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VORWÄRTS/1044: Der Staat des Kapitals


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34 vom 3. Oktober 2014

Der Staat des Kapitals

Von Maurizio Coppola



Nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative der SVP befürchtet die Regierung, dass in der Schweiz in naher und mittlerer Zukunft Arbeitskräfte fehlen werden. Darum sollen nun Massnahmen getroffen werden, um dieser Tendenz entgegenzuwirken.


Am 9. Februar 2014 hat die stimmberechtigte Bevölkerung entschieden, in Sachen Migrationspolitik eine Änderung einzuführen: Die Zahl der migrantischen Arbeitskräfte soll nicht mehr ausschliesslich nach den Bedürfnissen der in der Schweiz tätigen Unternehmen festgelegt werden (Nachfrage nach Arbeitskräften). Vielmehr muss nun der Staat eine jährliche Höchstzahl für Bewilligungen im Ausländer- und Asylbereich bestimmen. Dadurch will die SVP die Zahl aller MigrantInnen reduzieren und begrenzen. Doch diese populistische Initiative, die bei vielen stimmberechtigten ArbeiterInnen auf Zustimmung gestossen ist, steht den Bedürfnissen der Unternehmen entgegen. Denn diese sind darauf aus, möglichst grenzenlos auf alle Arbeitskräfte Zugriff zu haben - je billiger und ausbeutbarer, desto besser. Und so muss nun die politische Spitze des Kapitals nach Lösungen suchen.


Frauen zurück an die Arbeit

Auf den ersten Blick erscheinen die Bestrebungen des Bundesrates und der SVP nicht kompatibel. Doch ein genauerer Blick auf die formulierten Vorschläge des Bundesrates entblösst gleiche Ziele: Es geht in erster Linie um die Erhöhung der Ausbeutungsrate der ArbeiterInnen. Am 19. September hat Bundesrat Schneider-Ammann an einer Medienkonferenz die sogenannte Fachkräfteinitiative vorgestellt, die zwar schon 2011 ins Leben gerufen wurde, doch nun mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative an Bedeutung gewinnen wird. Zusammengefasst geht es darum, "das inländische Potenzial an Fachkräften künftig mehr denn je zu aktivieren und auszuschöpfen", wie es Bundesrat Schneider-Ammann gegenüber der NZZ formuliert. Ein deklariertes Ziel ist es, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu bringen und gleichzeitig die Pensen derjenigen Frauen zu erhöhen, welche Teilzeit arbeiten.

Was bedeutet es aber nun für Frauen, heute mehr arbeiten zu müssen? Ein Blick auf die aktuelle Arbeitsmarktsituation von Frauen zeigt, dass zwar das typische männliche Alleinernährermodell immer unbedeutender wird, doch das bedeutet noch lange nicht, dass Frauen ökonomisch unabhängig und Lohn-, Familien- und Carearbeit geschlechtlich gleich verteilt sind. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall: Frauen arbeiten mehrheitlich unfreiwillig Teilzeit, wobei diese Form der Arbeit oft prekär (auf Abruf, von der Pensionskassenpflicht ausgeschlossen etc.) ist. Frauen sind auch dreimal häufiger von Tieflöhnen betroffen als Männer. Und im Schnitt - vor allem in Tieflohnbranchen - verdienen Frauen 20 Prozent weniger als Männer. Dazu kommt, dass bei 85 Prozent aller Paare die Frau mehr als 60 Prozent der Haus- und Familienarbeit übernimmt. Und Mütter leisten immer noch rund doppelt so viel unbezahlte Arbeit wie Väter. Die asymmetrische Entwicklung der Geschlechterrollen kann also nicht mit einigen zusätzlichen Betreuungsplätzen für Kinder ausgeglichen werden, so wie es der Bundesrat vorschlägt. Im Gegenteil: Jede Minute mehr, die Frauen auf dem Arbeitsmarkt verbringen, erhöht unter gegebenen Umständen ihre Belastung in der Familie beträchtlich. Diese erhöhte Ausbeutung von Frauen gehört auch zu den primären Zielen der SVP-Politik (vgl. vorwärts 2013, Nr. 43/44: Die Angriffe der SVP).


Noch länger arbeiten

Eine weitere wichtige Massnahme der Fachkräfteinitiative zielt auf die "bessere Integration von älteren Arbeitskräften in den Arbeitsmarkt. Wesentlicher Bestandteil dieses Zieles ist die Erhöhung des Rentenalters aller ArbeiterInnen. Bundesrat Alain Berset hat mit dem Projekt "Altersvorsorge 2020" mit der angestrebten Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau auf 65 Jahre den Grundstein dafür gelegt. Die SVP hat in ihrem Papier zur sozialpolitischen Priorität festgehalten: "Die SVP fordert eine zeitliche Priorisierung der zentralen strukturellen Massnahmen [der Altersvorsorge 2020]. Dazu gehört insbesondere eine rasche Angleichung des Rentenalters von Mann und Frau bei 65 Jahren." Durch die Erhöhung des Rentenalters für Frauen wird die gesellschaftliche Situation von Frauen ab 50 Jahren völlig ausgeblendet (hohe Erwerbslosigkeit und Schwierigkeiten, wieder in den Arbeitsmarkt zu gelangen, um nur zwei Tatsachen zu nennen) und somit eine spezifische Gruppe an ausbeutbaren Arbeitskräften weiterhin in einem Arbeitsmarkt gehalten, der strukturell nie alle Arbeitskräfte aufnehmen kann. So gehen SVP und Bundesrat auch in diesem Anliegen Hand in Hand.


Alle zusammen!

Strategisch weiss der Bundesrat genau, wie er diese Massnahmen umsetzen kann. Schneider-Ammann hat sich an der Medienkonferenz präzise ausgedrückt: "Ich appelliere insbesondere an die Kantone und an die Sozialpartner, mit vereinten Kräften am gemeinsamen Ziel zu arbeiten". Letztes Jahr sprach die von den Gewerkschaften eingeladene Bundesrätin Simonetta Sommaruga an der 1. Mai-Feier. Als Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements thematisierte sie "die mit Migration zusammenhängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme". Die zukünftige Beschränkung der Zulassung migrantischer Arbeitskräfte müsse durch eine "bessere Integration von älteren und weiblichen Arbeitskräften in den Arbeitsmarkt" angegangen werden. Auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund "begrüsst dieses Ziel", wie in der Medienmitteilung vom 23. September unterstrichen wird. Das in der Schweiz tätige Kapital muss sich also nicht fürchten, der helvetische Staat und seine Institutionen sorgen dafür, dass auch in Zukunft genug ausbeutbare Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34 - 70. Jahrgang - 3. Oktober 2014, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2014