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VORWÄRTS/962: Aufstand im Sudan


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 35/36 vom 11. Oktober 2013

Aufstand im Sudan

Von Michi Stegmaier



Das islamistische Militärregime im Sudan ist seit drei Wochen mit massiven Strassenprotesten konfrontiert und gerät ins Wanken. Präsident Omar al-Bashir reagiert mit eiserner Hand und die Anzahl Toter und Verhafteter steigt.


Der Sudan steht nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs, der Misswirtschaft und Korruption vor dem Staatsbankrott. Während der dem Regime von Omar al-Baschir nahestehende Emir von Katar am 2. Oktober eine weitere Milliarde US-Dollar Soforthilfe zugesagt hat, beschuldigt das Regime den Westen und Saudi-Arabien hinter dem Aufstand der Strasse zu stehen. Es ist die grösste Protestwelle, mit der das Regime seit dem Militärputsch vor 24 Jahren konfrontiert ist. Während es mit brutalster Gewalt gegen die Demonstrierenden vorgeht, schweigt die internationale Presse. Gemäss offiziellen Angaben der sudanesischen Ärztevereinigung sowie Amnesty International sind bis zum 27. September alleine in der sudanesischen Hauptstadt Khartum bei der blutigen Niederschlagung des Aufstands 210 Menschen getötet worden.


Baschirs eiserne Hand

Das berühmte Fass zum Überlaufen brachte die Ankündigung von Baschir während einer TV-Ansprache vom 20. September, die staatlichen Subventionen von 1,7 Milliarden Dollar für Benzin und Diesel per sofort ersatzlos zu streichen. In vielen Städten und Dörfern gingen darauf Tausende spontan auf die Strasse. Als in der Stadt Nyala in der Region Süd-Darfur die Menschen zum Gouverneurs-Palast zogen, wurden sie dort durch Schüsse der regimetreuen Djandjawid-Milizen - die Todesreiter von Darfur - empfangen. Mindestens acht Menschen wurden dabei erschossen. Als diese Meldung die anderen Teile des Sudans erreichte, kam es in den folgenden Tagen zu gewalttätigen Protesten, Plünderungen und spontanen Massenkundgebungen. Dutzende Polizeistationen, Tankstellen, Regierungsgebäude und Büros der regierenden Kongresspartei (NCP) wurden dabei zerstört. Der Sicherheitsapparat reagierte darauf mit gezielten Schüssen und brutalster Gewalt. Zudem wurde im ganzen Land das Internet abgestellt und mehrere Zeitungen, darunter auch die grösste regimenahe Tageszeitung des Landes, verboten. Unterdessen hat das Regime angekündigt, dass alle Schulen bis zum 20. Oktober geschlossen bleiben und über mehrere Regionen wurde eine Ausgangssperre verhängt.


Die "Thatchers" gegen das Volk

Zwar hat Baschir angekündigt, den Mindestlohn zu erhöhen und verschiedene Reformen anzustossen, gleichzeitig hat er aber betont, an der Streichung der Subventionen festzuhalten, auch um die dringend benötigten Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht zu gefährden. Zudem versprach er, bei den für 2015 geplanten Präsidentschaftswahlen nicht mehr anzutreten. Trotzdem gingen die Proteste weiter. Mehrere gewichtige Oppositionsgruppen haben sich der Forderung der Strasse angeschlossen und verlangen den sofortigen Rücktritt von Baschir. Der schillernde islamistische Oppositionsführer Hassan al-Turabi warnte den den Muslimbrüdern nahestehenden Präsidenten bereits vor einem Bürgerkrieg. Aber auch seitens der eigenen Partei und beachtlichen Teilen der Eliten gerät Baschir immer mehr unter Druck. So forderten 31 führende NCP-Mitglieder - unter ihnen ein ranghoher General der sudanesischen Streitkräfte - ein Ende des Sparkurses und des Blutvergiessens. Baschir seinerseits hat Tausende Kämpfer loyaler Milizen in die Hauptstadt verlegt und seit dem 24. September patrouillieren Soldaten in den Strassen von Khartum. Vor allem die regimetreuen Milizen, wegen ihren PS-starken Jeeps und ihrem eisernen Vorgehen nach der britischen Iron Lady auch "Thatchers" genannt, werden für die Massaker verantwortlich gemacht.


