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VORWÄRTS/848: Ist nur ein toter Spekulant ein guter Spekulant?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.29/30 vom 20. Juli 2012

Ist nur ein toter Spekulant ein guter Spekulant?

Von David Hunziger



David Cronenberg hat Don DeLillos Geschichte über einen jungen Finanzspekulanten verfilmt. "Cosmopolis" ist ein gutes Beispiel für eine Verfilmung, die über ihre Vorlage hinausgeht.


Was an "Cosmopolis" zuerst einmal am meisten Aufsehen erregt hat, war die Wahl des Hauptdarstellers: Twilight-Star Robert Pattinson. Auf der aktuellen Taschenbuchausgabe des gleichnamigen Romans von Don DeLillo, der dem Film zugrunde liegt, wird der Star gar mit Coverfoto und extra Sticker angekündigt: "Jetzt im Kino mit Robert Pattinson", als wäre der 26-Jährige ein gutes Argument, sich den Film anzuschauen. Kritiker diskutierten, ob der Teenie-Schwarm nun in diesen Film über den postmodernen Cyberkapitalismus hineinpasst und die meisten kamen zumindest zum Schluss, dass Twilight-Fans hier wohl bitter enttäuscht würden.

Es muss wahrlich ein grosser Sprung sein von der reaktionären Beziehungsmoral der Teenie-Schnulze, die aus der Feder der Mormonin Stephenie Meyer stammt, zur üblicherweise kalten und brutalen Welt der Cronenberg-Filme. Interessanterweise lässt sich von Beobachtern, die sich auch die Twilight-Filme angetan haben, vernehmen, dass sich die Rolle Pattinsons zwischen den zwei Filmen kaum gewandelt habe: Aus dem kalten Vampir ist ein kalter Finanzspekulant geworden. In einem gewissen Sinn ja auch ein Vampir - wenn man den Vergleich von Kapital mit Blut gelten lässt.


Viele nervige Plattitüden

"Cosmopolis" erzählt die Geschichte eines einzigen Tages, an dem der 28-jährige Finanzspekulant und Multimilliardär Eric Packer sich mit seiner weissen Limousine auf den Weg quer durch Manhattan macht, um sich bei seinem Lieblingsfriseur die Haare schneiden zu lassen. Während er diesen geradezu banalen Plan in die Tat umsetzt, geschieht Grossartiges: Er verliert hunderte Millionen Dollar, Protestierende zerstören die halbe Stadt und Teile seiner Luxuskarosse und er begegnet dem Mann, der ihn erschiessen will.

DeLillos 2003 erschienener Roman wurde vielfach für seine visionäre Voraussicht auf die Ereignisse der Finanzkrise gelobt. Das mag sein, macht aber noch kein gutes Buch. Was sich wohl als postmodern bezeichnen liesse, das Bemühen um möglichst platte Figuren, wiederholte Betonungen, wie veraltet die Welt und ihre Begriffe seien, und das dauernde Loblied auf Information und Technologie, sind mit der Zeit bloss noch nervige Plattitüden. Dem entsprechend werden DeLillos Dialoge von Seite zu Seite ungeniessbarer.


Pattinson ist gut oder schlecht, auf jeden Fall der richtige

Werden diese Dialoge nun aber Robert Pattinson in den Mund gelegt, entsteht eine neue Ebene der Wirkung. Man kann sich darüber streiten, ob das nun eine gute schauspielerische Leistung ist oder sie gerade darum gut wirkt, weil sie so schlecht ist. Auf jeden Fall verzichtet Pattinson auf ein breites Spektrum verschiedener Ausdrücke. Er spricht die holen Dialoge in immer gleich bleibendem cool-hartem Tonfall. DeLillo streift diese Ebene bereits, doch Cronenberg geht weiter: Bei ihm bleibt nicht mehr viel mehr als Zynismus übrig.

Stark ist Cronenberg vor allem auf visueller Ebene. Dabei arbeitet Cronenberg effektvoll mit verschiedenen Räumen: der blank polierten Limousine mit ihren Bildschirmen, auf denen Börsenkurse eingeblendet werden (die Logik des Kapitals), und die chaotische Aussenwelt der Stadt (der scheinbare Widerstand). Durch einige Änderungen im Skript hat Cronenberg zusätzliche Szenen in die Limousine verlegt. Dort erhält Eric allerhand Besuch, von seiner hauseigenen Theoretikerin, die eine neue Theorie der Zeit fordert, oder seiner Frau, die er gar nicht zu kennen scheint und mir der er ständig über Sex spricht, jedoch nie welchen hat.

Mit anderen Frauen hat Eric sehr wohl Sex. Grandios, wie Cronenberg diesen Szenen jegliche Erotik entzieht. Dem völlig gleichgültigen Eric ist sein Körper bloss noch eine Last, die er gern loshaben würde: "Warum sterben, wenn man auf Diskette leben kann", heisst es einmal. Erregend sind für Eric vor allem die Aktienkurse und der Drang, die Muster darin zu erkennen. Da er an diesem Tag fälschlicherweise gegen den Yen wettet, droht die Welt aber im Chaos zu versinken.


Ein wahnsinniger Protest

Um die Limousine, die ständig im Stau steht, laufen die Protestierenden Amok. Ihr Leitmotiv ist eine Ratte - sie tragen sie als Styropor-Puppe umher oder schmeissen mit den lebendigen Tieren um sich. Die Massen scheinen wahnsinnig geworden zu sein. Eric amüsiert sich und hat "Achtung vor der Naivität" der Protestler, die der Totalität der Marktlogik nicht entweichen können. Sie protestieren gegen eine Zukunft, in der die "Kraft des Cyberkapitals die Menschen in die Gosse schicken wird, damit sie dort röcheln und verrecken".

Cronenberg zeigt mithilfe von Bildern, die wie mit einem Skalpell geschossen sind, eine Welt, in der Protest nur noch Wahnsinn bedeutet. Zu seinem ehemaligen Angestellten, der ihn nun umbringen will, sagt Eric: "Keiner ist gegen die Reichen. Alle sind zehn Sekunden davon entfernt, reich zu sein". Nachdem der Mann um Argumente für den Mord ringt, erfahren wir nicht mehr, ob er abdrückt. Weil es keine Rolle spielt.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 29/30/2012 - 68. Jahrgang - 20. Juli 2012, S. 7
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2012