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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/2361: Die Märzstreiks 1919


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3 · März 2019
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Die Märzstreiks 1919
Räte als Organe der Aktionseinheit

von Manuel Kellner


Die Niederschlagung der Massenbewegung im Januar und die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht in Berlin waren nicht das Ende der deutschen Revolution. Auch im Februar gab es in vielen Städten Streiks und Widerstand gegen die gewaltsamen Versuche von Freikorps und Reichswehr, die Räte zu beseitigen.


Im März spielten sich vielerorts besonders viele Massenstreiks ab, auch in Berlin, und dabei stand die Forderung nach Vergesellschaftung des Bergbaus und der Schlüsselindustrien im Mittelpunkt. Die Vergesellschaftungsfrage war eng mit der Verteidigung des Rätesystems verbunden, denn die Betriebsräte sollten der Ausgangspunkt für eine demokratische Kontrolle und Selbstverwaltung der Betriebe werden.

Ganz überwiegend stellten die in diesen Bewegungen aktiven linken Kräfte die Forderung nach dem Sturz der Regierung Ebert-Scheidemann nicht mehr in den Mittelpunkt. Sie wussten, dass das einem großen Teil der Lohnabhängigen trotz der von der SPD-Spitze verantworteten, brutalen Repression nicht vermittelbar war. Am 19. Januar hatten die Wahlen zur Nationalversammlung stattgefunden. KPD und die äußerste Linke der USPD waren dagegen gewesen, sie wollten alle Macht für die Räte. Aber auch die USPD insgesamt wollte die Wahlen zumindest zu einem späteren Zeitpunkt, um den Arbeiter- und Soldatenräten Zeit zu geben, sich zu konsolidieren.

Während SPD und USPD in den Räten oft etwa gleich starken Rückhalt hatten - in einigen Städten und Regionen war die USPD sogar die stärkste Kraft - ergaben die Parlamentswahlen ein ganz anderes Bild: Die SPD wurde mit 37,9 Prozent die stärkste Kraft, die USPD mit 7,6 Prozent abgeschlagen. Die KPD hatte sich dafür entschieden, die Wahlen zu boykottieren. Die katholische Zentrumspartei (als CVP angetreten, da sie vorübergehend mit der Idee spielte, eine überkonfessionelle christliche Partei zu werden) wurde mit 19,7 Prozent zweitstärkste Kraft, die eher linksliberale DDP erhielt 18,5 Prozent der Stimmen. Das waren dann mit der SPD die drei Hauptparteien der sogenannten "Weimarer Koalition", wobei die DDP im Wahlkampf ihre Rolle als "Hüterin des Privateigentums" betont hatte. Eine Koalition mit der USPD wäre auch möglich gewesen - aber das wollte die SPD selbstredend nicht.


Parlamentswahlen

Wie so oft spiegelten diese Wahlen, bei denen fast 37 Millionen als Einzelpersonen zur Wahlurne gehen durften - und die Wahlbeteiligung war hoch, das Klassenwahlrecht war abgeschafft, und die Frauen nahmen ihr neues Wahlrecht in großer Zahl wahr - die wirklichen Kräfteverhältnisse nur verzerrt wieder. Da wo die Lohnabhängigen in kollektiver Aktion ihre eigenen Organe wählten und kontrollierten und den Unterdrückungsmaßnahmen der Ebert und Noske unmittelbar ausgesetzt waren, sah die Sache anders aus. Da hatten die Kräfte der äußersten Linken bedeutend mehr Einfluss. Die SPD erhielt bei dieser Wahl besonders viele Stimmen aus ländlichen Regionen, womit die Beschäftigten dort ihre Entwicklung nach links ausdrückten, wählten sie doch häufig zum ersten (und oft auch zum letzten) Mal in ihrem Leben eine "rote" Partei.

Und doch hatten diese Wahlen natürlich politisches Gewicht und verliehen der SPD - die sich in Wirklichkeit zur Geisel der Reichswehr und der rechtsextremen Freikorps-Führer gemacht hatte - in den Augen vieler Beschäftigter eine erneuerte demokratische Legitimation und moralische Autorität. Diese SPD hatte die Sozialisierung der Bergwerke und der Schlüsselindustrien versprochen, und an sie und ihre Abgeordneten richteten sich die Sozialisierungsforderungen der Streikenden, soweit sie nicht die Räte selbst mit dieser Aufgabe betrauen wollten. Doch die SPD-Führung hielt ihre Versprechen nicht und dachte nicht im Traum daran, die Großindustrie zu vergesellschaften. Im Notfall redete sie sich mit dem Verweis auf ihre bürgerlichen Koalitionspartner heraus. Die sozialen Reformen blieben Stückwerk und tasteten die ökonomischen und sozialen Grundlagen der Klassenherrschaft des Kapitals nicht an.


Vergesellschaftung

In Berlin trat die Arbeiterschaft am 3. März in den Generalstreik, der am 8. März offiziell beendet wurde, in manchen Betrieben aber noch bis zum 10. März fortdauerte. Vorangegangen waren lebhafte Diskussionen in den Betrieben, die dazu führten, dass die in der Roten Fahne der KPD veröffentlichten Forderungen bedeutendes Gewicht erhielten und auf der Vollversammlung der Arbeiterräte am 3. März - von Richard Müller von den Revolutionären Obleuten en bloc zur Abstimmung gestellt - nur vergleichsweise knapp abgelehnt wurden. Bei Enthaltung der SPD-Delegierten verabschiedete eine Mehrheit die hier zusammengefasste Forderungsstruktur und setzte dann den Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte als Streikleitung ein:

- "Anerkennung der A.- und S.-Räte... Freilassung aller politischen Gefangenen... Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit... Verhaftung aller Personen, die an politischen Morden beteiligt waren... Bildung einer revolutionären Arbeiterwehr... Auflösung der Freiwilligenverbände... sofortige politische und wirtschaftliche Beziehungen mit der Sowjetregierung..."

