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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2245: Parlamentswahlen in Italien - Ohrfeige fürs Establishment


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 · April 2018
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Parlamentswahlen in Italien
Ohrfeige fürs Establishment

von Angela Klein


Berlusconi kommt nicht wieder und Renzi hat seine Demokratische Partei (PD) vor die Wand gefahren. Zum zweiten Mal seit Anfang der 90er Jahre sind bei den Parlamentswahlen am 4.März die Parteien, die dem Establishment nahestehen, mit Pauken und Trompeten untergegangen.


Kandidiert hatte ein Mitte-Rechts-Bündnis bestehend aus Berlusconis Forza Italia (einer Nachfolgerin der alten Christdemokratie), der halbfaschistischen Lega (die sich unter ihrem neuen Vorsitzenden Matteo Salvini mit einigem Erfolg vom Norden auf Mittel- und Süditalien ausbreiten konnte) und der ebenfalls rechtsextremen Fratelli d'Italia (die aus der Alleanza Nazionale der 90er Jahre hervorgegangen ist). Das Bündnis ging aus den Wahlen mit 37 Prozent als stärkste Kraft hervor; innerhalb des Bündnisses hat es aber eine Verschiebung gegeben, weg von Forza Italia, die nur noch 14 Prozent errungen hat, hin zur Lega, die mit 17,4 Prozent nun die stärkste Kraft im Bündnis ist.

Die Lega hatte ausnahmslos überall bedeutende Zugewinne, am stärksten jedoch im Norden und hier besonders in den Randgebieten der Großstädte, wo diejenigen leben, die am meisten von der Sparpolitik getroffen wurden. Die Fünf Sterne haben ihre spektakulären Gewinne im Süden zu verzeichnen.

Auf der Linken hatte ein Mitte-Links-Bündnis kandidiert, das es insgesamt auf nur noch 22,8 Prozent brachte, mit der PD als der dominierenden Kraft, die auf 18,7 Prozent eingebrochen ist. Bei den letzten Parlamentswahlen 2013 war Renzi mit einer starken Anti-Establishment-Rhetorik der Shooting Star gewesen und allein auf 25 Prozent gekommen, bei den Europawahlen 2014 räumte er gar 40 Prozent ab; umso tiefer jetzt der Fall.

Die PD wurde im Jahr 2007 aus den Resten der Linksdemokraten (Nachfolgepartei der italienischen KP), der Margherita (linke Überreste der Christdemokraten) sowie Überresten der alten Sozialistischen Partei gegründet. Die beiden letzteren Parteien waren in dem gigantischen Korruptionsskandal Tangentopoli, der Anfang der 90er Jahre aufflog, untergegangen; die KP hatte sich nach dem Untergang der Sowjetunion 1991 auf ihrem Kongress in Rimini aufgelöst. Die PD war also in gewissem Sinne die parteigewordene Große Koalition. Ihre Hauptwählerschaft rekrutierte sich hauptsächlich aus den Reihen der vormaligen KP. Programmatisch sah sie sich ursprünglich als «reformistische, europafreundliche Mitte-Links-Kraft mit engen Bindungen an die wichtigsten sozialistischen, demokratischen und fortschrittlichen Kräfte». Das änderte sich mit der Kandidatur von Matteo Renzi 2013 für den Parteivorsitz und das Amt des Premierministers.

Renzi hat das Profil der Partei dramatisch nach rechts verschoben und in seiner Amtszeit als Premierministers einen Rekord an reaktionären Gesetzen auf dem Weg gebracht: Jobs Act, Schulreform, Flüchtlingspolitik... Dafür hat er nun die Quittung bekommen.

Abgestraft wurden also die bisherigen Hauptkräfte des Mitte-Rechts- bzw. Mitte-Links-Bündnisses, ein Wechsel zwischen den beiden Lagern ist nicht mehr möglich, Forza Italia und PD kämen zusammengenommen nur noch auf knapp 33 Prozent der Stimmen. Die Radikalisierung hat hauptsächlich nach rechts stattgefunden, eindeutig bei der Lega, weniger eindeutig bei den Fünf Sternen.

