Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/916: Reigen der Schwellenländer


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.13/14 vom 12. April 2013

Reigen der Schwellenländer

Von David Hunziger



Die rasante wirtschaftliche Entwicklung einiger Schwellenländer birgt Potential zur Verschiebung des geopolitischen Kräfteverhältnisses. Die BRICS-Staaten könnten diesen Prozess mit der Gründung von internationalen Institutionen vorantreiben. Viel spricht jedoch dafür, dass in nächster Zeit noch alles beim Alten bleibt.


Der russische Präsident Putin hatte die Versuche der BRICS-Staaten - Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika - sich untereinander zu organisieren in ihrem Verhältnis zum Westen wie folgt bestimmt: Nicht gegen den Westen organisiere man sich, aber ohne ihn. Seit 2009 treffen sich VertreterInnen der fünf Schwellenländer jährlich zu einem Gipfel, um gegenseitig ihre Position auf dem Weltmarkt zu stärken.

Jim O'Neill, oberster Vermögensverwalter der Investmentbank Goldman Sachs, hat die Rede von den BRIC-Staaten - also noch ohne Südafrika - eingeführt. In einem im Jahr 2001 veröffentlichten Aufsatz vertritt er die These, die vier Staaten seien die zukünftigen Grossmächte. Die fünf Staaten beheimaten 40 Prozent der Weltbevölkerung und erwirtschaften ein Viertel des weltweiten Bruttoinlandprodukts.


Entwicklungsbank geplant

Die Gespräche unter den Staaten führten bisher zur Aushandlung einiger Handelserleichterungen, jedoch noch nicht zur Gründung von einflussreichen Institutionen. Dies soll sich nun ändern. Beim letzten Gipfel, der Ende März in Durban stattgefunden hat, wurde die Gründung einer Entwicklungsbank beschlossen, die Infrastruktur-Projekte in Entwicklungsländern mit Krediten unterstützen soll. Die geplante Bank könnte damit die Vorherrschaft von Weltbank und IWF in diesem Bereich herausfordern. Auch über eine Rating-Agentur, ein System für Rückversicherungen, einen Unternehmerrat und ein Einstufungssystem für Universitäten wurde gesprochen.

O'Neill, der Südafrika trotz Beteiligung an den Gesprächen nicht zur interessanten Gruppe zählen will, hält in einem Interview für Spiegel-Online an seiner Prognose zu den BRIC-Staaten fest: "Sie haben alle Erwartungen übertroffen. Das Bruttoinlandsprodukt dieser Gruppe ist in nicht viel mehr als einem Jahrzehnt von rund 3 Billionen Dollar auf 13 Billionen gewachsen." O'Neills Berechnungen ergeben, dass die Wirtschaftsleistung der BRIC-Staaten diejenige der G7-Staaten im Jahr 2027 übertreffen wird.

O'Neills Prognosen beziehen sich jedoch lediglich auf die wirtschaftliche Stärke der Staaten und auf die günstigen Voraussetzungen, sich ökonomisch zu ergänzen. Eine solche Ergänzung wird etwa in der Kombination der rohstoffreichen Staaten Russland und Brasilien mit den produktionsstarken Staaten Indien und China gesehen. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob es die Staaten schaffen, sich in einem Block zu organisieren und das globale politische Kräfteverhältnis zu verschieben. Auch wenn die Goldman Sachs-Prognosen zutreffen, ist nicht klar, was politisch daraus folgt.


Interne und externe Probleme

Über die genauen Bestimmungen einer Entwicklungsbank sind sich die Staaten derzeit noch uneinig, die Gründung verzögert sich. Zwar ist es naheliegend, dass sich die Schwellenländer organisieren, doch ist damit nicht gewährleistet, dass dies auch wirklich funktioniert. Unter den Staaten gibt es nach wie vor Konflikte, etwa zwischen China und Russland über den Einfluss der Chinesen im rohstoffreichen Sibirien oder in Zentralasien; oder zwischen Indien und China, das jenes als ärgsten Widersacher in territorialen Fragen betrachtet, noch vor Pakistan. Auch unterscheidet sich die politische Kultur unter den BRICS-Staaten stärker als etwa diejenige zwischen den Staaten der EU.

Hinzu kommen innere Probleme: Russland leidet zunehmend an seiner Abhängigkeit von Öl- und Gas-Verkäufen, die 50 Prozent der staatlichen Einnahmen ausmachen, zumal der Gazprom-Konzern, an dem der Staat eine Mehrheit hält, in Europa in letzter Zeit merklich Marktanteile einbüsst. Auch scheint sich der Kreml gezwungen zu fühlen, immer mehr politische Repression anzuwenden, wie die jüngsten Durchsuchungen bei ausländischen Stiftungen zeigen. Und in China wird sich zeigen, welchen Spannungen das autokratisch-kapitalistische Regime im Zuge weiterer ökonomischer Entwicklungen ausgesetzt ist. Auch politische Kämpfe könnten die Ruhe stören.

Hinzu kommt, dass eine verstärkte Zusammenarbeit unter den BRICS-Staaten deren wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen nicht übergehen kann. Hier sind die starke Verflechtung zwischen dem chinesischen und dem US-amerikanischen Markt oder die Abhängigkeit Russlands von Europa als Abnehmer von Rohstoffen zu nennen. Auch dauere es erfahrungsgemäss sehr lange, bis wirtschaftliche Macht zur Bildung stabiler Institutionen und damit zu politischer Macht führe, wie Stefen Wagstyl, zuständig für Entwicklungsmärkte bei der Financial Times, auf einer Tagung zu den BRIC-Staaten an der Columbia-Universität betonte.

Es wird interessant sein, zu beobachten, wie sich diese neu erworbene Macht auswirkt, wenn Entwicklungsländer beispielsweise Kredite erhalten können, ohne die vom IWF verlangten Strukturanpassungen vornehmen zu müssen. Bereits jetzt investiert China in Afrika und dies fast ohne Bedingungen zu stellen.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14 - 69. Jahrgang - 12. April 2013, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2013