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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1674: Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 - Juli/August 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller

Von Tanja Schultz



In ihrer neuen Produktion präsentiert "andcompany&Co.", eine der womöglich wichtigsten Performance- und Theatergruppen unserer Zeit, auf einer Silberbühne, in der Form eines Spiels im Spiel, Don Karlos, ein Stück Friedrich Schillers, welches in der Performance mit der historiografischen Schrift über den Aufstand der Niederländer, dem "Abfall der Niederlande", einer der großen historischen Schriften, remixt wird.

Don Karlos gehört zum festen Bestand vieler Repertoirebühnen, bei "andcompany&Co." kann jedoch von Werktreue keine Rede sein. Stattdessen zeigt die Gruppe einen re-mixten Aufstand von Künstlern und Bettlern. Das Stilprinzip des Re-Mixes gehorcht dabei Gesetzen der DJ-Praxis.

Tanja Schultz gibt nachstehend einen Überblick über das Performance-Kollektiv "andcompany&Co." und ihre neue Performance. Sie sprach zudem mit einem Mitglied der Theatergruppe, Alexander Karschnia.

Szenefoto - Foto: © Hans Jörg Michel

andcompany@Co: Der (kommende) Aufstand, Oldenburg 2012
Foto: © Hans Jörg Michel


Seit 2002 macht das Performance-Kollektiv "andcompany&Co." national und international von sich reden, indem es politisch Theater macht. Die Gruppe um Alexander Karschnia, Nikola Nord und Sascha Sulimma arbeitet bei jeder Produktion mit neuen Gruppen aus der ganzen Welt zusammen und ist fest als freie Gruppe am Berliner Theater Hebbel am Ufer (HAU) etabliert.

Für das aktuelle Projekt hat sich das Kollektiv mit einer flämisch-niederländischen Gruppe und dem flämischen Regisseur, Schauspieler und Autor Joachim Robbrecht zusammengetan, geprobt wird der Aufstand der freien Theater. Damit reagieren sie auf eine kulturpolitische Praxis, die zuerst in Holland, jetzt aber auch in Deutschland zum großen Thema geworden ist: Die freien Gruppen sind in der Regel auf öffentliche Kulturförderung angewiesen. Diese verschiebt sich aber in den Niederlanden, und auch zunehmend in Deutschland, auf die ausschließliche Förderung von sog. Leuchtturmprojekten. Die Mittel für diejenigen freien Gruppen, die auch mal etwas wagen, werden immer stärker reduziert. Eine Praxis, die, schaut man auf die Niederlande, viel über das politische Klima sagt, denn die freien Gruppen bündeln das kritische Potential einer Gesellschaft. Durch die Förderungspraxis gehen die Möglichkeiten verloren, dass ihre Stimmen gehört werden können.

Im Februar war in Oldenburg die Premiere ihrer Arbeit "Der (kommende) Aufstand nach Friedrich Schiller", auch in Brüssel, Düsseldorf, Amsterdam und Rotterdam wurde das Stück gezeigt, im kommenden Oktober ist es in Münster zu sehen. Das Performancekollektiv knüpft damit an eine Praxis an, die es in seinen Anfängen mit der Performance "for urbanites" begonnen hatte. Damals schmuggelte das Kollektiv sich ins TAT, dem traditionellen Freien Theater auf der Bockenheimer Warte in Frankfurt, das 2004 von der Schließung bedroht war. Es umtanzte als Rettungsaktion den Bockenheimer Turm, aber dadurch konnte das Theater nicht gerettet werden. Doch die (Erfolgs-)Geschichte von "andcompany&Co." nahm ihren Lauf, und diese Besetzungspraxis wird wiederaufgelegt. Die hier besprochene Arbeit, "Der (kommende) Aufstand", steht im kulturpolitischen Kontext der Eliminierung der freien Theaterszene in den Niederlanden.

Das Performancekollektiv "andcompany&Co." sucht stets nach realen und abstrakten Möglichkeitsräumen, nach Möglichkeiten von Utopien und Zukunftsentwürfen, nach dem Ende der großen Utopien und den Möglichkeiten nach dem Ende der Geschichte.


