Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

VORWÄRTS/1008: Mit Negativzinsen gegen die Krisenfolgen


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 13/14 vom 11. April 2014

Mit Negativzinsen gegen die Krisenfolgen

von Thomas Schwendener



Die Schweizer Nationalbank versucht weiterhin, dem Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken entgegenzuwirken und eine Euro-Franken-Untergrenze zu garantieren. Verlautbarungen des Internationalen Währungsfond (IWF) und einiger ExponentInnen der Nationalbank bezüglich eines Negativzinses haben kürzlich für Aufsehen gesorgt und eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung im Euro-Raum in weite Ferne gerückt.


Kürzlich legte der Internationale Währungsfond (IWF) seinen abschliessenden Bericht zur regelmässigen Länderüberprüfung vor und empfahl der Schweizer Nationalbank (SNB), im Falle einer weiteren Frankenaufwertung die Option von Negativzinsen in Erwägung zu ziehen. Thomas Jordan, der Präsident der SNB, hatte diese Idee bereits anfangs März in einem Interview erwähnt. Sein Kollege Fritz Zurbrüggen, Direktionsmitglied der SNB, hat sich kürzlich öffentlich in die selbe Richtung geäussert. Der Negativzins würde zu einer ganzen Reihe von Massnahmen gehören, mit denen die Nationalbank den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro verteidigen will. Er würde etwa die Devisenkäufe der SNB ergänzen, die bereits 450 Milliarden an Fremdwährungen hält. Dass diese Option jetzt ins Spiel gebracht wird, beweist vor allem eins: Der IWF und die SNB gehen davon aus, dass es in absehbarer Zeit keine nachhaltige Erholung der wirtschaftlichen Lage in Europa und an den Devisenmärkten gibt. Kurz: Die Krise ist nicht ausgestanden.


Erfahrungen mit dem Negativzins

Wenn aktuell von einem Negativzins im Zusammenhang mit der Nationalbank die Rede ist, dann bezieht sich dieser nicht auf den Leitsatz zur Geldpolitik. Für diesen hat die SNB ein Zielband zwischen 0 und 0,25 Prozent festgelegt. Der Leitzins befindet sich mit 0,02 Prozent schon länger an der unteren Grenze und unter diese kann der Zinssatz vorerst nicht fallen. Die aktuelle Debatte um Negativzinsen bezieht sich auf Einlagen von Banken bei der SNB. Die AnlegerInnen müssten für die Möglichkeit, ihr Geld bei der Notenbank zu deponieren, künftig Geld bezahlen. Dies würde Geldströme aus dem Ausland abschwächen und damit für einen geringeren Aufwärtsdruck auf den Franken sorgen. Dies zeigt zumindest das Beispiel der dänischen Zentralbank, die Anfang Juli 2012 einen Minus-Zins von 0,2 Prozent auf Bankdepositen erhoben hat.

In der Schweiz hat man einige Erfahrung mit Negativzinsen. In der Eidgenossenschaft bestand mit einigen Unterbrechungen von 1964 bis 1979 eine Verordnung, die eine Verzinsung von Geldanlagen in Schweizer Franken seitens ausländischer Geldgeber verbot und sogar die Erhebung eines Negativzinses von bis zu 10 Prozent pro Vierteljahr vorsah. Damit wehrte man den übermässigen Kapitalzufluss ab, der den Wechselkurs des Schweizer Frankens zu ungunsten der Exportindustrie in die Höhe zu treiben drohte.


Überhitzung und steigende Kisten?

