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VORWÄRTS/668: Perspektive für eine Einstaatenlösung


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 26/27/2010 vom 9. Juli 2010

INTERNATIONAL
Perspektive für eine Einstaatenlösung


luk. Im letzten Teil wurde über die Zweite Haifa-Konferenz für einen demokratischen und säkularen Staat im historischen Palästina berichtet. Sie hat eine Einstaatenlösung zum Ziel. Wie jedoch das Ziel erreichen? Für die Beantwortung dieser Frage ist es nötig, die (Klassen-)Struktur des Konfliktes zu analysieren. In diesem Artikel sollten entsprechende Thesen aufgestellt werden.


Wie verlaufen die Widerspruchsfronten in Palästina? Eine Frage, die nicht nur eine theoretische ist, sondern in der Strategie, wie ein freier, demokratischer und säkularer Staat in Palästina/Israel zu erreichen sei, von praktischer Bedeutung ist - eine Frage, die im internationalen Koalitions-Bildungs-Prozess auch tatsächlich intensiv diskutiert wurde. Mit der richtigen Analyse wird man eine richtige Lösung finden, mit der falschen mit aller Wahrscheinlichkeit eine falsche.

Eine Beantwortung der Frage vom Klassenstandpunkt kann für ein Verständnis und für eine Lösung des Konflikts entscheidend sein: Nur so kann die Rhetorik der Regierungen hüben und drüben gebrochen werden, die uns glauben lassen will, dass die Interessen der Arbeitenden mit den Interessen der jeweiligen Staaten zusammenfallen und so auch zu falschen Schlussfolgerungen kommen lässt.

In diesem Teil sollten deshalb Thesen zu den allgemeinen Grundlagen des israelischen Staates, die Israel in seinen Grundzügen zumeist mit jedem anderen kapitalistischen Staat gemeinsam hat, aufgestellt werden. Im nächsten Teil sollte dann daraus folgend auf die speziellen Formen des Konfliktes eingegangen werden: Zionismus, die nationale Frage Palästinas, Islamismus.


Kapitalismus

Israel ist ein kapitalistischer Staat. Nicht die Interessen des arbeitenden Menschen sind bestimmend, sondern die davon im Gegensatz stehenden Interessen der Kapitalisten. Die Schaffung von Mehrwert für die Kapitalisten ist jedoch nur möglich durch Ausbeutung der ArbeiterInnen; der Klassenwiderspruch ist antagonistisch.

Dieser Widerspruch ist zum Beispiel an der Ungleichheit und grossflächigen Armut der Bevölkerung ablesbar: Fast ein Drittel der Bevölkerung Israels lebt unter der Armutsgrenze. Gemäss der OECD ist dieses Land - hinter den USA - das Land mit der zweitgrössten ökonomischen Ungleichheit.


Imperialismus

Israel ist auch ein imperialistischer Staat. Der kapitalistische Staat, um den Profit halten zu können, muss expandieren, um seine Profit- und Ausbeutungsinteressen in andere Länder zu tragen. Im Vergleich zu anderen Staaten wie Deutschland oder der Schweiz kommt bei Israel ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt dazu: Soweit es die Interessen seiner eigenen Bourgeoisie vertritt, ist Israel zwar aus innerökonomischen Gründen selbst ein imperialistischer Staat (dies kann man gut bei der Politik zum Jordan-Wasser sehen), er ist aber als imperialistischer Staat weit mehr ein " Spielball" der imperialistischen Mächte. Er vertritt nicht nur die Interessen der nationalen Bourgeoisie, sondern Interessen von Kapitalisten aus aller Welt. Israel wurde 1948 auf Geheiss kapitalistischer Staaten gegründet und vertritt als engster Nato-Staaten-Verbündeter im Nahen Osten verlässlich die Interessen dieser Staaten im Gebiet. Die Suez-Krise 1956, bei der Israel auf der Seite von Grossbritannien und Frankreich gegen Ägypten - es wollte den Suez-Kanal verstaatlichen - kämpfte, ist dafür ein gutes Beispiel.

Kein Wunder also, dass die westlichen Staaten die israelische Wirtschaft mit genügend Batzen unterstützen - finanzielle Zuschüsse machten zeitweise bis zu einem Drittel der Einnahmen des israelischen Staates aus. Die Existenz Israels wäre ohne die Unterstützung von USA, Deutschland und so weiter undenkbar. Die "Freundschaft" vieler europäischen und nordamerikanischen Länder mit dem israelischen Staat liegt indes darauf begründet, dass Israel schlicht und einfach als Vertreter ihrer Interessen im Nahen Osten waltet und diese auch militärisch zu verteidigen bereit ist.

Trotzdem können sich jedoch kleinere Widersprüche zwischen Israel und seinen Patrons entwickeln. Was man immer dann sieht, wenn diese Israel für zu hartes Vorgehen kritisieren. Schliesslich ist es das Interesse dieser Staaten, dass die Situation im Raum nicht eskaliert und mit den arabischen Staaten ein ausgeglichenes Verhältnis gefunden werden kann - dies ist für sie und ihre wirtschaftlichen Interessen sinnvoller als ständiger Krieg. Saudi-Arabien, Jordanien oder Ägypten haben sich nämlich zu wichtigen Bündnispartnern der Westmächte entwickelt. Die nationale Bourgeoisie in Israel hat das "Interesse zum Ausgleich" jedoch nicht, da sie nur im eigenen Land, nicht jedoch in den umliegenden Staaten und viel weniger in seinen besetzten Gebieten ausbeutet; es wird seine Interessen also mit brachialen Mitteln verteidigen. Es kann mitunter vorkommen, dass sie es so brachial tut, dass dies nicht mehr im Interesse seiner Patrons liegt. Die Kritik am Vorgehen Israels seitens der westlichen Ländern an Israel wird aber immer sehr freundschaftlich bleiben, man weiss schliesslich, wer seine Interessen mit vollem Einsatz zu verteidigen bereit ist. Und einen solchen Verbündeten wird man nicht fallen lassen, weshalb sich der israelische Staat im Endeffekt relativ viel erlauben kann...

DER NÄCHSTE TEIL ERSCHEINT NACH DER SOMMERPAUSE.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 26/27/2010 - 66. Jahrgang - 9. Juli 2010, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2010