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VORWÄRTS/980: Zunehmende Prekarisierung der Sexarbeit


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.45/46 vom 20. Dezember 2013

Zunehmende Prekarisierung der Sexarbeit

Von Thomas Schwendener



Seit die Stadt Zürich eine neue Verordnung zur Sexarbeit in Kraft gesetzt hat, hat sich die Lage für viele Sexarbeiterinnen verschlechtert. Nun haben sich diese mit einem Appell an den Zürcher Stadtrat und die Öffentlichkeit gewandt.


Wer in den vergangenen Tagen in der Zürcher Langstrasse unterwegs war, dem dürfte aufgefallen sein, dass die Sexarbeiterinnen mehrheitlich aus dem Strassenbild verschwunden sind. Ganz im Einklang mit der Gentrifizierungstendenz im Quartier wird die neue Prostitutionsgewerbeverordnung (PGVO) von der Polizei rigoros durchgesetzt. Diese sieht vor, dass Strassenprostitution nur noch auf dem Strichplatz in Altstätten, der Brunau und an der Zähringerstrasse erlaubt ist. Sexarbeiterinnen und Freier, die am bisherigen Strassenstrich am Sihlquai oder im Kreis 4 erwischt werden, erhalten eine Busse. Dabei hat die Polizeirepression derart zugenommen, dass sie für die Frauen ein unerträgliches Mass erreicht hat. Mehrere Beratungsstellen sprechen von einer regelrechten "Jagd" auf Sexarbeiterinnen, auch wenn diese in ihrer Freizeit unterwegs sind, wie mehrere Fälle belegen. Zusammen mit strengeren Regeln für Salons führt die Verordnung dazu, dass die Ausübung einer legalen Tätigkeit für die Sexarbeiterinnen immer schwieriger wird.


In den Untergrund gedrängt

Ein von mehreren Fachstellen kürzlich veröffentlichter "Lagebericht zum Sexgewerbe in der Stadt Zürich" bilanziert die Auswirkungen der PGVO deutlich: "Es zeigt sich, dass die Lage der Sexarbeiterinnen prekär geworden ist: im Kreis 4 wie auch in anderen Quartieren der Stadt Zürich. Für die legale Ausübung des Prostitutionsgewerbes - die Strassen- und Salonprostitution - werden so hohe Hürden aufgestellt, dass die Ausübung des Prostitutionsgewerbes praktisch verunmöglicht wird. Statt den versprochenen Schutz erfahren die Frauen durch die neue Prostitutionsgewerbeverordnung (PGVO) Repression und Druck. Dies führt zu einer Verschiebung des Sexgewerbes in den Untergrund. Das macht die Arbeit für die Frauen gefährlicher, schwieriger, prekärer." Es mutet mehr als zynisch an, dass die Verordnung auch als Schutz für die betroffenen Frauen angekündigt wurde. Dass die Polizei ihrerseits keinen Anlass für eine Änderung ihrer Praxis sieht, darf nicht erstaunen. Reto Casanova, Sprecher des Polizeidepartements, gab zu Protokoll, dass die heutige Ordnung den gültigen Gesetzen entspreche. Illegalität als gültige Ordnung. Daran zeigt sich einmal mehr der heuchlerische Umgang der bürgerlichen Gesellschaft mit einem Wirtschaftszweig, den sie selber produziert.


Sexarbeiterinnen als Subjekte

In den gängigen politischen Diskursen kommen Prostituierte vor allem als schützenswerte Wesen vor - wenn sie nicht gleich gänzlich dämonisiert werden -, ohne dass ihre Interessen und Bedürfnisse wirklich berücksichtigt werden. In Zürich haben einige von ihnen nun aber begonnen selber zu handeln. Sie haben sich mit einem gemeinsamen "Appell für Rechte und Respekt für alle Sexarbeiter/innen!" an Stadtrat und Öffentlichkeit gewandt: "Für uns Sexarbeiterinnen ist die Lebens- und Arbeitssituation in Zürich unerträglich geworden. Die Verschärfung der Prostitutionsgesetzgebung schränkt unsere Arbeits- und Lebenssituation empfindlich ein. Die intensiven polizeilichen Repressionen führen zu stetigen Stresssituationen für uns Sexarbeiterinnen. Wir werden schikaniert und gedemütigt. Wenn die Polizei uns kontrolliert, werden wir abwertend und respektlos behandelt. (...) Diese Repression wird verkauft als 'Schutz vor Ausbeutung der Sexarbeiterinnen'. Wir erleben aber das Gegenteil, diese Repression drängt uns in die Illegalität. Was wir erfahren, ist das Gegenteil von Schutz, wir werden gezwungen, immer mehr versteckt zu leben und zu arbeiten."


Heuchlerischer Diskurs

Die bürgerliche Gesellschaft hat offensichtlich ein heuchlerisches Verhältnis zur Prostitution: Einerseits produziert diese Gesellschaft ein Bedürfnis nach bezahltem Sex und damit auch einen Markt, der dieses Bedürfnis in Profit umsetzt. Andererseits gelten die Sexarbeit und damit auch die Arbeiterinnen als schmuddelig und man mag sich an ihnen irgendwie nicht die Finger schmutzig machen. So sind Arbeitsschutzgesetze oder ein Schutz vor Diskriminierung und Stigmatisierung in diesem Bereich kaum vorhanden. Es ist kein Wunder, dass von Zeit zu Zeit auch die Forderung nach einem Verbot der Sexarbeit aufkommt. Die aktuelle Diskussion wie auch die PGVO zeigen eines: Die Bedürfnisse und Interessen der Prostituierten interessieren nur marginal.

Die "Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration" schreibt in einem Diskussionsbeitrag zur Verbotsdebatte: "Sexarbeit als eine gesellschaftliche Realität anzuerkennen und den im Sexgewerbe tätigen Frauen (und Männern) faire, sichere Arbeitsbedingungen zuzubilligen, bedeutet nicht, auf eine moralisch-ethische Diskussion zu verzichten. Aber es bedeutet die Anerkennung, dass Sexarbeiterinnen dieselben Rechte haben wie alle anderen Menschen. Sie haben das Recht auf arbeitsrechtlich konforme, selbstbestimmte Arbeit, auf Gesundheit, Sicherheit und Unversehrtheit."

Solange die Diskussion über den Zusammenhang von Kapitalismus und käuflichem Sex nicht geführt wird und es nicht auf der Tagesordnung steht, dass mit der Abschaffung des Kapitalismus auch die Lohnarbeit und spezifisch die Sexarbeit abgeschafft wird, muss es darum gehen, einigermassen annehmbare Verhältnisse für die Sexarbeiterinnen zu erreichen. Die Zürcher Verordnung ist dazu nicht nur unbrauchbar, sie produziert erwiesenermassen das Gegenteil.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46, Jahresendbeilage - 69. Jahrgang - 20. Dez. 2013 , S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2014