Und unter B "Wirtschaftliche Forderungen":

- "Die Arbeiterräte sind die berufene Vertretung der werktätigen Bevölkerung. Sie haben die Aufgabe, die Neuordnung in Deutschland zu sichern und auszubauen. Sie haben die Interessen der Arbeiter, Angestellten und Beamten beider Geschlechter in Privatunternehmungen, kommunalen und staatlichen Betrieben und eine eingehende Kontrolle der Betriebe wahrzunehmen. Das Ziel ihrer Tätigkeit muss die schleunige Sozialisierung des Wirtschafts- und Staatslebens sein... Die Vollversammlung der Arbeiterräte in Verbindung mit den Soldatenräten Großberlins ist die höchste Instanz für die Arbeiterräte und deren Betätigung. Ihren Beschlüssen Geltung zu verschaffen, ist Pflicht der werktätigen Bevölkerung."

Die Sozialisierungsforderung wurde in Hinblick auf die Großbetriebe weiter detailliert und mit dem "entscheidenden Einfluss" der Arbeiterräte auf "Produktions-, Lohn- und Arbeitsverhältnisse" verbunden.

Unter dem Vorwand erfundener und in der Presse breitgetretener "Gräueltaten" der Streikenden wurde auch diese Massenbewegung von der losgelassenen Soldateska in Blut erstickt. Dabei starben nach Schätzungen wieder über tausend Menschen.

Gleichwohl war dieser Generalstreik eine eindrucksvolle Leistung der in Räten organisierten Arbeiterschaft gewesen, wobei die Räte trotz aller Meinungsverschiedenheiten in ihren Reihen auch als Organ der Aktionseinheit funktionierten. Ernst Däumig von der USPD unterstrich dies in einer ersten Bilanz der Aktion bereits am 7. März: "Wir haben es zustande gebracht, dass ein großer Massenstreik inszeniert worden ist aufgrund einer Willenskundgebung einer Körperschaft, in der alle Teile und politischen Richtungen der Arbeiterschaft vertreten sind. Und dieses erste Schulbeispiel zeigt, wie wirksam das Rätesystem sein kann und sein wird."


Probleme der Koordinierung

Die Berliner Arbeiterschaft war nicht isoliert. In so gut wie allen Industrieregionen wurde im Februar und März 1919 gestreikt, wobei die Bewegungen oft nacheinander aufflammten und wieder verebbten bzw. der militärischen Unterdrückung zum Opfer fielen. Besonders ausgeprägten Massencharakter hatten sie in den Bergbauregionen in Oberschlesien, im Ruhrgebiet und in Mitteldeutschland. Die Vergesellschaftung des Bergbaus und der Großindustrie stand dabei im Mittelpunkt, verbunden mit dem Erhalt und dem Ausbau des bestehenden Rätesystems.

Diese Räte und teils auch die Kartelle der linken Parteien organisierten die Streiks. Viele Mitglieder der SPD waren nicht bereit, gegen die "eigene" Regierung zu kämpfen, wohl aber gegen die Konterrevolution und für die Vergesellschaftung. Vor allem Mitglieder der USPD-Linken bemühten sich um eine reichsweite Koordinierung der regionalen Bewegungen. Das war verdienstvoll, aber unzureichend. Wenn diese Bewegungen reichsweit von einer Streikleitung der Arbeiter- und Soldatenräte koordiniert worden wären, dann hätten die Kräfteverhältnisse wahrscheinlich gewendet, die brutale Repression abgewehrt werden können. Dazu hätte es einer revolutionären Partei mit bedeutend mehr Verankerung und Einfluss bedurft, als es die KPD damals war.

Schon unmittelbar nach der Novemberrevolution hatten die Verbände des Bremer Bürgertums ein Eingreifen der Reichswehr gegen die Arbeiter- und Soldatenräte gefordert. Diese übernahmen am 10. Januar formell die Macht. Noch war die Reichswehr nach den Januarkämpfen in Berlin nicht wieder handlungsfähig genug. Die konterrevolutionäre Drecksarbeit übernahmen schließlich gegen Ende Januar die Division Gerstenberg der Reichswehr und das Freikorps Caspari. Am 3. Februar wurde noch mit Vertretern der Räterepublik verhandelt, die insbesondere die Arbeiter entwaffnen sollten, da hatte Noske schon den Befehl gegeben loszuschlagen. Am 8. Februar wurde auch die Räteregierung in Bremerhaven zerschlagen.

So wurde die Bremer Räterepublik bei nur geringfügiger Gegenwehr schon niedergemacht, bevor sich die überregionale Massenstreikbewegung für die Sozialisierung der Industrie und die Verteidigung und den Ausbau der Rätemacht entwickeln konnte.

Zitate aus Axel Weipert: Die Zweite Revolution.
Rätebewegung in Berlin 1919/1920. Berlin 2015.

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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 3, 34. Jg., März 2019, S. 24
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven (VsP)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2019

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