Zersplitterte Opposition

Was dem Baschir-Regime momentan noch in die Hände spielt, ist der tiefe Graben zwischen der rebellierenden Strasse und den verschiedenen Oppositionsführern, die in der Regel meistens aus der Oberschicht stammen. Auch die sudanesischen KommunistInnen bilden da keine Ausnahme. Anderseits bröckelt Baschirs Machtbasis zusehends und das Regime konzentriert sich notgedrungen immer mehr auf die Hauptstadt Khartum, während der Rest des Landes stark vernachlässigt wird. Über mehrere Regionen des Sudans hat die Armee schon seit Langem die Kontrolle verloren und in verschiedensten Teilen haben Rebellengruppen autonome Gebiete errichtet. Vor allem die Unabhängigkeit des Südsudans im Jahr 2011 hat die ökonomische Situation im Sudan dramatisch verschärft, da drei Viertel der wichtigen Erdöleinkommen nun in den Südsudan fliessen. Immer wieder kommt es zu schweren Grenzkonflikten zwischen dem Sudan und Südsudan. Besonders die als besonders erdölreiche Region Abyei ist heftig umstritten und wird von beiden Ländern beansprucht. Des weiteren hat die "Sudanese Revolutionary Front" (SRF) am 30. September angekündigt, die Proteste militärisch zu unterstützen und einen Plan zum baldigen Sturz des Baschir-Regimes auszuarbeiten. Die SRF ist ein Zusammenschluss von Rebellengruppen der Regionen Darfur, Blue Nils und Süd-Kordofan. Zwei Tage später hat die ehemals marxistische "Sudanesische Befreiungsarmee des Nordens" (SPLAN) ihr Waffenstillstandsabkommen mit der sudanesischen Armee widerrufen und sich den Umsturzplänen der SRF angeschlossen. Es wird derzeit versucht, eine breite Allianz gegen das Baschir-Regime zu bilden und die zerstrittene Opposition zu vereinen.


Parallelen zum Arabischen Frühling

Die Analogien zum Arabischen Frühling sind nicht von der Hand zu weisen. So sind es vor allem einfache Angestellte und unorganisierte ArbeiterInnen sowie jugendliche Habenichtse und StudentInnen, die die Proteste tragen, während gleichzeitig eine Repressionswelle gegen die politische Opposition läuft. Alleine bis zum 5. Oktober wurden rund 800 Regime-KritikerInnen und JournalistInnen verhaftet, einige Quellen sprechen gar von über zweitausend Festgenommenen. Dabei handelt es sich vor allem um Mitglieder von populären Jugendgruppen wie etwa "Girifna" oder "Sudan Change now", die in der Folge des Arabischen Frühlings entstanden sind. Unter den Verhafteten befinden sich aber auch 16 führende Mitglieder der "Sudanese Communist Party".

Ob aus dem Arabischen Frühling nun gar ein Afrikanischer Frühling werden wird, wie die ersten OptimistInnen frohlocken, werden die nächsten Tage und Wochen zeigen. Anders als bei vorangegangenen Protestwellen im Sudan sind sich jedoch alle Akteure einig, dass die jüngsten Ereignisse auf Grund des breiten Spektrums sowie der grossen Spontanität und Entschlossenheit eine völlig neue Qualität darstellen und der revolutionäre Virus grosse Teile der sudanesischen Gesellschaft erfasst hat.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 35/36 - 69. Jahrgang - 11. Oktober 2013, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Oktober 2013