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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1785: IrRWEge der kommenden Großen Koalition


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12 - Dezember 2013
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

IrRWEge der kommenden Großen Koalition Eine politische Weichenstellung über das EEG hinaus nötig

Von Rolf Euler



Noch bevor die Große Koalition steht, haben die deutschen Energiekonzerne RWE, E.on und Vattenfall in Berlin, Brüssel und Warschau klar gemacht, wo der Hammer hängt: Sie geben der Politik den Takt vor, und die ist mit ihnen verbandelt.


Soeben haben die beiden großen Stromproduzenten Quartalszahlen vorgelegt: Ihre Gewinne "brechen ein", sie können mit dem von ihnen betriebenen Kraftwerkspark zu wenig Geld verdienen. RWE will fast 7000 Arbeitsplätze abbauen, davon fast 5000 in Deutschland.

Da die letzte Bundesregierung - nach dem Fukushima-GAU - den Beschluss gefasst hatte, aus der Atomenergie nun doch auszusteigen, musste sie ein Stilllegungsprogramm für ihre sämtlichen Kernkraftwerke in den nächsten zehn Jahren vorlegen. Als Ersatz dafür haben die großen Versorger bisher aber hauptsächlich Kohlekraftwerke im Betrieb, von einigen Wasser- und Gaskraftwerken oder Windparks abgesehen. Das Geschäft mit den erneuerbaren Energien Sonne und Wind überließen sie den "Spinnern". In diesem Sektor wurden inzwischen jedoch Kapazitäten aufgebaut, die dazu führen, dass sehr oft Strom exportiert werden muss: Mehr als ein Viertel des erzeugten Stroms kommt inzwischen aus erneuerbaren Quellen.

Damit ist das von der rotgrünen Regierung durchgebrachte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in die Schusslinie der Stromkonzerne geraten. Bislang mussten sie hinnehmen, dass Anlagen auf der Basis erneuerbarer Energien Einspeisevorrang haben. Das wollen sie nun ändern, weil sie sich das Geschäft mit der Stromerzeugung nicht wegnehmen lassen wollen. Dabei hat die schwarz-gelbe Regierungsmehrheit im vergangenen Jahr bereits Änderungen im EEG zugunsten der Energiekonzerne durchgesetzt: Die Einspeisevergütung für Fotovoltaik-Anlagen wurde gesenkt, der Bau von Windparks im Meer begünstigt, ebenso der Trassenbau für Fernleitungen, 1550 Unternehmen von der EEG-Umlage befreit (meist Großverbraucher). Das ist den Energiekonzernen immer noch nicht genug. Sie wollen ganz aus dem EEG aussteigen und sich weitere Vergünstigungen für Kohlekraftwerke erstreiten.

Dem RWE-Konzern gehört das rheinische Braunkohlerevier, Vattenfall hat sich die Braunkohlegruben in der Lausitz, in Sachsen und Brandenburg gesichert. Braunkohle wird in großen Mengen billig abgebaut und fast an Ort und Stelle ebenfalls für die Grundlast verstromt. Es entfallen weite Transportwege, die beim Import von Steinkohle nötig sind. Braunkohle ist der "schmutzigste" Primärenergieträger. Infolgedessen ist der CO2-Ausstoß der Bundesrepublik im letzten Jahr wieder gestiegen - Atomkraft wurde durch Kohle ersetzt.


Hand in Hand mit der Lokal- und Landespolitik

Die Energiekonzerne haben eine lange Geschichte der Verflechtung ihrer Interessen mit politischen Entscheidungsträgern. RWE (früher Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke) und die von RWE gekauften VEW (Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen) waren als Unternehmen vieler Städte gegründet worden, die ihre Stromerzeugung zusammenlegten. Das zur Nazizeit geschaffene Gebietsmonopol sicherte ihnen reiche Pfründe. Viele Städte in NRW verpachten Grund und Boden für die Leitungsverlegung und kassieren entsprechende Nutzungsentgelte. Im Gegenzug halten sie Aktienanteile an RWE, ihre Politiker sitzen in den Beiräten und Aufsichtsräten. Manche Städte haben im Zuge der Finanznot ihre Anteile veräußert, andere haben sich entschieden, mit RWE zusammen Stadtwerke zu gründen.

