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VORWÄRTS/931: Die Post geht ab!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.21/22 vom 7. Juni 2013

Die Post geht ab!

Von Siro Torresan



Mitte August werden die Verhandlungen für den neuen Post-Gesamtarbeitsvertrag (GAV) beginnen, der komplett überarbeitet werden muss. Die Gewerkschaft syndicom hat ihre Forderungen der Schweizer Post übergeben. Es ist dies der Startschuss für ein wohl langes und zähes Ringen um die Arbeitsbedingungen von rund 65.000 Beschäftigten. Über Erfolg oder Misserfolg wird eine "simple" Frage entscheiden.


Die Ausgangslage ist für die Gewerkschaft syndicom alles andere als einfach: Seit dem 1. Oktober 2012 ist die neue Postgesetzgebung samt Verordnungen in Kraft. Damit wurden der Post-Markt und die Grundversorgung neu geregelt. Auch die Rechtsgrundlage der Schweizer Post wurde grundlegend verändert. So ist die Post heute eine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft (AG) und die PostFinance eine eigenständige AG im Besitz der Post. Beide Aktiengesellschaften müssen nun ihre Mitarbeitenden nach Privatrecht und nicht mehr nach öffentlichem Recht beschäftigen. Anstelle des Bundespersonalgesetzes (BPG) ist das Obligationenrecht (OR) massgebend. "Der Wechsel ins Privatrecht und ins Arbeitsgesetz verändert die arbeitsrechtliche Grundlage, auf denen der aktuelle GAV Post basiert", hält die Gewerkschaft syndicom fest und fügt hinzu: "Dies bedeutet: der GAV muss total überarbeitet werden, wenn man nicht Regelungslücken, Widersprüche zum geltenden Recht und enorme Rechtsunsicherheit bei der Interpretation des bisherigen GAV in Kauf nehmen will."

Der Übergang vom öffentlichen ins private Recht wird erst vollzogen, wenn der neue GAV ausgehandelt ist, spätestens aber nach zwei Jahren. Für syndicom heisst dies, dass maximal zwei Jahre Zeit bleiben, bis 2015, um mit der Post einen neuen GAV auszuhandeln. Laut Yves-André Jeandupeux, Leiter Personal der Post und Mitglied der Konzernleitung, unterstehen 85 Prozent der Angestellten dem Post-GAV. Das sind knapp 53.000 der insgesamt 62.000 Beschäftigten. Die Post ist somit nach der Migros und Coop die drittgrösste Arbeitgeberin in der Schweiz. Zahlen und Fakten, die von der Wichtigkeit dieses GAV zeugen.


Umbau ja - Abbau nein

Der offizielle Startschuss in die Verhandlungen fand am Samstag, 5. Mai in Bern statt: Die rund 300 Delegierten der Konferenz des Sektors Logistik der Gewerkschaft syndicom übergaben Yves-André Jeandupeux den Katalog mit den Forderungen für den neuen GAV 2015. Syndicom verlangt unter dem Slogan "Alles Gelbe unter einem Dach", der zugleich die Hauptforderung ist, faire und gleiche Arbeitsbedingungen für die Angestellten in allen Bereichen und Subunternehmen der Schweizer Post. Die Stossrichtung der weiteren Forderungen können in den folgenden Themenbereichen zusammengefasst werden: "faire Löhne dank fairem Lohnsystem", "weniger Stress und transparente Arbeitszeiten", "mehr Mitwirkung am Arbeitsplatz", "Arbeitsplatzsicherheit und Kündigungsschutz" und "für eine attraktive Post mit starken Sozialleistungen".

Die Gewerkschaft hat ihre Positionen im engen Kontakt mit den Angestellten erarbeitet. Eine breit angelegte Umfrage Ende 2011 hat aufgezeigt, wo Handlungsbedarf besteht. Diese Themen wurden mit der gewerkschaftlichen Basis eingehend diskutiert. In Arbeitsgruppen wurden konkrete Lösungsvorschläge entwickelt. "Die Branchen-DV Post konnte vor zwei Monaten den Forderungs-Katalog definitiv verabschieden - nach einem umfassenden Vernehmlassungsverfahren bei Post-Mitarbeitenden aus allen Konzernbereichen und aus verschiedenen Regionen", informiert die Gewerkschaft in ihrer Medienmitteilung.

"Getreu dem Motto 'Umbau ja - Abbau nein' stellen wir in unserem Katalog einzig realistische Forderungen auf. Und wir erwarten von der Post, dass sie dasselbe tut. Das Gerede von Marktlöhnen muss endlich aufhören", schreibt syndicom-Zentralsekretär Kaspar Bütikofer im Vorwort der Broschüre mit den Hauptforderungen zum neuen GAV. Er hält fest, dass eine Frontoffice-Mitarbeitende nicht mit einer Schuhverkäuferin und ein Paketbote nicht mit einem Pizzakurier verglichen werden können. Und mit Blick auf die im August beginnenden Verhandlungen fordert Bütikofer: "Es ist Zeit, dass die Postverantwortlichen wieder auf den Boden der Realität des eigenen Unternehmens zurückkommen."


Klare Zeichen trotz Schweigen

Die Forderungen der Gewerkschaft sind auf dem Tisch. Die Chefetage des gelben Riesen hat mit Schweigen reagiert - kein Wort, kein Kommentar bisher. Sie scheinen dort viel mehr mit Entlassungen beschäftigt zu sein. Ende April gab die Post bekannt, dass sie das Logistikzentrum Bern (LZ Bern) Ende April 2014 schliessen will. Betroffen sind 55 Mitarbeitende und sechs Lernende. Die Schliessung begründet die Post mit wirtschaftlichen Gründen. Die Gewerkschaft syndicom präzisiert den Grund der Entlassungen: "Die Post beabsichtigt, einen Grossteil der Leistungen des 'Konzerneinkaufs' nach WTO (Welthandelsorganisation) auszuschreiben und an den günstigsten Anbieter zu vergeben". Damit liquidiert die Post auf einen Schlag intern 55 Arbeitsplätze zu fairen GAV-Anstellungsbedingungen und verschiebt sie somit in eine "Tieflohnbranche ohne GAV-Schutz."

Die Entlassungen sind ein klares Zeichen der Post für die bevorstehenden GAV-Verhandlungen: Möglichst wenige Beschäftigte sollen vom GAV profitieren, damit einfacher und schneller die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden können. Oder gibt es eine andere Interpretation der Entlassungen beim LZ Bern?

Die Gewerkschaft syndicom steht vor einer Mammutaufgabe. Ihre Erfolgschance ist an eine simple Frage gekoppelt: Wird sie die PostarbeiterInnen im entscheidenden Moment für Protest- und Kampfaktionen mobilisieren können?

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 21/22 - 69. Jahrgang - 7. Juni 2013, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juni 2013