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VORWÄRTS/1260: PflegerInnen stärken!


vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 03/04 vom 3. Februar 2017

PflegerInnen stärken!

Von Tarek Idri


Pflegefachpersonen sollen zukünftig die Kompetenz erhalten, pflegerische Leistungen direkt mit den Krankenkassen abzurechnen. So will es die vom Berufsverband der Pflegefachpersonen lancierte Pflegeinitiative. In der Initiative steckt allerdings auch die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen für alle PflegerInnen.

Am 17. Januar hat der Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) die nationale Volksinitiative «Für eine starke Pflege (Pflegeinitiative)» lanciert. Mit der Initiative soll durch verschiedene Fördermassnahmen der Pflegeberuf attraktiver gemacht werden, weil es momentan einen Mangel an Pflegepersonen gebe. «Gemäss Berechnung des Bundesamtes für Statistik wird in den nächsten 30 Jahren die Zahl der über 65-Jährigen in der Schweiz auf 2,7 Millionen Personen steigen.» Das entspricht beinahe einer Verdoppelung der aktuellen Anzahl der über 65-Jährigen. Mit dem höheren Anteil an älteren Menschen in der Gesellschaft steigt entsprechend das Bedürfnis nach Pflegeleistungen. Das Komitee ist alarmiert: «Die Zeichen stehen schlecht, dass sie in Zukunft kompetent und individuell gepflegt werden, wenn nicht dringend etwas gegen den aktuellen Fachkräftemangel in der Pflege unternommen wird.» Für den SBK besteht tatsächlich nicht ein allgemeiner PflegerInnenmangel. Konkret würden laut Initiativekomitee bis zu 10.000 ausgebildete Pflegefachkräfte fehlen.

Der SBK ist der Berufsverband der diplomierten Pflegefachkräfte und vertritt als grösster Verband im schweizerischen Gesundheitswesen rund 25.000 Mitglieder. Diplomierte Pflegefachkräfte haben im Unterschied zu normalen «Fages» (Fachpersonen Gesundheit) mit dreijähriger Lehre eine Ausbildung an einer Fachhochschule hinter sich.


Ohne Gewerkschaften

Es fällt auf, dass im Initiativekomitee zwar VertreterInnen aller grossen Parteien sitzen, aber keine GewerkschafterInnen. Auf Nachfrage des vorwärts erklärt Helena Zaugg, Präsidentin des SBK, dass der Berufsverband die Initiative mit Absicht alleine lancierte. Für den SBK ist das Grundproblem der Mangel an ausgebildeten Pflegepersonen. «Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden, aber das alleine genüge nicht.» Den Gewerkschaftsbund und der VPOD wurden allerdings im Voraus über die Initiative informiert, sagt die SBK-Präsidentin.

Die Unia wurde nicht angefragt mitzumachen und auch nicht in die Ausarbeitung der Initiative einbezogen, schreibt Udo Michel, Unia-Branchenverantwortlicher für Pflege und Betreuung.

Der Gewerkschafter steht der Pflegeinitiative etwas zurückhaltend gegenüber. «Die Initiative thematisiert das Problem des Fachkräftemangels in der Pflege und die fehlenden Kompetenzen des Pflegepersonals. Wir erachten diese Fragen als sehr wichtig. Wir gehen aber davon aus, dass die Initiative das grundlegende Problem, nämlich die Unterfinanzierung und die fortschreitende Ökonomisierung im Gesundheitswesen nicht zu lösen vermag», so die Kritik von Michel. Die Unia kämpft hingegen für eine «solidarischere Finanzierung und gute, flächendeckende Gesamtarbeitsverträge». «Ferner sind wir der Ansicht, dass allein das Beschreiten des politischen Weges nur schwer Verbesserungen bringen wird. Es braucht einen Aufbau in den Betrieben, um tatsächliche Verbesserungen zu erreichen.»


Parlamentarische Initiative

Der Auslöser für die Pflegeinitiative war die letztjährige parlamentarische Initiative von SVP-Nationalrat Rudolf Joder, die den Pflegeberuf von einem «reinen Hilfsberuf» wegkriegen wollte. Die «Eigenverantwortung der Pflege» sollte im Krankenversicherungsgesetz verankert werden: Pflegefachkräfte sollen einen Teil der Pflegeleistungen selbständig erbringen und direkt über die Krankenversicherung abrechnen können. Die Initiative, die vom SBK stark unterstützt wurde, scheiterte, weshalb der Berufsverband beschloss, «die Zügel selber in die Hand zu nehmen» (Zaugg).

Das Hauptanliegen der Pflegeinitiative ist entsprechend, dass Pflegefachpersonen typisch pflegerische Massnahmen ohne ärztliche Verordnung verrechnen dürfen. Bisher muss beispielsweise ein Pflegeheim eine Verordnung des Arztes/der Ärtzin für Pflegehandlungen einholen. Ein unnötiger bürokratischer Aufwand, findet der SBK. Mit der angestrebten Änderung würden Pflegefachpersonen zukünftig die Kompetenz erhalten, pflegerische Leistungen im engeren Sinn direkt mit den Krankenkassen abzurechnen.


Bessere Löhne

Es steckt allerdings mehr in der Initiative. Aus Sicht der Arbeitenden ist zentral, dass die Pflegeinitiative bessere Arbeitsbedingungen fordert: Verlangt werden «die angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen» und «anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen». In der Pflege sollen «endlich Löhne bezahlt werden, die der Verantwortung und der Leistung entsprechen, insbesondere auch während der Ausbildungszeit, wenn die Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig sind», erklärt das Initiativkomitee. «Im Frauenberuf Pflege braucht es unbedingt familienfreundlichere Bedingungen mit individuellen Arbeitszeitmodellen und mehr Plätzen für die ausserfamiliäre Kinderbetreuung.»

Insgesamt ist es keine wirklich linke Initiative, weil sie in erster Linie die bessergestellten diplomierten Pflegefachpersonen begünstigen will. Aber eben nur in erster Linie. Bessere Arbeitsbedingungen und die schwammige Forderung einer «angemessene Abgeltung der Pflegeleistungen» dürften auch den «Fages» nützen. Die gewerkschaftliche Arbeit könnte durch solche Grundsätze in der Verfassung erleichtert werden. Es gilt also die Pflegeinitiative von links zu unterstützen mit Betonung auf die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen für alle PflegerInnen.

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Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 03/04/2017 - 73. Jahrgang - 3. Februar 2017, S. 1
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2017

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