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VORWÄRTS/707: Interview - Protest in Plymouth gegen das britische Atomwaffensystem


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 47/48/2011 vom 22. Dezember 2010

"Die Reaktionen erfreuten mich sehr!"


ata. Sechs Schweizer/-innen sind bis nach England gereist, um sich in Plymouth an einem Protest gegen das britische Atomwaffensystem zu beteiligen. Dabei erhielten sie Einblick in die ökologische und politische Situation des Vereinigten Königreiches. Ein Gespräch mit einem von ihnen über höfliche Polizisten, Schlamm-Monster und wandernde Polit-Aktivisten.


FRAGE: Was war das Anliegen der Trident Blockade in Devonport?

ANTWORT: Grossbritannien verfügt über ein hochgefährliches Atomwaffensystem. Tagtäglich ist mindestens ein mit abschussbereiten Atomraketen bestücktes Atom-U-Boot in den Weltmeeren unterwegs. In der Werft von Devonport werden diese britischen Atom-U-Boote gewartet, repariert und abgewrackt. In Grossbritannien gibt es eine recht breite Friedensbewegung. Sie setzt sich für die atomare Abrüstung ein. Dazu wäre die britische Regierung eigentlich aufgrund des internationalen Atomwaffensperrvertrags verpflichtet - macht es aber nicht. Deshalb helfen wir nach.
Die Blockade in Devonport bei Plymouth im vergangenen Oktober ist Teil einer längerfristigen Kampagne. Die Aktion knüpft an die Erfolge im schottischen Faslane an. Dort hat sich das Parlament mittlerweile gegen britische Atombomben ausgesprochen. Zuvor wurde der Hafen Faslane bei Helensburgh im Rahmen der Kampagne "Faslane365" durch über 100 Gruppen während einem ganzen Jahr immer wieder blockiert. Das Ziel der Blockade in Devonport war, aufzuzeigen, dass das britische Atomwaffensystem gegen unseren Willen verstösst - und gegen humanitäres Völkerrecht sowie den bereits erwähnten Atomwaffensperrvertrag.
Die Friedensgruppe "Trident Ploughshares" fordert, dass der Hafen von Devonport auf andere, weniger tödliche Arbeitsplätze umgestellt wird. Einige der an der Blockade beteiligten wiesen auch auf die katastrophalen ökologischen Folgen hin, welche der Betrieb der Atomwerft für die umliegende Region mit sich bringt.

FRAGE: Wie viele Leute waren vor Ort und wie hat die englische Polizei reagiert?

ANTWORT: An der Protestaktion beteiligten sich etwa 150 Menschen. Davon waren rund 50 Personen bereit, die Einfahrten mit ihrem Körper zu blockieren. Diese haben in Kauf genommen, dass sie verhaftet würden. Die Blockade von Devonport war öffentlich angekündigt. Es haben im Vorfeld Gespräche mit der Polizei stattgefunden, wo der friedliche Charakter und die Ziele der Blockade erklärt wurden.
Wir haben der Polizei erklärt, dass wir zwar ihren Anweisungen nicht Folge leisten werden - dass aber zugleich in keinem Moment Gewalt von Seiten der Blockierenden gegenüber Polizei oder anderen Menschen ausgehen werde. Entsprechend besonnen und ruhig hat die Polizei insgesamt reagiert. Unsere Gruppe hat die Ausfahrtstrasse einer Einfahrt blockiert. (Die Einfahrt selbst blockierten drei etwa 80-jährige Frauen.) Unsere juristische Beobachterin hat anschliessend übersetzt, womit wir perfekt verstanden was die Polizei von uns wollte - und sie, warum wir auf ihre Wünsche nicht immer eingingen (zum Beispiel die Blockade zu räumen). Wir wurden respektvoll und freundlich behandelt, wie wir es von britischen Staatsleuten gewohnt sind.

FRAGE: Wie schätzt du den Erfolg eurer Aktion? Wie war der Kontakt mit den Einheimischen vor Ort?

