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VORWÄRTS/745: "Wer hat uns verraten?"


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.25/26/2011 vom 8. Juli 2011

"Wer hat uns verraten?"

Von Johannes Supe


Am Abend des 21. Juni versammelten sich gegen 400 Menschen, um an einer Demonstration gegen die Aufhebung des AKW-Ade-Camps zu protestieren. Überraschend war das Camp in der vorhergehenden Nacht polizeilich geräumt worden. Kritik wurde vor allem an Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) laut.


Spontan trafen sich die, die kamen: Erst am selben Tag war zur Demonstration aufgerufen worden als direkte Reaktion auf die Räumung des AKW-Ade-Camps. Umso erstaunlicher, dass sich ein ansehnlicher Demonstrationszug versammelte. 400 vorwiegend junge Menschen brachten ihren Frust und ihre Enttäuschung über die unvorhersehbare Aktion der Stadtregierung zum Ausdruck. Von der Reitschule bis zum Bundespiatz demonstrierte man friedlich, aber bestimmt. Unbehelligt von der Polizei skandierten die DemonstrantInnen gegen AKWs im Allgemeinen und die Stadtregierung im Besonderen.


Chronik einer Räumung

Gut 11 Wochen, vom April bis zum 21. Juni, hatte das AKW-Ade-Camp bestanden. Um 3.30 Uhr, am frühesten Dienstagmorgen, begann dann die Räumung durch die Polizei. Eine Räumung bei der 26 Personen, kontrolliert und festgehalten wurden. Die Polizei traf auf gänzlich überraschte AktivistInnen: Niemand hatte damit gerechnet, dass das Camp zwangsweise aufgelöst würde. Tatsächlich hatte Stadtpräsident Tschäppät noch angekündigt, innert der nächsten Tage die Anliegen der "Camper" in den Gemeinderat zu tragen, zumindest aber weiterhin auf einen Dialog zu setzen. Ein besonders pikantes Detail: Sogar die Rechts-Bürgerlichen der SVP wollten dem Camp ein Ultimatum von 48 Stunden vor der Auflösung setzen; nun geschah die Räumung gänzlich ohne Ankündigung, ohne Ultimatum und weit früher, als sogar die SVP es sich erhofft hatte.

Befohlen wurde die Räumung vom Gemeinderat. Dabei sticht ins Auge, dass dies ohne Zustimmung von SP oder Grünen nicht möglich gewesen wäre. Insbesondere Alexander Tschäppät (SP) als Stadtpräsident dürfte hier eine tragende Rolle gespielt haben. Ebenso wahrscheinlich ist die Beteiligung von Regula Rytz (Grüne). Direkt nach der Räumung des Camps wurde das besetzte Areal umgepflügt von MitarbeiterInnen der Stadtgärtnerei - diese untersteht Frau Rytz. Mit der Räumung des Camps geht auch die Rücknahme eins Angebots einher. Bislang hatte die Stadtregierung den AktivistInnen angeboten, eine dauerhafte Mahnwache einzurichten. Dieser Vorschlag wurde nun mit dem Hinweis verworfen, dass man keine weitere Besetzung des Areals dulden werde. Spätestens hier lassen sich Vorsatz und Plan erkennen.


Enttäuschung und Frust

Während die Demonstration friedlich verlief, war die Enttäuschung doch deutlich spürbar. Die vorherrschenden Parolen schwankten zwischen Protest gegen AKWs und der Wut über das Vorgehen des Gemeinderates. Man konnte die Wiederbelebung eines fast hundertjährigen Slogans miterleben: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!". Interessant hieran dürfte vor allem sein, dass auch vereinzelte Junggrüne und Jusos anwesend waren. Von den Junggrünen konnte man Aussagen wie diese hören: "Aus meiner Sicht ist das Tschäppäts Fehler, weil er angekündigt hatte, die Interessen des Camps in den Gemeinderat zu bringen. Und das Camp jetzt unangekündigt aufzulösen, finde ich sehr, sehr feige." Kritik an der eigenen Vertretung im Gemeinderat verschwiegen sie aber vornehm: "Über die Rolle etwa vom Regula Rytz kann ich noch nichts sagen."

Insgesamt war eine spürbar antiparlamentarische Stimmung vorherrschend. Von jenen verraten, die Sympathie und Verständnis bekundet hatten, fühlten sich die DemonstrantInnen zu Recht betrogen. So wurde dann Folgendes skandiert: "Parlamenten nie vertrauen, Widerstand von unten bauen!". Es muss allerdings angemerkt werden, dass die "Partei der Arbeit Bern" ihre Solidarität mit den Demonstranten durch Anwesenheit bekundete. Sie warf Gemeinderat und Stadtregierung vor, heuchlerisch gegenüber den AktivistInnen vorgegangen zu sein und eine vorher von der PdA eingereichte Motion zur Unterstützung sämtlicher Aktionen gegen AKWs schlichtweg ignoriert zu haben.


Kundgebung und Fazit

Auf der Kundgebung brach sich die Wut ein weiteres Mal Bahn. Von einem der "Camper" konnte man die Geschichte der Räumung en detail erfahren: "Ich lag heute Morgen in meinem Zelt und dachte zuerst, dass das wieder so besoffene Viecher sind, die nichts Besseres zu tun haben, als zu versuchen, unseren Infostand kaputt zu machen. Aber es waren keine besoffenen Viecher. Es war die Polizei und sie hat uns mitgenommen und stundenlang festgehalten. (...) Das Camp war mehr als eine Stätte des Widerstands. Wir konnten uns dort organisieren und hatten eine schöne Zeit. Die vermissen wir jetzt! (...) Tschäppät ist für mich nicht mehr wählbar. Jemand, der so sein Wort bricht, den kann ich weder in den Nationalrat noch sonst wohin wählen. (...) Wir machen weiter, bis Mühleberg abgestellt ist." Beantwortet wurde die Ansprache mit "Tschäppät raus, Tschäppät raus!". Aber auch die Reaktionen der PassantInnen sind aufschlussreich. "Ich finde es scheisse, wirklich scheisse! Ich bin enttäuscht von Tschäppät. Das ist einfach nicht das Feeling der Stadt. Es war friedlich und ja wirklich ein Anliegen, das jedem am Herz liegen sollte." "Ich finde es doof. Enttäuschend, aber ich mache mir da keine Illusionen mehr." Illusionslos, nüchtern, enttäuscht. Das dürfte die Reaktionen jener gut beschreiben, die in der rot-grünen Regierung eine Kraft des Fortschritts gesehen haben. Insbesondere, da an diesem Tag eine simple Wahrheit ausgesprochen wurde: "Wenn Mühleberg explodiert, dann wird nicht mehr ein Camp, sondern dann wird die ganze Stadt geräumt werden müssen." Da macht es Hoffnung, dass die AKW-GegnerInnen ihren Widerstand fortsetzen wollen. Bereits für den folgenden Donnerstag wurde die nächste Protestaktion angekündigt.


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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 25/26/2011 - 67. Jahrgang - 8. Juli 2011, S. 4
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2011