Die radikale Linke hat aus der Polarisierung der Stimmung kein Kapital schlagen können, Potere al popolo hat 371921 Stimmen eingefahren, die radikale Linke insgesamt 508015 Stimmen, deutlich weniger als 2013 (860028) und 2008 (1501510).

Die faschistische Rechte (Casa Pound und Forza Nuova) hat hingegen zugelegt: +255729 Stimmen.


Der Aderlass auf der Linken

Der Aderlass bei der PD ist das erste herausragende Merkmal dieser Wahl. Er ging in drei Richtungen:

- In Richtung der Nichtwähler, deren Anteil um 2,3 Prozentpunkte auf knapp 73 Prozent zurückgegangen ist, vor allem in den sog. «roten Regionen». Die Gründung der Wahlpartei «Frei und Gleich» (LeU) sollte diesen Trend aufhalten, das ist jedoch nicht gelungen, die Partei ist mit 3,4 Prozent weit unter den Erwartungen geblieben, die bei etwa 8 Prozent lagen.

- In Richtung Lega: 10 Prozent der früheren PD-Wähler haben diesmal die Lega gewählt.

- Vor allem aber in Richtung der Fünf-Sterne-Bewegung: 15-20 Prozent derer, die 2013 noch PD gewählt hatten, haben diesmal für die Fünf-Sterne-Bewegung gestimmt.

Marco Valbruzzi vom Meinungsforschungsinstitut Cattaneo schrieb dazu in der linken Tageszeitung Il Manifesto: «Die Fünf Sterne waren glaubwürdiger mit ihrem Vorschlag für einen radikalen Wandel, einer Abkehr von der politischen Klasse und von der Politik der vergangenen Regierungen. Mit ihren teils sozial, teils karitativ geprägten Vorschlägen (etwa einem bedingungslosen Grundeinkommen) konnten sie auf der Linken die am meisten an den Rand gedrängten und ausgegrenzten sozialen Schichten überzeugen. Und mit ihrer Kampagne gegen die Korruption und die Kosten der Politik haben sie eine Bresche in den Teil der Linken geschlagen, die bewegungsorientiert ist und gegenüber dem Führungspersonal der PD immer schon kritisch war (auch gegenüber denen, die dann LeU gegründet haben).»

Valbruzzi schließt mit der Bemerkung: «Die Fünf-Sterne-Bewegung geht aus diesen Wahlen nicht nur gestärkt hervor, ihre wahlpolitische Prägung rückt sie auch näher an Podemos als an die verschiedenen souveränistisch-populistischen Strömungen auf der Rechten, die in Europa in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind. Diese Tatsache könnte die Fünf Sterne früher oder später in Richtung einer Öffnung nach links treiben.»

Valbruzzi zieht aus der Analyse der Wählerwanderungen noch einen zweiten Schluss: «Auch unter den Mitte-Links-Wählern, vor allem den PD-Wählern, gibt es einen Teil, der sich gegenüber Einwanderern und Fremden im allgemeinen abschottet, oder sie gar zurückweist. Vor einigen Jahren noch behauptete ein bekannter US-amerikanischer Politikwissenschaftler, eines der größten Verdienste linker Parteien sei es gewesen, die Arbeiterklasse davon zu überzeugen, dass sie kosmopolitische Haltungen und Maßnahmen unterstützt, sowohl auf dem Gebiet der Bürgerrechte wie der sozialen Rechte. Diese Zeit scheint vorüber zu sein. Und nicht allein deshalb, weil es die Arbeiterklasse als kompakten, leicht auszumachenden sozialen Block nicht mehr gibt, sondern vor allem weil ein Teil der Arbeiter in Fragen der persönlichen und beruflichen Sicherheit erneut Abschottungsmaßnahmen unterstützt, die in eine stärker Richtung gehen. Deshalb überrascht es nicht, dass etwa 10 Prozent der früheren PD-Wähler am 4.März die Lega gewählt haben. Hier artikuliert sich ein Unbehagen - real oder gefühlt -, mit dem die Parteien der Linken umgehen müssen, wenn sie diesem Teil der italienischen Gesellschaft eine glaubwürdige Wahlalternative anbieten wollen.»