Wenn jetzt die Gewinne von RWE einbrechen, so hat das unmittelbare Folgen für die Städtefinanzen, weil sie bisher mit den Einnahmen aus Dividenden und Gewerbesteuer gerechnet hatten. Auch sind in den Konzernzentralen in Essen und in den Filialen im Rhein-Ruhrgebiet Arbeitsplätze bedroht. Während einige Kämmerer der betroffenen Städte zusammen mit den Vorständen von RWE und E.on deshalb gegen die Energiewende argumentieren, sagt der Dortmunder Oberbürgermeister, die Stadt könne von der Forschung und Entwicklung der erneuerbaren Energien profitieren.

Die NRW-Landesregierung hat sich jedoch deutlich auf die Seite der Energiekonzerne gestellt. Nachdem die NRW-SPD anfänglich den Anschein erweckte, sie sei mit Hannelore Kraft an der Spitze strikt gegen eine Große Koalition, ist diese nun zurückgerudert und sogar zu einer Verfechterin des Zusammengehens mit der CDU geworden, denn mit den Grünen käme eine so kohlefreundliche Energiepolitik wohl nicht in die Koalitionsverträge.


Große Koalition schützt deutsche Industrie

Gegen die Ausnahmeregelungen des EEG 2012 zugunsten der Elektrizitäts-Großverbraucher läuft eine Untersuchung in Brüssel wegen möglicher Wettbewerbsvorteile durch unzulässige Subventionierung der Stromkosten. Dagegen argumentieren Aluminiumwerke und Stahlkonzerne, Autofabriken und Braunkohletagebaue, sie wären sonst international nicht mehr konkurrenzfähig und müssten zumachen.

Diese Argumentation machten sich Frau Kraft und Herr Altmaier zu eigen. Sie fuhren beide nach Brüssel, um sie dem EU-Minister vorzutragen. Die "Energiewende" müsse "bezahlbar" bleiben, heißt das Modewort. Wer geglaubt hat, das bezöge sich auf die Bürger, sieht sich getäuscht - gemeint sind die Großverbraucher der Industrie und die Stromproduzenten, deren Kraftwerkspark nicht mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien kompatibel ist und wegen der niedrigen Börsenpreise für Strom - eine Folge des Ausbaus der Erneuerbaren - nicht mehr rentabel läuft.

Die Proteste von Klimaschützern etwa gegen die Ausweitung des Braunkohletagebaus Hambach werden mit Polizei und Justiz bekämpft. Über die Studie "Bittere Kohle" von Urgewald wird geschwiegen. Ministerpräsidentin Kraft und ihr Wirtschaftsminister Duin behaupten, Kohlekraftwerke seien für die Energiewende dringend nötig. Duin forderte sogar - zum Missfallen der an der NRW-Regierung beteiligten Grünen - für Kohlekraftwerke einen Ausgleich für entgangene Gewinne, damit sie am Netz bleiben können.


Stromsparen

Die Klimaschutzziele werden auf diese Weise sicher nicht erreicht. Mit Verweis auf die aufstrebenden Länder China, Indien usw. wird behauptet, ob sich hier ein Windrad dreht oder nicht, habe auf das Weltklima keinen Einfluss. Dabei bezieht sich der Einsatz erneuerbarer Primärenergien Sonne und Wind ja nur auf die Stromproduktion. Verkehr, Heizung, Luftfahrt tragen ebenfalls einen wesentlichen Teil zur CO2-Bilanz bei. Hier kann das EEG gar nicht greifen. Hier braucht es eine Diskussion darüber, wie Brennstoff eingespart werden kann.

Stromsparen kommt auch im EEG nicht vor. Allein die Ausweitung der Internetaktivitäten, die Bereitstellung von riesigen Serverzentren, die Einrichtung großer Datenautobahnen haben den Stromverbrauch in der letzten Zeit nach oben getrieben und alle Einsparungen durch Sparlampen und dergleichen zunichte gemacht.

