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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1793: 3 Jahre Arabische Revolution - Die Islamisten und der Westen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1 - Januar 2014
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

3 Jahre Arabische Revolution[*]
In der Wolle gefärbte Neoliberale
Die Islamisten und der Westen

Von Bernard Schmid



Eine wichtige Frage, die sich im Zusammenhang mit den politischen Umbrüchen in Nordafrika stellt, ist auch die nach der eventuellen Herauslösung der betreffenden Länder - vornehmlich Ägypten, Tunesien und Marokko - aus dem Einflussbereich der imperialistischen Zentren, insbesondere der Europäischen Union und den USA. Ist eine solche Herauslösung seit 2011 gelungen oder vorangeschritten? Die Antwort ist ein klares Nein.


Angeführt wurden die Regierungen dieser Länder seit 2011 mindestens zeitweilig von islamistisch orientierten Parteien. Diese haben zwar ein negatives Bild vom "kulturellen Imperialismus": Darunter verstehen sie die Abkehr von religiösen Werten, aber auch Frauenemanzipation oder die Aufweichung tradierter Familienstrukturen unter dem vorgeblich "verderblichen Einfluss" aus dem Westen oder Norden. Aber da ihnen jegliches materialistische Verständnis von gesellschaftlichen Prozessen abgeht, mangelt es ihnen nicht nur am Begriff "Imperialismus" im politisch-ökonomischen Sinne, sondern überhaupt an einem Konzept zur Kritik des transnationalen, imperialistisch überformten Kapitalismus. Die überwiegende Mehrzahl der Islamisten denkt im Kern wirtschaftsliberal, u. a. weil der Islam im 7. Jahrhundert als kaufmännische Religion entstand.

Die Regierungen haben deshalb auch gar nicht den Versuch unternommen, Konzepte zur Überwindung von wirtschaftlicher Abhängigkeit, der einseitigen Exportorientierung in Richtung EU (besonders ausgeprägt im Falle Tunesiens und Marokkos) oder gar zu einer stärkeren Süd-Süd-Integration ihrer Ökonomien zu entwickeln. So etwas fand nicht einmal ansatzweise statt. Sowohl die tunesische als auch die ägyptische Regierung hielten sich auch unter den Islamisten den Gang zum Internationalen Währungsfonds (IWF) als vermeintliches Mittel zur Überwindung finanzieller Engpässe stets offen.


Damit alles bleibt, wie es ist

Auf der anderen Seite waren die EU, der IWF und andere internationale Akteure seit dem Beginn der Umbrüche von 2011 vor allem darauf bedacht, dass das Wirtschaftsmodell dieser Länder durch das politische Geschehen nicht in Frage gestellt wurde: die Anbindung an den EU-Markt, die Dominanz der von Europa abhängigen Zulieferindustrie und des Tourismussektors, die Auslandsverschuldung und "Öffnung der Märkte". Der G20-Gipfel vom 26. und 27. Mai 2011 in der Normandie lancierte dazu die "Partnerschaftsinitiative von Deauville", mittels derer die betreffenden Länder in dieses Wirtschaftsmodell eingebunden bleiben sollten - wofür ihnen "Hilfe und Unterstützung aller Art" zugesagt wurde.

Dass es zu einem Bruch mit dieser Orientierung kommen würde, darum brauchten sich die Westmächte in den letzten drei Jahren nicht ernsthaft zu sorgen, auf ökonomischer Ebene blieb die Umwälzung aus. In Tunesien hat der Druck von Inflation und Arbeitslosigkeit sogar zugenommen, weil viele (auch einheimische) Unternehmer ihre Investitionen nach Marokko verlagert haben. Politisch blieben EU und USA auch für Islamisten wie die En-Nahdha-Partei unumgängliche "Partner". Als am 14. Dezember 2013 in Tunesien die Übergangsregierung ausgewechselt wurde, schrieb die Pariser Abendzeitung Le Monde: "Beunruhigt über die endlosen Verhandlungen" (über die Umbildung der Regierung seit dem Sommer 2013) "hatten sich die wichtigsten Botschafter der EU und der USA Anfang Dezember in Tunis versammelt. Gemeinsam einigten sie sich darauf, die Kandidatur von Industrieminister Mehdi Jomaa (zum Posten des Regierungschefs) zu fördern, dessen Name bis dahin für den Posten nie gefallen war." Die Personalie ist vielsagend: Der 51jährige Jomaa hat in jüngerer Vergangenheit u. a. eine Filiale des französischen Erdölkonzerns Total, das im Flugzeugsektor tätige Unternehmen Hutchinson geführt, das u. a. für EADS, Airbus und Eurocopter arbeitet.


Die Rolle der Golfstaaten

Kontakt suchten die Regierungen in Kairo und Tunis aber auch in den Golfstaaten, insbesondere in Qatar. Geschäftsmänner und Investmentfonds dort legten Geld in Tunesien an, bspw. im Hotelsektor oder in der Phosphatförderung. Die konservativ-reaktionären Golfmonarchien gelten zugleich als zuverlässige Verbündete des Westens. Ihre Regimes mögen zwar eine eigene ideologische Agenda verfolgen, doch die Unterstützung für Salafisten oder andere Islamisten dient letzten Endes der "Stabilisierung" der Region, neutralisieren sie doch die revolutionären Energien und bekämpfen progressive Regungen.

Allerdings erlebten die Muslimbrüder nach dem Sturz ihrer Regierung im Juli/August 2013 in dieser Hinsicht eine böse Überraschung. Denn Saudi-Arabien, Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützten nach dem Machtwechsel die ägyptischen Militärs und ihren faktischen Putsch. Das mag auf den ersten Blick überraschend klingen, da insbesondere Saudi-Arabien in Gestalt des Wahhabismus eine Staatsideologie pflegt, die sich auf den Islam beruft. Jedoch darf nicht verkannt werden, dass die Muslimbrüder, die sich als überzeugte Anhänger einer republikanischen Staatsform geben und eine Monarchie wie die in den Golfstaaten ablehnen, trotz der ausgeprägt reaktionären Elemente ihrer eigenen Ideologie von den Hütern des Wahhabismus sehr misstrauisch beargwöhnt werden. Dies erklärt die eher putschfreundlichen Positionen vieler ägyptischer Salafisten - nebst ihren traditionellen Kontakten zur ägyptischen Armee. Lediglich Qatar vertrat eine abweichende Position: Das monarchische Herrscherhaus in Doha unterhält freundliche Kontakte zu den Muslimbrüdern und anderen islamistischen Strömungen.

Im August 2013 gewährte Saudi-Arabien den putschenden Militärs in Ägypten 5 Mrd. Dollar - zusammen mit Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten kamen 12 Mrd. Dollar an "spontaner" neuer Finanzhilfe zusammen. Den neuen Machthabern sollte dadurch der Rücken gestärkt werden. Angesichts zumindest verbaler Kritik aus den USA am Putsch - die US-Administration fürchtete eine Zunahme der Instabilität und drohte deshalb mit der Einstellung oder Kürzung der US-Militärhilfe (1,5 Mrd. Dollar pro Jahr) - boten sich Saudi-Arabien und seine Nachbarn zudem an, deren eventuellen Ausfall umgehend zu kompensieren. Zu dem Ausfall kam es dann jedoch nicht.


[*] Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Den ersten der vier aufeinanderfolgenden Artikel von Bernard Schmid zu diesem Thema finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → Infopool → Medien → Alternativ-Presse
SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1792: Die demokratischen Freiheiten

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 1, 29. Jg., Januar 2014, S. 14
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Januar 2014