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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1691: Mit der Rezession kommt auch neue Unsicherheit


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10 - Oktober 2012
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Vor dem Frontalangriff
Mit der Rezession kommt auch neue Unsicherheit

Von Ingo Schmidt



Ein Dreigestirn aus Industriellen, Bundesbankern und Ökonomieprofessoren macht einen Mangel an protestantischer Arbeitsethik in Südeuropa sowie den angelsächsischen Hang zur Spekulation für die Weltwirtschaftskrise 2008/09 und ihre Mutation in eine europäische Währungs- und Schuldenkrise seit 2010 verantwortlich.

Über den wissenschaftlichen Gehalt solcher Ansichten kann man streiten, ihr politischer Erfolg ist eindeutig. Die Grundsätze "Schade deinem Nachbarn" und "Mach andere für die Krise verantwortlich" trugen seit Beginn der Krise zur Stabilisierung der politischen Mitte bei.

Für den Bestand demokratisch verfasster Kapitalismen ist die Mitte von zentraler Bedeutung. Der liberale Meisterdenker Schumpeter bezeichnete sie als "schützende Schichten" der Bourgeoisie.


Parteien der Mittelklasse im Aufschwung

Das Bröckeln dieser Mauern, vor dem Schumpeter gewarnt hatte und das von Schröder und seinem Chefstrategen Hartz massiv befördert wurde, konnte im Laufe der aktuellen Wirtschaftskrise zumindest vorübergehend zum Halten gebracht werden. Die Angst vor dem sozialen Absturz hat sich zwar tief in den Kern der Gesellschaft gefressen, wird jedoch von einem neuen, allerdings fragilen, Selbstbewusstsein der Mitte überlagert. Am Rand der Gesellschaft herrschen dagegen Resignation und Passivität vor.

Resignation der Marginalisierten und Stabilisierung der Mitte schlagen sich in Wählerumfragen deutlich nieder. Die Gründung der Linken, die ohne die Bewegung gegen die Hartz-Reformen kaum denkbar gewesen wäre, brachte der neuen Partei erheblichen Zuspruch gegenüber den Vorläuferorganisationen PDS und WASG. Zu Beginn der Krise lag sie bei 10-14% Wählerzustimmung. Je länger die Krise anhält, desto mehr Menschen ziehen sich jedoch (wahl-)politisch wieder zurück. Während die Linke auf Werte zwischen 5% und 7% zurückgefallen ist, erleben die Parteien der deutschen Mittelklasse einen Aufschwung.

Den Anfang machte die FDP, die im Sommer 2009, dem Tiefpunkt der Wirtschaftskrise in Deutschland, ein Allzeithoch von 16% erreichte. Danach fiel sie schnell zurück und wurde von den Grünen abgelöst, die es im Sommer 2011 auf 24% brachten und damit bis auf einen Prozentpunkt an die SPD herangekommen waren. Fast die Hälfte dieser Zustimmung haben sie mittlerweile wieder verloren. Dafür hat es die Piratenpartei beinahe aus dem Stand auf Höchstwerte von 11% gebracht. Nicht schlecht für eine Partei, die nicht weiß, was sie will, außer dass sie kein Sprachrohr für gesellschaftliche Absteiger sein möchte.

Gleichzeitig ist der Anteil der Volksparteien CDU und SPD von Werten zwischen 75 und 80% zu Beginn des Jahrzehnts auf gegenwärtig 60-65% zurückgegangen. Weniger als in der Vergangenheit lässt sich die politische Mitte in die Klassenkompromisse einbinden, die CDU und SPD parteiintern aushandeln müssen. Ihr Ziel der Besitzstandswahrung versucht sie zunehmend ohne den Ballast solcher Kompromisse zu erreichen. Der Versuch, politisch eigene Wege zu gehen, führt die Mittelklasse allerdings immer wieder in die Integrationsmechanismen des zunehmend kritisch gesehenen Politikbetriebs. Rechtspopulistische Alternativen, die von volksparteilichen Dissidenten wie Sarrazin und Gauweiler präsentiert werden, sind zwar medienwirksam, taugen aber noch nicht als Kristallisationskern einer neurechten Partei, und die NPD ist dem distinguierten Mittelklässler zu prollig. Solange die Wirtschaft am Rande der Krise dahin mäandert, dürften die schützenden Mittelschichten der Bourgeoisie und ihrem Parlament erhalten bleiben.