Die Ziele

Den Durchbruch erlangte es mit der Trilogie "Time Republic", "Little Red" und "Mausoleum Buffo". Erzählt wird nicht die History des Kommunismus, sondern die (Her)story. Es geht nicht um die historische, heroische Geschichte des Kommunismus und auch nicht um die authentische Rekonstruktion der Biographie des kleinen Mädchens, Little Red, die als Kind von Kommunisten in Westdeutschland in den 80ern jedes Jahr ins Ferienlager der DDR verschickt wurde. Hier erhebt sich die Stimme einer Generation, die im Sinne des Historikers Eric Hobsbawm als die letzte Generation des 20. Jahrhunderts bezeichnet werden kann, wenn man das 20. Jahrhundert mit der Oktoberrevolution 1917 beginnen und der Auflösung der Sowjetunion enden lässt.

Mit der aktuellen Produktion "Der (kommende) Aufstand" ist das Kollektiv im 21. Jahrhundert globaler Krisen angekommen. Darin geht es nun um Universal- oder besser, Globalgeschichte(n). Wurde im Bühnenstück "for urbanites - nach den großen Städten" noch ein Theater besetzt, steht in "Der (kommende) Aufstand" eine Tapetenbühne als Silbergeschenk auf der Bühne.

Wie der Titel schon sagt, geht es um Aufstand - den kommenden Aufstand, in Anlehnung an die bekannte Schrift des unsichtbaren Komitees, die seit Jahren in Aktivistenkreisen herumgeistert. Es geht aber auch - und das ist das Besondere an dieser Arbeit - um den historischen Aufstand der Niederländer vor 444 Jahren. Der mündete in den Achtzig- bzw. Dreißigjährigen Krieg und war Anlass für eine der großen historischen Schriften Friedrich Schillers und sein frühes Drama Don Karlos.

andcompany&Co. erarbeitet auf dieser Basis eine sinnenreiche, unterhaltsame und kluge Aufführung und schafft das vermutlich vielschichtigste politische Theater, das zugleich Theater der Politik ist, das derzeit zu sehen ist:

Sieben Männer kommen, in Bettlersäcke gekleidet, auf die Bühne, jeder hat ein großes Ei in der Hand, welches später als Sitzgelegenheit dient. Die Herren nehmen Platz: Zwischen dem Publikum und einer als Silbergeschenk eingepackten, traditionellen, aber aus Pappe gefertigten Guckkastenbühne - einem temporären Transnationaltheater. Sie proben den Aufstand der Niederländer. Dort verkleideten sich Bürger als Bettler, um für ihre Freiheit zu kämpfen. Ganz in der Tradition des Brechtschen Theaters verschwinden die Schauspieler nicht in ihren Rollen, sondern stehen explizit als Schauspieler auf der Bühne und zeigen sich als Rollenbesetzer. Dann wollen sie das Silbergeschenk zusammen mit dem Publikum auspacken, gefordert ist eine Öffnung hin zum Publikum. Diese vollzieht sich in der Form der Animation. Es wird ein bestimmtes System von Gesten zusammen mit dem Publikum eingeübt, mit dem es Stellung zum Bühnengeschehen nehmen soll. Das starre Guckkastenpublikum wird (re)animiert. Die Animation wirkt wie ein Zeitvertreib.

Ein Zentralmotiv ist das Warten, welches sich aus der Schrift des unsichtbaren Komitees ableitet. Die Schauspieler wollen aber nicht länger darauf warten, dass der Aufstand beginnt. Die Aufführung des Don Karlos nimmt Rekurs auf eine Zeit, in der man glaubte, dass man es auf der Bühne nur gut meinen muss, um ein gutes Theater zu machen. Ja, das Theater ist eine moralische Anstalt, die einen Beitrag zur Erziehung des Menschen, zum guten und moralischen Menschen leistet. Es konnte ihn als Weltbürger, also als geschichtsphilosophisches Subjekt formulieren. Aber dieses Theater hat noch nicht begonnen. Während man wartet, werden bekannte Protestlieder aus den 1970ern gespielt und mit den Slogans der Occupy-Bewegung, "We are the 99 Percent" re-mixt. Der Übergang zu Schiller verläuft dann ganz explizit, wenn es denn heißt: Keiner schrieb schärfer gegen die 1% als Schiller gegen den Adel im "Abfall der Niederlande". Und es wird deutlich, dass es eben auch um einen Abfall geht, nicht nur um die Emanzipation von Spanien, sondern auch um das, was man heutzutage unter Abfall versteht: Bettler, die Menschen am Rande, die gehört werden müssen.


Warum sprechen wir über das historische Spanien?

