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VORWÄRTS/985: "Freiheit ja - Gefängnis nein" - Flüchtlingsproteste in Israel


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.1/2 vom 17. Januar 2014

"Freiheit ja - Gefängnis nein"

Von Michi Stegmaier



Israel erlebte dieser Tage die grössten Flüchtlingsproteste seit seinem Bestehen. Zehntausende von Illegalisierten beteiligten sich vergangene Woche an einer dreitägigen Kampagne und forderten ihre rechtliche und soziale Anerkennung als Asylsuchende.


Es war eine beachtliche Menschenmasse, welche am 5. Januar auf den Rabin-Platz in Tel Aviv drängte. Während die Polizei von rund 20.000 TeilnehmerInnen ausging, sprachen die Organisatoren gar von über 30.000 AfrikanerInnen, die für ihre Anerkennung als Asylsuchende sowie gegen Ausschaffungsknäste ein starkes Zeichen setzten. "Das ist beachtlich, denn in Israel halten sich nur gut 50.000 Migranten aus Afrika auf", sagt Sigal Rozen von der Gruppe "Hotline for migrant workers". Die Kundgebung fand im Rahmen von Aktionstagen und eines dreitägigen Streiks unter dem Slogan "Freiheit ja - Gefängnis nein" statt.


Durch den Schneesturm Richtung Jerusalem

Schon Mitte Dezember machten sich rund zweihundert Flüchtlinge zu Fuss auf den 70 Kilometer langen Weg vom neuen Internierungslager in Horot in der Negev-Wüste nach Jerusalem. Teilweise barfuss und nur mit einem T-Shirt bekleidet ging es Richtung Jerusalem, während Israel einen seiner schlimmsten Schneestürme erlebte. Der Marsch erweckte so viel Aufsehen in der Bevölkerung, dass sich verschiedenste AktivistInnengruppen spontan den Flüchtlingsprotesten anschlossen. Zuvor hatte im September 2013 das Oberste Gericht in Jerusalem ein Gesetz widerrufen, welches es bisher ermöglichte, illegal Eingereiste ohne rechtliches Gehör bis zu drei Jahre zu inhaftieren. Als Reaktion auf die neu entstandene Gesetzeslücke verabschiedete das Parlament am 10. Dezember ein neues Gesetz, welches die Inhaftierung von Illegalisierten bis zu einem Jahr ohne Gerichtsverfahren erlaubt. Dagegen haben verschiedene Menschenrechtsorganisationen wie etwa die Vereinigung für Bürgerrechte in Israel (ACRI) juristische Schritte eingeleitet.


"Wir sind Flüchtlinge"

Tatsächlich ist das Phänomen von Asylsuchenden für Israel relativ neu und eine direkte Folge der europäischen Abschottungspolitik und der Festung Europas. Erst seit 2006 wagten afrikanische Flüchtlinge den gefährlichen Weg durch den Sinai nach Israel. Und auch wenn Netanjahu behauptet, dass Israel bei den Asylgesuchen eine höhere Anerkennungsrate als jeder europäische Staat hätte, so ändert das nichts an der Tatsache, dass seit 1948 weniger als 160 Asylsuchende als Flüchtlinge anerkannt wurden.

Zwar hat der 2012 fertiggestellte Hochsicherheitszaun an der Grenze zu Ägypten tatsächlich die erwünschte abschreckende Wirkung erzielt und seither kommt es faktisch zu keinen neuen illegalen Einreisen mehr, trotzdem leben heute rund 50.000 Menschen, vor allem aus den ostafrikanischen Staaten Eritrea, dem Sudan und Äthiopien, in Israel. Dort werden sie als billige Arbeitskräfte geduldet und leben am Rande der Gesellschaft. Vor allem in den Touristendestinationen am Roten Meer sowie in Tel Aviv arbeiten viele AfrikanerInnen und verrichten Arbeiten, die sonst niemand machen möchte. Für die rechte Regierung unter Netanjahu sind es "Eindringlinge", für die Restaurants und Hotels gern gesehene Arbeitskräfte. "Wir sind Flüchtlinge und keine Arbeitsmigranten" rufen Tausende zum Abschluss der Kampagne vor der Knesset in Jerusalem.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 1/2 - 70. Jahrgang - 17. Januar 2014 , S. 6
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Februar 2014