Aussicht auf Hartz V

Das gleiche gilt für die Gewerkschaften. Hatte es zwischen ihren Spitzenfunktionären, viele davon lebenslang SPD-Mitglieder, und dem SPD-Kanzler Schröder mächtig gekracht, verkündet die CDU-Kanzlerin Merkel bei Gewerkschaftstagen die unverbrüchliche Treue zwischen dem bundesrepublikanischen Staat und der organisierten Arbeiterschaft.

Während der Rezession 2008/09, als die Entlassung von Zeitarbeitern nicht ausreichte, um die Lohnkosten auf ein profitkompatibles Niveau zu senken, schoss die Regierung großzügig Kurzarbeitsgeld zu, um die Stammbelegschaften im Betrieb zu halten. Als die Auslandsnachfrage wenig später wieder anzog, machte sich diese Investition bezahlt - die deutsche Exportwirtschaft war sofort zur Stelle, um ihren angestammten Platz auf dem Weltmarkt wieder einzunehmen.

Allerdings hat diese konjunkturelle Erholung auf Kosten der Verschuldung anderer Länder zur Transformation einer allgemeinen Finanz- und Wirtschaftskrise in die Euro-Krise beigetragen. Letztere wurde bekanntlich zum Anlass der von Merkel, EZB und IWF verordneten Sparprogramme in Südeuropa. Die damit verbundenen Ausgabenkürzungen haben nicht nur zu massiven Wirtschaftseinbrüchen in Griechenland und Portugal geführt, sondern mittlerweile in der gesamten Eurozone eine Rezession ausgelöst. Die mit diesen Programmen verbundenen Strukturreformen, im Klartext: Privatisierungen und Absenkung sozialer Mindeststandards, wird mittelfristig auch die Kostenvorteile zunichte machen, die sich Deutschland mit den Hartz-Reformen erworben hat.

Sobald Nachfrageschwäche und Kostenkonkurrenz zusammen kommen, wird es mit der gegenwärtigen Sozialpartnerschaft vorbei sein. Dann steht Hartz V auf der Tagesordnung. Dann wird es sich rächen, dass die organisierte Arbeiterbewegung nichts zur Unterstützung der Kämpfe gegen die Sparprogramme in Südeuropa unternommen hat. Auch mit der Stabilisierung der politischen Mitte wird es dann vorüber sein. Mit der nächsten Welle des Sozialabbaus kehren die Angst vor dem Absturz und die Gefahr einer rechtspopulistischen Wende zurück.


Die Linke

Der Aufbau einer gemeinsamen Front gegen Sparpolitik und Rechtsentwicklung wird schwierig. Die Gewerkschaften sind zu sehr in die gegenwärtig reaktivierte Sozialpartnerschaft verstrickt, um sich auf solche Kämpfe vorzubereiten. Immer größere Teile der Arbeiterklasse sind weder gewerkschaftlich organisiert, noch fühlen sie sich von irgendeiner des bestehenden Parteien angezogen.

Ob diejenigen, die in der Vergangenheit Sympathien für Die Linke geäußert haben, zu weitergehender Aktivität in oder um Die Linke bereit sind, ist zweifelhaft. Angesichts der vorübergehenden Stabilisierung in Deutschland hat die Partei zu sehr mit Mitte-Links-Bündnissen geliebäugelt und ihre ursprüngliche Absicht, als Sprachrohr und Organisator der Deklassierten zu handeln, weitgehend aufgegeben. Andererseits haben die Erfahrungen mit den Hartz-IV-Protesten die alte Erfahrung bestätigt, dass lose Bündnisse zur vorübergehenden Mobilisierung gute Dienste leisten, zum Aufbau einer dauerhaften Bewegung aber nicht ausreichen. Die Frage, welche politische Form uns in den kommenden Kämpfen voranbringen wird, bleibt vorerst unbeantwortet.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 10, 27.Jg., Oktober 2012, S. 15
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2012