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VORWÄRTS/1224: Die Rückkehr des Saisonniers?


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 33/34 vom 23.September 2016

Die Rückkehr des Saisonniers?

Von Thomas Schwendener


SVP und BDP wollen das Saisonnierstatut wieder einführen. Geht es nach der rechten Allianz, sollen wieder tausende ArbeiterInnen prekarisiert werden und nach neun Monaten die Schweiz verlassen müssen.


Bis 1992 zeigte sich Anfangs Frühling vornehmlich an der Südgrenze der Schweiz ein bedrückendes Bild: In langen Schlangen standen Männer mit entbiössten Oberkörpern und warteten auf eine medizinische Untersuchung. Wer notgedrungen als Saisonnier in der Schweiz arbeiten wollte, musste an der Grenze die erniedrigende "grenzsanitarische Untersuchung" über sich ergehen lassen. Weniger gesunde Arbeiter wurden zurückgewiesen. Jene, die es in die Schweiz schafften, genossen einen miserablen sozialen Schutz, durften weder den Wohnkanton noch den Arbeitgeber wechseln und waren meist in engen, schäbigen Baracken untergebracht. Nach maximal neun Monaten mussten sie die Schweiz wieder verlassen und mindestens drei Monate ausser Landes verbringen. Die Saisonniers waren entsprechend leicht erpressbar und der Willkür der UnternehmerInnen ausgeliefert.


Unterstützung für die SVP

Die Untersuchungen an der Grenze wurden zwar 1992 aufgehoben, das Saisonnierstatut hatte aber Bestand; bis 2002 die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union unterzeichnet wurde. Eine Mitte-Rechts-Allianz will nun das Modell wieder einführen. Bei der Debatte des Nationalrats über die "Masseneinwanderungsintiative" während der laufenden Herbstsession kommen mehrere entsprechende Anträge der SVP zur Abstimmung. Das Parlament hatte eine Wiedereinführung des Statuts zwar 2004 abgelehnt, doch seither wirbt die SVP mit tatkräftiger Unterstützung für das Ansinnen. Mittlerweile kann0 die Partei auf prominente Unterstützung zählen: CVP-Präsident Gerhard Pfister macht sich dafür stark, den neunmonatigen Gastarbeiterstatus wieder einzuführen. Die Abstimmung könnte eng werden, weil neben der BDP auch Unterstützung aus den Berggebieten und von den BäuerInnen zu erwarten ist: Sowohl Tourismus als auch Landwirtschaft profitieren von der Kategorie des Saisonniers.

Zwar erklärte Gerhard Pfister, dass man nicht eins zu eins zum alten Modell zurückkehren wolle. Pfister will mit der Erklärung auch den Gewerkschaften den Wind aus den Segeln nehmen. Diese opponieren energisch gegen die Wiedereinführung. Das Modell ist für sie indiskutabel. Für Daniel Lampart vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) ist es eine Schande für die Schweiz. "Es kann und darf nicht sein, dass wir prekäre Arbeit fördern", erklärte er gegenüber dem "Tagesanzeiger".


Migration und Arbeitsmarkt

Am Saisonnierstatut lässt sich besonders deutlich aufzeigen, wie Migrationspolitik im Dienste des nationalen Kapitals steht. Der prekäre Status der Saisonniers führte in der Vergangenheit dazu, dass sie rund 15 bis 20 Prozent weniger verdienten als einheimische Arbeitskräfte in vergleichbaren Positionen. Zum Vergleich: Bei GrenzgängerInnen betrug die Differenz zu SchweizerInnen 7,2 Prozent, bei Jahresaufenthalter bloss 4,5 Prozent. Etabliert sich wieder ein derart starkes Lohngefälle, würde der Druck auf die Löhne in den entsprechenden Bereichen erhöht. Die SVP schlägt damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen dürfte das allgemeine Lohnniveau in der Schweiz abgesenkt und damit der Profit der Unternehmen erhöht werden. Zum anderen stärkt die SVP damit ihren Rückhalt in den untersten Segmenten des Arbeitsmarktes. Bereits heute erhält die SVP mit ihren fremdenfeindlichen Vorstössen viele Stimmen aus jenen Teilen der Proletarisierten. Weil die Saisonniers vor allem für Tieflohnbereiche angeworben würden und diese von den entsprechenden ArbeiterInnen als KonkurrentInnen wahrgenommen werden dürften, kann die SVP von diesen Zustimmung für weitere Verschärfungen in der Migrationspolitik erwarten.

Das Saisonnierstatut hält aber noch eine weitere Annehmlichkeit für das Schweizer Kapital bereit. Als nach 1974 die weltweite Krise die Schweiz besonders hart traf, konnte man hierzulande die Arbeitslosigkeit recht mühelos auf die AusländerInnen abwälzen und exportieren. Von 1974 bis 1976 mussten 200.000 ausländische Arbeitskräfte ausreisen. Über 92.000 Saisonniers, also rund 76 Prozent, mussten das Land verlassen. Angesichts eines krisenhaften Weltmarktes dürfte es für das nationale Kapital und die politischen RepräsentantInnen des Schweizer Standorts sehr attraktiv sein, einen "Puffer" zu schaffen, der je nach ökonomischer Entwicklung einfach und schnell vergrössert oder verkleinert werden könnte. Bei einer so flexiblen Handhabung der "industriellen Reserverarmee" wäre zu befürchten, dass die ohnehin nicht sehr starke Gegenwehr gegen die Verschlechterungen des Lebens der Proletarisierten in der Schweiz eine weitere Schwächung erfahren würde.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 33/34 - 72. Jahrgang - 23. September 2016, S. 6
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Oktober 2016

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