In der Eurozone wurde kürzlich eine ähnliche Diskussion geführt. Hier sollte der Negativzins aber vorallem dazu dienen, dass die Banken ihr Geld an KreditnehmerInnen gibt, statt es bei den Notenbanken zu lagern. Man träumt davon, dass die krisengeschüttelte Südperipherie mit Geld überhäuft wird. Ein Problem dabei wäre, dass man die Geschäftsbanken in krisengeschüttelten Zeiten zusätzlich belastet. Valentino Marino von der Citigroup rechnete vor, dass beim derzeitigen Stand der Einlagen von 174 Milliarden Euro ein Negativzins von 0,1 Prozent die Banken bereits mit 174 Millionen belasten würde. Banken könnten versuchen, ihre Geld nicht bei den Notenbanken anzulegen, sondern auf andere Bereiche auszuweichen. Dies wiederum könnte zu einer Überhitzung des Immobilienmarktes führen, zum Beispiel in der Schweiz. Eine schwerwiegende Gefahr läge ausserdem darin, dass die Banken den "Strafzins" auf bestehende Geschäfte umlegen und damit die Kreditkosten erhöhen. Damit unterliefe der Negativzins möglicherweise eines der Hauptanliegen der Tiefzinspolitik, nämlich die Märkte mit billigem Geld zu versorgen.


Die Börsen und das billige Geld

Die Idee des Negativzinses könnte für die Frankenuntergrenze zugunsten der Exportindustrie durchaus eine Möglichkeit sein, wenn auch die meisten Wirtschaftsredaktionen davon ausgehen, dass dies in naher Zukunft nicht umgesetzt wird. Es ist schliesslich ein Spiel mit dem Feuer. Vorallem die mögliche Tendenz zur Verteuerung der Kredite dürfte ein ernstes Problem darstellen.

Der wachsende Einfluss der Notenbanken auf die Finanzmärkte macht sich besonders dadurch geltend, dass jene billiges Geld zur Verfügung stellen. Selbst bürgerliche ÖkonomInnen gehen mittlerweile davon aus, dass die Börsenkurse etwa im Euro-Raum ohne diese Zuströme weit schlechter ausfallen dürften. Dabei kann sich absurdes abspielen: Es kann durchaus geschehen, dass die Nachrichten von einer Verschlechterung der Wirtschaftslage die Börsenkurse steigen lassen, weil man davon ausgehen kann, dass die Zentralbanken mutmasslich weiterhin billiges Geld ins System pumpen. Das geht aber nur solange gut, wie die Notenbanken diese Geldpolitik betreiben wollen und können. In einer vielbeachteten Rede stellte der keiner kapitalismuskritischen Umtriebe verdächtige Ökonom und Politiker Larry Summers die Frage, ob die einkommensstarken Länder wie die USA nicht in einer Phase der säkularen Stagnation steckten und deshalb auf das dauerhafte Schmiermittel der lockeren Geldpolitik angewiesen seien. Der Marktkommentator Bruce Krasting geht sogar davon aus, dass das "Tapering" also das "Ausschleichen" oder "Drosseln" der billigen Liquiditätszufuhr, zu einer Schockstarre der Kapitalmärkte führen müsse.


Mitten in der Krise

Diese Einschätzungen strafen alle zweckoptimistischen Prognosen Lügen und zeigen, dass selbst bürgerlichen ExpertInnen dämmert, dass die Krise längst nicht ausgestanden ist, sondern eine bestimmte Form angenommen hat. Der Kern, nämlich die Überakkumulation von Kapital bei betreffenden Profitraten, kann die lockere Geldpolitik nicht lösen, aber sie kann die offene Krise vor sich herschieben. Die Frage ist nur wie lange. Die Option des Negativzinses zur Verteidigung der Frankenuntergrenze durch die SNB ist angesichts der Situation der Schweizer Wirtschaft eine Wahl zwischen Schnupfen und Husten. Doch dieses Problem könnte sich angesichts des globalen Kontextes und der möglichen Folgen durchaus zur Wahl zwischen Pest und Cholera auswachsen.

*

Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 13/14/2014 - 70. Jahrgang - 11. April 2014, S. 3
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
und ihre Deutschschweizer Sektionen
Redaktion: Vorwärts, Postfach 2469, 8026 Zürich
Telefon: 0041-(0)44/241 66 77,
E-Mail: redaktion@vorwaerts.ch
Internet: www.vorwaerts.ch
 
vorwärts erscheint 14-täglich,
Einzelnummer: Fr. 4.-
Jahresabo: Fr. 160.-, reduziert (AHV, Stud.) 110.-
Probeabo: 4 Ausgaben gratis


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. April 2014