Aber zunächst fällt der Blick auf die Silberpapierbühne. Besonders in Szene gesetzt erscheint das Konzept der Universalgeschichte. Der Marquis de Posa, welcher Karlos von den Aufständen in Flandern berichtet, erscheint als ihr Träger. Die Befreiung Flanderns erscheint somit als Universalgeschichte, als das entscheidende Projekt. Und im Zwischenraum zwischen der Silberbühne und dem Publikum, also an dem Ort, an dem sich die Performer befinden, findet ein Re-Mix von Universalgeschichte und Kolonialgeschichte statt, indem die Geschichte Spaniens als Universal- und als Kolonialgeschichte performt wird.

Die historische Schrift, Schillers Abfall der Niederlande, ist das erste Beispiel für eine performative Geschichtsschreibung, bei der das historische Geschehen während des Schreibens wie eine Theaterinszenierung vor Augen gestellt wird, zur Vorstellung kommt. Kongenial wird diese performative Geschichtsschreibung hier zur Manneskraft der Performance.

Der Don Karlos wird endlich ausgepackt, der Übergang hierzu wird durch Musik hergestellt, die immer mehr an Menuette aus Schillers Zeit erinnert. Die historische Dimension wird aber unterbrochen durch die Frage: "Why are we talking about historical Spain and not about the current one?" ("Warum sprechen wir über das historische Spanien und nicht das von heute?") An dieser Stelle werden die allgemeinen Themen der Globalisierung, Ausbeutung, Warenverkehr entfaltet - immer wieder von den Bettlern in kurzen Slogans ausgerufen. Ausgepackt, entwickelt wird aber die historische Geschichte von Don Karlos, man erfährt von dessen Konflikt mit seinem Vater. Auch das, was da in Flandern passiert, wird als Wut und Krieg der Jugend verstanden.

An dieser Stelle zeigt die Illusionsbühne, die nur aus Tapete besteht, ein neues Bild. Sie hatte schon während des Don Karlos-Spiels Risse bekommen, die wie Wunden aussahen. Jetzt sieht sie aber so aus, als würde sie ausbluten. Ein starkes Bild im Hintergrund, während vordergründig die Bettler-Schauspieler Klamauk machen. Bald ist auch die Bühne, das Geschenk, mit Sandsäcken verschanzt und mit (Tomaten-)Kartons zugestellt. Aus dem Silbergeschenk ist eine Müllhalde geworden, durch das ein Transparent mit einer fast unlesbaren Schrift geführt wird. Aus diesem Bild wird ein Blondschopf hervorgezogen, der stammelnd und stotternd die Stimme des Theaters erhebt. Er beklagt die Abweisung eines Antrags durch die Kulturbehörde: Das Don Karlos-Projekt erhält keine kulturpolitische, also monetäre Unterstützung durch Europa. Zur Begründung zitiert er stammelnd: Warum machen sie sich keine Vorstellung, es sei zu wenig Imagination (dies wird im Hintergrund durch das Bühnengeschenk kongenial unterlaufen) und zu viel Politik, man wolle eine humane Verbindung zwischen den Menschen, wie sie eben Schiller mit seinem Schaubühnenprojekt wollte, und kein politisches Manifest von einer asozialen Theaterschicht freier Gruppen.

Auch wenn die Schauspieler in ihrer Mannwerdung dem Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes auf die Eier gehen, indem sie ihre Eier (die einen, wie auch die anderen) ins Gesicht des Publikums halten, ist im Hintergrund ein Zauber der aufgebrochenen Bühne, der anhaltend schimmert. Ein Zauber, der auch funktioniert, wenn man bildungsbürgerlich, gebildet und gelehrt, Schillers Werke kennt oder die einzelnen Anspielungen auf die verschiedenen Bewegungen entziffern kann oder möchte - diese Freiheit bleibt dem Zuschauer überlassen. Sperrt man sich, bleibt Klamauk, bei einer Öffnung entsteht etwas, worauf man gewartet hat. Es erscheint ein neues politisches Theater, welches eben Theater bleibt und sich nicht, wie im Protesttheater, auf ein Gutmeinen verlässt, zu einem politischen Manifest wird. Es zeigt im guten Sinn, was es heißt, Theater politisch zu machen, indem die eigenen Möglichkeiten reflektiert werden, und eine Öffnung zum Publikum inszeniert wird - zwischen Stadttheater und den Freien Bühnen, aber immer mit dem Publikum. Die kleine Little Red ist erwachsen geworden.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 27.Jg., Juli/August 2012, S. 24
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2012