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VORWÄRTS/1250: Es braucht weitere Schutzmassnahmen gegen die Missbräuche der Arbeitgeber


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 45/46 vom 23. Dezember 2016

"Es braucht weitere Schutzmassnahmen"

von Joël Depommier


Die Gewerkschaften sind überwiegend erleichtert, dass bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsintiative keine Kontingente eingeführt wurden, sondern nur ein "Inländervorrang light". Trotzdem gibt es unter ihnen auch kritischere Stimmen.


Letzte Woche haben der Stände- und Nationalrat ihre Umsetzung der SVP-Initiative "Gegen Masseneinwanderung" unter Dach und Fach gebracht. Das Projekt sieht einen "Inländervorrang light" vor für Arbeitslose aus Branchen, in denen die Arbeitslosenrate "über dem Mittel" liegt. Betroffen sind nur 1 Prozent der Stellenangebote, wie sogar der FDP-Ständerat Philipp Müller zugeben muss, der die Vorlage ausgearbeitet hat. Was halten die Gewerkschaften von der Sache? Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) ist froh darüber, dass es keine Wiedereinführung des Saisonnierstatuts oder eines System mit Kontingenten gab. "Die Einführung eines solchen Systems drohte, seitdem die SVP-Initiative gegen Masseneinwanderung angenommen wurde. Nun konnten wir der Gefahr entgehen dank einem Bündnis zwischen SP und FDP", erklärt der SGB. Kontingente hätten die Personenfreizügigkeit in Frage gestellt und auf dem Arbeitsmarkt zu neuen Diskriminierungen für ganze Arbeitnehmergruppen und zu prekären Arbeitsverhältnissen geführt. Sie würden ausbeuterischen Missbräuchen, Lohndruck und Schwarzarbeit Tür und Tor öffnen. Der SGB ist auch zufrieden, dass die Bilateralen beibehalten werden. Es brauche aber "weitere Massnahmen zum Schutz der Arbeitnehmenden gegen die Missbräuche der Arbeitgeber. "Für die Arbeitenden und die Wirtschaft ist es sehr wichtig, die Chancen für arbeitslose Personen zu erhöhen", bekräftigt Gabriel Fischer, Leiter der Wirtschaftspolitik beim christlichen Gewerkschaftsverband Travail.Suisse. Der Gewerkschafter warnt allerdings die Regierung: "Man muss auch den Zugang zum Arbeitsmarkt durch wirksame Begleitmassnahmen verbessern, um die Löhne und die Arbeitsbedingungen zu schützen. Nur wenn die Löhne und Arbeitsbedingungen effektiv geschützt, die Integration von Jugendlichen in den Arbeitsmarkt verbessert, die Arbeitsmarktpartizipation der Frauen erhöht und der Verbleib von älteren Arbeitnehmenden im Arbeitsmarkt gesichert werden, ist die Bevölkerung nachhaltig vom bilateralen Weg mit der europäischen Union zu überzeugen", glaubt Fischer.


"Es ist kein Ersatz"

Ähnlich sieht man es in Genf, wo die Gewerkschaften der Entscheidung des Parlaments sehr kritisch gegenüberstehen. "Der 'Arbeitslosenvorrang', den das Parlament angenommen hat, um die Initiative umzusetzen, kann keine Stärkung des Rechts der Lohnabhängigen auf ihre Arbeitsplätze ersetzen. Es wird dringend notwendig, einen wirksamen Schutz gegen Entlassung einzuführen. Man muss also im Voraus Massnahmen treffen, um die arbeitenden Menschen zu schützen. Heutzutage ist es vollkommen legal, jemanden zu entlassen, um jemanden zu günstigeren Konditionen anzustellen", schreibt die Communauté genevoise d'action syndicale (CGAS). "Es ist kein Ersatz für wirksamere flankierende Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Dringend notwendig wären ein griffiger Kündigungsschutz insbesondere für ältere Mitarbeitende, ein Ausbau der allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge inklusive Mindestlöhne sowie eine Verstärkung der Arbeitsmarktkontrollen von derzeit 30.000 auf mindestens 50.000 pro Jahr", betont Unia Genf.

Die CGAS misstraut den Durchführungsrichtlinien des "Inländervorrangs light" für Arbeitslose. "Unsere Organisation begrüsst zwar alles, was die Situation von Personen, die ihre Arbeit verloren haben, verbessert. Sie wird sich aber dem Inkrafttreten dieser neuen kantonalen Massnahme widersetzen, wenn sie nicht die Arbeitenden einschliesst, die im RAV angemeldet sind, und andererseits Sanktionen gegen Arbeitslose ausspricht, die nicht unter Lohnbedingungen arbeiten wollen, die nicht ortsüblich sind oder Dumpinglöhnen entsprechen. Unter diesen beiden Bedingungen ist ein Vorrang für Arbeitslose letztlich nur ein Mechanismus, um die Arbeitenden zu spalten und zu prekarisieren und das RAV in eine Logik der Prekarisierung der Arbeitsbedingungen zu zwingen", erklärt die Gewerkschaft.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 45/46/2016 - 72. Jahrgang - 23. Dezember 2016, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Februar 2017

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