Man kann auch nicht der Idee das Wort reden, Verbraucher könnten zum Stromsparen angehalten werden, indem der Strom für sie teurer wird.


Energie in Bürgerhand

Energie, auch Strom, gehört zu den "Grundbedarfsgütern" der Gesellschaft. Stromkonzerne sind gesetzlich zwar zur Versorgung der Bevölkerung verpflichtet, aber die hat nichts zu sagen. Wer wieviel und aus welchen Quellen Strom erzeugt, wer wohin Leitungen baut, wie klimaverträglich das ist, das entscheiden die Konzerne nach ihren jeweiligen Rentabilitätskriterien. Seitdem das Erneuerbare-Energien-Gesetz jedem im Prinzip ermöglicht, "Stromproduzent" zu werden, und das auch genutzt wird, gibt es erhebliche Widersprüche.

Denn die Umstellung der Energieversorgung auf 100% Erneuerbare Energien bedeutet einen Systemwechsel. Bei den erneuerbaren Energien schwankt der Strom mit der Windstärke und der Sonneneinstrahlung. Zudem wird er dezentral erzeugt, ist die Sache von Vielen. Und er muss verbraucht werden, wenn er erzeugt werden kann.

Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Die Betreiber fossiler Kraftwerke kämpfen darum, dass sie nach wie vor die Grundlast liefern und die Schwankungen durch fossile Kraftwerke ausgleichen. Die Erneuerbaren sollen höchstens Spitzenlast übernehmen. Damit bleibt das System aber von den Fossilen abhängig - und solange auch in deren Geiselhaft.

Deshalb braucht es eine politische Grundentscheidung, die über das jetzige EEG hinausgeht (das ja einen Kompromiss zwischen den Erneuerbaren und den Fossilen darstellt). Um diesen Kampf geht es heute. Können sich die Klimaschützer durchsetzen, bedeutet dies mittelfristig das Aus für die Betreiber fossiler Kraftwerke - für Millionen Menschen, die heute schon unter dem Klimawandel leiden, jedoch das Leben.

Ein solcher Systemwechsel ist nicht nur eine Frage der Technik. Er muss flankiert werden von einer Reihe anderer Maßnahmen: etwa einer grundsätzlich anderen Preisgestaltung, die das Energiesparen fördert und deshalb Großverbraucher belastet. Oder durch die Konversion der Produktion in der Energiebranche, damit Arbeitsplätze nicht ersatzlos wegfallen.

So wie früher die Eisenbahn oder die Post ist heute die flächendeckende Nutzung emeuerbarer Energie (für Strom, Heizung, Verkehr) eine Infrastrukturaufgabe, die nur gesellschaftlich betrieben werden kann und deshalb eine politische Lenkung erfordert. Die politische Lenkung geht derzeit in die völlig falsche Richtung, weil Bundes- und Landesregierungen mit der Sprit- und stromfressenden Industrie verbandelt sind und die Stadtväter in den Kommunen in ihren Stadtwerken und Netzen in erster Linie eine günstige Einnahmequelle sehen.

Energie muss deshalb in Bürgerhand, d. h. das Eigentum an den großen Netzen und Anlagen muss öffentlich und der Umgang damit einer effektiven öffentlichen Kontrolle unterworfen sein. Energieerzeugung darf nicht dem Profitinteresse, sondern muss dem Interesse der Verminderung des CO2-Ausstoßes dienen. Dafür braucht es sowohl eine dezentrale Erzeugung und Verteilung für die normalen Nutzer, als auch eine regional übergreifende Steuerung der Netze und des Verbrauchs für größere Verbrauchseinheiten. Deshalb reicht eine Re-Kommunalisierung der Netze oder der Stadtwerke allein nicht aus. Insellösungen sind vielleicht in einigen kleinen Städten und Dörfern möglich, können aber sicher nicht einfach auf Großstädte übertragen werden.

Das wirft die Frage auf, wie demokratische Entscheidungen und öffentliche Kontrolle zu gewährleisten sind. Mit den jetzigen Strukturen der Interessenverflechtung wird das nicht möglich sein.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 12, 28. Jg., Dezember 2013, S. 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2013