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VORWÄRTS/1018: 40 Jahre Nelkenrevolution


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr.17/18 vom 9. Mai 2014

40 Jahre Nelkenrevolution

Von Michi Stegmaier



Am 25. April 1974 befreite die "Bewegung der Streitkräfte" Portugal von einer Diktatur, welche das Land fast fünfzig Jahre fest In ihrem Würgegriff hielt. 40 Jahre später sehnen sich viele in Portugal wieder nach einer Revolution.

Es war genau eine halbe Stunde nach Mitternacht, als am 25. April 1974 im Radio das Lied "Grandola vila morena", das geheime Signal für den Beginn des Umsturzes, erklang. Doch dieses revolutionäre Ereignis, das ein seit 1926 an der Macht klebendes faschistisch-kolonialistisches Regime hinwegfegte, hatte seine Vorgeschichte. Zwar folgte auf den verhassten Diktator Salazar 1968 mit Caetano einer, der sich modern, liberal und reformorientiert gab, aber aufgrund des wachsenden Widerstands innerhalb der Bevölkerung rasch zum alten Terrorregime zurückkehrte. Unter Caetano fiel Poftugal - das damalige "Armenhaus Europas" - in seiner Entwicklung weiter zurück. Der beschleunigte Verelendungsprozess zwang über zwei Millionen PortugiesInnen dazu, das Land zu verlassen. Einer der Hauptgründe dafür waren die seit Jahren tobenden Vernichtungskriege gegen die antikolonialistischen Befreiungsbewegungen wie etwa in Angola oder Mosambik, die in Portugal zu einer immer grösseren Verelendung führten.


Solidarität und Antikolonialismus

Ausserdem kam den Befreiungsbewegungen in den unterdrückten Ländern eine antifaschistisch-demokratische Bewegung, deren bestorganisierte Kraft die seit 47 Jahren verbotene Kommunistische Partei war, immer aktiver zu Hilfe. Schon im Oktober 1973 beteiligten sich Hunderttausende an Massenaktionen, bei denen der Wunsch nach Demokratie, Frieden und Unabhängigkeit der portugiesischen Territorien in Afrika im Mittelpunkt standen. Trotz Repression, Einschüchterung und einem generellen Streikverbot kam es zu machtvollen Arbeitsniederlegungen. Und es wurde immer offensichtlicher, dass auch Kreise der Armee und der Kirche sich angewidert vom Regime abzuwenden begannen.

Und selbst als in einflussreichen Teilen des faschistischen Regimes zunehmend die Erkenntnis reifte, dass die Kriege in Afrika nicht mehr zu gewinnen waren und die Diktatur vor ihrem Ende stand, schrieb die deutsche Zeitung "Die Welt" am 22. März 1974: "Angola und Mosambik sind strategische Schlüsselpositionen, die das Land für die NATO und den Westen unentbehrlich machen, auch wenn es ein unfreies Land ist". Auf den wachsenden innenpolitischen Druck reagierte das Regime mit Massenverhaftungen und machte selbst vor hohen geistlichen Würdenträgern keinen Halt. Mitte März wurden zudem ein hochdekorierter General sowie drei weitere führende Militärs, darunter der damalige StabsXchef sowie 33 Offiziere verhaftet. Die im Untergrund tätigen fortschrittlichen Teile der Armee veröffentlichen darauffiin ein Flugblatt mit der Erklärung: "Ohne Demokratisierung ist eine Lösung der ernsten Probleme, die das Land bedrücken, unmöglich." Und in einem Appell der KP Portugals vom 18. April wurde festgehalten: "Um den Faschismus zu vernichten, ist eine nationale Erhebung unter Teilnahme der breitesten Volksmasse und eines Teils der Armee notwendig."


Revolutionsfeier ohne Revolutionäre

Nur eine Woche später folgten auf Worte Taten. Ein Staatstreich der "Bewegung der Streitkräfte" setzte am 25. April 1974 dem Spuk ein Ende. Der weitestgehend unblutige Schlussakt läutete die Totenglocken für ein Regime ein, welches wirtschaftlich und moralisch schon lange am Ende war. Die von einem bestialischen Krieg in Afrika befleckte und entehrte Armee gewann mit ihrem Akt des zivilen Ungehorsames ihre Würde zurück und in ganz Portugal kam es gleichentags zu einem spontanen Volksaufstand. Plätze, Strassen, Verwaltungsgebäude und ganze Fabriken wurden in diesen glorreichen Stunden, wo auf einmal das Undenkbare denkbar wurde, besetzt und aus dem "Armenhaus Europas" wurde ein Symbol der Hoffnung. Und überall schlug den aufständischen Soldaten Solidarität und Anerkennung entgegen. Als Dank für den Akt der Befreiung waren es die Befreiten, die die Nelken, die zum Symbol für die Revolution wurden, in die Gewehre der rebellierenden Streitkräfte steckten.

Auch wenn ein Unrechtsregime gestürzt und noch bis 1988 der Sozialismus als erklärte Ziel in der portugiesischen Verfassung verankert war, so blieben doch viele Forderungen unerfüllt. Und während das offizielle Portugal 40 Jahre Nelkenrevolution feiert, blieben viele von damals den Feierlichkeiten aus Protest gegen die aktuelle Austeritätspolitik fern. Es werden dieser Tage nicht wenige sein, die - wenn im Radio wieder mal Grandola ertönt - sich wünschen, dass auf Worte irgendwann auch wieder Taten folgen werden.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 17/18 - 70. Jahrgang - 9. Mai 2014, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2014