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VORWÄRTS/937: Italien - Gewerkschaften als Krisenmanager


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 23/24 vom 21. Juni 2013

Italien: Gewerkschaften als Krisenmanager

von Maurizio Coppola



Italiens Krise verschärft sich von Tag zu Tag. Ökonomische Indikatoren zeigen an, dass die "industrielle Reservearmee" einen enormen Anstieg erlebt. Nun haben die grossen Gewerkschaftsverbände ein Abkommen mit dem Unternehmerverband abgeschlossen, der auf die Eliminierung kämpferischer ArbeiterInnen und BasisgewerkschaftsvertreterInnen zielt.


Die Krise trifft Italien in einem noch nie vorher gesehenen Ausmass. Die offiziellen Statistiken sprechen von 3,83 Millionen Arbeitslosen im April 2013. Im Vergleich zum Vormonat ist ihre Zahl um 23.000, im Vergleich zum Vorjahr um 373.000 gewachsen. Diese Zahlen widerspiegeln jedoch nicht die ganze soziale Misere des Landes. Von dieser Statistik nicht erfasst sind diejenigen, die unfreiwillig Teilzeit, auf Abruf oder temporär arbeiten. Die Statistiken beziffern diese sogenannten "Prekären" auf 3,3 Millionen. Sie verdienen im Schnitt 836 Euro monatlich, wobei sich die Lohnschere zwischen Frauen (759 Euro) und Männern (927 Euro) durchschnittlich weiter vergrössert hat. Und dann gibt es noch diejenigen, die von Kurzarbeit betroffen sind und nur einige wenige Tage monatlich arbeiten. Nur für die Turiner Industrie wurden 2012 143 Millionen Stunden Kurzarbeit gezählt. Diese Zahlen sind nur ein Hinweis auf die kommende Arbeitslosigkeit und Armut Italiens.


Ein Abkommen gegen die ArbeiterInnen

In diesem Kontext haben die Leitungen der drei grossen Gewerkschaftsverbände, der UIL (Unione Italiana del Lavoro), der CISL (Confederatione Italiana Sindacati dei Lavoratori) und der CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro) anfang Juni 2013 mit dem Unternehmerverband "Confindustria" ein Abkommen über die gewerkschaftliche Vertretung unterzeichnet. Auch die FIOM (Federazione Impiegati Operai Metallurgici), die historisch als Klassengewerkschaft gilt, hat dieses Abkommen unterzeichnet.

Das Abkommen sieht vor, dass Gesamtarbeitsverträge (GAV), die auf nationaler Ebene von der Mehrheit der drei Gewerkschaftsverbände unterzeichnet werden, in jeder Industrie- und Dienstleistungsbranche sowie in jeder Fabrik und in jedem Büro angewendet werden müssen. Die BetriebsvertreterInnen, die von der ArbeiterInnenbasis gewählt werden, haben kein Recht, sich dem GAV zu widersetzen oder ArbeiterInnenversammlungen in den Betrieben zu organisieren, auch wenn ein Grossteil der ArbeiterInnen den GAV ablehnt. Handeln die ArbeiterInnen und ihre BasisvertreterInnen entgegen dem Abkommen, kann ihnen der Status als VertreterInnen entnommen werden und sie geraten auf eine "schwarze Liste" des Unternehmens. Dieses Abkommen zielt also darauf, den Bereich der kämpferischen GewerkschaftsvertreterInnen zu zerstören - ein Bereich, von dem sich die Gewerkschaftsapparate jedoch schon lange distanziert haben.


Von der Geschichte lernen?

Der Angriff auf grundlegende gewerkschaftliche Rechte, die Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert erkämpft und im Verlaufe der 60er und 70er Jahre ausgebaut wurden, ist in der aktuellen Krise des Kapitalismus zur allgemeinen Strategie von Unternehmen und Politik im Klassenkampf geworden. Im Namen des "nationalen Wiederaufbaus" soll nun das, was von diesen Rechten übrig geblieben ist, weiter abgebaut werden. Die offiziellen Gewerkschaften - auch diejenigen, die aus einer kämpferischen Klassentradition stammen - haben sich von Instrumenten der kämpfenden ArbeiterInnen zu Krisenmanagern verwandelt. Die Entwicklungen in Italien erinnern - auch wenn in einer abgeschwächten Form - an den Faschismus: Unternehmen und Mussolini benutzten "entgegenkommende" Gewerkschaften, um mittels der "Korporationen" die Opposition in den Fabriken zu eliminieren und schliesslich auch die Gewerkschaften selbst zu liquidieren.

In Zeiten der Krise gewähren die Unternehmen den ArbeiterInnen nur zwei Optionen: Entweder von einer bestialischen Arbeit für wenig Geld ausgelaugt zu werden oder die Misere der Arbeitslosigkeit. Eine andere Alternative hängt nun nicht (mehr) von den Gewerkschaften, sondern alleine von den ArbeiterInnen selbst ab.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 23/24/2013 - 69. Jahrgang - 21. Juni 2013 , S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2013