den 30er Jahren getragen und die Erde dabei an den Rand des ökologischen Zusammenbruchs geführt. Für einzelne Firmen ist der grüne Kapitalismus zwar ein gutes Geschäft, für die Weltwirtschaft als Ganzes stellt die Vermarktlichung der Natur aber eher einen Kostenfaktor dar. Die Frage woher zusätzliche Nachfrage kommen soll - und damit ein Wirtschaftswachstum, das die Rückzahlung ausstehender Schulden ermöglichen würde - bleibt unbeantwortet.


Einheit und Streit

Angesichts realwirtschaftlicher Stagnation wird auch der Versuch scheitern, die Schulden auf Kosten der lebendigen Arbeitskraft und der Natur zu sozialisieren. Die Finanzmärkte bleiben fragil und treiben die Politik zur Suspendierung demokratischer Teilhabe. Der Finanzkrise folgt nicht der Zusammenbruch des Finanzkapitals, sondern dessen Diktatur.

Es sei denn, die zur Bezahlung der Krisenlasten aufgerufene Bevölkerungsmehrheit nimmt die Wirtschaft in ihre eigenen Hände und entscheidet zukünftig selbst, was mit welchen Produktionsmethoden hergestellt wird.

Dieser Sozialismus für alle wird nicht konfliktfrei zu haben sein. Das Bild von der Einheit aller Ausgebeuteten und Unterdrückten stimmt nur mit Blick auf ihre Ausbeuter und Unterdrücker. Denen gegenüber müssen sie als Klasse gemeinschaftlich handeln, wenn sie die Chance haben wollen, ihr Schicksal selbst zu entscheiden. Aber unter uns werden wir fortwährend streiten.

Da werden sich welche nicht von gewohnten Arbeitsplätzen trennen wollen, obwohl sie die damit verbundenen Gesundheitsgefahren sehr genau kennen. Andere werden auch mal so richtig aus dem Vollen schöpfen wollen, obwohl sie wissen, dass wir an den kapitalistisch produzierten Normen des Massenkonsums zu ersticken drohen.

Alle werden wir uns manchmal den einfachen Maßstab der Profitrate zurückwünschen, wenn wir vor lauter Ökobilanzen, Umfragen über Konsumansprüche und Bereitschaft zum Arbeitseinsatz nicht ein noch aus wissen. Manche werden versucht sein, Investitionsentscheidungen und Produktionskontrolle einer auserlesenen Schar von Experten zu überlassen. Das hatten wir übrigens schon, es nannte sich "real existierender Sozialismus" und produzierte Stagnation und ökologische Krisen in ganz ähnlicher Weise wie der heutige Finanzmarktkapitalismus.

Trotzdem sind die Einigkeit gegen die weltweite Klasse der Ausbeuter und Unterdrücker und die Bereitschaft zum demokratischen Streit um eine gerechte Aufteilung von Arbeit und Konsum der einzige Weg, um Frieden mit uns und mit der Natur schließen zu können.


[*] Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil I+II+III der Artikelserie finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Medien → Alternativ-Presse
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1620: Wer hat Schulden und was ist das Problem dabei?
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1629: Der Kredit und die Schaffung von Kaufkraft
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1636: Gibt es einen Ausweg aus dem Schuldenlabyrinth?

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 27.Jg., Mai 2012, Seite 19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2012