ANTWORT: Ich messe den Erfolg einer derartigen Aktion daran, wie in der Öffentlichkeit, also in den Medien, darüber berichtet wird und wie er bei der Bevölkerung aufgenommen wird. BBC hat von der ersten Stunde der Aktion an über die Blockade berichtet. Viele Zeitungen, Radios und Fernsehstationen waren vor Ort und haben mit bemerkenswertem Goodwill über die Aktionen berichtet. Am nächsten Tag war die lokale Presse voll mit bunten Bildern der Blockade und Stimmen der Bevölkerung dazu.
Unsere Statements standen bei vielen Medien im Vordergrund. Es wurden auch Studien über die negativen Auswirkungen der Radioaktivität in Plymouth und Umgebung zitiert. Verschiedene lokale Initiativen versuchen seit Jahren das diesbezügliche Informationsdefizit zu schliessen. Die britische Regierung hält offenbar viele Fakten lieber geheim. Es gibt eine grosse Verunsicherung darüber, wie viele Mengen von welchem (radioaktiven) Material im Fluss oder sonst wo in der Umwelt landen und was das für Auswirkungen hat.
Du fragst, wie die Einheimischen reagiert haben? Ich hatte, abgesehen von jenen, welche mit uns blockiert haben, nicht sehr viel Kontakt mit den Einheimischen. Aber die Reaktionen, welche ich gehört habe, freuten mich sehr. Zum Beispiel das Gespräch mit Christopher. Am Tag nach der Blockade sassen wir im Pub von Calstock, einem kleinen Dorf etwa 20 Kilometer von Devonport entfernt. Christopher, ein Einheimischer Mitte dreissig, hat sich sehr für uns interessiert. So haben wir ihm von der Blockade erzählt. Es war ihm fast etwas peinlich, dass wir, aus der Schweiz angereist, quasi an seiner Stelle etwas unternahmen, was er sehr wichtig fand. Er hat uns sehr gedankt, dass wir da sind. Dabei erzählte er uns Anekdoten aus dem Dorf: Man ahne, was im Schlamm des Flusses zu finden sei, aber wisse es nicht genau. So sind vor ein paar Jahren ein paar Kinder nach einem Flussbad zum Spass als Schlamm-Monster heim gekehrt. Auf dem Rasen im Garten des Elternhauses haben sie sich dann den Schlamm abgeduscht. Auf diesem Fleck, wo der Schlamm auf den Rasen kam, sei während Jahren kein Gras mehr gewachsen...
Diese Geschichte hat mich nachdenklich gestimmt. So auch die Studie über die Krebsrate in den Strassen neben der Atomwerft. Das bewegt viele Menschen dazu, sich gegen solche Zustände zu wehren.

FRAGE: Habt ihr über andere ökologische Probleme in der Region erfahren? Wenn ja, welche?

ANTWORT: Die Atom-U-Boot-Werft ist die grösste Arbeitgeberin der Region. Und wie gesagt, gefährdet sie nicht nur das Überleben der Menschheit, sondern verschmutzt auch die sie umliegende Region. Plymouth liegt unmittelbar neben Cornwall, einem sehr ländlichen Gebiet, das eigentlich für naturnahen Tourismus bekannt ist - und die Landschaft dort ist auch wirklich schön. Umso herzzereissender war dann das sehnsüchtige Muhen der einzeln untergebrachten Kälber im Hof gegenüber unserer Unterkunft - die Landwirtschaft in Grossbritannien ist grossteils sehr industrialisiert und die Tierschutzbestimmungen viel schlechter als in der Schweiz.

FRAGE: Wie schätzt du allgemein die Einstellung Englands gegenüber ökologischen Problemen? Wo siehst du positive Errungenschaften, wo negative Entwicklungen?

ANTWORT: In den letzten Jahren ist das Bewusstsein über den CO2-Ausstoss und den Klimawandel stark gewachsen. So wurde zum Beispiel der Bau eines Kohlekraftwerks in Kingsnorth verhindert. Auch derzeit finden anderswo noch Besetzungen statt. Angie Zelter, eine wichtige Kampagnerin der Friedensbewegung hat mir erzählt, mehrere Leute, mit denen sie im Kontakt war, hätten auf eine Reise an die Blockade in Südengland verzichtet, mit Hinweis auf die CO2-Emissionen, die eine solche Reise verursacht. Dafür haben auch dezentrale Aktionen stattgefunden. Ein Mediensprecher von Trident Ploughshares ist zu Fuss von London nach Plymouth gegangen und hat die Wanderzeit genutzt, in den Dörfern mit den Menschen das Atom-Problem zu erörtern. Ich kenne Grossbritannien zu wenig lange, um mich gross über positive Errungenschaften oder negative Entwicklungen äussern zu können. Was ich auf jeden Fall sehe, ist, dass sich ein liberaler Geist im positiven Sinne erhalten hat. Die Bereitschaft, konstruktiv über die Lösung von Problemen zu sprechen, schien mir bei allen Menschen, denen ich begegnet bin, gross. Die grosse Herausforderung vor der ganz England - und damit auch die Umweltbewegung - derzeit steht, ist ein radikales Sparprogramm im öffentlichen Bereich. Das wird in der Gesellschaft Spuren hinterlassen, welche ich heute noch nicht wirklich abschätzen kann. Die ökologische Bewegung lässt sich aber sicher nicht unterkriegen!


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 47/48/2010 - 66. Jahrgang - 22. Dezember 201014
Sonderbeilage Ökologie, S. 14
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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vorwärts erscheint 14-täglich,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2011