Die Fünf Sterne

Das Panorama der Wahlergebnisse zeigt ein zweigeteiltes Italien: der Norden in der Hand der Lega, der Süden (von Rom an abwärts) in der Hand der Fünf Sterne, in der Mitte ein paar Regionen, in denen die PD noch die stärkste Kraft ist.

Im Süden haben die Fünf Sterne Forza Italia beerbt, hier konnten sie ihre Ergebnisse teilweise verdoppeln und kommen nahe an oder sogar über 50 Prozent in Campanien und Sizilien, über 40 Prozent in Sardinien, bis zu 44 Prozent in Apulien. Geholfen hat ihnen dabei die Annäherung zwischen Renzi und Berlusconi vor der Wahl, die das Gespenst einer Koalition der PD mit dem Cavaliere heraufbeschworen hatte («Renzusconi»). Bemerkenswert aber auch ihr Abschneiden im Piemont (hier wurden sie zweitstärkste Partei) und in Latium (mit über 32 Prozent stärkste Partei). In Rom hatte die Sterne-Bürgermeisterin vor der Wahl ein Dieselverbot für das historische Zentrum der Stadt und eine partielle Aufhebung des Jobs Act versprochen.

Ein anderer Kommentator von Il Manifesto, Piero Bevilacqua, erklärte den «überraschenden Erdrutschsieg» der Fünf Sterne im Süden folgendermaßen:

«Die Fünf Sterne gewinnen vor allem, weil im Süden die repräsentative Demokratie mehr noch als anderswo zu einer leeren Hülse verkommen ist. Das liegt nicht nur an Berlusconis Wahlrechtsreform von 2005 [die erst 2013 durch das Verfassungsgericht korrigiert wurde und dem Wähler keine Möglichkeit mehr bot, über einzelne Personen abzustimmen, nur über geschlossene Listen der Parteien]. Es ist auch so, dass die soziale Lage der Bevölkerung, gleich wen sie wählt, immer schlechter wird und die politische Klasse, auf kommunaler wie auf nationaler Ebene, sich souverän desinteressiert zeigt, daran etwas zu ändern, dafür aber das Leben einer Elite führt, die in Privilegien und Affären schwimmt - wiederum völlig unabhängig von der Parteizugehörigkeit.

Außerdem ist die Wahl in vielen Gebieten des Südens nicht mehr frei. Die anhaltende Arbeitslosigkeit hat in den letzten Jahren eine starke und immer engere Abhängigkeit zahlreicher Bürger von den Gefälligkeiten und dem Einfluss großer und kleiner Potentaten geschaffen. Die Zivilgesellschaft ist stark geschwächt durch geringe Einkommensquellen und wenig Gelegenheiten zur Erwerbsarbeit und tanzt nach der Pfeife der Geschäftemacher, wenn nicht gar der organisierten Kriminalität.

Wenn man genauer darüber nachdenkt, kann man den Wahlsieg der Fünf-Sterne-Bewegung paradoxerweise auch als ein positives Signal sehen. Er drückt dann nämlich einen Willen zur Rebellion und zur Freiheit im Süden Italiens aus, die Weigerung, sich einer Vorstellung von Politik zu beugen, die nicht nur keine Ideale mehr transportiert, sondern sich völlig würdelos und amoralisch allein Clan-Logiken beugt. Die Fünf Sterne haben keine Arbeitsplätze versprochen, haben keine Verbindungen zu lokalen Klientelstrukturen, kämpfen seit eh und je für ein Grundeinkommen und treten als Engel ohne Vergangenheit auf. Das scheint ihr größter Vorzug zu sein: Angesichts der Berge gescheiterter Experimente, wie sie die nationale Politik produziert hat, ist die Jungfräulichkeit und Unerfahrenheit der Fünf Sterne bei weitem der Erfahrenheit der alten Füchse vorzuziehen, die immer nur damit beschäftigt sind, ihren kleinen Bau zu verteidigen, und nichts ändern wollen.»

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 33. Jg., April 2018, S. 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2018

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